Risiko
Seit Ulrich Beck 1986 mit der Veröffentlichung seiner Risikogesellschaft einen akademischen Volltreffer gelandet hat (Tschernobyl!), propagiert er diesen Gedanken wo immer man ihn lässt. Inzwischen ist ihm sein Trademark zur Weltrisikogesellschaft angewachsen. In einem Kommentar im Standard schreibt Beck von der Zukunft der EU und malt den Teufel an die Wand:
„Wenn Europa an der globalen Wirtschaftskrise zerbrechen sollte, dann wird es keine Grenzen geben für das Unglück, die Not und die Schande seiner Politiker und fünfhundert Millionen Menschen!“
Becks Intention ist sicher ehrenwert, er richtet sich gegen einen neuen Nationalismus und fordert eine „durch die Krise erneuerte EU“. Aber abgesehen vom schlechten Deutsch („Die Lage spitzt sich zu: entweder Mehr-Europa oder Nicht-Europa. Dieser Imperativ des möglichen Scheiterns [sic!] begründet die Hoffnung à la baisse“ und so weiter) hat Beck kein Argument anzubringen. Sondern nur, seien wir ehrlich, Ideologie:
„In der Weltrisikogesellschaft sind isolierte Nationalstaaten weder handlungsfähig noch überlebensfähig noch souverän.“ Und: „Nur eine durch die Krise erneuerte EU kann im Zusammenspiel mit der neuen US-Weltoffenheit Obamas glaubwürdig und wirkungsvoll die Regulierung der Finanzmärkte einfordern.“
Welche Regulierung? Hier mache ich einen radikalen Schnitt. Im gestrigen Podcast von Planet Money (den ich allen, die an der Wirtschaftskrise interessiert sind, wirklich ans Herz legen will) spricht Nassim Taleb, Autor von Black Swan, über seine Vorstellungen einer vernünftigen Regulierung der Finanzmärkte. Taleb spricht deutliche Worte (meine Transkription):
„Any product that relies on mathematical models will disappear or needs to disappear because we know nothing about these probabilities and the past of course is no indication and I proved it […]. This idea of using historical analysis is completely bogus and the idea of making an apriori theory of what a probability of events should be is also bogus, so we should abandon them. […] Ban these products!“
Taleb teilt nicht nur Becks optimistischen Blick auf die Obama-Administration nicht („The US government economists, they are not equipped to understand that environment [of the current crisis]. They are trained in conventional ways, they cannot understand it.“), er bringt auch konkrete Vorschläge zur Regulierung:
„We eventually need to be organized in a way that resembles Mother Nature with nothing too big to fail, with products that are much less sensitive to large deviation, namely, you know, just very simple financial products, and, what people don’t like, and I say sorry, but we can no longer afford debt. Debt doesn’t give you room for error. […] Unless you shut down the internet, unless you stop globalization, there is no room for errors. […] Debt is something that fragelizes the system. You have to choose: debt or globalization.“
Warum bringe ich diese beiden in allen Belangen ungleichen medialen Berichte? Interessant ist jeweils der Zugang zum Risiko. Für Ulrich Beck ist „das Risiko“ etwas gesellschaftlich Gegebenes, etwas Unhintergehbares. Man kann allenfalls darüber spekulieren, ob er zu diesem Schluss basierend auf seinen soziologischen Untersuchungen gekommen ist, oder ob es sich um die Propagierung seines wichtigsten Marketingprodukt handelt (self-fulfilling prophecy). Nassim Taleb hinterfragt die Evidenz, die Nowendigkeit von Risiko, und leitet politische Forderungen daraus ab. Das ist ungewöhnlich, und daher muten seine Vorschläge radikal an. Intellektuell ist es jedenfalls ungleich bereichender.
„Wir haben alle über unsere Verhältnisse gelebt“
Der deutsche Bundespräsident Horst Köhler hat einige Kritik geerntet, als er mit Blick auf die aktuelle Krise von sich gab: „Wir haben alle über unsere Verhältnisse gelebt.“ Dass der steigende Wohlstand eben nicht „allen“ zu Gute kam, sollte dabei auch Herr Köhler wissen: Die Reallöhne in Deutschland sind gesunken (!), die Steuern für Gewinne und hohe Einkommen auch. Aber der Arbeiter mit sinkendem Lohn trotz Produktivitätswachstum hat über seine Verhältnisse gelebt. Köhler strickt bereits an der Legende, dass eben nicht bspw. Deregulierung und eine ungleiche Einkommensverteilung, mithin ein spezifisches (neoliberales) Akkumulationsregime Schuld an der Krise sind, sondern der Normalbürger, der seinen Anteil am Wohlstand einfordert.
Diesen Subtext gibt es auch in Österreich. Hans Rauscher etwa kommt im Standard von der Finanzkrise über die Hacklerregelung zu folgender Aussage: „Und die gut Organisierten, die es sich in den Nischen und Winkeln des Sozialstaates gemütlich gemacht haben, betreiben eine Umverteilung mindestens so problematisch wie die Meinls.“ Zwar unterstellt Rauscher nicht, dass diese Menschen an der Krise Schuld seien. Dennoch ist die Funktion dieser Äußerungen klar: Die ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung ist gerechtfertigt, und schwarze Schafe gibt es nun mal überall. Daher müssen auch alle den Gürtel enger schnallen – wir werden die Forderungen nach Lohnverzicht schon bald zu hören bekommen, wenn es um die Finanzierung der Krise geht. Daher muss die Debatte genutzt werden, einige Forderungen auch durchzusetzen. Am lautesten diskutiert wird in Österreich derzeit die Vermögensteuer. Diese Debatte gilt es auszuweiten – auf Verteilung, Lohnpolitik und die Frage nach der Gesellschaft, in der wir leben möchten.
Hopebreak
Ich finalisiere grade einen Artikel für den kommenden Kurswechsel über die verschiedenen Massnahmenpakete der Regierung Obama. Im Grunde geht es dabei um drei Bereiche:
Erstens um eine etwas genauere Beschreibung der Vielzahl an Initiativen, die in den letzten sechs Monaten gestartet wurden. Neben dem Troubled Asset Relief Program (TARP), ein Vermächtnis von Hank Paulson (Treasury Secretary in der Bush Administration) sind inzwischen der Stimulus (American Recovery and Reinvestment Act, ARRA) abgesegnet sowie das Budget für Fiscal Year 2010 (beginnend mit 1.10.2009) im Kongress eingebracht worden. Daneben hat Ben Bernanke die Aufgabenbereiche der Federal Reserve Bank in beispielloser Weise erweitert (die Fed vergibt nun Kredite an Nichtbanken) und lässt wie verrückt Dollar drucken.
Zweitens die Vision der Obama-Administration und die Strategie, wie sie diese Vision umsetzen will. Obamas Ziel ist ein modernisierter, energiepolitisch unabhängiger Wohlfahrtsstaat. Vieles, was insbesondere im Prozess der Budgeterstellung vorgegeben wurde, wie die Gesundheitsreform, ist in der Tat ermutigend. Obama selbst hat von den fünf Säulen der Budgetreform gesprochen, und darin sind die maßgeblichen Veränderungen etwa im Budget des Pentagon noch gar nicht enthalten. Damit zur Strategie: Obama will die Krise für einen Umbau des politischen Systems und der Reichtumsverteilung nutzen, allerdings sich zugleich nicht mit der herrschenden Finanzoligarchie anlegen. Die Strategie ist daher, den Finanzsektor kurzfristig wiederherzustellen („restore the confidence“). Basierend auf diesem politischen wie ökonomimschen Erfolg sollen die weiterreichenden Ziele realisiert werden.
Drittens: Das Ziel ist gut gemeint, doch die Strategie hat mehrere Tücken:
- Zunächst: was, wenn sich das Finanzsystem gar nicht mehr in der bekannten Weise reparieren lässt? Bisher zeigen alle Äußerungen und Initiativen um Larry Summers und Tim Geithner, dass die Administration fest an einen bloßen Liquiditätsengpass bei den Banken glaubt (zuletzt etwa P‑PIP). Was aber, wenn sie insolvent sind?
- Außerdem widmet sich die Administration, insbesondere der Finanzminister, fast ausschließlich der Finanzkrise. Auch die Mengen an Geld, die bereits effektiv in diesen Sektor geschüttet wurden, übersteigen die projektierten Ausgaben für die Realwirtschaft und den gesellschaftlichen Umbau bei weitem.
- Nicht zuletzt zeigt der Skandal um die AIG-Bonuszahlungen, dass die Allianz mit der Finanzoligarchie für die politische Glaubwürdigkeit der Administration schwerwiegende Folgen haben kann.
- Und ganz generell stellt sich die Frage, ob reiner Pragmatismus wirklich ausreicht, um hochstehende Ziele zu erreichen. Obama scheint, abgesehen von markigen Worten, nicht bereit zu sein, irgend jemandem auf die Füsse zu steigen; nach dem kleinen ABC der politischen Ökonomie bedeutet das aber, dass die Hauptlast der Krise den Schwächsten zugespielt wird.
Die Situation sieht daher im Augenblick so aus, als würde die Regierung, bei allen enormen Anstrengungen, die sie unternimmt, einem überkommenen Schema folgen: „defering to big banks and prefering fiscal expansion“. Ein ebenso absehbarer wie unmittelbarer Effekt aus der Personalauswahl, die Obama bei Erstellung seines Wirtschaftsteams getroffen hat.
Noch ein Wort zur Informationslage: Diese ist in der Regel ausreichend, man könnte fast sagen: überwältigend. Die online-Quellen, aus denen ich meine Informationen beziehe, sofern sie im Artikel dann nicht genannt werden, sind – abgesehen von Newspapers wie Washington Post, NY Times, Politico – im wesentlichen NPRs Planet Money sowie die Prophets of Doom: baseline scenario (mit Simon Johnson), RGE Monitor (mit Nouriel Roubini), Paul Krugman.
PS: der Titel für diesen Blogentry stammt aus Naomi Kleins hübscher Sammlung an Obama-Neologismen.
Diskussion „… aller Länder vereinigt euch?“ am 6.5.
6. Mai um 19h30 an der Universität Wien (Hörsaal 29)
„… aller Länder vereinigt euch?“ Die Krise und Perspektiven transnationaler Solidarität
mit:
Andreas Bieler (Centre for the Study of Social and Global Justice/Nottingham)
Karin Fischer (Projekt Internationale Entwicklung/Wien)
Ilker Atac (Institut für Politikwissenschaft/Wien)
Ulrich Brand (Institut für Politikwissenschaft/Wien)
Die vorherrschenden Krisen-Politiken bewegen nicht nur Debatten über die Kontinuitäten und Brüche des so genannten Neoliberalismus. Sie führen auch zur Frage nach den Möglichkeiten sowie Hindernissen für transnationale Antworten auf Ausbeutung, Diskriminierung und Entdemokratisierung. Doch an welche Erfahrungen könnte angeknüpft werden? Und welche Eindrücke bestehen angesichts bisheriger Krisen-Bearbeitungen und Entwicklungen? Darüber wollen wir diskutieren.
Veranstaltet von: Grüne Bildungswerkstatt Wien, BEIGEWUM, ATTAC
unterstützt durch: juridikum, Perspektiven
im Rahmen der Reihe „Ein anderes Europa ist notwendig!“
Was hat die Finanzkrise mit der Einkommensverteilung zu tun?
Seit den frühen 80er Jahren ist es zu dramatischen Veränderungen in der Einkommensverteilung gekommen. In den meisten Ländern hat sich die Einkommensverteilung polarisiert – die Reichen sind reicher und die Armen (relativ) ärmer geworden. In praktisch allen Ländern ist die Lohnquote, d.h. der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen gesunken, in Österreich seit 1980 gar um mehr als 15 %. Schlimm, aber was hat das mit der Finanzkrise zu tun?
Auf den ersten Blick wenig, mag es scheinen. Die Finanzkrise wurde verursacht durch die Deregulierung der Finanzmärkte: Banken bündelten Hypothekarkredite, tranchierten sie und verkauften sie; unregulierte Hedge Fonds verschuldeten sich gewaltig und waren damit krisenanfällig; starke Kapitalzuflüsse in die USA, die diese zur Deckung ihres Leistungsbilanzdefizits benötigten, finanzierten die Spekulation … So, oder so ähnlich sind die gängigen Krisenerklärungen – alles Entwicklungen eines außer Rand und Band geratenen Finanzsektors.
Korrekt, aber der Fokus auf die Fehlentwicklungen im Finanzsektor droht dahinterliegende strukturelle Ursachen aus dem Bewusstsein zu verdrängen – und die haben viel mit der Veränderung der Einkommensverteilung zu tun.
Für den Großteil der Haushalte sind Lohneinkommen die Haupteinkommensquelle. Aus ihnen wird der Grossteil der Konsumausgaben finanziert. Bleiben die Löhne hinter dem Produktivitätswachstums zurück, so wird weniger konsumiert. Ökonometrische Schätzungen ergeben, dass Eine Umverteilung von 100 € von den Profiten zu den Löhnen zu rund 30 bis 40 € mehr Konsumausgaben führt.
Eine niedrigere Lohnquote bedeutet definitionsgemäß eine höhere Profitquote. Und höhere Profite führen zu mehr Investitionen. Kompensieren die höheren Investitionsausgaben nicht die gesunkenen Konsumausgaben? Nein; zwar führen höhere Gewinne tatsächlich zu mehr Investitionen, aber in einem bescheidenen Ausmaß. 100 € höhere Gewinne führen zu rund 10 € höheren Investitionen.
Kurz, die heimische Nachfrage stagniert, wenn die Löhne nicht steigen. Verschiedene Länder entwickelten unterschiedliche Strategien damit umzugehen. Etliche Länder, z.B. Deutschland und Japan, haben das schwache Wachstum der heimischen Nachfrage durch Exportüberschüsse kompensiert.
Das Problem: es können nicht alle Länder gleichzeitig Exportüberschüsse erzielen. Jedem Leistungsbilanzüberschuß muss ein Leistungsbilanzdefizit in einem anderen Land gegenüberstehen. Irgendwer muss importieren. Es waren die angelsächsischen Ländern, allen voran die USA, die sich als Wachstumsmotor der Weltwirtschaft etablierten. Waren in diesen Ländern die Löhne etwa stärker gewachsen? Nein, im grossen und ganzen nicht. Aufgrund ihres Immobilienmarktes und ihres Finanzsystem entwickelten diese Länder mit der Deregulierung des Finanzsektors ein scheinbar brillantes System der Nachfrageankurbelung: der Konsum wurde kreditfinanziert und die Kredite durch steigende Immobilienpreise besichert. Dieses kredit-finanzierte Wachstums ging gut, solange die Hauspreise weiter stiegen. Als diese zu fallen begannen, begannen auch die Banken zu krachen.
Wie finanzierten die Banken eigentlich dieses Kreditwachstum? Größtenteils nicht über Einlagen, sondern indem sie die Kredite weiterverkauften, teils in Form recht komplizierter Wertpapiere. Und wer kaufte eigentlich diese Papiere? Zu einem Teil internationale Anleger. Das muß so sein: ein Land das Exportüberschüsse (an Gütern) hat, muß auch Kapital exportieren. Indirekt finanzierten damit China, Japan und Deutschland die Kredite für die Immobilienblase. In einem vernünftigen Wechselkurssystem hätten der US-Dollar schon vor Jahren abwerten müssen. Aber im heutigen System sind die Wechselkurse den Märkten überlassen. Die Aussenhandelsungleichwichte konnten damit in ungewohnte Höhen steigen.
Fassen wir also zusammen: Einige Länder, in denen wegen Lohnzurückhaltung die heimische Nachfrage schwächelt, exportieren fleissig und finanzieren mit ihren Kapitalexporten die Kreditgenerierung in jene Länder, wo die Haushalte fleissig einkaufen, was sie sich wegen des geringen Lohnwachstums gar nicht leisten können und daher über Kredite finanzieren müssen. Insgesamt ein perverses System. Möglich wurde all dies durch die Deregulierung des Finanzsystems, aber auch durch eine Polarisierung der Einkommensverteilung.
Und die Moral von der Geschicht? Eine Reform des Finanzsystems kann daher nur ein Teil der Reparatur des Systems sein. Der andere Bereich der der Reparatur bedarf ist die Lohn- und Verteilungspolitik. Erst wenn die Löhne wieder mit der Produktivität wachsen ist ein wirtschaftliches Gleichgewicht möglich, das ohne spekulative Blasen und steigende Haushaltsverschuldung auskommt.
„Weltfinanzsystem im Umbruch? Nord-Süd-Perspektiven“ 23.4.
Zeit: Donnerstag, 23.April 2009, 17:00–18:30 Uhr
Ort: Institut für Politikwissenschaft, Neues Institutsgebäude (NIG), Universitätsstrasse 7, 2.Stock, Raum A222
Präsentation des Journal für Entwicklungspolitik
Es diskutieren:
Hans-Jürgen Bieling (Universität Hamburg)
Johannes Jäger (Fachhochschule des bfi Wien)
Karin Küblböck (ÖFSE)
Thomas Sablowski (Universität Wien)
Beat Weber (BEIGEWUM)
Staatseuphorie ohne Strategie
Zur Lage der Linken im Postneoliberalismus
Die aktuelle Wirtschaftskrise hat auch unter den politisch und ökonomisch Herrschenden – wie beispielsweise jüngst beim Weltwirtschaftsforum in Davos – eine intensive Auseinandersetzung darüber ausgelöst, was künftig verändert werden muss.
In der aktuellen Krise scheint es – zumindest auf den ersten Blick –, als würde das neoliberale Dogma eines Besseren belehrt. Aber auch wenn derzeit Banken verstaatlicht und Vorschläge für eine Reregulierung der Finanzmärkte diskutiert werden, so ist doch weiterhin offen, inwieweit damit ein Gestaltungsanspruch staatlicher Politik gegen die Interessen der starken Kapitalgruppen einhergeht. Denn es handelt sich zuvorderst – bei aller ruinösen Konkurrenz – um eine Krisenintervention im Interesse der dominanten Kräfte.
Im Grunde geht es hier um die Neuauflage eines keynesianischen Programms, bei dem der Staat korrigierend in ökonomische Zyklen und die Macht des Kapitals eingreift. Im Zuge der unter Linken derzeit grassierenden Staatseuphorie sind Reflexionen über die sich verändernden Formen der Staatsintervention seit den 70er Jahren – und besonders in der aktuellen Krise – ausgesprochen selten anzutreffen. Die Vorschläge der Krisenbearbeitung bleiben weitgehend makroökonomisch ausgerichtet. Letztlich verbirgt sich hinter den meisten Diagnosen eine diffuse Hoffnung auf die Einsichtsfähigkeit der politischen und ökonomischen Eliten. Bei realistischer Betrachtung erweist sich diese Hoffnung jedoch als Illusion.
Nicht zufällig kommt das Problem der Hegemonie in den meisten aktuellen Diagnosen nicht vor. Krisen bedeuten nicht unbedingt eine Abkehr von der herrschenden Politik, sondern führen oft zu deren gradueller Erneuerung und festigen auf diese Weise die zugrunde liegenden Herrschaftsverhältnisse. Antonio Gramsci nannte das eine „passive Revolution“, in der Zustimmung zur „großen Politik“ und makroökonomischen Entwicklung, aber auch hinsichtlich alltäglicher Orientierungen und Praktiken ausgearbeitet wird. Hier liegt denn auch der Kern des erfolgten neoliberalen Gesellschaftsumbaus. Er bestand ja nicht zuletzt darin, den Markt- und Konkurrenzimperativ tief in der Gesellschaft, ja bis in die Subjekte hinein zu verankern. Das ist mit der Krise nicht vorbei.
Der Staat ist aus herrschender Perspektive teilweise ein Opfer, vor allem jedoch ein Problemlöser, eine neutrale Instanz und den gesellschaftlichen Allgemeininteressen verpflichtet. Der Staat soll’s richten: Dieses Verständnis dominiert derzeit auch die Diskussion um die Finanzmarktkrise. Demgegenüber versteht eine kritische Analyse den Staat gerade nicht als „neutrale Instanz“, sondern als soziales Verhältnis oder genauer: als institutionell verdichtetes gesellschaftliches Kräfteverhältnis, in dem die herrschenden Kräfte dominieren und ihre Interessen leichter durchsetzen können als die schwächeren Akteure.
Der Staat, insbesondere in den OECD-Ländern, hat die Globalisierung kräftig vorangetrieben und wurde zum „nationalen Wettbewerbsstaat“ (Joachim Hirsch) transformiert.
Durch die Staatsintervention werden Unternehmensverluste sozialisiert (Bankenrettungsschirme), und die Krise selbst wird von mächtigen Konzernen dazu genutzt, geschwächte Konkurrenten zu erwerben (beispielsweise der Kauf der Dresdner Bank durch die Commerzbank).
Währenddessen gilt der Schutz der von Arbeitslosigkeit Bedrohten (von symbolisch und für die herrschende Politik wichtigen Kämpfen wie jenen um Opel abgesehen) oder der im Zuge der Hypothekenkrise ihre Häuser verlierenden Menschen als nachrangig.
Die kapitalistische Entwicklung produziert jedoch nicht nur Krisen, sondern auch ihre eigenen Gegenkräfte in Form von Widerstand und Alternativen. Diese können reaktionär oder gar faschistisch sein, aber auch emanzipatorisch und demokratisch.
Im Unterschied zu den staatszentrierten Krisendiagnosen plädiere ich daher dafür, die unterschiedlichen Vorschläge und Strategien zur Krisenbearbeitung mit dem Begriff des Postneoliberalismus zu fassen. Anders als im Diskurs vom „Ende des Neoliberalismus“ und der „Rückkehr des Staates“ geraten auf diese Weise die Brüche, aber eben auch die Kontinuitäten in den Blick. Kurz: Postneoliberale Strategien bedeuten nicht per se eine Abkehr von neoliberaler Politik; mit dem Begriff werden vielmehr unterschiedliche Optionen der Krisenbearbeitung in den Blick genommen. Dies erlaubt eine präzisere Einschätzung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse, die sich in einzelnen gesellschaftlichen Konfliktfeldern durchaus unterschiedlich ausformen.
Aus emanzipatorischer Perspektive geht es darum, Antworten auf die drängenden Probleme wie soziale Spaltung und Verarmung, Angst und die Privatisierung der Risikoabsicherung, ökologische Krise und Zunahme der Gewalt zu finden. Gleichzeitig gilt es, die herrschaftlichen Definitionen der „drängenden Probleme“ zurückzuweisen und zu verändern. Die Engführung der meisten Missstände auf die aktuelle Finanz- und sich anbahnende Wirtschaftskrise ist problematisch, denn eine solche Reduktion der Ursachen tendiert dazu, einen undemokratischen Etatismus zu begünstigen. Dieser setzt die soziale Spaltung fort bzw. vertieft sie weiter – nicht zuletzt auch dadurch, dass er die Krisen der Ökologie, der Integration, der Sicherheit und der Demokratie für zweitrangig erklärt.
Dieses Problem wird analytisch dadurch gewissermaßen „verdoppelt“, dass einer (guten) Realökonomie die aus dem Ruder gelaufenen (schlechten) Finanzmärkte gegenübergestellt werden, die es in Kombination mit progressiver Verteilungspolitik zu „entschleunigen“ gelte. Aber ist es denn überhaupt wünschenswert, rein makroökonomisch die Wirtschaft wieder „anzukurbeln“, anstatt die aktuellen Möglichkeiten dafür zu nutzen, eine qualitativ und von den komplexen Anreiz- und Bedürfnisstrukturen her ganz andere Lebensweise als die imperiale durchzusetzen?
Für alle Konfliktfelder und umfassende gegenhegemoniale Strategien gilt: Entscheidend wird sein, ob die Macht der Kapital- und Vermögensbesitzer – samt ihrer politisch-institutionellen, medialen und wissenschaftlichen Absicherung – wirklich in Frage gestellt werden kann und ob ein Umbau der Produktions- und Lebensweise akzeptiert wird. Denn eines sollte nicht übersehen werden: Der neoliberale Gesellschaftsumbau wurde und wird auch deshalb breit akzeptiert, weil er die imperiale Lebensweise der Bevölkerungsmehrheit in den Ländern des globalen Nordens und der Mittelklassen in den Ländern des globalen Südens absichert.
In der linken Diskussion sind alternative Ansätze kaum zu finden, werden die unterschiedlichen Krisendimensionen und Problemebenen bis heute nicht zusammengedacht. So wird der Widerspruch zwischen kurz- und mittelfristigen Kriseninterventionen und dem gleichzeitig notwendigen Umbau der Energie- und Ressourcenbasis des globalen Nordens nur selten benannt. Dies könnte in den kommenden Jahren das in vielerlei Hinsicht problematische Projekt eines „grünen New Deal“ zu der vermeintlich linken sozial-ökologischen „Alternative“ machen. Hier liegt eine große intellektuelle, strategische und politische Aufgabe.
Der weitreichenden Entpolitisierung muss mit einer gesellschaftlichen Mobilisierung entgegengearbeitet werden, deren Voraussetzung es ist, die „Parzellierung“ der gesellschaftlichen Probleme in Politikbereiche und entsprechende Lösungsansätze aufzuheben.
(Eine Langversion des Beitrags erschien in „Blätter für deutsche und internationale Politik“, April 2009).
Is America doomed? Or Austria?
Der Kommentar des (neo-)konservativen Kolumnisten Charles Krauthammer hat es (in Auszügen) bis in den Standard geschafft, weil er eine Wortmeldung der hiesigen Innenministerin als Ausweis für die außenpolitische Inkompetenz Barack Obamas hält. Krauthammers Anmerkung steht im Kontext der amerikanischen Kritik an Obamas Europareise, wie bei Cafe Critique unterstrichen wird. Über Krauthammers Position lässt sich natürlich streiten.* Meines Erachtens ist er eher einer jener leicht hysterischen Exzeptionalisten, die unter Bush jun. ihre große Zeit hatten und denen nun in der Krise die Legitimierung ihrer doch eher extremen Ansichten wegbricht. (Siehe dazu die exzellenten Bücher von Andrew Bacevich, The New American Militarism, sowie von Fred Kaplan, Daydream Believers.)
Das Interesse an Österreich jedenfalls ist in den USA tatsächlich größer als man denken möchte. Warum sonst schreibt Paul Krugman (der auch gern mal den Teufel an die Wand malt, aber von der anderen Seite) in seinem Blog über den bedenklich hohen Anteil an Verpflichtungen, den österreichische Banken in Osteuropa haben? Krugman zeigt einen simplen Chart, den ich gern einmal in einem österreichischen Medium gesehen hätte. Und er verweist darauf, dass ein Bail-out der Banken notwendig sein wird, um das Problem in den Griff zu kriegen. Jetzt sitze ich in den USA und frage mich: Wie wird das in Österreich diskutiert? Und: Warum haben amerikanische Intellektuelle in Bezug auf Österreich die Nase vorn?
(* Passage nachträglich korrigiert.)
Was spricht eigentlich gegen eine Vermögensteuer?
Es ist wird wieder einmal heftig über die Vermögensteuer diskutiert, doch der Optimismus, dass sie wirklich kommt, hält sich in Grenzen. Es stellt sich aber die Frage, was ökonomisch für oder gegen eine Besteuerung von Vermögen spricht.
Die Finanzierung öffentlicher Ausgaben ist gerade auch in Krisenzeiten unerlässlich, um soziale Leistungen auszubauen, Bildung und Kultur ausreichend zu finanzieren, öffentliche Infrastrukturprojekte realisieren zu können, eine aktive Arbeitsmarktpolitik zu betreiben kurz: Um den Lebensstandard der Menschen zu sichern. Diese Ausgaben sind grundsätzlich über Steuereinnahmen, zum Teil auch über eine staatliche Neuverschuldung zu realisieren. Und dabei muss gelten: Wer mehr hat, der hat auch eine größere Steuerlast zu tragen. Es ist daher schwer verständlich, warum Österreich auf Einnahmen aus Substanzsteuern – also aus Erbschafts- und Vermögensteuern – weitgehend verzichtet. Ein paar Argumente für die Debatte:
- Österreich ist bei der Besteuerung von Vermögen und Erbschaften (fast) Schlusslicht in der EU. 2006 wurden gerade einmal 0,6 des BIP durch diese Steuern eingehoben. Der Durchschnitt der EU lag 2006 bei knapp 2,0%, in Großbritannien waren es 4,6 Prozent des BIP (Standard vom 09.04.09). Bei einer Anhebung auf den EU-Durchschnitt würde Österreich 4 Mrd. Euro jährlich zusätzlich einnehmen.
- Vermögen sind extrem ungleich verteilt. Wer wirklich eine Umverteilung will, der muss in die Substanz dieser Vermögen eingreifen.
- Die Angst vor einer Vermögensteuer ist enorm. Menschen, die durch bessere öffentliche Leistungen profitieren würden, lehnen deren Finanzierung über eine Vermögensteuer dennoch ab. Dabei muss klar sein: Eine Vermögensteuer kann so ausgestaltet werden, dass kleinere und mittlere Vermögen steuerfrei bleiben. Dafür können entsprechende Freibeträge vorgesehen werden. Das Schüren der Angst vor Vermögensteuern ist interessengeleitet und nicht rational.
- Gegen die Vermögensteuer wird eingewandt, dass dieses Geld bereits versteuertes Einkommen sei und eine doppelte Besteuerung nicht zulässig ist. Nun wird aber jedes Einkommen bei Verausgabung mehrfach besteuert: Erst durch die Lohn- und Einkommensteuer, dann durch diverse Verbrauchsteuern (Mehrwertsteuer, Mineralölsteuer usw.). Es gibt keinerlei Begründung, warum das nicht so sein sollte. Daher können auch Vermögensteuern eingehoben werden, so denn der politische Wille da ist.
Neben der Frage der Einnahmen ist immer die Frage der Funktion zu beachten. Eine Besteuerung von Vermögen lässt sich einerseits aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip, andererseits aus dem Äquivalenzprinzip begründen. Aus Vermögen entstehen Leistungen wie bspw. Einkommen, Prestige, Macht, Sicherheit. Eine Person, die Leistungsfähiger ist, ist jedoch stärker zu besteuern. Dies ist kein Naturgesetz, aber eine politische Setzung. Diese gilt es zu verteidigen, weil das Leistungsfähigkeitsprinzip eine der zentralen Säulen eines Sozialstaates darstellt. Ein solcher kann nur bei Umverteilung funktionieren, denn wenn jede Gruppe für sich selbst sorgen muss, dann ist das kein Wohlfahrtsstaat mehr. Zudem leistet der Staat auch etwas für die Vermögenden: Er garantiert das Eigentum, er stellt die juristische und sächliche Infrastruktur zur Verfügung, die notwendig sind, dass Vermögen entstehen und existieren kann. Daher kann der Staat nach dem Äquivalenzprinzip auch Steuern auf Vermögen begründet einheben.
Es ist nicht einzusehen, dass Österreich auf die dringend benötigten Einnahmen aus der Vermögensteuern verzichtet. Die positiven Effekte – Einnahmesteigerung, gleichere Verteilung, weniger Kapitalakkumulation – sind groß und sollten die Politik dazu veranlassen, endlich zu handeln. Mit einem Verweis auf das Regierungsprogramm ist es nicht getan. Erstens ist es ein Fehler, dass dort keine Vermögensteuer benannt wird. Zweitens kann man Fehler korrigieren. Und Drittens ist die wirtschaftliche Situation eine deutlich andere als zum Zeitpunkt der Koalitionsverhandlungen.
G-20-Finanzgipfel: mehr Kontinuität als Wandel
Der G‑20-Gipfel zur Finanzkrise Anfang April in London brachte zwar etwas mehr als erwartet, blieb aber weit hinter den Notwendigkeiten zurück. Die Erwartungen waren durch die unterschiedlichen Interessenlagen und offen ausgetragenen Differenzen der zentralen internationalen Mächte gedämpft.
Die US-Regierung drängte im Vorfeld stark auf internationale Konjunkturpakete, zeigte aber wenig Enthusiasmus für weitgehende Regulierungsvorschläge. Das ist angesichts des hypertrophen US-Finanzsektors auch nicht überraschend. Neben fiskalischen Anreizen setzt die US-Regierung besonders stark auf die Wiederbelebung der Kreditmechanismen. Impulse sollen aus der Finanzsphäre kommen. In den letzten Jahrzehnten standen bei Wirtschaftsaufschwüngen in den USA nicht mehr die Industrie und die produktiven Investitionen im Vordergrund, sondern der Finanz- und Immobiliensektor. Die deutsche Bundesregierung zeigte sich gegenüber weiteren Konjunkturpaketen ablehnend und stellte stattdessen Regulierungsfragen in den Vordergrund. Die deutsche Ökonomie ist übermäßig stark auf den Export ausgerichtet und leidet jetzt stark unter den Exporteinbrüchen. Der deutsche Politik- und Wirtschaftsmainstream setzt weiter auf Exporte als Weg aus der Krise. Nur die Links-Partei, linke Gewerkschafter, globalisierungskritische Gruppen und einige kritische Ökonomen fordern eine Reorientierung auf den Binnenmarkt und starke fiskalische Impulse sowie eine expansive Lohnpolitik. Dies wird von der Bundesregierung abgelehnt. Sie negiert, dass die Krise auch etwas mit Verteilungsfragen – wie hohen anlagesuchenden Einkommen der oberen Mittelschichten und beim Konsum Kompensation niedriger Einkommen durch steigende Aufnahme von Konsumkrediten – sowie globalen Ungleichgewichten zu tun hat. Sie identifiziert als zentrale Ursache der Krise primär Fehlregulierungen der Finanzmärkte, die tatsächlich ein wichtiger, aber nicht der einzige wichtige Krisenfaktor waren. Bei der deutschen Position ist zu beachten, dass durch den internationalen Bedeutungsgewinn des angelsächsischen Finanzmarktmodells das deutsche Wirtschaftsmodell mit seinen traditionell engen Beziehungen zwischen Banken und Industrie erodiert war. Die chinesische Regierung zeigte sich angesichts der unkonventionellen und stark expansiven Geldpolitik der US-Zentralbank offen um die riesigen chinesischen Finanzanlagen in den USA besorgt. Aus China kamen erste Stimmen, welche die Rolle des US-Dollars als zentrale US-Reservewährung vorsichtig in Frage stellten.
Die Passagen zur wirtschaftlichen Stimulierung sind eher allgemein gehalten. Besonderes Gewicht legt die Abschlusserklärung auf die Wiederherstellung eines „normalen Kreditflusses“. Hierbei ist unklar, was „normal“ eigentlich bedeutet. Sollte hiermit die exzessive Kreditvergabe der letzten Jahre gemeint sein, würde dies die Fortsetzung eines grundsätzlich sehr krisenanfälligen Wirtschaftsmodells bedeuten. In den USA gibt es bereits jetzt Anstrengungen, den Handel mit innovativen Finanzaktiva, die in der Krise ihre destruktive Wirkung deutlich zeigten, mit staatlicher Hilfe wieder in Gang zu bringen. Einzelne Banken scheinen auf diese Politik, die auch den USA nicht unumstritten ist, anspringen zu wollen.
Etwas mehr Regulierung soll es allerdings auch geben. Das Financial Stability Forum soll zu einem Financial Stability Board (FSB) mit verstärktem Mandat ausgebaut werden. Das FSB soll sich unter anderem um den Aufbau eines Frühwarnsystems für die Finanzmärkte und die Veränderung der Aufsichtssysteme kümmern. Regulierung und Aufsicht sollen „auf alle systemisch wichtigen Finanzinstitutionen, ‑instrumente und –märkte“ ausgedehnt werden. Hierzu sollen auch „systemisch wichtige Hedgefonds“, die mit sehr hoher Kreditfinanzierung spekulativer Aktivitäten arbeiten, gehören. Was „systemisch wichtig“ ist, ist in der Erklärung nicht definiert und ziemlich interpretationsfähig. Von einer umfassenden Kontrolle kann so keinesfalls die Rede sein. Mehr Transparenz ist allein nicht ausreichend. Bereits vor der Krise waren Krisengefahren durchaus erkennbar, doch folgten keine präventiven Gegenmaßnahmen. Die Regulierungsbehörden zeigten sich allzu eng auf die Wünsche der Finanzwelt ausgerichtet. Notwendig wären ein Verbot verschiedener innovativer Finanzinstrumente sowie eine Genehmigungspflicht für neue Instrumente. Von entsprechenden Schritten ist in der Deklaration kein Wort zu finden. Auf Steuerparadiese soll verstärkter Druck ausgeübt werden. Hierbei wird eher auf die Unterbindung von Steuerflucht als auf den ebenfalls sehr wichtigen Aspekt der Regulierungsflucht abgestellt. Mangelnde Regulierung und Aufsicht machen neben steuerlich „paradiesischen“ Zuständen die Hauptattraktivität der Steuerparadiese auf. Vielfach handelt es sich bei diesen „Paradiesen“ übrigens um kleine Reste des kolonialen Imperiums Großbritanniens und der Niederlande.
Die vielleicht unmittelbar stärkste Wirkung des G‑20-Gipfels ist die Stärkung des IWF (und anderer internationaler Finanzinstitutionen). Über den IWF soll Liquidität für Länder der Semi-Peripherie (wie Teile Osteuropas oder Lateinamerikas) und der Peripherie bereitgestellt werden. Hierbei werden auch konkrete Summen genannt, die allerdings zum Teil nur Bekräftigungen bereits früherer Beschlüsse sind. Der IWF hat die Wirtschaftspolitiken, die zur gegenwärtigen Krise geführt haben, systematisch unterstützt. Wirtschaftspolitisch hat er seine Linie kaum korrigiert. Grundlegende Ursachen der Verschuldung von (semi-)peripheren Ökonomien gehen seine Programme nicht an, oftmals zementieren sie diese sogar. Die Stimmrechtsverteilung im IWF ist hochgradig undemokratisch zu Gunsten der Industrieländer (vor allem der USA) verzerrt und wird absehbar auch bei den angepeilten Stimmrechtsreformen höchst problematisch bleiben. Eine weit bessere Alternative wäre die Vergabe von Liquidität über UNO-Organisationen.
Das G‑20-Treffen zeigt geo-politische Verschiebungen an. Im Gegensatz zu den bisherigen G‑7-Treffen saßen große Länder des Südens mit am Tisch. China ist ein zwar noch recht diskreter, aber doch zentraler Akteur. Die US-Regierung ist zumindest zu Teilkompromissen gezwungen. Im Kern zeichnet sich ab, dass Kernelemente der Wirtschaftsmodelle der letzten drei Jahrzehnte bewahrt und um eine etwas verstärkte Kontrolle ergänzt werden sollen. Der kleinste gemeinsame Nenner ließe sich so beschreiben: So viel Kontinuität mit den Jahren des Neoliberalismus wie möglich und eine Begrenzung der Korrekturen auf das unvermeidlich Scheinende.