Österreich – Steueroase ohne Palmen
Die Frage, ob Österreich eine Steueroase ist, beschäftigt das Land spätestens seit den Verhandlungen auf internationaler Ebene über die Rolle von Staaten wie der Schweiz, aber eben auch Österreich. Wir dokumentieren hier einen Beitrag von Klemens Himpele und Sybille Pirklbauer, der im Herbst bei Attac erscheinen wird in: „Steueroasen und Offshore Zentren – Die potemkinschen Dörfer von heute“. Herzlichen Dank für die Erlaubnis, den Text bereits hier zu veröffentlichen.
Österreich – Steueroase ohne Palmen
Steuern sind ein unverzichtbares Instrument der Politik eines Staates – und zwar in dreierlei Hinsicht. Zuerst dienen sie der Finanzierung öffentlicher Aufgaben, Steuern sind die wichtigste Einnahmequelle des Staates. Zweitens tragen sie, wenn sie höhere Einkommen stärker belasten als niedrige (progressive Steuern) zur Umverteilung bei; und drittens können sie zur Lenkung in Richtung eines bestimmten Verhaltens eingesetzt werden (bspw. Tabaksteuer für weniger Rauchen; Umweltsteuern für umweltfreundlicheres Verhalten). Dabei sind der Steuerpolitik jedoch auf Grund der internationalen Verflechtungen Grenzen gesetzt, d.h., Staaten können in einer globalisierten Welt nicht völlig frei über ihre Steuerpolitik entscheiden. So findet die Besteuerung von Unternehmen ihre Grenzen dort, wo multinational tätige Konzerne ihre Gewinne zwischen den Standorten verschieben können, und sie auf diese Weise im Land mit den niedrigsten Steuern anfallen lassen. Zusätzlich können sie dem Staat mit gänzlicher Abwanderung drohen (vgl. Kraus 2009). Finanzkapital, das nicht in Grund oder Immobilien gebunden ist, kann praktisch ohne Beschränkungen an den Ort der geringsten Steuern verschoben werden, sofern an diesem Ort Eigentum geschützt und garantiert wird. Damit findet die nationale Steuerpolitik ihre Grenzen der Besteuerung von Gewinnen, höheren Einkommen und Vermögen dort, wo Steueroasen „günstigere“ Bedingungen bieten. Weil in den Steueroasen auch Transparenz weitgehend fehlt, sind auch jene geschützt, die ihr Geld bereits erfolgreich am heimischen Fiskus vorbeigeschummelt oder gar durch kriminelle Aktivitäten erworben haben. Damit missachten Steueroasen die Grundsätze des Steuerrechts und untergraben die Finanzierungsbasis der Sozialstaaten. Es ist daher höchste Zeit, diese Oasen auszutrocknen, zu den auch Österreich gehört.
Österreich – eine Steueroase?
Die Bundesregierung streitet es rundheraus ab, dennoch: Österreich ist eine Steueroase und spielt dabei eine wichtige Rolle bei der Vermeidung von Steuern. Der Direktor des Netzwerks für Steuergerechtigkeit, John Christensen, nennt im Kurier das Bankgeheimnis und das Stiftungsrecht als zentrale Gründe, warum Österreich eine Steueroase ist . Dem lassen sich niedrige Kapital- und Vermögenssteuern hinzufügen (vgl. ATTAC Österreich o.J.). Diese Kombination macht Österreich für Steuerhinterzieher attraktiv. Das ist kein Versehen, sondern „Standortpolitik“, die AnlegerInnen nach Österreich locken soll. Das geht aber zu Lasten anderer Staaten.
Unversteuertes Geld nach Österreich
In Österreich liegen Unsummen an ausländischem Vermögen. Dieses ist kaum auf Grund der höheren Sicherheit im Lande – Banken in Deutschland oder Frankreich bieten Vergleichbares. Vielmehr scheint das strikte Bankgeheimnis und die bisherige Weigerung Österreichs, in diesem Bereich mit der EU zu kooperieren, der Grund für das hohe Auslandsvermögen zu sein.
Das Bankgeheimnis in österreichischer Strenge bedeutet, dass nur die Bank den/die KontoinhaberIn kennt. Diese muss Informationen über KundInnen und deren Vermögen nicht weitergeben – anders als in Deutschland, wo Behörden Einsicht in die Konten haben. Damit können die AnlegerInnen praktisch anonym bleiben.
Mit der Verweigerung der Kooperation und Informationsaustausch mit anderen Staaten erfüllt Österreich ein weiteres typisches Merkmal einer Steueroase. Die EU versucht, mehr Transparenz und Fairness bei der Besteuerung von Kapitalerträgen zu schaffen. Dazu ist ein automatischer Informationsaustausch zwischen Staaten vorgesehen, wer im Ausland welche Zinseinkünfte erzielt. Österreich verweigert das und hat sich lediglich dazu verpflichtet eine Quellensteuer auf die von AusländerInnen erzielten Zinseinkünfte zu erheben.
Auch wenn das Bankgeheimnis unter dem Druck insbesondere Deutschlands etwas aufgeweicht wird, fehlt der österreichischen Politik offensichtlich jedes Unrechtsbewusstsein. Denn wem dient(e) das Bankgeheimnis? Vor allem denjenigen, die unversteuertes Geld in Österreich geparkt haben. Damit helfen Steueroasen – und eben auch Österreich – das zentrale Besteuerungsprinzip zu unterlaufen: „Die Steuerpflichtigen sollen dort besteuert werden, wo sie ihren tatsächlichen Wohnsitz haben. Durch ihre Anwesenheit im Lande begründen sie ja auch erst einen Bedarf für öffentliche Leistungen, der über Steuern zu decken ist“ (Thielemann 2009, S. 13). Durch die Weigerung eines Informationsaustausches mit anderen Ländern nimmt der Staat für sich aber faktisch in Anspruch, „Personen, die für ihn Steuerausländer sind, von ihrer Steuerpflicht zu befreien“ (ebd.). Etwas direkter ausgedrückt: das Bankgeheimnis ermöglicht es erst, einmal hinterzogene Steuern nie mehr zahlen zu müssen. Hierfür gibt es keinerlei rechtliche Grundlage. Der häufig gemachte Verweis auf die Persönlichkeitsrechte und den Datenschutz dient einzig dem Schutz der inländischen Finanzindustrie. Schließlich sollen die steuerlichen Informationen nicht veröffentlicht sondern lediglich den Finanzbehörden zur Festsetzung einer Steuer bekannt gegeben werden – wie es heute bei jeder und jedem unselbstständig Erwerbstätigen völlig selbstverständlich passiert. Natürlich kann es gute Gründe geben, ganz regulär versteuertes Geld in Österreich zu investieren. Dann braucht es jedoch kein Bankgeheimnis und dann gibt es auch keinen Grund, den Informationsaustausch mit anderen Ländern zu verweigern. Die EU hat Recht, wenn sie Österreich und andere Länder nun massiv unter Druck setzt, den Austausch zu gewährleisten. Steueroasen wie Steuerflüchtige sind nichts anderes als Trittbrettfahrer. Die Steuerflüchtlinge nehmen zwar die öffentlichen, aus Steuern finanzierten Leistungen, in Anspruch, tragen jedoch selbst nichts dazu bei. „[U]nd die Leistung der Steueroase besteht lediglich darin, den fiskalischen Informationsaustausch konsequent zu verweigern und ihr Steuersystem entsprechend einzurichten“ (ebd., S. 15). Die Finanzindustrie freut sich und verdient daran.
Die VerteidigerInnen der Geheimnistuerei verweisen an dieser Stelle gerne darauf, dass die Zinseinkünfte ja ohnehin mit einer Quellensteuer belegt sind. Bei Geld aus dem EU-Ausland wird ein Teil dieser Erträge an die jeweiligen Herkunftsländer abgetreten. Das Argument ist aber ein schwaches: Denn erstens werden nur die Zinseinkünfte besteuert. Ob das zu Grunde liegende Vermögen regulär versteuert wurde, bleibt außer Acht. Und zweitens wird damit eingestanden, dass dem Wohnsitzland ein Besteuerungsrecht zusteht. Dann aber ist es nur konsequent, einen entsprechenden Austausch der Informationen zu organisieren und das Verfahren gleichsam vom Kopf auf die Beine zu stellen.
Erben ohne Erbschaftssteuer
Ein zweites Merkmal als Steueroase findet sich in Österreich bei der extrem geringen Besteuerung von Vermögen und der Abschaffung der Steuern für Erbschaften und Schenkungen. Schon vor der Abschaffung der Erbschaftssteuer nutzten vor allem vermögende Deutsche das finanzielle „Auswandern“ nach Österreich zur „Steueroptimierung“. Mit der Abschaffung der Erbschaftssteuer könnte das allerdings Geschichte sein, da die Bundesrepublik kurzerhand das Doppelbesteuerungsabkommen gekündigt hat, so dass Erbschaftsfälle nach Deutschland wieder dem deutschen Recht unterliegen. Ein guter Finanzplatz hat aber auch dafür eine Lösung: Der Focus zitiert hierzu Gerald Toifl, Steuerexperte der Salzburger Kanzlei Leitner & Leitner, wie folgt: „Wer sein Vermögen in eine Privatstiftung legt oder an eine solche Stiftung vererbt, spart seinen deutschen Erben auch künftig die Steuer“ (zitiert nach Kusitzky 2007). Die Aussage macht deutlich, dass sich Österreich zu Lasten anderer Volkswirtschaften einen Vorteil verschaffen will, indem es diese Staaten um die ihnen eigentlich zustehenden Steuern bringt – Merkmale einer Steueroase eben. Kusitzky merkt übrigens noch an: „Das Modell lohnt sich jedoch nicht für jeden. Zwei bis drei Millionen Euro Kapital sollten dafür schon vorhanden sein.“
Ende der Steueroase?
Die EU hat in den vergangenen Monaten den Druck auf die europäischen Steueroasen – vor allem die Schweiz, Liechtenstein, Österreich, Belgien und Andorra – erhöht und substantielle Verbesserungen insbesondere beim Informationsaustausch erreicht. Dennoch bleibt Skepsis angebracht, da bspw. das Stiftungsrecht oder die Privatstiftungen als Ganzes nicht zur Debatte stehen. Ferner bleibt Österreich der Politik des Steuersenkungswettbewerbs bei der Unternehmensbesteuerung treu und löst auch national die Probleme, die da Bankgeheimnis schafft, nicht. So werden von jedem Lohnsteuerpflichtigen selbstverständlich die steuerpflichtigen Einkommen durch den Arbeitgeber an das Finanzamt übermittelt. Andere Einkünfte können dank des Bankgeheimnisses jedoch gut verborgen werden. Das ist verteilungspolitisch und aus Gerechtigkeitsgründen sowenig akzeptabel wie der Verzicht auf eine angemessene Besteuerung von Vermögen, Erbschaften und Schenkungen. Diese letzten Punkte machen deutlich, dass Österreich neben der Frage der Steueroase auch einer grundlegenden Reform der Steuerpolitik im inneren benötigt. Es wird Zeit, dass diese Erkenntnis auch in der Regierung ankommt.
Literatur
ATTAC Österreich (o.J.): 7 Gründe warum Österreich eine Steueroase ist, URL: http://www.attac.at/7gruende (12.06.2009).
Himpele, Klemens / Recht, Alexander (2009): Möglichkeiten und Grenzen von Steuerpolitik, in: PROKLA 154, S. 9–26.
Kusitzky, Alexandra (2007): Österreich: Ende einer Steueroase? Das Alpenland verliert seinen Status als Erbschaftsteuer-Paradies. Neue Schlupflöcher sind aber schon gefunden, in: Focus 37/2007 und im Internet unter http://www.focus.de/finanzen/steuern/oesterreich-ende-einer-steueroase_aid_219844.html (12.06.2009).
Pirklbauer, Sybille / Ziegler, Petra (2009): Unser steuergerechtes Europa, in: Attac (Hg.): Wir bauen Europa neu – Wer baut mit? Alternativen für ein demokratisches, soziales, ökologisches und friedliches Europa, Wien
Kraus, Astrid (2009): Unternehmensbesteuerung – gibt es nationalstaatliche Handlungsspielräume?, in: PROKLA 154, S. 47–69.
Thielemann, Ulrich (2009): Grundsätze fairen Steuerwettbewerbs im Lichte der aktuellen Entwicklung, in: Die Volkswirtschaft. Das Magazin für Wirtschaftspolitik 6–2009, S. 13–15.
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Anlässlich der Anmerkung von Matthew Yglesias: Ist die Deflationsgefahr im Euroraum gegeben? In einer Prokla-Ausgabe von 2004 wurde das Thema explizit angeschnitten. Das Editorial hat damals (nach dem Platzen der New Economy Blase) folgende Aussicht gegeben:
„Selbst ein starkes Wachstum in den USA stabilisiert die Weltwirtschaft nicht automatisch. Denn sollten die internationalen Kapitalströme in die USA, die zur Finanzierung des Leistungsbilanzdefizits notwendig sind, versiegen und der Dollarkurs weiter abstürzen, dann würde das US-amerikanische Leistungsbilanzdefizit schrumpfen. Für die Akkumulationsaussichten der Weltwirtschaft wäre es äußerst problematisch, wenn sich in den USA das Defizit der Leistungsbilanz in einen Überschuss verwandeln sollte. Denn dann würde die Aufwertung des Euro sowie des Yen im Euroraum und in Japan die Deflationsgefahren massiv erhöhen. Besonders verheerend wäre es, wenn der Dollarkurs unkontrolliert ins Trudeln käme und sich die amerikanische Zentralbank gezwungen sähe, durch Hochzinspolitik den Dollarkurs zu verteidigen. […]
Insgesamt hat die Deregulierungswelle und die verstärkte Währungskonkurrenz zu einem strukturellen Machtgewinn von Geldvermögensbesitzern geführt. Der weltweite Rückgang von Inflationsraten, die zunehmende Unabhängigkeit von Zentralbanken, die Verabsolutierung der Dominanz von Preisniveaustabilität gegenüber allen anderen Zielen der Wirtschaftspolitik, die in vielen Ländern zu beobachten ist, ist Ausdruck dieser Machtverschiebung. Eine Konsequenz dieser neuen Situation, die bislang noch kaum diskutiert wurde, ist die latent deflationäre Konstellation der Weltwirtschaft.“
Wie kommt es dann, dass Angela Merkel vor einer Inflation warnt? Steckt ihr wirklich noch die Angst aus der Weimarer Republik in den Knochen? Oder steckt dahinter ein realitätsfernes Festhalten am deutschen Modell der Notenbanken? Oder wechselt Frau Merkel nur politisches Kleingeld? Oder weiß man in Frankfurt etwas, das in den U.S.A. niemand weiß?
Es geht ans Bezahlen
Bernhard Felderer – wir hatten bereits darauf hingewiesen – ist gegen Steuererhöhungen und für Einsparungen. Er präzisierte diese Aussage jetzt in der Presse: Er ist gegen eine Vermögensteuer und gegen die Erhöhung der Lohnsteuer, eine Erhöhung der Mehrwertsteuer lehnt er aber nicht ab. Das ist konsequent. Es ist bekannt, dass Mehrwertsteuern degressiv wirken – auch Herrn Felderer. Deshalb wollte die SPÖ im Wahlkampf die Mehrwertsteuer sogar teilweise senken. Wenn Felderer dennoch die Erhöhung der Mehrwertsteuer zur Sanierung des Budgets vorschlägt, dann macht das nur deutlich, dass sich alle, die die gigantische Umverteilungspolitik zu Gunsten der Reicheren ob der Krise am Ende sahen, zu früh gefreut haben. Die Auseinandersetzungen beginnen erst jetzt – Felderer hat einen Aufschlag gemacht. Es ist nun an SPÖ und ÖVP zu erklären, wie sie die öffentlichen Aufgaben zu finanzieren gedenken. Zumindest zum Teil vielleicht doch über eine Vermögensteuer und die Wiedereinführung der Erbschafts- und Schenkungsteuer?
Nachtrag 29.06.2009: Auch der Blog acht hat sich des Themas Felderer angenommen.
23.6.: „Krise und gewerkschaftliche Handlungsstrategien“
AM BEISPIEL DER IG METALL IN DEUTSCHLAND
Vortrag und Diskussion mit PD Dr. Martin Allespach (Leiter des Funktionsbereichs „Grundsatzfragen und Gesellschaftspolitik“ beim Vorstand der IG Metall)
Dienstag, 23. Juni 2009, 19 Uhr im Republikanischen Club (1010 Wien, Rockhgasse 1)
veranstaltet von: GPA-djp-Bildungsabteilung, Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien, BEIGEWUM
Staatsausgaben senken statt Steuern erhöhen?
So macht man also Politik: Zuerst werden die »Leistungsträger« einer Gesellschaft, also die oberen Prozent, entlastet, indem man Steuern senkt, dann muss bei den Staatsausgaben gespart werden. So wurde die Körperschaftssteuer gesenkt und die Erbschafts- und Schenkungssteuer abgeschafft, und die letzten Reformen sind noch gar nicht lange her: Man hat die Grenze, ab der der Spitzensteuersatz greift, auf 60.000 Euro zu versteuerndes Einkommen im Jahr angehoben. Daneben wurde ein ungebundener Freibetrag für Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit und Gewerbebetrieben beschlossen sowie der Freibetrag für investierte Gewinne erhöht. Steuersenkungspolitik als Standortpolitik war die Devise, wobei die Entlastungen natürlich zu einem erheblichen Teil denjenigen zu Gute kamen, denen es sowieso schon vergleichsweise gut geht. Die Folge: Staatsausgaben mussten zurückgefahren werden und das Investitionsdefizit in den Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge ist immens. Und die steigende Ungleichheit auch.
Dann kam die Krise. Bzw. sie war auch eine Folge der beschriebenen Politik, denn eine ungleiche Einkommensverteilung ist eine Ursache der Krise. Hieß es noch vor wenigen Monaten: „Es gibt nichts zu verteilen“, so wurden nun in Kürze der Zeit zahlreiche Hilfspakete für Banken und Konjunkturprogramme geschnürt – auf vergleichbare Zusatzausgaben für Soziales und Bildung wartet man jedoch noch immer. Die Banken- und Konjunkturpakete jedoch wollen nun bezahlt sein. Wer aber glaubt, dass dies auch über eine Vermögensbesteuerung passiert oder andere Steuern, der sieht sich getäuscht. Wer das auch nur andenkt, der wird mit einer Kampagne überzogen. Und Bernhard Felderer macht aktuell im Standard klar, was passieren wird:
Statt Steuern zu erhöhen oder neue einzuführen, redet der Wirtschaftsforscher einer Reduktion der Staatsausgaben das Wort: „Das muss absolute Priorität haben.“
Damit wird die alte Politik fortgeschrieben – nicht die Medizin war falsch, sondern die Dosis. Denn wenn das nicht wirkt, dann muss man eben mehr davon nehmen. Dass von Staatsausgaben eben gerade auch die sozial Schwächeren profitieren, von den Steuersenkungen aber nicht, ist bekannt aber offensichtlich egal. Dass Staatsausgaben gerade auch Nachfragewirksam sind – auch egal. Nur nicht das Vermögen und die Einkünfte der Besserverdienenden angreifen…
Es bleibt zu hoffen, dass Herr Felderer Widerstand bekommt und man endlich einmal eine Debatte über eine sinnvolle Vermögensbesteuerung zu Finanzierung öffentlicher Ausgaben führen kann. Die Kürzung der wifo-Gelder durch die Industriellenvereinigung macht dabei auch deutlich, warum Wissenschaft unabhängig sein muss.
Die Person macht’s
Gerd Valchars plädiert im Standard für eine Aufwertung des Persönlichkeitswahlrechts in Österreich:
„Eine solche Änderung im Wahlsystem würde das Gewicht bei der Kandidatenauswahl deutlich in Richtung Wähler verschieben, ohne dass die Parteien plötzlich ihren Einfluss auf die Rekrutierung gänzlich verlieren würden.“
Die Effekte, die sich Valchars davon verspricht: Größere „Bürgernähe“, sprich „mehr Unabhängigkeit der einzelnen Abgeordneten gegenüber ihrer Partei“. Zweitens, ein solcher Modus „macht einen Wahlgang natürlich auch deutlich spannender“. Drittens und vor allem aber: „Jede einzelne Vorzugsstimme zählt und wird auch wirksam.“
Bürgernähe, Spannung, Demokratie – Das klingt zwar ein bisschen nach Überraschungsei, ist aber sicher richtig. Ich persönlich würde vielleicht noch hoffnungsfroh anfügen, dass eine Profilierung der zu Wählenden gegenüber ihren WählerInnen zu erwarten wäre (was mir angesichts des niederschmetternden Zustands der politischen Klasse in diesem Land ziemlich notwendig erscheint).
Der Anlass, nämlich die EU-Parlamentswahl, wirft bei mir freilich eine Frage auf, die mich ganz generell schon seit längerem beschäftigt: Macht die politikwissenschaftliche Forschung das EU-Parlament vielleicht wichtiger als es nun einmal ist? Eine Kammer, die in weiten Teilen zahnlos ist und nicht einmal den grundlegenden Aufgaben einer Volksvertretung nachkommt, wird durch eine Änderung des Wahlmodus ja nicht relevanter. Was die Sache für Österreich irgendwie tragisch macht, ist der Umstand, dass es sogar einen potentiellen Kandidaten gab, der seit Jahren prononciert für eine Stärkung des Parlaments und damit für eine Demokratisierung der EU eintritt. Ausgerechnet Johannes Voggenhuber ist aber aus parteipolitischen Gründen von den Wahlen ferngehalten worden.
Valchars rennt mit seinem Beitrag bei mir offene Türen ein. Ich mag die Idee einer Wahlrechtsreform. Aber erst in Verbindung mit der Zuteilung von Entscheidungs- und Kontrollkompetenzen wird eine Förderung lebendiger Demokratie erreicht.
Geschichte wird gemacht
Schweigen? Als Elder Statesman nicht mehr.
[…] unser riesiger Staatssektor war ja gar nicht ideologisch gewollt. Vielmehr war er aus einer Notwendigkeit heraus entstanden: In den 50er Jahren gab es in Österreich viele russische Industriebeteiligungen, besetzte Betriebe und Firmen im russischen Einflussbereich. Die ehemals deutschen Rüstungsbetriebe, das Industriekonglomerat Voest, die staatliche Mineralölverwaltung – all das war gefährdet. Wollte man diesen Einfluss zurückdrängen, konnte man die Unternehmen nur verstaatlichen.
So Wolfgang Schüssel im auch sonst amüsant lesenswerten Interview mit dem Manager Magazin. Dass die Voest jetzt neuerdings in sowjetischem Besitz gewesen sein soll (oder davon auch nur bedroht gewesen wäre), heißt Geschichte neu schreiben. Aber was solls, Herr Schüssel ist ja nicht Historiker, sondern, wie er salopp erklärt, Jurist Ökonom.
Political Meddling
Ein aktueller Nachtrag zu den „politischen Intellektuellen:“ Bisher konnten sich gerade ÖkonomInnen in Österreich noch zu jenen zählen, die sich von politischer Einflussnahme vergleichsweise frei machen konnten. Ein Grund neben anderen dafür ist das überparteiliche Wifo, eine der (wenigen) sozialwissenschaftlichen Errungenschaften der Zweiten Republik. Jetzt wird der dieser Einrichtung zugrunde liegende, politische Stillhaltevertrag grade aufgekündigt. Und warum?
Wifo-Chef Aiginger habe seine Mitarbeiter schlichtweg nicht mehr im Griff, wird kritisiert. Vor allem die prononciert „roten“ Wifo-Experten Margit Schratzenstaller, Stephan Schulmeister und Markus Marterbauer würden sich in der Öffentlichkeit ständig zu Wort melden – mit politisch eindeutigen Botschaften.
Man kann sich die Sorgenfalten am Schwarzspanierplatz lebhaft vorstellen. Jedenfalls ist der Vorfall ein deutliches Indiz, dass in der aktuellen Krise nicht nur der medial ausgetragene Konflikt um den „richtigen Kurs“ in der Wirtschaftspolitik schärfer wird. Jetzt soll – als Reaktion darauf – Macht exerziert werden. „Political Meddling“, wie es in den USA so schön heisst.
Was lernen wir daraus? Offenbar ist man an verschiedenen Stellen ganz schön nervös. Dass die Initiative offenbar von Raiffeisen (mit einem an sich eher unbedeutenden Jahresbeitrag) ausging, verstärkt den Eindruck. Die PR dieses schwarzen Konglomerats war in letzter Zeit ja nicht die beste. Von „nur über meine Leiche“ (Christian Konrad) ist man dort schnell dazu übergegangen, Geld von der Regierung zu nehmen. Das stellt vorerst zwar noch niemand in Frage. Aber besser gar nix anbrennen lassen.
Die Geschichte stellt auch einen ziemlich offenen Angriff auf das von WissenschaftlerInnen (zu recht) hochgehaltene Prinzip der „akademischen Freiheit“ dar. In diesem Zusammenhang ist das Wifo zwar in einer ungünstigen Position: Mehr Think Tank als Grundlagenforschungsinstitut. Aber trotzdem ist festzustellen, dass diese Institution für die heimischen Sozialwissenschaften sicher mindestens so wichtig ist wie CERN für die Physiker. Leider lehrt mich die Erfahrung, hinsichtlich der Reaktionen aus der Community pessimistisch zu sein: So wirklich tangiert das in Österreich wohl niemanden.
Politische Intellektuelle und die Wirtschaftskrise
Die Frage der politischen Interventionsfähigkeit der Sozialwissenschaften war ein Thema der Konferenz „Political Economy, Financialisation and Discourse Theory“ Ende Mai in Cardiff.
Karel Williams (Manchester Business School) thematisierte in seinem Vortrag, wie stark sich die öffentliche Reaktion auf die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise von der Reaktion auf die Krisen 1931 (Weltwirtschaftskrise) und 1981 (Thatcher-Schock in UK) unterscheide. Damals gerieten die Eliten unter Druck, 1931 führte das zu Veränderungen in der Wirtschaftspolitik, 1981 zumindest zu einem öffentlichen Auftreten linker Wissenschaft (auch wenn sie letztlich erfolglos blieb).
Heute sei die öffentliche Reaktion vergleichsweise verhalten. Williams konstatierte eine Art gesellschaftliches „Stockholm-Syndrom“, auf Basis einer Geiselnahme der Gesellschaft durch den Finanzsektor – die fortgeschrittene Durchdringung der Gesellschaft mit einer finanzialisierten Logik führe zur Identifikation mit den Interessen und Motiven des Finanzsektors.
Auch die öffentlichen Intellektuellen fehlten. Williams nannte folgende Gründe: Zersplitterung in feindliche Theorie-Lager; Verdrängung politischer Ökonomie aus der Mainstreamökonomie und Ausweichen in Sub-Disziplinen mit engem Fokus wie Internationale Politische Ökonomie, Geografie, Kulturstudien etc.; Professionalisierung/ Akademisierung – das Feld der Medienarbeit wird von AkademikerInnen aufgegeben und wird völlig den Leuten aus dem Finanzsektor überlassen.
Ein Teil der Erklärung für diese Entwicklungen sei Unklarheit über die Situation und der politische Kontext (Rechtswendung der Labour Party, Marginalisierung der Gewerkschaften). Einen Teil der Erklärung liefere aber auch die Selbstbeschränkung der Intellektuellen. Williams Abschlussfrage: Sollte die Intelligenz von der Kritik zur Selbstkritik über ihre innenorientierte Professionalisierung übergehen?
Colin Wight (University of Exeter) konstatierte eine „Gang-Mentalität“ in den Sozialwissenschaften. Theoretische Abgrenzungen hätten häufig mehr mit Identitätspolitik statt Substanz zu tun, seien in einem zersplitterten Feld wie etwa Politikwissenschaft aber wichtig für das akademische Fortkommen (vgl. den Artikel von Kyle Siler in Kurswechsel 4/05 für den Fall der Wirtschaftswissenschaften). Das zeige sich in vielen Diskussionen der Konferenz wieder, wo Debatten zwischen Postrukturalistismus- und Kritischer-Realismus-Ansätzen oft übertrieben heftig geführt würden (So hatte etwa jemand auf Marieke de Goedes [Uni Amsterdam] Einfühungsvortrag, in dem sie die internationale Terror-Geldwäsche-Bekämpfungs-Offensive als Projekt zur Ausdehnung der Überwachung im Alltag kritisierte, gefragt, wozu sie für diese Analyse einen poststrukturalistischen Ansatz bemühe).
Der kritische Buchhaltungs-Theoretiker Prem Sikka (University of Essex), der für die Aufdeckung von Parteienfinanzierungsströmen der Tories bekannt ist, plädierte für mehr journalistisches und politisches Engagement von WissenschafterInnen.
In der Diskussion wurde debattiert, ob die Ursache dafür in der Wissenschaft selbst oder eher in Veränderungen von Politik und Öffentlichkeit zu suchen ist. Die Ignoranz gegenüber Wissenschaft habe mit Interessen und Macht zu tun, nicht mit dem Zustand der Wissenschaft, so eine Anmerkung. Der öffentliche Sektor fragt heute Beratungsfirmen und Unternehmen um Expertise, nicht mehr in Universitäten. Öffentliche Untersuchungskommissionen sind nicht an wissenschaftlichen Ergebnissen, Problematisierungen und Ursachenforschungen interessiert, sondern kompilieren nur noch Meinungen von (Industrie-)ExpertInnen.
Andere hinterfragten, ob der Stellenwert der Wissenschaft in der (Berufs-)Politikberatung der entscheidende Indikator sei, oder ob es nicht vielmehr darum ginge, sich in Beziehung zu sozialen Bewegungen und widerständigen AkteurInnen außerhalb der etablierten Politik zu setzen.
Der BEIGEWUM hat zu diesen Themen vor einigen Jahren selbstreflexive Überlegungen angestellt (siehe auch hier). Zeit, angesichts der Krise daran weiterzuarbeiten!