„Wir haben alle über unsere Verhältnisse gelebt“
Der deutsche Bundespräsident Horst Köhler hat einige Kritik geerntet, als er mit Blick auf die aktuelle Krise von sich gab: „Wir haben alle über unsere Verhältnisse gelebt.“ Dass der steigende Wohlstand eben nicht „allen“ zu Gute kam, sollte dabei auch Herr Köhler wissen: Die Reallöhne in Deutschland sind gesunken (!), die Steuern für Gewinne und hohe Einkommen auch. Aber der Arbeiter mit sinkendem Lohn trotz Produktivitätswachstum hat über seine Verhältnisse gelebt. Köhler strickt bereits an der Legende, dass eben nicht bspw. Deregulierung und eine ungleiche Einkommensverteilung, mithin ein spezifisches (neoliberales) Akkumulationsregime Schuld an der Krise sind, sondern der Normalbürger, der seinen Anteil am Wohlstand einfordert.
Diesen Subtext gibt es auch in Österreich. Hans Rauscher etwa kommt im Standard von der Finanzkrise über die Hacklerregelung zu folgender Aussage: „Und die gut Organisierten, die es sich in den Nischen und Winkeln des Sozialstaates gemütlich gemacht haben, betreiben eine Umverteilung mindestens so problematisch wie die Meinls.“ Zwar unterstellt Rauscher nicht, dass diese Menschen an der Krise Schuld seien. Dennoch ist die Funktion dieser Äußerungen klar: Die ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung ist gerechtfertigt, und schwarze Schafe gibt es nun mal überall. Daher müssen auch alle den Gürtel enger schnallen – wir werden die Forderungen nach Lohnverzicht schon bald zu hören bekommen, wenn es um die Finanzierung der Krise geht. Daher muss die Debatte genutzt werden, einige Forderungen auch durchzusetzen. Am lautesten diskutiert wird in Österreich derzeit die Vermögensteuer. Diese Debatte gilt es auszuweiten – auf Verteilung, Lohnpolitik und die Frage nach der Gesellschaft, in der wir leben möchten.