Österreich ist ein Einwanderungs-, kein Gastarbeiterland. Zum ambivalenten Verhältnis von so genannten InländerInnen und so genannten AusländerInnen – BEIGEWUM

Österreich ist ein Einwanderungs-, kein Gastarbeiterland. Zum ambivalenten Verhältnis von so genannten InländerInnen und so genannten AusländerInnen

am 30. November 2011 um 17:23h

Öster­reich ist ein Ein­wan­de­rungs­land! Daher soll­te von Zuwan­de­rIn­nen, nicht von Gast­ar­bei­te­rIn­nen gespro­chen wer­den. Den­noch wird an der Fik­ti­on des „Gast­ar­bei­ters“ – im Neu­sprech umschrie­ben mit „cir­cu­lar migra­ti­on“ – fest­ge­hal­ten. Die seit län­ge­rem bestehen­den, gegen­wär­tig wie­der stär­ker the­ma­ti­sier­ten Pro­ble­me mit der Inte­gra­ti­on von Migran­tIn­nen in Öster­reich hän­gen nicht zuletzt mit die­sem „Miss­ver­ständ­nis“, das ein wech­sel­sei­ti­ges war und ist, zusam­men; die­ses nahm ihren Anfang mit den Anwer­be-kam­pa­gnen Ende der 1960er Jah­re. Ein durch das Aus­län­der­be­schäf­ti­gungs­ge­setz unnö­tig lan­ge auf­recht erhal­te­ner, pre­kä­rer Arbeits­markt­sta­tuts von Immi­gran­tIn­nen auf der einen Sei­te und Par­al­lel­ge­sell­schaf­ten auf der ande­ren sind die Fol­ge. Hin­zu kom­men viel­fäl­ti­ge For­men der Dis­kri­mi­nie­rung von Migran­tIn­nen, die ihre Trieb­fe­der nicht sel­ten aus ras­sis­ti­schen Impul­sen bezie­hen und eine poli­tisch weit­hin igno­rier­te Rea­li­tät darstellen.
Das natür­li­che Bevöl­ke­rungs­wachs­tum ist in Öster­reich mit Mit­te der 1990er Jah­re zum Still­stand gekom­men. Seit­dem wächst die Wohn­be­völ­ke­rung im Lan­de nur mehr, weil mehr Men­schen zuwan­dern (2010 waren das ca. 114.400 Per­so­nen) als abwan­dern (ca. 86.700 Per­so­nen), die Net­to­mi­gra­ti­on belief sich daher auf +27.700 im Jahr 2010. Gro­ße Zuwan­de­rungs­wel­len gab es im Zeit­raum 1989–1993 und (sic!) unter der Schwarz-Blau­en-Regie­rung 2001–2005. Der Anstieg der Wohn­be­völ­ke­rung seit 1960 von ca. 7 Mio. auf 8,4 Mio. ist zu 2/​3 auf Zuwan­de­rung, zu 1/​3 auf den Über­hang von Gebur­ten gegen­über Ster­be­fäl­len zurück­zu­füh­ren. 2010 leb­ten ca. 895.000 Per­so­nen mit nicht-öster­rei­chi­scher Staats­bür­ger­schaft in Öster­reich („Aus­län­der“), ca. 1,5 Mio. Per­so­nen, das sind 18,6% der Gesamt­be­völ­ke­rung, mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund, d. h. bei­de Eltern­tei­le wur­den im Aus­land gebo­ren. 642.000 Per­so­nen die­ser Grup­pe leb­ten in Wien, das ent­spricht 41,6% von allen. Dem­entspre­chend liegt der Anteil der Per­so­nen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund in der Bun­des­haupt­stadt auch bei 38,2% – Zuwan­de­rung und Inte­gra­ti­on sind also pri­mär ein Wie­ner Problem!
Aus Sicht der so genann­ten AusländerInnen
Wie ein aktu­el­ler Bericht der OECD „The Labour Mar­ket Inte­gra­ti­on of Immi­grants and their Children“(Krause, K. und Lie­big, Th., sie­he http://dx.doi.org/10.1787/5kg264fz6p8w-en) im Detail dar­legt, sind Migran­tIn­nen, ins­be­son­de­re aus so genann­ten „lower inco­me coun­tries“, d. h. hier­zu­lan­de pri­mär aus Ex-Jugo­sla­wi­en und der Tür­kei stam­mend, am öster­rei­chi­schen Arbeits­markt auf viel­fäl­ti­ge Art und Wei­se benach­tei­ligt. Das wird im beson­de­ren Maße an den „labour mar­ket out­co­mes“ ersicht­lich: So lag etwa die Beschäf­ti­gungs­quo­te von tür­ki­schen Frau­en bei 40% (2010), die Quo­te der im Inland gebo­ren Frau­en dage­gen bei 68%; bei der Arbeits­lo­sen­quo­te der­sel­ben Per­so­nen­grup­pen lag die Rela­ti­on bei ca. 4% zu 12%. Bei im Land gebo­re­nen Kin­dern von Zuwan­de­rern ist die Wahr­schein­lich­keit, dass sie sich am Ran­de des Arbeits­mark­tes befin­den (defi­niert als „Not in Edu­ca­ti­on, Employ­ment or Trai­ning, NEET“, gering Qua­li­fi­zier­te, 20–29 Jäh­ri­ge) mit 12% vier­mal höher als bei Kin­dern von im Land gebo­re­nen Eltern. Beson­de­re Pro­ble­me haben Men­schen mit im Aus­land erwor­be­nen for­ma­len Qua­li­fi­ka­tio­nen („der ira­ni­sche Diplom­in­ge­nieur als Taxi­fah­rer“): So haben hoch-qua­li­fi­zier­te Per­so­nen eine um 50% nied­ri­ge­re Wahr­schein­lich­keit, in einem aus­bil­dungs­ad­äqua­ten Job zu arbei­ten als „nativ-born“-Personen, wenn sie aus ärme­ren Län­dern kom­men und ihre Aus­bil­dun­gen nicht aner­ken­nen lie­ßen. Oder anders for­mu­liert: Hoch­schul­ab­sol­ven­ten aus Rumä­ni­en sind in Öster­reich bei­spiels­wei­se zu 82,2% in Tätig­kei­ten zu fin­den, für die sie über­qua­li­fi­ziert sind – im Ver­gleich dazu ist dies bei Öster­rei­che­rIn­nen nur in 33,4% der Fall (sie­he IHS/​WIFO 2008, Die öko­no­mi­schen Wir­kun­gen der Immi­gra­ti­on in Öster­reich 1989–2007, http://www.wifo.ac.at/wwa/jsp/index.jsp?fid=23923&id=34980&ty peid=8& diplay_mode=2). Neben dem Feh­len eines Gesamt­kon­zep­tes zur Inte­gra­ti­on von Migran­tIn­nen wei­sen die OECD-AutorIn­nen auch dar­auf hin, dass Dis­kri­mi­ne­r­ung offen­sicht­lich ein rea­les Pro­blem für vie­le Zuwan­de­rIn­nen in Öster­reich ist, zu dem aber bis­her wenig kon­kre­te For­schungs­er­geb­nis­se vor­lie­gen (etwa so genann­te „cor­re­spon­dence tes­ting stu­dies“, die in ande­ren Län­dern zei­gen, dass Per­so­nen mit „aus­län­disch klin­gen­den“ Namen wesent­lich sel­te­ner zu Vor­stel­lungs­ge­sprä­chen ein­ge­la­den wer­den, obwohl ihre Lebens­läu­fe mit der inlän­di­schen Ver­gleichs­grup­pe nahe­zu ident sind) und das öffent­li­che Pro­blem­be­wusst­sein auch weit­ge­hend fehlt.
Zu die­ser fak­ti­schen Schlech­ter­stel­lung von Migran­tIn­nen am Arbeits­markt kommt natür­lich in man­chen Fäl­len eine Art von Inte­gra­ti­ons­ver­wei­ge­rung hin­zu, die sich etwa in man­geln­den Deutsch­kennt­nis­sen auch nach Jahr­zehn­ten des Auf­ent­hal­tes in Öster­reich mani­fes­tiert. Eine Men­tal­re­ser­va­ti­on, die genährt wird von der, mit den Jah­ren ver­blas­sen­den Hoff­nung auf Rück­kehr ins ver­meint­li­che Hei­mat­land und die den Betrof­fe­nen teu­er zu ste­hen kommt: Sie sind weder hier noch dort zu Hause!
Aus Sicht der so genann­ten InländerInnen
Ver­ein­facht for­mu­liert, erschwe­ren das Mul­ti-Kul­ti-Getue der Grü­nen, die poli­ti­sche Kor­rekt­heit der Lin­ken und die Het­ze der FPÖ bis dato die offe­nen Dis­kus­si­on von nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen der Zuwan­de­rung – ins­be­son­de­re auf Nied­rig­qua­li­fi­zier­te. Die öko­no­mi­sche Zunft, in der Main­stream-Vari­an­te im Beson­de­ren, ist ja gera­de dabei, die letz­te Repu­ta­ti­on zu ver­lie­ren, aber, wenn etwas klar ist, dann: Zusätz­li­ches (Arbeits-)Angebot drückt, sonst alles gleich, den (Lohn)Preis. Nur im unrea­lis­ti­schen Fall, dass Zuwan­de­rung aus­schließ­lich kom­ple­men­tär wirkt, gibt es nur posi­ti­ve Effek­te. Daher sind die Gewerk­schaf­ten auch gegen­über Zuwan­de­rung tra­di­tio­nell skep­tisch (aber lei­der nicht nur des­halb …). Immi­gra­ti­on erhöht, vor allem wenn in kur­zer Zeit mehr als 2–3% der Beschäf­tig­ten am Arbeits­markt zusätz­lich auf­tre­ten (wie 1990–1991), die Arbeits­lo­sig­keit derer, die sich zusätz­li­cher Kon­kur­renz gegen­über­se­hen: Dies gilt für Niedrig‑, aber auch für Hoch­qua­li­fi­zier­te, für letz­te­re sind nur die Aus­wir­kun­gen in sozi­al­po­li­ti­scher Hin­sicht weni­ger pro­ble­ma­tisch. Lt. der oben bereits zitier­ten IHS/­WI­FO-Unter­schung von 2008 erhöht zwar ein zusätz­li­ches aus­län­di­sches Arbeits­an­ge­bot von 1% (ca. 30.000 Per­so­nen) BIP und Beschäf­ti­gung ein­deu­tig, aber auch die Arbeits­lo­sig­keit erhöht sich, die Löh­ne wer­den ten­den­zi­ell gesenkt (stei­gen weni­ger) und auch das BIP pro Kopf sinkt. Wich­tig ist in die­sem Zusam­men­hang, dass das Durschnitts­wer­te sind: in ein­zel­nen Sek­to­ren und ein­zel­nen Regio­nen fal­len die Effek­te für ein­zel­ne Grup­pen weit höher aus! Dies gilt im übri­gen auch für die aktu­el­le Arbeits­markt­öff­nung 2011, mit der ca. 20.000 Per­so­nen bis­her zusätz­lich am öster­rei­chi­schen Arbeits­markt aus den EU8-Staa­ten auf­ge­tre­ten sind. Es kann also, ohne all­zu spe­ku­la­tiv zu sein zu wol­len, davon aus­ge­gan­gen wer­den, dass die Ver­lus­te in den rea­len Ein­kom­men der untern 3 Dezi­le seit Anfang der 1990er Jah­re auch (!) auf die Zuwan­de­rungs­wel­len in die­sem Zeit­raum zurück­ge­führt wer­den kön­nen. Wenn aber die­se nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen der Zuwan­de­rung auf ein­zel­ne Grup­pen von der Poli­tik nicht wahr­ge­nom­men wer­den – dann, ja dann, haben die Rat­ten­fän­ger vom Schla­ge eines Her­ren Stra­che oder Sar­ra­zin ver­mehrt Zulauf!
Wenn wir nicht heu­te die Pro­ble­me bei der Inte­gra­ti­on von Migran­tIn­nen ernst­haft in Angriff neh­men, dann wer­den sich uns in Zukunft mehr noch als gegen­wär­tig auf den Kopf fal­len: Die Erwerbs­be­völ­ke­rung 15–64 Jah­re wird ohne Migra­ti­on bis 2050 aller Vor­aus­sicht nach um 1,4 Mio. Per­so­nen zusätz­lich schrump­fen. Wenn auch kein Grund zu pani­schem Alar­mis­mus auf Grund der Tat­sa­che einer altern­den Bevöl­ke­rung besteht (wir wer­den aller Vorraus­sicht rei­cher wer­den bis 2050, die Beschäf­ti­gungs­quo­ten kön­nen erhöht wer­den, etc.), so ist doch klar: Der Anteil an Per­so­nen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund wird jeden­falls noch anstei­gen in den nächs­ten Jahrzehnten!
Con­clu­sio: Es ist die­ses Unent­schie­de­ne in die­sem Lan­de – da holen wir, im inter­na­tio­na­len Ver­gleich rela­ti­ve vie­le Migran­tIn­nen ins Land, nen­nen sie „Gast­ar­bei­te­rIn­nen, hal­ten sie in pre­kä­ren Arbeits­markt- und Lebens­ver­hält­nis­sen, wol­len sie nicht inte­grie­ren – und wun­dern uns dann, wenn die Betrof­fe­nen auch nicht wol­len! War­um kön­nen wir nicht ehr­li­cher sein: Wir las­sen nur so vie­le Ein­wan­de­rIn­nen zu, wie wir poli­tisch auch ver­kraf­ten kön­nen, behan­deln die­se jedoch dann auch anstän­dig und ermög­li­chen ihnen die Integration!

Kategorie: blog | Tags: Kommentieren »

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