Verlustgeschäft Privatisierung
Verlustgeschäft Privatisierung
Seit Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl und IV-Chef Veit Sorger in einer Pressekonferenz am 4. Mai 2011 eine neue Privatisierungswelle forderten, reißt die Debatte darum nicht mehr ab. Verkauft werden sollen nahezu alle Unternehmen, die sich im öffentlichen Besitz befinden: Die Energieversorgungsunternehmen, die Bundesimmobilien, die gemeinnützigen Wohnungen, die Münze Österreich, die Bundesforste und viele mehr.
Es gibt eine Reihe politischer Gründe, die gegen die Privatisierung dieser Unternehmen sprechen. Die Anteile der öffentlichen Hand sichern die Daseinsvorsorge, Arbeitsplätze (siehe Austria Tabak), die Versorgung der Bevölkerung und wirtschaftspolitische Gestaltungsmöglichkeiten. Im Fall der Unternehmen, die auf der Verkaufsliste von WKÖ und IV stehen, zeigt jedoch auch ein Blick auf die Zahlen, dass eine Privatisierung ein nicht besonders lukratives Geschäft wäre.
Als Argument für den Verkauf von Unternehmensbeteiligungen der öffentlichen Hand dient die ausgerufene Schuldenkrise. „Wenn die Republik ihre Unternehmen verkauft, bringt das eine Menge Geld und befreit uns von der Last der Schulden“ – so das nur auf den ersten Blick nachvollziehbare Argument. Ganz davon abgesehen, dass gestiegene Staatsschulden eine Krisenfolge sind und die Schuldenquote in Österreich 2010 mit 72,3% des BIP noch lange keiner Panik bedarf und unter dem europäischem Durchschnitt liegt, gibt es einfach einen Unterschied zwischen dem privaten Haushalt und dem Staat: Der Staat muss eben kein Darlehen mit einer bestimmten Laufzeit wieder zurückzahlen, daher sind für ihn vor allem die Zinsendienste die relevante Größe. Es gibt aber eine Gemeinsamkeit, die gerne vergessen wird: den Schulden steht ein Vermögen gegenüber – nur beides zusammen führt zu einer sinnvollen Beurteilung der Finanzsituation. Im Falle des Staates gibt es zwar leider keine verlässlichen Zahlen, doch eine Studie des WIFO von 2006 lieferte mit einem geschätzten Bruttovermögen von ca. 113 % des BIP immerhin den Anhaltspunkt, dass insgesamt ein deutlich positives staatliches Nettovermögen vorhanden ist.
Wie hoch auch immer das Nettovermögen sein mag, Fakt bleibt, dass der Erlös aus dem Verkauf staatlicher Betriebe die Bruttostaatsverschuldung auf einen Schlag senken kann. Dadurch hat die Finanzministerin jedoch nicht per se einen größeren finanziellen Spielraum. Der Vorteil einer Reduzierung der Staatsschulden liegt darin, dass in Zukunft weniger Zinsen bezahlt werden müssen. Der Nachteil einer solchen Schuldenreduktion durch den Verkauf von staatlichem Eigentum besteht aber darin, dass naturgemäß Ertrag bringendes Staatsvermögen verloren geht, und damit dauerhafte Verluste von Unternehmensgewinnen anfallen. Derzeit fließt ständig Geld von OMV, Verbund und Co in Form von Dividenden in die Staatskassa. Und: Die Unternehmen werden durch Investitionen ua mehr wert, das sorgt für noch höhere Dividenden in der Zukunft.
Aus dieser Tatsache ergibt sich eine einfache Rechnung: Wenn der Betrag, den der Staat durch einen geringeren Zinsendienst spart, höher ist als die – aktuellen und zukünftigen – Dividenden, lohnt sich das Konzept „Privatisierung zum Schuldenabbau“ rein finanziell. Hier ist jedoch genau das Gegenteil der Fall: Jene Unternehmen, die auf der Verkaufsliste von Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung stehen, sind hoch profitabel – insbesondere die Energieversorger. Die Zeiten, in denen der Staat seine Betriebe teuer subventionieren muss, sind vorbei.
Eine schematische Beispielrechnung zeigt, dass die letzten Privatisierungen kein Geschäft für den Staat waren. Die OMV-Teilprivatisierung von rund 15 % des Unternehmens brachte 1996 Privatisierungserlöse von knapp über 300 Mio Euro. Diese führten zu einer Zinsersparnis von rund 19 Mio Euro jährlich. Gleichzeitig gingen aber auch die Anrechte auf rund 15% des OMV-Jahresüberschusses – damals konkret 21,5 Mio Euro– verloren. Das heißt, durch die Privatisierung ergab sich bereits im ersten Jahr ein ökonomischer Verlust von 2,5 Mio Euro. Über die Jahre stieg der OMV-Jahresüberschuss auf das 10-fache an, was natürlich auch den Bundesanteil am Gewinn auf das 10-fache erhöht hätte, während die jährliche Zinsersparnis parallel zum sinkenden Zinsniveau sogar kleiner wurde. Im Zeitraum 1996–2010 ergibt sich so ein gigantischer Verlust für den Staatshaushalt von über 1 Milliarde Euro.
Ganz davon abgesehen, dass der Verkauf von Unternehmen, die die Bevölkerung mit Energie versorgen oder dem Wasserschutz dienen (Bundesforste) die Versorgungssicherheit gefährden – internationale Beispiele dafür gibt es genug – wäre eine neue Privatisierungswelle für den Staat rein kaufmännisch ein denkbar schlechtes Geschäft. Die Bemühungen von Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung dieses Geschäft trotzdem durchzuziehen, legen den Schluss nahe, dass es mit der dort postulierten Ideologiefreiheit nicht weit her ist. Sie bleiben im alten Denken „Privatisierung von Gewinnen, Sozialisierung von Verlusten“ verhaftet.