Memorandum 2009
Jedes Jahr im Mai gibt die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik ein Memorandum zu aktuellen wirtschaftspolitischen Themen heraus. Die Memo-Gruppe selbst beschreibt Ihre Arbeit so: „In der ›Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik‹ arbeiten Wirtschafswissenschaftlerinnen und Wirtschaftswissenschaftler sowie Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter an der Entwicklung wirtschaftspolitischer Vorschläge und Perspektiven, die sich an der Sicherung sinnvoller Arbeitsplätze, der Verbesserung des Lebensstandards, dem Ausbau des Systems der sozialen Sicherheit für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie wirksamer Umweltsicherung in Deutschland orientieren.“ Die Memoranden beziehen sich zwar auf Deutschland, die Diskussionen sind jedoch auch über den nationalen Kontext hinaus interessant. Dieses Jahr widmet sich die Gruppe unter dem Titel „Von der Krise in den Absturz? Stabilisierung, Umbau, Demokratisierung“ den Folgen der Wirtschaftskrise und entwickelt Vorschläge für eine andere Wirtschafts‑, Sozial- und Bildungspolitik.
Exportweltmeister Deutschland
Im Mittelpunkt des Kapitels zur Finanz- und Wirtschaftskrise steht die verfehlte Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik. Über die Argumentation der Wettbewerbsfähigkeit wurden die Löhne immer weiter gedrückt und so die Binnennachfrage stranguliert. Der leichte Aufschwung der vergangenen Jahre war daher vor allem exportgetrieben. Die Konsequenzen der Lohnzurückhaltung sind bekannt: Die Einkommen aus Kapital und Vermögen stiegen, die aus Löhnen sanken. Es ist wenig verwunderlich dass ein Abschnitt wie folgt überschrieben ist: „Lohnzuwachs in Deutschland – gut für ganz Europa“ (S. 75). Dabei macht die Memo-Gruppe darauf aufmerksam, dass nicht etwa höhere Steuern und Abgaben Schuld an der schlechten (Netto-)Lohnentwicklung sind sondern eine zu geringe Bruttolohnsteigerung – das hatten wir auch schon hier im Blog.
In einem weiteren Kapitel wird der „Super-GAU der Finanzmärkte“ analysiert, bevor das Memorandum auf Beschäftigungsprogramme und Arbeitszeitverkürzungen eingeht. Dabei wird vor allem auch die Qualität der Arbeitsplätze betrachtet, da in Deutschland neue Jobs in den vergangenen Jahren nur bei Teilzeitjobs bzw. Leiharbeit entstanden sind. Ziel ist daher eine Umverteilung der Arbeitszeit.
Soziale Dienstleistungen und Alterssicherung
Ein Kapitel des Memorandum handelt von sozialen Dienstleistungen, die öffentlich zu organisieren sind. Hierbei geht es darum, soziale Dienstleistungen für die Gesellschaft anzubieten und die Memo-Gruppe stellt eine „soziale Dienstleistungslücke“ (S. 151) fest. Hierbei wird auch deutlich, dass die öffentlichen Ausgaben für soziale Dienstleitungen in Österreich ebenfalls unzureichend und noch geringer als in Deutschland sind.
Soziale Dienstleistungen erfüllen mehrere Funktionen: Einerseits kann so professionell ein entsprechendes Angebot geschaffen und in öffentlicher Verantwortung angeboten werden. Andererseits wird die heute oft privat und vor allem von Frauen getragene Arbeit im Bereich der sozialen Dienstleitungen dann bezahlt. Es ist daher wenig verwunderlich, dass die Frauenerwerbstätigkeit positiv mit dem Arbeitsvolumen im sozialen Dienstleistungsbereich korreliert. Um jedoch ein Schließen der Lücke zu erreichen ist eine Trendwende in der bisherigen Politik notwendig. Der „schlanke Staat“ kann dann kein Leitbild mehr sein, oder, um es mit den Worten des Memorandum zu sagen: „Eine höhere Staatsquote und gute soziale Dienstleistungsarbeit gehören untrennbar zusammen“ (S. 162).
Das Memorandum geht auch auf die Frage der Altersversorgung ein. Dabei wird auf die Gefahr der Altersarmut durch das Absenken des Rentenniveaus in Deutschland ebenso eingegangen wie auf die Frage der Demografie und der Produktivitätsentwicklung. Dabei wird darauf hingewiesen, dass erstens nicht die potentielle, sondern die tatsächliche Erwerbstätigen (also nicht die Arbeitslosen) relevant sind, und dass zweitens von der steigenden Produktivität ein Teil für höhere Beitragszahlungen abgezweigt werden kann. Eine Kapitaldeckung jedenfalls kann aus vielen Gründen keine Alternative sein – erstens muss auch hier eine Rendite erwirtschaftet werden, zweitens sind die Unsicherheiten immanent und drittens ist ein solidarische Umlagesystem gerechter als ein privates System, dass man sich eben auch leisten können muss.
Bildung
Seit einigen Jahren befindet sich im Memorandum auch jeweils ein Bildungsteil, ein Bildungstext hat es sogar schon unter die Memorandum-Klassiker geschafft (PDF). Dieses Jahr ist das Thema die neoliberale Ausrichtung der ökonomischen Bildung. Hierbei werden u.a. Planspiele für Schülerinnen und Schüler untersucht und so aufgezeigt, dass ein bestimmtes Denken gefördert werden soll. Das Thema knüpft an an die Frage der Finanzbildung, wie sie bspw. von Martin Schürz und Beat Weber thematisiert wurde, an.
Fazit
Das Memorandum lohnt sich. Zwar ist der Schwerpunkt die Politik in der Bundesrepublik Deutschland, vieles ist jedoch in der österreichischen Politik nicht unähnlich und die Forderungen der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik sind zu unterstützen. Das Memorandum bleibt eines der erfreulichen Gegenpublikationen zum (noch?) herrschenden neoliberalen Mainstream.
AG Alternative Wirtschaftspolitik
MEMORANDUM 2009
Von der Krise in den Absturz?
Stabilisierung, Umbau, Demokratisierung
Alternativen der Wirtschaftspolitik
Neue Kleine Bibliothek 138,
268 Seiten
EUR 17,90 [D] / EUR 18,40 [A] / SFR 32,00
ISBN 978–3‑89438–409‑8
4.6.09: „Wege aus der Krise“ mit Kurt Rothschild
Donnerstag, 4. Juni 2009, 19 Uhr, im Republikanischen Club:
WEGE AUS DER KRISE
Eine Analyse der Finanz- und Konjunkturkrise. Welche wirtschaftspolitischen Konsequenzen sollten gezogen werden? Gibt es Ansätze für mögliche Alternativen?
Ein Gespräch mit: Prof. Kurt ROTHSCHILD und Helene SCHUBERTH (BEIGEWUM), Moderation: Sibylle SUMMER (Rep. Club)
Prof. Kurt W. ROTHSCHILD:
geb. 1914 in Wien, studierte Rechtswissenschaften an der Universität Wien, musste 1938 emigrieren. An der Universität Glasgow studierte er Nationalökonomie und Politische Philosophie und arbeitete dort als Assistent. 1966 wurde er Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Linz. Rothschild gilt als Doyen der österreichischen Wirtschaftswissenschaften.
Helene SCHUBERTH:
Ökonomin österr. Nationalbank, Mitglied BEIGEWUM
Republikanischer Club – Neues Österreich, Rockhgasse 1, 1010, Eingang Cafe Hebenstreit
Wenn sich die Regierung einmischt
Die Bestimmung von Auto-Emissionen, die Obama gestern in Washington angekündigt hat, werden als der wichtigste Beitrag der USA zur Klimapolitik gesehen. Und die Vorgaben sind ja nicht schlecht: Erstmals seit zwei Jahrzehnten soll die Treibstoffeffizienz von Autos, die in den USA gefahren werden dürfen, wieder steigen.
Während andere klimapolitische Gesetzesvorlagen noch im Kongress stecken, können schon mal folgende Schlüsse gezogen werden:
Erstens, die Obama-Administration hat keine Bedenken, ihren Einfluss für Reformen geltend zu machen, die vor kurzem noch als undenkbar erschienen sind. Dass die Automobilindustrie dem neuen Plan zustimmt, liegt sicherlich daran, dass die Regierung inzwischen in weiten Teilen selbst Anteile daran hält; aber es ist dennoch bemerkenswert.
Zweitens zeigt sich, wie geschickt die Obama-Administration im Augenblick den politischen Prozess bestimmt. Die Republikaner sind entweder übergelaufen (wie Arnold Schwarzenegger) oder haben nicht viel zu sagen.
Drittens erkennt man das wiederkehrende Motiv, die Krise für Reformen zu nutzen. Der Kompromiss soll, so der Plan der Regierung, die notwendige Innovation stimulieren, um die amerikanische Wirtschaft im zentralen Bereich der Autoindustrie wieder top zu machen.
Viertens sieht man daran auch, dass hier wieder einmal auf altbewährte Kräfte gesetzt wird. Im Vergleich zu den Investitionen in Highway Construction nimmt sich der Anteil an Public Transportation sehr bescheiden aus. Und: Die bessere Effizienz von Autos bedeutet ja nicht unbedingt, dass weniger Schadstoffe in die Luft geschleudert werden (Jevons Paradox).
Christian Marazzi: „Finance as a real economy“ – Bericht
Bei einem Vortrag am 4.5.09 in Wien sprach der postoperaistische Ökonom Christian Marazzi (Professor an der Hochschule der italienischen Schweiz und Autor von Büchern wie „Fetisch Geld. Wirtschaft, Staat, Gesellschaft im monetaristischen Zeitalter“ und „Capital and Language. From the New Economy to the War Economy“) über das Verhältnis von Finanz- und Realwirtschaft. Früher seien Finanzblasen am Ende von Konjunkturzyklen aufgetreten, und seien somit aus marxistischer Sicht als Ausdruck von Verwertungsproblemen im Realsektor aufgefasst worden: Demnach flüchte überschüssiges Kapital in den Finanzsektor, und führe dort zu Vermögenspreisinflation, bis die Blase schließlich platzt. In diesem Kontext sei zu Recht von Entkoppelung von Finanz- und Realsphäre die Rede.
Diese Analyse sei für die Periode des Fordismus treffend gewesen, so Marazzi, mittlerweile habe sich aber ein Wandel zu einem postfordistischen Akkumulationsregime durchgesetzt, wo Finanzwesen und Realwirtschaft enger miteinander verwoben sind. Postfordistische Produktion sei durch die fortschreitende Auslagerung des Wertschöpfungsprozesses aus den Unternehmen gekennzeichnet. Unternehmen im fortschreitenden Bereich immaterieller Produkte überlassen das Produzieren anderen und konzentrieren sich aufs Koordinieren und die Abschöpfung von Wert, der außerhalb ihrer selbst produziert wird – von schlecht bezahlten Freelancern, oder gar gratis von Konsumenten, die durch ihr Feedback Ideen zur Produktentwicklung beisteuern und entscheidende Handgriffe selbst beisteuern (das Modell youtube) bzw. deren selbstgeschaffene Kultur vereinnahmt und kommerziell vermarktet wird (Lifestyle-Produkte). Das Finanzwesen spielt zum Funktionieren dieses Modells eine entscheidende Rolle. Erstens spielt die finanzielle Steuerung der Unternehmen eine zentrale Rolle für das Outsourcing (Shareholder Value-Orientierung führt zu Druck auf Unternehmensverschlankung). Zweitens schließt der Konsumentenkredit die Lücke zwischen geringen Lohneinkommen und der notwendigen Kaufkraft für den Konsum.
In der Ausweitung der Privatverschuldung komme auch ein eigensinniger Anspruch auf einen Lebensstandard der Privathaushalte zum Ausdruck, eine Verweigerung von Bescheidenheit und Zufriedenheit mit einem kargen Lohn, was als eine Art Ausdruck des Klassenkampfes unter Bedingungen des Postfordismus interpretiert werden könne, der sich ansonsten vor allem in der Verteidigung von Gemeingütern gegen Privatisierung manifestiere.
Die aktuelle Krise führt zu einem Wegbrechen der kreditgestützten Nachfrage, ohne die das System nicht läuft.
Die Redimensionierung und Einschränkung des Finanzsektors und damit des Kredits allein sei die falsche Antwort auf die Krise, weil damit der Kredit als (privatisierte Form der) Artikulation und Finanzierung von sozialen Ansprüchen zerschlagen werde, ohne dass ein Ersatz angeboten würde. Aufgrund der Zerschlagung des öffentlichen Sektors und Wohlfahrtsstaates etwa sei ohne Studienkredit von den privaten Haushalten keine Bildung zu finanzieren.
Um aus der Krise zu kommen, müsste man die Privatverschuldung ersetzen durch ein Recht auf ein Sozialeinkommen, also umverteilen. Für die unmittelbare Lösung des Problems der „toxic assets“ der Banken sei die Refinanzierung der Immobilienkreditschuldner der beste Weg.
26.5.09: „Macht, Verteilung und Demokratie“
Dienstag, 26.5. 2009 um 19h an der WU Wien, HS. 3.35 ©
Diskussion anlässlich der Präsentation von Kurswechsel 1/2009
mit
Christa Schlager (BEIGEWUM)
Martin Schürz (BEIGEWUM)
Sighard Neckel (Universität Wien)
Moderation: Rosa Lyon (Ö1)
Organisiert von BEIGEWUM, Studienvertretung Volkswirtschaft an der WU Wien und Zeitschrift Kurswechsel.
Immer wieder: Die Rente
Die Individualisierung sozialer Risiken ist ein Merkmal der Politik der vergangenen Jahre. Dazu gehört auch die (Teil-)Privatisierung der Altersvorsorge. Begründet wurde und wird dieser Schritt vor allem mit der demografischen Entwicklung. Zwar hat sich gerade das private Pensionssystem in der derzeitigen Krise kräftig blamiert und damit alle Kritiker bestätigt, zu glauben, damit sei das Thema erledigt, ist jedoch naiv. Dazu sind die Summen, um die es für die Finanzwirtschaft geht, schlicht zu hoch. Im Kurier wird der üblichen und üblen Propaganda einmal mehr Platz gegeben. Das Fazit des Kommentars: „Nicht zuletzt ist die Eigeninitiative gefragt: Wer sich allein auf das öffentliche Rentensystem des Jahres 2030 oder 2040 verlässt, könnte bitter enttäuscht werden. Nun hat auch die private Vorsorge ihre Kosten und Fallen. Doch niemand sollte sich täuschen lassen: Die ›Rentengarantien‹ der heutigen Politikergeneration gelten in 30 Jahren garantiert wenig.“ Aha. Private Vorsorge gegen die Demografie, wenngleich mit „Kosten und Fallen“. Auch wenn es mühsam ist seien an dieser Stelle noch einmal ein paar Fakten dargestellt:
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Die Verschiebung der Bevölkerungsstruktur ist keinesfalls eine neue Entwicklung. Die deutsche Gewerkschaft ver.di hat dies in einer Broschüre schön dargestellt: „Vor über hundert Jahren kamen auf eine Person über 65 Jahren rund zwölf Erwerbsfähige. 2000 sind es gerade noch vier“ (S. 8). Nach der Demografie-Logik müsste es einem Rentner bzw. einer Rentnerin vor hundert Jahren demnach blendend gegangen sein. Tatsächlich ist der Wohlstand heute aber erheblich höher. Die Frage der Höhe der Alterspensionen ist jedenfalls nicht linear von der Bevölkerungszusammensetzung abzuleiten.
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Die Finanzierbarkeit der Alterspensionen leitet sich vielmehr von der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung und deren Verteilung ab. Die Wertschöpfung wiederum hängt auch an der Anzahl der Beschäftigten, aber eben auch an der Frage der Produktivität. Je höher diese ist, desto weniger Arbeitskraft wird für den Erhalt des Wohlstandsniveaus benötigt.
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Wie werden eigentlich die Renditen der kapitalgedeckten Renten erwirtschaftet? Vermutlich wird das Geld in eine Kiste gesteckt, in dieser Kiste arbeitet es dann ein paar Jahre und man kann es zum Zeitpunkt der Pensionierung samt Zinsen aus dieser Kiste herausnehmen. Oder wie soll man das verstehen, dass das Geld für einen arbeitet? Das ist natürlich ziemlicher Quatsch, die Rendite für kapitalgedeckte Systeme wird von der arbeitenden Bevölkerung erwirtschaftet. Diese unterliegt jedoch der demografischen Veränderung genauso wie die Einzahlerinnen und Einzahler in das staatliche System – schlicht, weil es um dieselbe Population geht. Der einzige Ausweg aus diesem Dilemma ist ein Rentenimperialismus: Man kann das Geld im Ausland „für sich arbeiten lassen“ – bzw. die dortigen Arbeitskräfte. Das ist jedoch eine andere Debatte.
Wenn nun die kapitalgedeckte wie auch die umlagefinanzierte Rente von der demografischen Entwicklung tangiert wird, was bedeutet das für die Sicherheit der Renten? Hat der Kurier doch recht mit seiner Skepsis? Um die Antwort vorwegzunehmen: Hat er nicht. Die Frage der Höhe der staatlichen Alterspensionen ist eine Frage der Verteilung. Nehmen wir an, die Wirtschaft wächst in Zukunft pro Jahr im Schnitt um lediglich 1%. Bei gleichbleibender Verteilung haben dann alle 1% mehr: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Sozialleistungsbezieherinnen und –bezieher, die Unternehmerinnen und Unternehmer und der Staat. Damit das BIP bei sinkender Zahl der Arbeitenden tatsächlich steigt muss die Produktivität erhöht werden. Die entspricht der historischen Entwicklung der Vergangenheit: Trotz sinkender Arbeitszeit stieg der volkswirtschaftliche Reichtum. Politisch wäre demnach „nur“ zu entscheiden, dass die Produktivitätszuwächse nicht vollständig den Unternehmern und den Arbeitnehmern zur Verfügung stehen, sondern eben auch dem Renten- und Sozialsystem. Da Problem ist also nicht das umlagefinanzierte System, sondern die Rentenpolitik.
In der Auseinandersetzung geht es um viel Geld für die Finanzwirtschaft. Deshalb ist die Propaganda gegen das staatliche Umlagesystem auch so ausdauernd. Dabei wird auch gerne die Tatsache verschwiegen, dass die Milliarden Euro in den Pensionsfonds, die Rendite erwirtschaften sollen, mitverantwortlich sind für die Blasenökonomie der Vergangenheit.
Pflegt, Männer!
In der laufenden Debatte um neue Konjunkturpakete wird immer wieder darauf verwiesen, dass die steigende Arbeitslosigkeit mehrheitlich Männer betrifft. Dies ist nicht verwunderlich, sind doch Männer eher in den nun stark von der Krise betroffenen Industriezweigen beschäftigt. Die Forderung nach einem Konjunkturpaket für soziale Dienstleistungen lässt sich demnach vermeintlich leicht vom Tisch wischen – mit einem Ausbau des Pflegeangebots würde man den derzeit Arbeitslosen nicht helfen können.
Diese Argumentation verwundert.
Es ist bekannt, dass die demografische Entwicklung eine dauerhafte und nachhaltige Lösung erfordert. Es ist bekannt, dass der Pflegesektor ein schnell wachsender und zukunftsträchtiger sowie beschäftigungsintensiver Sektor ist. Es ist bekannt, dass Frauen die Hauptlast der Pflege tragen, formell wie informell. Es ist bekannt, dass derzeit eine Berufsgruppe in den Pflegeberufen besonders gesucht wird, die der Heimhilfen. Dies ist eine Berufsgruppe, die rasch ausgebildet und eingesetzt werden kann. Und es ist bekannt, dass Pflegedienstleister explizit Männer in Pflegeberufen suchen, da für pflegebedürftige Menschen männliche Ansprechpartner derzeit nur in Form von Heimleitern und Zivildienern verfügbar sind.
Was spricht also gegen Männer in der Pflege? Der niedrige Lohn? Die häufige Teilzeitbeschäftigung? Die körperlich anstrengenden Tätigkeiten? Oder ist es einfach nur so, dass man sich Männer im Frauenberuf „Pflege“ nicht vorstellen kann?
Es ist erstaunlich, mit welcher Leichtigkeit die Forderung nach einem sinnvollen Ausbau von sozialen Dienstleistungen entgegen getreten wird. Ein Konjunkturpaket soziale Dienstleistungen würde viele positive Effekte bringen. Eine den Bedürfnissen der Menschen angepasste Pflege und Betreuung, Beschäftigung und Wachstum auch für strukturschwache Regionen und Entlastung für Personen, die sich derzeit informell um Pflegebedürftige bemühen.
Und all jenen Männern, die sich Sorgen um das „explodierende Budgetdefizit“ machen, sei gesagt, dass auch ihre Wahrscheinlichkeit, pflegebedürftig zu werden, relativ hoch ist. Sie werden es zu schätzen wissen, würden wir heute die richtigen Investitionen tätigen.
Budgetk(r)ampf , Teil 2
„Mit diesem Budget stellen wir sicher: Niemand wird im Regen stehen gelassen.“
Zu dieser Aussage hat sich Finanzminister Pröll hinreißen lassen.
Kann er dies auch einhalten?
Als Beleg für diese Behauptung werden immer die beschlossenen Konjunkturpakete herangezogen. Wie effektiv sind diese aber?
Zu den Konjunkturpaketen werden ja fast alle diskretionären Maßnahmen gezählt, die seit letztem Frühling beschlossen wurden. Dies ist allerdings nicht übermäßig korrekt. Als der so genannte „Osterfrieden“ unter Kanzler Gusenbauer geschlossen wurde, der auch die Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge für NiedrigverdienerInnen beinhaltet, war von einer Wirtschaftskrise noch nicht viel die Rede. Jedenfalls wurden die Maßnahmen nicht im Zusammenhang mit einer sich abzeichnenden Krise beschlossen. Bis Herbst waren alle über die hohe Inflation in Österreich besorgt, es wurden Inflationsbekämpfungsmaßnahmen beschlossen.
Die „neue“ Regierung – das Kabinett Faymann-Pröll – hat lt. OeNB Maßnahmen gesetzt, die einen Konjunktureffekt von 0,6% heuer und 1,1% nächstes Jahr auslösen werden. Gut, seien wir einmal nicht so kleinlich und schlagen wir auch die „Anti-Teuerungs-Pakete“ den Konjunkturpaketen dazu. Wenn auch die unter dem Titel „Anti-Teuerung“ beschlossenen Maßnahmen von 2008 mitgezählt werden, ergibt sich ein Konjunktureffekt von 0,8% im Jahr 2009 und 1,4% des BIP 2010. Ist dieser Effekt wirklich berauschend? Immerhin werden angekündigte 6,6 Mrd. Euro (2,2% des BIP) heuer und 6,9 Mrd. (2,4% des BIP) nächstes Jahr ausgegeben. Damit werden kumulierend 25.000 Arbeitsplätze geschaffen. Ist es wirklich effektiv, dass wir heuer 2,2% des BIP investieren, um einen Wachstumseffekt von 0,8% des BIP zu erreichen? Und dieser dann nicht mehr als 12.000 Arbeitsplätze bringt? Ganz ehrlich: das soll ein Konjunkturpaket sein?
Ein Konjunkturpaket, das auch als Rechtfertigung für – im Regierungsprogramm unabhängig von der Wirtschaftskrise ohnehin vorgesehenen – Einsparungsvorhaben herangezogen wird – weil es ja überall an Geld fehlt, das für „Konjunkturbelebung“ frei gemacht werden muss.
Als Rechtfertigung für eine restriktive Personalpolitik des Bundes: bis 2013 sollen rund 1.800 Planstellen eingespart werden, obwohl es wohl ausgesprochen widersinnig ist, gerade in der Krise Stellen abzubauen. Als Rechtfertigung für die „äußerste Zurückhaltung bei den gestaltbaren Ermessensausgaben“, was viele von öffentlichen Förderungen und Aufträgen abhängige Vereine, Institutionen und Institute – und damit tausende Beschäftigte – trifft. Ach ja, „wir sparen bei uns selbst“? Wer ist denn dieses ominöse „wir“? Wir alle sind „der Staat“. Und ja, wir merken auch, dass jetzt schon gespart wird. Die bedarfsorientierte Mindestsicherung findet in keinem der wirklich sehr dicken Budgetunterlagen auch nur eine Erwähnung.
Andererseits hätte sich die Regierung auch einiges an wirklich teuren Maßnahmen sparen können. Eine Steuerreform, die keine Reform ist, sondern wieder mal ein „Geschenke verteilen“ an Gruppen, die es wirklich nicht nötig hätten: Der Gewinnfreibetrag, der je nach Darstellung zwischen 150–300 Mio. Euro kosten wird, und damit den Selbständigen neben der Tarifentlastung eine 2. Entlastung bietet. Der Familienfreibetrag, der 220 Mio. Euro kostet und nur den Besserverdienenden was bringen wird, das Schieben der Bemessungsgrundlage für den Spitzensteuersatz von 51.000 auf 60.000 Euro, was 120 Mio. Euro kosten wird, sogar die Verdoppelung der Absetzbarkeit der Kirchenbeiträge wird unter den Begriff „Steuerreform“ subsumiert und damit unter die konjunkturpolitische Maßnahmen.
Viel Geld wird also ausgegeben. Allerdings – wie bereits beschrieben –wenig zielgerichtet und mit niedriger Beschäftigungswirkung.
Immer wieder wird ins Treffen geführt, dass so früh gehandelt wurde. Die ökonomischen Bedingungen haben sich allerdings weiter dramatisch verschlechtert: Als das letzte so genannte Konjunkturpaket angedacht wurde, gingen die Wirtschaftsforschungsinstitute noch von rund 30.000 Arbeitslosen zusätzlich aus. Jetzt wird schon mit annähernd 100.000 Personen gerechnet. Und die Prognosen werden schlechter, nicht besser. Trotzdem wurden seither keine zusätzlichen Konjunkturpakete beschlossen. Einen umfassenden Schutzschirm gibt es bis jetzt nur für die Banken und die Banker.
Viele werden dagegen im Regen stehen bleiben.
Stress Test
Heute werden in den USA die lange erwarteten Stress Tests der Banken veröffentlicht. Oder werden sie? Als Treasury Secretary Timothy Geithner die Tests vor 12 Wochen ankündigte, reagierten die Märkte – und an denen misst sich die Regierung Obama offensichtlich – positiv. Inzwischen gibt es Zweifel am Effekt der Übung. Für Geithner besteht die Gefahr, dass er entweder die Wahrheit sagt – und damit einen Bankrun auslöst –, oder so tut, als wäre alles in Ordnung – und damit seine Glaubwürdigkeit untergräbt.
Jon Stewart fasste das in der gestrigen Ausgabe von The Daily Show so schön zusammen: „Do you want to know how the financial system works – or do you want the financial system to work?“ Mir gefällt besonders die Analogie zur Heisenbergschen Unschärferelation.
Update, 7.Mai: Das Ergebnis beeindruckt in den Staaten niemanden. Der Unterschied zu Österreich: In den USA ist man scheinbar der Meinung, eine solche Medienveranstaltung zu benötigen. Hierzulande zieht man es vor, die Ergebnisse solcher Tests gleich gar nicht zu veröffentlichen.
Buchrezension: Reinhard Bispinck/Thorsten Schulten/Peeter Raane (Hrsg.): Wirtschaftsdemokratie und expansive Lohnpolitik – Zur Aktualität von Viktor Agartz
Wer war Viktor Agartz, welche wirtschaftspolitischen Konzepte vertrat er, und sind seine Überlegungen heute noch relevant? Ein kürzlich erschienener Tagungsband widmet sich diesen Fragen, und weist auf die Aktualität „klassischer“ sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik hin.
Viktor Agartz
Viktor Agartz (1897–1964) gilt als einer der einflussreichsten und bedeutendsten Wirtschaftspolitiker/innen der westdeutschen Gewerkschaften und Sozialdemokratie in der Nachkriegszeit. Im Zentrum seiner Überlegungen stand die soziale und demokratische Neugestaltung der BRD nach dem Zweiten Weltkrieg. Zu Agartz’ wichtigsten Konzepten gehören die expansive Lohnpolitik und die Wirtschaftsdemokratie.
In einem kürzlich erschienenen Sammelband zu einer Tagung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung und der Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW anlässlich des 110. Geburtstags von Viktor Agartz wird argumentiert, dass dessen zentrale Überlegungen heute noch von Relevanz sind.
Expansive Lohnpolitik
Für Agartz ist „jede expandierende Wirtschaft von der Gefahr bedroht, dass die Nachfrage hinter dem Warenangebot zurückbleibt“ (S. 154). Die Lohnpolitik ist in Agartz’ Vorstellung nicht einfach produktivitätsorientiert, sondern versucht, „die wirtschaftliche Expansion von sich aus zu forcieren, um durch bewusste Kaufkraftsteigerung eine Ausweitung der Produktion herauszufordern“ (S. 154). Zugleich wirke diese expansive Lohnpolitik als Strukturpeitsche, welche die Unternehmen zu höherer Produktivität zwinge. Agartz war stets auf die gewerkschaftliche Autonomie bedacht, und plädierte gegen die Unterordnung gewerkschaftlicher Tarifpolitik unter andere Ziele, denn der Lohn sei „immer ein politischer Lohn“.
Gleichzeitig sah er in der expansiven Lohnpolitik aber keine egoistische Interessenspolitik, sondern eine wachstumsfördernde strukturpolitische Erweiterung der damals keynesianisch geprägten Vorstellungen des ökonomischen Mainstream. Gegen die Kritik, dass Lohnerhöhungen über den Produktivitätsspielraum hinaus eine Lohn-Preis-Spirale in Gang setzen, wandte Agartz ein, dass die Preissetzung der Unternehmen nicht durch vollkommene Konkurrenz determiniert sei, sondern der jeweiligen Machtkonstellation folge. Es sei „Sache einer Regierung, Preissteigerungen durch eine aktive Preispolitik zu mildern oder zu verhüten.“ (S. 154) Expansive Lohnpolitik sei deshalb ein Instrument zur Begrenzung der Monopolrenten.
Wirtschaftsdemokratie
Nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs stand die Gründung einer neuen demokratischen Gesellschaftsordnung an. Für Agartz sollte die Demokratie aus drei Gründen nicht an den Fabrikstoren enden: Erstens stabilisiere Wirtschaftsdemokratie die stets gefährdete politische Demokratie. Zweitens ermögliche sie die Entwicklung der formalen zur lebendigen Demokratie. Und drittens befördere sie die Emanzipation der Lohn- und Gehaltsempfänger/innen von Untertan/innen zu selbstbewussten Bürger/innen.
Agartz’ Konzept der Wirtschafsdemokratie beinhaltete die Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien und von unten nach oben organisierte, demokratische Planungsinstitutionen, welche einen volkswirtschaftlichen Rahmenplan ausarbeiten sollen. Er sah weiters eine paritätische Besetzung und Demokratisierung der Aufsichts- und Kontrollbehörden sowie der Wirtschaftskammern vor. Zentral ist zudem die Ausweitung der paritätischen Mitbestimmung auf alle privaten und öffentlichen Betriebe. Schließlich befürwortete Agartz eine stärkere Regulierung der Märkte. Ziel Agartz’ war die Sozialisierung der Unternehmer/innen/funktion, nicht aber die Abschaffung der Marktwirtschaft.
Wirtschaftspolitik in der globalen Krise
Die Beiträge des Sammelbandes diskutieren engagiert Agartz’ Konzepte und die Frage ihrer heutigen Relevanz, da sie aber vor der aktuellen Krise geschrieben wurden, gehen sie nicht auf die mittlerweile stark veränderte Situation der Weltwirtschaft ein. Diese unterstreicht aber nur die notwendige Abkehr von neoliberalen Denkmustern, „klassische“ sozialdemokratische Wirtschaftspolitik erscheint vor diesem Hintergrund wieder modern. Aber auch wenn neuerdings alle Keynesianer/innen seien, ist vielerorts doch nur ein rudimentärer Keynes angekommen.
Die globale Wirtschaftsleistung befindet sich im freien Fall, die USA werden ihre bisherige Rolle als Hauptabnehmerin von Produkten exportorientierter Länder mittelfristig nicht länger spielen können. Steigende Arbeitslosigkeit erhöht den Druck auf die Löhne, was zu einem weitern Wegbrechen der Nachfrage führt. Im schlimmsten Fall mündet diese Entwicklung in eine Deflationsspirale und Depression. Soll dies vermieden werden, muss der länger anhaltende Nachfrageausfall von Seiten der USA durch expansive Finanz- und Lohnpolitik insb. in Ländern mit Handelsbilanzüberschüssen – v.a. China, Japan, Deutschland sowie einige kleinere EU-Staaten – kompensiert werden. Aus makroökonomischer Sicht sind höhere staatliche Investitions- und Konsumausgaben, sowie eine stabilisierende Lohnpolitik unabdingbar zur Eingrenzung dieser „Jahrhundertkrise“.
In dieser Hinsicht sind die im Buch diskutierten lohnpolitischen Vorstellungen aktueller denn je. Und auch wirtschaftsdemokratische Überlegungen gewinnen in diesem Umfeld an Charme. Ein wichtiger Kontrapunkt gegen die Kurzfristorientierung der Finanzmarktakteur/innen im Betrieb kann die Stärkung der Mitbestimmung sein. Und was spricht gegen die Ausweitung von Mitbestimmungs- und Demokratieelementen in öffentlichen Betrieben und Regulierungsbehörden? Warum sollten Betriebe, die öffentliche Hilfsgelder in Anspruch nehmen, nicht auf eine demokratisch bestimmte Sozialcharta verpflichtet werden?
„Wirtschaftsdemokratie und expansive Lohnpolitik – Zur Aktualität von Viktor Agartz“ von Reinhard Bispinck/Thorsten Schulten/Peeter Raane (Hrsg.) ist 2008 im VSA-Verlag Hamburg erschienen. Es umfasst 244 Seiten und kostet 17,80 EUR.