2016 Juli – BEIGEWUM

Archiv für Juli 2016


Wirtschaftliche Effekte einer früheren Anhebung des Frauenpensionalters in Österreich

17. Juli 2016 – 18:21 Uhr

Chris­ti­ne May­r­hu­ber, Juli 2016
zur Stu­die

  • An die schnel­le­re Anhe­bung des Frau­en­pen­si­ons­an­tritts­al­ters sind vie­le Erwar­tun­gen und Hoff­nun­gen geknüpft: von einer Ver­bes­se­rung der Chan­cen- und Ein­kom­mens­gleich­heit für Frau­en auf dem Arbeits­markt bis hin zu lau­fen­den Ein­spa­run­gen im Bereich der Pen­si­ons­fi­nan­zie­rung. Eine Stu­die des WIFO beleuch­tet wich­ti­ge volks­wirt­schaft­li­che Aspek­te einer schnel­le­ren Anglei­chung des Frau­en­pen­si­ons­an­tritts­al­ters und zeigt, dass die zu erwar­ten­den Effek­te mit dem Betrach­tungs­zeit­raum vari­ie­ren, von der gene­rel­len Arbeits­markt­ent­wick­lung abhän­gen. Die hohen Erwar­tun­gen an die­se Reform­maß­nah­me kön­nen in der kur­zen Frist jeden­falls nicht erfüllt werden.

 

Simu­la­ti­on: Frü­he­rer Ein­stieg in höhe­res Frau­en­pen­si­ons­al­ter Gemäß der gel­ten­den Rechts­la­ge steigt das gesetz­li­che Pen­si­ons­an­tritts­al­ter der Frau­en ab dem Jahr 2024 für die Geburts­jahr­gän­ge 1964 bis 1968 in Halb­jah­res­schrit­ten um jeweils 6 Mona­te (Sta­tus-quo-Sze­na­rio). In einem Kurz­gut­ach­ten simu­lier­te das WIFO wirt­schaft­li­che Effek­te einer frü­he­ren Anhe­bung von der­zeit 60 Jah­ren auf 65 Jah­re. Ange­nom­men wur­de eine Anhe­bung im sel­ben Tem­po, die aber bereits 2019 ein­set­zen und somit für die Geburts­jahr­gän­ge 1959 bis 1963 gel­ten wür­de. Das ein­heit­li­che Regel­pen­si­ons­an­tritts­al­ter von 65 Jah­ren wür­de dann bereits ab dem Jahr 2029 (statt ab 2034) gel­ten. Frau­en wür­den ab 2023 das Antritts­al­ter zur Kor­ri­dor­pen­si­on erreichen.

Die simu­lier­te Reform zieht in zumin­dest drei ver­schie­de­nen Berei­chen Effek­te nach sich. Das höhe­re Pen­si­ons­an­tritts­al­ter der Frau­en hat Aus­wir­kun­gen auf (1) die Finanz­ge­ba­rung der Pensions‑, aber auch der Arbeits­lo­sen­ver­si­che­rung, (2) den Arbeits­markt und (3) die indi­vi­du­el­le Pen­si­ons­hö­he durch eine län­ge­re Erwerbs­tä­tig­keit der reform­be­trof­fe­nen Frauen.

 

(1) Vorrübergehend Einsparungen in der Pensionsversicherung, aber Mehrausgaben in der Arbeitslosenversicherung

Die Aus­wir­kun­gen des höhe­ren Frau­en­pen­si­ons­al­ters auf die Finan­zie­rung der Pen­si­ons­ver­si­che­rung wur­den mit dem WIFO-Makro-Modell „DEL­TA-Bud­get“ simu­liert (Demo­gra­phy-based Eco­no­mic Long-Term Model for Austria’s Public Finan­ces). Dem­nach ent­ste­hen in einer ers­ten Pha­se zwi­schen 2019 und 2032 durch den spä­te­ren Pen­si­ons­an­tritt ent­las­ten­de Effek­te: Die Zahl der Pen­sio­nier­ten sinkt um bis zu 30.000 Per­so­nen (2029), die Pen­si­ons­auf­wen­dun­gen lie­gen zwi­schen 2023 und 2029 um bis zu 370 Mio. € pro Jahr (real) bzw. 0,12% des Brut­to­in­lands­pro­dukts (BIP) unter dem Sze­na­rio in der gel­ten­den Geset­zes­la­ge. Ent­las­tend wir­ken auch die Ein­nah­men aus Pen­si­ons­ver­si­che­rungs­bei­trä­gen der zusätz­lich Beschäf­tig­ten (bis zu 60 Mio. € pro Jahr, real). Ab 2034 klingt der dämp­fen­de Effekt dann ab.
Gleich­zei­tig stei­gen die Auf­wen­dun­gen in der Arbeits­lo­sen­ver­si­che­rung bis 2029 an, da nicht alle die län­ger am Arbeits­markt blei­ben dies auch in Beschäf­ti­gung tun. Ent­spre­chend reagie­ren die Auf­wen­dun­gen für Lohn­er­satz­leis­tun­gen der Arbeits­lo­sen­ver­si­che­rung, die­se erhö­hen sich bis 2029 um rund 230 Mio. € (p. a. real) bzw. 0,06% des BIP gegen­über dem Status-quo-Szenario.
In der zwei­ten Pha­se stei­gen die Pen­si­ons­auf­wen­dun­gen auf­grund höhe­rer indi­vi­du­el­ler Pen­si­ons­an­sprü­che durch ver­län­ger­te pen­si­ons­re­le­van­te Ver­si­che­rungs­zei­ten der Frau­en. Die­se höhe­ren Pen­si­ons­be­zü­ge schla­gen sich ab 2034 in einer Stei­ge­rung der Pen­si­ons­auf­wen­dun­gen um 150 Mio. € pro Jahr bzw. 0,03% des BIP nie­der. Der Mehr­aus­ga­ben­ef­fekt klingt ab 2048 ab und ver­schwin­det ab 2055 ganz (Abbil­dung 1).

  • Ent­las­ten­de Effek­te für die Pen­si­ons­ver­si­che­rung domi­nie­ren in der ers­ten Pha­se bis 2032, die Mehr­aus­ga­ben für die Pen­si­ons­ver­si­che­rung domi­nie­ren in der zwei­ten Pha­se bis 2048. Der Finan­zie­rungs-Net­to­ef­fekt hängt damit vom Betrach­tungs­zeit­raum ab, lang­fris­tig dürf­te er aller­dings unter den Erwar­tun­gen blei­ben, die an eine vor­ge­zo­ge­ne Alters­an­glei­chung gerich­tet sind.

 

(2) Geringe Beschäftigungseffekte, mehr Arbeitslosigkeit

Die zwei­te zen­tra­le Fra­ge ist die des Arbeits­markt­ef­fek­tes, sprich: in wel­chem Aus­maß sich die vor­zei­ti­ge Anhe­bung des Antritts­al­ters auf die Wei­ter­be­schäf­ti­gung der betrof­fe­nen Frau­en­jahr­gän­ge aus­wirkt. Ana­ly­sen ver­gan­ge­ner Erhö­hun­gen der Alters­gren­zen zu vor­zei­ti­gen Alters­pen­sio­nen zei­gen, dass sich sowohl die Beschäf­ti­gung als auch die Arbeits­lo­sig­keit für die jeweils betrof­fe­nen Jahr­gän­ge erhöht. Dar­über hin­aus ist der Anstieg der Beschäf­tig­ti­gung in den betrof­fe­nen Jahr­gän­gen nicht gleich­zei­tig der Anstieg in der Gesamt­be­schäf­ti­gung: Eine kurz­fris­ti­ge Beschäf­ti­gungs­aus­wei­tung Älte­rer ver­zö­gert die Beschäf­ti­gungs­auf­nah­men in ande­ren Alters­grup­pen. Empi­ri­sche Befun­de zei­gen, dass rund zwei Drit­tel pen­si­ons­be­ding­ter Beschäf­ti­gungs­ab­gän­ge inner­halb eines hal­ben Jah­res nach­be­setzt wer­den, die Erhö­hung des Frau­en­pen­si­ons­an­tritts­al­ters wird hier zu einer ver­zö­ger­ten Nach­be­set­zung füh­ren. Der Net­to­be­schäf­ti­gungs­ef­fekt (Zusatz­be­schäf­ti­gung bei den 60- bis 64-jäh­ri­gen Frau­en minus ver­zö­ger­te Beschäf­ti­gungs­auf­nah­me in ande­ren Alters­grup­pen) ist in der WIFO-Arbeit gerin­ger als der Beschäf­ti­gungs­ef­fekt bei den betrof­fe­nen Frau­en. Die WIFO-Simu­la­ti­on unter­stellt, dass sich die reform­be­ding­te Aus­wei­tung des Arbeits­kräf­te­an­ge­bo­tes zu 25% in einer Erhö­hung der Gesamt­be­schäf­ti­gung niederschlägt.
Der Gesamt­be­schäf­ti­gungs­stand steigt durch die vor­ge­zo­ge­ne Reform gegen­über dem Sta­tus quo vor­über­ge­hend um bis zu 0,2%, die Zahl der Arbeits­lo­sen um über 6% und die Arbeits­lo­sen­quo­te um gut 0,4 Prozentpunkte.

  • Die künf­ti­ge Beschäf­ti­gungs­aus­wei­tung durch die Stei­ge­rung des Arbeits­kräf­te­an­ge­bo­tes hängt von der Auf­nah­me­fä­hig­keit des Arbeits­mark­tes und damit auch vom Kon­junk­tur­um­feld ab. Ein güns­ti­ger Kon­junk­tur­ver­lauf zwi­schen 2019 und 2029 kann den Net­to­be­schäf­ti­gungs­ef­fekt erhö­hen, ein ungüns­ti­ger kann ihn hin­ge­gen dämpfen.

 

(3) Höhere Leistungen für arbeitsmarktnahe Frauen, aber Unterstützung für Arbeitsmarktferne notwendig

Durch die model­lier­te schnel­le­re Anhe­bung des Regel­pen­si­ons­al­ters wer­den vor allem arbeits­markt­na­he Frau­en län­ge­re pen­si­ons­re­le­van­te Beschäf­ti­gungs­zei­ten rea­li­sie­ren kön­nen. Nor­ma­le Alters­pen­sio­nen der Frau­en wer­den zu rund 56% direkt aus einer akti­ven Beschäf­ti­gung ange­tre­ten, bei einem Drit­tel der Neu­zu­gän­ge liegt die letz­te akti­ve Erwerbs­tä­tig­keit aller­dings län­ger als 3 Jah­re zurück. Für die erst­ge­nann­te Grup­pe der Frau­en stei­gen die Erst­pen­sio­nen durch die län­ge­re Erwerbs­tä­tig­keit, aus­ge­hend von einem nied­ri­gen Niveau (von den zwi­schen 2012 bis 2014 neu­zu­er­kann­ten nor­ma­len Alters­pen­sio­nen an Frau­en waren 37% nied­ri­ger als 500 €). In der zwei­ten Grup­pe der arbeits­markt­fer­nen Frau­en wer­den sich weder die Beschäf­ti­gungs­chan­cen noch die finan­zi­el­le Absi­che­rung im Alter ver­bes­sern, hier­für braucht es ziel­grup­pen­spe­zi­fi­sche arbeits­markt­po­li­ti­sche Maß­nah­men sowie Maß­nah­men auf der betrieb­li­chen Ebene.

  • Die vom WIFO simu­lier­te Anhe­bung der Alters­gren­ze zwi­schen 2019 und 2029 fällt ins­ge­samt in eine Pha­se mit stei­gen­dem Arbeits­kräf­te­an­ge­bot. Allein die Alters­grup­pe der 60- bis 64-Jäh­ri­gen wird im Jahr 2028 mit 667.800 Per­so­nen um rund 189.000 Per­so­nen grö­ßer sein als sie heu­te ist. Eine schnel­le­re Anglei­chung des Frau­en­pen­si­ons­an­tritts­al­ters braucht flan­kie­ren­de ziel­grup­pen­spe­zi­fi­sche Maß­nah­men beson­ders für arbeits­markt­fer­ne Frau­en, damit sie nicht zu den Ver­lie­re­rin­nen der Reform und des ange­spann­ten Arbeits­mark­tes werden.
  • Die an die Reform geknüpf­ten Erwar­tun­gen kön­nen nur dann erfüllt wer­den, wenn es gelingt, den spä­te­ren Pen­si­ons­an­tritt mit einer Ver­län­ge­rung der Erwerbs­pha­se und einer Erhö­hung der Gesamt­be­schäf­ti­gung zu ver­bin­den. Dafür rei­chen Ände­run­gen allei­ne in den pen­si­ons­recht­li­chen Bestim­mun­gen nicht aus.

 

Abbil­dung 1: Effek­te der Anhe­bung des Pen­si­ons­an­tritts­al­ters von Frau­en auf Pen­si­ons­auf­wen­dun­gen, Pen­si­ons­bei­trä­ge und Arbeitslosenleistungen
Real, Abwei­chun­gen vom Sta­tus-quo-Sze­na­rio in Mio. €

WIFO_FrauenPension

Q: WIFO-Berech­nun­gen.

Kommentare deaktiviert für Wirtschaftliche Effekte einer früheren Anhebung des Frauenpensionalters in Österreich | Kategorie: blog

zum Anfang der Seite