Schuldenbremse nach deutschem Vorbild? – BEIGEWUM

Schuldenbremse nach deutschem Vorbild?

am 8. August 2010 um 19:31h

Die Indus­tri­el­len­ver­ei­ni­gung und das IHS wol­len eine Schul­den­brem­se in Öster­reich ein­füh­ren und sich dabei an Deutsch­land ori­en­tie­ren. So berich­ten es u.a. der Stan­dard und der ORF. Dabei wird jedoch  über­se­hen, dass die Funk­ti­ons­fä­hig­keit der deut­schen Schul­den­brem­se mas­siv zu bezwei­feln ist (vgl. Him­pe­le 2010), und dass zudem  dog­ma­tisch über Staats­ver­schul­dung gespro­chen wird, ohne  öko­no­mi­sche Argu­men­te und Erwä­gun­gen anzu­füh­ren. Drit­tens  soll mit der deut­schen Schul­den­brem­se dafür gesorgt wer­den, das Bud­get aus­ga­ben­sei­tig zu kon­so­li­die­ren. Eine sinn­vol­le Erhö­hung der Steu­ern wird dabei völ­lig außer Acht gelas­sen. Der Schwei­zer Kan­ton St. Gal­len regelt das anders.


Staatsverschuldung – Gründe und Probleme

Eine Ver­schul­dung des Staa­tes muss immer gut begrün­det wer­den,  da sie Zins­zah­lun­gen und Til­gungs­leis­tun­gen nach sich zieht, was spä­te­re Hand­lungs­mög­lich­kei­ten ein­schränkt. Ganz all­ge­mein kann mit Cor­neo (2009, S. 5) gesagt wer­den, dass „[d]ie first-best-Regel der Finanz­po­li­tik ver­langt, daß die­se so aus­ge­wählt wird, daß die sozia­le Wohl­fahrt des Lan­des bei Ein­hal­tung der Bud­get­be­schrän­kun­gen […] maxi­miert wird.“ Der Staat soll­te sich also dann ver­schul­den, wenn der Ertrag (gerin­ge­re Arbeits­lo­sig­keit, Wirt­schafts­wachs­tum, Infra­struk­tur­be­reit­stel­lung, sozia­ler Frie­de …) der schul­den­fi­nan­zier­ten Maß­nah­men die Kos­ten der Ver­schul­dung über­steigt. Dies lässt sich zwar nicht immer ein­deu­tig ermit­teln, kann aber als Annä­he­rung an eine ratio­na­le Finanz­po­li­tik ver­stan­den wer­den. Es kann dem­nach nicht dar­um gehen, Staats­schul­den zu ver­bie­ten, son­dern nur dar­um, Staats­ver­schul­dung gezielt und sinn­voll einzusetzen.
Die Arbeits­grup­pe Alter­na­ti­ve Wirt­schafts­po­li­tik (2005, S. 154ff. und 2008, S. 169ff.) hat eini­ge Grün­de für die Staats­ver­schul­dung genannt, die sich wie folgt zusam­men­fas­sen las­sen (vgl. Him­pe­le 2010: 18):


  • Ohne Schul­den gibt es in einer Volks­wirt­schaft kei­ne Erspar­nis, da jeder Geld­for­de­rung eine Ver­bind­lich­keit in glei­cher Höhe ent­ge­gen­ste­hen muss. Wenn die Geld­ver­mö­gens­bil­dung der pri­va­ten Haus­hal­te steigt und die Erspar­nis­se nicht durch nicht­fi­nan­zi­el­le Kapi­tal­ge­sell­schaf­ten als Kre­dit auf­ge­nom­men wer­den (um real zu inves­tie­ren), son­dern die­se im Gegen­teil selbst Über­schüs­se bil­den und über­dies die Ver­schul­dung des Aus­lands begrenzt ist, fin­den die Erspar­nis­se zum Teil kei­ne rea­le Ver­wen­dung. In die­sem Fall muss der Staat „die ‚Lückenbüßer‘-Funktion über­neh­men. Tut er das nicht, wird man­gels bin­nen­wirt­schaft­li­cher Nach­fra­ge die Pro­duk­ti­on zurück­ge­hen“, bis die hier­durch rück­läu­fi­gen Erspar­nis­se der Sum­me aus Investitions‑, Staats­nach­fra­ge und Export­über­schuss ent­spre­chen (Arbeits­grup­pe Alter­na­ti­ve Wirt­schafts­po­li­tik 2008, S. 174).
  • Auch gegen kon­junk­tu­rel­le Abschwün­ge ist Staats­ver­schul­dung ein ratio­na­les Instru­ment, da die „Ratio­na­li­täts­fal­le zwi­schen dem Resul­tat ein­zel­wirt­schaft­li­cher Ent­schei­dun­gen im Wett­be­werb und dem an sich mach­ba­ren höhe­ren Wirt­schafts­wachs­tum samt Beschäf­ti­gung“ nur der Staat über­win­den kann (ebd., S. 176).
  • Inves­ti­tio­nen, die künf­tig zu nach­hal­ti­gen Vor­tei­len füh­ren, kön­nen eben­falls schul­den­fi­nan­ziert werden.
  • Künf­ti­ge Genera­tio­nen erben nicht nur die Schul­den, son­dern auch den Nut­zen der Staats­aus­ga­ben etwa in Form von Infra­struk­tur. Daher kön­nen Inves­ti­tio­nen eben­falls nach dem Prin­zip des pay-as-you-use über Staats­schul­den finan­ziert wer­den (vgl. Arbeits­grup­pe Alter­na­ti­ve Wirt­schafts­po­li­tik 2005, S. 155; dies. 2008, S. 177f.).


Klar ist: Staats­ver­schul­dung birgt erheb­li­che Risi­ken. Klar ist aber auch: Staats­ver­schul­dung kann gezielt und sinn­voll genutzt wer­den. Die Fra­ge, die es zu beant­wor­ten gilt, ist dem­nach, ob die Staats­ver­schul­dung aus zu hohen Aus­ga­ben oder zu gerin­gen Ein­nah­men resul­tiert. Zudem stellt sich die Fra­ge, ob die Diver­genz von Ein­nah­men und Aus­ga­ben tem­po­rär oder struk­tu­rell ist. Ent­spre­chen­de Staats­ver­schul­dun­gen müs­sen sich  an der öko­no­mi­schen Rea­li­tät und nicht an einem popu­lis­ti­schen Dog­ma­tis­mus orientieren.


Die deutsche Schuldenbremse


Die deut­sche Schul­den­brem­se sieht vor, dass die Staats­schul­den in eine struk­tu­rel­le und eine kon­junk­tu­rel­le Kom­po­nen­te unter­teilt wer­den. Die kon­junk­tu­rel­le Kom­po­nen­te soll dabei dazu füh­ren, dass sich der Staat im kon­junk­tu­rel­len Tief ver­schul­den darf, jedoch im kon­junk­tu­rel­len Hoch ent­spre­chen­de Til­gungs­zah­lun­gen zu leis­ten hat. Die struk­tu­rel­le – also nicht näher zu begrün­den­de – Ver­schul­dung soll im Bund ab 2016 maxi­mal 0,35 Pro­zent des BIP betra­gen dür­fen, in den Län­dern soll sie ab 2020 gänz­lich unterbleiben.
Was sich sinn­voll anhö­ren mag birgt erheb­li­che Pro­ble­me. So ist die Unter­tei­lung der Kom­po­nen­ten fak­tisch nicht mög­lich und die Wir­kung kon­junk­tu­rel­ler Ent­wick­lun­gen auf das Bud­get (Bud­get­sen­si­ti­vi­tät) kaum im Vor­aus zu ermit­teln. Die Aus­ge­stal­tung die­ser Rege­lun­gen bestimmt jedoch, wel­che Schul­den tat­säch­lich im Rah­men der gesetz­li­chen Rege­lun­gen mög­lich sind. Wei­te­re Pro­ble­me erge­ben sich in Deutsch­land dadurch, dass die Steu­er­ge­set­ze vom Bund und ggf. unter Zustim­mung der Län­der im Bun­des­rat (per Mehr­heits­ent­schei­dung) erlas­sen wer­den. Daher hat ein ein­zel­nes Land kaum Ein­fluss auf sei­ne Ein­nah­men.  Die Schul­den­brem­se kann also nur aus­ga­ben­sei­tig erreicht wer­den, dies jedoch zu Las­ten der Län­der­aus­ga­ben – in Deutsch­land gehö­ren hier etwa Bil­dung (Schu­len, Hoch­schu­len), Sicher­heit (Poli­zei) und zahl­rei­che sozia­le Leis­tun­gen sowie Kul­tur dazu. In den mit­tel­fris­ti­gen Finanz­pla­nun­gen der Län­der sind des­halb auch erheb­li­che Kür­zun­gen vor­ge­se­hen, so ist bereits eine Hoch­schu­le in Schles­wig-Hol­stein gefähr­det und über­all sol­len Lan­des­per­so­nal abge­baut wer­den. Die­se Poli­tik ori­en­tiert sich  nicht an den Not­wen­dig­kei­ten, son­dern an der Schul­den­brem­se. Frag­lich ist zudem, ob eine der­ar­ti­ge Poli­tik nicht die Bin­nen­nach­fra­ge wei­ter abschnürt und so die Erreich­bar­keit des Ziels der struk­tu­rel­len Null­ver­schul­dung erst recht ver­un­mög­licht. An die­ser Stel­le soll auf eine aus­führ­li­che Dar­stel­lung ver­zich­tet wer­den. Wei­te­re Infor­ma­tio­nen fin­den sich bei Him­pe­le (2010), Tru­ger et al. (2009) und Horn et al. (2008; 2009).


Die Schuldenbremse im Kanton St. Gallen

Deutsch­land ist nicht das ein­zi­ge Land mit einer soge­nann­ten Schul­den­brem­se. Auch die Schweiz hat sol­che Rege­lun­gen, eben­so ein­zel­ne Kan­to­ne, etwa St. Gal­len. Das zuläs­si­ge Defi­zit beträgt hier 3 Pro­zent der ein­fa­chen Steu­er­ein­nah­men des Kan­tons. Erst wenn ein Über­schuss, d.h. höhe­re Staats­ein­nah­men als Staats­aus­ga­ben, erwirt­schaf­tet wur­de, der min­des­tens das Sie­ben­fa­che die­ses zuläs­si­gen Defi­zits beträgt, dür­fen im Kan­ton St. Gal­len die Steu­ern gesenkt wer­den (vgl. Kirch­gäss­ner 2010, S. 8). Damit wird die Ein­nah­me­sei­te des Kan­tons sta­bi­li­siert, da Steu­er­sen­kun­gen nur dann zuläs­sig sind, wenn die Staats­ein­nah­men tat­säch­lich zur Deckung der Staats­aus­ga­ben aus­rei­chen.  Die Schul­den­brem­se damit  auch eine Steu­er­sen­kungs­brem­se. Auf gesamt­schwei­zer Ebe­ne sind die Rege­lun­gen jedoch anders, und Kirch­gäss­ner (2010, S. 15) schreibt dazu: „Die dahin­ter ste­hen­de Phi­lo­so­phie besteht dar­in, die Ein­nah­men zu begren­zen und die Aus­ga­ben an die Ein­nah­men anzu­pas­sen.“ Dies liegt auch dar­an, dass Steu­er­erhö­hun­gen auf natio­na­ler Ebe­ne in der Regel Geset­zes- und/​oder Ver­fas­sungs­än­de­run­gen bedür­fen und daher schwer durch­zu­set­zen sind. Die Bud­get­sa­nie­rung soll dem­nach vor allem aus­ga­ben­sei­tig gesche­hen – dies dürf­te auch für die Poli­tik in Öster­reich gelten.


Schuldenbremse oder Steuersenkungsbremse?

Öster­reich ver­zich­tet auf erheb­li­che Ein­nah­men durch eine ange­mes­se­ne Besteue­rung der Ver­mö­gen. Dar­auf haben wir in die­sem Blog bereits mehr­fach hin­ge­wie­sen (bspw. hier). Ähn­lich wie in Deutsch­land sind zudem immer wie­der Steu­ern für Unter­neh­men gesenkt wor­den, so dass das Land auf Ein­nah­men ver­zich­tet. Das der­zei­ti­ge star­ke Anwach­sen der Staats­schul­den ist zudem auf die Finanz- und Wirt­schafts­kri­se zurück­zu­füh­ren. Die­se wur­de bekannt­lich durch dere­gu­lier­te Finanz­märk­te ver­ur­sacht, und auch , weil Ein­kom­men und Ver­mö­gen immer unglei­cher ver­teilt sind und dadurch die Kri­sen­ten­den­zen ver­stärkt wur­den (vgl. auch BEIGEWUM/​Attac 2010, S. 32ff.).

Die­se Tat­sa­chen sind bekannt. Die Lösung wäre dem­nach eine stär­ke­re Besteue­rung hoher Ein­kom­men und Ver­mö­gen. Dies hät­tet zwei Effek­te: Ers­tens lie­ße sich die Staats­ver­schul­dung so ein­nah­me­sei­tig begren­zen, ohne dass sozia­le und öffent­li­che Leis­tun­gen ein­ge­schränkt wer­den müss­ten. Zwei­tens wür­de das „Spiel­geld“ für Spe­ku­la­tio­nen ver­rin­gert. Dass die Indus­tri­el­len­ver­ei­ni­gung die Kos­ten, auch der Kri­se, lie­ber via Spar­maß­nah­men auf die brei­te Bevöl­ke­rung abschie­ben will, ins­be­son­de­re auch auf Per­so­nen, die auf staat­li­che Unter­stüt­zung ange­wie­sen sind, ist nicht ver­wun­der­lich. Aller­dings soll­ten wir uns dage­gen wehren.


Literatur

  • Arbeits­grup­pe Alter­na­ti­ve Wirt­schafts­po­li­tik (2005): Memo­ran­dum 2005. Sozi­al­staat statt Kon­zern-Gesell­schaft, Köln.
  • Arbeits­grup­pe Alter­na­ti­ve Wirt­schafts­po­li­tik (2008): Memo­ran­dum 2008. Neu­ver­tei­lung von Ein­kom­men, Arbeit und Macht. Alter­na­ti­ven zur Bedie­nung der Ober­schicht, Köln.
  • BEIGEWUM – Bei­rat für gesellschafts‑, wirt­schafts- und umwelt­po­li­ti­sche Alter­na­ti­ven /​ Attac Öster­reich (2010): Mythen der Kri­se. Ein­sprü­che gegen fal­sche Leh­ren aus dem gro­ßen Crash, Hamburg.
  • Cor­neo, Gia­co­mo (2009): Ver­schul­dung und Kon­so­li­die­rung, Berlin.
  • Him­pe­le, Kle­mens (2010): Die Umsetz­bar­keit der Schul­den­brem­se in den Län­dern. Stu­die im Auf­trag der Frak­ti­ons­vor­sit­zen­den­kon­fe­renz der LINKEN. End­fas­sung, Wien. Down­load als PDF.
  • Horn, Gut­sav /​ Niechoj, Tors­ten /​ Tru­ger, Achim /​ Ves­per, Die­ter /​ Zwie­ner, Rudolf (2008): Zu den Wir­kun­gen der BMF-Schul­den­brem­se, Düsseldorf.
  • Horn, Gus­tav /​ Tru­ger, Achim /​ Pro­año, Chris­ti­an (2009): Stel­lung­nah­me zum Ent­wurf eines Begleit­ge­set­zes zur zwei­ten Föde­ra­lis­mus­re­form BT Druck­sa­che 16/​12400 und Ent­wurf eines Geset­zes zur Ände­rung des Grund­ge­set­zes BT Druck­sa­che 16/​12410, Düsseldorf.
  • Kirch­gäss­ner, Geb­hard (2010): Insti­tu­tio­nel­le Mög­lich­kei­ten zur Begren­zung der Staats­ver­schul­dung in föde­ra­len Staa­ten. SCALA Poli­cy Paper No. 01/​2010, St. Gallen.
  • Tru­ger, Achim /​ Eicker-Wolf, Kai /​ Will, Hen­ner /​ Köhrsen, Jens (2009): Aus­wir­kun­gen der Schul­den­brem­se auf die hes­si­schen Lan­des­fi­nan­zen. Ergeb­nis­se von Simu­la­ti­ons­rech­nun­gen für den Über­gangs­zeit­raum von 2010 bis 2020, Düsseldorf.



Kommentieren



Noch keine Kommentare.

Zum Anfang der Seite