Risiko
Seit Ulrich Beck 1986 mit der Veröffentlichung seiner Risikogesellschaft einen akademischen Volltreffer gelandet hat (Tschernobyl!), propagiert er diesen Gedanken wo immer man ihn lässt. Inzwischen ist ihm sein Trademark zur Weltrisikogesellschaft angewachsen. In einem Kommentar im Standard schreibt Beck von der Zukunft der EU und malt den Teufel an die Wand:
„Wenn Europa an der globalen Wirtschaftskrise zerbrechen sollte, dann wird es keine Grenzen geben für das Unglück, die Not und die Schande seiner Politiker und fünfhundert Millionen Menschen!“
Becks Intention ist sicher ehrenwert, er richtet sich gegen einen neuen Nationalismus und fordert eine „durch die Krise erneuerte EU“. Aber abgesehen vom schlechten Deutsch („Die Lage spitzt sich zu: entweder Mehr-Europa oder Nicht-Europa. Dieser Imperativ des möglichen Scheiterns [sic!] begründet die Hoffnung à la baisse“ und so weiter) hat Beck kein Argument anzubringen. Sondern nur, seien wir ehrlich, Ideologie:
„In der Weltrisikogesellschaft sind isolierte Nationalstaaten weder handlungsfähig noch überlebensfähig noch souverän.“ Und: „Nur eine durch die Krise erneuerte EU kann im Zusammenspiel mit der neuen US-Weltoffenheit Obamas glaubwürdig und wirkungsvoll die Regulierung der Finanzmärkte einfordern.“
Welche Regulierung? Hier mache ich einen radikalen Schnitt. Im gestrigen Podcast von Planet Money (den ich allen, die an der Wirtschaftskrise interessiert sind, wirklich ans Herz legen will) spricht Nassim Taleb, Autor von Black Swan, über seine Vorstellungen einer vernünftigen Regulierung der Finanzmärkte. Taleb spricht deutliche Worte (meine Transkription):
„Any product that relies on mathematical models will disappear or needs to disappear because we know nothing about these probabilities and the past of course is no indication and I proved it […]. This idea of using historical analysis is completely bogus and the idea of making an apriori theory of what a probability of events should be is also bogus, so we should abandon them. […] Ban these products!“
Taleb teilt nicht nur Becks optimistischen Blick auf die Obama-Administration nicht („The US government economists, they are not equipped to understand that environment [of the current crisis]. They are trained in conventional ways, they cannot understand it.“), er bringt auch konkrete Vorschläge zur Regulierung:
„We eventually need to be organized in a way that resembles Mother Nature with nothing too big to fail, with products that are much less sensitive to large deviation, namely, you know, just very simple financial products, and, what people don’t like, and I say sorry, but we can no longer afford debt. Debt doesn’t give you room for error. […] Unless you shut down the internet, unless you stop globalization, there is no room for errors. […] Debt is something that fragelizes the system. You have to choose: debt or globalization.“
Warum bringe ich diese beiden in allen Belangen ungleichen medialen Berichte? Interessant ist jeweils der Zugang zum Risiko. Für Ulrich Beck ist „das Risiko“ etwas gesellschaftlich Gegebenes, etwas Unhintergehbares. Man kann allenfalls darüber spekulieren, ob er zu diesem Schluss basierend auf seinen soziologischen Untersuchungen gekommen ist, oder ob es sich um die Propagierung seines wichtigsten Marketingprodukt handelt (self-fulfilling prophecy). Nassim Taleb hinterfragt die Evidenz, die Nowendigkeit von Risiko, und leitet politische Forderungen daraus ab. Das ist ungewöhnlich, und daher muten seine Vorschläge radikal an. Intellektuell ist es jedenfalls ungleich bereichender.