Korruptionsskandal im EU-Parlament nur die Spitze des Eisbergs
Im März ließ die britische Zeitung Sunday Times vier Abgeordnete auffliegen, die für in Aussicht gestellte Bezahlung Gesetzesvorschläge im EU-Parlament eingebracht hatten. In einer Undercover-Recherche hatten sich JournalistInnen der Zeitung als LobbyistInnen ausgegeben und Abgeordneten Beraterjobs in einer erfundenen Lobby-Firma angeboten – für 100.000 Euro jährlich. Auf heimlich gedrehten Videos wurde veröffentlicht, wie der ex-Außenminister Ernst Strasser, der Rumäne Adrian Severin, der Slowake Zoran Thaler und der Spanier Pablo Zalba Bidegain darauf eingingen.
Thaler und Strasser sind nach den Veröffentlichungen zurück getreten. Severin wurde aus der sozialdemokratischen Fraktion ausgeschlossen, klebt aber an seinem Parlamentssitz. Ebenso Zalba Bidegain. Die Konservativen verteidigen den Spanier, der gar kein Geld angenommen hätte. Dabei zeigt das Sunday Times Video deutlich, dass Zalba alles andere als abgeneigt war.
Der bisher größte Lobbyskandal der EU-Geschichte hat in Brüssel Schockwellen ausgelöst. Und eine breite Debatte über Korruption und die Rolle von Lobbyisten im EU-System. Diese Woche tagte erstmals eine von Parlamentspräsident Buzek eingesetzte Arbeitsgruppe, um einen strikten Verhaltenskodex für EU-Abgeordnete zu erarbeiten.
Der ist bitter nötig. Allein die Tatsache, dass fast 25% der ParlamentarierInnen, die die Undercover-JournalistInnen der Sunday Times kontaktiert haben (14 von insgesamt 60) ernsthaft an ihrem Angebot interessiert waren, zeigt, dass im EU-Parlament die Grenze zwischen gewählten EntscheidungsträgerInnen und bezahltem Lobbyismus längst verschwommen ist.
Lukrative Nebentätigkeiten
Auch, dass vor dem Sunday Times Skandal kaum jemand ein Problem damit hatte, dass Strasser neben seiner Abgeordnetentätigkeit hunderttausende Euros als Industrie-Lobbyist verdiente, gibt zu denken. Bereits im Februar gab es Gerüchte, dass der Abgeordnete Treffen zwischen der EU-Kommission und Unternehmen einfädelte. Damals stritt er das schlicht ab und die Sache war vom Tisch. Im Sunday Times Video ist er dagegen ganz offen: “Na klar bin ich Lobbyist”. Und ein besonders guter dazu, denn als Abgeordneter könne er eben leicht Türen öffnen.
Tatsächlich gibt es im Europaparlament bisher keine Regeln, die ParlamentarierInnen verbieten, nebenher Lobbyismus zu betreiben. Kürzlich enthüllte ein Reuters-Artikel Nebenjobs einer Reihe prominenter Abgeordneter, bei denen Interessenkonflikte mit ihrer Tätigkeit im Parlament auf der Hand liegen. Der deutsche Christdemokrat Klaus-Heiner Lehne ist z.B. Partner der Anwaltskanzlei Taylor Wessing. Und EU Veteran Elmar Brok steht auf der Gehaltsliste des Medien-Giganten Bertelsmann. Beide Unternehmen lobbyieren die EU-Institutionen.
Nicht selten bekommen Abgeordnete die Federfürhung zu einem Thema, bei dem sie aufgrund ihrer Nebenjobs einen klaren Interessenkonflikt haben. Im letzten EU-Parlament setzte sich der britische Abgeordnete John Purvis als Berichterstatter zu Hedge Funds ein für deren laxe Regulierung. Gleichzeitig war Purvis Vorsitzender des britischen Ablegers eines Schweizer Unternehmens, das in Hedge Funds investierte.
Durch die Drehtür… und zurück
Als er aus dem Parlament ausschied, wechselte Purvis zur Lobby-Firma Cabinet DN, als Experte für Finanzmarktangelegenheiten. Er ist nur einer von vielen ehemaligen Abgeordneten, die durch die Drehtür von der Politik in die Lobby-Industrie gewechselt haben.
Auch Hubert Pirker, Strasser’s Nachfolger im Europaparlament, war schon einmal Abgeordneter bevor er seine Lobbyfirma EU-Triconsult aufmachte – die er als neuer Abgeordneter nun angeblich wieder zugemacht hat.
Bei einer derart gut geölten Drehtür zwischen Europaparlament und der Lobbyindustrie stellt sich ganz grundsätzlich die Frage, ob die Brüsseler Abgeordneten im öffentlichen Interesse Politik machen – oder potentiellen zukünftigen Arbeitgebern gerne mal einen Gefallen tun.
Fließende Grenze zwischen Lobbyismus und Korruption
Das deutet bereits an, dass die Grenze zwischen Lobbyismus und Korruption fließend ist. Darauf hat jüngst der schwedische EU-Parlamentarier Carl Schlyter hingewiesen. In einem Interview verurteilte er die Praxis, Gesetzesanträge für Geld einzubringen als “widerlich”. Allerdings sei sie die Ausnahme. Denn: “Die meisten Abgeordneten reichen Änderungsanträge für andere umsonst ein. Ich weiß nicht, was schlimmer ist. Was am Ende beschlossen wird, ist das Gleiche.” Schlyter sieht im Lobbyismus daher eine der Hauptursachen für schlechte EU-Politik.
Auch andere Abgeordnete haben sich in den letzten Wochen dafür ausgesprochen, den Einfluss von Kapitalinteressen auf die EU-Politik zurück zu drängen. Und Abgeordneten die zulassen, dass die Kapitalseite in Brüssel ständig den Politikprozess kapert, die Stirn zu zeigen. Die nächsten Monate werden zeigen, ob sich für ihre Position eine Mehrheit finden lässt.