Systemerhalter_innen in der Krise – Bericht
Im Vorfeld des Tags der Arbeit macht das „Netzwerk migrantische Arbeit“ auf Arbeitsverhältnisse aufmerksam, die meistens unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung bleiben.
Wer pflegt die Alten, wer erntet das Gemüse, wer bringt uns die Post? Die Corona-Krise hat eines besonders deutlich gemacht: Migrantische Arbeitskräfte sind für die Aufrechterhaltung des Gesundheitswesens, der Lieferketten oder der Landwirtschaft unverzichtbar. Gleichzeitig sind sie verstärkt von den desaströsen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie betroffen.
Bei der Onlineveranstaltung mit Vertreterinnen des „Netzwerks migrantische Arbeit“ am 29.4. wurde deutlich, dass es trotz der unterschiedlichen Arbeitsfelder, große Gemeinsamkeiten gibt. Systematische Ausbeutung und Schwierigkeit in der Interessensvertretung sind bezeichnend für Arbeitsfelder, in denen vorwiegend migrantische Arbeitskräfte tätig sind.
Johanna Neuhauser vom BEIGEWUM (Beirat für gesellschafts‑, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen) betont eingangs: „Die gesellschaftliche Bedeutung von Arbeitsmigrant_innen steht im krassen Widerspruch zur fehlenden Anerkennung ihrer Arbeit. Und zwar in Bezug auf Entlohnung, Arbeitsbedingungen und gesellschaftliche Wertschätzung“. Die Pandemie hat dabei verstärkt sichtbar gemacht, auf was selbstorganisierte und gewerkschaftliche Initiativen schon lange aufmerksam machen.
Aktuell zu Beginn der Spargelernte berichtet Lisa Rail von Sezonieri (Kampagne für die Rechte der Erntearbeiter_innen in Österreich) von den prekären Bedingungen der Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft. „Will man Ausbeutung und Lohndumping verhindern, muss die Selbstorganisation von Landarbeiter_innen gestärkt und diese Arbeitskämpfe durch den Ausbau arbeitsrechtlicher Kontrollen unterstützt werden“, so Rail, „denn nur so können gut entlohnte und gesunde Arbeitsbedingungen für alle ermöglicht werden.“ Radostina Stoyanova von der Anlaufstelle zur gewerkschaftlichen Unterstützung UNDOKumentiert Arbeitender (UNDOK) berichtet über die massiven Probleme von Systemerhalter_innen ohne Papiere: „Je prekärer die Menschen vor der Pandemie beschäftigt waren, desto härter treffen sie die Auswirkungen der aktuellen Corona-Situation. Und je unsicherer ihre Arbeits- und Lebensbedingungen sind, desto höher ist für sie das Risiko, sich mit dem Corona-Virus zu infizieren.“ Deshalb fordert UNDOK anonyme und hürdenfreie Corona-Testmöglichkeiten für Menschen ohne Papiere sowie Zugang zur Impfung für alle, die hier leben und arbeiten. Wie Anna Leder von der Interessengemeinschaft der 24-Stunden-Betreuerinnen (IG-24) betonte, hat Corona auch die Missstände rund um die 24-Stunden-Betreuung deutlich sichtbar gemacht. Da sie offiziell selbstständige Ein-Personen-Unternehmen sind, gelten für die meist aus Rumänien oder der Slowakei kommenden Frauen die Schutzstandards des Arbeitsrechts nicht. Obwohl sie meist von Vermittlungsagenturen abhängig sind, gibt es für sie keinen kollektivvertraglichen Mindestlohn, keinen bezahlten Krankenstand, keine Arbeitszeitregelung und keine gewerkschaftliche Vertretung. Um dies zu ändern, fordert Leder von der Initiative „das Ende der Scheinselbstständigkeit und öffentlich finanzierte und organisierte Anstellungsverhältnisse für 24h Betreuer_innen“. Seit der Pandemie wird der Verein mit Anfragen von migrantischen Personenbetreuer_innen überhäuft. Die wichtige Beratungsarbeit erfolgt ausschließlich auf Basis ehrenamtlichen Engagements. Dass eine öffentliche Unterstützung bisher ausbleibt, zeigt wiederum, wie wenig sich der öffentliche Applaus für Systemerhalter_innen in die Praxis umsetzt.