Der Zweifel an Fakten und die Krise der Volkswirtschaftslehre
Dieser Beitrag zu dem von Till van Treeck und Janina Urban herausgegebenen Buch „Wirtschaft neu denken – Blinde Flecken der Lehrbuchökonomie“ wurde zuerst auf dem Blog Arbeit & Wirtschaft veröffentlicht.
Ob Lohnhöhe, Stellung von Gewerkschaften, Freihandelsabkommen oder die Integration von Geflüchteten – ÖkonomInnen haben auf all diese Fragen Antworten, wie sich Politik und Gesellschaft dazu optimalerweise verhalten könnten. Das Vertrauen in die Wirtschaftswissenschaften ist allerdings spätestens mit der Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008 gründlich erschüttert worden. Denn der Großteil der ÖkonomInnen hatte nicht etwa die tiefste Krise seit der Großen Depression von 1929 vorausgesagt, sondern Jahre der Stabilität und des Wachstums. Die „Krise der Volkswirtschaftslehre (VWL)“ ist damit zum Politikum geworden und fällt aktuell mit der Erosion des Vertrauens in „allgemein anerkannte Wahrheiten“, aber auch faktenbasierte Analysen zusammen. weiterlesen »
Veranstaltungsrückblick: Kongress für ein „Gutes Leben für alle!“
Vom 9.–11. Februar fand zum zweiten mal der Kongress für ein „Gutes Leben für alle!“ statt. Über 1000 TeilnehmerInnen aus ganz Europa nahmen an den spannenden Diskussionen über Wege zu und Vorstellungen von einem „Guten Leben für alle“ teil.
Dabei hat sich auch der BEIGEWUM aktiv an dem Kongress beteiligt.
Als „Debattenraum“ war die Präsentation und Diskussion der Studie „Verankerung wohlstandsorientierter Politik“ (zusammenfassender Blog-Beitrag mit Link zur Studie hier) organisiert, an der Georg Feigl – AK Wien und BEIGEWUM-Vorstand – beteiligt war. Das Thema knüpft direkt an die Vorarbeiten im Rahmen der Veranstaltungsserie zum guten Leben für alle an, die zum Teil im Kurswechsel 2/2014 dokumentiert wurde.
Diskussionen rund um eine notwendige „Energie- und Ressourcenwende“, deren Möglicheiten und Barrieren, standen im Rahmen eines Workshops, der von Christina Plank (BEIGEWUM-Vorstand und ksoe Schasching-Fellow) mitgestaltet und – organisiert wurde, im Zentrum. Außerdem veranstalteten Florian Wukovitsch (Arbeiterkammer Wien) und Michael Soder (WU) als Herausgeber des Kurswechsels „Klimapolitik und Systemwandel“ (3/2016) eine Debatte zum selbigen Thema.
The European Union: The Threat of Disintegration. Presentation of the EuroMemorandum 2017
Thursday, 9. März 2017, 18.00 Uhr, C3-Centrum für Internationale Entwicklung, Sensengasse 3
In Cooperation with ÖFSE and WiPol. Please register at: i.pumpler@oefse.at
The crisis of the European Union (EU) is multifaceted and has visibly deepened during the last year. The British referendum on EU membership and the vote in favour of Brexit have only been the most explicit symptom of the disintegrative tendencies. The core-periphery rift in the euro area has continued. The arrival of a large number of refugees from the war-torn areas of the Middle East has resulted in acrimonious conflicts in the EU on the question who should take care of them. The way in which the pro-free trade forces pushed through the Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) with Canada showed utter disregard for the objections of democratically elected bodies (e.g. the Belgian regions of Wallonia and Brussels). Strategies to cope with the disintegration tendencies range from “muddling-through” approaches, visions of a “Core Europe” to “Europe of Nations” concepts on the far right of the political spectrum. Approaches on the political left range from calls for a democratic European federalism to a “Plan B” that accepts eventual monetary disintegration. In this sense, a discussion of alternative proposals of how to respond to the virulent disintegration tendencies from a progressive standpoint is urgently needed. The EuroMemorandum 2017 critically analyses recent economic developments in Europe and emphasises the strong need for an alternative economic policy that is based on the principles of democratic participation, social justice and environmental sustainability.
Programme:
18.00 – 18.10: Welcome Address
18.10 – 18.20: Presentation of the EuroMemorandum 2017
(Werner Raza, EuroMemo Group)
18.20 – 19.15: Roundtable Discussion
“The crisis of democracy in the EU: implications and possible remedies”, with:
Marica Frangakis, EuroMemo Group and Nicos Poulantzas Institute, Athens
Achim Truger, EuroMemo Group and Berlin School of Economics
Joachim Becker, EuroMemo Group and Vienna Univ. of Economics & Business
Helene Schuberth, Ökonomin
Moderation: Simon Theurl (BEIGEWUM)
19.15 – 20.00: General Discussion
20.00: Wine Reception
Download of EuroMemorandum 2017
Veranstaltungsrückblick: Volkswirtschaftslehre im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik
Am 11.01.2017 diskutierten Jean-Robert Tyran (Dekan der Fakultät/Professor für Wirtschaftswissenschaften/Universität Wien) und Maximilian Kasy (Associate Professor, Harvard University) unter der Moderation von Katharina Mader zum Thema „Volkswirtschaftslehre im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik“.
Die Veranstaltung fand als Kooperation zwischen der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, dem BEIGEWUM, der Gesellschaft für Pluralen Ökonomik Wien und der Studienvertretung Volkswirtschaftslehre statt und war gut besucht, was das große Interesse an dem Thema deutlich macht.
Die Diskutanten stimmten in vielen Punkten überein: die Wirtschaftswissenschaft hat(te lange Zeit) empirische Defizite, während gleichzeitig politisches Engagement nicht wertgeschätzt wurde. Die Kritik an der Disziplin war also gerechtfertigt und Pluralität in der Ökonomie wird als wichtig erachtet.
Dass dabei unterschiedliche Auffassungen von Pluralität vorherrschen wurde bei den kritischen Anmerkungen aus dem Publikum deutlich. Damit eine plurale Lehre in Zukunft (wieder) möglich sein wird, benötigt es jedoch mehr als ein Lippenbekenntniss. Nämlich u.a. die nötige Infrastruktur, also entsprechende finanzielle Mittel und zeitliche Ressourcen. Ob auch dafür die entsprechende Übereinstimmung vorhanden ist, wird sich in Zukunft zeigen.
Zum Weiterlesen: Die Zukunft der Volkswirtschaftslehre: kann die oekonomische wissenschaft plural werden?
Der Handel mit dem Klima.
Es braucht neue Wege für eine gerechte, sozioökologische Transformation.
Simon Theurl
(Als Perspektive des Marie Jahoda – Otto Bauer Institut Erschienen)
Kenntnisse zum Klimawandel
Grundlage für die Übereinkünfte in Paris ist ein Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change 2013/14 (IPCC). Darin sind die aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Klimawandel zusammengefasst. Die Durchschnittstemperatur auf der Erde ist zwischen 1880 und 2012 um 0.85°C angestiegen. Bis 2100 wird ein weiterer Anstieg von 1.5 – 4.8°C prognostiziert, je nachdem welche politischen Maßnahmen getroffen werden. Der Temperaturanstieg ist eine Folge von mehr Treibhausgasen in der Atmosphäre. Die verstärkte Treibhausgasemission hängt mit dem global wachsenden Energiebedarf zusammen, der zwischen 1800 und 2010 um das 50-fache gestiegen ist. Im Jahr 2013 deckten fossile Energieträger, deren Nutzung Treibhausgase freisetzt, 81,5% des globalen Primärenergieaufkommens. Primärenergie ist Energie, die direkt aus den ursprünglichen Energiequellen bezogen werden kann. Kernenergie beispielsweise ist Primärenergie, die Energie eines mit Kernenergie betriebenen Wärmekraftwerks jedoch nicht.
Wirtschaftswachstum und Klima
Hohe Treibhausgasemissionen und Energiebedarf gehen mit einem starken Wirtschaftswachstum einher, niedrige Emissionen und Energiebedarf mit einem geringen Wachstum. Die Frage nach der Kausalität zwischen diesen Größen ist ideologisch stark aufgeladen und entscheidend für die Strategien zur Bekämpfung der Erderwärmung. So wird argumentiert, dass saubere Technologien schädliche Emissionen und Wirtschaftswachstum entkoppeln können. Für die Umsetzung des Pariser Abkommens bräuchte es ab 2050 eine komplette Trennung. Fraglich bleibt, ob bei steigendem Wirtschaftswachstum und Konsum eine nachhaltige Reduktion der Treibhausgasemissionen tatsächlich möglich ist.
Wo entstehen Emissionen?
Strategien zur Bekämpfung des Klimawandels setzen momentan nicht beim Konsum an. Der Großteil der vorgeschlagenen politischen Maßnahmen hin zu einem CO2-armen Wirtschaftssystem sieht technologiebasierte Veränderungen vor. Allen voran der Energiesektor soll auf erneuerbare Energiequellen umgestellt werden. Diese Vorgehensweise greift allerdings zu kurz, weil sie am nationalstaatlichen Territorium und der Produktion orientiert ist. Zurzeit werden Emissionen dort gemessen, wo sie produziert werden. Wo allerdings der Konsum stattfindet, bleibt außerhalb des Blickfeldes. Wenn Länder also emissionsintensive Industrien ins Ausland auslagern, sinken die Emissionen in den ursprünglichen Ländern. Dieses Phänomen wird Carbon Leakage genannt. Es führt dazu, dass nicht überprüft werden kann, ob eine Emissionsreduktion durch eine Entkarbonisierung oder eine Auslagerung erreicht wurde.
Markt gegen Erderwärmung?
Um die globalen Emissionen zu reduzieren hat sich die Klimakonferenz in Paris auf den Handel mit Emissionszertifikaten, sogenannten „internationally transfered mitigation outcomes“ (ITMOs) geeinigt. Der dominanten Marktlogik folgend wird Klimawandel dabei als Treibhausgasemissionen quantifiziert, mit einem Preis versehen und auf internationalen Märkten gehandelt. Dabei werden existierende Ungleichgewichte reproduziert indem dieselbe Marktlogik, die sie hervorgebracht hat, auf die Bewältigung des Klimawandels ausgeweitet wird. Die Komplexität sozio-ökologischer Systeme kann mit dieser Logik jedoch nicht annähernd gefasst werden.
Eine solche Marktlogik kommt beispielsweise zum Zug, wenn Emissionen durch Kompensationsprojekte anderswo ausgeglichen werden. Die „Ökosystemdienstleistung“ der Senkenfunktion, also der CO2 Speicherung in Böden oder Wäldern, wird an zahlungsfähige AbnehmerInnen in Form von Emissionsgutschriften verkauft. Oft werden diese Gutschriften von ärmeren Ländern mit schwachen demokratischen Institutionen angeboten und gehen mit Landraub und der Umsiedlung der politisch schwächsten Gruppen einher. Auf diese Weise werden die Kosten des Klimawandels nach unten weitergegeben und soziale sowie globale Ungleichgewichte verstärkt.
Dabei kommt es zu absurden Fällen, in denen teils autarke Bevölkerungsgruppen für den Klimawandel verantwortlich gemacht werden, weil sie Waldflächen für Felder abholzen. Gleichzeitig wird die Umwandlung von Regenwald in Großplantagen als annähernd klimaneutral bewertet.
Alternative Strategien
Um die globale Erderwärmung tatsächlich unter 2°C zu halten, dürfen zwischen 2011 und 2100 insgesamt nicht mehr als 1.000 Gigatonnen an Treibhausgasen in die Atmosphäre gelangen. Damit das gelingen kann, braucht es eine breite, globale, gesellschaftliche Anstrengung und Zustimmung, die ohne Berücksichtigung von Verteilungsfragen und der Alltagsprobleme der Menschen kaum zu erreichen ist. Das Pariser Abkommen ist nicht ausreichend, weil es die Entkoppelung des Energieverbrauchs vom Wirtschaftswachstum durch Marktmechanismen zum Ziel hat. Es gibt aber andere Wege zu einer gerechten sozio-ökologischen Transformation.
Erstens ist der Ökologische Fußabdruck für die Abbildung von Emissionen besser geeignet. Er misst die Summe aller Treibhausgasemissionen, die für die Herstellung eines bestimmten Produktes notwendig sind, unabhängig davon wo diese freigesetzt werden. Emissionen werden dort gemessen, wo sie konsumiert werden. Auf dieser Basis lassen sich sinnvollere Steuern auf die CO2 Kosten von Produkten erheben, wodurch Carbon Leakage und lange Transportwege weniger rentabel werden. Gleichzeitig stärkt dieser Ansatz das Bewusstsein für globale Güterketten und Ungleichgewichte sowie die Klimaverträglichkeit diverser Produkte in der Bevölkerung.
Zweitens müssen Alltagsbedürfnisse mit Klimapolitik verknüpft werden, damit es breite Zustimmung für eine sozial-gerechte ökologische Transformation gibt. ArbeiterInnen‑, Frauen- und Umweltbewegungen müssten dazu verstärkt die Dimensionen der jeweils anderen Bewegungen in ihre eigene Denk- und Handlungsweise integrieren um gemeinsam aufzutreten. Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung lassen sich zum Beispiel mit umweltpolitischen Forderungen nach einer Abkehr vom Wachstum verknüpfen. Die Ausweitung von gut bezahlten Dienstleistungen im Sozialbereich kann die Entkopplung von Emissionen und Wachstum vorantreiben.