Video zur Diskussion „Die Krise der Eurozone – Welche progressiven Antworten braucht es?“ (15.9.)
mit
Marica Frangakis, Nicos Poulantzas Institut, Athen
Miren Etxezarreta, Universidad Autónoma, Barcelona
Dominique Plihon, Université Paris Nord, Paris
Trevor Evans, Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin
Moderation: Werner Raza, ÖFSE
Vorwärts in die Vergangenheit
Immerhin – es wird wieder über eine stärkere Beteiligung der Reichen an der Finanzierung staatlicher Aufgaben gesprochen. Nicht zuletzt, weil einige der „Superreichen“ eine höhere Besteuerung eingefordert haben, allerdings in der Regel mit dem Zusatz: Zum Abbau der Staatsschulden. Sie wollen also selbst bestimmen, wofür sie Steuern zahlen. Dennoch: In Deutschland hat die SPD ein Konzept beschlossen, dass eine Anhebung des Spitzensteuersatzes der Einkommensteuer auf 49% vorsieht – nachdem die Schröder-SPD diesen von 53% auf 42% gesenkt hatte. Und die SPÖ diskutiert endlich über die Einführung einer Vermögensteuer. Bisher ist nicht absehbar, was davon wirklich wie umgesetzt wird – und schon die Pläne sind ungenügend. Angesichts der immer weiter aufgehenden Einkommens- und Vermögensschere und der zunehmenden Unfähigkeit des Staates, seinen Aufgaben finanziell nachzukommen, ist es aus sozialen, ökonomischen und aus Gründen der Fairness zwingend geboten, endlich zu handeln – und zwar nicht nach dem Prinzip „Suppenküche“.
Politik statt Appelle
Eine zentrale Errungenschaft in Österreich und in anderen Staaten ist die Tatsache, dass Menschen ein gewisses Maß an öffentlichen Leistungen zusteht. Ein Schulbesuch muss nicht erbettelt werden, und eine Mindestsicherung im Fall von Arbeitslosigkeit ist – wenn auch auf zu geringem Niveau – gewährleistet. Daneben garantiert der Staat auch weitere Leistungen. Um diese zu finanzieren erhebt er Steuern. Demokratisch gewählte Parlamente entscheiden erstens über die Höhe der Steuern und zweitens über die Verwendung der Einnahmen. Diese Errungenschaft wird jetzt angegriffen: Die Reichen sollen ja mehr bezahlen – aber freiwillig bitteschön. „Der springende Punkte“, schreibt Gerhard Kratky im Standard (7. September 2011, S. 34) „besteht darin, dort einen Beitrag zu leisten, wo man es für sinnvoll hält.“ Das Privileg, nicht in „den molochartigen und reformressistenten Steuertopf“ einzuzahlen sieht Kratky bei den Reichen. Was aber heißt das? Steuerfinanzierte Sozialleistungen nur, wenn es denn Herren und Damen der High Society genehm ist? Nicht der Staat soll entscheiden, welche Ausgaben gesellschaftlich wünschenswert und daher durch die Allgemeinheit zu finanzieren sind, sondern die Reichen? Nicht mehr die Politik entscheidet, wie hoch der Beitrag zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben für den Einzelnen ausfällt, sondern die Herren und Damen mit Zweitwohnsitzen in Monaco?
Kaum jemand hat so von den „Reformen“ der vergangenen Jahre profitiert wie die Reichen – man denke an die Stiftungsbesteuerung, die Unternehmensbesteuerung, die (fehlende) Vermögensteuer und die Abschaffung der Erbschaftsteuer. Auch das hat dazu beigetragen, dass die Verteilung immer ungleicher wurde und wird. Ein Staat, der seine Würde behalten will, kann den Umfang öffentlicher Aufgaben aber nicht nach dem Suppenküchenprinzip betreiben – es gibt nur was, wenn gespendet wurde – sondern muss die Frage der Verteilung, der ökonomischen Funktionsfähigkeit und der Sozialpolitik aktiv betreiben. Und zur Finanzierung dieser Aufgaben müssen endlich auch die Reichen wieder stärker herangezogen werden – mit dem Zwang der „Steuerkeule“ (Kratky) und nicht über moralische Appelle. Nicht Vorwärts in die Vergangenheit, in der Armenspeisungen eben kein Recht, sondern eine Gnade waren. Sondern vorwärts in die Zukunft mit einer Stärkung der Menschenwürde – mit Rechten und Pflichten.