25 Jahre BEIGEWUM
In den vergangenen 25 Jahren haben sich die ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Zustände gravierend verändert – und mit ihnen auch das Selbstverständnis und die Aufgaben des BEIGEWUM. Anlässlich seines 25-jährigen Geburtstages diskutierten Brigitte Unger (Department of Public Sector Economics, Utrecht University School of Economics), Karin Fischer (Abteilung für Politik- und Entwicklungsforschung am Institut für Soziologie, Universität Linz), Jörg Flecker (FORBA – Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt), Gundula Ludwig (Zentrum für Gender Studies und feministische Zukunftsforschung der Universität Marburg) und Heinz Steinert (em. Institut für Gesellschafts- und Politikanalyse, Universität Frankfurt) gemeinsam mit Beat Weber (BEIGEWUM) diese Veränderungen unter der Frage: „Welches Wissen gegen die Krise?“.
„Nie war der Krieg zwischen Mainstream-ÖkonomInnen und Kritischen ÖkonomInnen größer als jetzt“
In der Key Note Speak stellte Brigitte Unger überblicksartig die Änderungen seit den 1980er Jahren dar: vom stärker werdenden Neoliberalismus und dem „abheben“ der Finanzmärkte bis zur heutigen Situation, in der die ökonomischen Variablen (wie Einkommensverteilung, Arbeitslosigkeit und Leistungsbilanzen) soweit auseinanderklaffen wie nie zuvor. Im Bereich der Wissenschaften weisen zwar auch führende Ökonomen, wie Krugman oder Stiglitz, auf die starken Ungleichheiten hin, dennoch ist der Kampf zwischen Mainstream-ÖkonomInnen und Kritischen ÖkonomInnen noch stärker als vor der Krise. Aufgabe des BEIGEWUM muss es sein Fachinformationen für die Öffentlichkeit zu „übersetzen“. Heute gilt es insbesondere finanztechnische Fragen zu „entzaubern“ und in politische Fragen zu „übersetzen“.
„Die Selbstverständlichkeiten des Kapitalismus relativieren“
Heinz Steinert machte deutlich, dass es unsere Aufgabe ist und bleibt zu zeigen, dass man „die Dinge“ auch ganz anders denken kann und dass es ein „anderes Wissen“ als die Mainstream-Ökonomie gibt. Während der Krise gab es eine kurze Zeit, in der sich Neoliberale – auch in der Öffentlichkeit – blamiert haben – in diese Lücken gilt es hineinzustoßen. Allerdings machte Steinert auch die zentrale Bedeutung der Medien bei der schnellen Wiederherstellung der neoliberalen Hegemonie deutlich. Krisenzeiten bieten meist keine Chancen, radikale Forderungen umzusetzen, die Menschen und Öffentlichkeit werden eher konservativ und wünschen sich die Zustände aus Vorkrisenzeiten zurück. Aufgabe des BEIGEWUM muss es sein, die Probleme des Kapitalismus aufzuzeigen und dabei alle möglichen Mittel und Formen zu nutzen. Ein wichtiger Ansatzpunkt sind die Lebensverhältnisse der Menschen, denn Gesellschaft ändert sich, wenn die Leute anders leben.
„Auf die Universitäten kann als Ort Kritischer Wissenschaften nicht verzichtet werden“
Auch wenn Gundula Ludwig darauf hinwies, dass die Universitäten nie „der“ linke Ort waren, hat sich ihre Situation seit Mitte der 1990er Jahre deutlich verschärft. Dies lässt sich in verschiedenen Dimensionen feststellen: der Ökonomisierung des Sozialen (verstärkte Effizienzgedanken, mehr Forschung statt Lehre), den Bedingungen des Arbeitens (hoher Druck für alle Hochschulmitglieder, nicht nur die Hochschulen, auch die Subjekte sollten zum „Unternehmer ihrer selbst“ werden), parallel zur Ökonomisierung der Universitäten findet eine Entdemokratisierung statt. Daraus abgeleitet muss die Kritik zentral an der Entdemokratisierung und den Arbeitsverhältnissen in Zusammenhang mit den Lebensweisen ansetzen. Es sollte über Praxen der Verweigerung nachgedacht werden und zudem eine kritische Selbstreflexion stattfinden, denn auch für viele WissenschaftlerInnen ist das Konzept des/der „UnternehmerIn seiner/ihrer selbst“ verführerisch. Wichtig bleibt es, die vermeintlichen Selbstverständlichkeiten aufzubrechen und immer wieder auch „außerhalb des Kapitalismus“ zu denken. Der Ansatz, Informationen zu „übersetzen“, ist zwar richtig, aber es braucht auch noch mehr „anderes“ Wissen.
„Es ist eine Illusion zu glauben, dass die Sparpakete so von der Gesellschaft hingenommen werden“
Jörg Flecker berichtete über den Wandel der Ziele der (außeruniversitären) Forschung. So sind heute viel weniger Regierungen oder die EU-Kommission direkte Adressaten von Forschungsergebnissen. Vielmehr wird zu spannenden Fragestellungen gearbeitet und gehofft, dass unbekannte NutzerInnen die Ergebnisse aufgreifen und verwenden können. Jedoch ermöglichen Förderungen insb. im Bereich der EU immer wieder die Schaffung von Freiräumen, in denen Wissen gegen den Mainstream generiert werden kann. Die aktuell geplante Streichung der Basisförderung für unabhängige Institute wird es allerdings sehr schwer machen, nachhaltig kritische Wissenschaft zu betreiben. Die gegenwärtige Situation hält Jörg Flecker für sehr irritierend: sah es anfangs kurz so aus, als seien die Marktradikalen schwer von der Krise getroffen worden, war bald klar, dass drastische Sparpakete kommen werden. Dies trifft nun ein und einerseits entsteht das Gefühl, diesen vollkommen machtlos gegenüber zu stehen, anderseits glaubt Flecker nicht, dass die Gesellschaft diese Einschnitte ohne weiteres hinnehmen wird.
„Wir sollten uns nicht die kleinen Schritte aufzwingen lassen“
Für einen globalhistorisch erweiterten Blick auf die Krise plädierte Karin Fischer. Es ist notwendig, in die Krisenanalysen größere Zeiträume als auch die Südperspektive einzubeziehen. Auch in den Südländern ist die enorme Krisenhaftigkeit des Kapitalismus schon seit den 80er Jahren zu spüren. Allerdings gibt es auch Länder, deren Ökonomien gerade wachsen können und solche, die mit antizyklischer Politik und Bankenregulierung positive Beispiele setzen können. Jedoch müssen die Hoffnung auf Lateinamerika und die derzeitigen Verschiebungen von Zentrum- Peripheriegrenzen, durch die Regionalmächte aufgewertet werden, auch immer kritisch reflektiert werden, da noch nicht klar ist, wie emanzipatorisch diese Veränderungen sind. Von entscheidender Bedeutung wird es sein, wie wichtig demokratische Fragen in dieser Entwicklung sind.
Die Rückeroberung der Demokratie ist aber auch ein zentraler Ansatzpunkt für kritische Menschen in Europa. Gegen den bewussten Ausschluss von Entscheidungen helfen Denkkollektive, gegenseitiger Austausch über Publikationsorgane und das gemeinsame Arbeiten an politischen Perspektiven.
Der Abend endete mit Dank und Glückwünschen für 25 Jahre BEIGEWUM-Arbeit und der Ermunterung, die kritische Arbeit fortzusetzen.
Krise: Zwischenstop in Irland
Derzeit hält die Krise in Irland. Mit Sicherheit wird es nicht die letzte Station sein. EU und IWF schnüren an einem Hilfspaket von bis zu 100 Milliarden Euro, um die Bewältigung der hohen Schulden der irischen Banken zu meistern.
Ähnlich wie Island war Irland lange Zeit ein neoliberaler Musterstaat: Unternehmenssteuer-Dumping, hohe wirtschaftliche Anpassungsbereitschaft, Budgetüberschüsse, tolles Wachstum. 2008 stellte sich heraus, dass der Wohlstand nicht Ergebnis einer erfolgreichen wirtschaftspolitischen Linie, sondern einer kreditfinanzierten Immobilienblase war, deren Platzen zu einem Schuldenberg führte. Dieser Schuldenberg überstieg anfangs die Kräfte der Banken, die daraufhin staatlich unterstützt bzw. ganz verstaatlicht wurden. Durch das Eintreffen laufender Korrekturen der Verlustschätzungen der Banken nach oben übersteigt er nun auch die Kräfte des Landes (das mit einer Garantieerklärung für sämtliche Einlagen über das zweieinhalbfache der jährlichen Wirtschaftsleistung schon 2008 eine gigantische Ansage getroffen hatte). Wenn nach Irland auch Portugal, dann Spanien und vielleicht Italien die Kräfte ausgehen, ist wohl auch die nächsthöhere Sicherheitsnetz-Ebene, EU und IWF, in der Bredouille. Das Schulden-Weiterreichen und damit Zeit kaufen ist dann zu Ende, und die Stunde der Forderungsverzichte schlägt. Die ersten Verzichte hat ein geringer Teil der unbesicherten Anleihehalter der Anglo Irish Bank (und zwar Spezialistenfonds, die diese Forderungen mit Abschlägen von ausländischen Banken erworben hatten, in der Hoffnung, dass sie bei den Verhandlungen mit Anglo Irish ein bisschen mehr rauskriegen als sie bezahlt haben) letzte Woche bereits hingenommen, weitere werden wohl folgen müssen.
In einem offenen Brief in der Financial Times hat der irische Finanzminister angekündigt, trotz immensen Budgetdrucks keinesfalls an den niedrigen Unternehmenssteuersätzen in Irland rütteln zu wollen. Irland müsse wachsen, um die Schuldenlast abzutragen. Er zitiert eine OECD Studie, wonach eine Erhöhung der Unternehmensteuern mit größter Wahrscheinlichkeit das Wachstum behindere. Irlands Regierung scheint den neoliberalen Ratschlägen also ungebrochen zu folgen. Multinationale Konzerne drohen Irland in der Tat mit Abwanderung im Fall einer Steuererhöhung. Dass bei einer auch nur geringfügigen Anhebung der Steuern sofortiger Massen-Exodus stattfindet ist jedoch nicht zu erwarten, schließlich hat Irland auch andere „Standortvorteile“ (Lage, Ausbildungsniveau, Sprache etc.). Mit dem klassisch keynesianischen Argument, eine einseitige Aufbürdung der Anpassungslasten auf die Schultern der Lohnabhängigen würde die Massenkaufkraft in Irland und somit auch den Unternehmen schaden, werden die Konzerne jedoch nicht zu beeindrucken sein: Irland hat Züge einer verlängerten Werkbank, wo Multis für den Export statt für den Binnenkonsum produzieren. Schätzungen, wonach das Bruttosozialprodukt (Einkünfte der Staatsangehörigen) um rund ein Fünftel unter dem Bruttoinlandsprodukt (Einkünfte der Ortsansässigen) liege, sind ein Indiz, dass massive Zuflüsse von Auslandskapital rein der Verlockung niedriger Steuern zu verdanken sind. Diese Gelder werden in Irland versteuert, in weiterer Folge aber über verzerrte Transferpreise innerhalb multinationaler Unternehmen wieder ins Ausland transferiert. In diesem Modell abhängigen Wachstums bleibt Irland durch die wirtschaftspolitische Weichenstellung der Regierung gefangen. Aus der darüber gelegten Finanzialisierung, die eine Zeitlang die Illusion von Wohlstand über das Land brachte, ist für absehbare Zeit die Luft raus – außer von irgendwoher kommen massive Zuströme von wohlhabenden Menschen, die irische Häuser kaufen, und den Immobilienboom wieder in Gang bringen. Die politischen Eliten, die in korrupter Weise mit dem Finanzboom verknüpft waren, sind delegitimiert. Ob es zu einem systeminternen Umsturz wie in Island kommen wird, wird sich bei den Wahlen spätestens im Frühjahr zeigen.
Irland und die Länder der Südperipherie (Portugal, Italien, Spanien), die im Fokus der aktuellen Finanzbesorgnis stehen haben eine auffällige Gemeinsamkeit: Sie bilden die Gruppe mit der höchsten Einkommensungleichheit innerhalb des Euroraums (und gemeinsam mit anderen Haupt-Krisenbetroffenen Lettland und UK auch innerhalb der EU) (Gini Koeffizient lt. UN Definition, Werte von 2008). Die viel beschworenen Ungleichgewichte zwischen Zentrum und Peripherie in Handel und Finanzierung werden ergänzt durch interne Ungleichheiten in den Peripherie-Ländern. Der neoliberale Glaube, Ungleichheit sei eine notwendige Begleiterscheinung von ökonomischer Prosperität wird dadurch einmal mehr in Frage gestellt. Eine wirtschaftspolitische Kurskorrektur steht nicht an. Ihre Eignung als kurzfristige Krisenhilfe in der jetzigen verfahrenen Situation wäre auch ungewiss. Überhaupt ist die Fantasie betreffend kurzfristige Lösungen derzeit allerorts ziemlich verpufft.
Es ist jedenfalls schwer vorstellbar, wie es ohne eine Schuldenrestrukturierung, also teilweisen Forderungsverzicht, für sämtliche in Diskussion stehende Staaten der Euro-Peripherie (Griechenland, Irland, Spanien, Portugal, Italien) weitergehen kann. Einzelfalllösungen halten nicht, denn die Restrukturierung in Einzelfällen erhöht sofort den Druck auf vergleichbare Fälle (Anstieg der Finanzierungskosten für Staaten bzw. Banken aus diesen Ländern). Die anderen Staaten zögern mit dieser Lösung, denn die Schuldenreduktionen treffen die Forderungen der eigenen Banken und Fonds: In Deutschland, Frankreich, Großbritannien etc würden massive Verluste aus Forderungen an Irland und Co. weitere staatliche Bankenhilfspakete auf die Tagesordnung setzen. Die Furcht vor Dominoeffekten und anschließendem Chaos ist groß.
Der neoliberale Weg aus der Stagnation ist gescheitert und hat die gesamte nördliche Hemisphäre in eine verfahrene Situation manövriert, in der guter Rat teuer ist.
3.12.: Diskussion „Interregnum & Krisenpolitik“
3.12. Podiumsdiskussion:
INTERREGNUM – Große Krisen, umkämpfte Krisenausgänge und
Krisenpolitiken im historischen Vergleich
Beginn: 18.15 Uhr
Ort: NIG, Hörsaal 3 (Universitätsstraße 7, 1010 Wien)
mit
*Mario Candeias
(Referent für Kapitalismuskritik der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin)
*Frank Deppe
(em. Professor für Politikwissenschaft, Marburg)
*Jörg Nowak
(Politikwissenschafter, Berlin)
*Susan Zimmermann
(Historikerin, Central European University, Budapest)
*Elisabeth Steinklammer
(Moderation)
Inkl. Ausschnitte aus dem Film „Der Gewinn der Krise“ von Jörg Nowak
Mit welcher/n Krise/n haben wir es heute überhaupt zu tun? Gibt es historische
Parallelen im 20. Jahrhundert zur aktuellen Krisenkonstellation? Welche
Gesellschaftsteile sind in welchem Ausmaß von der Krise betroffen? Und:
Wie lassen sich die gegenwärtigen Auseinandersetzungen über die „(Nicht)Wege
aus der Krise“ einschätzen? Diese und andere Fragen werden im Rahmen der
Veranstaltung „Interregnum – Große Krisen, umkämpfte Krisenausgänge und
Krisenpolitiken im historischen Vergleich“ aufgegriffen. Dabei geht es nicht nur
um eine kritische Bestandsaufnahme bisheriger Krisenanalysen, sondern auch um
alternative Handlungsperspektiven. Zur Vertiefung der in der Diskussion aufge-
worfenen Punkte findet am 9. Dezember 2010 ein Workshop mit dem Sozial-
wissenschafter und Politökonomen Bernd Röttger (Braunschweig) statt.
Eine Kooperationsveranstaltung
der Grünen Bildungswerkstatt Wien
mit der Studienvertretung Politikwissenschaft,
juridikum (zeitschrift für kritik|recht|gesellschaft)
und dem BEIGEWUM.
Kurt W. Rothschild 1914-2010
Kurt W. Rothschild ist am 15. November 2010 von uns gegangen. Mit Rothschild verlieren wir nicht nur den bedeutendsten österreichischen Ökonomen, sondern mit ihm verlieren wir auch eine Persönlichkeit, deren Vorbildwirkung kaum hoch genug eingeschätzt werden kann. Der Lebensweg von Kurt Rothschild und seiner Frau Vally, welche gemeinsam über knapp 75 Jahre (!) eine äußerst liebenswürdige und würdevolle Beziehung pflegten, war alles andere als mühelos. Aufgewachsen in kleinbürgerlichen Verhältnissen im Roten Wien der 30er Jahre erlebte Rothschild äußerst authentisch die fatalen ökonomischen und sozialen Konsequenzen der 1. Weltwirtschaftskrise 1929/30. Zweifelsohne waren diese Zeiten prägend für Rothschilds gesamtes zukünftiges Forschungsrepertoire: Fragen der Arbeitslosigkeit, des Außenhandels sowie Fragen der Einkommensverteilung und der Macht in der Ökonomie spielten immer die zentrale Rolle in Rothschilds Werk. Die Grundphilosophie Rothschilds über die Rolle der Ökonomie als Wissenschaft hat sich sicherlich bereits in dieser politisch äußerst tragischen Zeit gebildet. Rothschild schreibt über seinen Grundanspruch an die Wissenschaft 1966 in der Einleitung zu seinem Buch „Marktform, Lohn und Außenhandel“ folgendes:
Der grundlegende Standpunkt „… besteht letzten Endes darin, dass der Nationalökonom sich stets bewusst sein soll, daß die Theorie nie Selbstzweck werden darf. Sie sollte stets der gründlichen Durchleuchtung unserer Umwelt dienen, damit diese besser und menschenwürdiger gestaltet werden kann.“
Diesem anspruchsvollen Grundsatz folgte Rothschild in all seinen Arbeiten!
1938 mussten er und seine Frau als jüdische BürgerInnen gemeinsam von Österreich in die Schweiz flüchten und dann weiter nach Glasgow (Schottland) emigrieren. Dort war Rothschild bis 1947 tätig und machte in dieser Zeit auch engste Bekanntschaft mit der jungen keynesianischen Diskussion.
1942, im Alter von 28 Jahren (!), schickte er einen Artikel an das Economic Journal, das damalige „Core Journal“ der Ökonomie, dessen Herausgeber kein Geringerer als John Maynard Keynes (JMK) selbst gewesen ist. Dazu Rothschild im O‑Ton: „Meinen ersten theoretischen Aufsatz, den ich gemacht habe an der Uni, habe ich im jugendlichen Übermut gleich an die führende Zeitschrift geschickt, an das Economic Journal. Er (JMK, W.A.) war der Herausgeber. Nach ein paar Tagen habe ich einen Brief bekommen, wo er schrieb, das gefällt mir, das werde ich bringen.“
Als Rothschild 1947 wieder zurück nach Österreich kam, wurde er nicht gerade mit offenen Armen empfangen. Seit 1947 arbeitete Rothschild am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) und erst 1966 bekam Rothschild den längst überfälligen Lehrstuhl an der neu gegründeten Universität Linz, wo er bis zu seiner Emeritierung 1984 arbeitete und dabei auch die Position des Rektors inne hatte. Seit damals lebte Rothschild mit seiner Frau in Wien, in jener bescheidenen Wohnung, welche das Ehepaar bereits 1947 – in einem Tauschgeschäft in Schottland (!) – erstanden hatte.
Rothschild unterstützte die Arbeiten des BEIGEWUM von Beginn an, sowohl moralisch als auch in Form von zahlreichen Vorträgen und Buchbeiträgen. Rothschild hielt bereits 1989, bei der ersten großen Konferenz des BEIGEWUM („Steuerungsprobleme der Wirtschaftspolitik – Auf dem Weg in eine andere Moderne“, BEIGEWUM 1989) das Hauptreferat und unterstützte den Verein bis zuletzt. Nur die letzte Einladung für den 9.Juni 2010 musste er aus gesundheitlichen Gründen ausschlagen.
Das, was Rothschild so außerordentlich macht, ist seine wissenschaftliche Offenheit, verbunden mit einer stets konstruktiven Diskussion zu den unterschiedlichsten Theorien, Methoden und Themen. Er ist kaum jemals einer neuen Idee abgeneigt. Aber er diskutiert diese stets mit unnachgiebiger Strenge, verbunden mit konstruktiven Anmerkungen.
Auch wenn uns der geniale Diskussionspartner Kurt Rothschild abhanden gekommen ist, so hinterlässt er uns einen Schatz an Literatur, welchen es zu studieren und zu nutzen gilt. Aber ich würde mir auch wünschen, dass sich über die ökonomische Wissenschaft hinaus möglichst viele Menschen der Rothschild’schen Grundprinzipien annehmen würden: Offenheit, Toleranz, Güte und Freundlichkeit – nahezu die gesamten humanistischen Grundwerte. Es gibt selten eine Person, bei welcher Werk und Leben so eins waren – das ist das Bewundernswerteste bei Rothschild!
Rothschild war uns stets eine große Hilfe und er wird uns fehlen. Sein großartiges Werk wird jedoch für immer bei uns sein. Und es wird uns noch oft helfen für eine gerechtere und sozialere Welt einzutreten.
In tiefer Trauer und Anteilnahme!
Ein langes Interview mit Kurt W. Rothschild ist nachzulesen in Kurswechsel 4/2006: „Die Gefahr der Gewöhnung“
Sein ausgezeichnetes (und witziges!) Kurz-Interview mit Renate Graber im Standard (vom 24.10.2009) ist ein „Muss“ für Jede/n!“Da hab ich mir gedacht: Habt’s mich gern“ – Kurt Rothschild im „Anders gefragt“-Interview