Deutschland – Totengräber der Währungsunion? – BEIGEWUM

Deutschland – Totengräber der Währungsunion?

am 30. April 2010 um 16:14h

Die Wei­ge­rung der deut­schen Bun­des­re­gie­rung, Grie­chen­land in der sich seit Mona­ten zuspit­zen­den Schul­den­kri­se unter die Arme zu grei­fen, hat die grie­chi­sche Kri­se zu einer euro­päi­schen Kri­se wer­den las­sen. Mehr noch, mitt­ler­wei­le steht die Zukunft der Wäh­rungs­uni­on auf dem Spiel. Dar­über ent­schei­den wird maß­geb­lich das Ver­hal­ten der deut­schen Politik.

 

Das vor allem in Deutsch­land – aber auch in Öster­reich – ver­brei­te­te Grie­chen­land-Bashing und das kaum ver­hoh­le­ne Wie­der­auf­le­ben anti-grie­chi­scher Res­sen­ti­ments, ist nicht nur öko­no­misch gefähr­lich, son­dern wird die kul­tu­rel­le Kluft zwi­schen den Mit­glieds­staa­ten der EU ver­tie­fen und damit die Fun­da­men­te einer wei­ter­ge­hen­den poli­ti­schen Inte­gra­ti­on aus­höh­len. Wer am Pro­jekt Euro­pa fest­hal­ten will, soll­te gera­de in der Kri­se nicht popu­lis­ti­schen Ver­kür­zun­gen erlie­gen, son­dern eine aus­ge­wo­ge­ne Ursa­chen­for­schung betrei­ben. Das bedeu­tet zum ers­ten, anzu­er­ken­nen, dass es haus­ge­mach­te Feh­ler der grie­chi­schen Wirt­schafts­po­li­tik der letz­ten 10 Jah­re gege­ben hat – so war das Bud­get­de­fi­zit vor Aus­bruch der Kri­se bei hohen 5%. Die der­zei­ti­ge Höhe des Defi­zits (13%) ist aber maß­geb­lich auf den Aus­bruch der glo­ba­len Finanz­kri­se zurück­füh­ren. Es kann nicht als Ver­sa­gen des grie­chi­schen Staats gel­ten. Die Grie­chen sind auch ent­ge­gen vor­herr­schen­der Vor­ur­tei­le nicht faul. Das Pro­duk­ti­vi­täts­wachs­tum Grie­chen­land über­stieg das deut­sche um das Dop­pel­te seit Ein­füh­rung des Euro im Jahr 1999. Die Grie­chen sind auch das Volk mit der längs­ten jähr­li­chen Arbeits­zeit in Europa.

 

Zum Zwei­ten muss man ganz klar sagen, dass Deutsch­land selbst eine Geschich­te als Bud­get­sün­der hat. So wur­de in den Jah­ren 2001–2005 das Defi­zit­kri­te­ri­um des Sta­bi­li­täts­pakts regel­mä­ßig ver­letzt. Auf maß­geb­li­ches Drän­gen der deut­schen Regie­rung ist es 2005 zu einer Auf­wei­chung des Sta­bi­li­täts­pakts gekom­men. Übri­gens ist die deut­sche Bun­des­re­gie­rung damals kläg­lich mit dem Ver­such geschei­tert, sein Bud­get durch Spar­pro­gram­me zu sanie­ren. Genau das wird jetzt aber von Grie­chen­land ver­langt. Die Regie­rung Mer­kel misst also mit zwei­er­lei Maß, wenn es jetzt Grie­chen­land und ande­ren EU-Staa­ten bru­ta­le Spar­pro­gram­me auf­zwin­gen will.

 

Drit­tens hät­te es gar nicht soweit mit Grie­chen­land kom­men müs­sen. Die regel­rech­te Ver­zö­ge­rungs­tak­tik der Bun­des­re­gie­rung wäh­rend der letz­ten Mona­te bei der Aus­ar­bei­tung des Hilfs­pa­kets hat zu einer mas­si­ven Ver­un­si­che­rung auf den Finanz­märk­ten geführt und Spe­ku­lan­ten auf den Plan geru­fen, die auf einen Staats­bank­rott Grie­chen­lands gewet­tet haben. Daher das Explo­die­ren der Risi­ko­auf­schlä­ge auf grie­chi­sche Staats­an­lei­hen der letz­ten Wochen. Bei einer raschen Ret­tungs­ak­ti­on wäre eine sol­che Dyna­mik erst gar nicht entstanden.

 

Vier­tens ver­stellt der herr­schen­de wirt­schafts­po­li­ti­sche Dis­kurs in Deutsch­land den Blick auf die öko­no­mi­schen Funk­ti­ons­be­din­gun­gen einer Wäh­rungs­uni­on. Der ers­te Grund­satz lau­tet, dass die makro­öko­no­mi­sche Sta­bi­li­tät einer Wäh­rungs­uni­on nur dann gewähr­leis­tet wer­den kann, wenn es zu einer rea­len Kon­ver­genz von Prei­sen und Löh­nen kommt. Hier­bei spielt die Lohn­po­li­tik eine zen­tra­le Rol­le. Nur wenn die Lohn­ab­schlüs­se in den Mit­glieds­staa­ten sich an der Ziel­in­fla­ti­ons­ra­te der EZB und dem natio­na­len Pro­duk­ti­vi­täts­wachs­tum ori­en­tie­ren, kann ver­hin­dert wer­den, dass es zu einer Aus­ein­an­der­ent­wick­lung der Lohn­stück­kos­ten kommt. Gelingt dies nicht, kommt es unwei­ger­lich zu Ver­än­de­run­gen der preis­li­chen Wett­be­werbs­fä­hig­keit der natio­na­len Export­in­dus­trien, die dann wie­der­um zu stei­gen­den Han­dels­bi­lanz­un­gleich­ge­wich­ten füh­ren. Genau das ist in der Wäh­rungs­uni­on pas­siert. Län­der wie Grie­chen­land hat­ten in den letz­ten 10 Jah­ren zu hohe Lohn­ab­schlüs­se mit dem­entspre­chend nega­ti­ven Effek­ten auf ihren Han­dels­bi­lanz­sal­do (-14% 2008). In Län­dern mit unter­durch­schnitt­li­chen Lohn­ab­schlüs­sen, allen vor­an Deutsch­land, kam es zu einem regel­rech­ten Export­boom mit hohen Außen­han­dels­über­schüs­sen. Das heißt, bei­de Sei­ten haben gegen die Regeln ver­sto­ßen, die einen mit zu hohen Lohn­ab­schlüs­sen, die ande­ren mit zu nied­ri­gen. Wenn klei­ne Län­der wie Öster­reich über Expor­te wach­sen wol­len, mag das noch ver­kraft­bar sein. Wenn das aber die Wachs­tums­stra­te­gie der größ­ten Volks­wirt­schaft der EU ist, muss dies zu mas­si­ven außen­wirt­schaft­li­chen Ver­wer­fun­gen füh­ren. In einer Wäh­rungs­uni­on fällt aber das wirt­schafts­po­li­ti­sche Mit­tel der Wahl zum Abbau von Han­dels­bi­lanz­un­gleich­ge­wich­ten, näm­lich eine Wäh­rungs­ab­wer­tung, weg. Der Abbau des Ungleich­ge­wichts geht nur über eine rea­le Ab- bzw. Auf­wer­tung. Mit ande­ren Wor­ten: Grie­chen­land muss sei­ne Prei­se und Löh­ne sen­ken, Deutsch­land die­se erhö­hen. Der der­zei­ti­ge Lösungs­an­satz von EU und IWF kon­zen­triert sich aller­dings ein­sei­tig auf ers­te­res, zwei­te­res wird igno­riert. Schlim­mer noch: das deut­sche Estab­lish­ment wei­gert sich beharr­lich, sei­nen Teil der Ver­ant­wor­tung an der Kri­se anzu­er­ken­nen und die not­wen­di­gen struk­tu­rel­len Gegen­maß­nah­men zu ergrei­fen. Im Gegen­teil: am Dog­ma, dass die Erhö­hung der preis­li­chen Wett­be­werbs­fä­hig­keit durch nied­ri­ge Lohn­ab­schlüs­se immer und über­all die rich­ti­ge wirt­schafts­po­li­ti­sche Stra­te­gie dar­stellt, wird hart­nä­ckig festgehalten.

 

Das in der Dis­kus­si­on stra­pa­zier­te mora­li­sche Argu­ment, kein Land dür­fe über sei­ne Ver­hält­nis­se leben und mehr Schul­den auf­neh­men als es zurück­zah­len kann (und müs­se daher bei Zah­lungs­un­fä­hig­keit durch stren­ge Spar­auf­la­gen bestraft wer­den), sieht nicht nur von der mora­li­schen Ver­ant­wor­tung des Gläu­bi­gers ab, son­dern zeugt von öko­no­mi­schem Maso­chis­mus und poli­ti­scher Kurz­sich­tig­keit. Wenn Grie­chen­land – und in wei­te­rer Fol­ge ande­re von Schul­den­kri­sen bedroh­te Län­der wie Por­tu­gal, Spa­ni­en oder Irland, jetzt auf Jah­re zu stren­ger Spar­po­li­tik gezwun­gen wer­den, lei­det zual­ler­erst die größ­te euro­päi­sche Export­na­ti­on, indem für deut­sche Export­pro­duk­te Absatz­märk­te weg bre­chen. Zum zwei­ten wird damit jede Wachs­tums­dy­na­mik in den Schuld­ner­län­dern abge­würgt, und in Fol­ge des­sen die Fähig­keit zur Rück­zah­lung der Schul­den erst recht wie­der in Fra­ge gestellt. Zahl­rei­che Schul­den­kri­sen der jün­ge­ren Geschich­te haben gezeigt, dass ein Land sich aus sei­nen Schul­den nicht her­aus­spa­ren, son­dern nur her­aus­wach­sen kann. Ent­schei­dend für die Zah­lungs­fä­hig­keit Grie­chen­lands wird daher sein, dass es rasch auf einen Wachs­tums­pfad zurück­keh­ren kann. Dafür braucht es kurz­fris­tig Über­brü­ckungs­kre­di­te von EU und IWF sowie eine Umschul­dung mit einer sub­stan­zi­el­len Reduk­ti­on der Schul­den­last zulas­ten der Gläu­bi­ger grie­chi­scher Staats­an­lei­hen. Dar­über hin­aus muss es aber eine par­ti­el­le Rück­nah­me bzw. zeit­li­che Stre­ckung der über­zo­gen stren­gen Spar­auf­la­gen geben. Nur so kann Grie­chen­land in die Lage ver­setzt wer­den, Inves­ti­tio­nen in die Wett­be­werbs­fä­hig­keit sei­ner Wirt­schaft zu täti­gen und die schlimms­ten sozia­len Aus­wir­kun­gen der Kri­se auf sei­ne Bevöl­ke­rung abzu­mil­dern. Wer in Deutsch­land und anders­wo dar­an inter­es­siert ist, dass das euro­päi­sche Pro­jekt eine poli­ti­sche Zukunft hat, soll­te gera­de den letz­ten Punkt nicht aus den Augen verlieren.


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