Hörmanns Zinskritik
In den Medien wird derzeit über die Rolle von Franz Hörmann im Zusammenhang mit einer antisemitischen Wirtschaftskritik, die an die Occupy-Bewegung anzudocken versucht, diskutiert.
In der Debatte wird jedoch selten auf die problematischen ökonomischen Thesen eingegangen, durch die Hörmann populär geworden ist. Dazu ein Auszug aus dem Editorial der nächsten Ausgabe des Kurswechsel:
Der Betriebswirtschafter Franz Hörmann hat in Österreich mit Publikationen öffentliche Aufmerksamkeit erregt, die die „Zinskritik“ wiederbeleben (Hörman/Pregetter 2011: „Das Ende des Geldes“). In dieser Wirtschaftsanalyse wird das Gläubiger-Schuldner-Verhältnis in den Vordergrund gestellt, und in der Verzinsung von Krediten die Ursache für Systemprobleme gesehen. Hörmann zufolge ist das zentrale Problem, dass Banken Geld als Kredit aus dem Nichts schöpfen, aber dabei die Zinsen nicht mitgeschöpft werden. Deshalb sei für Rückzahlung plus Zinsen zu wenig Geld da und der Zusammenbruch unvermeidlich. Sein Beispiel: Auf einer Insel mit 10 EinwohnerInnen eröffnet eine Bank und verleiht an jede Person 10 Goldstücke für ein Jahr zu einem Zinssatz von 10%. Nach einem Jahr werden in Summe 110 Goldstücke fällig. Die BewohnerInnen würden deshalb im Lauf des Jahres versuchen, sich gegenseitig Goldstücke abzujagen, würden also zur Konkurrenz gezwungen, um die Rückzahlung plus Zinsen aufzubringen. Es gibt aber insgesamt nur 100 Goldstücke, folglich seien letztlich Konkurse und Beschlagnahmung von Sicherheiten durch die Bank die unausweichliche Folge. Die Kreditwirtschaft sei somit ein Betrugs- und Enteignungsmodell. Hörmann sieht die aktuelle Überschuldungskrise in Europa als Ausdruck dieser Mechanismen.
Das ist ein sehr schönes Beispiel, weil sich an ihm zentrale Irrtümer der Zinskritik veranschaulichen lassen.
Erstens beachtet sie nur die Zirkulationssphäre und blendet den Verwendungszweck der Kredite, und damit die Produktion völlig aus. Der Kapitalismus dreht sich aber um Mehrwertproduktion, und Kredite sind das Mittel für Unternehmen, um diese zu starten: Sie sind kein Zwang, der Unternehmen erst in Konkurrenz versetzt, sondern die Konkurrenz bringt Unternehmen dazu, freiwillig Kredite aufzunehmen, um Mehrwert produzieren zu können. Die Geschäfte zwischen den InselbewohnerInnen, sofern es sich um eine kapitalistische Insel handelt, bestehen nicht aus wechselseitiger Übervorteilung im geldvermittelten Tauschhandel, wie das in Hörmanns Beispiel anklingt. Sondern es werden mit Hilfe der Kredite im Erfolgsfall neue Werte geschaffen, die mehr Geld einbringen als die Summe ihrer Bestandteile. Kreditgeld fungiert hier als Kapital, nicht bloß als Zahlungsmittel.
Zweitens ist die Geldmenge als Summe der zirkulierenden Zahlungsmittel keine Beschränkung für die Kreditrückzahlung plus Zinsen: Ein und dasselbe Goldstück aus dem obigen Beispiel kann für eine Vielzahl von Zahlungen durch verschiedene InselbewohnerInnen benutzt werden – Geld zirkuliert (deshalb ist die Umlaufgeschwindigkeit ein großes Thema in der ökonomischen Theoriegeschichte). Die Zinsen, die die Bank von einem Schuldner erhält, fließen wieder in den Wirtschaftskreislauf zurück (weil damit u.a. Bankangestellte, ‑aktionärInnen und SparkundInnen bezahlt werden, die dieses Geld wiederum ausgeben können), und erlauben den nächsten, ihre Rechnungen zu begleichen etc. Abgesehen davon ist die Annahme abwegig, dass sämtliche Kredite einer Wirtschaft zum selben Zeitpunkt auf einmal fällig werden.
Dass es zu ungleichen Verteilungsprozessen kommt, ist zwar nicht zu bestreiten: Im Kapitalismus gilt die Kapitalakkumulation als Imperativ. Aber Zinsen sind nur ein Aspekt davon. Unternehmensgewinne, Spitzeneinkommen, Erbschaften und Finanzgeschäfte sind die zentralen Quellen für wachsende Ungleichheit: Durch Einstreifen der Zinsen auf braves Sparbuch-Sparen ist hingegen noch niemand reich geworden.
Die Zinskritik schließt an traditionelle Vorbehalte gegen Geldverleih und Zinsen an, die durch die jüngste Finanzkrise in der öffentlichen Meinung wieder Auftrieb erhielten. Mit diesem Fokus verfehlt sie jedoch zentrale Mechanismen des geltenden Wirtschaftssystems und ihr Verständnis der Funktionsweise von Geld beruht auf folgenschweren Missverständnissen. Dass entsprechende Ansätze häufig eine Nähe zu Antisemitismus aufweisen, ist auch kein Zufall.
S&P als Stimme der Vernunft?
Niemand kann oder will die Botschaft der Rating-Agentur Standard & Poors verstehen. Dabei sind die Analysen der Rater wesentlich vernünftiger als das was an Unsinn durch die österreichischen Medien geistert.
Das international renommierte Fachblatt für Wirtschaftfragen „Heute“ hat mittels zehn Fragen Österreichs Kreditwürdigkeit erläutert. Frage 7: „Wie kann Österreich den AAA-Status wiederbekommen“? beantwortet „Heute“ wie folgt: „Durch rasche Sparmaßnahmen. Gerade die hohen Schulden haben zur Herabstufung geführt (…)“ Das ist nur die simpelste Wiedergabe dessen, was fast alle MeinungsmacherInnen dieser Tage mit sorgenvoller Miene verkünden: Wir hätten die AAA-Bonität wegen mangelnder Sparanstrengungen verloren. Niemand hat es überprüft aber alle wissen: Nur harte Reformen und eisernes Sparen können uns aus der Schuldenkrise führen. Doch lassen wir Standard & Poors (S&P) einmal selbst sprechen und schauen wir, was in ihrem aktuellen Report zu lesen ist:
„Wir sind auch der Auffassung, dass die Gipfelvereinbarung (EU-Gipfel vom 9.12.) von einer lediglich einseitigen Interpretation der Ursachen der Staatsschuldenkrise geprägt ist, nämlich dass die derzeitigen finanziellen Unsicherheiten primär von mangelnder budgetärer Disziplin in den Peripheriestaaten der Eurozone herrühren. Nach unserer Meinung sind die finanziellen Probleme in der Eurozone jedoch gleichermaßen ein Ergebnis der steigenden außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte und auseinanderlaufender Wettbewerbsfähigkeit zwischen den Kernländern der Eurozone und den sogenannten Peripheriestaaten. Daher glauben wir, dass ein Reformprozess, der einseitig auf fiskalischen Sparmaßnahmen beruht, unwirksam sein könnte, indem die Inlandsnachfrage in gleichem Maße sinkt wie die Sorge der Verbraucher um ihre Arbeitsplätze und ihre verfügbaren Einkommen steigt und damit die nationalen Steuereinnahmen erodieren“.
Das hört sich doch ganz anders an als „Sparen, Sparen, Sparen“. Kann es sein, dass „den Gürtel enger schnallen“ und „sich von liebgewordenen Gewohnheiten trennen“ überhaupt nicht den Empfehlung von Standard & Poors entspricht? S&P Chefanalyst Moritz Krämer hatte im Ö1-Mittagsjournal selbst die Gelegenheit Stellung zu nehmen. Weil für Ö1-Journalist Volker Obermayer die Antworten scheinbar ohnedies schon feststanden, gab er sie sich in der Frage auch gleich selbst: „Vermissen Sie den eisernen politischen Willen, die Konsequenzen aus der Lage zu ziehen. Also nachhaltig die Budgets zu sanieren, Strukturreformen durchzuziehen?“ Zur Überraschung aufmerksamer HörerInnen kommt von Krämer keine Bestätigung: „Viel wichtiger für uns – um wieder den Fokus auf die europäische Ebene zurückzuführen – ist, dass es nach unserem Dafürhalten die Krise gar nicht vor allem eine Budgetkrise ist oder eine öffentliche Schuldenkrise, sondern eine Krise die dadurch ausgelöst wurde, dass sich die wirtschaftlichen Entwicklungen und die Wettbewerbsfähigkeiten in der Eurozone in den letzten zehn Jahren diametral in Richtung auseinander bewegt haben. Durch Schuldenbremsen europaweit lässt sich dieses Problem nicht eindämmen.“
keynesianische Krisendiagnose
Unglaublich aber wahr: Die Rating-Agentur Standard & Poors hat im Kern die gleiche Krisendiagnose wie zB etwa das keynesianisch orientierte Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung in Düsseldorf (IMK). Der Befund ist kurz gesagt der folgende: Nicht nur die öffentlichen, sondern auch die privaten Schulden bedürfen einer politischen Berücksichtigung. Wenn die Guthaben des privaten Sektors die Schulden des Sektors Staat in einer Volkswirtschaft nicht übertreffen, oder die Privaten in Summe unterm Strich sogar selbst verschuldet sind, ist das ein direktes Resultat der negativen Außenhandelsbilanz der entsprechenden Volkwirtschaft. Diese Leistungsbilanzungleichgewichte entstehen auf Grund der unterschiedlichen Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit der Staaten im Euroraum, was wiederum damit zu tun hat, dass die südeuropäischen Staaten wegen der gemeinsamen Währung mangels Abwertungsventil keine Möglichkeit haben, die Lohnzurückhaltung im Norden – allen voran in Deutschland – zu kompensieren.
Diese Sichtweise auf die Ursachen der aktuellen Krise ist wesentlich differenzierter als der ausschließliche Fokus auf die öffentlichen Haushalte. Standard & Poors hat offensichtlich Leute, die clever und weitsichtig genug sind, das zu erkennen. Wieso? Ganz einfach, weil diese AktuerInnen Interesse daran haben, dass ihre Veranlagungen nicht wertlos werden und sie pragmatisch jede Politik unterstützen, die in der Lage ist das Vertrauen wiederherzustellen und den Finanzsektor nicht beim Kohle scheffeln stört.
Gleichzeitig müssen wir aber leider feststellen, dass die in Österreich veröffentlichte Meinung die Analysen von S&P ignoriert bzw. vollständig aus einem vorgefertigten und unverrückbaren Korsett heraus uminterpretiert. Beispielhaft hierfür etwa Bernhard Felderer (IHS) in „Im Zentrum“: „(…) Ich glaube entscheidend ist dass wir jetzt alle erkennen, es gibt keinen anderen Weg als Schuldenbremse als Verfassungsgesetz, als weitere Konsolidierungen.“
Natürlich weiß auch die gastgebende Moderatorin und neuerdings Finanzexpertin Ingrid Thurnher, dass der Staatshaushalt der Kern des Problems ist, wie sie eine ganze „Im Zentrum“-Sendung unmissverständlich klar machte.
Das weiß die amtierende Finanzministerin Maria Fekter () zu bestätigen: „Das was wir haben ist nicht ein wirtschaftliches Problem, ist nicht ein Problem der Realwirtschaft. (…) Das was wir haben ist ein Problem der Staaten und da der Schulden und der Defizite und Haushalte.“
Der angeblich sozialdemokratische österreichische Notenbankchef Ewald Nowotny bezeichnet die PragmatikerInnen von Standard & Poors gar als politisch motiviert. Das ist insofern besonders ulkig, weil es die europäische Wirtschaftspolitik ist, die außer den öffentlichen Haushalten kein Thema mehr kennt. Das ist Ideologie pur, eine ausgeglichene Politik würde ja alle Ursachen der aktuellen Krise – Bankenprobleme, Leistungsbilanzungleichgewichte, Verteilungsprobleme, öffentliche Haushalte – unter die Lupe nehmen. Ideologie zeichnet sich genau durch eine absichtliche Einschränkung der Wahrnehmung aus. Insofern ist S&P weiter als die EntscheidungsträgerInnen in der Europäische Union. Noch dümmer argumentieren nur Abgeordnete der CDU im Online-Standard „CDU-Fraktionsvize Michael Fuchs spricht von „Attacken auf den Euro“ aus den USA. Der CDU-Europa-Politiker Elmar Brok sagt in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, die Abstufung käme in der Konsequenz „fast einem Währungskrieg“ gleich.“ Es ist völlig absurd zu glauben, irgendwer in den USA hätte Interesse an einem Kollaps des Euro. Die Portfolios der AkteurInnen am Finanzmarkt sind international diversifiziert, da besteht mit Sicherheit kein Interesse daran, dass eine der großen Währungen in denen man investiert ist krachen geht.
Sind Rating-Agenturen das Zentrum des Bösen?
Bei aller Kritik an den Ratingagenturen muss man eines sagen: Ratingagenturen sind einfach Teil eines Systems, dessen Entwicklung durch politische Entscheidungen zugelassen und sogar gefördert wurde. Ratingagentur sind nicht unmoralisch, sondern amoralisch, weil sie innerhalb einer Systemlogik ihre Aufgabe erfüllen. S&P will einfach die Krise überleben und wieder ordentlich Geld verdienen. Deshalb sind sie im Zweifelsfall offensichtlich pragmatisch.
Das Zentrum des Bösen sind offenbar weder die Rating-Agenturen, noch das Finanzkapital, sondern es ist die Ideologie. Und zwar die Spar- und Austeritätsideologie, die in Europa von 90% aller Opinion Leader nachgebetet wird. Keine Industrie, weder binnen- noch exportorientierte, ja nicht einmal die aufgeblähte und überflüssige Finanzindustrie haben irgendetwas von dieser Sparpolitik.
Dieser Beitrag ist in einer längeren Version auf misik.at zu finden.
2.2.12: Care Ökonomie Diskussion
„Investitionen in soziale Dienstleistungen zahlen sich aus. Care Ökonomie – unterschätztes Potential!“
Diskussion und Kurswechsel-Heftpräsentation mit Alban Knecht und Katharina Mader, Moderation: Julia Hofmann
Do, 2. Feber 2012, 18:00, im Republikanischen Club, Rockhgasse 1, 1010 Wien
Care-Krisen sind die „Zweitrundeneffekte“ von Wirtschaftskrisen. Fallen staatliche Sozialausgaben weg, sind unbezahlte Care-Tätigkeiten als soziale Airbags gefragt. Doch die Care Ökonomie muss als das begriffen werden, was sie ist – ein wachsender, aufstrebender Bereich, von dem alle profitieren. Alban Knecht und Katharina Mader diskutieren mit Julia Hofmann, warum sich Investitionen in soziale Dienstleistungen auszahlen, und stellen den aktuellen Kurswechsel vor, der auch vor Ort bezogen werden kann. Im Anschluss gemütlicher Ausklang mit Buffet.