Krise: Zwischenstop in Irland – BEIGEWUM

Krise: Zwischenstop in Irland

am 26. November 2010 um 12:56h

Der­zeit hält die Kri­se in Irland. Mit Sicher­heit wird es nicht die letz­te Sta­ti­on sein.  EU und IWF schnü­ren an einem Hilfs­pa­ket von bis zu 100 Mil­li­ar­den Euro, um die Bewäl­ti­gung der hohen  Schul­den der iri­schen Ban­ken zu meistern.


Ähn­lich wie Island war Irland lan­ge Zeit ein neo­li­be­ra­ler Mus­ter­staat: Unter­neh­mens­steu­er-Dum­ping, hohe wirt­schaft­li­che Anpas­sungs­be­reit­schaft, Bud­get­über­schüs­se, tol­les Wachs­tum. 2008 stell­te sich her­aus, dass der Wohl­stand nicht Ergeb­nis einer erfolg­rei­chen wirt­schafts­po­li­ti­schen Linie, son­dern einer kre­dit­fi­nan­zier­ten Immo­bi­li­en­bla­se war, deren Plat­zen zu einem Schul­den­berg führ­te. Die­ser Schul­den­berg über­stieg anfangs die Kräf­te der Ban­ken, die dar­auf­hin staat­lich unter­stützt bzw. ganz ver­staat­licht wur­den. Durch das Ein­tref­fen lau­fen­der Kor­rek­tu­ren der Ver­lust­schät­zun­gen der Ban­ken nach oben über­steigt er nun auch die Kräf­te des Lan­des (das mit einer Garan­tie­er­klä­rung für sämt­li­che Ein­la­gen über das zwei­ein­halb­fa­che der jähr­li­chen Wirt­schafts­leis­tung schon 2008 eine gigan­ti­sche Ansa­ge getrof­fen hat­te). Wenn nach Irland auch Por­tu­gal, dann Spa­ni­en und viel­leicht Ita­li­en die Kräf­te aus­ge­hen, ist wohl auch die nächst­hö­he­re Sicher­heits­netz-Ebe­ne, EU und IWF, in der Bre­douil­le. Das Schul­den-Wei­ter­rei­chen und damit Zeit kau­fen ist dann zu Ende, und die Stun­de der For­de­rungs­ver­zich­te schlägt. Die ers­ten Ver­zich­te hat ein gerin­ger Teil der unbe­si­cher­ten Anlei­he­hal­ter der Anglo Irish Bank (und zwar Spe­zia­lis­ten­fonds, die die­se For­de­run­gen mit Abschlä­gen von aus­län­di­schen Ban­ken erwor­ben hat­ten, in der Hoff­nung, dass sie bei den Ver­hand­lun­gen mit Anglo Irish ein biss­chen mehr raus­krie­gen als sie bezahlt haben) letz­te Woche bereits hin­ge­nom­men, wei­te­re wer­den wohl fol­gen müssen.


In einem offe­nen Brief in der Finan­cial Times hat der iri­sche Finanz­mi­nis­ter ange­kün­digt, trotz immensen Bud­get­drucks kei­nes­falls an den nied­ri­gen Unter­neh­mens­steu­er­sät­zen in Irland rüt­teln zu wol­len. Irland müs­se wach­sen, um die Schul­den­last abzu­tra­gen. Er zitiert eine OECD Stu­die, wonach eine Erhö­hung der Unter­neh­men­steu­ern mit größ­ter Wahr­schein­lich­keit das Wachs­tum behin­de­re. Irlands Regie­rung scheint den neo­li­be­ra­len Rat­schlä­gen also unge­bro­chen zu fol­gen. Mul­ti­na­tio­na­le Kon­zer­ne dro­hen Irland in der Tat mit Abwan­de­rung im Fall einer Steu­er­erhö­hung. Dass bei einer auch nur gering­fü­gi­gen Anhe­bung der Steu­ern sofor­ti­ger Mas­sen-Exo­dus statt­fin­det ist jedoch nicht zu erwar­ten, schließ­lich hat Irland auch ande­re „Stand­ort­vor­tei­le“ (Lage, Aus­bil­dungs­ni­veau, Spra­che etc.). Mit dem klas­sisch keyne­sia­ni­schen Argu­ment, eine ein­sei­ti­ge Auf­bür­dung der Anpas­sungs­las­ten auf die Schul­tern der Lohn­ab­hän­gi­gen wür­de die Mas­sen­kauf­kraft in Irland und somit auch den Unter­neh­men scha­den, wer­den die Kon­zer­ne jedoch nicht zu beein­dru­cken sein: Irland hat Züge einer ver­län­ger­ten Werk­bank, wo Mul­tis für den Export statt für den Bin­nen­kon­sum pro­du­zie­ren. Schät­zun­gen, wonach das Brut­to­so­zi­al­pro­dukt (Ein­künf­te der Staats­an­ge­hö­ri­gen) um rund ein Fünf­tel unter dem Brut­to­in­lands­pro­dukt (Ein­künf­te der Orts­an­säs­si­gen) lie­ge, sind ein Indiz, dass mas­si­ve Zuflüs­se von Aus­lands­ka­pi­tal rein der Ver­lo­ckung nied­ri­ger Steu­ern zu ver­dan­ken sind. Die­se Gel­der wer­den in Irland ver­steu­ert, in wei­te­rer Fol­ge aber über ver­zerr­te Trans­fer­prei­se inner­halb mul­ti­na­tio­na­ler Unter­neh­men wie­der ins Aus­land trans­fe­riert. In die­sem Modell abhän­gi­gen Wachs­tums bleibt Irland durch die wirt­schafts­po­li­ti­sche Wei­chen­stel­lung der Regie­rung gefan­gen. Aus der dar­über geleg­ten Finan­zia­li­sie­rung, die eine Zeit­lang die Illu­si­on von Wohl­stand über das Land brach­te, ist für abseh­ba­re Zeit die Luft raus – außer von irgend­wo­her kom­men mas­si­ve Zuströ­me von wohl­ha­ben­den Men­schen, die iri­sche Häu­ser kau­fen, und den Immo­bi­li­en­boom wie­der in Gang brin­gen. Die poli­ti­schen Eli­ten, die in kor­rup­ter Wei­se mit dem Finanz­boom ver­knüpft waren, sind dele­gi­ti­miert. Ob es zu einem sys­tem­in­ter­nen Umsturz wie in Island kom­men wird, wird sich bei den Wah­len spä­tes­tens im Früh­jahr zeigen.


Irland und die Län­der der Süd­pe­ri­phe­rie (Por­tu­gal, Ita­li­en, Spa­ni­en), die im Fokus der aktu­el­len Finanz­be­sorg­nis ste­hen haben eine auf­fäl­li­ge Gemein­sam­keit: Sie bil­den die Grup­pe mit der höchs­ten Ein­kom­mensun­gleich­heit inner­halb des Euro­raums (und gemein­sam mit ande­ren Haupt-Kri­sen­be­trof­fe­nen Lett­land und UK auch inner­halb der EU) (Gini Koef­fi­zi­ent lt. UN Defi­ni­ti­on, Wer­te von 2008). Die viel beschwo­re­nen Ungleich­ge­wich­te zwi­schen Zen­trum und Peri­phe­rie in Han­del und Finan­zie­rung wer­den ergänzt durch inter­ne Ungleich­hei­ten in den Peri­phe­rie-Län­dern. Der neo­li­be­ra­le Glau­be, Ungleich­heit sei eine not­wen­di­ge Begleit­erschei­nung von öko­no­mi­scher Pro­spe­ri­tät wird dadurch ein­mal mehr in Fra­ge gestellt. Eine wirt­schafts­po­li­ti­sche Kurs­kor­rek­tur steht nicht an. Ihre Eig­nung als kurz­fris­ti­ge Kri­sen­hil­fe in der jet­zi­gen ver­fah­re­nen Situa­ti­on wäre auch unge­wiss. Über­haupt ist die Fan­ta­sie betref­fend kurz­fris­ti­ge Lösun­gen der­zeit aller­orts ziem­lich verpufft.


Es ist jeden­falls schwer vor­stell­bar, wie es ohne eine Schul­den­re­struk­tu­rie­rung, also teil­wei­sen For­de­rungs­ver­zicht, für sämt­li­che in Dis­kus­si­on ste­hen­de Staa­ten der Euro-Peri­phe­rie (Grie­chen­land, Irland, Spa­ni­en, Por­tu­gal, Ita­li­en) wei­ter­ge­hen kann. Ein­zel­fall­lö­sun­gen hal­ten nicht, denn die Restruk­tu­rie­rung in Ein­zel­fäl­len erhöht sofort den Druck auf ver­gleich­ba­re Fäl­le (Anstieg der Finan­zie­rungs­kos­ten für Staa­ten bzw. Ban­ken aus die­sen Län­dern). Die ande­ren Staa­ten zögern mit die­ser Lösung, denn die Schul­den­re­duk­tio­nen tref­fen die For­de­run­gen der eige­nen Ban­ken und Fonds: In Deutsch­land, Frank­reich, Groß­bri­tan­ni­en etc wür­den mas­si­ve Ver­lus­te aus For­de­run­gen an Irland und Co. wei­te­re staat­li­che Ban­ken­hilfs­pa­ke­te auf die Tages­ord­nung set­zen. Die Furcht vor Domi­no­ef­fek­ten und anschlie­ßen­dem Cha­os ist groß.


Der neo­li­be­ra­le Weg aus der Sta­gna­ti­on ist geschei­tert und hat die gesam­te nörd­li­che Hemi­sphä­re in eine ver­fah­re­ne Situa­ti­on manö­vriert, in der guter Rat teu­er ist.


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