S&P als Stimme der Vernunft? – BEIGEWUM

S&P als Stimme der Vernunft?

am 23. Januar 2012 um 16:58h

Nie­mand kann oder will die Bot­schaft der Rating-Agen­tur Stan­dard & Poors ver­ste­hen. Dabei sind die Ana­ly­sen der Rater wesent­lich ver­nünf­ti­ger als das was an Unsinn durch die öster­rei­chi­schen Medi­en geistert.

Das inter­na­tio­nal renom­mier­te Fach­blatt für Wirt­schaft­fra­gen „Heu­te“ hat mit­tels zehn Fra­gen Öster­reichs Kre­dit­wür­dig­keit erläu­tert. Fra­ge 7: „Wie kann Öster­reich den AAA-Sta­tus wie­der­be­kom­men“? beant­wor­tet „Heu­te“ wie folgt: „Durch rasche Spar­maß­nah­men. Gera­de die hohen Schul­den haben zur Her­ab­stu­fung geführt (…)“ Das ist nur die sim­pels­te Wie­der­ga­be des­sen, was fast alle Mei­nungs­ma­che­rIn­nen die­ser Tage mit sor­gen­vol­ler Mie­ne ver­kün­den: Wir hät­ten die AAA-Boni­tät wegen man­geln­der Spar­an­stren­gun­gen ver­lo­ren. Nie­mand hat es über­prüft aber alle wis­sen: Nur har­te Refor­men und eiser­nes Spa­ren kön­nen uns aus der Schul­den­kri­se füh­ren. Doch las­sen wir Stan­dard & Poors (S&P) ein­mal selbst spre­chen und schau­en wir, was in ihrem aktu­el­len Report zu lesen ist: 

Wir sind auch der Auf­fas­sung, dass die Gip­fel­ver­ein­ba­rung (EU-Gip­fel vom 9.12.) von einer ledig­lich ein­sei­ti­gen Inter­pre­ta­ti­on der Ursa­chen der Staats­schul­den­kri­se geprägt ist, näm­lich dass die der­zei­ti­gen finan­zi­el­len Unsi­cher­hei­ten pri­mär von man­geln­der bud­ge­tä­rer Dis­zi­plin in den Peri­phe­rie­staa­ten der Euro­zo­ne her­rüh­ren. Nach unse­rer Mei­nung sind die finan­zi­el­len Pro­ble­me in der Euro­zo­ne jedoch glei­cher­ma­ßen ein Ergeb­nis der stei­gen­den außen­wirt­schaft­li­chen Ungleich­ge­wich­te und aus­ein­an­der­lau­fen­der Wett­be­werbs­fä­hig­keit zwi­schen den Kern­län­dern der Euro­zo­ne und den soge­nann­ten Peri­phe­rie­staa­ten. Daher glau­ben wir, dass ein Reform­pro­zess, der ein­sei­tig auf fis­ka­li­schen Spar­maß­nah­men beruht, unwirk­sam sein könn­te, indem die Inlands­nach­fra­ge in glei­chem Maße sinkt wie die Sor­ge der Ver­brau­cher um ihre Arbeits­plät­ze und ihre ver­füg­ba­ren Ein­kom­men steigt und damit die natio­na­len Steu­er­ein­nah­men erodieren“. 

Das hört sich doch ganz anders an als „Spa­ren, Spa­ren, Spa­ren“. Kann es sein, dass „den Gür­tel enger schnal­len“ und „sich von lieb­ge­wor­de­nen Gewohn­hei­ten tren­nen“ über­haupt nicht den Emp­feh­lung von Stan­dard & Poors ent­spricht? S&P Chef­ana­lyst Moritz Krä­mer hat­te im Ö1-Mit­tags­jour­nal selbst die Gele­gen­heit Stel­lung zu neh­men. Weil für Ö1-Jour­na­list Vol­ker Ober­may­er die Ant­wor­ten schein­bar ohne­dies schon fest­stan­den, gab er sie sich in der Fra­ge auch gleich selbst: „Ver­mis­sen Sie den eiser­nen poli­ti­schen Wil­len, die Kon­se­quen­zen aus der Lage zu zie­hen. Also nach­hal­tig die Bud­gets zu sanie­ren, Struk­tur­re­for­men durch­zu­zie­hen?“ Zur Über­ra­schung auf­merk­sa­mer Höre­rIn­nen kommt von Krä­mer kei­ne Bestä­ti­gung: „Viel wich­ti­ger für uns – um wie­der den Fokus auf die euro­päi­sche Ebe­ne zurück­zu­füh­ren – ist, dass es nach unse­rem Dafür­hal­ten die Kri­se gar nicht vor allem eine Bud­get­kri­se ist oder eine öffent­li­che Schul­den­kri­se, son­dern eine Kri­se die dadurch aus­ge­löst wur­de, dass sich die wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen und die Wett­be­werbs­fä­hig­kei­ten in der Euro­zo­ne in den letz­ten zehn Jah­ren dia­me­tral  in Rich­tung aus­ein­an­der bewegt haben. Durch Schul­den­brem­sen euro­pa­weit lässt sich die­ses Pro­blem nicht eindämmen.“ 


keyne­sia­ni­sche Krisendiagnose

Unglaub­lich aber wahr: Die Rating-Agen­tur Stan­dard & Poors hat im Kern die glei­che Kri­sen­dia­gno­se wie zB etwa das keyne­sia­nisch ori­en­tier­te Insti­tut für Makro­öko­no­mie und Kon­junk­tur­for­schung in Düs­sel­dorf (IMK). Der Befund ist kurz gesagt der fol­gen­de: Nicht nur die öffent­li­chen, son­dern auch die pri­va­ten Schul­den bedür­fen einer poli­ti­schen Berück­sich­ti­gung. Wenn die Gut­ha­ben des pri­va­ten Sek­tors die Schul­den des Sek­tors Staat in einer Volks­wirt­schaft nicht über­tref­fen, oder die Pri­va­ten in Sum­me unterm Strich sogar selbst ver­schul­det sind, ist das ein direk­tes Resul­tat der nega­ti­ven Außen­han­dels­bi­lanz der ent­spre­chen­den Volk­wirt­schaft. Die­se Leis­tungs­bi­lanz­un­gleich­ge­wich­te ent­ste­hen auf Grund der unter­schied­li­chen Ent­wick­lung der Wett­be­werbs­fä­hig­keit der Staa­ten im Euro­raum, was wie­der­um damit zu tun hat, dass die süd­eu­ro­päi­schen Staa­ten wegen der gemein­sa­men Wäh­rung man­gels Abwer­tungs­ven­til kei­ne Mög­lich­keit haben, die Lohn­zu­rück­hal­tung im Nor­den – allen vor­an in Deutsch­land – zu kompensieren.

Die­se Sicht­wei­se auf die Ursa­chen der aktu­el­len Kri­se ist wesent­lich dif­fe­ren­zier­ter als der aus­schließ­li­che Fokus auf die öffent­li­chen Haus­hal­te. Stan­dard & Poors hat offen­sicht­lich Leu­te, die cle­ver und weit­sich­tig genug sind, das zu erken­nen. Wie­so? Ganz ein­fach, weil die­se Aktue­rIn­nen Inter­es­se dar­an haben, dass ihre Ver­an­la­gun­gen nicht wert­los wer­den und sie prag­ma­tisch jede Poli­tik unter­stüt­zen, die in der Lage ist das Ver­trau­en wie­der­her­zu­stel­len und den Finanz­sek­tor nicht beim Koh­le schef­feln stört.

Gleich­zei­tig müs­sen wir aber lei­der fest­stel­len, dass die in Öster­reich ver­öf­fent­lich­te Mei­nung die Ana­ly­sen von S&P igno­riert bzw. voll­stän­dig aus einem vor­ge­fer­tig­ten und unver­rück­ba­ren Kor­sett her­aus umin­ter­pre­tiert. Bei­spiel­haft hier­für etwa Bern­hard Fel­de­rer (IHS) in „Im Zen­trum“: „(…) Ich glau­be ent­schei­dend ist dass wir jetzt alle erken­nen, es gibt kei­nen ande­ren Weg als Schul­den­brem­se als Ver­fas­sungs­ge­setz, als wei­te­re Konsolidierungen.“ 

Natür­lich weiß auch die gast­ge­ben­de Mode­ra­to­rin und neu­er­dings Finanz­ex­per­tin Ingrid Thurn­her, dass der Staats­haus­halt der Kern des Pro­blems ist, wie sie eine gan­ze „Im Zentrum“-Sendung unmiss­ver­ständ­lich klar machte.

Das weiß die amtie­ren­de Finanz­mi­nis­te­rin Maria Fek­ter () zu bestä­ti­gen: „Das was wir haben ist nicht ein wirt­schaft­li­ches Pro­blem, ist nicht ein Pro­blem der Real­wirt­schaft. (…) Das was wir haben ist ein Pro­blem der Staa­ten und da der Schul­den und der Defi­zi­te und Haushalte.“ 

Der angeb­lich sozi­al­de­mo­kra­ti­sche öster­rei­chi­sche Noten­bank­chef Ewald Nowotny bezeich­net die Prag­ma­ti­ke­rIn­nen von Stan­dard & Poors gar als poli­tisch moti­viert. Das ist inso­fern beson­ders ulkig, weil es die euro­päi­sche Wirt­schafts­po­li­tik ist, die außer den öffent­li­chen Haus­hal­ten kein The­ma mehr kennt. Das ist Ideo­lo­gie pur, eine aus­ge­gli­che­ne Poli­tik wür­de ja alle Ursa­chen der aktu­el­len Kri­se – Ban­ken­pro­ble­me, Leis­tungs­bi­lanz­un­gleich­ge­wich­te, Ver­tei­lungs­pro­ble­me, öffent­li­che Haus­hal­te – unter die Lupe neh­men. Ideo­lo­gie zeich­net sich genau durch eine absicht­li­che Ein­schrän­kung der Wahr­neh­mung aus. Inso­fern ist S&P wei­ter als die Ent­schei­dungs­trä­ge­rIn­nen in der Euro­päi­sche Uni­on. Noch düm­mer argu­men­tie­ren nur Abge­ord­ne­te der CDU im Online-Stan­dard „CDU-Frak­ti­ons­vi­ze Micha­el Fuchs spricht von „Atta­cken auf den Euro“ aus den USA. Der CDU-Euro­pa-Poli­ti­ker Elmar Brok sagt in der „Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Sonn­tags­zei­tung“, die Abstu­fung käme in der Kon­se­quenz „fast einem Wäh­rungs­krieg“ gleich.“ Es ist völ­lig absurd zu glau­ben, irgend­wer in den USA hät­te Inter­es­se an einem Kol­laps des Euro. Die Port­fo­li­os der Akteu­rIn­nen am Finanz­markt sind inter­na­tio­nal diver­si­fi­ziert, da besteht mit Sicher­heit kein Inter­es­se dar­an, dass eine der gro­ßen Wäh­run­gen in denen man inves­tiert ist kra­chen geht. 


Sind Rating-Agen­tu­ren das Zen­trum des Bösen?

Bei aller Kri­tik an den Rating­agen­tu­ren muss man eines sagen: Rating­agen­tu­ren sind ein­fach Teil eines Sys­tems, des­sen Ent­wick­lung durch poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen zuge­las­sen und sogar geför­dert wur­de. Rating­agen­tur sind nicht unmo­ra­lisch, son­dern amo­ra­lisch, weil sie inner­halb einer Sys­tem­lo­gik ihre Auf­ga­be erfül­len. S&P will ein­fach die Kri­se über­le­ben und wie­der ordent­lich Geld ver­die­nen. Des­halb sind sie im Zwei­fels­fall offen­sicht­lich pragmatisch.

Das Zen­trum des Bösen sind offen­bar weder die Rating-Agen­tu­ren, noch das Finanz­ka­pi­tal, son­dern es ist die Ideo­lo­gie. Und zwar die Spar- und Aus­teri­täts­ideo­lo­gie, die in Euro­pa von 90% aller Opi­ni­on Lea­der nach­ge­be­tet wird. Kei­ne Indus­trie, weder bin­nen- noch export­ori­en­tier­te, ja nicht ein­mal die auf­ge­bläh­te und über­flüs­si­ge Finanz­in­dus­trie haben irgend­et­was von die­ser Sparpolitik.

Die­ser Bei­trag ist in einer län­ge­ren Ver­si­on auf misik.at zu fin­den.


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