Studiengebühren
Fehler machen bekanntlich bestenfalls dann einen Sinn, wenn man daraus lernt. Die SPÖ scheint den Fehler, die Studiengebühren unter Gusenbauer zunächst weiter toleriert zu haben, demnach völlig umsonst gemacht zu haben. Jedenfalls platzt die Aussage, dass diverse führende SPÖ-Politiker Studiengebühren nicht (mehr) ablehnen (siehe etwa bei Der Standard) mitten in die von Wissenschaftsministerin Karl (ÖVP) losgetretene Debatte um Zulassungsbeschränkungen und Studiengebühren. Häupl und Kräuter bereiten damit einer unsäglichen Debatte über die Frage der Einschränkung des Hochschulzugangs den Weg; einer Debatte, in der die SPÖ nur verlieren kann, da sie gegen die eigene Programmatik gerichtet ist.
Die zentralen Argumente
Die Argumente gegen Studiengebühren sind hinlänglich bekannt. In aller Kürze für die nun einsetzende Debatte noch mal:
- Es gibt keine sozial gerechten Studiengebühren. Studiengebühren verteuern das Studium, was zwangsläufig dazu führt, dass die Zahlungsschwächsten auf der Strecke bleiben. Es ist zudem bekannt, dass sich Kinder aus sogenannten „bildungsfernen“ Elternhäusern schwerer tun mit einer Verschuldung zur Finanzierung von Gebühren. Daher lässt sich das Problem der sozialen Selektivität auch nicht durch die Verschiebung des Zeitpunkts der Fälligkeit der Gebühren lösen. Hier sei auf das Beispiel Australien verwiesen.
- Dieses Problem lässt sich auch nicht dadurch lösen, dass die Zahlung der Gebühren an das Einkommen der Eltern gekoppelt wird. Hier verschiebt sich lediglich das Problem: Studierende werden dann in erster Linie als die Kinder ihrer Eltern und nicht als erwachsene Menschen begriffen. Wenn die Eltern jedoch der Meinung sind, dass Philosophie ein überflüssiges Studium ist und/oder dass bspw. Frauen eigentlich eh eine andere „Bestimmung“ hätten, dann hilft der Verweis auf die Eltern nicht weiter.
- Studiengebühren verändern den Bildungsbegriff. Bisher ist ein erheblicher Teil der Studierenden zumindest auch intrinsisch motiviert. Es geht um Erkenntnisgewinn, das Aneignen von Wissen, das Entwickeln einer Persönlichkeit usw. Klar ist: Auch heute spielen die Berufsaussichten eine Rolle. Mit Studiengebühren wird das Studium jedoch zu einer ›Investition in das eigene Humankapital‹ mit entsprechenden Einkommenserwartungen als ›Return on Investment‹. Das verändert massiv den Bildungsbegriff und wirkt sich auch auf die Fächerwahl aus. Diese erfolgt dann eben nicht (überwiegend) nach Neigungen und Fähigkeiten, sondern nach vermeintlichen Arbeitsmarktperspektiven. Auf einen weiterführenden Beitrag zum Thema Humankapital von Ulf Banscherus sei verwiesen.
- Entgegen aller Behauptungen haben die Studierenden durch Studiengebühren nicht mehr Einfluss auf die Lehre. Zwar ändert sich die Erwartungshaltung der Studierenden, als atomisiertes Individuum ist die Ausübung von Druck jedoch kaum möglich. Zudem ist ein Studienortwechsel mit erheblichen Hürden versehen (Wohnung, Freundeskreis, Job…) und daher nicht möglich, nur weil einem die Vorlesung X nicht passt.
Gerechtigkeitsbegriff…
Die Argumentation der SPÖ ist an Stelle besonders verquer: Es wird suggeriert, der Verzicht auf Studiengebühren sei ungerecht, da auch Kinder reicher Eltern diese Studiengebühren nicht zahlen. Wie verquer diese Logik ist hat Sonja Staack wunderbar dargelegt, auf diesen Text sei daher verwiesen. In aller Kürze stellt sich jedoch die Frage, wer denn unter Studiengebühren leiden würde? Sicher ist: Wer vermögende Eltern hat und sich mit den Eltern nicht zerstritten hat (etwa über die Frage des Studienfaches), der hat mit Studiengebühren keinerlei Probleme. Wer allerdings unsicher ist, keine akademischen „Vorbilder“ in der Familie hat, finanziell nicht begütert ist, der wird dann vermutlich auf ein Studium verzichten. Untersuchungen des Hochschul-Information-Systems (HIS) für Deutschland sagen: Alleine 500 Euro Studiengebühren im Semester in einigen Bundesländern haben bis zu 18.000 junge Menschen vom Studium abgehalten.
Die Debatte über die soziale Ungerechtigkeit öffentlicher Leistungen ist eine Scheindebatte. Wenn die SPÖ Gerechtigkeit einfordert, dann soll sie endlich das Steuersystem reformieren und dafür sorgen, dass insbesondere Vermögende angemessen zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben beitragen. Anstatt ÖVP-Debatten zu führen wäre hier eine Möglichkeit sinnvoll über die Frage der Verteilung von Armut, Reichtum und Chancen zu diskutieren – und nicht bei Studiengebühren.
Budgetkonsolidierung: Eine Bestandsaufnahme
Angesichts der nun eingeschlagenen, konkretisierten Wege der Budgetkonsolidierung verhärten sich die Anzeichen für einen „Neoliberalismus reloaded“ in Europa. Dies äußert sich gerade auch in der Kontinuität einer Politik, die soziale Ungleichheiten verschärft und wohlfahrtsstaatliche Handlungsspielräume systematisch einschränkt. Es zeigt sich immer klarer, dass sich das Spar-Mantra von OECD, EZB, EU-Kommission sowie Wirtschaftslobbys und ihren Parteien weitgehend durchgesetzt hat, wenn auch nicht in dem zu befürchtenden Ausmaß. Dafür wird der Europäische Stabilitätspakt deutlich verschärft, sodass noch lange nach der Krise die Europäische Austeritätspolitik spürbar sein wird. Auch die verschärfte Durchsetzung der bereits vor der Krise ins Stocken geratenen neoliberalen Reformpolitik kommt in Gang, wie die Arbeitsmarktflexibilisierung in Spanien, die Rentenreformen, die schwerpunktmäßigen Kürzungen im öffentlichen Sektor und der weitgehend aufrecht erhaltene Zustand deregulierter Finanzmärkte zeigen. Selbst sozialliberale Nuancen wie das Flexicurity-Modell in Dänemark geraten unter Druck. Einnahmenseitig werden tatsächlich in erster Linie Massensteuern erhöht, mit denen nun vor allem ärmeren Haushalten Laster finanziell ausgetrieben werden sollen (Tabak, Alkohol, Energieverbrauch).
Die kritischen Stimmen, die vor einer neuerlichen Rezession oder zumindest Stagnation in der Eurozone warnen, werden wieder lauter und kommen selbst aus dem IWF. Gerade für die besonders stark getroffenen Länder Irland, Spanien, Portugal und Griechenland überwiegt weiterhin die Skepsis bezüglich einer raschen Überwindung der Krise. Die Arbeitslosigkeit verharrt auf hohem Niveau mit unvermeidlichen negativen Folgen nicht nur für die Betroffenen.
AT: Ein Kompromiss zu Gunsten der wenigen, die die Krisenkosten hätten tragen können und sollen
Die Regierung hat sich Ende Oktober auf ihre konkreten Konsolidierungsmaßnahmen geeinigt. Gemessen an ihren eigenen Ankündigungen im Frühjahr dieses Jahres (mehr dazu hier) ist der nun getroffene Kompromiss insgesamt weit glimpflicher ausgefallen, als damals zu befürchten war. Die bis zu 4,2 Mrd Euro an Einsparungen und Steuererhöhungen wurden fast halbiert, nicht zuletzt durch Offensivmaßnahmen, dh zusätzliche Mittelim Umfang von 400 Mio Euro für den Ausbau der Ganztagesschulplätze, Universitäten, Forschung und thermische Gebäudesanierung. Mit der Bankenabgabe, der Besteuerung von Wertpapierzuwächsen, Einschränkungen von Stiftungs- und Unternehmenssteuervorteilen und einer verschärften Betrugsbekämpfung wurden erstmals seit langem der Abwärtstrend bei vermögens- und kapitalertragsbezogenen Steuern umgekehrt. Lediglich im Familienbereich fielen die Kürzungen härter aus und treffen einzelne Gruppen – insbesondere Studierende – überraschend stark.
Der springende Punkt ist allerdings, dass ein glimpfliches noch kein gutes Ergebnis ist. Man kann nicht oft genug wiederholen, dass das Budgetdefizit die Folge der stärksten Krise des kapitalistischen Wirtschaftssystems seit 80 Jahren ist. Das aktuelle Konsolidierungspaket ist darauf eine mehr als unbefriedigende Reaktion. Wenn Finanzwirtschaft und Reiche über Jahre ständig steigende Einkommen und Vermögen durch ein – letztlich von der Allgemeinheit zu sanierendes – krisenanfälliges Wachstumsmodell bei sinkenden Abgabenanteilen verzeichnen konnten, ist ein kleiner Beitrag zur Folgenbewältigung der Krise nun deutlich zu wenig. Vor allem, wenn sie – etwa im Gegensatz zu den nun besonders belasteten Studierenden – gerade durch die staatlichen Krisenmaßnahmen bereits wieder kräftige Vermögenszuwächse verzeichnen konnten: Gemäß Arbeiterkammer erreichte das private Nettogeldvermögen 2009 bereits wieder neue Rekordwerte. Allein der Wert der Aktien der Erste Bank stieg in den ersten sechs Monaten nach der staatlichen Stützungsaktion um 7 Mrd Euro – fast zur Gänze steuerfrei.
Es ist kein Trost, dass dieser sehr kleine Schritt hin zu stärkeren Besteuerung Vermögender dem europäischen Muster von Budgetkonsolidierungen folgt: symbolische Beiträge jener, die es sich leisten könnten, und harte Einschnitte – zT jenseits der Schmerzgrenze – für einzelne Gruppen mit schwächerem Einkommen: Hartz-IV-EmpfängerInnen in Deutschland, arbeitslose oder studierende Jugendliche in Österreich, öffentlich Bedienstete und PensionistInnen fast überall. Das Verursacherprinzip wurde weitgehend ebenso ausgeblendet wie die in der Krise nochmals reduzierte Steuer- und Abgabenquote. Stattdessen wurde so getan als ob plötzlich überbordende Sozialleistungen maßgeblich zu den hohen Defiziten geführt hätten – obwohl das natürlich nicht der Fall war, wie zumindest für Österreich nachgerechnet wurde.
Ausgabenseitige Konsolidierung mit wenig Licht und viel Schatten
Der größte Fehler neben der zu geringen Anhebung der vermögensbezogenen Steuern betrifft die Art und Weise, wie die Ausgaben gekürzt wurden: Statt gezielt bei diskussionswürdigen bzw nicht mehr zeitgemäßen Ausgaben einzusparen, mittelfristige Strukturreformen zumindest zu beginnen und im Zweifelsfall auch teure Steuervorteile im Privatpensions- oder Familienbereich als zu kürzende Kosten in Betracht zu ziehen, hielt man sich weitgehend an die im April im Zuge des Bundesfinanzrahmengesetz festgelegte „Rasenmähermethode“. Hierbei wurde einfach in allen Bereichen derselbe Prozentsatz abgeschnitten – lediglich sensible Bereiche wie Bildung und Arbeitsmarkt wurden mit „höheren Schnittstufen“ etwas geschont. Damit war bereits im April besiegelt, dass es etwa bei der Familienförderung zu empfindlichen Einschnitten kommen wird. Ausgabenkürzungen oder –umschichtungen der Bundesländer waren zudem nur rhetorisch ein Thema.
Wenn man sich die konkreten Maßnahmen ansieht, so fällt zunächst das eigentlich offensichtliche auf: milliardenschwere Ausgabenkürzungen sind kurzfristig nur durch unbeliebte Leistungskürzungen möglich. Auf den zweiten Blick ist eine differenzierte Betrachtung angebracht. Während es in den Budgetuntergliederungen wie beispielsweise Pensionen und Gesundheit relativ gut gelungen ist, die negativen Effekte zu beschränken, sticht der Familienbereich negativ hervor. Statt wenig effektive und eher BesserverdienerInnen zu Gute kommende teure Steuervorteile wie insbesondere den Kinderfreibetrag abzuschaffen, werden Studierende und arbeitslose Jugendliche bzw. deren Eltern besonders hart getroffen. Wegen relativ geringen Summen wurde zunächst eine Einschränkung des freien Zugangs zum Justizsystem riskiert, ehe noch vor der Budgetrede ein Abschleifen erfolgte. Im Bildungs- und Wissenschaftsbereich gibt es zwar jeweils 80 Mio Euro zusätzlich im Jahr, doch gleichzeitig werden sinnvolle Ausgaben – etwa für das Nachholen von Bildungsabschlüssen, anwendungsorientiertere außeruniversitäre Forschungseinrichtungen oder Bau- und Fördermaßnahmen für Menschen mit Behinderung – gekürzt oder verschoben. Im Bereich der Entwicklungsfinanzierung, wo Österreich bereits bisher am untersten Ende innerhalb der EU zu finden und weit entfernt von den eigenen Zielen bzw. jenen in internationalen Abkommen war, werden die Ausgaben nochmals deutlich reduziert. All das hätte nicht nur symbolisch abgeschliffen, sondern tatsächlich geändert werden müssen.
In vielerlei Hinsicht ist das Szenario eines „Abbaus der Krisenschulden auf Kosten von Zukunftsinvestitionen“ eingetreten. Dafür ist insbesondere verantwortlich, dass die Abgabenquote von Vermögen im internationalen Vergleich weiterhin rekordverdächtig niedrig bleibt. Statt überwiegend auf höhere vermögensbezogene Steuern zum Abbau der Krisenschulden zu setzen, wurde entgegen der Pröll’schen Rhetorik auf die „Zukunft unserer Kinder“ gerade nicht geachtet. Große Bildungsreformen fehlen, ihren Eltern wurden Beihilfen gekürzt und auch zu Lasten notwendiger Zukunftsinvestitionen wurde gespart: zu wenig für qualitativ hochwertige Bildung, keine nachhaltige Lösung der Pflegeproblematik, keine neuen Mittel für die Kinderbetreuung oder Integrationsförderung und nur zaghafte Schritte Richtung Energiewende. So blieb von der „Herzensangelegenheit“ des Finanzministers weitgehend nicht mehr als Frust in der Bevölkerung übrig, die sich mehr als den kleinsten gemeinsamen großkoalitionären Nenner erwartet hätte.