3.12.09: Perspektiven der Hochschuldemokratie
Diskussionsveranstaltung u.a. mit Andreas Keller (Berlin)
Zuständiges Vorstandsmitglied des Bereichs Hochschule und Forschung bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sowie Autor des Buches „Hochschulreform und Hochschulrevolte“ und Mitglied des Beirats des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
Hörsaal C1 – Unicampus, Spitalgasse 2–4, Hof 2, 18 bis 20 Uhr
Hochschulen haben eine spezifische Funktion in der Gesellschaft: Sie sollen Bildung vermitteln und so dazu beitragen, dass es den Menschen ermöglicht wird, an gesellschaftlichen Prozessen zu partizipieren. Zudem sind Hochschulen der Ort, an dem über Forschung auch gesellschaftlicher Fortschritt organisiert werden soll. Umso verwunderlicher ist es, dass in der Debatte über die Steuerung von Hochschulen in den vergangenen Jahren vor allem der Vergleich zu privaten Unternehmen gezogen wurde: Hochschulen sollten von kleinen Zirkeln mit starken RektorInnen gelenkt werden. Dieser Hochschulsteuerung setzen die Studierenden mit ihren Protesten das Modell einer demokratischen Mitbestimmung gegenüber. Seit nunmehr über einem Monat wird auch darüber debattiert, wie eine solche Demokratie aussehen könnte. Die Plena des Wiener Audimax‘ haben deutlich gemacht, dass solche Diskurse anstrengend, aber eben auch gewinnbringend und vor allem möglich sind. Damit ist es gelungen, das Thema der Mitbestimmung wieder auf die politische Agenda zu setzen. Dennoch bleiben Fragen nach dem Verhältnis der Hochschulen zu Staat und Gesellschaft, nach der inneren Verfassung der Hochschulen, nach dem Status der Studierenden in einer akademischen Selbstverwaltung.
VeranstalterInnen: STV PoWi, STV VWL – WU, STV Doktorat – WU, BEIGEWUM
25.11.09: Kopenhagen and beyond
Strategien alternativer Klima- und Energiepolitik
18:15 (s.t.) – 20 Uhr
Hörsaal III im Neuen Institutsgebäude (Erdgeschoss), Universitätsstraße 7, 1010 Wien
es diskutieren:
Sabine Gruber, Fairshare und Diakonie Österreich
Helga Kromp-Kolb, Universität für Bodenkultur
Alexandra Strickner, Attac Österreich
Ulrich Brand, Institut für Politikwissenschaft, Uni Wien
Alexander Egit, Greenpeace CEE
Moderation: Markus Wissen, Institut für Politikwissenschaft, Uni Wien
Bei der Veranstaltung wird die neue Ausgabe der
Zeitschrift ‚Critical Currents´ – ‚Contours of Climate Justice. Ideas for shaping new climate and energy politics´ präsentiert und ist kostenlos erhältlich.
BEIGEWUM, Greenpeace Central and Eastern Europe,
Attac Österreich, Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien
Krise der Demokratie und mögliche Alternativen
Krise der Demokratie und mögliche Alternativen*
Bernhard Leubolt**
Die Weltwirtschaftskrise wird als Teil von multiplen systemischen Krisen verstanden, wobei die Demokratiekrise und mögliche Strategien zu deren Bewältigung im Mittelpunkt stehen.
Multiple Krisen – aufkommende „Post-Demokratie
Die aktuelle Weltwirtschaftskrise ist zwar seit den 1920er/30er Jahren die schwerste, aber auch bei weitem nicht die erste Finanzkrise der jüngeren Vergangenheit. Die europäischen Regierungen reagierten weitgehend mit Verstaatlichung der privaten Verluste – insbesondere mittels der „Bankenrettungspakete“ – „auf Pump“. Die dadurch ausufernden Budgetdefizite werden wohl Grundlage für Fiskalkrisen der Staaten abliefern. Ähnlich wie unter Reagans Regierung wo das mittels unproportionaler Anhebungen des Rüstungsbudgets geschah, wird diese „Politik der leeren Staatskassen“ in weiterer Folge zum „Sachzwang Budgetkonsolidierung“ führen. Somit besteht dann eine neue Argumentationsgrundlage für weitere Kürzungen der Sozialausgaben, die als unfinanzierbar dargestellt werden können. Die Wirtschaftskrise wird somit aller Voraussicht nach – im Gefolge von steigender Arbeitslosigkeit und sinkenden Sozialausgaben – eine mehr oder weniger schwere soziale Krise nach sich ziehen.
Diese sozialen und ökonomischen Krisen werden von weiteren Krisen begleitet: Nicht zuletzt der Klimawandel zeigt eine profunde und strukturelle Umweltkrise auf. Begleitet werden diese Krisen außerdem von einer über die letzten Jahren aufkommende Demokratie-Krise. Obwohl Demokratie auf globaler Ebene formal ihren Durchbruch erreicht zu haben scheint, sind Phänomene wie Politikverdrossenheit an der Tagesordnung – insbesondere in Ländern, die als „konsolidierte Demokratien“ galten. Der britische Politikwissenschafter Colin Crouch brachte die diesbezügliche Debatte in seinem 2003 in Italien erschienenen Buch auf den Punkt – es handle sich um „Post-Demokratie“:
„Der Begriff bezeichnet ein Gemeinwesen, in dem zwar nach wie vor Wahlen ab-gehalten werden, Wahlen, die sogar dazu führen, daß Regierungen ihren Abschied nehmen müssen, in dem allerdings konkurrierende Teams professioneller PR-Experten die öffentliche Debatte während der Wahlkämpfe so stark kontrollieren, daß sie zu einem reinen Spektakel verkommt, bei dem man nur über eine Reihe von Problemen diskutiert, die die Experten zuvor ausgewählt haben. […] Im Schatten dieser politischen Inszenierung wird die reale Politik hinter verschlossenen Türen gemacht: von gewählten Regierungen und Eliten, die vor allem die Interessen der Wirtschaft vertreten.“ (Crouch 2008, S. 10)
Der dem kritischen Mainstream zurechenbare Crouch geht in diesem Zusammenhang von einer Degeneration der Demokratie aus, die sich insbesondere durch die Orientierung auf die politische Mitte und angeblich objektive Problemlösungen mittels „Expertengremien“ auszeichnet. Seine Kollegin Chantal Mouffe (2006) warnt in diesem Zusammenhang vor der Entpolitisierung, die einerseits Interessen verschleiert und dadurch den Interessen mächtiger Minderheiten zu Gute kommt und andererseits das Wiederaufkommen des Faschismus bzw. der extremen Rechten ermöglicht. Letztere bleibt vielerorts im politischen Spektrum als einzige Kraft bestehen, die glaubhaft Alternativen vertritt, die sich jenseits des „post-politischen“ Konsens befinden.
Demokratisierung von Staat und Budget
Alternativen zur Post-Demokratie gehen unweigerlich mit Politisierung einher. Gesellschaftlich relevante Entscheidungen sollten demnach demokratisch entschieden werden statt an „Expertengremien“ delegiert zu werden. Vordergründig betrifft das Entscheidungen im Alltag. Die feministische Forderung „das Private öffentlich zu machen“ und somit also zu privatisieren kann diesbezüglich auf viele Bereiche umgelegt werden.
Das betrifft einerseits den Staat selbst. Die gebräuchliche Formulierung des „öffentlichen Sektors“ ist diesbezüglich dahingehend zu überprüfen, in wie fern staatliche Politik auch de facto öffentlich gemacht wird. Hier gibt es auf lokaler Ebene positive Tendenzen zur Etablierung von Partizipationsprojekten. Lokale Partizipation gilt dabei oftmals als „Allheil-mittel“ gegen Politikverdrossenheit und mögliche Proteste der von den politischen Entscheidungen betroffenen Gruppen. Die positive Konnotation von Partizipation ist jedoch mit Vorsicht zu betrachten. Meistens handelt es sich dabei bloß um Befragungen und nicht um effektive Mitbestimmung. Außerdem betrifft Partizipation nahezu immer gesellschaftlich relativ marginale Themen auf der Mikro-Ebene wie z.B. Parkgestaltung. Dabei ist die Gefahr der Instrumentalisierung hoch: Aktuell wäre eine partielle Einbindung im Rahmen eines „partizipatives Sparpakets“ vorstellbar, um „Sparzwänge“ zu legitimieren. Das führt die Wichtigkeit der Politisierung strategisch zentraler Politikbereiche vor Augen. Hier müssen in der Zivilgesellschaft diese Bereiche erst identifiziert werden, um dann Druck zu deren Demokratisierung aufbauen zu können.
Ein Feld, das sich dafür aktuell besonders gut eignen würde, ist die Budgetpolitik. Diesbezüglich gibt es das praktische Beispiel aus Porto Alegre, wo die Bevölkerung über viele Jahre hinweg effektiv Entscheidungskompetenz im Hinblick auf staatliche Ausgaben bekam. Forderungen an den Lokalstaat – etwa nach Straßen oder Kindergärten – wurden von den betreffenden Gruppen öffentlich in Sitzungen eingebracht und in weiterer Folge auch öffentlich beschlossen oder abgelehnt. Der Staat wurde also ansatzweise „veröffentlicht“ (näher dazu: Leubolt 2006) und gleichzeitig fungierte das Partizipative Budget auch für teilnehmende BürgerInnen als „Schule der Demokratie“ wie folgende Aussage einer Teilnehmerin zeigt:
„Sogar ich habe nur an meine Straße gedacht, als ich zum Partizipativen Budget gekommen bin. Aber ich habe andere Personen und Gemeinschaften getroffen und habe viel größere Probleme kennen gelernt. Was ich als Riesenproblem gesehen habe, war nichts im Vergleich zur Situation anderer Personen. Keine Wohnung zu haben, unter einem Tuch zu schlafen oder die Frage der Abwässer unter freiem Himmel, wo Kinder spielen und laufen. Ich vergaß meine Straße, sodass sie sogar bis heute nicht asphaltiert ist.“ (Roselaine; in: Leubolt 2006, S.74f.)
Dass ärmere TeilnehmerInnen – insbesondere Frauen – überdurchschnittlich stark vertreten waren, lag auch stark daran, dass Partizipation nicht bloß kleine Projekte, sondern das gesamte Budget betraf. Die aufgewendete Zeit zahlte sich für die teilnehmenden Menschen aus, da sie Entscheidungen treffen konnten, die von besonderer Relevanz waren. Lobbying war in Porto Alegre nicht mehr privatisiert – wegweisende Entscheidungen nicht bloß zwischen PolitikerInnen und „wichtigen Menschen“ in Vier-Augen-Gesprächen gefällt. Vielmehr fand öffentliches Lobbying um staatliche Geldvergabe statt und einige TeilnehmerInnen entwickelten wie Roselaine einen neuen sozialen Geist: Im Aufeinander-prallen von persönlichen Bedürfnissen konnte zumindest teilweise das „ich“ zum „wir“ und somit eine „Schule der Demokratie“ etabliert werden.
Demokratisierung der Arbeitswelt
Die betriebliche Realität stellt für die meisten einen wenig diskutierten undemokratischen Raum dar. Mit dem Eintritt an den Arbeitsplatz wird gleichzeitig die Möglichkeit zur Mitbestimmung an Vorgesetzte abgegeben. Außerhalb Lateinamerikas wurde dieser Umstand in den letzten Jahren wenig diskutiert. Dabei kamen wichtige Impulse für die Debatte vom öster-reichischen Sozialdemokraten Otto Bauer, der in seinem Werk „Der Weg zum Sozialismus“ schon 1919 ausführte:
„Wenn die Regierung alle möglichen Betriebe beherrschte, dann würde sie dem Volk und er Volksvertretung gegenüber allzu mächtig; solche Steigerung der Macht der Regierung wäre der Demokratie gefährlich. Und zugleich würde die Regierung die vergesellschaftete Industrie schlecht verwalten; niemand verwaltet Industriebetriebe schlechter als der Staat. Deshalb haben wir Sozialdemokraten nie die Verstaatlichung, immer nur die Vergesellschaftung der Industrie gefordert.“ (Bauer 1976 [1919],S.96; Herv.B.L.)
Relikte des Ansatzes der Sozialisierung finden sich heute noch in den Bestimmungen zu Be-triebsräten in der österreichischen Verfassung: Die nicht ganz zur Geltung kommende Idee dahinter war, dass Betriebe mit zunehmender Größe vergesellschaftet werden sollten – der Betriebsrat sollte dabei als demokratisches Organ des Managements dienen, als Basis für die kollektive Selbstverwaltung der ArbeiterInnen. Das weitere demokratische Konzept sah vor, über Betriebsräte, KonsumentInnen-Räte und staatlichen VertreterInnen die unter-nehmerischen Entscheidungen zu treffen und somit eine Art „basisdemokratische SozialpartnerInnenschaft“ mit eingeschränktem Mitspracherecht der KapitalistInnen zu schaffen.
In Zeiten der Weltwirtschaftskrise würde sich somit eine Perspektive für staatlich „zu rettende Betriebe“ wie z.B. die Austrian Airlines auftun: Der staatlichen Subventionierung großer Konzerne wie Lufthansa oder Magna könnte die Forderung nach Errichtung eines öffentlichen Betriebes mit demokratischen Bestimmungsrechten für Belegschaft und Gesellschaft entgegengestellt werden.
Konkret wird die Perspektive der Demokratisierung der Arbeitswelt besonders innerhalb der Bewegung solidarischer Ökonomie wieder diskutiert (vgl. z.B. www.solidarische-oekonomie.at; Altvater/Sekler 2006). Dabei geht es meistens noch um Bewegungen, die in erster Linie jenseits oder gegen den Staat agieren und dabei versuchen auf lokaler Ebene Konzepte zur Demokratisierung der Arbeitswelt zu verwirklichen. Der Bezug auf einen zu veröffentlichenden Staat könnte hier in zweierlei Hinsicht Impulse geben: Einerseits kann mit Hilfe staatlicher Gelder das Bestehen im Konkurrenzkampf erleichtert werden, um Problemen wie möglicher „Selbstausbeutung“ begegnen zu können; andererseits könnten solidar-ökonomisch geführte Betriebe auch als „Schulen der Demokratie“ wirken, die Impulse zur Veröffentlichung und Vergesellschaftung von Staat und Wirtschaft geben.
Fazit: Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft
Die hier vertretene Perspektive der Demokratisierung setzt an der Alltagswelt an. Das schließt natürlich auch die Familie bzw. den Haushalt als ursprünglichen Hort des Privaten mit ein. Im Hinblick auf Geschlechtergerechtigkeit und innerfamilärer Demokratie sind dabei viele Prozesse involviert, die hier nicht gesondert behandelt wurden. Die zentralen Bezüge dieses Beitrags waren im Hinblick auf das Aufkommen einer post-demokratischen Gesellschaft alternative Zugänge in Form der Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft vorzustellen. Das impliziert auch, nicht jegliche Verstaatlichung bzw. Einsatz staatlicher Mittel positiv zu sehen. Vielmehr gilt es, beständig demokratische Meinungsbildung einzufordern und somit Staat und Öffentlichkeit begrifflich voneinander zu unterscheiden. Dabei kann ein wahrhaft öffentlicher Sektor als konkrete Utopie dienen. Das schließt auch die Sozialisierung bzw. Demokratisierung von Unternehmen mit ein, was als Alternative zu staatlich subventionierten Privatisierungen oder der reinen staatlichen Subventionierung privater Unternehmen gesehen werden kann.
Gleichzeitig ist auch zu betonen, dass der erste Schritt zur Demokratisierung die öffentliche Thematisierung – d.h. die Politisierung – gesellschaftlicher Probleme stehen muss. Diese Politisierung beginnt im Alltag, im eigenen Haushalt, am eigenen Arbeitsplatz, geht aber gleichzeitig auch in die Makro-Ebene politischen Handelns. Die Zusammensetzung von „Expertengremien“ für politische Reformen ist demnach im Hinblick auf die vertretenen und ausgeschlossenen Interessen genauso zu hinterfragen wie Entscheidungsstrukturen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene.
Im Hinblick auf politische Entscheidungen im Zuge der Krisenbewältigung ist die Budgetpolitik von besonderem Interesse: Wer bezahlt für die Krise? Wem wird geholfen? Wer leidet besonders unter den Auswirkungen? „Bankenrettungspakete“, staatliche Gelder an die männlich dominierte Automobilindustrie, Privatisierung und gleichzeitige Subventionierung großer Fluglinien sprechen diesbezüglich eine deutliche Sprache. Um zu diesen Praktiken Alternativen formulieren zu können, lohnt sich ein Blick auf aktuelle Entwicklungen in Lateinamerika ebenso sehr wie ein Blick in die jüngere Geschichte Europas. In der Verarbeitung dieser Erfahrungen ist jedoch ebenso wichtig, aus den damals aufgetretenen Problemen und Widersprüchen zu lernen, um neue – bessere – Alternativen realistisch formulieren zu können. Es bleibt die Hoffnung, dass dieser Weg von progressiven Kräften und nicht von deren neoliberalen oder neo-faschistischen Widerparts erfolgreich beschritten wird.
Literatur
Altvater, Elmar/Sekler, Nicola (Hg., 2006): Solidarische Ökonomie. Reader des Wissenschaftlichen Beirats von Attac. Hamburg: VSA.
Bauer, Otto (1976): Der Weg zum Sozialismus. Werkausgabe. Wien: Europaverlag. Erstaufl. 1919, 89–131.
Crouch, Colin (2008): Postdemokratie. Frankfurt: Suhrkamp.
Leubolt, Bernhard (2006): Staat als Gemeinwesen. Das Partizipative Budget in Rio Grande do Sul und Porto Alegre. Wien: LIT.
Mouffe, Chantal (2006): On the Political. London: Routledge.
* Der vorliegende Artikel basiert auf einem Beitrag zum Eröffnungspodium der attac Sommer-akademie 2009 in Krems zum Themenfeld „Alternativen rund um die globale Krise, Strategien zu einem zukünftigen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem“ und wird auch in einer Broschüre im ÖGB-Verlag veröffentlicht.
** Stipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung im Promotionskolleg „Global Social Policies and Governance“ an der Universität Kassel, wissenschaftlicher Projektmitarbeiter an der WU-Wien, Redaktionsmitglied des „Journal für Entwicklungspolitik“, Vorstandsmitglied des BEIGEWUM.
Wege aus der Krise? Einige Anmerkungen
Es gibt zwei Grundmuster des Wirtschaftens:
* Gemeinwirtschaftlichkeit: Niemand kann bei wirtschaftlichen Handlungen zu Lasten anderer (Erwerbs-)Vorteile für sich erzielen.
* Eigenwirtschaftlichkeit: Wirtschaftliche Handlungen werden mit der Absicht unternommen, (Erwerbs-)Vorteile für sich ohne Rücksicht darauf zu erzielen, zu wessen Lasten sie gehen.
Demgemäß gibt es zwei Grundmuster der Verteilung von Überschüssen: Sie werden
* entweder von der Gemeinschaft, die sie hervorgebracht hat, nach von der Gemeinschaft selbst festgelegten Regeln ebenso gemeinschaftlich genutzt beziehungsweise verbraucht
* oder von einer Person oder Wirtschaftseinheit auf eine andere Person oder Wirtschaftseinheit übertragen, wobei diese Übertragung
— entweder als Raub, also als erzwungene Hergabe und gewaltsame Aneignung,
— oder als Tausch, also als Verkauf und Kauf auf einem Markt (Vertrag durch schlüssige Handlungen) stattfinden kann.
Diese Grundmuster lassen sich zeitgenössisch als Solidarische Ökonomie und als Kapitalistische Rivalitätswirtschaft fassen.
Bedingt durch die politische Schwäche der Arbeiter/innenbewegung nicht erst seit zwei Jahrzehnten wurden solidarökonomische Elemente zunehmend aus der vorherrschenden kapitalistischen Ökonomie verdrängt. Das neoliberale Dogma vom „freien Wettbewerb in offener Marktwirtschaft“ hat zur Rivalität (auch unter den Kapitalfraktionen) und zum Totalitarismus des privaten Gewinnemachens geführt. Der Leistungsfetischismus wurde zum Leistungsfaschismus weiter pervertiert. Leistungsträger/innen, die den maximalen Anforderungen des Finanzkapitals nicht gewachsen sind („Minderleister/innen“) oder sogar Widerstand entgegensetzen, werden durch Hinauswurf aus den „Tempeln der Mehrwertabschöpfung“ bei gleichzeitiger Kürzung von Sozialleistungen gesellschaftlich „liquidiert“. Die in den ökonomischen Strukturen verborgene Gewalt läuft ebenso brutal auf eine soziale Vernichtung hinaus wie die offene Gewalt des Faschismus auf die physische Vernichtung.
So offenbart sich in der aktuellen Krise die Systemeigentümlichkeit des Kapitalismus: die Beeinträchtigung der Gesamtgesellschaft durch die „Kaufkraftschwächung“ ihrer Mehrheit. Als „Kostenfaktoren“ sind erwerbsarbeitende Menschen Störelemente im verselbstständigten Hauptzweck der kapitalistischen Wirtschaft, dem Trieb der privaten Kapitalanhäufung. Das Kapital als „Kommando über unbezahlte Arbeit“, wie Karl Marx und Friedrich Engels in ihrem Hauptwerk sein undemokratisches Wesen bloßlegen, ruft den Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und individueller Aneignung hervor. Er bewirkt, dass „die kapitalistische Produktion … auf der einen Seite für die Gesellschaft verliert, was sie auf der anderen für den einzelnen Kapitalisten gewinnt“. Dazu tragen auch gezielte Privatisierungen öffentlichen und gemeinwirtschaftlichen Eigentums bei. Dadurch werden bedeutsame Bereiche der Gesellschaft dem Einfluss formaldemokratisch legitimierter Körperschaften entzogen und der Verfügungsgewalt demokratieloser Kapitaleigentümergremien unterworfen.
Das Kapital ist ein herrschaftliches Verhältnis zwischen Personen, das durch die Verfügung über Sachen vermittelt wird. So erfolgt unter dem trügerischen Schein von „Sachlichkeit“ die Herabwürdigung von Menschen zu „Arbeitskräften“, die nur solange Erwerbsarbeit finden, solange sie als „Waren“ für das Kapital verwertbar sind. Daraus resultiert eine tendenzielle Beeinträchtigung ihres Zutrauens in die Zuverlässigkeit ihrer eigenen Erfahrung. Dieser Zerstörungsvorgang bereitet die seelische Grundlage für das Empfinden auf, bedeutungslos zu sein, und führt zum Entstehen von Ich-Schwäche. Ganz zu schweigen davon, dass diese psychischen Mechanismen bei Erwerbsarbeitslosen noch viel heftiger wirken. Fehlende politische Bildung und mangelnde Kenntnisse von gesellschaftlichen Zusammenhängen begünstigen zusätzlich die Anfälligkeit vieler Betroffener für autoritäre Lösungen zu Lasten anderer Benachteiligter. Die Entfremdung durch Erwerbsarbeit oder ihr Fehlen wird politisch zur menschlichen Selbstentfremdung verdreht. Das Kapital erweist sich dadurch nicht bloß als demokratielos, sondern vielmehr als demokratiegefährdend.
Die Demokratielosigkeit der Wirtschaft wird damit zum Hauptansatzpunkt für Bemühungen, Wege aus der Krise zu finden. Denn milliardenschwere Konjunkturpakete, Stützungen und Garantien der Öffentlichen Hand nahezu bedingungslos über die bestehende kapitalistische Wirtschaftsstruktur auszuschütten, die diese Krise hervorgebracht hat, läuft nur darauf hinaus, der nächsten Krise Vorschub zu leisten.
Überschüsse sind unverzichtbar, aber ihre automatische Verteilung zum Kapital ist es nicht. Es genügt aber nicht, bloß Umverteilung und diese nur durch Steuern (Sekundärverteilung) oder Transferleistungen (Tertiärverteilung) bewerkstelligen zu wollen. Diese von repräsentativ-demokratischen Körperschaften zu beschließenden Maßnahmen können auf Dauer die „automatische“ Umverteilung von der Arbeit zum Kapital durch die antidemokratische kapitalistische Eigentumsordnung nicht korrigieren. Dafür bedarf es Eingriffe in die Primärverteilung, also in die Verteilung des gesellschaftlichen Mehrprodukts dort, wo es entsteht: im demokratielosen Bereich der Arbeitswelt. Es geht damit auch um die Verwirklichung eines anderen Arbeitsbegriffs, der auf einem Bewusstsein der Menschen von ihrer gesellschaftlichen Verbundenheit beruht, von den Elementen der Solidarität sowie des Schöpferischen und Identitätsstiftenden geprägt und die Grundlage eines „guten Lebens für alle“ ist.
Gesellschaftliches Eigentum an Grund und Boden, Fabrik und Büro ist Voraussetzung und Ausdruck dieses Demokratisierungsprozesses. Es entsteht, wenn demokratisch legitimierte Öffentliche Hände die in ihrem Einflussbereich befindlichen Betriebe und Unternehmen gemeinsam mit demokratisch legitimierten Vertreter/inne/n der Beschäftigten und der Verbraucher/innen, „also derjenigen Gruppen, für die der Betrieb da sein soll“, verwalten. Das soll zur „wirtschaftlichen Selbstverwaltung des ganzen Volkes“ führen, wie es der Theoretiker des Austromarxismus Otto Bauer in seinen Sozialisierungskonzepten formulierte.
Gesellschaftliches Eigentum manifestiert sich in der Bestellung von Aufsichts- und Leitungsorganen durch die Triade Öffentliche Hand, Beschäftigte und Verbraucher/innen, in der demokratischen Verteilung des innerbetrieblichen Überschusses auf die einzelnen Einkommensarten nach gesetzlich festgelegten statutarischen Prinzipien beziehungsweise des außerbetrieblich zu verteilenden Überschusses nach gesetzlich festgelegten Zweckbindungen. Diese Strukturmerkmale sollen der Beeinträchtigung der Gesamtgesellschaft durch die Schwächung ihrer gesellschaftlichen Mehrheit vorbeugen sowie einem bedarfsdeckungsorientierten, gebrauchswertgeleiteten und selbstkostenbasierten Wirtschaften Vorschub leisten.
In der Neuzeit reichen Bemühungen um gesellschaftliches Eigentum beispielsweise von den Diggers und der New Model Army im England der Mitte des 17. Jahrhunderts über die Pariser Kommune vom Frühjahr 1871 und die Landbesetzungen in Mexiko Anfang des 20. Jahrhunderts bis zu den Arbeiterräten in Mittel- und Osteuropa sowie den Gemeinwirtschaftlichen Anstalten in Österreich nach dem Ersten Weltkrieg. Sie setzten sich nach dem Zusammenbruch des Faschismus in der jugoslawischen Arbeiterselbstverwaltung, den englischen Arbeiterkooperativen und den besetzten Betrieben Frankreichs fort und leben gegenwärtig weiter in den vielfältigen Mustern der Solidarökonomie in Argentinien, Brasilien und anderen lateinamerikanischen Ländern sowie wie im Genossenschaftsnetzwerk Mondragon im spanischen Baskenland. Diese Bemühungen waren und sind nicht frei von Irrtümern und Fehlern der Bemühenden und sie unterlagen beziehungsweise unterliegen oft den Anfeindungen des Kapitals. Doch belegen diese Anfeindungen die grundsätzliche Richtigkeit dieser Stoßrichtung.
Die Demokratisierung der Wirtschaft eröffnet nicht zwangsläufig das Paradies. Konflikte werden nicht verschwinden, aber für ihre Lösung bieten sich andere Vorgänge an als das Ausspielen ökonomischer Gewalt. Sie gewährleisten jedenfalls die Bedingung der Möglichkeit, nicht mehr länger eine Suppe auslöffeln zu müssen, die uns andere einbrocken, sondern, gesellschaftlich organisiert, unsere Suppe solidarisch selbst zu kochen.
Ist das alles?!
Radikaler als die Wirklichkeit: 34 Millionen schüttelt der Minister aus dem Ärmel, und lädt zu „breitem“ (?) Dialog mit den HochschulpartnerInnen, bevor er sich nach Brüssel verzieht. Eine kurze Bedachtnahme:
Das mit dem Dialog, das hatten wir schon. Kann sich überhaupt noch jemand erinnern? Definieren wir Dialog nach wikipedia als
eine mündlich oder schriftlich zwischen zwei oder mehreren Personen geführte Rede und Gegenrede,
dann ist das Unternehmen damals gründlich schief gegangen. Wichtiger als der Gesprächsinhalt ist aber ohnehin das Signal, und noch wichtiger als das Signal ist, dass überhaupt etwas gesagt wurde. Also werden sich am 25.11. ein paar (um genau zu sein: 50!) Personen versammeln und einmal reden, und das wars dann. Immerhin wird der Hochschuldialog nicht so teuer wie der Forschungsdialog, von dem wir freilich auch nicht wissen, was er gekostet hat. Wert war er jedenfalls keinen Cent; und auf dieses Preis-Leistungsverhältnis wird der Event Ende November sicher auch kommen.
Und das führt schon zum zweiten Punkt: Die Transparenz. Dass Hahn plötzlich so viel Geld hat, machte einige stutzig. Aber ob nun das Geld aus einer Quelle kommt, die vorher den Unis abgezwackt wurde, ist gar nicht so wichtig. Problematischer ist die Art, wie die Mittel plötzlich aus dem Hut gezaubert werden – vom Gönner Gio, der einen glimpflichen Ausgang der ganzen Uni-Affäre braucht, will er wirklich das Forschungsressort in Brüssel übernehmen – und wie sie vergeben werden – von den Rektoraten, in Zusammenarbeit mit der ÖH. Das ist die Politik der Symbolik, in der es um keine inhaltliche Auseinandersetzung geht. Und es ist auch eine Politik der Verantwortungslosigkeit, in der sich der zuständige Ressortleiter abputzt an den Verteilungskämpfen, die unter seinen wachsamen Augen dann ausgetragen werden.
Die Forderungen der Studierenden und der Lehrenden (zumindest jener, die sich mit den BesetzerInnen solidarisch erklärt haben) klingen ja anders. Aber mich irritiert, dass vor allem letztere auf Hahns unerwartete Geldspende bisher noch gar nicht reagiert haben. Wie wäre es denn damit, dass die „externen“ LektorInnen an jenen Instituten, wo sie mehr als 50% der Lehre tragen, ihre Verträge kündigen oder, wenn das rechtlich nicht gut möglich ist, sich soweit solidarisieren, dass sie keine zukünftigen Verträge mehr unterschreiben, sofern dort nicht substantielle Verbesserungen drinnen stehen? Ich wüsste einige Studienrichtungen, da würde der Lehrbetrieb sofort zusammenbrechen.