Schopenhauer und die Tobin Tax
Durch die Antwort des für Steuern zuständigen EU-Kommissars László Kovács auf die Anfrage der österreichischen grünen EU-Abgeordneten Ulrike Lunacek scheint der Höhepunkt der Schopenhauer’schen zweiten Phase, die eine gute Idee durchläuft, erreicht worden zu sein: als Unsinn wird die Idee einer Finanztransaktionsbesteuerung nämlich nicht mehr abgetan, sondern auf das heftigste bekämpft. In der dritten Phase wird sie eingeführt. Dabei bedient sich Kovács erstaunlich oft gängiger Argumente. Das sollte diejenigen, die sich schon länger und gründlicher mit dem Thema auseinandersetzen, optimistisch stimmen.
Es ist, so wie meistens beim Thema Steuern, zu beobachten, dass auch bei der Finanztransaktionsbesteuerung ideologische Haltungen als politische, ökonomische und rechtliche Argumentationen getarnt daherkommen. Auch Stephan Schulmeister ordnet die pro- und contra-Argumente in der Diskussion um die Finanztransaktionssteuern unterschiedlichen Weltbildern zu, die jeweils von unterschiedlichen Annahmen über Erwartungsbildung und Verhalten auf Finanzmärkten ausgehen. (1) Demnach kann es soweit gehen, dass Spekulation einerseits als „ein unverzichtbares Element der Preisbildung“ gesehen wird, obwohl aus der Empirie hervorgeht, dass genau wegen einem Übermaß an kurzfristiger Spekulation sich die Aktien- und Wechselkurse oder die Rohstoffpreise von ihrem „natürlichen“ Gleichgewicht entfernen.
Folgerichtig wird von einer Seite die eindämpfende Wirkung einer noch so geringen Finanztransaktionssteuer gerade auf die kurzfristigen Spekulationen betont, und von der anderen Seite wird die Gefährdung der Liquidität der Märkte heraufbeschworen.
Auch Kovács bedient sich einer einseitigen ökonomischen Literatur, wenn er mit den oben geschilderten Argumenten gegen die Einführung einer Finanztransaktionssteuer eintritt. Zudem sind Kovács‘ Quellen veraltet und er lässt viele aktuelle Modelle außer Acht – u. a. das vom WIFO, das aber aus der Diskussion über die Finanztransaktionsbesteuerung nicht mehr wegzudenken ist.(2)
Kovács‘ Befürchtungen hinsichtlich des Schadens, der die Einführung der Finanztransaktionssteuer in der Realwirtschaft anrichten könnte, überzeugen einfach nicht mehr wie früher, weil man inzwischen den Schaden kennt, der durch die immer innovativer werdenden Finanzprodukte und durch die Spekulationen, die keine Entsprechung in der realen Wirtschaft haben, angerichtet wurde.
Diese total ablehnende Haltung gegenüber der Finanztransaktionssteuer zeugt zum Teil daher, dass diese als das Allheilmittel in der Finanzkrise präsentiert und somit ein bewusst falsches Bild geschaffen wird. Dem ist aber nicht so. Das Mittel der Besteuerung wäre nicht da, um die Finanzmarktaufsicht und ‑regulierung zu ersetzen, sondern um diese zu ergänzen. Dabei sollten diese Steuern die Kommission aus einem ganz anderen Grund sehr wohl interessieren: Das Aufkommen, das generiert werden könnte, könnte die Europäische Union gut gebrauchen – gerade in einer Phase, wo Gedanken darüber gemacht werden, wie das Budget reformiert werden könnte. Der Vorteil dabei ist auch, dass diese Steuern – im Gegensatz zu anderen Umsatzsteuern, die hauptsächlich regressive Wirkungen entwickeln – zu den progressiven Steuern gehören würden, ohne dass man beim Tarif allzu kreativ sein muss. Die ungleiche Verteilung des Wertpapierbesitzes müsste schon dafür sorgen.
Weiters bedient sich die Kommission rechtlicher Argumentationen. Allerdings ist auch dieses Gebiet – vor allem im EU-Kontext – nicht frei von Widersprüchen, und so stehen Richtlinien, die eine Finanztransaktionssteuer unterbinden, andere gegenüber, die eine Harmonisierung diverser anderer Steuern anstreben, sei es im Bereich der Mehrwertsteuer, sei es die Zinsbesteuerung, oder die Unternehmensbesteuerung. Einer Harmonisierung der in diversen europäischen Ländern bestehenden Besteuerungsformen auf den Verkehr bzw. Umsatz von Wertpapieren steht sich somit nur die Kommission selber im Weg.
So wie Ignacio Ramonet in seinem berühmten Le Monde-Artikel schon im Jahr 1997 schrieb: Es ist eine „Demütigung der Nationalstaaten“ – und zu heutiger Zeit würde man sagen, eine Demütigung auch der Europäischen Union – „als die maßgeblichen Garanten von Demokratie und Allgemeinwohl, dass sich die Finanzmärkte längst einen eigenen Staat geschaffen haben, einen supranationalen Staat, der über eigene Apparate, eigene Beziehungsflechte und eigene Handlungsmöglichkeiten verfügt.“ (3) Und das sollte Herrn Kovács, die Kommission und die Europäische Union Sorge bereiten und dazu anleiten, in die entgegengesetzte Richtung zu steuern. Nicht umgekehrt.
Anmerkungen
(1) Schulmeister, Stephan, Handelsdynamik und Preisschwankungen auf Finanzmärkten und das Stabilisierungspotential einer Finanztransaktionssteuer, WIFO Monatsberichte 8/2008, 608f.
(2) Schulmeister, St., Schratzenstaller, M., Picek, O., A General Financial Transaction Tax. Motives, Revenues, Feasibility and Effects, WIFO, Wien, 2008.
(3) Ramonet, Ignacio (1997) Die Märkte entschärfen. in: Le Monde diplomatique Nr.5406, 12.
Leider nicht mehr kostenfrei verfügbar: Martin Wolfs pro-TobinTax-Schwenk, im Gefolge von UK-Finanzaufseher Turner: Die Tobinsteuer reduziere zwar Liquidität, aber das sei gar nicht so schlecht, weil zu viel Liquidität die Anleger dazu verleite, ihre Investments nicht genau zu prüfen, weil sie sich darauf verlassen, sie jederzeit verkaufen zu können. Die desaströsen Konsequenzen so einer Situation hätten sich in der Krise gezeigt.