27.6.11: Die andere ö. Schule: Kurt Rothschild (+Video!)
Montag, 27. Juni 2011, 19 Uhr, im Republikanischen Club (Rockhg.1, 1010 Wien):
„DIE ANDERE ÖSTERREICHISCHE SCHULE: Kurt ROTHSCHILD“
Videoaufzeichnung der Veranstaltung hier.
Präsentation des neuen Kurswechsel 2/2011
Kurt Rothschilds Methodologie: Elisabeth SPRINGLER (FH / Bfi Wien),
Kurt Rothschild und die Finanzkrise: Peter MOOSLECHNER (OeNB),
Kurt Rothschild und Arbeitslosigkeit heute: Herbert WALTHER
(Wirtschaftsuniversität Wien),
Moderation: Wilfried ALTZINGER (Wirtschaftsuniversität Wien)
Kurt W. Rothschild war zweifelsohne der bekannteste Nationalökonom
Österreichs; er verfasste über 300 Artikel und schrieb über 25 Bücher.
Rothschild verstarb am 15. November 2010 im Alter von 96 Jahren. Er
war uns nicht nur als Ökonom ein großes Vorbild, sondern auch und vor
allem als umfassender Humanist in allen Teilen seines (privaten wie
öffentlichen) Lebens. Rothschild musste 1938 von Österreich nach
Glasgow emigrieren und war dort binnen kurzer Zeit in die neue und
junge Diskussion um die keynesianische Theorie involviert. Bereits
1942 veröffentlichte er seinen ersten Artikel im Economic Journal, dem
damaligen zentralen, von John Maynard Keynes editierten
Publikationsorgan in der Ökonomie. Rothschild kam 1947 nach Wien
zurück und arbeitete für 20 Jahre am Österreichischen Institut für
Wirtschaftsforschung (WIFO), welchem er auch bis zu seinem Tode als
Konsulent zur Verfügung stand. 1966 erhielt Rothschild seine Berufung
an die neu gegründete Universität Linz, wo er und seine KollegInnen
das neue Studium der Volkswirtschaftslehre errichteten. Nach seiner
Emeritierung im Jahre 1985 arbeitete, schrieb und lehrte Rothschild
bis zu seinem Tode in Wien sowie an zahlreichen Universitäten im In-
und Ausland. Seine Publikationsliste erweiterte sich auch in dieser
Zeit ungebrochen. Kurt Rothschild war dem BEIGEWUM als Berater,
Vortragender und Diskutant stets eng verbunden, ebenso war er
unterstützendes Mitglied und beliebter Vortragender im
Republikanischen Club – Neues Österreich. Der BEIGEWUM gedenkt
Rothschild mit einer Kurswechsel-Sondernummer zum Thema: „Die andere
österreichische Schule: Kurt Rothschild“.
Heft bestellen: Hier
Symposium Neoliberalismus – Krisenfolgen – Machtverhältnisse 2011 17.-19.6.11 in Graz
Neoliberalismus – Krisenfolgen – Machtverhältnisse 2011
Symposium zur Analyse und Diskussion der Kontinuitäten und Brüche
neoliberaler Herrschaft, postneoliberaler Tendenzen und emanzipatorischer
Strategien
FR 17.6. – SO 19.6. 2011 / FORUM STADTPARK / Graz
Im Angesicht der sich verschärfenden sozialen Folgen der großen
multiplen Krise, mit der wir es derzeit zu tun haben, sollen die
gegenwärtigen ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen
Transformationen im Rahmen des Symposiums in den Blick genommen werden.
Kritische Wissenschaftler_innen, Denker_innen und Aktivist_innen werden
die Kontinuitäten und Brüche neoliberaler Regierungsweisen,
Regulationsformen und Subjektivierungsweisen analysieren. Die zentrale
Fragestellung dabei ist, ob der Neoliberalismus gestärkt aus der Krise
hervorgeht, in welcher Weise er sich verändert und welche
postneoliberalen Tendenzen auszumachen sind.
Im Rahmen der Vorträge, Diskussionen und Workshops sollen die Intentionen
und Strategien der für die Destabilisierung der Wirtschaft, die
fortschreitende Entdemokratisierung und die Intensivierung sozialer
Polarisierungs- und Erosionsprozesse verantwortlichen Akteur_innen
sichtbar gemacht werden. Debattiert werden soll vor allem auch, wie
emanzipatorische Kräfte den besorgniserregenden Entwicklungen
entgegenwirken können. Welche Interventionsmöglichkeiten bestehen
angesichts der derzeitigen Machtverhältnisse? Welche gesellschaftlichen
und politischen Auseinandersetzungen werden die kommenden Jahre und
Jahrzehnte prägen?
Vortragende und Diskutant_innen
Jens Wissel (Institut für Sozialforschung, Universität Frankfurt am
Main), Gabriele Michalitsch (Ökonomin und Politologin, Universität
Wien), Stefan Schmalz (Institut für Soziologie der Friedrich
Schiller-Universität Jena), Christina Kaindl (Psychologin, Rosa Luxemburg
Stiftung / Berlin), Markus Wissen (Institut für Politikwissenschaft,
Universität Wien), Brigitte Kratzwald (Sozialwissenschaftlerin,
commons.at / Graz), Beat Weber (Ökonom, Beigewum / Wien), Ines
Aftenberger (Historikerin und Aktivistin, Mayday Graz), Marcel Kirisits
(Ökonom, Arbeiterkammer Steiermark / Graz), Felix Wiegand (Diplomand am
Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien, Aktivist der
Gruppe Perspektiven / Wien), Käthe Knittler (Ökonomin, PrekärCafè©,
Mayday / Wien), Joachim Hainzl (Sozialpädagoge und Sozialhistoriker,
Xenos / Graz), uam.
Kooperationspartner_innen
Elevate, ÖH Graz – Referat für Gesellschaftspolitik, Attac,
Arbeiterkammer Steiermark, ÖBV-Via Campesina Austria, IG Kultur
Steiermark, Amsel (Arbeitslose Menschen suchen effektive Lösungen),
Grüne Akademie, KPÖ– Bildungsverein, Sozialistische Jugend Steiermark,
Grünalternative Jugend Steiermark, Auge/UG (Alternative, Grüne und
Unabhängige GewerkschafterInnen), Infoladen Graz, Doku Graz,
GenderWerkstätte, Welthaus Diözese Graz-Seckau, A_partment politi_X,
agit.DOC, Social Innovation Network, Mayday Graz, Xenos, ETC, Hier und
Jetzt!, movimenta.org, Streifzüge, Aktive Arbeitslose, G24.at und Radio
Helsinki
Das gesamte Symposium ist bei freiem Eintritt ohne Anmeldung zu besuchen.
Verlustgeschäft Privatisierung
Verlustgeschäft Privatisierung
Seit Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl und IV-Chef Veit Sorger in einer Pressekonferenz am 4. Mai 2011 eine neue Privatisierungswelle forderten, reißt die Debatte darum nicht mehr ab. Verkauft werden sollen nahezu alle Unternehmen, die sich im öffentlichen Besitz befinden: Die Energieversorgungsunternehmen, die Bundesimmobilien, die gemeinnützigen Wohnungen, die Münze Österreich, die Bundesforste und viele mehr.
Es gibt eine Reihe politischer Gründe, die gegen die Privatisierung dieser Unternehmen sprechen. Die Anteile der öffentlichen Hand sichern die Daseinsvorsorge, Arbeitsplätze (siehe Austria Tabak), die Versorgung der Bevölkerung und wirtschaftspolitische Gestaltungsmöglichkeiten. Im Fall der Unternehmen, die auf der Verkaufsliste von WKÖ und IV stehen, zeigt jedoch auch ein Blick auf die Zahlen, dass eine Privatisierung ein nicht besonders lukratives Geschäft wäre.
Als Argument für den Verkauf von Unternehmensbeteiligungen der öffentlichen Hand dient die ausgerufene Schuldenkrise. „Wenn die Republik ihre Unternehmen verkauft, bringt das eine Menge Geld und befreit uns von der Last der Schulden“ – so das nur auf den ersten Blick nachvollziehbare Argument. Ganz davon abgesehen, dass gestiegene Staatsschulden eine Krisenfolge sind und die Schuldenquote in Österreich 2010 mit 72,3% des BIP noch lange keiner Panik bedarf und unter dem europäischem Durchschnitt liegt, gibt es einfach einen Unterschied zwischen dem privaten Haushalt und dem Staat: Der Staat muss eben kein Darlehen mit einer bestimmten Laufzeit wieder zurückzahlen, daher sind für ihn vor allem die Zinsendienste die relevante Größe. Es gibt aber eine Gemeinsamkeit, die gerne vergessen wird: den Schulden steht ein Vermögen gegenüber – nur beides zusammen führt zu einer sinnvollen Beurteilung der Finanzsituation. Im Falle des Staates gibt es zwar leider keine verlässlichen Zahlen, doch eine Studie des WIFO von 2006 lieferte mit einem geschätzten Bruttovermögen von ca. 113 % des BIP immerhin den Anhaltspunkt, dass insgesamt ein deutlich positives staatliches Nettovermögen vorhanden ist.
Wie hoch auch immer das Nettovermögen sein mag, Fakt bleibt, dass der Erlös aus dem Verkauf staatlicher Betriebe die Bruttostaatsverschuldung auf einen Schlag senken kann. Dadurch hat die Finanzministerin jedoch nicht per se einen größeren finanziellen Spielraum. Der Vorteil einer Reduzierung der Staatsschulden liegt darin, dass in Zukunft weniger Zinsen bezahlt werden müssen. Der Nachteil einer solchen Schuldenreduktion durch den Verkauf von staatlichem Eigentum besteht aber darin, dass naturgemäß Ertrag bringendes Staatsvermögen verloren geht, und damit dauerhafte Verluste von Unternehmensgewinnen anfallen. Derzeit fließt ständig Geld von OMV, Verbund und Co in Form von Dividenden in die Staatskassa. Und: Die Unternehmen werden durch Investitionen ua mehr wert, das sorgt für noch höhere Dividenden in der Zukunft.
Aus dieser Tatsache ergibt sich eine einfache Rechnung: Wenn der Betrag, den der Staat durch einen geringeren Zinsendienst spart, höher ist als die – aktuellen und zukünftigen – Dividenden, lohnt sich das Konzept „Privatisierung zum Schuldenabbau“ rein finanziell. Hier ist jedoch genau das Gegenteil der Fall: Jene Unternehmen, die auf der Verkaufsliste von Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung stehen, sind hoch profitabel – insbesondere die Energieversorger. Die Zeiten, in denen der Staat seine Betriebe teuer subventionieren muss, sind vorbei.
Eine schematische Beispielrechnung zeigt, dass die letzten Privatisierungen kein Geschäft für den Staat waren. Die OMV-Teilprivatisierung von rund 15 % des Unternehmens brachte 1996 Privatisierungserlöse von knapp über 300 Mio Euro. Diese führten zu einer Zinsersparnis von rund 19 Mio Euro jährlich. Gleichzeitig gingen aber auch die Anrechte auf rund 15% des OMV-Jahresüberschusses – damals konkret 21,5 Mio Euro– verloren. Das heißt, durch die Privatisierung ergab sich bereits im ersten Jahr ein ökonomischer Verlust von 2,5 Mio Euro. Über die Jahre stieg der OMV-Jahresüberschuss auf das 10-fache an, was natürlich auch den Bundesanteil am Gewinn auf das 10-fache erhöht hätte, während die jährliche Zinsersparnis parallel zum sinkenden Zinsniveau sogar kleiner wurde. Im Zeitraum 1996–2010 ergibt sich so ein gigantischer Verlust für den Staatshaushalt von über 1 Milliarde Euro.
Ganz davon abgesehen, dass der Verkauf von Unternehmen, die die Bevölkerung mit Energie versorgen oder dem Wasserschutz dienen (Bundesforste) die Versorgungssicherheit gefährden – internationale Beispiele dafür gibt es genug – wäre eine neue Privatisierungswelle für den Staat rein kaufmännisch ein denkbar schlechtes Geschäft. Die Bemühungen von Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung dieses Geschäft trotzdem durchzuziehen, legen den Schluss nahe, dass es mit der dort postulierten Ideologiefreiheit nicht weit her ist. Sie bleiben im alten Denken „Privatisierung von Gewinnen, Sozialisierung von Verlusten“ verhaftet.
„Sie können sich die Heimkosten für 2 Monate leisten!“
Der Sozialhilfeverband Liezen bietet für seine BürgerInnen ein ganz besonderes Online-tool – den Heimkostenrechner. Er soll zeigen, wie viel ein Platz in einem Pflegeheim kostet. Gleichzeitig offenbart er das Konzept der österreichischen Pflegefinanzierung, und das in nur zwei Fragen: (1) „Ihre Pension brutto in Euro beträgt?“, und (2) „Ihre Pension reicht für die monatlichen Heimkosten nicht aus! Besitzen Sie Ersparnisse?“
Wird man in Österreich pflegebedürftig, schlägt die 100%ige Vermögenssteuer zu. Alles wird verwertet, bevor die öffentliche Hand einspringt. Im Fachjargon nennt man das den Eigenregress, der Barvermögen, Wertpapiere und Eigentum einzieht. Noch weitere Kreise zieht der Angehörigenregress, der kürzlich in der Steiermark wieder eingeführt wurde. Eltern, Kinder und Ehegatten bzw. Erben sind dann gesetzlich verpflichtet, Sozialhilfekosten, die während eines Heimaufenthaltes entstehen, zu ersetzen.
Eigentumsbesteuerung und Pflege sind also miteinander verquickt – allerdings nicht in der Form, dass die Reicheren für die Ärmeren einstehen, sondern so, dass die Armen allein dastehen. Vermögensbezogene Steuern könnten jedoch helfen, den steigenden Finanzierungsdruck aufgrund demografischer Entwicklung und notwendigem Ausbau des Dienstleistungssystems zu lindern. In den nächsten eineinhalb Jahren wird unter Federführung des Bundesministeriums für Soziales eine Arbeitsgruppe für die Neugestaltung des österreichischen Pflegesystems tagen. Auch hier wird man nicht umhin kommen, alternative steuerbasierte Formen der Finanzierung anzudenken.
Pflegebedürftigkeit kann uns nämlich alle treffen. Das lautet dann so: „Sie können sich die Heimkosten für 2 Monate leisten! Ab dem 3. Monat muss für Sie jedoch…“
6.6.: THE ROLLBACK OF TRADE UNION RIGHTS IN THE U.S.A.: The Case of Wisconsin
Montag, 6. Juni 2011, 19 Uhr, im Republikanischen Club (Rockhgasse 1, 1010 Wien)
A field report by
Cory WANEK (Board member of the Wisconsin Education Association Council)
Moderator:
Wilfried ALTZINGER (University of Economics, Vienna)
Presentation and Discussion in English
Hosted by: BEIGEWUM and Rep. Club
On February 11, 2011, newly elected Wisconsin Governor Scott Walker presented his budget repair bill. He said the budget deficit of over $3 billion is the main reason he needs to pass his law stripping away most bargaining rights from pubic sector employees. This law is not only about fiscal items but also to widen the political power gap. It will take power away from workers and concentrate it more with the businesses and the Republican Party. This change will have implications that are not only local but also national and international.
For more on that:
Divide and conquer – the „haves and have nots“
Fekters Ideologie
Neu-Finanzministerin Maria Fekter empfindet den Vergleich mit Margret Thatcher als „eiserne Lady“ als ein Kompliment. Das verriet sie dem Standard (7./8. Mai 2011) in einem Interview. Warum? „Thatcher hat mit ihren Reformen ein abgewirtschaftetes Land zur Erfolgsstory gemacht.“ Wenn das mal keine Drohung ist…
Fekter sagt dann im gleichen Interview auch, dass der Staat sich von seinen Betrieben trennen soll, „und zwar um Schulden abzubauen […].“ Das ist interessant. Denn wenn man eine Bilanz gleichzeitig auf der Habenseite (Staatsvermögen) und auf der Sollseite (Staatsschulden) kürzt, dann betreibt man lediglich eine Bilanzkürzung und keinen Schuldenabbau. Anders formuliert: Den Staatsschulden steht ein Staatsvermögen entgegen. Noch anders formuliert: Wenn jemand ein Haus besitzt, das 200.000 Euro wert ist, und Kredite in Höhe von 100.000 Euro hat, besitzt er ein Vermögen von 100.000 Euro. Wird das Haus verkauft und die Kredite beglichen, dann bleiben 100.000 Euro als Haben – als Vermögen – bestehen. Die Zusammensetzung des Vermögens hat sich also geändert, am Wert des Vermögens ändert sich jedoch nichts. Privatisierungen führen also nicht zum Schuldenabbau, sondern zu einer Veränderung der Zusammensetzung des Staatsvermögens. Fekters Aussagen folgen keiner Logik – aber darum geht es ihr auch nicht. Sondern um pure Ideologie. Noch einmal aus dem Standard-Interview: „Außerdem ist wirtschaftliches Management immer besser als staatliches.“ Begründet wird das nicht, was nach der Banken- und Wirtschaftskrise mindestens erstaunlich ist.
Es stellt sich die Frage, wann es Sinn macht, die staatliche Eigentümerschaft einer privaten vorzuziehen. Dies macht dann Sinn, wenn die Ziele (sozialer Ausgleich, öffentliche Infrastruktur, öffentliche Daseinsvorsorge usw.) sich besser durch den Staat als über private Anbieter erreichen lassen. Maria Fekter müsste also begründen, warum private Anbieter etwa die Versorgung mit öffentlichen Verkehrsdienstleitungen in der Fläche besser bewerkstelligen können als der Staat. Zudem müsste sie begründen, wann Schuldenabbau und Schuldenaufnahme durch den Staat Sinn machen, und wann nicht. Auf dem BEIGEWUM-Blog wurde am Beispiel der Schuldenbremse und der geplanten Budgetkonsolidierung in Österreich hierzu Stellung genommen.
Wenn Fekter ihre ideologischen Scheuklappen absetzen würde, dann könnte auch das Thema Staatsverschuldung angegangen werden – noch immer verzichtet Österreich auf Vermögenssteuern, hat extrem niedrige Körperschaftssteuern und die Erbschaftssteuer wird bekanntlich auch nicht mehr eingehoben. Hier gibt es Potential, die Einnahmen des Staates zu stärken – und so die Schulden zurückzuführen. „Eiserne Lady“ ist kein Kompliment für eine Finanzministerin. „Politikerin mit ökonomischem Sachverstand“, das wäre eines.
Diskussion „Alternativen zum BIP“: Veranstaltungsbericht vom 4.5.2011
Wie neutral ist das BIP? Unter anderem diese Frage wurde bei der BEIGEWUM-Podiumsdiskussion „Alternativen zum BIP – welche Indikatoren für welche Gesellschaft?“ am 4.5. durchaus kontroversiell diskutiert. Konrad Pesendorfer (Generaldirektor Statistik Austria) verteidigte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als wertfreie Addition monetärer Aktivitäten, die erst durch ihre Überhöhung als Wohlstandsindikator durch die Politik problematisch, weil irreführend, werde. Demgegenüber betonten Katharina Mader (Wirtschaftsuniversität, BEIGEWUM) und Ulrich Brand (Politikwissenschafts-Professor Uni Wien) die intrinsisch politische Qualität von Indikatoren. „Kennziffernfragen sind Machtfragen“ lautet denn auch der Titel eines Beitrags im aktuellen Kurswechsel 1/2011, der bei der Veranstaltung vorgestellt wurde.
Derzeit gibt es international eine Debatte um neue Wohlstandsindikatoren, die das BIP ergänzen oder ablösen sollen, wie Konrad Pesendorfer erläuterte. Als wichtige Wegmarke gilt der von Frankreichs Präsident Sarkozy beauftragte Stiglitz/Sen/Fitoussi-Bericht, der in drei Gebieten Anpassungen vorschlägt (Ergänzung des Produktions-Blickwinkels des BIP durch eine Betrachtung der Lage von Haushalten; Messung von Lebensqualität; Messung von Nachhaltigkeit). Im Anschluss daran sind auch EU und OECD aktiv bei der Suche nach neuen Indikatoren. In Österreich arbeitet die Statistik Austria daran, auf Basis bestehender Daten solche Indikatoren bereitzustellen. Aus dem Publikum wurde zudem auf das Indikatorenset nachhaltiger Entwicklung in Österreich hingewiesen.
Bei den Indikatoren anzusetzen wertete Mader als Versuch, das Pferd verkehrt herum aufzuzäumen. Zuerst brauche es eine neue Wirtschaftstheorie und Debatte darüber, was gesellschaftlich wichtig, was wirtschaftlich sinnvolle Aktivität und wie der Zusammenhang zwischen Wirtschaft und Lebensqualität sei, erst daraus abgeleitet könne sinnvoll über Indikatoren diskutiert werden. Die Ausblendung der Hausarbeit im BIP und die damit verknüpften geschlechterpolitischen Fragen nannte Mader als zentrales Beispiel. Die Frage, was gemessen werde und ob aus Messungen auch (wirtschafts)politische Konsequenzen gezogen werden, sei eine Frage gesellschaftlicher Macht, und keine technische Frage der Erfindung von Indikatoren. Die BIP-Debatte blende gesellschaftliche Machtverhältnisse und die Grundtatsache eines Wirtschaftssystems aus, das auf Kapitalakkumulation basiert, so Brand.
Dies wurde in der Diskussion aufgegriffen, als die Frage thematisiert wurde, was eine Erfindung neuer Indikatoren dagegen ausrichten könne, dass in der EU-Leitstrategie für die nächsten Jahre, „EU 2020“, bereits zentrale Indikatoren vorgegeben seien.
Reduktion oder Breite?
Brand wies darauf hin, dass es bereits zahlreiche alternative Indikatoren gebe (Gini Koeffizient für Verteilung, Human Development Index, Happy Planet Index, ökologischer Rucksack, Gute Arbeit Indikator etc.), so dass die Arbeit nicht bei Null beginnen müsse. Eine Vielzahl von Indikatoren sei wichtig, um die Breite gesellschaftlicher Probleme im Blick zu behalten, statt wie im BIP zahlreiche Aspekte auszublenden. So führe z.B. die „BIP-Brille“ in der Wirtschaftspolitik dazu, dass etwa nur an marktförmige, wachstumsfreundliche Lösungen der ökologischen Krise gedacht werde. Demgegenüber betonte Pesendorfer, dass es wichtig sei, die Breite auf wenige Leitindikatoren einzuschränken, die dafür eine umso breitere Öffentlichkeit erreichen könnten.
Fotos zur Veranstaltung: Fachbuchhandlung des ÖGB-Verlags
18.5.2011 Workshop EU-Wirtschaftsreformen
Workshop „Aktivitäten der Europäischen Zivilgesellschaft als Reaktion auf EU >Six Pack< zu European Economic Governance“
18.05.2011, 18–20 Uhr im Republikanischen Club (Rockhgasse 1, 1010 Wien)
mit Alexandra Strickner (Attac Österreich) und Lukas Oberndorfer (AK, Abteilung EU& Internationales)
Der „six pack“: so werden die sechs Legislativvorschläge im politischen Jargon genannt, mit denen sich die EU, zumindest wenn es nach dem Willen der EU Kommission und der Regierungschefs geht, eine neue wirtschaftspolitische Steuerung mit Sanktionsmechanismus geben will. Für die einzelnen Mitgliedsstaaten bedeutet dies: Schärfere Kontrollmaßnahmen für das Budget als unter dem Stabilitätspakt und harte Sanktionsmechanismen bei Abweichungen. Für die BürgerInnen wahrscheinlich sehr drastische Sparpakete in den nächsten Jahren.
Doch handelt es sich dabei wirklich um eine stille neoliberale Revolution, wie dies Klatzer/Schlager (2011) in ihrem jüngsten Artikel im Kurswechsel bezeichnen – oder gibt es auch andere Bewegungen?
Der BEIGEWUM veranstaltete bereits am 31.03. unter dem Titel „European Economic Governance – ein verschärfter Neoliberalismus“ einen Workshop im Zusammenhang mit den gesetzlichen Aktivitäten der europäischen Union. Dabei lag der Schwerpunkt auf der Analyse der offiziellen Prozeduren und Inhalte.
Der Schwerpunkt des Workshops am 18.05.2011 liegt auf den Aktivitäten der europäischen Zivilgesellschaft. Was haben unterschiedliche Gruppierungen in verschiedenen Mitgliedsstaaten und auf europäischer Ebene diesem Vorgehen der Regierungen entgegenzustellen? Welche Aktivitäten sind bis zum möglichen Beschluss des „Six Pack“ am Ecofin am 15. Juni geplant und welche Inhalte sollen transportiert werden bzw. wurden schon platziert?
Antworten auf diese Fragestellungen werden uns Alexandra Strickner (Attac Österreich) und Lukas Oberndorfer (AK, Abteilung EU & Internationales) geben.