G-20-Finanzgipfel: mehr Kontinuität als Wandel
Der G‑20-Gipfel zur Finanzkrise Anfang April in London brachte zwar etwas mehr als erwartet, blieb aber weit hinter den Notwendigkeiten zurück. Die Erwartungen waren durch die unterschiedlichen Interessenlagen und offen ausgetragenen Differenzen der zentralen internationalen Mächte gedämpft.
Die US-Regierung drängte im Vorfeld stark auf internationale Konjunkturpakete, zeigte aber wenig Enthusiasmus für weitgehende Regulierungsvorschläge. Das ist angesichts des hypertrophen US-Finanzsektors auch nicht überraschend. Neben fiskalischen Anreizen setzt die US-Regierung besonders stark auf die Wiederbelebung der Kreditmechanismen. Impulse sollen aus der Finanzsphäre kommen. In den letzten Jahrzehnten standen bei Wirtschaftsaufschwüngen in den USA nicht mehr die Industrie und die produktiven Investitionen im Vordergrund, sondern der Finanz- und Immobiliensektor. Die deutsche Bundesregierung zeigte sich gegenüber weiteren Konjunkturpaketen ablehnend und stellte stattdessen Regulierungsfragen in den Vordergrund. Die deutsche Ökonomie ist übermäßig stark auf den Export ausgerichtet und leidet jetzt stark unter den Exporteinbrüchen. Der deutsche Politik- und Wirtschaftsmainstream setzt weiter auf Exporte als Weg aus der Krise. Nur die Links-Partei, linke Gewerkschafter, globalisierungskritische Gruppen und einige kritische Ökonomen fordern eine Reorientierung auf den Binnenmarkt und starke fiskalische Impulse sowie eine expansive Lohnpolitik. Dies wird von der Bundesregierung abgelehnt. Sie negiert, dass die Krise auch etwas mit Verteilungsfragen – wie hohen anlagesuchenden Einkommen der oberen Mittelschichten und beim Konsum Kompensation niedriger Einkommen durch steigende Aufnahme von Konsumkrediten – sowie globalen Ungleichgewichten zu tun hat. Sie identifiziert als zentrale Ursache der Krise primär Fehlregulierungen der Finanzmärkte, die tatsächlich ein wichtiger, aber nicht der einzige wichtige Krisenfaktor waren. Bei der deutschen Position ist zu beachten, dass durch den internationalen Bedeutungsgewinn des angelsächsischen Finanzmarktmodells das deutsche Wirtschaftsmodell mit seinen traditionell engen Beziehungen zwischen Banken und Industrie erodiert war. Die chinesische Regierung zeigte sich angesichts der unkonventionellen und stark expansiven Geldpolitik der US-Zentralbank offen um die riesigen chinesischen Finanzanlagen in den USA besorgt. Aus China kamen erste Stimmen, welche die Rolle des US-Dollars als zentrale US-Reservewährung vorsichtig in Frage stellten.
Die Passagen zur wirtschaftlichen Stimulierung sind eher allgemein gehalten. Besonderes Gewicht legt die Abschlusserklärung auf die Wiederherstellung eines „normalen Kreditflusses“. Hierbei ist unklar, was „normal“ eigentlich bedeutet. Sollte hiermit die exzessive Kreditvergabe der letzten Jahre gemeint sein, würde dies die Fortsetzung eines grundsätzlich sehr krisenanfälligen Wirtschaftsmodells bedeuten. In den USA gibt es bereits jetzt Anstrengungen, den Handel mit innovativen Finanzaktiva, die in der Krise ihre destruktive Wirkung deutlich zeigten, mit staatlicher Hilfe wieder in Gang zu bringen. Einzelne Banken scheinen auf diese Politik, die auch den USA nicht unumstritten ist, anspringen zu wollen.
Etwas mehr Regulierung soll es allerdings auch geben. Das Financial Stability Forum soll zu einem Financial Stability Board (FSB) mit verstärktem Mandat ausgebaut werden. Das FSB soll sich unter anderem um den Aufbau eines Frühwarnsystems für die Finanzmärkte und die Veränderung der Aufsichtssysteme kümmern. Regulierung und Aufsicht sollen „auf alle systemisch wichtigen Finanzinstitutionen, ‑instrumente und –märkte“ ausgedehnt werden. Hierzu sollen auch „systemisch wichtige Hedgefonds“, die mit sehr hoher Kreditfinanzierung spekulativer Aktivitäten arbeiten, gehören. Was „systemisch wichtig“ ist, ist in der Erklärung nicht definiert und ziemlich interpretationsfähig. Von einer umfassenden Kontrolle kann so keinesfalls die Rede sein. Mehr Transparenz ist allein nicht ausreichend. Bereits vor der Krise waren Krisengefahren durchaus erkennbar, doch folgten keine präventiven Gegenmaßnahmen. Die Regulierungsbehörden zeigten sich allzu eng auf die Wünsche der Finanzwelt ausgerichtet. Notwendig wären ein Verbot verschiedener innovativer Finanzinstrumente sowie eine Genehmigungspflicht für neue Instrumente. Von entsprechenden Schritten ist in der Deklaration kein Wort zu finden. Auf Steuerparadiese soll verstärkter Druck ausgeübt werden. Hierbei wird eher auf die Unterbindung von Steuerflucht als auf den ebenfalls sehr wichtigen Aspekt der Regulierungsflucht abgestellt. Mangelnde Regulierung und Aufsicht machen neben steuerlich „paradiesischen“ Zuständen die Hauptattraktivität der Steuerparadiese auf. Vielfach handelt es sich bei diesen „Paradiesen“ übrigens um kleine Reste des kolonialen Imperiums Großbritanniens und der Niederlande.
Die vielleicht unmittelbar stärkste Wirkung des G‑20-Gipfels ist die Stärkung des IWF (und anderer internationaler Finanzinstitutionen). Über den IWF soll Liquidität für Länder der Semi-Peripherie (wie Teile Osteuropas oder Lateinamerikas) und der Peripherie bereitgestellt werden. Hierbei werden auch konkrete Summen genannt, die allerdings zum Teil nur Bekräftigungen bereits früherer Beschlüsse sind. Der IWF hat die Wirtschaftspolitiken, die zur gegenwärtigen Krise geführt haben, systematisch unterstützt. Wirtschaftspolitisch hat er seine Linie kaum korrigiert. Grundlegende Ursachen der Verschuldung von (semi-)peripheren Ökonomien gehen seine Programme nicht an, oftmals zementieren sie diese sogar. Die Stimmrechtsverteilung im IWF ist hochgradig undemokratisch zu Gunsten der Industrieländer (vor allem der USA) verzerrt und wird absehbar auch bei den angepeilten Stimmrechtsreformen höchst problematisch bleiben. Eine weit bessere Alternative wäre die Vergabe von Liquidität über UNO-Organisationen.
Das G‑20-Treffen zeigt geo-politische Verschiebungen an. Im Gegensatz zu den bisherigen G‑7-Treffen saßen große Länder des Südens mit am Tisch. China ist ein zwar noch recht diskreter, aber doch zentraler Akteur. Die US-Regierung ist zumindest zu Teilkompromissen gezwungen. Im Kern zeichnet sich ab, dass Kernelemente der Wirtschaftsmodelle der letzten drei Jahrzehnte bewahrt und um eine etwas verstärkte Kontrolle ergänzt werden sollen. Der kleinste gemeinsame Nenner ließe sich so beschreiben: So viel Kontinuität mit den Jahren des Neoliberalismus wie möglich und eine Begrenzung der Korrekturen auf das unvermeidlich Scheinende.
Wie bei allen „Gipfeln“ war auch der kürzliche G‑20 Gipfel voll von vollmundigen Ankündigungen, die großen Interpretationsspielraum zulassen und deren Effektivität erst durch ihre noch zu erfolgende nationale Umsetzung sich erweisen muß. Dabei spielt der Wunsch vieler, zum status quo ante zurückzukehren, weil sie davon profitiert haben ebenso eine Rolle wie der Wunsch einiger Länder nach grundlegender Veränderung (vor allem bei Schwellenländern; da die ärmsten nicht eingeladen waren, konnten sie ihre diesbezüglichen Wünsche nicht artikulieren, diese gehen jedoch keineswegs – siehe Doha – Hand in Hand mit jenen der Schwellenländer).
Ein neues Wirtschaftsmodell ist jedenfalls nicht einmal in Ansätzen sichtbar – bestenfalls ein etwas gezähmteres altes.