Adressing Europe’s Multiple Crises: An Agenda for economic transformation, solidarity and democracy
Addressing Europe’s Multiple Crises: An agenda for economic transformation, solidarity and democracy
Presentation of the EuroMemorandum 2016
Organizers: ÖFSE, BEIGEWUM, in cooperation with Wirtschaftspolitischen Akademie
20 April 2016, 18.00 Uhr, C3-Centrum für Internationale Entwicklung, Sensengasse 3
- Context and Motivation
The continuing low growth rate environment in many EU countries, stagnation in others and even recession in some, have led not only to a general slow-down, but also to deepening divisions within the EU, both between member states and between regions. Such divergences are reflected in the basic economic and social indicators of the area, as well as in the democratic process on the political level, as certain countries acquire a hegemonic role in the shaping of EU policy, while particular group interests, notably those of financial capital, become dominant across the EU as a whole. The experiences in countries like Greece or Portugal amply revealed the connecting links between politics and economics in the EU, i.e. the power imbalance between the ruling elites and society at large.
Furthermore, it raises serious issues of constitutionalism: namely, the tendency of the EU institutions to restrict the area of democratic decision making by democratically elected governments, focusing instead on technocratic rules imposed by undemocratic decision bodies. In our debate we will address this anti-democratic bias by discussing the case of Portugal and highlight some policy areas like trade, genderand fiscal policies.
In this sense, a discussion of alternative proposals to the current EU economic and social policy needs to take into account the underlying political process and the squeezing out of democracy. The EuroMemorandum 2016 critically analyses recent economic developments in Europe and emphasises the strong need for an alternative economic policy that is based on the principles of democratic participation, social justice and environmental sustainability.
- Programme
Moderation: Romana Brait (BEIGEWUM)
18.00 – 18.10: Welcome Address
18.10 – 18.20: Presentation of the EuroMemorandum 2016 (John Grahl, EuroMemo Group)
18.20 – 19.15: Roundtable Discussion “The crisis of democracy in the EU: implications and possible remedies”, with:
- Luís Lopes, University of Coimbra, Portugal
- Werner Raza, ÖFSE and EuroMemo Group
- Stefanie Wöhl (FH des bfi Wien)
19.15 – 20.00: General discussion
Wine reception
The EuroMemorandum 2016 can be downloaded here
Die Reichen liegen uns auf der Tasche
Erschienen im Mosaik-Blog am 09 März 2016
Ob in der Flüchtlingsdebatte, bei der Höhe der Mindestsicherung oder jüngst bei den Pensionen, ein Argument klebt an aktuellen politischen Debatten wie Kaugummi: „Wir können uns den Sozialstaat nicht mehr leisten!“ Hinter dem alle Jahre wiederkehrenden, neoliberalen Angriff auf die sozialen Sicherungssysteme versteckt sich „Klassenkampf von oben“. Nikolaus Dimmel hat das kürzlich anhand der Debatte um die Mindestsicherung bereits auf mosaik angemerkt. Wir sollen glauben, dass wir uns „die Armen“ nicht mehr leisten können. In Wirklichkeit ist es aber genau umgekehrt: Nicht die Armen, sondern die Reichen liegen uns sprichwörtlich auf der Tasche.
Österreich gilt europaweit als eines der Länder mit der höchsten Vermögensungleichheit (Gini-Koeffizient von 0,76 für Netto-Vermögen). Die reichsten 5 Prozent besitzen hierzulande rund 45 Prozent des Gesamtvermögen; die untersten 50 Prozent nur knapp 4 Prozent. Die Vermögensverteilung in Österreich hat damit die Form eines „Klobesens“. Ganz Wenige stehen an der Spitze und haben ganz viel Vermögen zu Verfügung, während ganz viele ganz unten stehen.
Damit gibt es bei der Verteilung der Vermögen in Österreich auch keine breite Mittelschicht, wie wir sie etwa bei der Einkommensverteilung sehen. Hilde Weiss und ich haben in einer Studie herausgearbeitet, dass sich gerade anhand der Vermögensverteilung die Klassenstruktur der österreichischen Gesellschaft besonders gut zeigen lässt.
Sieht man sich genauer an, wer zu den obersten 5 Prozent gehört und wie sie dort hingekommen sind, so offenbaren sich einige interessante Muster:
1.Wer oben ist, bleibt oben – wer unten ist, bleibt unten
Entgegen dem Mythos vom „amerikanischen Traum“ (von der Tellerwäscherin zur Millionärin) ist es den meisten ArbeitnehmerInnen kaum möglich, wirklich reich zu werden. Das hat zweierlei Gründe: Erstens beziehen nur die obersten 5 Prozent in relevantem Ausmaß Kapitaleinkommen (also Einkünfte aus Mieten, Zinsen oder Beteiligungen). Demgegenüber haben die untersten 40 Prozent kaum relevante Kapitaleinkünfte – sie beziehen nur Einkünfte aus Arbeit. Aber: durch Arbeit allein wird man selten reich.
Zweitens spielt Erben in Österreich eine zentrale Rolle bei der Vermögensakkumulation. Es erhalten nur etwa 10 Prozent der ärmeren Haushalte, aber 75 Prozent der reichsten Haushalte in Österreich ein Erbe – und auch die durchschnittlichen Summen sind hier höchst unterschiedlich: Von 14.000 Euro am unteren Ende zu über 240.000 Euro bei den obersten 20 Prozent. In einer kürzlich erschienenen Studie des WU-Institutes INEQ wird genauer gezeigt, wie wichtig das Erbe für die Position auf der Vermögensverteilung ist: Ein/e LohnabhängigeR muss etwa die Hälfte der Einkommensverteilung überspringen, um den Einfluss einer Erbschaft auf seine/ihre relative Vermögensposition auszugleichen. Die Startchancen der verschiedenen Haushalte sind also höchst ungleich.
- Reichtum ist männlich
Nicht nur bei der Einkommens‑, sondern auch bei der Vermögensverteilung gibt es starke Anzeichen für einen gender gap. Leider gibt es derzeit für Österreich nur Daten auf Haushaltsebene, nicht auf Individualebene. Diese zeigen aber, dass das durchschnittliche Vermögen von weiblichen Single-Haushalten in Österreich um gut 40 Prozent niedriger ist, als das der männlichen Single-Haushalte. Mit steigender Bildung nehmen die Unterschiede im Netto-Vermögen zwischen Männern und Frauen weiter zu. Frauen erben auch anders bzw. weniger. Frauen können damit nie so hohe Vermögen anhäufen wie Männer.
- Die sozialen Unterschiede werden vertuscht
Der offensichtlichen Vermögensungleichheit zum Trotz ordnen sich die meisten Menschen eher der „Mitte“ zu. Damit überschätzen sich ärmere Haushalte, während reiche Haushalte sich unterschätzen. Martin Schenk argumentiert, dass dieser falschen Selbsteinschätzung ein ideologisches Momentum zugrunde liegt, welches der Verschleierung sozialer Ungleichheiten dient: Alle sollen glauben, dass sie ihr gerechtes Stück vom Kuchen bekommen. Dadurch werden soziale Missstände nicht angeprangert, die soziale Ordnung wird als „natürlich“ angesehen und politische Maßnahmen, die nur den Oberen der Gesellschaft dienen, werden mitgetragen. Durch diesen „Mitte-Mythos“ stoßen auch neoliberale Überzeugungen – wie eben jene, dass „wir“ uns die Armen nicht mehr leisten können – in breiten Teilen der Gesellschaft auf Unterstützung.
- Zu viel privater Reichtum zerstört die Gesellschaft
Die Forschung zeigt, dass zu viel Ungleichheit und privater Reichtum eine Gesellschaft zerstören. Reiche ziehen sich gerne aus ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zurück und schotten sich räumlich wie sozial ab. Vermögen wird dadurch weiter privatisiert. Gleichzeitig werden Verluste kollektiviert und in gesellschaftlich wichtigen Bereichen, wie Bildung oder Sozialem, Ausgaben gekürzt. Das führt dazu, dass sich die Gesellschaft weiter spaltet. Die Armut Vieler hängt also mit dem Reichtum Weniger zusammen. Das wusste schon Berthold Brecht:
„Reicher Mann und armer Mann
standen da und sahn sich an.
Und der Arme sagte bleich: „Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich“.“
Die hier skizzierten Entwicklungen müssen gestoppt werden. Aufgabe der gesellschaftlichen Linken ist es, unermüdlich auf die oben erwähnten Zahlen, Daten, Fakten hinzuweisen, aber auch weiter für die Einführung einer Vermögens- und einer umfassenderen Erbschaftssteuer zu kämpfen. Wir müssen gemeinsam Visionen für eine gerechte Gesellschaft jenseits des finanzdominierten Kapitalismus erarbeiten.
Julia Hofmann ist aktiv beim BEIGEWUM und dem Jahoda-Bauer-Institut, die 2014 gemeinsam mit ATTAC und der Armutskonferenz das Projekt „Mythen des Reichtums“ ins Leben gerufen haben.
Arbeitszeitverkürzung als Beschäftigungsmotor?
Ursprünglich erschienen im Blog A&W, am 11. März 2016
Seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 sind in einer Vielzahl von europäischen Staaten die Arbeitslosenzahlen angestiegen. Als ein Instrument gegen dieses Problem wird vor allem von Gewerkschaftsseite immer häufiger eine Arbeitszeitverkürzung gefordert. Aber kann eine Verkürzung der Arbeitszeit Beschäftigung schaffen? Die Erfahrungen mit der Verkürzung von Arbeitszeit in Europa zeigen, dass eine Arbeitsverkürzung zusätzliche Arbeitsplätze bringen kann – zumindest wenn bestimmte Voraussetzungen wie die Möglichkeit zur Reorganisation der Arbeit gegeben sind.
Der Trend zu Verkürzung der Wochenarbeitszeit besteht in Europa seit Beginn des vorigen Jahrhunderts. Während damals eine 60-Stunden-Woche in Europa üblich war, hat sich bis 1980 eine 40-Stunden-Woche in den meisten europäischen Ländern durchgesetzt. Seitdem bleibt die wöchentliche Arbeitszeit im Durchschnitt fast konstant und ist in manchen Ländern wieder im Steigen begriffen.
Quelle: Poyntner (2015), Daten Hubermann und Minns (2007). Normalarbeitszeit, ohne Urlaub etc. Für Österreich ist diese Zeitreihe nicht vorhanden; vergleichbare Daten für Spanien fehlen zwischen 1935 und 1980.
Der Trend zu kürzeren Arbeitszeiten hat sich im Durchschnitt der Vollzeitbeschäftigten in den letzten Jahrzehnten deutlich verlangsamt. Sieht man von dem Kriseninstrument der Kurzarbeit ab gab es wenige Initiativen, die eine allgemeinere Verkürzung der Wochenarbeitszeit zum Ziel hatten. Allerdings waren in einzelnen Sektoren oder Firmen weitere Maßnahmen für eine Verkürzung der Arbeitszeit zu verzeichnen, wie bspw. die Einführung des 6‑Stunden Tages in einem öffentlichen Pflegeheim im schwedischen Göteborg, eine Freizeitoption in Kollektivverträgen in Österreich, oder Freistellungs- und Karenzzeiten (siehe unten). In einigen Ländern wie Deutschland (im öffentlichen Dienst und einigen Branchen, wie z.B. dem WSI-Arbeitszeitkalender 2014 zu entnehmen) und Frankreich (Ausweitung der erlaubten Überstunden) ist aber auch ein Trend zu längeren Arbeitszeiten zu beobachten.
Für europäische Gewerkschaften verlor das Thema Arbeitszeitverkürzung in Kollektivvertragsverhandlungen nach der Einführung der 40-Stunden-Woche gegenüber Lohnforderungen an Bedeutung. Dies hat zum Teil mit veränderten wirtschaftlichen (wie der Entschleunigung des Produktivitätswachstums) und institutionellen (rückläufige Gewerkschaftsabdeckung) Rahmenbedingungen zu tun, die den Verhandlungsspielraum von Gewerkschaften tendenziell verringern. Hinzu kommt, dass angesichts der Belastung bei einer 60-Stunden-Woche eine Verkürzung der Arbeitszeit für die Beschäftigten selbst eine viel höhere Priorität hat als das bei einer 40-Stunden Woche der Fall ist.
Beschäftigungsplus durch Arbeitszeitverkürzung in Frankreich …
Der jüngste Versuch, die Arbeitszeit für umfassende Bevölkerungsgruppen zu reduzieren, wurde vor fünfzehn Jahren in Frankreich unternommen. Per Gesetz wurden in einem ersten Schritt im Jahr 1998 Unternehmen dazu angeregt, die Wochenarbeitszeit von 39 auf 35 Stunden zu verkürzen. Die Voraussetzung für finanzielle Unterstützung war eine Verkürzung der Arbeitszeit um mindestens 10% sowie eine Ausweitung der Beschäftigung um mindestens 6%. Im Jahr 2000 wurde die 35-Stunden-Woche verpflichtend für Unternehmen mit mehr als 20 Angestellten, 2002 auch für kleinere Unternehmen eingeführt. Begleitet wurde die Reform durch eine Lockerung der Tages- und Wochenhöchstarbeitszeit. Nach 2002 wurden durch einen Regierungswechsel die Maßnahmen sukzessive zurückgenommen, Förderungen abgeschafft, Steuern und Sozialversicherungsbeiträge auf Überstunden gesenkt und Überstundenkontingente ausgeweitet. Die 35-Stunden-Woche wurde also deutlich verwässert und Maßnahmen in die die Gegenrichtung gesetzt.
Die Einführung der 35-Stunden-Woche in Frankreich hatte das klare politische Ziel, die Arbeitslosigkeit zu verringern, die 1997 mit 12,5% weit über dem EU-Durchschnitt lag. Dieses Ziel, wenn auch nicht in der erwarteten Höhe, wurde auch erreicht, nur über die genaue Größe herrscht Uneinigkeit (ex-post Schätzungen liegen zwischen einem Beschäftigungsanstieg von 3,4% bis 7%). Auch wenn ein Beschäftigungsanstieg nicht notwendigerweise eine Senkung der Arbeitslosenquote bedeuten muss (z.B. wenn alle neue Beschäftigungsverhältnisse von Personen eingegangen werden, die dem Arbeitsmarkt vorher nicht zur Verfügung standen) – in Frankreich hatte die Arbeitszeitverkürzung laut Studien, die neben Beschäftigung auch explizit die Reaktion der Arbeitslosigkeit betrachten, eine Senkung der Arbeitslosigkeit zur Folge (siehe z.B. Schreiber und Logeay 2006 oder Bunel 2004).
… und Unklarheit in Deutschland
Eine weitere große Reform wurde in Deutschland vorgenommen, wo im Metall- und Printsektor von 1984 bis 1994 die Wochenarbeitszeit von 40 auf 36 Stunden gesenkt wurde. Die Einschätzung der Beschäftigungseffekte dieser Reform fallen weitaus weniger klar aus als bei der französischen Reform: Negative Beschäftigungseffekte werden ebenso gefunden wie neutrale oder positive Beschäftigungseffekte.
Das lässt sich teilweise durch die Art der Durchführung der Arbeitszeitverkürzung erklären: Während die Regierung in Frankreich Subventionen an Betriebe zahlte, die Arbeitszeit verkürzten und Beschäftigung erhöhten, gab es in Deutschland keine solche Unterstützung. Hunt vermutet beispielsweise, dass positive Beschäftigungseffekte der Verkürzung der Arbeitszeit durch Anstiege im Stundenlohn zunichte gemacht wurden – allerdings ist diese These umstritten. Auch wenn ein Anstieg des Stundenlohnes den Faktor Arbeit verteuert, sind für Unternehmen nicht die absoluten Lohnkosten, sondern die Lohnstückkosten der entscheidende Faktor. Lohnstückkosten werden ebenso von der Produktivitätsentwicklung beeinflusst, und Arbeitszeitverkürzung führt meist zu höherer Produktivität. Dies hat zum einen den Grund, dass Beschäftigte bei geringerer Arbeitszeit produktiver sind, oder anders ausgedrückt zusätzliche Stunden bei einem hohen Arbeitszeitniveau weniger produktiv sind. Zum anderen sind Verkürzungen der Wochenarbeitszeit oft mit einer Reorganisation der Arbeitsstrukturen in Unternehmen verbunden, die eine eigene Quelle von Produktivitätssteigerungen sein können.
Zahlreiche Wirkungskanäle von Verkürzungen der Wochenarbeitszeit
Prinzipiell gibt es zahlreiche Wirkungskanäle, durch die eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit Auswirkungen auf die Beschäftigung haben kann. Selbst einfachste ökonomische Modelle können daher keine eindeutige Aussage zur Richtung der Beschäftigungseffekte treffen. Positive Beschäftigungsauswirkungen sind beispielsweise wahrscheinlicher, wenn Fixkosten von Neueinstellungen (Kosten für Einarbeitung, Einschulung, Bereitstellung von Infrastruktur etc.) gering sind und wenn genügend Arbeitssuchende mit entsprechender Qualifikation verfügbar sind. Auch Nachfrageeffekte durch steigenden Stundenlohn (die im Zuge von oder nach Arbeitszeitverkürzungen häufig mitverhandelt werden) können Quellen von Arbeitsnachfrage sein – wobei dieser Effekt vor allem bei Unterauslastung der Produktionsfaktoren zum Tragen kommt. Keinen oder sogar einen negativen Beschäftigungseffekt wird eine Arbeitszeitverkürzung dann bewirken, wenn Neueinstellungen mit hohen Fixkosten verbunden sind, dem Arbeitsmarkt keine geeigneten Arbeitssuchenden zur Verfügung stehen oder Lohnstückkosten stark ansteigen.
Die vielfältigen Wirkweisen einer Arbeitszeitverkürzung auf Beschäftigung machen die empirische Quantifizierung herausfordernd. Folglich gibt es in der Literatur auch keinen Konsens über die Wirkungsrichtung einer Arbeitszeitverkürzung auf die Beschäftigung. Eine Zusammenschau der Literatur findet sich u.a. bei Schwendinger (2015), Bosch und Lehndorff (2001) und Poyntner (2015). Es ist anzumerken, dass neben den unterschiedlichen Umsetzungsarten und institutionellen Rahmenbedingungen auch methodische Schwierigkeiten Grund für unterschiedliche Ergebnisse sein können. So ist z.B. für die Quantifizierung des Beschäftigungseffektes durch die Verkürzung der Wochenarbeitszeit die Schätzung der hypothetischen Beschäftigungsentwicklung ohne Arbeitszeitverkürzung notwendig. Diese Schätzung ist immer mit Unsicherheiten behaftet. Aus diesem und anderen Gründen ist die Herstellung eines eindeutigen Zusammenhangs oft schwierig.
Bedingungen für die Arbeitszeitverkürzung als Beschäftigungsmotor
Die oben genannten Überlegungen können herangezogen werden, Bedingungen für eine erfolgreiche Arbeitszeitverkürzung herauszuarbeiten, wie es z.B. Bosch und Lehndorff (2001) versuchen.
Nachdem bei großen Reformen die vorherrschenden organisatorischen Paradigmen des 8‑Stunden-Tages / der 5‑Tage-Woche in Frage gestellt werden, ist die Frage zentral, ob die Arbeits(zeit)organisation flexibel an neue Arbeitszeit-Systeme angepasst werden kann. In Frankreich war eine solche Flexibilisierung Teil des Paketes zur 35-Stunden-Woche.
Um einer möglichen Knappheit an ausgebildeten Arbeitskräften entgegenzuwirken, empfiehlt sich neben vorausschauender Bildungspolitik ein Ausbau von Weiterbildungsmöglichkeiten. Somit wird der Effekt abgemindert, dass Arbeits-Fixkosten für Unternehmen stark steigen und sich negative Beschäftigungseffekte einstellen. In Österreich dürfte die Weiterbildungsproblematik wohl eine geringere Rolle spielen, da der Anteil der öffentlichen Mittel (inkl. AMS, Europäischer Sozialfonds) an Ausgaben für betriebliche Weiterbildung bereits ca. 50% beträgt.
Eine Arbeitszeitverkürzung kann auch an sich zu einem Anstieg des Arbeitskräfteangebotes führen. Beispiele dafür wären gut ausgebildete Personen, die von Teilzeit auf kürzere Vollzeit (z.B. 35 Stunden) aufstocken oder Personen, die erst durch die Option auf kürzere Vollzeit in den Arbeitsmarkt einsteigen. In Frankreich wechselten beispielsweise mit der Einführung der 35-Stunden-Woche viele Personen (vor allem Frauen) von Teilzeit- auf Vollzeitbeschäftigungsverhältnisse. Dieses Resultat deutet darauf hin, dass eine nicht unwesentliche Anzahl an Personen mehr als Teilzeitarbeit arbeiten wollen, aber eine 40-Stunden-Woche nicht mit Betreuungspflichten etc. vereinbar ist.
Beim Punkt der Höhe der Kompensation – also der Anhebung des Stundenlohnes, um dem monatlichen Lohnrückgang bei kürzerer Arbeitszeit entgegenzuwirken – ist festzuhalten, dass die Löhne im Ausmaß des Produktivitätszuwachses steigen können. Steigen sie stärker, würden die Lohnstückkosten steigen. Einerseits könnte dadurch die Arbeitsnachfrage zurückgehen, andererseits sind Nachfrageeffekte zu beachten, die sich positiv auf die Beschäftigung auswirken können. Der Nettoeffekt einer Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich hängt also abermals von den konkreten Bedingungen ab.
Es geht nicht nur um Beschäftigung, sondern auch um Verteilungsgerechtigkeit und Gesundheit
Auch wenn die Beschäftigungseffekte in der öffentlichen Debatte zweifelsohne wichtig sind, ist Arbeitszeitverkürzung zudem aus anderen Gründen sinnvoll. So hat die Verteilung der Arbeitszeit Auswirkungen auf die (geschlechterspezifische) Verteilung von Einkommen, Pensionsansprüchen und Nicht-Lohnarbeit. Große Unterschiede existieren diesbezüglich zwischen den Geschlechtern – „Teilzeit ist weiblich und Überstunden sind männlich“.
Es gibt einige Ansätze, um die tatsächliche Arbeitszeit an die gewünschte Arbeitszeit der Beschäftigten anzugleichen. Per Gesetz wurde in den Niederlanden im Jahr 2000 die Möglichkeit geschaffen, dass Beschäftigte in größeren Betrieben von Vollzeit auf Teilzeit und vice versa wechseln können. Um die Vereinbarkeit zwischen Beruf und außerberuflichen Verpflichtungen zu verbessern, führte Belgien befristete Reduktionen der Arbeitszeit im öffentlichen Sektor mit teilweisem Lohnausgleich durch den Staat ein. Auch im privaten Sektor wurden um die Jahrtausendwende einige Möglichkeiten geschaffen, Auszeiten zu nehmen. Sowohl „thematische“ Auszeiten für Kinderbetreuung, Pflege etc. sind möglich, als auch das Recht auf Reduktion der Arbeitszeit bzw. Auszeiten ohne Angabe von Gründen. Hier ist anzuführen, dass es für Betreuungspflichten nicht nur wie eben genannt individuelle Lösungen geben kann und soll, sondern die Vereinbarkeit auch durch Sachleistungen (Kindergärten etc.) der öffentlichen Hand ermöglicht werden kann.
Zu guter Letzt sollte auch der gesundheitliche Aspekt kürzere Arbeitszeiten bei der Debatte nicht vollkommen unerwähnt bleiben: Der Zusammenhang von langen Arbeitszeiten und gesundheitlichen Problemen ist gut dokumentiert, z.B. von Golden et al. (2010) und Caruso et al (2004).
Fazit
Arbeitszeitverkürzung eignet sich zur Schaffung von Beschäftigung, falls bestimmte Voraussetzungen wie die Möglichkeit zur Reorganisation der Arbeitszeitorganisation und eine moderate Lohnstückkostenentwicklung gegeben sind. Das Paket zur Arbeitszeitverkürzung in Frankreich war inklusive Subventionen und Flexibilisierung erfolgreich, um Beschäftigung zu schaffen und die hohe Arbeitslosigkeit zu senken. Neben Beschäftigungsüberlegungen sprechen auch Überlegungen zur Verteilung der Arbeitszeit und zu Gesundheit für eine Arbeitszeitverkürzung.
Philipp Poyntner ist Ökonom am Institut für Höhere Studien, Gruppe Arbeitsmarkt und Sozialpolitik und im BEIGEWUM aktiv.