Eine andere Wirtschaftspolitik – für Spanien und Europa
Am 20. Dezember finden in Spanien Parlamentswahlen statt. Eines der Hauptthemen ist die Wirtschaft, insbesondere die Frage, wie sich die nach wie vor über 20 Prozent liegende Arbeitslosenrate reduzieren lässt, gut bezahlte hochwertige Arbeitsplätze geschaffen werden können und wie der Sozialstaat nach Jahren der Austeritätspolitik wieder gestärkt werden kann. Auch wenn die letzten Umfragen für ein linkes Projekt nicht sehr vielversprechend sind, so kann mit dem Einzug von PODEMOS ins Parlament eine alternative Wirtschaftspolitik forciert werden.
Ein neues Entwicklungsmodell für Spanien ist unerlässlich. Im Mittelpunkt sollten die Schaffung qualitativer Arbeitsplätze, Produktivitätssteigerungen und die Sozialstaatsentwicklung sein. Das ist – wie bereits vor dem Platzen der Immobilienblase – keine ökonomisch-technische Frage, sondern vor allem eine politische. Zentral ist dabei die Demokratisierung der Wirtschaft, die wieder eine verstärkte Reinvestition der Gewinne erlauben würde.
Ein solches Projekt muss eine gesamtheitliche Antwort auf die leidvolle soziale Realität – insbesondere in Form von Arbeitslosigkeit, Ungleichheit und wachsender Armut – darstellen. Das Wahlergebnis wird entscheidend dafür sein, ob sich ein alternatives Entwicklungsmodell durchsetzen kann, das auf den folgenden sechs Eckpfeilern beruht.
6 Eckpfeiler eines neuen Produktivmodells
- Ein progressives Steuersystem, dessen Gesamtaufkommen zumindest den europäischen Durchschnitt erreicht. Mit einer Abgabenquote von nur 38,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes blieb Spanien 2014 weit hinter der Eurozone mit einer Quote 46,8 Prozent zurück, von den Ländern mit einem besser entwickelten Sozialstaat wie Österreich (50 Prozent) ganz zu schweigen. Dafür sind die Mittel der Finanzbehörden für den Kampf gegen Steuerhinterziehung ebenso zu erhöhen wie die effektiven Steuersätze auf Vermögen und hohe Einkommen von Personen ebenso wie von Unternehmen. Die Alternative, die die rechten Parteien im Wahlkampf vorschlagen, würde zu einer weiteren Runde an Sparpaketen und Privatisierungen öffentlicher Dienstleistungen führen, vor allem im Bildungs- und Gesundheitsbereich.
- Errichtung einer öffentlichen Bank, die ausreichend groß sein muss, um spürbar positive Effekte in der Gesamtwirtschaft auszulösen. Ihre Kreditvergabe muss sich vom privaten Sektor unterscheiden, indem verstärkt öffentliche Infrastruktur bzw. Einrichtungen und industriepolitisch relevante langfristige Unternehmensprojekte finanziert werden. Zudem müssen die Zugangsprobleme zu Wohnungs- und KMU-Krediten adressiert werden. Was die durch Rettungsaktionen bereits verstaatlichen Banken angeht – allen voran die mit europäischen Mitteln gestützte Bankia –, gilt es zu verhindern, dass diese neuerlich komplett privatisiert werden.
- Modernisierung der Arbeitsbeziehungen durch Rücknahme der Arbeitsmarktreformen bei gleichzeitiger Stärkung der ArbeitnehmerInnenrechte, Ausweitung der betrieblichen Mitbestimmung und verbesserte Zusammenführung von Produktivitäts- und Lohnentwicklung. Das Arbeitsrecht muss wieder den sozialen Dialog und die Kollektivvertragsverhandlungen unterstützen anstatt sie zu unterminieren, wie das in den letzten Jahren der Fall war.
- Neue Infrastruktur und Technologien sind durch eine ambitionierte Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation voranzutreiben. Der Umstieg auf das Transportmittel mit der höchsten Energieeffizienz – also die Bahn – ist ebenso zu fördern wie der Gütertransport per Frachtschiff sowie die Nahverkehrsmittel in den städtischen Zentren. Zudem ist eine moderne Produktionsinfrastruktur zu unterstützen, beispielsweise durch Glasfaserkabelnetze und Wasserentsalzungsanlagen.
In Bezug auf die Energiepolitik müssen erneuerbare Energien unterstützt werden, sodass die Handelsbilanz verbessert und damit die Auslandsverschuldung reduziert werden kann. Es war nicht die Lohnentwicklung, die das außenwirtschaftliche Ungleichgewicht der spanischen Wirtschaft verursachte, sondern die hohe Energieabhängigkeit. Im Jahr 2013 betrugen die Öl- und Treibstoffimporte 5,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. - Eine Wohnpolitik, die verstärkt auf Vermietung abzielt. Dafür ist es notwendig, die SAREB (die spanische „bad bank“ für Immobilien) in eine öffentliche Wohnbaugesellschaft umzuwandeln, die einen Großteil ihres Immobilienbesitzes unter sozialen Gesichtspunkten vermietet. Um Personen zu unterstützen, die in Schwierigkeiten bei der Bedienung ihrer Hypothekarschulden kommen, ist eine öffentliche Einheit ähnlich der unter Roosevelt 1933 geschaffenen „Home Owners Loan Corporation“ zu gründen, die die Position der SchuldnerInnen stärken soll.
- Ein Notfallplan gegen Armut und soziale Ausgrenzung, bis die Arbeitslosigkeit sowie die Einkommen das Vorkrisenniveau wieder erreicht haben. Ein solcher Plan sollte vor allem ein gesetzlich garantiertes Mindesteinkommen, die Beseitigung der Kinderarmut und einen Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit umfassen (bereits 3,5 Millionen Menschen sind mindestens ein Jahr arbeitslos).
Änderungen auf europäischer Ebene notwendig
Ob sich das Produktivmodell Spaniens ändern lässt, hängt wesentlich von der europäischen Ebene ab. Die notwendige Rückgewinnung demokratischer Spielräume wird nicht durch Rückschritte im europäischen Integrationsprozess möglich werden, sondern durch dessen Vertiefung. Um das Vertrauen der Menschen in die EU zurückzugewinnen, braucht es gerade eine Abkehr vom aktuellen wirtschaftspolitischen Kurs. Insbesondere braucht es auch auf dieser Ebene Maßnahmen zur Schaffung von Beschäftigung, beispielsweise durch den EGB-Plan für Investitionen und die Stärkung der Sozialstaates.
Die Krise hat auch gezeigt, dass der EU die notwendigen Institutionen und Werkzeuge fehlen, um die Krise zu bekämpfen. Diese strukturellen Probleme gilt es zu korrigieren, etwa durch eine koordinierte Lohnpolitik zur Stärkung der Einkommen, ein nennenswertes EU-Budget, eine europäische Steuerbehörde zur Vermeidung von Steuerdumping zwischen den Mitgliedsstaaten und einen Sozialpakt. Auch wenn die neuen Maßnahmen der Europäischen Zentralbank den Eurostaaten helfen, so bleiben sie unzureichend, um auf absehbare Zeit wieder das Beschäftigungs- und Wohlstandsniveau vor der Krise zu erreichen.
Es braucht einen Plan zur Restrukturierung und/oder Neuverhandlung der öffentlichen Schulden auf europäischer Ebene. Neben einer Verringerung der aktuell zu leistenden Zinszahlungen muss ein solcher Mechanismus auch eine Verteuerung bei der zukünftigen Schuldenaufnahme verhindern, die die wirtschaftliche Erholung erst recht gefährden würde. Eine Vergemeinschaftung der öffentlichen Schulden auf europäischer Ebene mittels Eurobonds oder durch die EZB im Ausmaß von bis zu 60 Prozent des BIP sowie die Koppelung der Zahlungen an die Wirtschaftsleistung könnte eine solche Teuerung verhindern. Auch sollte eine goldene Investitionsregel eingeführt werden. Das bedeutet, dass der auf öffentliche Investitionen zur Förderung der wirtschaftlichen Erholung zurückzuführende Teil der Neuverschuldung beim EU-Defizitverfahren herausgerechnet wird.
Angesichts der weit überdurchschnittlichen Arbeitslosigkeit und des unterentwickelten Wohlfahrtsstaats kommt Spanien für einen wirtschaftspolitischen Richtungswechsel eine besonders relevante Rolle in Europa zu.
Dieser Text wurde übersetzt und überarbeitet von Georg Feigl und ist angelehnt an das Schlusskapitel des gemeinsam mit Santiago Díaz de Sarralde herausgegebenen Buches „Una propuesta progresista para salir de la crisis“ („Ein progressiver Vorschlag aus der Krise“, PDF auf Spanisch), der auf dem Mosaik-Blog erstveröffentlicht wurde.
Bruno Estrada, Ökonom in Madrid, arbeitet als wirtschaftspolitischer Berater des Vorsitzenden des größten spanischen Gewerkschaftsverbandes (Comisiones Obreras) und engagiert sich u.a. bei EconoNuestra, unserer „Schwesterorganisation“ in Spanien, der Gruppe Economistas frente a la crisis sowie im internationalen Wirtschaftsbeirat von PODEMOS.
Wende oder Ende? Die spanischen Wahlen als Schlüssel für eine andere europäische Wirtschaftspolitik
Donnerstag, 10. Dezember, 18:30 Uhr // Universität Wien, Hörsaal 31
Podiumsdiskussion mit:
Bruno Estrada (Ökonomischer Berater des Vorsitzenden der spanischen Gewerkschaft CCOO, aktiv bei Econonuestra und Berater linker Parteien)
Georg Feigl (BEIGEWUM und AK Wien)
Lisa Mittendrein (ATTAC)
Tobias Zortea (Spanien entscheidet; angefragt)
Moderation: Romana Brait (BEIGEWUM)
Bis zur Intervention durch die Europäische Zentralbank hieß es, die Krise in Europa würde vor allem in Spanien entschieden, dessen Ökonomie doppelt so groß ist wie jene Griechenlands, Irlands, Portugals und Zypern zusammen. Austeritätspolitik und Lohndruck führten zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit auf über 25 %, zu Einschnitten in den Sozialstaat und einer Zunahme der sozialen und politischen Spannungen. Mit dem Aufkommen der Protestbewegung 15M bzw. der neuen Linkspartei „PODEMOS“ kehrte Hoffnung auf Veränderung zurück. Nicht zuletzt als Reaktion auf diese Entwicklung kam es bereits zu einer relativ unbemerkten Abschwächung der Spar- und Wettbewerbspolitik, die rechtzeitig vor den Wahlen eine wirtschaftliche Erholung ermöglichte.
Das europäische Regelkorsett sieht allerdings keinen weiteren Handlungsspielraum für fiskalpolitische Impulse, eine Reindustrialisierung und eine binnenzentrierte Entwicklung als Eckpfeiler einer alternativen Wirtschaftspolitik vor. Dauerhafte Massenarbeitslosigkeit, schlechte Jobs, asymmetrische soziale Beziehungen und eine ungünstige Wirtschaftsstruktur wären die Folge.
Welche ökonomischen, sozialen und politischen Perspektiven ergeben sich für Spanien nach den Wahlen? Kann die spanische Linke eine breite (Regierungs-)Koalition zustande bringen, und was würde das für ein neoliberal dominiertes Europa bedeuten?
Eine Veranstaltung des BEIGEWUM in Kooperation mit ATTAC, Spanien entscheidet und dem Institut für Politikwissenschaften der Universität Wien.
„Mythen des Reichtums“ bei den Kritischen Literaturtagen Salzburg 2015
Freitag, 4. Dezember, 14:00 Uhr
ARGEkultur Salzburg, Studio
Buchpräsentation mit Martin Schenk
VSA Verlag – BEIGEWUM/Armutskonferenz/Attac (Hrsg.)
„Mythen des Reichtums“
Reichtum – wann ist viel zu viel? Vermögen in Österreich und Europa – und wie nimmt diesen Reichtum die Bevölkerung wahr?
Das ganze Programm der Kritischen Literaturtage Salzburg hier.
„Spielräume für eine progressive Wirtschaftspolitik?“ – 30 Jahre BEIGEWUM
Donnerstag, 12. November, 19:00 Uhr
Kulturzentrum & Café 7*Stern (Siebensterngasse 31, 1070 Wien)
Anlässlich des 30-jährigen Bestehens des BEIGEWUMs soll die Frage nach möglichen Spielräumen für eine progressive Wirtschaftspolitik aus den Blickwinkeln unterschiedlicher Zeitperioden betrachtet werden: vom Anstieg der Arbeitslosigkeit, einem beginnenden Abschied vom „Austrokeynesianismus“ und dem wachsenden Bewusstsein von ökologischen Krisen in den 1980er Jahren, über Diskussionen zum EU-Beitritt und der Wirtschaftspolitik unter Schwarz-Blau bis zur gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise. Fest steht, dass sich in den vergangenen 30 Jahren die ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Zustände verändert haben – und mit ihnen auch das Selbstverständnis und die Aufgaben des BEIGEWUM.
BEIGEWUM-Aktive aus verschiedenen Zeitabschnitten diskutieren über markante (politische) Veränderungen in der jüngeren österreichischen Vergangenheit bis zur Gegenwart und welchen Einfluss diese auf kritische Politik sowie Partizipation hatten und haben.
Podium: BEIGEWUM-Aktive aus verschiedenen Zeitabschnitten:
Willi Altzinger, Beat Weber, Christa Schlager und Jana Schultheiss
Moderation: Romana Brait
Danach laden wir zu einem gemütlichen Beisammensein der Generationen ein.
20 Jahre EU-Beitritt. Zwischen Wettbewerbsstandort und Sozialmodell Österreich
Dienstag, 24. November, 18:30 Uhr
Wissensturm Linz (Veranstaltungssaal E09)
Podiumsdiskussion und Buchpräsentation
Es diskutieren: Mag.a Christina Mayrhuber (WIFO), Dr.in Susanne Pernicka (JKU Linz) und Mag.a Christa Schlager (AK Wien)
Der EU-Beitritt 1995 gilt als einschneidender Moment in der Geschichte Österreichs, da er sich stark auf die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Dynamiken im Land auswirkte. 20 Jahre später setzen sich verschiedene WissenschaftlerInnen mit den Kontinuitäten und Veränderungen des österreichischen Modells seit dem Beitritt auseinander. Die Ergebnisse ihrer Forschungen sind vor kurzem in einem vom BEIGEWUM herausgegebenen Buch („Politische Ökonomie Österreichs“) publiziert worden.
Im Rahmen der Podiumsdiskussion werden zentrale Ergebnisse von Mitautorinnen des Buches vorgestellt und diskutiert. Folgende Fragen führen durch den Abend: Welche Zwänge, aber auch welche neuen Chancen hat der EU-Beitritt in ausgewählten Politikfeldern (Sozial‑, Beschäftigungs- und Budgetpolitik) mit sich gebracht? Inwieweit haben sich die nationalen politischen Handlungsspielräume durch den EU-Beitritt verändert? Welche AkteurInnen und Institutionen spiel(t)en bei diesen Entwicklungen eine zentrale Rolle? Wie haben sich in diesem Zusammenhang die Kräfteverhältnisse zwischen Arbeit und Kapital im Land verändert? Und: Welche Auswirkungen haben diese Entwicklungen für die Zukunft des österreichischen Sozialmodells?
In Kooperation mit dem Institut für Soziologie an der JKU Linz, dem Wissensturm und der AK OÖ.
Wirtschaftspolitische Konzepte der nationalistischen Rechten
Dienstag, 3. November, 19:00 Uhr
Literaturbuffet Lhotzky (Eingang Rotensterngasse 2, 1020 Wien)
Debatte zum Kurswechsel 3/2015 mit Joachim Becker und Rudy Weissenbacher
Die nationalistische Rechte ist in verschiedenen europäischen Ländern im Aufwind, teils auch bereits an der Regierung. In der neuesten Nummer des Kurswechsels werden deren wirtschaftspolitischen Konzepte vom selektiven Wirtschaftsnationalismus von Fidesz in Ungarn, über die „nationale Präferenz“ des Front National und der Kampagne gegen den Euro durch die italienische Lega Nord und ihre soziale Basis diskutiert.
Diese Fragen stehen auch im Vordergrund bei der Heftvorstellung.
Der Kurswechsel 3/2015 ist da!
Thema: Medien im Strukturwandel der Öffentlichkeit
Aktuelle Debatte: Heterodoxie von rechts?
Ein politökonomischer Blick auf die aktuellen Umbrüche in der Medienlandschaft tut not: Wie greifen Probleme des Wirtschaftsjournalismus und bestehende Machtstrukturen in „Wirtschaft-Medien-Politik“ ineinander? Und: Wo und wie lassen sich Ansatzpunkte für eine kritische „Gegenöffentlichkeit“ und eine fortschrittliche Medienpolitik ausmachen? Es sind nicht nur besonders markante Fälle wie z.B. die dominante Griechenland-Berichterstattung in deutschsprachigen Medien, die die Suche nach alternativen, kritischen Informationsquellen verstärken und die Kluft zwischen journalistischem Anspruch und medialer Wirklichkeit noch deutlicher sichtbar machen. Vor diesem Hintergrund geht es im vorliegenden Schwerpunktheft darum, aktuelle Umbrüche im Mediensektor mit diesen Fragen zu konfrontieren und konzeptionelle Grundlagen einer kritischen politischen Ökonomie der Medien auszuloten.
Der Debattenteil dieser Nummer setzt sich mit den wirtschaftspolitischen Praxen und Konzepten der nationalistischen Rechten in Europa auseinander. Diese präsentieren sich mithin als „soziale Rechte“ und üben sich teilweise in einer wirtschaftspolitischen „Heterodoxie von rechts“. Eingeordnet in ein breiteres Panorama werden der selektive Wirtschaftsnationalismus der Fidesz-Regierung in Ungarn sowie die wirtschaftspolitischen Konzepte des französischen Front National sowie der italienischen Lega Nord als zwei führenden Kräften der nationalistischen Rechten einer kritischen Analyse unterworfen.
Zum Inhaltsverzeichnis inklusive Artikeln zum Download geht es hier.
Präsentation Kurswechsel Heft 2/2015: Vermögensungleichheit, Kapitalismus und Demokratie
Dienstag, 3. November, 19:00 Uhr
Witschaftsuniversität Wien, Galerie LC.0.004, Learning Center
(Welthandelsplatz 1, 1020 Wien)
Seit einigen Jahren hat sich die öffentliche und wissenschaftliche Debatte über die Verteilung von Einkommen und Vermögen spürbar intensiviert und durch Thomas Pikettys Bestseller „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ weiter an Fahrt gewonnen. Die Aufbereitung neuer Datenquellen und die daraus gewonnenen Erkenntnisse waren zentral, um die extrem schiefe Vermögensverteilung in den Blickpunkt zu rücken.
Doch die Fragen, die sich aus diesen empirischen Einblicken ergeben, sind fundamentaler. Wie entsteht eine solch drastische Vermögensungleichheit im Kapitalismus? Durch welche Mechanismen und Wirkungskanäle wird sie aufrechterhalten? Über welche Kanäle wirkt ungleiche Vermögensverteilung auf demokratische Prozesse? Und welche Schlussfolgerungen ergeben sich daraus für progressive Kräfte in Wirtschaftswissenschaft und ‑politik? Die aktuelle Ausgabe des Kurswechsels versucht eine Annäherung an diese Fragestellungen, und beleuchtet (Re-)Produktion von Vermögensungleichheit im Kapitalismus.
Bei der Präsentation diskutieren AutorInnen der Ausgabe über diese Fragen:
19:00 Uhr
Eröffnung & Moderation
Stefan Humer
Economics of Inequality, Wirtschaftsuniversität Wien
Verteilungstendenzen im Kapitalismus
Bernhard Schütz
Ökonom am Institut für Volkswirtschaftslehre der JKU Linz
Von den Leistungswilligen, Kreativen und Innovationstüchtigen
Julia Hofmann
Universitätsassistentin am Institut für Soziologie der JKU Linz, Redakteurin „Kurswechsel“
Vermögenskonzentration und Macht
Matthias Schnetzer
Referent für Verteilungsfragen in der Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der AK Wien, Lektor an der WU Wien
Perspektiven und Grenzen pluraler Ökonomie
Franziska Disslbacher
VWL-Studentin, Projektmitarbeiterin an der WU Wien, aktiv in Studienvertretung und der Gesellschaft für Plurale Ökonomik
21:00 Uhr
Informeller Austausch & Buffet
Veranstaltet von BEIGEWUM, WU Forschungsinstitut Economics of Inequality (INEQ) und Sektion soziale Ungleichheit.
Nähere Informationen zu dieser Ausgabe des Kurswechsels hier.
BEIGEWUM unterstützt Demo für menschliche Asylpolitik
Der BEIGEWUM ist offizieller Unterstützer der Demo für menschliche Asylpolitik in Wien:
Samstag, 3. Oktober, 13:00 beim Westbahnhof, Christian-Broda-Platz
Aus dem Aufruftext: Wir laden alle solidarischen und antirassistischen Initiativen und Privatpersonen ein, gemeinsam mit den betroffenen Flüchtlingen am 3. Oktober gegen die rassistische Asylpolitik der Regierung auf die Straße zu gehen. Beteiligt euch und unterstützt die Mobilisierung für die Großdemonstration. Wir heißen alle Flüchtlinge willkommen, egal ob sie von Krieg, politischer Verfolgung, wirtschaftlicher Zerstörung oder aus anderen Gründen zur Flucht gezwungen werden – Fluchtgründe, die nicht zuletzt von den reichen Ländern durch Kolonialisierung und Ausbeutung geschaffen werden.
Den ganzen Aufruftext, alle Unterstützungsmöglichkeiten sowie Materialien findet ihr unter http://menschliche-asylpolitik.at
Schlagseite programmiert. Eine neue Generation parteiischer Think Tanks in Österreich
Matthias Schlögl und Dieter Plehwe
Am 25. September 2013, gerade einmal 4 Tage vor der Nationalratswahl 2013, titelte der Standard: „250.000 Arbeitslose jenseits der Statistik“. Er attackiert damit nicht nur die im Rahmen der großen Koalition in sozialdemokratischer Verantwortung liegende Sozialpolitik der Regierung, sondern auch ihre Glaubwürdigkeit. Die zitierte Zahl entstammte einer Studie des erst kurz zuvor gegründeten Think Tanks Agenda Austria, geleitet vom ehemaligen Presse-Redakteur Franz Schnellhorn. Von diesem Think Tank war wenig mehr als die Namen der MitarbeiterInnen und das angestrebte Budget von 1 Mio. € bekannt. Wie aber kommt es, dass eine regierungskritische Studie außerhalb der akademischen Forschungslandschaft erarbeitet, zielgenau vor den Wahlen publiziert und von den Medien ohne größere Befassung mit der Qualität des Materials aufgegriffen wird?
Der Beantwortung dieser Frage sowie die genauere Erörterung der Merkmale einer Gruppe von neoliberalen und wirtschaftsnahen parteiischen Think Tanks in Osterreich dient der folgende Beitrag. Gemeinsam ist diesen Think Tanks in Österreich und ihren Partnerorganisationen in europäischen und internationalen Think-Tank-Netzwerken, dass sie den Wohlfahrtsstaat und das erreichte Niveau sozialer Bürgerrechte bekämpfen. Damit treten sie gegen das Gleichheitspostulat sozialliberaler und sozialistischer Strömungen auf und vertreten offensiv rechtsliberale Normen von der Notwendigkeit und Produktivität sozialer Ungleichheit (Hayek 1960).
Seit Mitte der 2000er greift auch in Österreich ein Phänomen verstärkt um sich, das man in vielen anderen Ländern schon länger kennt: das vermehrte Auftreten eben solcher parteiischer Think Tanks. Während vor allem in den angelsächsischen Ländern bereits seit geraumer Zeit eine Diskussion darüber geführt wird, inwiefern mit diesen privaten, politiknahen Forschungs- und Beratungsorganisationen neue Ideen und frischer Wind in die Debatten eingespeist werden oder aber zahlungskräftige Lobbys die ideologische Schlagseite mit Think Tank Expertise verstärken, ist die europäische Debatte noch nicht sehr weit gediehen. Wissenschaft gilt weithin als im Wesentlichen neutral und Experten genießen im Gegensatz zu Lobbyisten einen guten Ruf. Genau dies machen sich alle möglichen Interessengruppen zu Nutze, wenn sie, um wirksamer in die Politik einzugreifen, vermehrt zur Gründung von Think Tanks aufrufen (Sutterlin u. a. 2012, Zetter 2008).
Die meist sehr kleinen Forschungsinstitute sind überwiegend privat finanziert. Sie leisten entweder konkrete Auftragsforschung oder erhalten ein Budget von befreundeten Unternehmen, Verbänden, Stiftungen und Privatpersonen, um im Sinne einer bestimmten Tendenz zu wirken. Solche offiziell unabhängigen Think Tanks sind daher besonders anfällig für die Einflussnahme der sie tragenden Kräfte und insbesondere der Geldgeber. Im Gegensatz zum offenen wissenschaftlichen Diskurs wird die grundlegende Marschrichtung vorab festgelegt. Gesellschaftliche Diskurse – z.B. zum Klimawandel in den USA (Dunlap/Jacques 2013) – können durch die Arbeit von weltanschaulich parteiischen Think Tanks u.U. erheblich beeinflusst werden, wenn bestimmte Diskurskoalitionen (Hajer1993) gezielt verstärkt werden. Dabei spielen in der jüngeren Geschichte Think Tanks immer häufiger eine immer wichtigere Rolle.
Zum ganzen Artikel hier
Der Artikel erschien im Kurswechsel 2 (2015) zum Thema „Vermögensungleichheit, Kapitalismus und Demokratie“. Den Kurswechsel hier bestellen.