Der Kurswechsel 2/2016 ist da!
Thema: Digitale Arbeit und Plattformkapitalismus
Ob Sharing-Economy, Crowdsourcing oder on-demand Dienstleistungen: Neue Schlagworte prägen die Debatte rund um die moderne Arbeitswelt, die sich vorwiegend auf Internetplattformen abspielt. Was meinen diese Begriffe? Welche Auswirkungen haben die Entwicklungen für ArbeitnehmerInnen und wie können sie sich dagegen zur Wehr setzen?
Um diese Fragen zu beantworten, vereint der aktuelle Kurswechsel Perspektiven aus Sozialwissenschaft, Arbeitsrecht und öffentlicher Hand auf das relativ neue Phänomen digitale Arbeit. Für theoretisch wie praktisch Interessierte gleichermaßen empfehlenswert!
Aktuelle Debatte: Die südeuropäische Linke zwischen Aufschwung und Brüsseler-Berliner Diktat
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Class Trouble – Zur Aktualität der Klassenfrage
„Nowadays it is fashionable to talk about race or gender; the uncool subject is class. It’s the subject that makes us all tense, nervous, uncertain about where we stand“, schrieb einst bell hooks. Lange Zeit ist der Klassenbegriff angesichts neoliberaler Verheißungen und meritokratischer Versprechen vernachlässigt worden. Gegenwärtig lässt sich jedoch ein gesteigertes Interesse an der „Klassenfrage“ und an „Klassismus“ feststellen. Vorangetrieben werden die aktuellen Debatten rund um „Klasse“ von der Gewissheit, dass erst das Zusammenwirken von Klassenkämpfen mit feministischen und antirassistischen/dekolonialen Widerständen soziale Verhältnisse verändern kann. Die Podiumsdiskussion „Class Trouble – Zur Aktualität der Klassenfrage“ knüpft an das Kurswechsel-Schwerpunktheft „Klasse – Klassismus – Klassenkampf?“ an. Die geladenen Autor_innen diskutieren die aktuelle Bedeutung von „Klasse“ für eine emanzipative politische Praxis und darüber, auf welche Weise das „Klassismus“-Konzept dazu beizutragen kann.
der Livemitschnitt zu der Veranstaltung kann hier angehört werden.
Europas Multiple Krisen: Eine Agenda für einen wirtschaftlichen Wandel, Solidarität und Demokratie
Am 20. April luden wir gemeinsam mit der ÖFSE und der wirtschaftspolitischen Akademie zur Präsentation des neuen EuroMemos . Das EuroMemo beleuchtet aktuelle Entwicklungen in Europa und entsteht kollaborativ aus Diskussionen und Arbeiten renommierter ÖkonomInnen aus ganz Europa, welche sich für Vollbeschäftigung mit guten Arbeitsverhältnissen, für soziale Gerechtigkeit, für Beseitigung von Armut und sozialer Exklusion, für ökologische Nachhaltigkeit und für internationale Solidarität einsetzen.
Europäische Wirtschaftspolitik – nach wie vor neoliberal ausgerichtet
Seit dem Erscheinen des EuroMemo 2015 ist es zu keinen nennbaren Kursänderungen auf gesamteuropäischer Ebene in der Ausrichtung der politischen Maßnahmen gekommen. Zwar wurde die Austeritätspolitik – mit der Ausnahme des Troika-Diktats in Griechenland – etwas aufgeweicht, doch dafür der Druck zu neoliberalen Strukturreformen mit dem Schwerpunkt Abbau von Löhnen und Arbeitsrechten verschärft. Entsprechend ist die Arbeitslosigkeit weiterhin hoch, vor allem unter Jugendlichen, und setzen sich Ungleichgewichte zwischen den einzelnen Mitgliedsländern insbesondere durch die hohen Importdefizite von Deutschland und Holland fort.
Während auf fiskalpolitischer Ebene Anstrengungen unternommen werden Investitionen anzukurbeln, verhindert die konstitutionalisierte Austeritätspolitik eine staatlich koordinierte Stabilisierung der Nachfrage und Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten. Gleichzeitig schränken die technokratischen Fiskalregeln auf europäischer Ebene demokratisch geforderte, wirtschaftspolitische Gestaltungsmöglichkeiten, drastisch ein. Dabei verschärft die Austeritätspolitik Genderungleichgewichte: Frauen sind strukturell stärker von der deflationären Wirkung der Ausgabenkürzung betroffen.
Fortschreitende Entdemokratisierung
Diese Problemanalyse sowie mögliche Lösungsansätze standen im Mittelpunkt der Veranstaltung. Zentral war die Frage der Einschränkung der demokratischen Gestaltungsmöglichkeiten auf nationaler Ebene, wie sie Luis Lopes am Beispiel Portugal ebenso aufzeigte wie Stefanie Wöhl in Bezug auf die Fiskalpolitik. Verschärft wird die Entdemokratisierung dadurch, dass es keine entsprechende Ausweitung demokratischer Aushandlungs- und Gestaltungsprozesse auf europäischer Ebene gibt. Werner Raza zeigte am Beispiel der europäischen Handelspolitik vielmehr auf, wie strategisch selektiv die europäische Politikkonstellation wirkt und wie schwer es deshalb für national noch relativ gut verankerte Akteure ist auf diesem Spielfeld mitzumischen.
Die Unfähigkeit die ökonomischen und sozialen Probleme durch eine gemeinsame Europäische Politik zu beseitigen zeigt sich schließlich auch in der Migrationspolitik. Anstatt gemeinsam Lösungen zu suchen kommt es zu neuen Grenzziehungen und einer Abwälzung der Herausforderungen auf die Peripherie Europas – insbesondere auf Griechenland.
Der Kurswechsel 1/2016 ist da!
Thema: Die Zukunft der Volkswirtschaftslehre: Kann die ökonomische Wissenschaft plural werden?
Aktuelle Debatte: Terrainverluste der lateinamerikanischen Linksregierungen
Im Mai 2014 gingen Studierenden-Initiativen aus 19 Ländern mit einem Brief an die Öffentlichkeit, der für Aufregung sorgte. Sie forderten eine Neuausrichtung der Disziplin Volkswirtschaftslehre, der sie Engstirnigkeit und Einseitigkeit attestierten. Die Forderungen erhielten breite öffentliche Aufmerksamkeit, auch da Kritik an der Ökonomik schon seit 2008 laut wurde, als mehrere Krisen auch die meisten ÖkonomInnen relativ unvorbereitet trafen.
Der Kurswechsel geht erstens der Frage nach, wie es um die Initiativen für mehr Pluralismus in der Ökonomik heute steht – sowohl in Österreich als auch international. Zweitens wird zur Diskussion gestellt, was gangbare Wege sind, um Raum für progressive Ansätze und Denkschulen zu schaffen – sowohl auf Hochschulen, als auch im öffentlichen Diskurs und der Wirtschaftspolitik.
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Terrainverluste der lateinamerikanischen Linksregierungen
Aus dem neuen Kurswechsel:
Aktuelle Debatte: Terrainverluste der lateinamerikanischen Linksregierungen
Joachim Becker
Editorial (Debatte Editorial Kurswechsel)
Dieter Boris
Linksregierungen Lateinamerikas in der Defensive (PDF)
Bernhard Leubolt, Victor Strazzeri
Krise und Proteste in Brasilien (PDF)
Eduard Gudynas
Progressimen in Südamerika. Aufstieg und Erschöpfung (PDF)
Die Reichen liegen uns auf der Tasche
Erschienen im Mosaik-Blog am 09 März 2016
Ob in der Flüchtlingsdebatte, bei der Höhe der Mindestsicherung oder jüngst bei den Pensionen, ein Argument klebt an aktuellen politischen Debatten wie Kaugummi: „Wir können uns den Sozialstaat nicht mehr leisten!“ Hinter dem alle Jahre wiederkehrenden, neoliberalen Angriff auf die sozialen Sicherungssysteme versteckt sich „Klassenkampf von oben“. Nikolaus Dimmel hat das kürzlich anhand der Debatte um die Mindestsicherung bereits auf mosaik angemerkt. Wir sollen glauben, dass wir uns „die Armen“ nicht mehr leisten können. In Wirklichkeit ist es aber genau umgekehrt: Nicht die Armen, sondern die Reichen liegen uns sprichwörtlich auf der Tasche.
Österreich gilt europaweit als eines der Länder mit der höchsten Vermögensungleichheit (Gini-Koeffizient von 0,76 für Netto-Vermögen). Die reichsten 5 Prozent besitzen hierzulande rund 45 Prozent des Gesamtvermögen; die untersten 50 Prozent nur knapp 4 Prozent. Die Vermögensverteilung in Österreich hat damit die Form eines „Klobesens“. Ganz Wenige stehen an der Spitze und haben ganz viel Vermögen zu Verfügung, während ganz viele ganz unten stehen.
Damit gibt es bei der Verteilung der Vermögen in Österreich auch keine breite Mittelschicht, wie wir sie etwa bei der Einkommensverteilung sehen. Hilde Weiss und ich haben in einer Studie herausgearbeitet, dass sich gerade anhand der Vermögensverteilung die Klassenstruktur der österreichischen Gesellschaft besonders gut zeigen lässt.
Sieht man sich genauer an, wer zu den obersten 5 Prozent gehört und wie sie dort hingekommen sind, so offenbaren sich einige interessante Muster:
1.Wer oben ist, bleibt oben – wer unten ist, bleibt unten
Entgegen dem Mythos vom „amerikanischen Traum“ (von der Tellerwäscherin zur Millionärin) ist es den meisten ArbeitnehmerInnen kaum möglich, wirklich reich zu werden. Das hat zweierlei Gründe: Erstens beziehen nur die obersten 5 Prozent in relevantem Ausmaß Kapitaleinkommen (also Einkünfte aus Mieten, Zinsen oder Beteiligungen). Demgegenüber haben die untersten 40 Prozent kaum relevante Kapitaleinkünfte – sie beziehen nur Einkünfte aus Arbeit. Aber: durch Arbeit allein wird man selten reich.
Zweitens spielt Erben in Österreich eine zentrale Rolle bei der Vermögensakkumulation. Es erhalten nur etwa 10 Prozent der ärmeren Haushalte, aber 75 Prozent der reichsten Haushalte in Österreich ein Erbe – und auch die durchschnittlichen Summen sind hier höchst unterschiedlich: Von 14.000 Euro am unteren Ende zu über 240.000 Euro bei den obersten 20 Prozent. In einer kürzlich erschienenen Studie des WU-Institutes INEQ wird genauer gezeigt, wie wichtig das Erbe für die Position auf der Vermögensverteilung ist: Ein/e LohnabhängigeR muss etwa die Hälfte der Einkommensverteilung überspringen, um den Einfluss einer Erbschaft auf seine/ihre relative Vermögensposition auszugleichen. Die Startchancen der verschiedenen Haushalte sind also höchst ungleich.
- Reichtum ist männlich
Nicht nur bei der Einkommens‑, sondern auch bei der Vermögensverteilung gibt es starke Anzeichen für einen gender gap. Leider gibt es derzeit für Österreich nur Daten auf Haushaltsebene, nicht auf Individualebene. Diese zeigen aber, dass das durchschnittliche Vermögen von weiblichen Single-Haushalten in Österreich um gut 40 Prozent niedriger ist, als das der männlichen Single-Haushalte. Mit steigender Bildung nehmen die Unterschiede im Netto-Vermögen zwischen Männern und Frauen weiter zu. Frauen erben auch anders bzw. weniger. Frauen können damit nie so hohe Vermögen anhäufen wie Männer.
- Die sozialen Unterschiede werden vertuscht
Der offensichtlichen Vermögensungleichheit zum Trotz ordnen sich die meisten Menschen eher der „Mitte“ zu. Damit überschätzen sich ärmere Haushalte, während reiche Haushalte sich unterschätzen. Martin Schenk argumentiert, dass dieser falschen Selbsteinschätzung ein ideologisches Momentum zugrunde liegt, welches der Verschleierung sozialer Ungleichheiten dient: Alle sollen glauben, dass sie ihr gerechtes Stück vom Kuchen bekommen. Dadurch werden soziale Missstände nicht angeprangert, die soziale Ordnung wird als „natürlich“ angesehen und politische Maßnahmen, die nur den Oberen der Gesellschaft dienen, werden mitgetragen. Durch diesen „Mitte-Mythos“ stoßen auch neoliberale Überzeugungen – wie eben jene, dass „wir“ uns die Armen nicht mehr leisten können – in breiten Teilen der Gesellschaft auf Unterstützung.
- Zu viel privater Reichtum zerstört die Gesellschaft
Die Forschung zeigt, dass zu viel Ungleichheit und privater Reichtum eine Gesellschaft zerstören. Reiche ziehen sich gerne aus ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zurück und schotten sich räumlich wie sozial ab. Vermögen wird dadurch weiter privatisiert. Gleichzeitig werden Verluste kollektiviert und in gesellschaftlich wichtigen Bereichen, wie Bildung oder Sozialem, Ausgaben gekürzt. Das führt dazu, dass sich die Gesellschaft weiter spaltet. Die Armut Vieler hängt also mit dem Reichtum Weniger zusammen. Das wusste schon Berthold Brecht:
„Reicher Mann und armer Mann
standen da und sahn sich an.
Und der Arme sagte bleich: „Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich“.“
Die hier skizzierten Entwicklungen müssen gestoppt werden. Aufgabe der gesellschaftlichen Linken ist es, unermüdlich auf die oben erwähnten Zahlen, Daten, Fakten hinzuweisen, aber auch weiter für die Einführung einer Vermögens- und einer umfassenderen Erbschaftssteuer zu kämpfen. Wir müssen gemeinsam Visionen für eine gerechte Gesellschaft jenseits des finanzdominierten Kapitalismus erarbeiten.
Julia Hofmann ist aktiv beim BEIGEWUM und dem Jahoda-Bauer-Institut, die 2014 gemeinsam mit ATTAC und der Armutskonferenz das Projekt „Mythen des Reichtums“ ins Leben gerufen haben.
Arbeitszeitverkürzung als Beschäftigungsmotor?
Ursprünglich erschienen im Blog A&W, am 11. März 2016
Seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 sind in einer Vielzahl von europäischen Staaten die Arbeitslosenzahlen angestiegen. Als ein Instrument gegen dieses Problem wird vor allem von Gewerkschaftsseite immer häufiger eine Arbeitszeitverkürzung gefordert. Aber kann eine Verkürzung der Arbeitszeit Beschäftigung schaffen? Die Erfahrungen mit der Verkürzung von Arbeitszeit in Europa zeigen, dass eine Arbeitsverkürzung zusätzliche Arbeitsplätze bringen kann – zumindest wenn bestimmte Voraussetzungen wie die Möglichkeit zur Reorganisation der Arbeit gegeben sind.
Der Trend zu Verkürzung der Wochenarbeitszeit besteht in Europa seit Beginn des vorigen Jahrhunderts. Während damals eine 60-Stunden-Woche in Europa üblich war, hat sich bis 1980 eine 40-Stunden-Woche in den meisten europäischen Ländern durchgesetzt. Seitdem bleibt die wöchentliche Arbeitszeit im Durchschnitt fast konstant und ist in manchen Ländern wieder im Steigen begriffen.
Quelle: Poyntner (2015), Daten Hubermann und Minns (2007). Normalarbeitszeit, ohne Urlaub etc. Für Österreich ist diese Zeitreihe nicht vorhanden; vergleichbare Daten für Spanien fehlen zwischen 1935 und 1980.
Der Trend zu kürzeren Arbeitszeiten hat sich im Durchschnitt der Vollzeitbeschäftigten in den letzten Jahrzehnten deutlich verlangsamt. Sieht man von dem Kriseninstrument der Kurzarbeit ab gab es wenige Initiativen, die eine allgemeinere Verkürzung der Wochenarbeitszeit zum Ziel hatten. Allerdings waren in einzelnen Sektoren oder Firmen weitere Maßnahmen für eine Verkürzung der Arbeitszeit zu verzeichnen, wie bspw. die Einführung des 6‑Stunden Tages in einem öffentlichen Pflegeheim im schwedischen Göteborg, eine Freizeitoption in Kollektivverträgen in Österreich, oder Freistellungs- und Karenzzeiten (siehe unten). In einigen Ländern wie Deutschland (im öffentlichen Dienst und einigen Branchen, wie z.B. dem WSI-Arbeitszeitkalender 2014 zu entnehmen) und Frankreich (Ausweitung der erlaubten Überstunden) ist aber auch ein Trend zu längeren Arbeitszeiten zu beobachten.
Für europäische Gewerkschaften verlor das Thema Arbeitszeitverkürzung in Kollektivvertragsverhandlungen nach der Einführung der 40-Stunden-Woche gegenüber Lohnforderungen an Bedeutung. Dies hat zum Teil mit veränderten wirtschaftlichen (wie der Entschleunigung des Produktivitätswachstums) und institutionellen (rückläufige Gewerkschaftsabdeckung) Rahmenbedingungen zu tun, die den Verhandlungsspielraum von Gewerkschaften tendenziell verringern. Hinzu kommt, dass angesichts der Belastung bei einer 60-Stunden-Woche eine Verkürzung der Arbeitszeit für die Beschäftigten selbst eine viel höhere Priorität hat als das bei einer 40-Stunden Woche der Fall ist.
Beschäftigungsplus durch Arbeitszeitverkürzung in Frankreich …
Der jüngste Versuch, die Arbeitszeit für umfassende Bevölkerungsgruppen zu reduzieren, wurde vor fünfzehn Jahren in Frankreich unternommen. Per Gesetz wurden in einem ersten Schritt im Jahr 1998 Unternehmen dazu angeregt, die Wochenarbeitszeit von 39 auf 35 Stunden zu verkürzen. Die Voraussetzung für finanzielle Unterstützung war eine Verkürzung der Arbeitszeit um mindestens 10% sowie eine Ausweitung der Beschäftigung um mindestens 6%. Im Jahr 2000 wurde die 35-Stunden-Woche verpflichtend für Unternehmen mit mehr als 20 Angestellten, 2002 auch für kleinere Unternehmen eingeführt. Begleitet wurde die Reform durch eine Lockerung der Tages- und Wochenhöchstarbeitszeit. Nach 2002 wurden durch einen Regierungswechsel die Maßnahmen sukzessive zurückgenommen, Förderungen abgeschafft, Steuern und Sozialversicherungsbeiträge auf Überstunden gesenkt und Überstundenkontingente ausgeweitet. Die 35-Stunden-Woche wurde also deutlich verwässert und Maßnahmen in die die Gegenrichtung gesetzt.
Die Einführung der 35-Stunden-Woche in Frankreich hatte das klare politische Ziel, die Arbeitslosigkeit zu verringern, die 1997 mit 12,5% weit über dem EU-Durchschnitt lag. Dieses Ziel, wenn auch nicht in der erwarteten Höhe, wurde auch erreicht, nur über die genaue Größe herrscht Uneinigkeit (ex-post Schätzungen liegen zwischen einem Beschäftigungsanstieg von 3,4% bis 7%). Auch wenn ein Beschäftigungsanstieg nicht notwendigerweise eine Senkung der Arbeitslosenquote bedeuten muss (z.B. wenn alle neue Beschäftigungsverhältnisse von Personen eingegangen werden, die dem Arbeitsmarkt vorher nicht zur Verfügung standen) – in Frankreich hatte die Arbeitszeitverkürzung laut Studien, die neben Beschäftigung auch explizit die Reaktion der Arbeitslosigkeit betrachten, eine Senkung der Arbeitslosigkeit zur Folge (siehe z.B. Schreiber und Logeay 2006 oder Bunel 2004).
… und Unklarheit in Deutschland
Eine weitere große Reform wurde in Deutschland vorgenommen, wo im Metall- und Printsektor von 1984 bis 1994 die Wochenarbeitszeit von 40 auf 36 Stunden gesenkt wurde. Die Einschätzung der Beschäftigungseffekte dieser Reform fallen weitaus weniger klar aus als bei der französischen Reform: Negative Beschäftigungseffekte werden ebenso gefunden wie neutrale oder positive Beschäftigungseffekte.
Das lässt sich teilweise durch die Art der Durchführung der Arbeitszeitverkürzung erklären: Während die Regierung in Frankreich Subventionen an Betriebe zahlte, die Arbeitszeit verkürzten und Beschäftigung erhöhten, gab es in Deutschland keine solche Unterstützung. Hunt vermutet beispielsweise, dass positive Beschäftigungseffekte der Verkürzung der Arbeitszeit durch Anstiege im Stundenlohn zunichte gemacht wurden – allerdings ist diese These umstritten. Auch wenn ein Anstieg des Stundenlohnes den Faktor Arbeit verteuert, sind für Unternehmen nicht die absoluten Lohnkosten, sondern die Lohnstückkosten der entscheidende Faktor. Lohnstückkosten werden ebenso von der Produktivitätsentwicklung beeinflusst, und Arbeitszeitverkürzung führt meist zu höherer Produktivität. Dies hat zum einen den Grund, dass Beschäftigte bei geringerer Arbeitszeit produktiver sind, oder anders ausgedrückt zusätzliche Stunden bei einem hohen Arbeitszeitniveau weniger produktiv sind. Zum anderen sind Verkürzungen der Wochenarbeitszeit oft mit einer Reorganisation der Arbeitsstrukturen in Unternehmen verbunden, die eine eigene Quelle von Produktivitätssteigerungen sein können.
Zahlreiche Wirkungskanäle von Verkürzungen der Wochenarbeitszeit
Prinzipiell gibt es zahlreiche Wirkungskanäle, durch die eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit Auswirkungen auf die Beschäftigung haben kann. Selbst einfachste ökonomische Modelle können daher keine eindeutige Aussage zur Richtung der Beschäftigungseffekte treffen. Positive Beschäftigungsauswirkungen sind beispielsweise wahrscheinlicher, wenn Fixkosten von Neueinstellungen (Kosten für Einarbeitung, Einschulung, Bereitstellung von Infrastruktur etc.) gering sind und wenn genügend Arbeitssuchende mit entsprechender Qualifikation verfügbar sind. Auch Nachfrageeffekte durch steigenden Stundenlohn (die im Zuge von oder nach Arbeitszeitverkürzungen häufig mitverhandelt werden) können Quellen von Arbeitsnachfrage sein – wobei dieser Effekt vor allem bei Unterauslastung der Produktionsfaktoren zum Tragen kommt. Keinen oder sogar einen negativen Beschäftigungseffekt wird eine Arbeitszeitverkürzung dann bewirken, wenn Neueinstellungen mit hohen Fixkosten verbunden sind, dem Arbeitsmarkt keine geeigneten Arbeitssuchenden zur Verfügung stehen oder Lohnstückkosten stark ansteigen.
Die vielfältigen Wirkweisen einer Arbeitszeitverkürzung auf Beschäftigung machen die empirische Quantifizierung herausfordernd. Folglich gibt es in der Literatur auch keinen Konsens über die Wirkungsrichtung einer Arbeitszeitverkürzung auf die Beschäftigung. Eine Zusammenschau der Literatur findet sich u.a. bei Schwendinger (2015), Bosch und Lehndorff (2001) und Poyntner (2015). Es ist anzumerken, dass neben den unterschiedlichen Umsetzungsarten und institutionellen Rahmenbedingungen auch methodische Schwierigkeiten Grund für unterschiedliche Ergebnisse sein können. So ist z.B. für die Quantifizierung des Beschäftigungseffektes durch die Verkürzung der Wochenarbeitszeit die Schätzung der hypothetischen Beschäftigungsentwicklung ohne Arbeitszeitverkürzung notwendig. Diese Schätzung ist immer mit Unsicherheiten behaftet. Aus diesem und anderen Gründen ist die Herstellung eines eindeutigen Zusammenhangs oft schwierig.
Bedingungen für die Arbeitszeitverkürzung als Beschäftigungsmotor
Die oben genannten Überlegungen können herangezogen werden, Bedingungen für eine erfolgreiche Arbeitszeitverkürzung herauszuarbeiten, wie es z.B. Bosch und Lehndorff (2001) versuchen.
Nachdem bei großen Reformen die vorherrschenden organisatorischen Paradigmen des 8‑Stunden-Tages / der 5‑Tage-Woche in Frage gestellt werden, ist die Frage zentral, ob die Arbeits(zeit)organisation flexibel an neue Arbeitszeit-Systeme angepasst werden kann. In Frankreich war eine solche Flexibilisierung Teil des Paketes zur 35-Stunden-Woche.
Um einer möglichen Knappheit an ausgebildeten Arbeitskräften entgegenzuwirken, empfiehlt sich neben vorausschauender Bildungspolitik ein Ausbau von Weiterbildungsmöglichkeiten. Somit wird der Effekt abgemindert, dass Arbeits-Fixkosten für Unternehmen stark steigen und sich negative Beschäftigungseffekte einstellen. In Österreich dürfte die Weiterbildungsproblematik wohl eine geringere Rolle spielen, da der Anteil der öffentlichen Mittel (inkl. AMS, Europäischer Sozialfonds) an Ausgaben für betriebliche Weiterbildung bereits ca. 50% beträgt.
Eine Arbeitszeitverkürzung kann auch an sich zu einem Anstieg des Arbeitskräfteangebotes führen. Beispiele dafür wären gut ausgebildete Personen, die von Teilzeit auf kürzere Vollzeit (z.B. 35 Stunden) aufstocken oder Personen, die erst durch die Option auf kürzere Vollzeit in den Arbeitsmarkt einsteigen. In Frankreich wechselten beispielsweise mit der Einführung der 35-Stunden-Woche viele Personen (vor allem Frauen) von Teilzeit- auf Vollzeitbeschäftigungsverhältnisse. Dieses Resultat deutet darauf hin, dass eine nicht unwesentliche Anzahl an Personen mehr als Teilzeitarbeit arbeiten wollen, aber eine 40-Stunden-Woche nicht mit Betreuungspflichten etc. vereinbar ist.
Beim Punkt der Höhe der Kompensation – also der Anhebung des Stundenlohnes, um dem monatlichen Lohnrückgang bei kürzerer Arbeitszeit entgegenzuwirken – ist festzuhalten, dass die Löhne im Ausmaß des Produktivitätszuwachses steigen können. Steigen sie stärker, würden die Lohnstückkosten steigen. Einerseits könnte dadurch die Arbeitsnachfrage zurückgehen, andererseits sind Nachfrageeffekte zu beachten, die sich positiv auf die Beschäftigung auswirken können. Der Nettoeffekt einer Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich hängt also abermals von den konkreten Bedingungen ab.
Es geht nicht nur um Beschäftigung, sondern auch um Verteilungsgerechtigkeit und Gesundheit
Auch wenn die Beschäftigungseffekte in der öffentlichen Debatte zweifelsohne wichtig sind, ist Arbeitszeitverkürzung zudem aus anderen Gründen sinnvoll. So hat die Verteilung der Arbeitszeit Auswirkungen auf die (geschlechterspezifische) Verteilung von Einkommen, Pensionsansprüchen und Nicht-Lohnarbeit. Große Unterschiede existieren diesbezüglich zwischen den Geschlechtern – „Teilzeit ist weiblich und Überstunden sind männlich“.
Es gibt einige Ansätze, um die tatsächliche Arbeitszeit an die gewünschte Arbeitszeit der Beschäftigten anzugleichen. Per Gesetz wurde in den Niederlanden im Jahr 2000 die Möglichkeit geschaffen, dass Beschäftigte in größeren Betrieben von Vollzeit auf Teilzeit und vice versa wechseln können. Um die Vereinbarkeit zwischen Beruf und außerberuflichen Verpflichtungen zu verbessern, führte Belgien befristete Reduktionen der Arbeitszeit im öffentlichen Sektor mit teilweisem Lohnausgleich durch den Staat ein. Auch im privaten Sektor wurden um die Jahrtausendwende einige Möglichkeiten geschaffen, Auszeiten zu nehmen. Sowohl „thematische“ Auszeiten für Kinderbetreuung, Pflege etc. sind möglich, als auch das Recht auf Reduktion der Arbeitszeit bzw. Auszeiten ohne Angabe von Gründen. Hier ist anzuführen, dass es für Betreuungspflichten nicht nur wie eben genannt individuelle Lösungen geben kann und soll, sondern die Vereinbarkeit auch durch Sachleistungen (Kindergärten etc.) der öffentlichen Hand ermöglicht werden kann.
Zu guter Letzt sollte auch der gesundheitliche Aspekt kürzere Arbeitszeiten bei der Debatte nicht vollkommen unerwähnt bleiben: Der Zusammenhang von langen Arbeitszeiten und gesundheitlichen Problemen ist gut dokumentiert, z.B. von Golden et al. (2010) und Caruso et al (2004).
Fazit
Arbeitszeitverkürzung eignet sich zur Schaffung von Beschäftigung, falls bestimmte Voraussetzungen wie die Möglichkeit zur Reorganisation der Arbeitszeitorganisation und eine moderate Lohnstückkostenentwicklung gegeben sind. Das Paket zur Arbeitszeitverkürzung in Frankreich war inklusive Subventionen und Flexibilisierung erfolgreich, um Beschäftigung zu schaffen und die hohe Arbeitslosigkeit zu senken. Neben Beschäftigungsüberlegungen sprechen auch Überlegungen zur Verteilung der Arbeitszeit und zu Gesundheit für eine Arbeitszeitverkürzung.
Philipp Poyntner ist Ökonom am Institut für Höhere Studien, Gruppe Arbeitsmarkt und Sozialpolitik und im BEIGEWUM aktiv.
RVO „Österreich in der internationalisierten politischen Ökonomie“
Am Di den 8. März um 18:30 Uhr, im Hörsaal 23 Uni Wien, startet die Ringvorlesung zur politischen Ökonomie Österreichs. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich (jedoch eine Prüfungsanmeldung zum Ende der LV). Somit ist die LV offen für alle die sich dafür interessieren und kurzentschlossene können jederzeit und problemlos an den einzelnen Lesungen teilnehmen.
Die Termine sind HIER zu finden
Die RVO: Österreich in der internationalisierten politischen Ökonomie: Kontinuitäten und Brüche seit den 1990er-Jahren beschäftigt sich mit den Fragen:
Wie lassen sich die Metamorphosen der politischen Ökonomie Österreichs vor dem Hintergrund von Prozessen intensivierter „Europäisierung“ und „Globalisierung“ verstehen? Wie haben sich wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Grundstrukturen verändert? Welche Kontinuitäten und Brüche des „Modell Österreich“ zeigen sich in den letzten 20 Jahren insbesondere auch im Gefolge des EU-Beitritts und der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008ff.? Was sind zentrale Kräfte(-verhältnisse), die auf die Veränderungen der politischen Ökonomie Österreichs eingewirkt haben? Welche Umbaumomente österreichischer Staatlichkeit lassen sich im Spiegel dieser Entwicklungen in ausgewählten Politikbereichen beobachten? Diesen Fragen geht die Lehrveranstaltung zur vertiefenden Diskussion nach. Sie widmet sich damit dem Versuch einer kritischen Bilanz zentraler Entwicklungslinien in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
Zu den Vortragenden zählen u.a.: Joachim Becker, Stefan Ederer, Christa Schlager, Jürgen Schneider, Helene Schuberth, Jana Schultheiss, Bettina Stadler, Emmerich Tálos
Weitere Informationen finden sich unter: VL-Verzeichnis Uni Wien
Die RVO basiert auf dem Buch „Politische Ökonomie Österreichs“
Rezension: Politische Ökonomie Österreich
BEIGEWUM (Hg.): Politische Ökonomie Österreichs. Kontinuitäten und Veränderung seit dem EU-Beitritt. Wien: Mandelbaum Verlag 2015, 373 Seiten
Österreichs wirtschaftliche, soziale und politische Gegenwart und Geschichte sind aufs Engste mit europäischen Entwicklungen verwoben. 20 Jahre EU-Beitritt stellen einen wichtigen äußeren Anlass zur Reflexion dar. Dies umso mehr, als sich die Europäische Union wohl seit nunmehr über sechs Jahren in einer tiefen Krise befindet, deren Überwindung noch nicht absehbar ist.
Der BEIGEWUM (Beirat für gesellschafts- wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen) hat sich der Herausgabe eines umfassenden Werkes gestellt. Auch wenn der BEIGEWUM vielen LeserInnen von Wirtschaft&Gesellschaft sicherlich bekannt ist, so soll der Vollständig halber doch festgehalten werden, dass dieser Verein von SozialwissenschafterInnen aus unterschiedlichen Disziplinen getragen wird. Seit seiner Gründung 1985 trägt er regelmäßig dazu bei, dass kritische Forschungstätigkeiten in laufende politische Debatten eingebracht werden. Über die vierteljährlich erscheinende Zeitschrift Kurswechsel, zahlreiche Buchpublikationen und damit verbundene Veranstaltung wird dies umgesetzt. Der vorliegende aktuelle Sammelband zum 20-Jährigen „EU-Beitrittsjubiläum“ stellt den Versuch dar, eine möglichst umfassende Darstellung der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, sozialen und politischen Entwicklungen in Österreich vorzunehmen. Im Zuge der traditionell interdisziplinären Herangehensweise, die viele BEIGEWUM-Publikationen auszeichnet, wird auch hier versucht unterschiedliche mit einander verknüpfte zentrale Aspekte darzustellen. Das Buch stellt eine zeitgeschichtlich eingebettete Analyse des Status Quo dar. Damit wird auch gewisser Maßen der gemeinsame methodischer Nenner der Beiträge im Buch deutlich. Sie versuchen die Gegenwart aus der Vergangenheit zu rekonstruieren. Überdies wird, wenn auch mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung, so doch meist versucht ökonomische und politische Entwicklungen in ihrer intrinsischen Verknüpfung zu behandeln. Die „Politische Ökonomie Österreichs“ kann damit in der weiteren Tradition politökonomischer Perspektiven verstanden werden, wenn auch die einzelnen AutorInnen sich vielfach nicht unmittelbar und explizit an spezifischen methodischen Vorgangsweisen in der kritischen politischen Ökonomie orientieren. Dafür beindruckt der Band jedoch dadurch, dass es gelungen ist für die einzelnen Beiträge und damit die abgedeckten Bereiche vielfach „die“ ausgewiesenen FachexpertInnen zu gewinnen. Darunter – wie sicherlich nicht überraschend – nicht nur zahlreiche AutorInnen aus dem universitären bzw. akademischen Umfeld, sondern auch aus der Arbeiterkammer.
Wie soll nun das Unterfangen einer Analyse und Darstellung der Politischen Ökonomie Österreichs angegangen werden? Sind doch alle Bereiche und Dimensionen miteinander verwoben. Im Buch wird dazu eine pragmatische Vorgangsweise gewählt: Aufbauend auf eine umfassende Einführung durch das Team der HerausgeberInnen (Joachim Becker, Valerie Bösch, Romana Brait, Georg Feigl, Tobias Orischnig, Philipp Poyntner, Jana Schultheis) folgten den stärker Ökonomie-zentrierten Analysen im ersten Teil folgt ein eher politikwissenschaftlich-institutioneller zweiter Teil.
Zu Beginn des ersten Teils steht eine Analyse des Akkumulations- und Entwicklungsmodells (Stefan Ederer, Engelbert Stockhammer, Predrag Ćetković). Im Anschluss erfolgt die Analyse einzelner Wirtschaftssektoren. Der Bogen spannt sich dabei von der Entwicklung der Realwirtschaft und der Rolle der Industriepolitik (Silvia Angelo, Markus Marterbauer), über den Agrarsektor (Irmi Salzer), Österreichs Banken (Christina Wieser, Thomas Zotter), den Strukturwandel im kommerziellen Dienstleistungssektor (Sandra Breiteneder) bis zu einem Überblick zu den sozialen Dienstleistungen in Österreich (Karin Heitzmann, August Österle, Astrid Pennerstorfer). Der Abschluss dieses Hauptteils erfolgt durch eine systematische Verortung Österreichs zwischen Deutschland und Osteuropa (Joachim Becker, Franziska Disslbacher, Rudy Weissenbacher), ergänzt um eine Analyse der Regionalentwicklung in Österreich (Christian Reiner, Helmut Gassler, Sascha Sardadvar).
Der zweiten Hauptteil des Sammelbandes beginnt mit einer Analyse der umfassenden Veränderungen aber auch Kontinuitäten im Austro-Korporatismus (Emerich Tálos). Damit verknüpft erfolgt die Untersuchung weiterer für die österreichischen Entwicklungen relevanter Politikfelder. Auch wenn die Politik und institutionelle Ausgestaltung der EZB von Österreich weitgehend unbeeinflusst erfolgt, so hat sie doch wichtige Auswirkungen auf das Land und wird entsprechend im Band analysiert (Elisabeth Blaha). Einen weiteren zentralen Eckpunkt stellt die Analyse der Veränderung der nationalen Budgetpolitik im Kontext von Europäisierung und Neoliberalisierung dar (Georg Feigl, Christa Schlager). In der Folge werden die sozialpolitischen Entwicklungen (Christine Mayrhuber), die Veränderungen in der Beschäftigungspolitik (Susanne Pernicka, Bettina Stadler), die durch Europäisierung gekennzeichnete Migrationspolitik (Ilker Ataç, Chrstioph Reinprecht), die EU-Gleichstellungspolitik und die Situation der Frauen (Katharina Mader, Jana Schultheiss, Edith Waltner) und schließlich die Energiepolitik analysiert (Jürgen Schneider, Hanna Simons, Tobias Orischnig).
Im dritten und letzten Teilabschnitt des Buches wird die Frage nach den GewinnerInnen und VerliererInnen gestellt. Der erste Beitrag unternimmt dabei den Versuch einer Sozialstrukturanalyse (Stefan Angel). Der zweite und abschließende Text zeigt deutlich, wie sich die Verteilung von Einkommen und Vermögen hin zugunsten der Reicheren, d.h. zu Kapital aber auch zu hohen Arbeitseinkommen (Stichwort: ManagerInnengehälter) verschoben hat (Wilfried Altzinger, Mathias Moser, Matthias Schnetzer). Wer die GewinnerInnen und wer die VerliererInnen in Österreich seit dem EU-Beitrag waren, wird damit sehr eindrucksvoll dargestellt. Wenn es im Band auch gelingt die entsprechenden Interessen dieser Politik eindeutig zu benennen, so wäre eine noch detaillierte Analyse der konkreten innerösterreichischen Herrschafts- und Durchsetzungsstrategien, die zu diesen Entwicklungen geführt haben, sicherlich auch für die LeserInnen von Interesse. Diese Leerstelle mag wohl aber auch Ausdruck dafür sein, dass diese konkreten Zusammenhänge und Mechanismen generell weniger erforscht werden. Dennoch darf nicht vergessen werden, dass – wie im Band auch deutlich dargestellt – Österreichs Entwicklung wesentlich von europäischen Prozessen abhängt. Die Bilanz der letzten 20 Jahre seit dem EU-Beitritt fällt daher durchwachsen aus. Die Krise in Europa ist und bleibt (für absehbare Zeit) das bestimmende Moment. Eine progressive Lösung im Sinne aller europäischer ArbeitnehmerInnen ist auf EU-Ebene nicht in Sicht. Der Ausblick – auch für Österreich – bleibt daher entsprechend getrübt.
Insgesamt bietet der Sammelband eine ausgesprochen gelungen, sehr gut verständlichen und mit aussagekräftigem empirischem Material versehenen breiten und fundierten Überblick über die zentralen Veränderungen der ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Entwicklung der letzten 20 Jahre. Er eignet sich daher nicht nur vorzüglich als äußerst kurzweiliger und aufschlussreicher Lesestoff, sondern sollte auch in keiner (wenn auch noch so bescheidenen) Bibliothek fehlen.
Johannes Jäger
Das Buch kann hier bestellt werden
Lesestoff für das Jahresende: Kurswechsel 4/15 „Klasse – Klassismus – Klassenkampf“
bell hooks trat im Jahr 2000 mit „where we stand: class matters“ für das Zusammendenken von Rassismen und Sexismen mit der Klassenfrage ein. Ihr Anliegen blieb nicht unbemerkt: Das Konzept „Klasse“ erlebt ein Comeback. Anlässlich der Konjunkturen der Klassendiskussion legen wir den Fokus auf Klassismus und greifen die aktuellen Debatten rund um die Klassenfrage auf.
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