Europäische Union: Bleibt beim Wettlauf zum Klubbeschluss zur Europäischen Wirtschaftsregierung noch Platz für die Ausübung demokratischer Souveränität?
Wirtschaftsregierung und Pakt für den Euro : Ergebnis einer Umdeutung der Finanzmarktkrise zur Staatskrise.
Die unmittelbaren Krisenverursacher (Finanzmärkte und Banken) stehen knapp zweieinhalb Jahre nach deren Ausbruch wieder auf vermeintlich stabileren Beinen. Im letzten Jahr hat sich das Bedrohungsszenario immer mehr von einem Zusammenbruch der Finanzmärkte und einem Einbruch der gesamten Wirtschaftsleistung hin zu einem Staatsversagen und einer Gefährdung des Euro durch die überbordende Staatsverschuldung bewegt. Die Staaten der Union gehen es nun an: Es braucht eine europäische Wirtschaftsregierung. Die Gestaltung der Wirtschaftspolitik soll in einem stärkeren Ausmaß auf europäischer Ebene geregelt werden und den Nationalstaaten soll Handlungsspielraum entzogen werden. Seit Längerem schon liegen sechs Legislativvorschläge auf dem Tisch, die vor allem eine Verstärkung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und schärfe Sanktionierungsmechanismen bei Nichteinhaltung vorsehen. Anfang Februar ließ nun auch Deutschland mit einem neuen Papier aufhorchen. Hintergrund: Die Legislativvorschläge seien zumindest für die Eurozone nicht genug – es bräuchte einen Pakt für den Euro, der eine noch stärkere Abstimmung der Wirtschaftspolitik der Euroländer impliziert und diese einer stärkeren Kontrolle unterzieht. Darauf haben sich die Eurostaaten auch in abgeschwächter Form geeinigt.
Ein Neoliberales Wirtschaftsprojekt wird durch Entmachtung der demokratischen Entscheidungsprozesse ermöglicht
Es ist außer Frage zu stellen, dass es sinnvoll wäre sich auf europäischer Ebene wirtschaftspolitisch besser zu koordinieren. Der „Wildwuchs“ an Regelungen von nationalen wirtschaftspolitischen Einzelinteressen hat in der Vergangenheit zu negativen Auswirkungen für die wirtschaftliche Entwicklung einzelner europäischer Staaten und von ganz Europa geführt. Doch eine schnelle Analyse des aktuellen Prozesses zeigt: Inhaltlich wird hier ein stark neoliberales Projekt vorangetrieben, dessen Hauptschauplatz die Legislativvorschläge sind, die beim Frühjahrestreffen der Staats- und Regierungschefs beschlossen werden sollen. Ein Ablenkungsmanöver davon wurde nun im „Pakt für den Euro“ gefunden. Dieses Vorgehen mutet von einem demokratiepolitischen Standpunkt aus betrachtet, sehr befremdlich an, da sich die Entmachtung demokratiepolitischer Entscheidungsprozesse sehr sehr deutlich zeigt. Wurden beim Abschluss des Vertrags von Lissabon noch große Reden geschwungen, dass nun ein entscheidender Fortschritt zur Demokratisierung der europäischen Union und der Weg zu einer europäischen Unionsbürgerschaft beschritten werden sollte, so ist davon beim Beschlussverfahren für die Wirtschaftsregierung sehr wenig zu bemerken. Die Regierungschefs ziehen sich in ihren „Klubraum“ zurück, halten ihre Vorschläge unter Verschluss und treffen Entscheidungen in einer Geschwindigkeit, die nicht einmal den informierten ExpertInnen Raum für eine differenzierte Analyse und Meinungsbildung gibt. Die allgemeine Öffentlichkeit leidet unter einem Informationsdefizit und es herrscht ein allgemeines Ohnmachtsgefühl angesichts des Beschlussstakkatos der RegierungsvertreterInnen in Brüssel. Doch auch diese Beschlüsse werden nicht in Unabhängigkeit getroffen, da die Regierungen vielmehr Getriebene der Interessen der Wirtschafts- und Finanzmarktlobbyisten sind.
Entwicklung eines demokratiepolitischen Bewusstseins für eine wirtschaftspolitische Ausrichtung im Sinne der Bürger der europäischen Union
Woran krankt dieses System und was ist zu tun? Der Weg zur Europäischen Wirtschaftsregierung zeigt es sehr deutlich: in der Europäischen Union hat sich bisher noch keine demokratische Öffentlichkeit der Unionsbürger gebildet. Es ist an der Zeit, Schritte dahingehend zu unternehmen, dass sich die Menschen Europas als souveräne BürgerInnen wahrnehmen. Wichtige politische Entscheidungen wohin die Europäische Union wirtschafts- und gesellschaftspolitisch steuert, können nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit getroffen werden. Eine ausführlichere Debatte durch z.B. verstärkte Medienberichterstattung gestaltet sich aber schwierig, da auch die MedienvertreterInnen – auch wenn sie ExpertInnen der Europapolitk sind — diese der Bevölkerung aufgrund technischer Komplexität und schnelllebiger ad hoc Entscheidungen schwer kommunizieren können. Nachvollziehbare Politikentscheidungen und eine ausführliche Debatte darüber sollte allerdings die Prämisse für eine demokratische Politikgestaltung sein. Daher müssen Europas Regierungen ihrem gesellschaftlichen Auftrag ihre BürgerInnen verstärkt wirtschafts- und demokratiepolitisch aufzuklären, intensiver nachkommen. Kritische Bildungsinstitutionen, Medien und zivilgesellschaftliche Bewegungen können hier einen entscheidenden Beitrag dazu leisten und vielleicht auch als „Entschleuniger“ wirken.
Aber die Verstärkung eines demokratiepolitischen Bewusstseins alleine reicht nicht aus. Es muss auch verdeutlicht werden, dass die aktuellen Vorschläge zur wirtschaftspolitischen Regierung nicht den Kern des Problems treffen. Die geplanten Maßnahmen laufen im Wesentlichen darauf hinaus, eine verstärkte Konstitutionalisierung neoliberaler Wirtschaftspolitik vorzunehmen, mit einer Bestandsgarantie, die weit über nationale Verfassungsgesetze hinausgeht. Es liegen schon differenzierte Analysen zur Wirtschaftsregierung und den Pakt für den Euro vor, auch an alternativen Ansätzen mangelnd es nicht.
Hier eine Auswahl zur Nachlese:
Der neueste Beitrag von Andrew Watt: Parallel universes: A Pact for the Euro and Annual Growth Survey but still no clear path out of crisis.
„Wachstum in der EU stärken, nicht gefährden“ – gemeinsame Pressekonferenz von AK und ÖGB am 21.03.2011 EGB-Resolution zur Economic Governance (http://www.etuc.org/IMG/pdf/Resolution-on-European-Economic-Governance-EN.pdf
Zur online Vorabversion des Beitrags von Elisabeth Klatzer und Christa Schlager. Sie analysieren die geplanten EU Reformen für den Kurswechsel 1/2011 („Zukunftsaussichten“)
http://www.beigewum.at/kurswechsel/jahresprogramm-2011/heft-12011-zukunftsaussichten/
Auch der BEIGEWUM hat bereits im „Mythus Nulldefizit“ im Jahr 2000 im Kapitel „Budgetpolitische Vorgaben der EU“, die Wirtschaftspolitik analysiert.
Die Analyse bestätigt nochmals: Die aktuelle Debatte um die „Economic governance“ der EU enthält wenig neue Gedanken, die sich tatsächlich als „Lehre aus der Krise“ eingestellt hätten. Die Krise schwächt vielmehr die Gegenwehr gegen langgehegte Vorhaben, die nun endlich durchsetzungsfähig scheinen. Hier die Argumentation des BEIGEWUM aus dem Jahr 2000
Die EU-Regelungen zu Budgetpolitik entspringen einer Konzeption, die auf das Zurückdrängen des Sozialstaats abzielt. Diese war auf EU-Ebene leichter durchzusetzen als in den einzelnen Mitgliedstaaten.(…) Sie schlägt sich in einer Verankerung von immer radikaleren Vorgaben für die nationale Budgetpolitik auf EU-Ebene nieder. Stufe1: Maastricht (…); Stufe2: Stabilitätspakt(…); Stufe 3: Qualität der öffentlichen Finanzen: (…).
Anfang der 90er Jahre wurde gesagt, geringe Defizite seien erforderlich, um Handlungsspielraum für konjunkturstabilisierende Maßnahmen in einer Rezession zu gewinnen. Mittlerweile sind ausgeglichene Budgets die Norm. (..) Jetzt werden weitere Überschüsse gefordert (…) Für irgendetwas muss immer Vorsorge getroffen werden. Dazu kommt die Beobachtung, dass der Abbau der Defizite in den letzten Jahren zu einem Gutteil auf Kosten staatlicher Investitionsausgaben erfolgt ist, (….) das schadet aber direkt der Wirtschaft. (…) Diese Erfahrung führte dazu, dass nach der bisherigen Annäherung über Umwege nun direkt die Sozialausgaben ins Visier genommen werden. Das hat die nächste Runde in punkto Verschärfung der Budgetkriterien eingeläutet. Unter dem harmlos klingenden Titel „Qualität der öffentlichen Finanzen“ wird in den EU-Gremien debattiert, die Verwendungszwecke der einzelnen Budgetausgaben zu überprüfen.
(…)Hier geht es offen darum, den nationalen Finanzministerien durch internationale Vereinbarungen den Rücken für die innerstaatliche Durchsetzung der Vision vom schlanken (Sozial-)Staat zu stärken. Um die Quantität und Qualität der öffentlichen Einnahmen macht man sich dagegen nicht so viel Kopfzerbrechen: Seit Jahren werden bei der einheitlichen Mindestbesteuerung von Kapitalerträgen keine wirklichen Fortschritte erzielt.
Wichtig für den Weg hin zu einer alternativen Wirtschaftspolitik im Sinne der Mehrheit der europäischen Bevölkerung ist nun, dass sich die Unionsbürger nicht von Regierungsklubs disziplinieren lassen, sondern ihr demokratiepolitisches Bewusstsein entwickeln und für einen inklusiven Entscheidungsprozess eintreten.