BEIGEWUM-Stellungnahme zur Budgetkonsolidierung
Alternativen zur neoliberalen Budgetkonsolidierung
Die Auswirkungen der stärksten Krise des kapitalistischen Wirtschaftssystems seit 80 Jahren konnten mit massiver Staatsintervention diesmal vergleichsweise rasch eingedämmt werden. Banken wurden gerettet, der Wirtschaftseinbruch begrenzt, die Masseneinkommen stabilisiert, zumindest in Österreich der Anstieg der Arbeitslosigkeit überschaubar gehalten – aber vor allem wurden auch die Vermögenswerte gesichert. All das gab es nicht zum Nulltarif – im Gegenteil: Alleine in der Eurozone sammelten sich Krisenschulden in Höhe von einem Fünftel der Wirtschaftsleistung an, rund 1,5 Billionen Euro (AT: rund 10 % des BIP bzw. knapp 30 Mrd Euro).
Vor diesem Hintergrund mehren sich die Versuche, das Verursacherprinzip aus den gegenwärtigen budgetpolitischen Debatten auszublenden. Umso mehr bedarf es der Klarstellung, dass die höhere Staatsverschuldung tatsächlich aufgrund der Krise – und nicht aufgrund plötzlich überbordender Sozialleistungen – so rasch steigt: Die Krisenschuld drückt sich eben nicht nur in Banken- und Konjunkturpaketen, sondern eben auch in höheren Sozialausgaben für Arbeitslosigkeit, sinkendes Abgabenaufkommen und steigende Abgangsdeckungen der Beitragsausfälle in den Sozialversicherungstöpfen aus. Gleichzeitig ist hervorzustreichen, dass gerade im Hauptkrisenjahr 2009 die Vermögen bzw. die Zahl der Millionäre gemäß diversen Wealth Reports 2009 wieder deutlich gestiegen ist – vor allem aufgrund steigender Börsenkurse. Diese hängen eng damit zusammen, dass Unternehmen bei Personal sowie Investitionen sparten, während sie zumeist die Dividendenausschüttungsquoten steigerten und ManagerInnenbezüge üppig beließen.
Krise als Chance neoliberaler Reformpolitik?
Folgt man der Logik von OECD, EZB, EU-Kommission sowie Wirtschaftslobbys und ihren Parteien, müssen die Krisenschulden nun möglichst radikal abgebaut werden. Am besten durch eine verschärfte Durchsetzung der bereits vor der Krise ins Stocken geratenen neoliberalen Reformpolitik (kaum weitere Liberalisierung von Dienstleistungen, öffentlicher Daseinsvorsorge oder Arbeitsbeziehungen). Am Programm stehen insbesondere Kürzungen der Staatshaushalte mit dem Ziel einer erneuerten Intensität der wettbewerbsstaatlichen Restrukturierung, Abbau der sozialen Sicherheit und erhöhter Druck auf Beschäftigte länger und zu schlechteren Bedingungen zu arbeiten. Wo das nicht ausreicht, sollen Massensteuern die Kassen füllen und vor allem ärmeren Haushalten so manche Laster finanziell ausgetrieben werden (Tabak, Alkohol, Energieverbrauch).
Diskursiv werden die Krisenschulden zunehmend in ein „Leben über den Verhältnissen“ der gesamten Bevölkerung bzw des Staatsapparates umgedeutet, welches nun nicht mehr leistbar sei. So wird die Verteilungsfrage bewusst ausgeblendet, die sich sowohl vor, in und nach der Krise stellt. Folglich werden höhere Steuern für besonders wohlhabende Schichten bestenfalls in Fußnoten in Betracht gezogen. Im Mittelpunkt steht aber nur eines, nämlich Sparen – bevorzugt bei möglichst weiten Teilen der Bevölkerung: PensionistInnen, Arbeitslosen, SchülerInnen, öffentlich Bediensteten, sozial Schwächeren, usw. Ganz im Sinne des Thatcher’schen Leitspruchs heißt es wieder „There is no alternative“. Dass dies unvermeidliche negative Folgen nicht nur für die Betroffenen, sondern auch gesamtgesellschaftlich in Form von höherer Arbeitslosigkeit und niedrigerem Wohlstand für alle hat, wird zwar immer wieder wissenschaftlich bestätigt, aber politisch ignoriert oder mit der zweifelhaften Prognose von positiven Effekten in 30 Jahren verschleiert. Ebenso, dass es genau deshalb eine breite gesellschaftliche Debatte und mehr Mitbestimmung statt Sachzwang- und Blut-Schweiß-Tränen-Logik bedürfte.
Dieses war bereits das dominierende Muster der Krisenpolitiken der 1980er und 1990er. Die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre wurde hingegen – spätestens nach der Überwindung der sie begleitenden Faschismen – noch zu einem fundamentalen Wechsel in der Wirtschaftspolitik genutzt, der in den Industriestaaten zumindest bis Ende der 60er noch nie dagewesene Wohlstandszuwächse brachte.
Alternativen zu Sparen UND Schulden gefragt
Budgetdefizite sind in spezifischen Situationen – wie insbesondere der aktuellen – zwecks Stabilisierung der Wirtschaft im Sinne einer keynesianischen Wirtschaftspolitik, teuren Großprojekte oder zwecks Investitionen mit einem über den Zinskosten liegendem Ertragswert zweifelsohne sinnvoll. Langfristig sollte eine wachsende Staatsverschuldungsquote aber vermieden werden: Erstens würde sie zu einem wachsenden Anteil der Zinskosten an den Gesamtausgaben führen, sprich es bleibt ein geringerer Teil für andere Ausgaben. Zweitens steigt die potenzielle Abhängigkeit von den KapitalgeberInnen (auch wenn diese nur in den seltensten Fällen so konkret manifest wird wie zuletzt etwa in Griechenland). Drittens verteilen sie zu Wohlhabenden um, denn Staatsschulden sind immer auch – im Allgemeinen sehr ungleich verteilte – Finanzvermögen anderer: insbesondere von Banken, weiters von Investmentfonds und Versicherungen, eher seltener direkt von reichen Privatpersonen. Es ist eine besondere Ironie der Krise, wenn nun die staatlich geretteten Banken – deren Entscheidungsgremien zumeist nicht angetastet wurden – nun ihre Macht als wichtigste Kapitalgeberinnen der Staaten gegen diese ausspielen und via höhere Zinsen durch Risikoaufschläge maßgeblich daran verdienen.
Eine höhere Verschuldung ist daher bis zu einem gewissen Grad nur ein schlechtes Substitut für höhere vermögensbezogene Steuern: Im einen Fall muss das Geld plus Zinsen wieder zurückgezahlt werden, im anderen steht es per Gesetz der öffentlichen Hand zu. Im einen Fall wird die politische Macht des Finanzkapitals gestärkt, im anderen die Entscheidungsmacht der Finanziers eingeschränkt. So schlug bereits Joseph Schumpeter zu Beginn der 1. Republik vor, die damaligen Kriegsschulden mit einer einmaligen, großen Vermögensabgabe zu tilgen. In der aktuellen Krise forderte lediglich die IG-Metall in Deutschland eine Zwangsanleihe für Reiche, die realpolitisch jedoch noch weniger Erfolgsaussicht haben dürfte als zumindest moderate vermögensbezogene Abgaben.
Herausforderungen Arbeitslosigkeit und Krisenvermeidung nicht minder dringlich
Zur Konsolidierung der Staatsfinanzen gibt es mittelfristig folglich tatsächlich keine Alternative, sehr wohl aber bezüglich „wer“, „wann“ und des „wie“. Wichtig ist, dass sie nicht losgelöst von der Wirtschaftskrise erfolgt. Sie soll deshalb Teil einer ausgewogenen Wirtschaftspolitik sein, die neben dem Abbau der Defizite auch einen Abbau der deutlich über 20 Mio Arbeitslosen in Europa, höhere und gleicher verteilte Wohlstandsgewinne, einen ökologischen Umbau der Wirtschaft usw. zum Ziel hat. Sie muss aber auch auf eine Vermeidung zukünftiger Krisen abzielen, denn angesichts der Dimension der Krisenschulden wäre ihre Vermeidung die mit Abstand beste Konsolidierungsstrategie gewesen. Ausgangspunkt müssen deshalb auch Lösungen der strukturellen Krisenursachen sein – im Wesentlichen die in Deutschland vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung geprägten „3 U“: Ungleichheit, Ungleichgewichte im Außenhandel und Unvernunft auf den Finanzmärkten.
Die aktuellen Konsolidierungsprozesse auf europäischer wie nationaler Ebene sind Versuche eine unsoziale Politik der leeren Kassen durchzusetzen: Fahrlässig produzierte Defizite werden genutzt um staatliche Leistungen einzuschränken oder zu privatisieren. Auch diesmal wird hauptsächlich auf Ausgabenkürzungen gesetzt werden, während Vermögen bzw der Finanzsektor kaum belastet werden. Diese Kürzungen dämpfen jedoch die wirtschaftliche Erholung, Beschäftigung und sozialen Zusammenhalt, denn Staatsausgaben sind verantwortlich für einen wesentlichen Teil der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Gerade in Ländern wie Spanien wäre es fatal, wie angekündigt bereits 2013 die Maastricht-Kriterien wieder einzuhalten, zumindest solange die Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung nicht kräftig anziehen. Gefragt ist außerdem eine differenzierte Strategie: Länder mit Leistungsbilanzüberschüssen und unterdurchschnittlichen Defiziten sollten eine weniger restriktive Fiskalpolitik fahren um den Spielraum von Spanien & Co zu erhöhen.
In Österreich sieht der Plan der Bundesregierung für 2011 eine Defizitreduktion von bis zu 4 Mrd Euro mit ausgabenseitigem Schwerpunkt vor – gerade vor dem Hintergrund einer im europäischen Vergleich guten Ausgangslage eine absurd hohe Vorgabe (insbesondere wenn – wie von der Regierung vorgesehen – im Bildungsbereich mehr Millionen als beim Heer eingespart werden sollen). Es ist zu befürchten, dass Unterfinanzierung im Bildungsbereich, fehlende Förderung von Kleinkindern, Arbeitslosigkeit und fehlende soziale Absicherung die Chancen zukünftiger Generationen beschränken. Gemäß WIFO-Studien müsste ein Konsolidierungsvolumen von einer Milliarde Euro – je nach Maßnahme – bis zu 0,7 % des BIP bzw 25.000 Arbeitsplätze kosten. Das wird wiederum dazu führen, dass die Konsolidierung selbst gefährdet ist, weil der Nachfrageausfall zB die Staatseinnahmen weiter senkt oder die Ausgaben durch Arbeitslosigkeit erhöht. Es wird geschätzt, dass ein um 1 %-Punkt niedrigeres Wirtschaftswachstum das Budgetdefizit um knapp 0,5 % des BIP verschlechtert. Sparen alle Europäischen Staaten gleichzeitig, verstärken sich die negativen Effekte sogar noch wechselseitig.
Vermögende und Finanzsektor besteuern
Die Konsolidierung muss folglich zuallererst auf der Einnahmenseite ansetzen und zwar dort, wo sie eine adäquate Krisenantwort sind und von den Betroffenen geschultert werden können: bei Vermögenden. Das würde bedeuten, Vermögenszuwächse, Erbschaften und Schenkungen sowie Vermögen an sich zu belasten sowie höhere Spitzensteuersätze auf sehr hohe Einkommen einzuheben (zB ab etwa 250.000 Euro/Jahr). Zusätzlich müssten im Finanzsektor destabilisierende Aktivitäten reduziert werden, auch – aber nicht nur – mit Steuern: Finanztransaktionssteuer, Bankenabgabe und höhere Besteuerung von Bonifikationen können hier positive Lenkungseffekte bringen. Diese Steuern können zudem als Abgeltung für die Rettung der Vermögen der BankaktionärInnen auf Staatskosten gesehen werden, die ohne Intervention deutlich verringert oder vernichtet worden wären.
Sie sind aber auch aus anderen Gründen anderen Maßnahmen wie höheren Ausgabenkürzungen vorzuziehen: Sie wirken sich positiv auf die Einkommensverteilung aus, sie stehen in engem Zusammenhang mit der Krise, sie finden eine relativ breite Zustimmung in der Bevölkerung und sie haben kaum negative Folgen für die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, da Reiche eher mit Spar- als mit Konsumverzicht reagieren. Speziell in Österreich kommt hinzu, dass die Abgabenquote von Vermögen auch im internationalen Vergleich rekordverdächtig niedrig ist.
Das Defizit-Dilemma ist nur langfristig und mit höheren vermögensbezogenen Steuern sinnvoll zu lösen, die nicht nur wenig wachstumshemmend, sondern vor allem auch sozial gerecht sind. Höhere Steuern sind auch deshalb angebracht, weil andernfalls ein Abbau der Krisenschulden wohl zu Lasten notwendiger Zukunftsinvestitionen geht: qualitativ hochwertige Bildung, Pflege, Kinderbetreuung sowie Integration und eine Energiewende erfordern höhere Ausgaben, die es für eine Zukunft ohne neoliberalen Backlash zu finanzieren gilt.