Unaufhaltsame Krisengewinner? Die extreme und populistische Rechte in Europa
Veranstaltungsrückblick von Julia Hofmann und Saskja Schindler [1]
Ende Februar 2017 fand in der Skylounge der Universität Wien eine Veranstaltung zum Aufstieg der Rechten in zahlreichen europäischen Ländern statt. Galten Länder wie Österreich, aber auch die Niederlande oder Italien mit ihren starken rechtspopulistischen Tendenzen lange Jahre eher als Ausnahme in der Europäischen Union, sind nun beinahe alle Mitgliedstaaten mit wachsenden, rechten und rechtspopulistischen Parteien und Bewegungen konfrontiert. Zahlreiche WissenschaftlerInnen und kritische Medien warnten schon seit längerem vor diesem steten Aufstieg der Rechten, dennoch stellte das Jahr 2016 für viele einen Bruch mit den bisher wahrgenommen Entwicklungen dar: Nicht nur die Wahl Donald Trumps zum 45. US-Präsidenten, sondern auch das Mehrheitsvotum der BritInnen für einen Austritt aus der Europäischen Union, der Erfolg der Alternative für Deutschland (AfD) bei Landtagswahlen oder das enge Rennen um die österreichische BundespräsidentInnenwahl und die wachsende Popularität des Front National (FN) in französischen Wahlumfragen wurden heftig diskutiert.
Dementsprechend wurden im Rahmen eines kürzlich angelaufenen und vom FWF mit finanzierten Forschungsprojektes „Solidarität in Zeiten der Krise. Sozio-ökonomischer Wandel und politische Orientierungen in Österreich und Ungarn“ (SOCRIS) fünf ausgewiesene Rechtsextremismus-ForscherInnen nach Wien eingeladen, um über diesen scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg der Rechten in ihren jeweiligen Ländern zu diskutieren.
Den Anfang machte die italienische Politikwissenschaftlerin Manuela Caiani. Sie gab einen Einblick in ihre Forschungsarbeiten zur Vernetzung rechtsextremer Gruppen in Europa und den USA. Caiani konzentrierte sich hierbei insbesondere auf die Vernetzung im Internet und zeigte in ihrer Studie „The Dark Side of the Web“, dass diese vielfach bereits sehr gut miteinander vernetzt sind, wenngleich sich dabei auch deutliche länderspezifische Unterschiede zeigen: So weisen die rechten Gruppierungen in den USA eine stark dezentrale Vernetzungsstruktur auf, die deutschen Gruppierungen dagegen eine eher zentralistische. In Hinblick auf die internationale Vernetzung rechter Gruppierungen im Internet zeigt die Studie zum einen, dass die italienische Rechte am stärksten international vernetzt ist, und zum anderen, dass die Möglichkeit der Vernetzung am stärksten von Neonazi-Gruppen genützt wird. Die Vernetzung im Internet wird von den rechten Gruppen derzeit, wie Caiani zeigte, vorwiegend zu Propaganda- und Informationszwecken genützt, während die tatsächliche Mobilisierung noch eher offline betrieben wird.
Der Soziologe Jörg Flecker stellte sich anschließend in seinem Kurzvortrag die Frage, ob der Begriff der Solidarität analytisch auf die Politik der FPÖ anwendbar wäre. In der wissenschaftlichen Debatte sei es, so Flecker, umstritten, ob das Konzept der Solidarität notwendigerweise universalistisch, inklusiv und allumfassend wäre oder ob die Herstellung von Solidarität nicht das Ziehen von Grenzen (mit wem ist man solidarisch, mit wem nicht?) bedinge. Wenn das Konstrukt der Solidarität ein exklusives Moment impliziere, dann könne man auch im Falle der FPÖ von einer spezifischen, exklusiven Form der Solidarität sprechen, so Flecker – einer Solidarität nach innen also (d.h. einer Form der Solidarität mit der „Deutschen Volks‑, Sprach- und Kulturgemeinschaft“ bzw. mit dem Staatsvolk), allerdings bei gleichzeitiger starker Schließung nach außen. Im zweiten Teil seines Vortrags weichte Flecker diese These jedoch auf, als er die Politik, der sich selbst als „soziale Heimatpartei“ verstehenden FPÖ, genauer unter die Lupe nahm. Diese greift, ihm zufolge, die soziale Frage zwar durchaus auf, zeigt aber durch gegenteiliges Stimmverhalten in Nationalrat und Landtagen (etwa beim Pflegegeld, der Mindestsicherung oder Fragen des Lohn- und Sozialdumpings), dass sie nicht auf der Seite der arbeitenden Menschen in Österreich steht.
Der ungarische Forscher István Gracjzjár beschäftigte sich mit der Genese der rechtsextremen Jobbik und ihren Verflechtungen zur regierenden Fidesz-Partei. Gajczjár zufolge ist der Aufstieg der zutiefst antisemitischen, romafeindlichen und homophoben Jobbik nur durch multiple Krisenerscheinungen erklärbar: Ungarn habe die Wirtschaftskrise recht hart getroffen, darüber hinaus stecke das Land durch zahlreiche Korruptionsfälle seit einigen Jahren in einer „politisch-moralischen Krise“. In seinem Vortrag argumentierte Grajczjár des Weiteren, dass es nicht nur starke, ideologische Überschneidungen zwischen Fidesz und Jobbik gäbe (z.B. bei Fragen der Verstaatlichung, des Geschichtsrevisionismus oder dem Umgang mit Arbeitslosen) sondern, dass sich durch Jobbik das gesamte politische Spektrum in Ungarn weiter nach rechts verschiebe.
Die deutsche Rechtsextremismusforscherin Gudrun Hentges hat sich wissenschaftlich mit dem Phänomen PEGIDA (und daran angrenzend auch mit der neu entstandenen rechtspopulistischen Partei AfD) beschäftigt. In ihrem Vortrag wies sie daher auch auf das scheinbare Paradoxon hin, dass rechte Bewegungen sich positiv auf scheinbar linke Positionen, wie etwa den Ausbau direkter Demokratie beziehen. Hentges zeigte jedoch, dass das dahinterliegende Konzept der Demokratie von Bewegungen wie PEGIDA sich stark von progressiven Demokratieansätzen unterscheidet. Ihrer Ansicht nach bedienen sie sich des Konzeptes einer „identitären Demokratie“, das auf den umstrittenen deutschen Staatsrechtler Carl Schmitt zurückgeht. Schmitt (1923) zufolge gehört zu einer Demokratie „(…) notwendig erstens Homogenität und zweitens – nötigenfalls – die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen.“ Das Recht auf direkte Demokratie gäbe es – im Sinne PEGIDAs – also nur für ausgewählte, autochthone Gruppen.
Der an der französischen Université de Lille forschende Soziologe Dietmar Loch versuchte in seinem Vortrag schlussendlich den Erfolg von Marine Le Pen und ihrem Front National zu erklären. Er wies auf die verschiedenen gesellschaftlichen Spaltungen und Konfliktlinien in Frankreich hin, etwa auf die Konfliktlinie zwischen ökonomischer Öffnung und Schließung. Unter Rückgriff auf Erkenntnisse der Soziogeographie zeigte Loch, dass der Front National nicht nur abgehängte IndustriearbeiterInnen anspreche, sondern sich mindestens drei, räumlich getrennte, WählerInnengruppen ausmachen lassen: die Arbeitslosen im Nordosten Frankreichs, die ArbeiterInnen im Süden und die „sich als abgehängt Fühlenden“ im Westen des Landes. Spannend war auch sein Befund, dass die räumliche Distanz von öffentlichen Verkehrsmitteln als ein Maß für die Wahrscheinlichkeit, Front National zu wählen, herangezogen werden kann.
Auch wenn sich nicht alle Vorträge explizit mit dem Zusammenhang der Krise und dem Aufstieg rechter Parteien und Bewegungen beschäftigten, implizit zeigte sich jedoch in allen Forschungen, die Bedeutung multipler Krisenerscheinungen, die – geht es nach den eingeladenen WissenschaftlerInnen – in weiteren Studien näher erforscht werden sollte. Hinsichtlich zukünftiger politischer Entwicklungen waren sich auf dem anschließenden Podium auch alle einig: Der Aufstieg der Rechten wäre zwar keinesfalls unaufhaltsam, dennoch gebe es derzeit kaum politische Tendenzen, die ihm die Stirn bieten würden.
Mit dem Thema setzt sich auch die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift Kurswechsel auseinander. Zum Weiterlesen empfiehlt sich „Der Rechte Streit um Europa„…
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[1] Die Autorinnen arbeiten als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen im SOCRIS-Projekt. Julia Hofmann ist zudem Mitglied im BEIGEWUM-Vorstand und in der Kurswechsel-Redaktion.