2012 März – BEIGEWUM

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EU-Fiskalpakt: Das programmierte Desaster

28. März 2012 – 14:37 Uhr

Als die 25 Staa­ten­len­ke­rIn­nen den EU-Fis­kal­pakt unter­zeich­ne­ten, haben sie sei­ne Fol­gen nicht begrif­fen. Das Ziel war doch so klar – Schluss mit dem Schul­den­ma­che­rei! – und die Regeln doch so einfach:

  • Jeder Ver­trags­staat darf nur mehr ein struk­tu­rel­les (kon­junk­tur­be­rei­nig­tes) Haus­halts­de­fi­zit von maxi­mal 0,5% des BIP auf­wei­sen (Defi­zit­kri­te­ri­um).
  • Jedes Jahr muss die Staats­schuld um ein Zwan­zigs­tel der Dif­fe­renz zwi­schen der aktu­el­len Schul­den­quo­te und dem Ziel­wert von 60% abbau­en (Schul­den­kri­te­ri­um).
  • Jedes Ver­trags­land kann ein ande­res beim Euro­päi­schen Gerichts­hof (EuGH) wegen Regel­ver­let­zung anzei­gen, die­ser prüft und ver­hängt Strafen.

Die Fol­gen: Nach dem Defi­zit­kri­te­ri­um muss etwa Spa­ni­en sein Defi­zit von 8,5% des BIP so rasch wie mög­lich besei­ti­gen. Ver­ein­bart sind mit der Euro­päi­schen Kom­mis­si­on Ziel­wer­te von 5,4% (2012) und 3,0% (2013). Ange­sichts der schwe­ren Rezes­si­on (das BIP schrumpft heu­er um 2%) und extrem hoher Arbeits­lo­sig­keit ver­schlim­mert das Spa­ren die Lage immer mehr.

Annah­me: Eine Defi­zit­re­duk­ti­on um einen BIP-Pro­zent­punkt redu­ziert das BIP in glei­chem Aus­maß (Mul­ti­pli­ka­tor = 1), gleich­zei­tig kommt die Infla­ti­on zum Still­stand (nicht zuletzt infol­ge sin­ken­der Löh­ne). Dann wird das nomi­nel­le BIP durch die Spar­po­li­tik 2012 und 2013 um jeweils 5% schrump­fen. Wird das Spar­ziel (den­noch) erreicht, so müss­te Spa­ni­en nach dem Defi­zit­kri­te­ri­um des Fis­kal­pakts nicht wei­ter spa­ren, obwohl das Gesamt­de­fi­zit noch immer 3% beträgt.

Grund: Das aktu­el­le BIP läge 2013 um mehr als 5% unter dem Poten­ti­a­l­out­put (wegen des durch die Spar­po­li­tik ver­tief­ten Wirt­schafts­ein­bruchs), die Kon­junk­tur­kom­po­nen­te des Gesamt­de­fi­zits wäre zumin­dest 2,5%, das kon­junk­tur­be­rei­nig­te („struk­tu­rel­le“) Defi­zit also klei­ner als 0,5% des BIP.

Nun aber ent­fal­tet das Schul­den­kri­te­ri­um sei­ne Wir­kung. 2012 und 2013 steigt die spa­ni­sche Staats­schul­den­quo­te (Rela­ti­on der Schul­den zum BIP) von 70% auf fast 90% (!). Dazu tra­gen die Bud­get­de­fi­zi­te 8,4 BIP-Pro­zent­punk­te bei (5,4 plus 3,0). Noch stär­ker ins Gewicht fällt die Schrump­fung des BIP (des Nen­ners) um 10%. Fol­ge: Nach dem Schul­den­kri­te­ri­um muss Spa­ni­en jetzt 20 Jah­re lang Jahr 1,5% des BIP ein­spa­ren (1/​20el von 90% minus 60%)…..

Ver­ord­ne­ter Weg in die Depression

Fazit: Die „Ver­zah­nung“ von Defi­zit- und Schul­den­re­gel im Fis­kal­pakt ver­ord­net (fast) allen EU-Län­dern den „grie­chi­schen Weg“ in die Depres­si­on. Spar­maß­nah­men redu­zie­ren zwar das Defi­zit, aber gleich­zei­tig das BIP, die Staats­schul­den­quo­te steigt, und das erzwingt ein (nahe­zu) per­ma­nen­tes Spa­ren. Der euro­päi­sche Sozi­al­staat wird so kon­se­quent stran­gu­liert. Das hat der EZB-Chef Draghi rich­tig erkannt.

Bei­spiel Ita­li­en: Die Staats­schul­den­quo­te beträgt 120%, Ita­li­en müss­te also 20 Jah­re lang 3% des BIP ein­spa­ren, Jahr für Jahr…… Wich­tig: Die für das Euro­päi­sche Sozi­al­mo­dell ver­hee­ren­de Wir­kung des Fis­kal­pakts liegt nicht in der viel dis­ku­tier­ten Schul­den­brem­se nach deut­schem Vor­bild (= Defi­zit­kri­te­ri­um), son­dern im Schul­den­kri­te­ri­um –  über die­ses ist kaum berich­tet, geschwei­ge denn öffent­lich dis­ku­tiert wor­den. Danach müs­sen näm­lich alle wich­ti­gen EU-Län­der per­ma­nent und gleich­zei­tig kon­so­li­die­ren. Wer so etwas beschließt, hat das 1 mal 1 der Makro­öko­no­mie nicht begriffen.

Ein wei­te­rer Fun­da­men­tal­feh­ler: Die Ziel­grö­ße einer Schul­den­quo­te von 60%. Die­ser Wert hat­te 1992 als Teil der Maas­tricht-Kri­te­ri­en sei­ne Berech­ti­gung. Damals glaub­te man,  (nomi­nel­le) BIP wür­de lang­fris­tig um 5% pro Jahr stei­gen. In die­sem Fall kon­ver­giert die Staats­schul­den­quo­te gegen den Wert von 60%, wenn das Bud­get­de­fi­zit per­ma­nent bei der Maas­tricht-Ober­gren­ze von 3% des BIP liegt (3/5=0,6).

Tat­säch­lich ist aber das nomi­nel­le BIP der Euro­län­der seit 1992 ledig­lich um 3,5% pro Jahr gestie­gen. Dar­aus ergä­be sich ein höhe­rer Grenz­wert der Staats­schul­den­quo­te, näm­lich 86% (3/3,5). Soll aber das Gesamt­de­fi­zit mit­tel­fris­tig nur 0,5% des BIP betra­gen wie im EU-Fis­kal­pakt vor­ge­se­hen, dann dürf­te der Ziel­wert der Staats­schul­den­quo­te nur bei 14% lie­gen (0,5/3,5). Ita­li­en müss­te dann 20 Jah­re lang sei­ne öffent­li­chen Schul­den um 5,3 BIP-Pro­zent­punk­te pro Jahr abbauen.

Ver­na­de­rung als Solidaritätsbekundung

Kom­plet­tiert wird der Pakt durch den (Vernaderungs)Artikel 8: Dem­nach wer­den Straf­ver­fah­ren gegen „Zuwe­nig-Spa­rer“ (nur) durch (wech­sel­sei­ti­ges) Anzei­gen der Ver­trags­län­der beim EuGH initi­iert. Das Gericht kann dann Stra­fen bis zu 0,1% des BIP ver­hän­gen (etwa 300 Mill. € im Fall von Österreich).

Aller­dings müss­ten die Rich­ter ein mehr­jäh­ri­ges Öko­no­mie­stu­di­um nach­ho­len, um die dif­fi­zi­len Fra­gen über­haupt zu ver­ste­hen, die beim Ver­such einer Quan­ti­fi­zie­rung von Poten­ti­a­l­out­put und struk­tu­rel­lem Defi­zit auf­tre­ten. Die Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ter haben dazu trotz jahr­zehn­te­lan­gem Bemü­hen kei­ne ein­heit­li­chen Ant­wor­ten fin­den können.

End­gül­tig als Far­ce erkenn­bar wird der Pakt dar­an, dass er ja gar nicht Teil des EU-Rechts ist (weil Eng­land und Tsche­chi­en nicht mit­ma­chen). Daher kön­nen die 25 Part­ner auch kei­ne EU-Insti­tu­tio­nen wie EuGH oder Kom­mis­si­on mit Pakt-Auf­ga­ben betrau­en. Viel­mehr müss­ten sich die 25 Län­der als euro­päi­scher Spar­ver­ein kon­sti­tu­ie­ren („Die 25-er“), der sei­ne eige­nen Orga­ne bil­det, etwa auch ein Schiedsgericht.

Tot­ge­burt in spe

Juris­ten nen­nen Nor­men, wel­che nicht mehr anwend­bar sind, „totes Recht“. Beim Fis­kal­pakt han­delt es sich um eine „Tot­ge­burt in spe“. Aller­dings: Bis zur Aus­stel­lung des Toten­scheins kann die­ser Unsinn enor­men Scha­den anrich­ten. Sei­ne Rati­fi­zie­rung in den natio­na­len Par­la­men­ten zu ver­hin­dern, ist der Bür­ge­rIn­nen ers­te Pflicht.

Die­ser Bei­trag erschien bereits in der Vor­wo­che im Fal­ter 12/​2012.

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18.3.12: Quo Vadis Ungarn? Diskussion

5. März 2012 – 13:05 Uhr

Quo vadis Ungarn?

Dis­kus­si­on am Sonn­tag, 18. März 2012, 18.00 Uhr im Repu­bli­ka­ni­schen Club (Rockh­gas­se 1, 1010 Wien)


Mit Sus­an Zim­mer­mann (Prof. f. Geschich­te Buda­pest) und Ist­ván Gra­jcz­jár (Ass.Prof. f. Sozio­lo­gie Buda­pest); Mode­ra­ti­on Julia Hof­mann (BEIGEWUM)


Wie konn­te aus Ungarn ein Nähr­bo­den für rechts­ra­di­ka­le Par­tei­en wer­den? Wie lässt sich die innen- und wirt­schafts­po­li­ti­sche Stra­te­gie der Regie­rung Orbán ein­schät­zen? Was sind die Fol­gen der poli­ti­schen Wei­chen­stel­lun­gen für Ungarn, Euro­pa und Öster­reich im Beson­de­ren? Wel­che Kon­se­quen­zen soll die Euro­päi­sche Uni­on zie­hen? Wel­che Chan­cen haben eman­zi­pa­to­ri­sche Ideen und Pro­jek­te in Ungarn heute?

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