Immer wieder: Die Rente
Die Individualisierung sozialer Risiken ist ein Merkmal der Politik der vergangenen Jahre. Dazu gehört auch die (Teil-)Privatisierung der Altersvorsorge. Begründet wurde und wird dieser Schritt vor allem mit der demografischen Entwicklung. Zwar hat sich gerade das private Pensionssystem in der derzeitigen Krise kräftig blamiert und damit alle Kritiker bestätigt, zu glauben, damit sei das Thema erledigt, ist jedoch naiv. Dazu sind die Summen, um die es für die Finanzwirtschaft geht, schlicht zu hoch. Im Kurier wird der üblichen und üblen Propaganda einmal mehr Platz gegeben. Das Fazit des Kommentars: „Nicht zuletzt ist die Eigeninitiative gefragt: Wer sich allein auf das öffentliche Rentensystem des Jahres 2030 oder 2040 verlässt, könnte bitter enttäuscht werden. Nun hat auch die private Vorsorge ihre Kosten und Fallen. Doch niemand sollte sich täuschen lassen: Die ›Rentengarantien‹ der heutigen Politikergeneration gelten in 30 Jahren garantiert wenig.“ Aha. Private Vorsorge gegen die Demografie, wenngleich mit „Kosten und Fallen“. Auch wenn es mühsam ist seien an dieser Stelle noch einmal ein paar Fakten dargestellt:
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Die Verschiebung der Bevölkerungsstruktur ist keinesfalls eine neue Entwicklung. Die deutsche Gewerkschaft ver.di hat dies in einer Broschüre schön dargestellt: „Vor über hundert Jahren kamen auf eine Person über 65 Jahren rund zwölf Erwerbsfähige. 2000 sind es gerade noch vier“ (S. 8). Nach der Demografie-Logik müsste es einem Rentner bzw. einer Rentnerin vor hundert Jahren demnach blendend gegangen sein. Tatsächlich ist der Wohlstand heute aber erheblich höher. Die Frage der Höhe der Alterspensionen ist jedenfalls nicht linear von der Bevölkerungszusammensetzung abzuleiten.
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Die Finanzierbarkeit der Alterspensionen leitet sich vielmehr von der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung und deren Verteilung ab. Die Wertschöpfung wiederum hängt auch an der Anzahl der Beschäftigten, aber eben auch an der Frage der Produktivität. Je höher diese ist, desto weniger Arbeitskraft wird für den Erhalt des Wohlstandsniveaus benötigt.
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Wie werden eigentlich die Renditen der kapitalgedeckten Renten erwirtschaftet? Vermutlich wird das Geld in eine Kiste gesteckt, in dieser Kiste arbeitet es dann ein paar Jahre und man kann es zum Zeitpunkt der Pensionierung samt Zinsen aus dieser Kiste herausnehmen. Oder wie soll man das verstehen, dass das Geld für einen arbeitet? Das ist natürlich ziemlicher Quatsch, die Rendite für kapitalgedeckte Systeme wird von der arbeitenden Bevölkerung erwirtschaftet. Diese unterliegt jedoch der demografischen Veränderung genauso wie die Einzahlerinnen und Einzahler in das staatliche System – schlicht, weil es um dieselbe Population geht. Der einzige Ausweg aus diesem Dilemma ist ein Rentenimperialismus: Man kann das Geld im Ausland „für sich arbeiten lassen“ – bzw. die dortigen Arbeitskräfte. Das ist jedoch eine andere Debatte.
Wenn nun die kapitalgedeckte wie auch die umlagefinanzierte Rente von der demografischen Entwicklung tangiert wird, was bedeutet das für die Sicherheit der Renten? Hat der Kurier doch recht mit seiner Skepsis? Um die Antwort vorwegzunehmen: Hat er nicht. Die Frage der Höhe der staatlichen Alterspensionen ist eine Frage der Verteilung. Nehmen wir an, die Wirtschaft wächst in Zukunft pro Jahr im Schnitt um lediglich 1%. Bei gleichbleibender Verteilung haben dann alle 1% mehr: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Sozialleistungsbezieherinnen und –bezieher, die Unternehmerinnen und Unternehmer und der Staat. Damit das BIP bei sinkender Zahl der Arbeitenden tatsächlich steigt muss die Produktivität erhöht werden. Die entspricht der historischen Entwicklung der Vergangenheit: Trotz sinkender Arbeitszeit stieg der volkswirtschaftliche Reichtum. Politisch wäre demnach „nur“ zu entscheiden, dass die Produktivitätszuwächse nicht vollständig den Unternehmern und den Arbeitnehmern zur Verfügung stehen, sondern eben auch dem Renten- und Sozialsystem. Da Problem ist also nicht das umlagefinanzierte System, sondern die Rentenpolitik.
In der Auseinandersetzung geht es um viel Geld für die Finanzwirtschaft. Deshalb ist die Propaganda gegen das staatliche Umlagesystem auch so ausdauernd. Dabei wird auch gerne die Tatsache verschwiegen, dass die Milliarden Euro in den Pensionsfonds, die Rendite erwirtschaften sollen, mitverantwortlich sind für die Blasenökonomie der Vergangenheit.
Lieber Clemens,
Danke für deinen Beitrag. Ich stimme deinen Argumenten zu und bringe zwei Anmerkungen an die mich in diesem Zusammenhang beschäftigen.
„Man kann das Geld im Ausland „für sich arbeiten lassen“ – bzw. die dortigen Arbeitskräfte. Das ist jedoch eine andere Debatte.“
Ist das nicht ein zentraler Punkt? Bleibt sonst dein Argument nicht ein theoretisches, das nur für einen mehr oder weniger geschlossenen (nationalstaatlichen) Raum gilt?
Ich habe oft das Gefühl, wir Linke bleiben in unserer Argumentation gerne in diesem überschaubaren Raum. Ich habe das Gefühl der Preis dafür ist, dass uns und unseren Argumenten dann misstraut wird.
Ich glaube bei dem Hinweis auf die historische Entwicklung, in der die Produktivität stets gestiegen ist, kann es in der politischen Debatte nicht belassen werden, da viel Menschen davon (wie ich meine zur Recht) nicht mehr ausgehen.
Früher oder später wird es zu so etwas wie einem „Peak Oil“ kommen und da das Produktivitätswachstum stark auf der Nutzung nicht erneuerbarer Ressourcen beruht, wird es dann auch mit der Produktivitätssteigerung schwierig.
Ich denke, dass viele Menschen diese Zukunftsangst (-unsicherheit) haben, ob bewusst oder unbewusst und mit dieser Unsicherheit/Angst lässt sich wohl leicht Meinung machen.
Um hier dagegen zu halten muss dieser Aspekt aber möglicherweise benannt werden. Sprich: „Ja, es gibt Gründe sich um unsere Rente Sorgen zu machen.“ Und dann: „Nein. Selbstvorsorge hilft hier nicht dagegen, sondern ist eine Mogelpackung und sogar kontraproduktiv weil grundsätzlich nicht von Arm zu Reich umverteilt wird und noch eine kräftige Zufallskomponente dazu kommt. Ausserdem: Auch private Vorsorgeversprechen beruhen auf unrealistischen Annahmen und gehen von ständig wachsender Produktivität aus. Dann aber funktioniert aber auch ein Umlageverfahren und das fairer und sicherer.“
(hmmm, die Frage der internationalen Ausbeutungsbeziehungen die hier zu Gunsten der (Klein)kapitalistInnen genutzt werden können bleibt weiter offen).
Lieber Stefan,
herzlichen Dank für die Rückmeldung.
Zu Deinem ersten Punkt: Ich glaube nicht, dass das nur eine theoretische Frage ist. Du hast insofern Recht, als das in der Vergangenheit punktuell funktioniert hat, man hat tatsächlich Geld im Ausland anlegen können. Dieser Entwicklung sind aber Grenzen gesetzt, den nähmen wir mal an, die Länder mit einer schrumpfenden Bevölkerung würden das alle in den wachsenden Ländern anlegen. Ich wage mal zu behaupten: Produktiv wird man es kaum noch anlegen können bei der Masse. Ich habe den Punkt weggelassen, da die Debatte eine andere ist und wegführt von der Frage der Produktivitätsentwicklung. Das kann man angreifen, es sollte aber mit der Krise klargeworden sein, dass dem Expandieren enge Grenzen gesetzt sind.
Den zweiten Punkt sehe ich in der Tat anders. Es ist m.E. nicht ausgemacht, wie sich die Produktivität entwickelt. Die von Dir genannte ist eine Möglichkeit. Eine andere ist, dass Wohlfahrt energieärmer oder durch andere Energiequellen gesichert wird. Ich bin der festen Überzeugung, dass das Wachstumspotenzial da ist (denn alleine die Arbeitslosigkeit bietet hier Potenzial). Eine völlig andere Frage ist, ob man evtl. weniger Wachstum für mehr Freizeit in Kauf nehmen und das politisch durchsetzen will. Dann bleibt die Frage – auch nach der Rente – die nach der Verteilung.