Gut gemeint oder gut gewesen?
„Lassen wir die Konjunkturpakete wirken,“ ist das Standardzitat österreichischer PolitikerInnen, um einem dritten sozialen Paket eine Absage zu erteilen. Nur, wer weiß, WIE und WANN die Pakete wirken?
International haben alle Konjunkturpakete gemein, dass sie nicht evaluiert werden. Viele verschiedene Institutionen streiten sich um die Wirksamkeit von Millionen- und Milliardenbeträgen. Auch den österreichischen Paketen werden unterschiedlichste Effekte bescheinigt, je nach bewertender Organisation.
Diese Situation ist unbefriedigend. Und bedenkt man, dass in den letzten Jahren nicht nur aufgrund der Krise immer wieder Konjunkturpakete geschnürt wurden, verwundert es umso mehr, dass keine einheitliche nachträgliche Bewertung stattfindet.
Es braucht dringend eine ex-post Evaluierung von konjunkturbelebenden Maßnahmen, vorzugsweise im europäischen Vergleich. Der große Vorteil einer nachträglichen Evaluierung wäre die Tatsache, dass bereits getätigte und nicht bloß veranschlagte Ausgaben als Datengrundlage zur Verfügung stehen würden. So könnte gezeigt werden, ob und inwieweit Ausgaben für die Stabilisierung getätigt wurden, und was diese bewirkt haben.
Konjunkturpakete sollen nicht nur gut gemeint sein und ob ihrer bloßen Ankündigung Wirkung entfalten. Entscheidend sind Informationen, um zukünftige Maßnahmen zielgerichtet gestalten zu können, und deren Effekte dorthin zu lenken, wo diese notwendig sind.
Appell zur Reform der Ökonomie
Eine Appell zur Reform der Ökonomie, getragen von einer keynesianisch-institutionalistischen Allianz:
„Dear Colleague
The web plea/petition in support of the words below by Paul Krugman now has over 1300 signatures, the majority of which are qualified academics. Thank you to everyone who has given their support.
But only 3% of the signatories are undergraduate students. Please ask your students if they support this statement. (You may remind everyone that signing is free, and they can leave the website before making a donation.)
„Few economists saw our current crisis coming, but this predictive failure was the least of the field’s problems. More important was the profession’s blindness to the very possibility of catastrophic failures in a market economy … the economics profession went astray because economists, as a group, mistook beauty, clad in impressive-looking mathematics, for truth … economists fell back in love with the old, idealized vision of an economy in which rational individuals interact in perfect markets, this time gussied up with fancy equations … Unfortunately, this romanticized and sanitized vision of the economy led most economists to ignore all the things that can go wrong. They turned a blind eye to the limitations of human rationality that often lead to bubbles and busts; to the problems of institutions that run amok; to the imperfections of markets – especially financial markets – that can cause the economy’s operating system to undergo sudden, unpredictable crashes; and to the dangers created when regulators don’t believe in regulation. … When it comes to the all-too-human problem of recessions and depressions, economists need to abandon the neat but wrong solution of assuming that everyone is rational and markets work perfectly.“ (New York Times, September 2nd, 2009.)
SIGN „Revitalizing Economics After the Crash“
I think this is an important opportunity to make an impact – and help to change economics for the better. Progress on the petition will be announced to the international press in October.
Best wishes
Geoff Hodgson“
Ein Jahr danach
Beim Hören des Podcasts von Planet Money zum einjährigen Jubiläum der Krise (und zugleich des Podcasts selbst) sind einige interessante Beobachtungen zu machen. Zum Beispiel: wie schnell die Finanzmächtigen dieser Welt ihre Terminologie änderten; innerhalb weniger Tage wurden „melt down of the global financial system“, „systemic crisis“, „too big to fail“, und so weiter allgemein übliche Schlagworte. Und abgesehen davon, dass hier Panik vorherrschte, sieht man auch, wie schon an dieser Stelle die Rechtfertigung zur Stabilisierung eines Herrschaftsverhältnisses massenmedial ausstrahlte; die Macht dieses Herrschaftsverhältnisses zeigt sich eben gerade in der unhinterfragten Übernahme dieser neuen Terminologie.
Eine andere interessante Beobachtung ist aber auch, wie skeptisch diese Medien inzwischen geworden ist (nur ein Beispiel). Während alle ökonomischen Indikatoren darauf hinweisen, dass die Rezession ihrem Ende zugeht – zumindest wenn man sie so auslegt, wie man das vor dem 15.September 2008 zu tun pflegte –, und die Vertreter des internationalen Finanzkapitals ihr Selbstvertrauen wiedergewonnen haben, mögen es die Journalisten dieser Welt nicht so recht glauben. Natürlich sind die allgemeinen Rahmenbedingungen bei weitem schlechter als noch vor einem Jahr: selbst wenn die Rezession vorbei sein sollte, ist die Arbeitslosigkeitsrate in den Industrieländern stark gestiegen. Es gibt einen generellen Vorbehalt gegen die Finanzwelt: Wie wird sich das politisch niederschlagen?
OECD für öffentliche Beschäftigung und soziale Absicherung in der Krise
Unverdächtiger könnte der Zeuge nicht sein: Nachdem die OECD über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte hinweg der Deregulierung der Arbeitsmärkte das Wort geredet hat, werden in letzter Zeit die Töne etwas moderater und analytisch differenzierter.
Im heute (16. September 2009) veröffentlichten „Employment Outlook 2009“, einem Werk von immerhin 282 eng beschriebenen Seiten mit einer Unzahl an Daten, Fakten und Analysen zum Arbeitsmarktgeschehen, fordert das OECD-Sekretariat die Mitgliedstaaten u. a. auf zu überlegen, ob für bestimmte Problemgruppen, zumindest temporär und auf enge Zielgruppen focusiert, nicht öffentliche Beschäftigungsprojekte und eine engere soziale Absicherung wirkungsvolle Mittel in der Krise wären. Das ist ein neuer Ton!
Im zentralen Kapitel zur Krise wird davon ausgegangen, dass die Arbeitslosigkeit in der OECD bis Ende 2010 um 25 Mio. Personen gegenüber dem Tiefpunkt Ende 2007 zunehmen wird; das ist ein Anstieg um ca. 80%! Diese Zunahme ist bisher zwischen den Ländern sehr unterschiedlich ausgefallen – auf die näheren Gründe geht die OECD allerdings nicht ein; und er wird bis Ende nächsten Jahres sehr unterschiedliche Länderquoten mit sich bringen: ESP 19,8%, GER 11,8%, USA 10,1%, JAP und AUT 5,8%.
Die Konjunktur- und Stabilisierungsprogramme, die in ihrem Ausmaß sehr unterschiedlich ausgefallen sind (FRA und KOR bilden Minimum und Maximum, AUT liegt am unteren Ende), haben ihre beabsichtigten Wirkungen lt. OECD einigermaßen erfüllt.
Das Betroffenheitsmuster nach Sektoren, Alter, Ausbildung, Beruf, Geschlecht, etc. ist dem vorangegangener Krisen nicht unähnlich. In AUT fällt auf, dass Niedrigqualifizierte und Frauen bisher von der Krise nur durchschnittlich betroffen sind.
Für OECD-Verhältnisse ebenfalls interessant ist die Feststellung, dass zwar die Persistenz einer einmal gestiegenen Arbeitslosenquote sich durch die Strukturreformen der vergangen Jahre reduziert hat, allerdings auf Kosten einer höheren zyklischen Variabilität; d. h. hätte es weniger Maßnahmen zur Flexibilisierung der Arbeitsmärkte in der Vergangenheit gegeben, wäre der gegenwärtige Anstieg der Arbeitslosigkeit wohl geringer ausgefallen.
Wie eingangs erwähnt, legt die OECD für Personen mit hohem Langzeitarbeitslosigkeitsrisiko nahe, öffentliche Beschäftigungsprogramme anzubieten. Das war bisher stets verpönt. Aus österreichischer Sicht ist an dem Vorschlag interessant, dass Sozialökonomische Betriebe (SÖB), die hiesige Variante eines derartigen Programms, in mehreren Evaluierungen sehr positiv abgeschnitten haben (Wifo 2006, Lechner et. al. 2007, Hujer et. al. 2009).
Auch der zweite Denkanstoß der OECD sollte AUT eine Überlegung wert sein: Für all jene Gruppen am Arbeitsmarkt mit prekären Beschäftigungsverhältnissen, die weniger abgesichert sind als die Kerngruppen mit langen Versicherungsepisoden, sollten die sozialen Sicherungsmaschen enger geflochten werden – zumindest temporär in der Krise. Dazu gehörten auch höhere Ersatzquoten am Beginn der Arbeitslosigkeit, weil hier das Absicherungsniveau in AUT im internationalen Vergleich niedrig ausfällt.
In einem weiteren Kapitel des „Employment Outlook“ wird die unorthodoxe Frage gestellt: „Is Work the best Antidote to Poverty?“
Alles in Allem ist der diesjährige Beschäftigungsausblick der OECD ein äußerst lesenswertes Dokument zum Verständnis der Arbeitsmarktvorgänge in der Krise.
Schopenhauer und die Tobin Tax
Durch die Antwort des für Steuern zuständigen EU-Kommissars László Kovács auf die Anfrage der österreichischen grünen EU-Abgeordneten Ulrike Lunacek scheint der Höhepunkt der Schopenhauer’schen zweiten Phase, die eine gute Idee durchläuft, erreicht worden zu sein: als Unsinn wird die Idee einer Finanztransaktionsbesteuerung nämlich nicht mehr abgetan, sondern auf das heftigste bekämpft. In der dritten Phase wird sie eingeführt. Dabei bedient sich Kovács erstaunlich oft gängiger Argumente. Das sollte diejenigen, die sich schon länger und gründlicher mit dem Thema auseinandersetzen, optimistisch stimmen.
Es ist, so wie meistens beim Thema Steuern, zu beobachten, dass auch bei der Finanztransaktionsbesteuerung ideologische Haltungen als politische, ökonomische und rechtliche Argumentationen getarnt daherkommen. Auch Stephan Schulmeister ordnet die pro- und contra-Argumente in der Diskussion um die Finanztransaktionssteuern unterschiedlichen Weltbildern zu, die jeweils von unterschiedlichen Annahmen über Erwartungsbildung und Verhalten auf Finanzmärkten ausgehen. (1) Demnach kann es soweit gehen, dass Spekulation einerseits als „ein unverzichtbares Element der Preisbildung“ gesehen wird, obwohl aus der Empirie hervorgeht, dass genau wegen einem Übermaß an kurzfristiger Spekulation sich die Aktien- und Wechselkurse oder die Rohstoffpreise von ihrem „natürlichen“ Gleichgewicht entfernen.
Folgerichtig wird von einer Seite die eindämpfende Wirkung einer noch so geringen Finanztransaktionssteuer gerade auf die kurzfristigen Spekulationen betont, und von der anderen Seite wird die Gefährdung der Liquidität der Märkte heraufbeschworen.
Auch Kovács bedient sich einer einseitigen ökonomischen Literatur, wenn er mit den oben geschilderten Argumenten gegen die Einführung einer Finanztransaktionssteuer eintritt. Zudem sind Kovács‘ Quellen veraltet und er lässt viele aktuelle Modelle außer Acht – u. a. das vom WIFO, das aber aus der Diskussion über die Finanztransaktionsbesteuerung nicht mehr wegzudenken ist.(2)
Kovács‘ Befürchtungen hinsichtlich des Schadens, der die Einführung der Finanztransaktionssteuer in der Realwirtschaft anrichten könnte, überzeugen einfach nicht mehr wie früher, weil man inzwischen den Schaden kennt, der durch die immer innovativer werdenden Finanzprodukte und durch die Spekulationen, die keine Entsprechung in der realen Wirtschaft haben, angerichtet wurde.
Diese total ablehnende Haltung gegenüber der Finanztransaktionssteuer zeugt zum Teil daher, dass diese als das Allheilmittel in der Finanzkrise präsentiert und somit ein bewusst falsches Bild geschaffen wird. Dem ist aber nicht so. Das Mittel der Besteuerung wäre nicht da, um die Finanzmarktaufsicht und ‑regulierung zu ersetzen, sondern um diese zu ergänzen. Dabei sollten diese Steuern die Kommission aus einem ganz anderen Grund sehr wohl interessieren: Das Aufkommen, das generiert werden könnte, könnte die Europäische Union gut gebrauchen – gerade in einer Phase, wo Gedanken darüber gemacht werden, wie das Budget reformiert werden könnte. Der Vorteil dabei ist auch, dass diese Steuern – im Gegensatz zu anderen Umsatzsteuern, die hauptsächlich regressive Wirkungen entwickeln – zu den progressiven Steuern gehören würden, ohne dass man beim Tarif allzu kreativ sein muss. Die ungleiche Verteilung des Wertpapierbesitzes müsste schon dafür sorgen.
Weiters bedient sich die Kommission rechtlicher Argumentationen. Allerdings ist auch dieses Gebiet – vor allem im EU-Kontext – nicht frei von Widersprüchen, und so stehen Richtlinien, die eine Finanztransaktionssteuer unterbinden, andere gegenüber, die eine Harmonisierung diverser anderer Steuern anstreben, sei es im Bereich der Mehrwertsteuer, sei es die Zinsbesteuerung, oder die Unternehmensbesteuerung. Einer Harmonisierung der in diversen europäischen Ländern bestehenden Besteuerungsformen auf den Verkehr bzw. Umsatz von Wertpapieren steht sich somit nur die Kommission selber im Weg.
So wie Ignacio Ramonet in seinem berühmten Le Monde-Artikel schon im Jahr 1997 schrieb: Es ist eine „Demütigung der Nationalstaaten“ – und zu heutiger Zeit würde man sagen, eine Demütigung auch der Europäischen Union – „als die maßgeblichen Garanten von Demokratie und Allgemeinwohl, dass sich die Finanzmärkte längst einen eigenen Staat geschaffen haben, einen supranationalen Staat, der über eigene Apparate, eigene Beziehungsflechte und eigene Handlungsmöglichkeiten verfügt.“ (3) Und das sollte Herrn Kovács, die Kommission und die Europäische Union Sorge bereiten und dazu anleiten, in die entgegengesetzte Richtung zu steuern. Nicht umgekehrt.
Anmerkungen
(1) Schulmeister, Stephan, Handelsdynamik und Preisschwankungen auf Finanzmärkten und das Stabilisierungspotential einer Finanztransaktionssteuer, WIFO Monatsberichte 8/2008, 608f.
(2) Schulmeister, St., Schratzenstaller, M., Picek, O., A General Financial Transaction Tax. Motives, Revenues, Feasibility and Effects, WIFO, Wien, 2008.
(3) Ramonet, Ignacio (1997) Die Märkte entschärfen. in: Le Monde diplomatique Nr.5406, 12.
Ist die Krise männlich?
Vor genau zehn Jahren warf sie endgültig das Handtuch. Brooksley Born, damals Vorsitzende der Commodity Futures Trading Commission, der für den Derivatehandel zuständigen US-amerikanischen Aufsichtsbehörde, hat einen langen von Anfang an aussichtslosen Kampf für die Regulierung der Kreditderivate verloren und legte schließlich ihre Vorsitzfunktion zurück. Alan Greenspan, neben Finanzminister James Rubin und Chefberater Lawrence Summers einer ihrer mächtigen Gegner, warf ihr nicht nur Inkompetenz vor, sondern ging einen Schritt weiter: Ihre Regulierungsvorschläge würden gar eine Finanzkrise auslösen. Vor wenigen Wochen erhielt Born eine große Auszeichnung der John‑F.-Kennedy-Bibliothek in Boston für ihren Mut. Hätte sie sich damals mit ihren scheinbar harmlosen Forderungen nach einer Clearingstelle und Beaufsichtigung des Kreditderivatehandels durchgesetzt, wären die Auswirkungen der Finanzkrise bei weitem nicht so dramatisch.
Das Beispiel einer Frau, die einen aussichtslosen Kampf für das Selbstverständliche führt, ist mehr als die von Wissenschaftern viel belächelte anekdotische Evidenz. Dieser Fall offenbart zahlreiche strukturelle Charakteristika der Finanzwelt, die darauf hindeuten, dass Finanzkrisen nicht bloß mit Regulierungsversagen, fehlender Moral oder makroökonomischen Ungleichgewichten zusammenhängen. Die Krise ist systemisch. Eine der systemischen Elemente ist das Fehlen von Frauen und deren Interessen in den regulatorischen Entscheidungsgremien. Die Finanzkrise ist männlich, aber nicht in dem simplen Sinne, wie er oft diskutiert wird, dass Finanzmarktakteure männlich sind. Letztere sind Getriebene, die unter ungeheurem Renditedruck ein laxes Regelwerk ausreizen, oder wie es John Maynard Keynes formuliert hat: „Es gibt nichts, was so verheerend ist, wie rationales Anlageverhalten in einer irrationalen Welt.“ Dass Frauen in diesem Regelwerk anders agieren würden oder können, ist fraglich, wenngleich empirische Untersuchungen gezeigt haben, dass Frauen weniger risikofreudig seien (Barber and Odean 2001) und daher – entgegen dem gängigen Vorurteil – stärker rational agierten, das Investitionsverhalten von Investoren männlichen Geschlechts hingegen von übertriebenem Selbstvertrauen gekennzeichnet sei, das in keiner Beziehung zur Fähigkeit dieser stehe. Irrationalität und ineffiziente, krisenanfällige Märkte seien die Folge.
Betrachtet man aber die Finanzkrise mit dem Blick einer historisch und legistisch interessierten ÖkonomIn, dann rücken sogenannte epistemische Netzwerke ins Blickfeld, die in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten wesentlich dafür verantwortlich waren, dass sich neoliberale regulatorische Praktiken, die am besten mit dem Begriff der Selbstregulierung umschrieben werden können, weltweit ausgebreitet haben. An die Stelle des Staates traten staatlich-private Netzwerke: unabhängige Finanzmarktaufsichtsbehörden, Experten und auch Vertreter der Finanzindustrie. Es entstand eine Struktur, in der sich nationalstaatliche und internationale, halbstaatliche und private Netzwerke überlagern, und die, wie der Politikwissenschaftler Phil Cerny sagt, den im Mittelalter üblichen Herrschaftsformen nicht unähnlich ist. Diese epistemischen Netzwerke sind selbst-referenziell; sie sind immun gegen Kritik von außen, da sie sich ihr nicht stellen. Das überbordende Selbstvertrauen und die Legitimation, ein solches zu haben, bezieht man aus der Zugehörigkeit zur Denkschule der neoklassischen marktradikalen Ökonomie, ein von Männnern konstruiertes Gedankengebäude, das die letzten Jahrzehnte umfassende Gültigkeit beanspruchte und dies nach wie vor tut.
Frauen werden von diesen Netzwerken fern gehalten. Der Frauenanteil in den diversen Komitees liegt im Durchschnitt bei weit unter zehn Prozent (Schuberth und Young 2009). Die Entscheidungsträger sind fast ausschließlich männlich, Entscheidungen werden hinter verschlossenen Türen getroffen. Frauen sind hier ausgeschlossen, weil ihr Denken und Handeln der ökonomischen Rationalität nicht entsprechen würde, da sie wenig Verständnis dafür aufbrächten, so das Vorurteil, dass nur das zielstrebige und durch Regulierung ungestörte Verfolgen des Eigennutzens im rauen Wind des Wettbewerbs den Fortschritt für die Menschheit bringen würde. Frauen, die mitspielen wollen, müssen überzeugend dieses Vorurteil widerlegen, so wie überhaupt der reflexive Mitspieler das Äußerste ist, was geduldet wird. Sofern es den Frauen gelingt, in diese, Glaubensbruderschaften nicht unähnlichen, exklusiven Klubs vorzudringen, ist dies mit hohen Anpassungsleistungen verbunden, mit der Unterordnung unter die herrschenden Prinzipien des ökonomischen Mainstream.
Finanzmarktregulierung wird als technische Angelegenheit begriffen. Der Einsatz von quantitativen Modellen der Risikoabschätzung hat bei den Regulatoren eine Kontrollillusion erzeugt – mit den bekannten Folgen. Die Bedeutung der Finanzmarktregulierung geht allerdings weit über die Sicherung der Finanzmarktstabilität hinaus. Das angelsächsische Selbstregulierungssystem hat nicht nur die Weltwirtschaft an den Rand des Abgrunds geführt, sondern unabhängig davon weitreichende gesellschaftspolitische Auswirkungen gehabt: unter dem Druck der Aktionärsinteressen wurde Risiko individualisiert, Pensionsvorsorge privatisiert und sozialstaatliche Leistungen zurückgedrängt. Dies ging einher mit fallenden Lohnquoten und Deregulierung und Flexibilisierung der Arbeitsmärkte. Frauen sind von dieser Umgestaltung der Gesellschaft besonders betroffen: die Prekarisierung der Arbeitswelt trifft sie äußerst hart, die hohen geschlechtsspezifischen Einkommensunterschiede haben sich ausgeweitet, das Vermögen ist zwischen den Geschlechtern noch stärker ungleich verteilt. Klar ist aber auch, dass die Erhöhung der Staatsschulden bereits jetzt den Druck enorm verstärkt, bei den Sozial‑, Bildungs- und Gesundheitsausgaben einzusparen; der Verteilungskampf um knappe Budgetmittel wird intensiver; Frauen trifft das überproportional, da viele von ihnen Empfängerinnen sozialstaatlicher Transfers sind. Die nach überstandener Krise erforderliche Konsolidierung des Budgets wird den Druck in diese Richtung noch weiter erhöhen. Das „Zurückdrängen der Frauen an den Herd“, die Verrichtung unbezahlter Haus‑, Pflege- und Betreuungsarbeit wären die Folge.
Die Ausgestaltung des Finanzsystems hat massive Auswirkungen auf die Lebensbedingungen von Frauen. Dass diese nach wie vor in finanzmarktregulatorisch wichtigen Entscheidungsgremien nicht vertreten sind, ist demokratiepolitisch nicht zu akzeptieren. Jene, die von wirtschaftspolitischen Maßnahmen betroffen sind, müssen auch mitentscheiden können.
In ihrer Dankesrede bei der Preisverleihung unternahm Brooksley Born den verzweifelten Versuch, an die Vernunft der Entscheidungsträger zu appellieren, die selbstverständlichen regulatorischen Schritte nun doch umzusetzen, ansonsten, so Born „werden wir in den kommenden Jahren von den Folgen unseres Scheiterns verfolgt werden“. Da nicht diejenigen scheitern, die die Krise verursacht haben, geht dieser Appell ins Leere.
Literatur
Barber, Brad M. and Terrance Odean (2001), Boys will be Boys: Gender, Overeconfidence and Common Stock Investment, in: Quarterly Journal of Economics. 116(1): 261–292.
Schuberth, H: and B. Young, Financial Market Regulation and Gender (2009), in: Young Brigitte and Diane Elson (Hrsg.), Global Financial Governance and Gender: Key Issues and Policy Rules. Routledge, (forthcoming 2009).
›Starve the beast‹ reloaded?
»›Starving the beast‹ is a fiscal-political strategy of some American conservatives to use budget deficits via tax cuts to force future reductions in the size of government«, so steht es in der englischsprachigen Wikipedia. Der Staat soll demnach über Steuerkürzungen ausgehungert und so der Staatseinfluss reduziert werden. Über sinkende Einnahmen erhöht man zudem den Druck für ›Reformen‹. Diese sind meistens gegen einen relevanten Teil der Bevölkerung gerichtet und daher unpopulär, weshalb externe Druckmittel wie die Staatsverschuldung herhalten müssen um die (Sozial-)Kürzungen zu legitimieren. Die »Kampfparole der Reagonomics« (Wolfgang Lieb) scheint inhaltlich wiederzukehren.
Steuern niedrig lassen?
In Österreich wurden Kapitaleinkommen und Besserverdienende in den vergangenen Jahren steuerlich entlastet. So wurde die Körperschaftssteuer gesenkt, die Erbschafts- und Schenkungssteuer ganz auslaufen gelassen, die Vermögensteuer wird seit Jahren nicht erhoben, für Selbständige sind neue Freibeträge eingeführt worden, die Einkommensteuer wurde für SpitzenverdienerInnen gleich mehrfach gesenkt, profitieren diese doch von der Ausweitung des Grundfreibetrags, der Senkung der Steuertarife und der Verschiebung des zu versteuernden Einkommens, ab der der Spitzensteuersatz greift. Kurzum: Der Staat verzichtet auf zahlreiche Einnahmen. Diese Politik zeigt Wirkung! Viele der ›Reformen‹ (sprich: Sparmaßnahmen) der vergangenen Jahre wurden mit dem klammen Staatshaushalt begründet; aktuell wird die Mindestsicherung nur 12 Mal im Jahr ausbezahlt – statt 14 mal, wie ursprünglich geplant. Straßen, Schulen usw. schieben einen erheblichen Investitionsbedarf vor sich her, der wegen der klamm gemachten Kassen nicht behoben wird. Und über Nulllohnrunden im öffentlichen Dienst wird auch fleißig spekuliert…
Die leeren Kassen sind kein Naturgesetz. Einerseits sind sie einer verfehlten Steuerpolitik geschuldet, andererseits einer falschen Wirtschaftspolitik, die zu sehr auf Export und zu wenig auf den Binnenmarkt geachtet hat und drittens natürlich den Bankenrettungs- und Konjunkturpaketen. Gerade letztere müssen auch bezahlt werden. Einen Teil dieser Finanzierung könnte man über eine Vermögensteuer tragen, hier sperren sich ÖVP und SPÖ bekanntlich, andere schlagen die Erhöhung der Mehrwertsteuer vor. Josef Pröll hat jetzt nachgelegt und offen gesagt, um was es geht: Im Sommergespräch mit dem ORF sagte er erstens, dass schon eine Diskussion über neue Steuern schädlich sei, zweitens gab er bekannt, dass die Konsolidierung des Budgets nur ausgabenseitig erfolgen solle und drittens, dass der Druck durch die Krise heilsam sei, um Reformen anzustoßen. Aha.
Pröll startet Kampagne zum Schutz der Reichen
Man muss sich dies auf der Zunge zergehen lassen: Josef Pröll fordert, dass in einer Situation der Wirtschaftskrise, in der massiv Staatsgeld zur Rettung von Vermögen eingesetzt wurde, nicht über Steuern gesprochen werden darf. Es ist ein merkwürdiges Demokratieverständnis, wenn eine der zentralen Aufgaben des Parlaments – man erinnere sich an »No taxation without representation« – entpolitisiert und einem vermeintlichen Sachzwang unterworfen werden soll. Was Pröll versucht ist Erpressung: Wer über Steuern redet, dem wird am Ende noch die Schuld für den weiteren Verlauf der Krise in die Schuhe geschoben. Damit schützt er seine Klientel: Diejenigen, die höhere Steuern bezahlen könnten und müssten!
Pröll sagt dies auch deutlich: Er will Vermögensteuern aus »Solidarität mit den Leistungsbereiten« ausschließen. Leistungsbereit sind in dieser Definition weder die Krankenschwester noch der Altenpfleger, denn die haben sicherlich keine Vermögen (es sei denn geerbt), die Vermögensteuern nach sich zögen. Was Pröll hier offenbart ist ein pervertierter Leistungsbegriff, denn nach dieser Definition ist ein Großerbe mit viel Vermögen leistungsbereiter als bspw. KindergärtnerInnen. Und: Vom Leistungsfähigkeitsprinzip scheint Pröll auch nichts zu halten, dass nämlich starke Schultern mehr tragen müssen als Schwache. Selbst wenn alle Vermögenden leistungsstärker wären als andere, würde sich die Frage stellen, ob eine Vermögensteuer nicht dennoch berechtigt wäre. Von der Frage, was Leistung in einer Gesellschaft ist, mal ganz zu schweigen.
Der dritte Punkt offenbart die gesamt Pröll’sche Logik: Der Spardruck soll gesteigert werden, um ›Reformen‹ (bspw. Einschnitte ins soziale Netz, Privatisierungen, Nulllohnrunden…) durchsetzen zu können, die zu Lasten großer Teile der Bevölkerung gehen. »Starve the beast« in Reinform.
Mehrwertsteuern?
Dass das Schlanksparen sehr selektiv sein kann, haben die deutschen Sozialdemokraten bewiesen: Erst haben sie zusammen mit den Grünen die Spitzensteuern von 53 auf 42 Prozent gesenkt, die Körperschaftsteuer massiv reduziert und damit einen bestimmten Teil der Bevölkerung entlastet und als Folge – es musste ja gespart werden – bspw. Hartz IV eingeführt. Dann haben sie zusammen mit der CDU die Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte angehoben. Wenn also Pröll merkt – und er weiß es eigentlich schon jetzt – dass das Sparen nicht ausreichen wird, dann wird er noch lange nicht die Vermögenden zur Kasse bitten, sondern über Mehrwertsteuererhöhungen diskutieren. So werden die Lasten der Einsparungen und der Einnahmeerhöhungen auf die Masse verteilt, was für die Bessersituierten natürlich toll ist – ob sie sich mit Parteispenden oder Jobs nach der aktiven Politikkarriere erkenntlich zeigen? Und ob die SPÖ da – wieder einmal – mitmacht?