Kurt W. Rothschild 1914-2010
Kurt W. Rothschild ist am 15. November 2010 von uns gegangen. Mit Rothschild verlieren wir nicht nur den bedeutendsten österreichischen Ökonomen, sondern mit ihm verlieren wir auch eine Persönlichkeit, deren Vorbildwirkung kaum hoch genug eingeschätzt werden kann. Der Lebensweg von Kurt Rothschild und seiner Frau Vally, welche gemeinsam über knapp 75 Jahre (!) eine äußerst liebenswürdige und würdevolle Beziehung pflegten, war alles andere als mühelos. Aufgewachsen in kleinbürgerlichen Verhältnissen im Roten Wien der 30er Jahre erlebte Rothschild äußerst authentisch die fatalen ökonomischen und sozialen Konsequenzen der 1. Weltwirtschaftskrise 1929/30. Zweifelsohne waren diese Zeiten prägend für Rothschilds gesamtes zukünftiges Forschungsrepertoire: Fragen der Arbeitslosigkeit, des Außenhandels sowie Fragen der Einkommensverteilung und der Macht in der Ökonomie spielten immer die zentrale Rolle in Rothschilds Werk. Die Grundphilosophie Rothschilds über die Rolle der Ökonomie als Wissenschaft hat sich sicherlich bereits in dieser politisch äußerst tragischen Zeit gebildet. Rothschild schreibt über seinen Grundanspruch an die Wissenschaft 1966 in der Einleitung zu seinem Buch „Marktform, Lohn und Außenhandel“ folgendes:
Der grundlegende Standpunkt „… besteht letzten Endes darin, dass der Nationalökonom sich stets bewusst sein soll, daß die Theorie nie Selbstzweck werden darf. Sie sollte stets der gründlichen Durchleuchtung unserer Umwelt dienen, damit diese besser und menschenwürdiger gestaltet werden kann.“
Diesem anspruchsvollen Grundsatz folgte Rothschild in all seinen Arbeiten!
1938 mussten er und seine Frau als jüdische BürgerInnen gemeinsam von Österreich in die Schweiz flüchten und dann weiter nach Glasgow (Schottland) emigrieren. Dort war Rothschild bis 1947 tätig und machte in dieser Zeit auch engste Bekanntschaft mit der jungen keynesianischen Diskussion.
1942, im Alter von 28 Jahren (!), schickte er einen Artikel an das Economic Journal, das damalige „Core Journal“ der Ökonomie, dessen Herausgeber kein Geringerer als John Maynard Keynes (JMK) selbst gewesen ist. Dazu Rothschild im O‑Ton: „Meinen ersten theoretischen Aufsatz, den ich gemacht habe an der Uni, habe ich im jugendlichen Übermut gleich an die führende Zeitschrift geschickt, an das Economic Journal. Er (JMK, W.A.) war der Herausgeber. Nach ein paar Tagen habe ich einen Brief bekommen, wo er schrieb, das gefällt mir, das werde ich bringen.“
Als Rothschild 1947 wieder zurück nach Österreich kam, wurde er nicht gerade mit offenen Armen empfangen. Seit 1947 arbeitete Rothschild am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) und erst 1966 bekam Rothschild den längst überfälligen Lehrstuhl an der neu gegründeten Universität Linz, wo er bis zu seiner Emeritierung 1984 arbeitete und dabei auch die Position des Rektors inne hatte. Seit damals lebte Rothschild mit seiner Frau in Wien, in jener bescheidenen Wohnung, welche das Ehepaar bereits 1947 – in einem Tauschgeschäft in Schottland (!) – erstanden hatte.
Rothschild unterstützte die Arbeiten des BEIGEWUM von Beginn an, sowohl moralisch als auch in Form von zahlreichen Vorträgen und Buchbeiträgen. Rothschild hielt bereits 1989, bei der ersten großen Konferenz des BEIGEWUM („Steuerungsprobleme der Wirtschaftspolitik – Auf dem Weg in eine andere Moderne“, BEIGEWUM 1989) das Hauptreferat und unterstützte den Verein bis zuletzt. Nur die letzte Einladung für den 9.Juni 2010 musste er aus gesundheitlichen Gründen ausschlagen.
Das, was Rothschild so außerordentlich macht, ist seine wissenschaftliche Offenheit, verbunden mit einer stets konstruktiven Diskussion zu den unterschiedlichsten Theorien, Methoden und Themen. Er ist kaum jemals einer neuen Idee abgeneigt. Aber er diskutiert diese stets mit unnachgiebiger Strenge, verbunden mit konstruktiven Anmerkungen.
Auch wenn uns der geniale Diskussionspartner Kurt Rothschild abhanden gekommen ist, so hinterlässt er uns einen Schatz an Literatur, welchen es zu studieren und zu nutzen gilt. Aber ich würde mir auch wünschen, dass sich über die ökonomische Wissenschaft hinaus möglichst viele Menschen der Rothschild’schen Grundprinzipien annehmen würden: Offenheit, Toleranz, Güte und Freundlichkeit – nahezu die gesamten humanistischen Grundwerte. Es gibt selten eine Person, bei welcher Werk und Leben so eins waren – das ist das Bewundernswerteste bei Rothschild!
Rothschild war uns stets eine große Hilfe und er wird uns fehlen. Sein großartiges Werk wird jedoch für immer bei uns sein. Und es wird uns noch oft helfen für eine gerechtere und sozialere Welt einzutreten.
In tiefer Trauer und Anteilnahme!
Ein langes Interview mit Kurt W. Rothschild ist nachzulesen in Kurswechsel 4/2006: „Die Gefahr der Gewöhnung“
Sein ausgezeichnetes (und witziges!) Kurz-Interview mit Renate Graber im Standard (vom 24.10.2009) ist ein „Muss“ für Jede/n!“Da hab ich mir gedacht: Habt’s mich gern“ – Kurt Rothschild im „Anders gefragt“-Interview