Memorandum 2009
Jedes Jahr im Mai gibt die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik ein Memorandum zu aktuellen wirtschaftspolitischen Themen heraus. Die Memo-Gruppe selbst beschreibt Ihre Arbeit so: „In der ›Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik‹ arbeiten Wirtschafswissenschaftlerinnen und Wirtschaftswissenschaftler sowie Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter an der Entwicklung wirtschaftspolitischer Vorschläge und Perspektiven, die sich an der Sicherung sinnvoller Arbeitsplätze, der Verbesserung des Lebensstandards, dem Ausbau des Systems der sozialen Sicherheit für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie wirksamer Umweltsicherung in Deutschland orientieren.“ Die Memoranden beziehen sich zwar auf Deutschland, die Diskussionen sind jedoch auch über den nationalen Kontext hinaus interessant. Dieses Jahr widmet sich die Gruppe unter dem Titel „Von der Krise in den Absturz? Stabilisierung, Umbau, Demokratisierung“ den Folgen der Wirtschaftskrise und entwickelt Vorschläge für eine andere Wirtschafts‑, Sozial- und Bildungspolitik.
Exportweltmeister Deutschland
Im Mittelpunkt des Kapitels zur Finanz- und Wirtschaftskrise steht die verfehlte Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik. Über die Argumentation der Wettbewerbsfähigkeit wurden die Löhne immer weiter gedrückt und so die Binnennachfrage stranguliert. Der leichte Aufschwung der vergangenen Jahre war daher vor allem exportgetrieben. Die Konsequenzen der Lohnzurückhaltung sind bekannt: Die Einkommen aus Kapital und Vermögen stiegen, die aus Löhnen sanken. Es ist wenig verwunderlich dass ein Abschnitt wie folgt überschrieben ist: „Lohnzuwachs in Deutschland – gut für ganz Europa“ (S. 75). Dabei macht die Memo-Gruppe darauf aufmerksam, dass nicht etwa höhere Steuern und Abgaben Schuld an der schlechten (Netto-)Lohnentwicklung sind sondern eine zu geringe Bruttolohnsteigerung – das hatten wir auch schon hier im Blog.
In einem weiteren Kapitel wird der „Super-GAU der Finanzmärkte“ analysiert, bevor das Memorandum auf Beschäftigungsprogramme und Arbeitszeitverkürzungen eingeht. Dabei wird vor allem auch die Qualität der Arbeitsplätze betrachtet, da in Deutschland neue Jobs in den vergangenen Jahren nur bei Teilzeitjobs bzw. Leiharbeit entstanden sind. Ziel ist daher eine Umverteilung der Arbeitszeit.
Soziale Dienstleistungen und Alterssicherung
Ein Kapitel des Memorandum handelt von sozialen Dienstleistungen, die öffentlich zu organisieren sind. Hierbei geht es darum, soziale Dienstleistungen für die Gesellschaft anzubieten und die Memo-Gruppe stellt eine „soziale Dienstleistungslücke“ (S. 151) fest. Hierbei wird auch deutlich, dass die öffentlichen Ausgaben für soziale Dienstleitungen in Österreich ebenfalls unzureichend und noch geringer als in Deutschland sind.
Soziale Dienstleistungen erfüllen mehrere Funktionen: Einerseits kann so professionell ein entsprechendes Angebot geschaffen und in öffentlicher Verantwortung angeboten werden. Andererseits wird die heute oft privat und vor allem von Frauen getragene Arbeit im Bereich der sozialen Dienstleitungen dann bezahlt. Es ist daher wenig verwunderlich, dass die Frauenerwerbstätigkeit positiv mit dem Arbeitsvolumen im sozialen Dienstleistungsbereich korreliert. Um jedoch ein Schließen der Lücke zu erreichen ist eine Trendwende in der bisherigen Politik notwendig. Der „schlanke Staat“ kann dann kein Leitbild mehr sein, oder, um es mit den Worten des Memorandum zu sagen: „Eine höhere Staatsquote und gute soziale Dienstleistungsarbeit gehören untrennbar zusammen“ (S. 162).
Das Memorandum geht auch auf die Frage der Altersversorgung ein. Dabei wird auf die Gefahr der Altersarmut durch das Absenken des Rentenniveaus in Deutschland ebenso eingegangen wie auf die Frage der Demografie und der Produktivitätsentwicklung. Dabei wird darauf hingewiesen, dass erstens nicht die potentielle, sondern die tatsächliche Erwerbstätigen (also nicht die Arbeitslosen) relevant sind, und dass zweitens von der steigenden Produktivität ein Teil für höhere Beitragszahlungen abgezweigt werden kann. Eine Kapitaldeckung jedenfalls kann aus vielen Gründen keine Alternative sein – erstens muss auch hier eine Rendite erwirtschaftet werden, zweitens sind die Unsicherheiten immanent und drittens ist ein solidarische Umlagesystem gerechter als ein privates System, dass man sich eben auch leisten können muss.
Bildung
Seit einigen Jahren befindet sich im Memorandum auch jeweils ein Bildungsteil, ein Bildungstext hat es sogar schon unter die Memorandum-Klassiker geschafft (PDF). Dieses Jahr ist das Thema die neoliberale Ausrichtung der ökonomischen Bildung. Hierbei werden u.a. Planspiele für Schülerinnen und Schüler untersucht und so aufgezeigt, dass ein bestimmtes Denken gefördert werden soll. Das Thema knüpft an an die Frage der Finanzbildung, wie sie bspw. von Martin Schürz und Beat Weber thematisiert wurde, an.
Fazit
Das Memorandum lohnt sich. Zwar ist der Schwerpunkt die Politik in der Bundesrepublik Deutschland, vieles ist jedoch in der österreichischen Politik nicht unähnlich und die Forderungen der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik sind zu unterstützen. Das Memorandum bleibt eines der erfreulichen Gegenpublikationen zum (noch?) herrschenden neoliberalen Mainstream.
AG Alternative Wirtschaftspolitik
MEMORANDUM 2009
Von der Krise in den Absturz?
Stabilisierung, Umbau, Demokratisierung
Alternativen der Wirtschaftspolitik
Neue Kleine Bibliothek 138,
268 Seiten
EUR 17,90 [D] / EUR 18,40 [A] / SFR 32,00
ISBN 978–3‑89438–409‑8