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Terrainverluste der lateinamerikanischen Linksregierungen

22. April 2016 – 13:12 Uhr

Aus dem neu­en Kurs­wech­sel:

Aktu­el­le Debat­te: Ter­rain­ver­lus­te der latein­ame­ri­ka­ni­schen Linksregierungen

Joa­chim Becker

Edi­to­ri­al (Debat­te Edi­to­ri­al Kurs­wech­sel)

Die­ter Boris

Links­re­gie­run­gen Latein­ame­ri­kas in der Defen­si­ve (PDF)

Bern­hard Leu­bolt, Vic­tor Strazzeri

Kri­se und Pro­tes­te in Bra­si­li­en (PDF)

Edu­ard Gudynas

Pro­gres­si­men in Süd­ame­ri­ka. Auf­stieg und Erschöp­fung (PDF)

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Die Reichen liegen uns auf der Tasche

21. März 2016 – 10:48 Uhr

Erschie­nen im Mosa­ik-Blog am 09 März 2016

Ob in der Flücht­lings­de­bat­te, bei der Höhe der Min­dest­si­che­rung oder jüngst bei den Pen­sio­nen, ein Argu­ment klebt an aktu­el­len poli­ti­schen Debat­ten wie Kau­gum­mi: „Wir kön­nen uns den Sozi­al­staat nicht mehr leis­ten!“ Hin­ter dem alle Jah­re wie­der­keh­ren­den, neo­li­be­ra­len Angriff auf die sozia­len Siche­rungs­sys­te­me ver­steckt sich „Klas­sen­kampf von oben“. Niko­laus Dim­mel hat das kürz­lich anhand der Debat­te um die Min­dest­si­che­rung bereits auf mosa­ik ange­merkt. Wir sol­len glau­ben, dass wir uns „die Armen“ nicht mehr leis­ten kön­nen. In Wirk­lich­keit ist es aber genau umge­kehrt: Nicht die Armen, son­dern die Rei­chen lie­gen uns sprich­wört­lich auf der Tasche.

Öster­reich gilt euro­pa­weit als eines der Län­der mit der höchs­ten Ver­mö­gensun­gleich­heit (Gini-Koef­fi­zi­ent von 0,76 für Net­to-Ver­mö­gen). Die reichs­ten 5 Pro­zent besit­zen hier­zu­lan­de rund 45 Pro­zent des Gesamt­ver­mö­gen; die unters­ten 50 Pro­zent nur knapp 4 Pro­zent. Die Ver­mö­gens­ver­tei­lung in Öster­reich hat damit die Form eines „Klo­be­sens“. Ganz Weni­ge ste­hen an der Spit­ze und haben ganz viel Ver­mö­gen zu Ver­fü­gung, wäh­rend ganz vie­le ganz unten stehen.

Damit gibt es bei der Ver­tei­lung der Ver­mö­gen in Öster­reich auch kei­ne brei­te Mit­tel­schicht, wie wir sie etwa bei der Ein­kom­mens­ver­tei­lung sehen. Hil­de Weiss und ich haben in einer Stu­die her­aus­ge­ar­bei­tet, dass sich gera­de anhand der Ver­mö­gens­ver­tei­lung die Klas­sen­struk­tur der öster­rei­chi­schen Gesell­schaft beson­ders gut zei­gen lässt.

Sieht man sich genau­er an, wer zu den obers­ten 5 Pro­zent gehört und wie sie dort hin­ge­kom­men sind, so offen­ba­ren sich eini­ge inter­es­san­te Muster:

1.Wer oben ist, bleibt oben – wer unten ist, bleibt unten

Ent­ge­gen dem Mythos vom „ame­ri­ka­ni­schen Traum“ (von der Tel­ler­wä­sche­rin zur Mil­lio­nä­rin) ist es den meis­ten Arbeit­neh­me­rIn­nen kaum mög­lich, wirk­lich reich zu wer­den. Das hat zwei­er­lei Grün­de: Ers­tens bezie­hen nur die obers­ten 5 Pro­zent in rele­van­tem Aus­maß Kapi­tal­ein­kom­men (also Ein­künf­te aus Mie­ten, Zin­sen oder Betei­li­gun­gen). Dem­ge­gen­über haben die unters­ten 40 Pro­zent kaum rele­van­te Kapi­tal­ein­künf­te – sie bezie­hen nur Ein­künf­te aus Arbeit. Aber: durch Arbeit allein wird man sel­ten reich.

Zwei­tens spielt Erben in Öster­reich eine zen­tra­le Rol­le bei der Ver­mö­gens­ak­ku­mu­la­ti­on. Es erhal­ten nur etwa 10 Pro­zent der ärme­ren Haus­hal­te, aber 75 Pro­zent der reichs­ten Haus­hal­te in Öster­reich ein Erbe – und auch die durch­schnitt­li­chen Sum­men sind hier höchst unter­schied­lich: Von 14.000 Euro am unte­ren Ende zu über 240.000 Euro bei den obers­ten 20 Pro­zent. In einer kürz­lich erschie­ne­nen Stu­die des WU-Insti­tu­tes INEQ wird genau­er gezeigt, wie wich­tig das Erbe für die Posi­ti­on auf der Ver­mö­gens­ver­tei­lung ist: Ein/​e Lohn­ab­hän­gi­geR muss etwa die Hälf­te der Ein­kom­mens­ver­tei­lung über­sprin­gen, um den Ein­fluss einer Erb­schaft auf seine/​ihre rela­ti­ve Ver­mö­gens­po­si­ti­on aus­zu­glei­chen. Die Start­chan­cen der ver­schie­de­nen Haus­hal­te sind also höchst ungleich.

  1. Reich­tum ist männlich

Nicht nur bei der Einkommens‑, son­dern auch bei der Ver­mö­gens­ver­tei­lung gibt es star­ke Anzei­chen für einen gen­der gap. Lei­der gibt es der­zeit für Öster­reich nur Daten auf Haus­halts­ebe­ne, nicht auf Indi­vi­du­al­ebe­ne. Die­se zei­gen aber, dass das durch­schnitt­li­che Ver­mö­gen von weib­li­chen Sin­gle-Haus­hal­ten in Öster­reich um gut 40 Pro­zent nied­ri­ger ist, als das der männ­li­chen Sin­gle-Haus­hal­te. Mit stei­gen­der Bil­dung neh­men die Unter­schie­de im Net­to-Ver­mö­gen zwi­schen Män­nern und Frau­en wei­ter zu. Frau­en erben auch anders bzw. weni­ger. Frau­en kön­nen damit nie so hohe Ver­mö­gen anhäu­fen wie Männer.

  1. Die sozia­len Unter­schie­de wer­den vertuscht

Der offen­sicht­li­chen Ver­mö­gensun­gleich­heit zum Trotz ord­nen sich die meis­ten Men­schen eher der „Mit­te“ zu. Damit über­schät­zen sich ärme­re Haus­hal­te, wäh­rend rei­che Haus­hal­te sich unter­schät­zen. Mar­tin Schenk argu­men­tiert, dass die­ser fal­schen Selbst­ein­schät­zung ein ideo­lo­gi­sches Momen­tum zugrun­de liegt, wel­ches der Ver­schleie­rung sozia­ler Ungleich­hei­ten dient: Alle sol­len glau­ben, dass sie ihr gerech­tes Stück vom Kuchen bekom­men. Dadurch wer­den sozia­le Miss­stän­de nicht ange­pran­gert, die sozia­le Ord­nung wird als „natür­lich“ ange­se­hen und poli­ti­sche Maß­nah­men, die nur den Obe­ren der Gesell­schaft die­nen, wer­den mit­ge­tra­gen. Durch die­sen „Mit­te-Mythos“ sto­ßen auch neo­li­be­ra­le Über­zeu­gun­gen – wie eben jene, dass „wir“ uns die Armen nicht mehr leis­ten kön­nen – in brei­ten Tei­len der Gesell­schaft auf Unterstützung.

  1. Zu viel pri­va­ter Reich­tum zer­stört die Gesellschaft

Die For­schung zeigt, dass zu viel Ungleich­heit und pri­va­ter Reich­tum eine Gesell­schaft zer­stö­ren. Rei­che zie­hen sich ger­ne aus ihrer gesell­schaft­li­chen Ver­ant­wor­tung zurück und schot­ten sich räum­lich wie sozi­al ab. Ver­mö­gen wird dadurch wei­ter pri­va­ti­siert. Gleich­zei­tig wer­den Ver­lus­te kol­lek­ti­viert und in gesell­schaft­lich wich­ti­gen Berei­chen, wie Bil­dung oder Sozia­lem, Aus­ga­ben gekürzt. Das führt dazu, dass sich die Gesell­schaft wei­ter spal­tet. Die Armut Vie­ler hängt also mit dem Reich­tum Weni­ger zusam­men. Das wuss­te schon Bert­hold Brecht:

Rei­cher Mann und armer Mann
stan­den da und sahn sich an. 
Und der Arme sag­te bleich: „Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich“.“

Die hier skiz­zier­ten Ent­wick­lun­gen müs­sen gestoppt wer­den. Auf­ga­be der gesell­schaft­li­chen Lin­ken ist es, uner­müd­lich auf die oben erwähn­ten Zah­len, Daten, Fak­ten hin­zu­wei­sen, aber auch wei­ter für die Ein­füh­rung einer Ver­mö­gens- und einer umfas­sen­de­ren Erb­schafts­steu­er zu kämp­fen. Wir müs­sen gemein­sam Visio­nen für eine gerech­te Gesell­schaft jen­seits des finanz­do­mi­nier­ten Kapi­ta­lis­mus erarbeiten.

Julia Hof­mann ist aktiv beim BEIGEWUM und dem Jaho­da-Bau­er-Insti­tut, die 2014 gemein­sam mit ATTAC und der Armuts­kon­fe­renz das Pro­jekt „Mythen des Reich­tums“ ins Leben geru­fen haben.

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Arbeitszeitverkürzung als Beschäftigungsmotor?

11. März 2016 – 16:36 Uhr

Ursprüng­lich erschie­nen im Blog A&W, am 11. März 2016


Seit der Finanz- und Wirt­schafts­kri­se 2008 sind in einer Viel­zahl von euro­päi­schen Staa­ten die Arbeits­lo­sen­zah­len ange­stie­gen. Als ein Instru­ment gegen die­ses Pro­blem wird vor allem von Gewerk­schafts­sei­te immer häu­fi­ger eine Arbeits­zeit­ver­kür­zung gefor­dert. Aber kann eine Ver­kür­zung der Arbeits­zeit Beschäf­ti­gung schaf­fen? Die Erfah­run­gen mit der Ver­kür­zung von Arbeits­zeit in Euro­pa zei­gen, dass eine Arbeits­ver­kür­zung zusätz­li­che Arbeits­plät­ze brin­gen kann – zumin­dest wenn bestimm­te Vor­aus­set­zun­gen wie die Mög­lich­keit zur Reor­ga­ni­sa­ti­on der Arbeit gege­ben sind.

Der Trend zu Ver­kür­zung der Wochen­ar­beits­zeit besteht in Euro­pa seit Beginn des vori­gen Jahr­hun­derts. Wäh­rend damals eine 60-Stun­den-Woche in Euro­pa üblich war, hat sich bis 1980 eine 40-Stun­den-Woche in den meis­ten euro­päi­schen Län­dern durch­ge­setzt. Seit­dem bleibt die wöchent­li­che Arbeits­zeit im Durch­schnitt fast kon­stant und ist in man­chen Län­dern wie­der im Stei­gen begriffen.

Quel­le: Poyn­t­ner (2015), Daten Huber­mann und Minns (2007). Nor­mal­ar­beits­zeit, ohne Urlaub etc. Für Öster­reich ist die­se Zeit­rei­he nicht vor­han­den; ver­gleich­ba­re Daten für Spa­ni­en feh­len zwi­schen 1935 und 1980.

Der Trend zu kür­ze­ren Arbeits­zei­ten hat sich im Durch­schnitt der Voll­zeit­be­schäf­tig­ten in den letz­ten Jahr­zehn­ten deut­lich ver­lang­samt. Sieht man von dem Kri­sen­in­stru­ment der Kurz­ar­beit ab gab es weni­ge Initia­ti­ven, die eine all­ge­mei­ne­re Ver­kür­zung der Wochen­ar­beits­zeit zum Ziel hat­ten. Aller­dings waren in ein­zel­nen Sek­to­ren oder Fir­men wei­te­re Maß­nah­men für eine Ver­kür­zung der Arbeits­zeit zu ver­zeich­nen, wie bspw. die Ein­füh­rung des 6‑Stunden Tages in einem öffent­li­chen Pfle­ge­heim im schwe­di­schen Göte­borg, eine Frei­zeit­op­ti­on in Kol­lek­tiv­ver­trä­gen in Öster­reich, oder Frei­stel­lungs- und Karenz­zei­ten (sie­he unten). In eini­gen Län­dern wie Deutsch­land (im öffent­li­chen Dienst und eini­gen Bran­chen, wie z.B. dem WSI-Arbeits­zeit­ka­len­der 2014 zu ent­neh­men) und Frank­reich (Aus­wei­tung der erlaub­ten Über­stun­den) ist aber auch ein Trend zu län­ge­ren Arbeits­zei­ten zu beobachten.

Für euro­päi­sche Gewerk­schaf­ten ver­lor das The­ma Arbeits­zeit­ver­kür­zung in Kol­lek­tiv­ver­trags­ver­hand­lun­gen nach der Ein­füh­rung der 40-Stun­den-Woche gegen­über Lohn­for­de­run­gen an Bedeu­tung. Dies hat zum Teil mit ver­än­der­ten wirt­schaft­li­chen (wie der Ent­schleu­ni­gung des Pro­duk­ti­vi­täts­wachs­tums) und insti­tu­tio­nel­len (rück­läu­fi­ge Gewerk­schafts­ab­de­ckung) Rah­men­be­din­gun­gen zu tun, die den Ver­hand­lungs­spiel­raum von Gewerk­schaf­ten ten­den­zi­ell ver­rin­gern. Hin­zu kommt, dass ange­sichts der Belas­tung bei einer 60-Stun­den-Woche eine Ver­kür­zung der Arbeits­zeit für die Beschäf­tig­ten selbst eine viel höhe­re Prio­ri­tät hat als das bei einer 40-Stun­den Woche der Fall ist.

Beschäf­ti­gungs­plus durch Arbeits­zeit­ver­kür­zung in Frankreich …

Der jüngs­te Ver­such, die Arbeits­zeit für umfas­sen­de Bevöl­ke­rungs­grup­pen zu redu­zie­ren, wur­de vor fünf­zehn Jah­ren in Frank­reich unter­nom­men. Per Gesetz wur­den in einem ers­ten Schritt im Jahr 1998 Unter­neh­men dazu ange­regt, die Wochen­ar­beits­zeit von 39 auf 35 Stun­den zu ver­kür­zen. Die Vor­aus­set­zung für finan­zi­el­le Unter­stüt­zung war eine Ver­kür­zung der Arbeits­zeit um min­des­tens 10% sowie eine Aus­wei­tung der Beschäf­ti­gung um min­des­tens 6%. Im Jahr 2000 wur­de die 35-Stun­den-Woche ver­pflich­tend für Unter­neh­men mit mehr als 20 Ange­stell­ten, 2002 auch für klei­ne­re Unter­neh­men ein­ge­führt. Beglei­tet wur­de die Reform durch eine Locke­rung der Tages- und Wochen­höchst­ar­beits­zeit. Nach 2002 wur­den durch einen Regie­rungs­wech­sel die Maß­nah­men suk­zes­si­ve zurück­ge­nom­men, För­de­run­gen abge­schafft, Steu­ern und Sozi­al­ver­si­che­rungs­bei­trä­ge auf Über­stun­den gesenkt und Über­stun­den­kon­tin­gen­te aus­ge­wei­tet. Die 35-Stun­den-Woche wur­de also deut­lich ver­wäs­sert und Maß­nah­men in die die Gegen­rich­tung gesetzt.

Die Ein­füh­rung der 35-Stun­den-Woche in Frank­reich hat­te das kla­re poli­ti­sche Ziel, die Arbeits­lo­sig­keit zu ver­rin­gern, die 1997 mit 12,5% weit über dem EU-Durch­schnitt lag. Die­ses Ziel, wenn auch nicht in der erwar­te­ten Höhe, wur­de auch erreicht, nur über die genaue Grö­ße herrscht Unei­nig­keit (ex-post Schät­zun­gen lie­gen zwi­schen einem Beschäf­ti­gungs­an­stieg von 3,4% bis 7%). Auch wenn ein Beschäf­ti­gungs­an­stieg nicht not­wen­di­ger­wei­se eine Sen­kung der Arbeits­lo­sen­quo­te bedeu­ten muss (z.B. wenn alle neue Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nis­se von Per­so­nen ein­ge­gan­gen wer­den, die dem Arbeits­markt vor­her nicht zur Ver­fü­gung stan­den) – in Frank­reich hat­te die Arbeits­zeit­ver­kür­zung laut Stu­di­en, die neben Beschäf­ti­gung auch expli­zit die Reak­ti­on der Arbeits­lo­sig­keit betrach­ten, eine Sen­kung der Arbeits­lo­sig­keit zur Fol­ge (sie­he z.B. Schrei­ber und Loge­ay 2006 oder Bun­el 2004).

… und Unklar­heit in Deutschland

Eine wei­te­re gro­ße Reform wur­de in Deutsch­land vor­ge­nom­men, wo im Metall- und Print­sek­tor von 1984 bis 1994 die Wochen­ar­beits­zeit von 40 auf 36 Stun­den gesenkt wur­de. Die Ein­schät­zung der Beschäf­ti­gungs­ef­fek­te die­ser Reform fal­len weit­aus weni­ger klar aus als bei der fran­zö­si­schen Reform: Nega­ti­ve Beschäf­ti­gungs­ef­fek­te wer­den eben­so gefun­den wie neu­tra­le oder posi­ti­ve Beschäf­ti­gungs­ef­fek­te.

Das lässt sich teil­wei­se durch die Art der Durch­füh­rung der Arbeits­zeit­ver­kür­zung erklä­ren: Wäh­rend die Regie­rung in Frank­reich Sub­ven­tio­nen an Betrie­be zahl­te, die Arbeits­zeit ver­kürz­ten und Beschäf­ti­gung erhöh­ten, gab es in Deutsch­land kei­ne sol­che Unter­stüt­zung. Hunt ver­mu­tet bei­spiels­wei­se, dass posi­ti­ve Beschäf­ti­gungs­ef­fek­te der Ver­kür­zung der Arbeits­zeit durch Anstie­ge im Stun­den­lohn zunich­te gemacht wur­den – aller­dings ist die­se The­se umstrit­ten. Auch wenn ein Anstieg des Stun­den­loh­nes den Fak­tor Arbeit ver­teu­ert, sind für Unter­neh­men nicht die abso­lu­ten Lohn­kos­ten, son­dern die Lohn­stück­kos­ten der ent­schei­den­de Fak­tor. Lohn­stück­kos­ten wer­den eben­so von der Pro­duk­ti­vi­täts­ent­wick­lung beein­flusst, und Arbeits­zeit­ver­kür­zung führt meist zu höhe­rer Pro­duk­ti­vi­tät. Dies hat zum einen den Grund, dass Beschäf­tig­te bei gerin­ge­rer Arbeits­zeit pro­duk­ti­ver sind, oder anders aus­ge­drückt zusätz­li­che Stun­den bei einem hohen Arbeits­zeit­ni­veau weni­ger pro­duk­tiv sind. Zum ande­ren sind Ver­kür­zun­gen der Wochen­ar­beits­zeit oft mit einer Reor­ga­ni­sa­ti­on der Arbeits­struk­tu­ren in Unter­neh­men ver­bun­den, die eine eige­ne Quel­le von Pro­duk­ti­vi­täts­stei­ge­run­gen sein können.

Zahl­rei­che Wir­kungs­ka­nä­le von Ver­kür­zun­gen der Wochenarbeitszeit

Prin­zi­pi­ell gibt es zahl­rei­che Wir­kungs­ka­nä­le, durch die eine Ver­kür­zung der Wochen­ar­beits­zeit Aus­wir­kun­gen auf die Beschäf­ti­gung haben kann. Selbst ein­fachs­te öko­no­mi­sche Model­le kön­nen daher kei­ne ein­deu­ti­ge Aus­sa­ge zur Rich­tung der Beschäf­ti­gungs­ef­fek­te tref­fen. Posi­ti­ve Beschäf­ti­gungs­aus­wir­kun­gen sind bei­spiels­wei­se wahr­schein­li­cher, wenn Fix­kos­ten von Neu­ein­stel­lun­gen (Kos­ten für Ein­ar­bei­tung, Ein­schu­lung, Bereit­stel­lung von Infra­struk­tur etc.) gering sind und wenn genü­gend Arbeits­su­chen­de mit ent­spre­chen­der Qua­li­fi­ka­ti­on ver­füg­bar sind. Auch Nach­fra­ge­ef­fek­te durch stei­gen­den Stun­den­lohn (die im Zuge von oder nach Arbeits­zeit­ver­kür­zun­gen häu­fig mit­ver­han­delt wer­den) kön­nen Quel­len von Arbeits­nach­fra­ge sein – wobei die­ser Effekt vor allem bei Unter­aus­las­tung der Pro­duk­ti­ons­fak­to­ren zum Tra­gen kommt. Kei­nen oder sogar einen nega­ti­ven Beschäf­ti­gungs­ef­fekt wird eine Arbeits­zeit­ver­kür­zung dann bewir­ken, wenn Neu­ein­stel­lun­gen mit hohen Fix­kos­ten ver­bun­den sind, dem Arbeits­markt kei­ne geeig­ne­ten Arbeits­su­chen­den zur Ver­fü­gung ste­hen oder Lohn­stück­kos­ten stark ansteigen.

Die viel­fäl­ti­gen Wirk­wei­sen einer Arbeits­zeit­ver­kür­zung auf Beschäf­ti­gung machen die empi­ri­sche Quan­ti­fi­zie­rung her­aus­for­dernd. Folg­lich gibt es in der Lite­ra­tur auch kei­nen Kon­sens über die Wir­kungs­rich­tung einer Arbeits­zeit­ver­kür­zung auf die Beschäf­ti­gung. Eine Zusam­men­schau der Lite­ra­tur fin­det sich u.a. bei Schwen­din­ger (2015), Bosch und Lehn­dorff (2001) und Poyn­t­ner (2015). Es ist anzu­mer­ken, dass neben den unter­schied­li­chen Umset­zungs­ar­ten und insti­tu­tio­nel­len Rah­men­be­din­gun­gen auch metho­di­sche Schwie­rig­kei­ten Grund für unter­schied­li­che Ergeb­nis­se sein kön­nen. So ist z.B. für die Quan­ti­fi­zie­rung des Beschäf­ti­gungs­ef­fek­tes durch die Ver­kür­zung der Wochen­ar­beits­zeit die Schät­zung der hypo­the­ti­schen Beschäf­ti­gungs­ent­wick­lung ohne Arbeits­zeit­ver­kür­zung not­wen­dig. Die­se Schät­zung ist immer mit Unsi­cher­hei­ten behaf­tet. Aus die­sem und ande­ren Grün­den ist die Her­stel­lung eines ein­deu­ti­gen Zusam­men­hangs oft schwierig.

Bedin­gun­gen für die Arbeits­zeit­ver­kür­zung als Beschäftigungsmotor

Die oben genann­ten Über­le­gun­gen kön­nen her­an­ge­zo­gen wer­den, Bedin­gun­gen für eine erfolg­rei­che Arbeits­zeit­ver­kür­zung her­aus­zu­ar­bei­ten, wie es z.B. Bosch und Lehn­dorff (2001) versuchen.

Nach­dem bei gro­ßen Refor­men die vor­herr­schen­den orga­ni­sa­to­ri­schen Para­dig­men des 8‑Stun­den-Tages /​ der 5‑Ta­ge-Woche in Fra­ge gestellt wer­den, ist die Fra­ge zen­tral, ob die Arbeits(zeit)organisation fle­xi­bel an neue Arbeits­zeit-Sys­te­me ange­passt wer­den kann. In Frank­reich war eine sol­che Fle­xi­bi­li­sie­rung Teil des Pake­tes zur 35-Stunden-Woche.

Um einer mög­li­chen Knapp­heit an aus­ge­bil­de­ten Arbeits­kräf­ten ent­ge­gen­zu­wir­ken, emp­fiehlt sich neben vor­aus­schau­en­der Bil­dungs­po­li­tik ein Aus­bau von Wei­ter­bil­dungs­mög­lich­kei­ten. Somit wird der Effekt abge­min­dert, dass Arbeits-Fix­kos­ten für Unter­neh­men stark stei­gen und sich nega­ti­ve Beschäf­ti­gungs­ef­fek­te ein­stel­len. In Öster­reich dürf­te die Wei­ter­bil­dungs­pro­ble­ma­tik wohl eine gerin­ge­re Rol­le spie­len, da der Anteil der öffent­li­chen Mit­tel (inkl. AMS, Euro­päi­scher Sozi­al­fonds) an Aus­ga­ben für betrieb­li­che Wei­ter­bil­dung bereits ca. 50% beträgt.

Eine Arbeits­zeit­ver­kür­zung kann auch an sich zu einem Anstieg des Arbeits­kräf­te­an­ge­bo­tes füh­ren. Bei­spie­le dafür wären gut aus­ge­bil­de­te Per­so­nen, die von Teil­zeit auf kür­ze­re Voll­zeit (z.B. 35 Stun­den) auf­sto­cken oder Per­so­nen, die erst durch die Opti­on auf kür­ze­re Voll­zeit in den Arbeits­markt ein­stei­gen. In Frank­reich wech­sel­ten bei­spiels­wei­se mit der Ein­füh­rung der 35-Stun­den-Woche vie­le Per­so­nen (vor allem Frau­en) von Teil­zeit- auf Voll­zeit­be­schäf­ti­gungs­ver­hält­nis­se. Die­ses Resul­tat deu­tet dar­auf hin, dass eine nicht unwe­sent­li­che Anzahl an Per­so­nen mehr als Teil­zeit­ar­beit arbei­ten wol­len, aber eine 40-Stun­den-Woche nicht mit Betreu­ungs­pflich­ten etc. ver­ein­bar ist.

Beim Punkt der Höhe der Kom­pen­sa­ti­on – also der Anhe­bung des Stun­den­loh­nes, um dem monat­li­chen Lohn­rück­gang bei kür­ze­rer Arbeits­zeit ent­ge­gen­zu­wir­ken – ist fest­zu­hal­ten, dass die Löh­ne im Aus­maß des Pro­duk­ti­vi­täts­zu­wach­ses stei­gen kön­nen. Stei­gen sie stär­ker, wür­den die Lohn­stück­kos­ten stei­gen. Einer­seits könn­te dadurch die Arbeits­nach­fra­ge zurück­ge­hen, ande­rer­seits sind Nach­fra­ge­ef­fek­te zu beach­ten, die sich posi­tiv auf die Beschäf­ti­gung aus­wir­ken kön­nen. Der Net­to­ef­fekt einer Arbeits­zeit­ver­kür­zung mit Lohn­aus­gleich hängt also aber­mals von den kon­kre­ten Bedin­gun­gen ab.

Es geht nicht nur um Beschäf­ti­gung, son­dern auch um Ver­tei­lungs­ge­rech­tig­keit und Gesundheit

Auch wenn die Beschäf­ti­gungs­ef­fek­te in der öffent­li­chen Debat­te zwei­fels­oh­ne wich­tig sind, ist Arbeits­zeit­ver­kür­zung zudem aus ande­ren Grün­den sinn­voll. So hat die Ver­tei­lung der Arbeits­zeit Aus­wir­kun­gen auf die (geschlech­ter­spe­zi­fi­sche) Ver­tei­lung von Ein­kom­men, Pen­si­ons­an­sprü­chen und Nicht-Lohn­ar­beit. Gro­ße Unter­schie­de exis­tie­ren dies­be­züg­lich zwi­schen den Geschlech­tern – „Teil­zeit ist weib­lich und Über­stun­den sind männ­lich“.

Es gibt eini­ge Ansät­ze, um die tat­säch­li­che Arbeits­zeit an die gewünsch­te Arbeits­zeit der Beschäf­tig­ten anzu­glei­chen. Per Gesetz wur­de in den Nie­der­lan­den im Jahr 2000 die Mög­lich­keit geschaf­fen, dass Beschäf­tig­te in grö­ße­ren Betrie­ben von Voll­zeit auf Teil­zeit und vice ver­sa wech­seln kön­nen. Um die Ver­ein­bar­keit zwi­schen Beruf und außer­be­ruf­li­chen Ver­pflich­tun­gen zu ver­bes­sern, führ­te Bel­gi­en befris­te­te Reduk­tio­nen der Arbeits­zeit im öffent­li­chen Sek­tor mit teil­wei­sem Lohn­aus­gleich durch den Staat ein. Auch im pri­va­ten Sek­tor wur­den um die Jahr­tau­send­wen­de eini­ge Mög­lich­kei­ten geschaf­fen, Aus­zei­ten zu neh­men. Sowohl „the­ma­ti­sche“ Aus­zei­ten für Kin­der­be­treu­ung, Pfle­ge etc. sind mög­lich, als auch das Recht auf Reduk­ti­on der Arbeits­zeit bzw. Aus­zei­ten ohne Anga­be von Grün­den. Hier ist anzu­füh­ren, dass es für Betreu­ungs­pflich­ten nicht nur wie eben genannt indi­vi­du­el­le Lösun­gen geben kann und soll, son­dern die Ver­ein­bar­keit auch durch Sach­leis­tun­gen (Kin­der­gär­ten etc.) der öffent­li­chen Hand ermög­licht wer­den kann.

Zu guter Letzt soll­te auch der gesund­heit­li­che Aspekt kür­ze­re Arbeits­zei­ten bei der Debat­te nicht voll­kom­men uner­wähnt blei­ben: Der Zusam­men­hang von lan­gen Arbeits­zei­ten und gesund­heit­li­chen Pro­ble­men ist gut doku­men­tiert, z.B. von Gol­den et al. (2010) und Caru­so et al (2004).

Fazit

Arbeits­zeit­ver­kür­zung eig­net sich zur Schaf­fung von Beschäf­ti­gung, falls bestimm­te Vor­aus­set­zun­gen wie die Mög­lich­keit zur Reor­ga­ni­sa­ti­on der Arbeits­zeit­or­ga­ni­sa­ti­on und eine mode­ra­te Lohn­stück­kos­ten­ent­wick­lung gege­ben sind. Das Paket zur Arbeits­zeit­ver­kür­zung in Frank­reich war inklu­si­ve Sub­ven­tio­nen und Fle­xi­bi­li­sie­rung erfolg­reich, um Beschäf­ti­gung zu schaf­fen und die hohe Arbeits­lo­sig­keit zu sen­ken. Neben Beschäf­ti­gungs­über­le­gun­gen spre­chen auch Über­le­gun­gen zur Ver­tei­lung der Arbeits­zeit und zu Gesund­heit für eine Arbeitszeitverkürzung.


Phil­ipp Poyn­t­ner ist Öko­nom am Insti­tut für Höhe­re Stu­di­en, Grup­pe Arbeits­markt und Sozi­al­po­li­tik und im BEIGEWUM aktiv.

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RVO „Österreich in der internationalisierten politischen Ökonomie“

25. Februar 2016 – 18:16 Uhr

Am Di den 8. März um 18:30 Uhr, im Hör­saal 23 Uni Wien, star­tet die Ring­vor­le­sung zur poli­ti­schen Öko­no­mie Öster­reichs. Eine Anmel­dung ist nicht erfor­der­lich (jedoch eine Prü­fungs­an­mel­dung zum Ende der LV). Somit ist die LV offen für alle die sich dafür inter­es­sie­ren und kurz­ent­schlos­se­ne kön­nen jeder­zeit und pro­blem­los an den ein­zel­nen Lesun­gen teilnehmen.

Die Ter­mi­ne sind HIER zu fin­den

Die RVO: Öster­reich in der inter­na­tio­na­li­sier­ten poli­ti­schen Öko­no­mie: Kon­ti­nui­tä­ten und Brü­che seit den 1990er-Jah­ren beschäf­tigt sich mit den Fragen:

Wie las­sen sich die Meta­mor­pho­sen der poli­ti­schen Öko­no­mie Öster­reichs vor dem Hin­ter­grund von Pro­zes­sen inten­si­vier­ter „Euro­päi­sie­rung“ und „Glo­ba­li­sie­rung“ ver­ste­hen? Wie haben sich wirt­schaft­li­che, poli­ti­sche und gesell­schaft­li­che Grund­struk­tu­ren ver­än­dert? Wel­che Kon­ti­nui­tä­ten und Brü­che des „Modell Öster­reich“ zei­gen sich in den letz­ten 20 Jah­ren ins­be­son­de­re auch im Gefol­ge des EU-Bei­tritts und der Finanz- und Wirt­schafts­kri­se 2008ff.? Was sind zen­tra­le Kräfte(-verhältnisse), die auf die Ver­än­de­run­gen der poli­ti­schen Öko­no­mie Öster­reichs ein­ge­wirkt haben? Wel­che Umbau­mo­men­te öster­rei­chi­scher Staat­lich­keit las­sen sich im Spie­gel die­ser Ent­wick­lun­gen in aus­ge­wähl­ten Poli­tik­be­rei­chen beob­ach­ten? Die­sen Fra­gen geht die Lehr­ver­an­stal­tung zur ver­tie­fen­den Dis­kus­si­on nach. Sie wid­met sich damit dem Ver­such einer kri­ti­schen Bilanz zen­tra­ler Ent­wick­lungs­li­ni­en in Poli­tik, Wirt­schaft und Gesellschaft.

Zu den Vor­tra­gen­den zäh­len u.a.: Joa­chim Becker, Ste­fan Ede­rer, Chris­ta Schla­ger, Jür­gen Schnei­der, Hele­ne Schu­berth, Jana Schult­heiss, Bet­ti­na Stad­ler, Emme­rich Tálos

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen fin­den sich unter: VL-Ver­zeich­nis Uni Wien

Die RVO basiert auf dem Buch „Poli­ti­sche Öko­no­mie Österreichs“


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Rezension: Politische Ökonomie Österreich

24. Februar 2016 – 11:03 Uhr

BEIGEWUM (Hg.): Poli­ti­sche Öko­no­mie Öster­reichs. Kon­ti­nui­tä­ten und Ver­än­de­rung seit dem EU-Bei­tritt. Wien: Man­del­baum Ver­lag 2015, 373 Seiten

Öster­reichs wirt­schaft­li­che, sozia­le und poli­ti­sche Gegen­wart und Geschich­te sind aufs Engs­te mit euro­päi­schen Ent­wick­lun­gen ver­wo­ben. 20 Jah­re EU-Bei­tritt stel­len einen wich­ti­gen äuße­ren Anlass zur Refle­xi­on dar. Dies umso mehr, als sich die Euro­päi­sche Uni­on wohl seit nun­mehr über sechs Jah­ren in einer tie­fen Kri­se befin­det, deren Über­win­dung noch nicht abseh­bar ist.

Der BEIGEWUM (Bei­rat für gesell­schafts- wirt­schafts- und umwelt­po­li­ti­sche Alter­na­ti­ven) hat sich der Her­aus­ga­be eines umfas­sen­den Wer­kes gestellt. Auch wenn der BEIGEWUM vie­len Lese­rIn­nen von Wirtschaft&Gesellschaft sicher­lich bekannt ist, so soll der Voll­stän­dig hal­ber doch fest­ge­hal­ten wer­den, dass die­ser Ver­ein von Sozi­al­wis­sen­schaf­te­rIn­nen aus unter­schied­li­chen Dis­zi­pli­nen getra­gen wird. Seit sei­ner Grün­dung 1985 trägt er regel­mä­ßig dazu bei, dass kri­ti­sche For­schungs­tä­tig­kei­ten in lau­fen­de poli­ti­sche Debat­ten ein­ge­bracht wer­den. Über die vier­tel­jähr­lich erschei­nen­de Zeit­schrift Kurs­wech­sel, zahl­rei­che Buch­pu­bli­ka­tio­nen und damit ver­bun­de­ne Ver­an­stal­tung wird dies umge­setzt. Der vor­lie­gen­de aktu­el­le Sam­mel­band zum 20-Jäh­ri­gen „EU-Bei­tritts­ju­bi­lä­um“ stellt den Ver­such dar, eine mög­lichst umfas­sen­de Dar­stel­lung der wirt­schaft­li­chen, gesell­schaft­li­chen, sozia­len und poli­ti­schen Ent­wick­lun­gen in Öster­reich vor­zu­neh­men. Im Zuge der tra­di­tio­nell inter­dis­zi­pli­nä­ren Her­an­ge­hens­wei­se, die vie­le BEI­GEWUM-Publi­ka­tio­nen aus­zeich­net, wird auch hier ver­sucht unter­schied­li­che mit ein­an­der ver­knüpf­te zen­tra­le Aspek­te dar­zu­stel­len. Das Buch stellt eine zeit­ge­schicht­lich ein­ge­bet­te­te Ana­ly­se des Sta­tus Quo dar. Damit wird auch gewis­ser Maßen der gemein­sa­me metho­di­scher Nen­ner der Bei­trä­ge im Buch deut­lich. Sie ver­su­chen die Gegen­wart aus der Ver­gan­gen­heit zu rekon­stru­ie­ren. Über­dies wird, wenn auch mit unter­schied­li­cher Schwer­punkt­set­zung, so doch meist ver­sucht öko­no­mi­sche und poli­ti­sche Ent­wick­lun­gen in ihrer intrinsi­schen Ver­knüp­fung zu behan­deln. Die „Poli­ti­sche Öko­no­mie Öster­reichs“ kann damit in der wei­te­ren Tra­di­ti­on polit­öko­no­mi­scher Per­spek­ti­ven ver­stan­den wer­den, wenn auch die ein­zel­nen AutorIn­nen sich viel­fach nicht unmit­tel­bar und expli­zit an spe­zi­fi­schen metho­di­schen Vor­gangs­wei­sen in der kri­ti­schen poli­ti­schen Öko­no­mie ori­en­tie­ren. Dafür bein­druckt der Band jedoch dadurch, dass es gelun­gen ist für die ein­zel­nen Bei­trä­ge und damit die abge­deck­ten Berei­che viel­fach „die“ aus­ge­wie­se­nen Fach­ex­per­tIn­nen zu gewin­nen. Dar­un­ter – wie sicher­lich nicht über­ra­schend – nicht nur zahl­rei­che AutorIn­nen aus dem uni­ver­si­tä­ren bzw. aka­de­mi­schen Umfeld, son­dern auch aus der Arbeiterkammer.

Wie soll nun das Unter­fan­gen einer Ana­ly­se und Dar­stel­lung der Poli­ti­schen Öko­no­mie Öster­reichs ange­gan­gen wer­den? Sind doch alle Berei­che und Dimen­sio­nen mit­ein­an­der ver­wo­ben. Im Buch wird dazu eine prag­ma­ti­sche Vor­gangs­wei­se gewählt: Auf­bau­end auf eine umfas­sen­de Ein­füh­rung durch das Team der Her­aus­ge­be­rIn­nen (Joa­chim Becker, Vale­rie Bösch, Roma­na Brait, Georg Feigl, Tobi­as Ori­sch­nig, Phil­ipp Poyn­t­ner, Jana Schult­heis) folg­ten den stär­ker Öko­no­mie-zen­trier­ten Ana­ly­sen im ers­ten Teil folgt ein eher poli­tik­wis­sen­schaft­lich-insti­tu­tio­nel­ler zwei­ter Teil.

Zu Beginn des ers­ten Teils steht eine Ana­ly­se des Akku­mu­la­ti­ons- und Ent­wick­lungs­mo­dells (Ste­fan Ede­rer, Engel­bert Stock­ham­mer, Pre­drag Ćet­ko­vić). Im Anschluss erfolgt die Ana­ly­se ein­zel­ner Wirt­schafts­sek­to­ren. Der Bogen spannt sich dabei von der Ent­wick­lung der Real­wirt­schaft und der Rol­le der Indus­trie­po­li­tik (Sil­via Ange­lo, Mar­kus Mar­ter­bau­er), über den Agrar­sek­tor (Irmi Sal­zer),  Öster­reichs Ban­ken (Chris­ti­na Wie­ser, Tho­mas Zot­ter), den Struk­tur­wan­del im kom­mer­zi­el­len Dienst­leis­tungs­sek­tor (San­dra Brei­tene­der) bis zu einem Über­blick zu den sozia­len Dienst­leis­tun­gen in Öster­reich (Karin Heit­zmann, August Öster­le, Astrid Pen­nerstor­fer). Der Abschluss die­ses Haupt­teils erfolgt durch eine sys­te­ma­ti­sche Ver­or­tung Öster­reichs zwi­schen Deutsch­land und Ost­eu­ro­pa (Joa­chim Becker, Fran­zis­ka Diss­l­ba­cher, Rudy Weis­sen­ba­cher), ergänzt um eine Ana­ly­se der Regio­nal­ent­wick­lung in Öster­reich (Chris­ti­an Rei­ner, Hel­mut Gas­s­ler, Sascha Sardadvar).

Der zwei­ten Haupt­teil des Sam­mel­ban­des beginnt mit einer Ana­ly­se der umfas­sen­den Ver­än­de­run­gen aber auch Kon­ti­nui­tä­ten im Aus­tro-Kor­po­ra­tis­mus (Eme­rich Tálos). Damit ver­knüpft erfolgt die Unter­su­chung wei­te­rer für die öster­rei­chi­schen Ent­wick­lun­gen rele­van­ter Poli­tik­fel­der. Auch wenn die Poli­tik und insti­tu­tio­nel­le Aus­ge­stal­tung der EZB von Öster­reich weit­ge­hend unbe­ein­flusst erfolgt, so hat sie doch wich­ti­ge Aus­wir­kun­gen auf das Land und wird ent­spre­chend im Band ana­ly­siert (Eli­sa­beth Blaha). Einen wei­te­ren zen­tra­len Eck­punkt stellt die Ana­ly­se der Ver­än­de­rung der natio­na­len Bud­get­po­li­tik im Kon­text von Euro­päi­sie­rung und Neo­li­be­ra­li­sie­rung dar (Georg Feigl, Chris­ta Schla­ger). In der Fol­ge wer­den die sozi­al­po­li­ti­schen Ent­wick­lun­gen (Chris­ti­ne May­r­hu­ber), die Ver­än­de­run­gen in der Beschäf­ti­gungs­po­li­tik (Susan­ne Per­ni­cka, Bet­ti­na Stad­ler), die durch Euro­päi­sie­rung gekenn­zeich­ne­te Migra­ti­ons­po­li­tik (Ilker Ataç, Chrs­tioph Reinprecht), die EU-Gleich­stel­lungs­po­li­tik und die Situa­ti­on der Frau­en (Katha­ri­na Mader, Jana Schult­heiss, Edith Walt­ner) und schließ­lich die Ener­gie­po­li­tik ana­ly­siert (Jür­gen Schnei­der, Han­na Simons, Tobi­as Orischnig).

Im drit­ten und letz­ten Teil­ab­schnitt des Buches wird die Fra­ge nach den Gewin­ne­rIn­nen und Ver­lie­re­rIn­nen gestellt. Der ers­te Bei­trag unter­nimmt dabei den Ver­such einer Sozi­al­struk­tur­ana­ly­se (Ste­fan Angel). Der zwei­te und abschlie­ßen­de Text zeigt deut­lich, wie sich die Ver­tei­lung von Ein­kom­men und Ver­mö­gen hin zuguns­ten der Rei­che­ren, d.h. zu Kapi­tal aber auch zu hohen Arbeits­ein­kom­men (Stich­wort: Mana­ge­rIn­nen­ge­häl­ter) ver­scho­ben hat (Wil­fried Alt­zin­ger, Mathi­as Moser, Mat­thi­as Schnet­zer). Wer die Gewin­ne­rIn­nen und wer die Ver­lie­re­rIn­nen in Öster­reich seit dem EU-Bei­trag waren, wird damit sehr ein­drucks­voll dar­ge­stellt. Wenn es im Band auch gelingt die ent­spre­chen­den Inter­es­sen die­ser Poli­tik ein­deu­tig zu benen­nen, so wäre eine noch detail­lier­te Ana­ly­se der kon­kre­ten inner­ös­ter­rei­chi­schen Herr­schafts- und Durch­set­zungs­stra­te­gien, die zu die­sen Ent­wick­lun­gen geführt haben, sicher­lich auch für die Lese­rIn­nen von Inter­es­se. Die­se Leer­stel­le mag wohl aber auch Aus­druck dafür sein, dass die­se kon­kre­ten Zusam­men­hän­ge und Mecha­nis­men gene­rell weni­ger erforscht wer­den. Den­noch darf nicht ver­ges­sen wer­den, dass – wie im Band auch deut­lich dar­ge­stellt – Öster­reichs Ent­wick­lung wesent­lich von euro­päi­schen Pro­zes­sen abhängt. Die Bilanz der letz­ten 20 Jah­re seit dem EU-Bei­tritt fällt daher durch­wach­sen aus. Die Kri­se in Euro­pa ist und bleibt (für abseh­ba­re Zeit) das bestim­men­de Moment. Eine pro­gres­si­ve Lösung im Sin­ne aller euro­päi­scher Arbeit­neh­me­rIn­nen ist auf EU-Ebe­ne nicht in Sicht. Der Aus­blick – auch für Öster­reich – bleibt daher ent­spre­chend getrübt.

Ins­ge­samt bie­tet der Sam­mel­band eine aus­ge­spro­chen gelun­gen, sehr gut ver­ständ­li­chen und mit aus­sa­ge­kräf­ti­gem empi­ri­schem Mate­ri­al ver­se­he­nen brei­ten und fun­dier­ten Über­blick über die zen­tra­len Ver­än­de­run­gen der öko­no­mi­schen, poli­ti­schen und gesell­schaft­li­chen Ent­wick­lung der letz­ten 20 Jah­re. Er eig­net sich daher nicht nur vor­züg­lich als äußerst kurz­wei­li­ger und auf­schluss­rei­cher Lese­stoff, son­dern soll­te auch in kei­ner (wenn auch noch so beschei­de­nen) Biblio­thek fehlen.

Johan­nes Jäger


Das Buch kann hier bestellt wer­den

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Lesestoff für das Jahresende: Kurswechsel 4/15 „Klasse – Klassismus – Klassenkampf“

23. Dezember 2015 – 11:20 Uhr

bell hooks trat im Jahr 2000 mit „whe­re we stand: class mat­ters“ für das Zusam­men­den­ken von Ras­sis­men und Sexis­men mit der Klas­sen­frage ein. Ihr Anlie­gen blieb nicht unbe­merkt: Das Kon­zept „Klas­se“ erlebt ein Come­back. Anläss­lich der Kon­junk­tu­ren der Klas­sen­dis­kus­sion legen wir den Fokus auf Klas­sis­mus und grei­fen die aktu­el­len Debat­ten rund um die Klas­sen­frage auf.


Zum Inhalts­ver­zeich­nis inklu­si­ve down­load­ba­ren Arti­keln geht es hier.

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Eine andere Wirtschaftspolitik – für Spanien und Europa

19. Dezember 2015 – 12:01 Uhr

Am 20. Dezem­ber fin­den in Spa­ni­en Par­la­ments­wah­len statt. Eines der Haupt­the­men ist die Wirt­schaft, ins­be­son­de­re die Fra­ge, wie sich die nach wie vor über 20 Pro­zent lie­gen­de Arbeits­lo­sen­ra­te redu­zie­ren lässt, gut bezahl­te hoch­wer­ti­ge Arbeits­plät­ze geschaf­fen wer­den kön­nen und wie der Sozi­al­staat nach Jah­ren der Aus­teri­täts­po­li­tik wie­der gestärkt wer­den kann. Auch wenn die letz­ten Umfra­gen für ein lin­kes Pro­jekt nicht sehr viel­ver­spre­chend sind, so kann mit dem Ein­zug von PODEMOS ins Par­la­ment eine alter­na­ti­ve Wirt­schafts­po­li­tik for­ciert werden.

Ein neu­es Ent­wick­lungs­mo­dell für Spa­ni­en ist uner­läss­lich. Im Mit­tel­punkt soll­ten die Schaf­fung qua­li­ta­ti­ver Arbeits­plät­ze, Pro­duk­ti­vi­täts­stei­ge­run­gen und die Sozi­al­staats­ent­wick­lung sein. Das ist – wie bereits vor dem Plat­zen der Immo­bi­li­en­bla­se – kei­ne öko­no­misch-tech­ni­sche Fra­ge, son­dern vor allem eine poli­ti­sche. Zen­tral ist dabei die Demo­kra­ti­sie­rung der Wirt­schaft, die wie­der eine ver­stärk­te Reinves­ti­ti­on der Gewin­ne erlau­ben würde.

Ein sol­ches Pro­jekt muss eine gesamt­heit­li­che Ant­wort auf die leid­vol­le sozia­le Rea­li­tät – ins­be­son­de­re in Form von Arbeits­lo­sig­keit, Ungleich­heit und wach­sen­der Armut – dar­stel­len. Das Wahl­er­geb­nis wird ent­schei­dend dafür sein, ob sich ein alter­na­ti­ves Ent­wick­lungs­mo­dell durch­set­zen kann, das auf den fol­gen­den sechs Eck­pfei­lern beruht.

6 Eckpfeiler eines neuen Produktivmodells

  1. Ein pro­gres­si­ves Steu­er­sys­tem, des­sen Gesamt­auf­kom­men zumin­dest den euro­päi­schen Durch­schnitt erreicht. Mit einer Abga­ben­quo­te von nur 38,6 Pro­zent des Brut­to­in­lands­pro­duk­tes blieb Spa­ni­en 2014 weit hin­ter der Euro­zo­ne mit einer Quo­te 46,8 Pro­zent zurück, von den Län­dern mit einem bes­ser ent­wi­ckel­ten Sozi­al­staat wie Öster­reich (50 Pro­zent) ganz zu schwei­gen. Dafür sind die Mit­tel der Finanz­be­hör­den für den Kampf gegen Steu­er­hin­ter­zie­hung eben­so zu erhö­hen wie die effek­ti­ven Steu­er­sät­ze auf Ver­mö­gen und hohe Ein­kom­men von Per­so­nen eben­so wie von Unter­neh­men. Die Alter­na­ti­ve, die die rech­ten Par­tei­en im Wahl­kampf vor­schla­gen, wür­de zu einer wei­te­ren Run­de an Spar­pa­ke­ten und Pri­va­ti­sie­run­gen öffent­li­cher Dienst­leis­tun­gen füh­ren, vor allem im Bil­dungs- und Gesundheitsbereich.
  2. Errich­tung einer öffent­li­chen Bank, die aus­rei­chend groß sein muss, um spür­bar posi­ti­ve Effek­te in der Gesamt­wirt­schaft aus­zu­lö­sen. Ihre Kre­dit­ver­ga­be muss sich vom pri­va­ten Sek­tor unter­schei­den, indem ver­stärkt öffent­li­che Infra­struk­tur bzw. Ein­rich­tun­gen und indus­trie­po­li­tisch rele­van­te lang­fris­ti­ge Unter­neh­mens­pro­jek­te finan­ziert wer­den. Zudem müs­sen die Zugangs­pro­ble­me zu Woh­nungs- und KMU-Kre­di­ten adres­siert wer­den. Was die durch Ret­tungs­ak­tio­nen bereits ver­staat­li­chen Ban­ken angeht – allen vor­an die mit euro­päi­schen Mit­teln gestütz­te Ban­kia –, gilt es zu ver­hin­dern, dass die­se neu­er­lich kom­plett pri­va­ti­siert werden.
  3. Moder­ni­sie­rung der Arbeits­be­zie­hun­gen durch Rück­nah­me der Arbeits­markt­re­for­men bei gleich­zei­ti­ger Stär­kung der Arbeit­neh­me­rIn­nen­rech­te, Aus­wei­tung der betrieb­li­chen Mit­be­stim­mung und ver­bes­ser­te Zusam­men­füh­rung von Pro­duk­ti­vi­täts- und Lohn­ent­wick­lung. Das Arbeits­recht muss wie­der den sozia­len Dia­log und die Kol­lek­tiv­ver­trags­ver­hand­lun­gen unter­stüt­zen anstatt sie zu unter­mi­nie­ren, wie das in den letz­ten Jah­ren der Fall war.
  4. Neue Infra­struk­tur und Tech­no­lo­gien sind durch eine ambi­tio­nier­te För­de­rung von For­schung, Ent­wick­lung und Inno­va­ti­on vor­an­zu­trei­ben. Der Umstieg auf das Trans­port­mit­tel mit der höchs­ten Ener­gie­ef­fi­zi­enz – also die Bahn – ist eben­so zu för­dern wie der Güter­trans­port per Fracht­schiff sowie die Nah­ver­kehrs­mit­tel in den städ­ti­schen Zen­tren. Zudem ist eine moder­ne Pro­duk­ti­ons­in­fra­struk­tur zu unter­stüt­zen, bei­spiels­wei­se durch Glas­fa­ser­ka­bel­net­ze und Wasserentsalzungsanlagen.
    In Bezug auf die Ener­gie­po­li­tik müs­sen erneu­er­ba­re Ener­gien unter­stützt wer­den, sodass die Han­dels­bi­lanz ver­bes­sert und damit die Aus­lands­ver­schul­dung redu­ziert wer­den kann. Es war nicht die Lohn­ent­wick­lung, die das außen­wirt­schaft­li­che Ungleich­ge­wicht der spa­ni­schen Wirt­schaft ver­ur­sach­te, son­dern die hohe Ener­gie­ab­hän­gig­keit. Im Jahr 2013 betru­gen die Öl- und Treib­stoff­im­por­te 5,5 Pro­zent des Bruttoinlandsproduktes.
  5. Eine Wohn­po­li­tik, die ver­stärkt auf Ver­mie­tung abzielt. Dafür ist es not­wen­dig, die SAREB (die spa­ni­sche „bad bank“ für Immo­bi­li­en) in eine öffent­li­che Wohn­bau­ge­sell­schaft umzu­wan­deln, die einen Groß­teil ihres Immo­bi­li­en­be­sit­zes unter sozia­len Gesichts­punk­ten ver­mie­tet. Um Per­so­nen zu unter­stüt­zen, die in Schwie­rig­kei­ten bei der Bedie­nung ihrer Hypo­the­kar­schul­den kom­men, ist eine öffent­li­che Ein­heit ähn­lich der unter Roo­se­velt 1933 geschaf­fe­nen „Home Owners Loan Cor­po­ra­ti­on“ zu grün­den, die die Posi­ti­on der Schuld­ne­rIn­nen stär­ken soll.
  6. Ein Not­fall­plan gegen Armut und sozia­le Aus­gren­zung, bis die Arbeits­lo­sig­keit sowie die Ein­kom­men das Vor­kri­sen­ni­veau wie­der erreicht haben. Ein sol­cher Plan soll­te vor allem ein gesetz­lich garan­tier­tes Min­dest­ein­kom­men, die Besei­ti­gung der Kin­der­ar­mut und einen Abbau der Lang­zeit­ar­beits­lo­sig­keit umfas­sen (bereits 3,5 Mil­lio­nen Men­schen sind min­des­tens ein Jahr arbeitslos).

Änderungen auf europäischer Ebene notwendig

Ob sich das Pro­duk­tiv­mo­dell Spa­ni­ens ändern lässt, hängt wesent­lich von der euro­päi­schen Ebe­ne ab. Die not­wen­di­ge Rück­ge­win­nung demo­kra­ti­scher Spiel­räu­me wird nicht durch Rück­schrit­te im euro­päi­schen Inte­gra­ti­ons­pro­zess mög­lich wer­den, son­dern durch des­sen Ver­tie­fung. Um das Ver­trau­en der Men­schen in die EU zurück­zu­ge­win­nen, braucht es gera­de eine Abkehr vom aktu­el­len wirt­schafts­po­li­ti­schen Kurs. Ins­be­son­de­re braucht es auch auf die­ser Ebe­ne Maß­nah­men zur Schaf­fung von Beschäf­ti­gung, bei­spiels­wei­se durch den EGB-Plan für Inves­ti­tio­nen und die Stär­kung der Sozialstaates.

Die Kri­se hat auch gezeigt, dass der EU die not­wen­di­gen Insti­tu­tio­nen und Werk­zeu­ge feh­len, um die Kri­se zu bekämp­fen. Die­se struk­tu­rel­len Pro­ble­me gilt es zu kor­ri­gie­ren, etwa durch eine koor­di­nier­te Lohn­po­li­tik zur Stär­kung der Ein­kom­men, ein nen­nens­wer­tes EU-Bud­get, eine euro­päi­sche Steu­er­be­hör­de zur Ver­mei­dung von Steu­er­dum­ping zwi­schen den Mit­glieds­staa­ten und einen Sozi­al­pakt. Auch wenn die neu­en Maß­nah­men der Euro­päi­schen Zen­tral­bank den Euro­staa­ten hel­fen, so blei­ben sie unzu­rei­chend, um auf abseh­ba­re Zeit wie­der das Beschäf­ti­gungs- und Wohl­stands­ni­veau vor der Kri­se zu erreichen.

Es braucht einen Plan zur Restruk­tu­rie­rung und/​oder Neu­ver­hand­lung der öffent­li­chen Schul­den auf euro­päi­scher Ebe­ne. Neben einer Ver­rin­ge­rung der aktu­ell zu leis­ten­den Zins­zah­lun­gen muss ein sol­cher Mecha­nis­mus auch eine Ver­teue­rung bei der zukünf­ti­gen Schul­den­auf­nah­me ver­hin­dern, die die wirt­schaft­li­che Erho­lung erst recht gefähr­den wür­de. Eine Ver­ge­mein­schaf­tung der öffent­li­chen Schul­den auf euro­päi­scher Ebe­ne mit­tels Euro­bonds oder durch die EZB im Aus­maß von bis zu 60 Pro­zent des BIP sowie die Kop­pe­lung der Zah­lun­gen an die Wirt­schafts­leis­tung könn­te eine sol­che Teue­rung ver­hin­dern. Auch soll­te eine gol­de­ne Inves­ti­ti­ons­re­gel ein­ge­führt wer­den. Das bedeu­tet, dass der auf öffent­li­che Inves­ti­tio­nen zur För­de­rung der wirt­schaft­li­chen Erho­lung zurück­zu­füh­ren­de Teil der Neu­ver­schul­dung beim EU-Defi­zit­ver­fah­ren her­aus­ge­rech­net wird.

Ange­sichts der weit über­durch­schnitt­li­chen Arbeits­lo­sig­keit und des unter­ent­wi­ckel­ten Wohl­fahrts­staats kommt Spa­ni­en für einen wirt­schafts­po­li­ti­schen Rich­tungs­wech­sel eine beson­ders rele­van­te Rol­le in Euro­pa zu.


Die­ser Text wur­de über­setzt und über­ar­bei­tet von Georg Feigl und ist ange­lehnt an das Schluss­ka­pi­tel des gemein­sam mit Sant­ia­go Díaz de Sar­ral­de her­aus­ge­ge­be­nen Buches „Una pro­pu­es­ta pro­gre­sis­ta para salir de la cri­sis“ („Ein pro­gres­si­ver Vor­schlag aus der Kri­se“, PDF auf Spa­nisch), der auf dem Mosa­ik-Blog erst­ver­öf­fent­licht wurde.

Bru­no Est­ra­da, Öko­nom in Madrid, arbei­tet als wirt­schafts­po­li­ti­scher Bera­ter des Vor­sit­zen­den des größ­ten spa­ni­schen Gewerk­schafts­ver­ban­des (Comi­sio­nes Obre­ras) und enga­giert sich u.a. bei Eco­no­Nues­tra, unse­rer „Schwes­ter­or­ga­ni­sa­ti­on“ in Spa­ni­en, der Grup­pe Eco­no­mis­tas fren­te a la cri­sis sowie im inter­na­tio­na­len Wirt­schafts­bei­rat von PODEMOS.

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Wende oder Ende? Die spanischen Wahlen als Schlüssel für eine andere europäische Wirtschaftspolitik

7. Dezember 2015 – 12:38 Uhr

Don­ners­tag, 10. Dezem­ber, 18:30 Uhr /​/​ Uni­ver­si­tät Wien, Hör­saal 31


Podi­ums­dis­kus­si­on mit:

Bru­no Est­ra­da (Öko­no­mi­scher Bera­ter des Vor­sit­zen­den der spa­ni­schen Gewerk­schaft CCOO, aktiv bei Eco­no­nues­tra und Bera­ter lin­ker Parteien)

Georg Feigl (BEIGEWUM und AK Wien)

Lisa Mit­ten­drein (ATTAC)

Tobi­as Zor­tea (Spa­ni­en ent­schei­det; angefragt)


Mode­ra­ti­on: Roma­na Brait (BEIGEWUM)


Bis zur Inter­ven­ti­on durch die Euro­päi­sche Zen­tral­bank hieß es, die Kri­se in Euro­pa wür­de vor allem in Spa­ni­en ent­schie­den, des­sen Öko­no­mie dop­pelt so groß ist wie jene Grie­chen­lands, Irlands, Por­tu­gals und Zypern zusam­men. Aus­teri­täts­po­li­tik und Lohn­druck führ­ten zu einem Anstieg der Arbeits­lo­sig­keit auf über 25 %, zu Ein­schnit­ten in den Sozi­al­staat und einer Zunah­me der sozia­len und poli­ti­schen Span­nun­gen. Mit dem Auf­kom­men der Pro­test­be­we­gung 15M bzw. der neu­en Links­par­tei „PODEMOS“ kehr­te Hoff­nung auf Ver­än­de­rung zurück. Nicht zuletzt als Reak­ti­on auf die­se Ent­wick­lung kam es bereits zu einer rela­tiv unbe­merk­ten Abschwä­chung der Spar- und Wett­be­werbs­po­li­tik, die recht­zei­tig vor den Wah­len eine wirt­schaft­li­che Erho­lung ermöglichte.

Das euro­päi­sche Regel­kor­sett sieht aller­dings kei­nen wei­te­ren Hand­lungs­spiel­raum für fis­kal­po­li­ti­sche Impul­se, eine Reindus­tria­li­sie­rung und eine bin­nen­zen­trier­te Ent­wick­lung als Eck­pfei­ler einer alter­na­ti­ven Wirt­schafts­po­li­tik vor. Dau­er­haf­te Mas­sen­ar­beits­lo­sig­keit, schlech­te Jobs, asym­me­tri­sche sozia­le Bezie­hun­gen und eine ungüns­ti­ge Wirt­schafts­struk­tur wären die Folge.

Wel­che öko­no­mi­schen, sozia­len und poli­ti­schen Per­spek­ti­ven erge­ben sich für Spa­ni­en nach den Wah­len? Kann die spa­ni­sche Lin­ke eine brei­te (Regierungs-)Koalition zustan­de brin­gen, und was wür­de das für ein neo­li­be­ral domi­nier­tes Euro­pa bedeuten?


Eine Ver­an­stal­tung des BEIGEWUM in Koope­ra­ti­on mit ATTAC, Spa­ni­en ent­schei­det und dem Insti­tut für Poli­tik­wis­sen­schaf­ten der Uni­ver­si­tät Wien.

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„Mythen des Reichtums“ bei den Kritischen Literaturtagen Salzburg 2015

3. Dezember 2015 – 9:15 Uhr

Frei­tag, 4. Dezem­ber, 14:00 Uhr

ARGE­kul­tur Salz­burg, Studio

Buch­prä­sen­ta­ti­on mit Mar­tin Schenk


VSA Ver­lag – BEIGEWUM/​Armutskonferenz/​Attac (Hrsg.)

Mythen des Reich­tums“
Reich­tum – wann ist viel zu viel? Ver­mö­gen in Öster­reich und Euro­pa – und wie nimmt die­sen Reich­tum die Bevöl­ke­rung wahr?



Das gan­ze Pro­gramm der Kri­ti­schen Lite­ra­tur­ta­ge Salz­burg hier.

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„Spielräume für eine progressive Wirtschaftspolitik?“ – 30 Jahre BEIGEWUM

22. Oktober 2015 – 17:24 Uhr

Don­ners­tag, 12. Novem­ber, 19:00 Uhr

Kul­tur­zen­trum & Café 7*Stern (Sie­ben­stern­gas­se 31, 1070 Wien)


Anläss­lich des 30-jäh­ri­gen Bestehens des BEI­GEWUMs soll die Fra­ge nach mög­li­chen Spiel­räu­men für eine pro­gres­si­ve Wirt­schafts­po­li­tik aus den Blick­win­keln unter­schied­li­cher Zeit­pe­ri­oden betrach­tet wer­den: vom Anstieg der Arbeits­lo­sig­keit, einem begin­nen­den Abschied vom „Aus­tro­keyne­sia­nis­mus“ und dem wach­sen­den Bewusst­sein von öko­lo­gi­schen Kri­sen in den 1980er Jah­ren, über Dis­kus­sio­nen zum EU-Bei­tritt und der Wirt­schafts­po­li­tik unter Schwarz-Blau bis zur gegen­wär­ti­gen Finanz- und Wirt­schafts­kri­se. Fest steht, dass sich in den ver­gan­ge­nen 30 Jah­ren die ökono­mi­schen, gesell­schaft­li­chen und poli­ti­schen Zustän­de ver­än­dert haben – und mit ihnen auch das Selbst­ver­ständ­nis und die Auf­ga­ben des BEIGEWUM.

BEI­GEWUM-Akti­ve aus ver­schie­de­nen Zeit­ab­schnit­ten dis­ku­tie­ren über mar­kan­te (poli­ti­sche) Ver­än­de­run­gen in der jün­ge­ren öster­rei­chi­schen Ver­gan­gen­heit bis zur Gegen­wart und wel­chen Ein­fluss die­se auf kri­ti­sche Poli­tik sowie Par­ti­zi­pa­ti­on hat­ten und haben.


Podi­um: BEI­GEWUM-Akti­ve aus ver­schie­de­nen Zeitabschnitten:

Wil­li Alt­zin­ger, Beat Weber, Chris­ta Schla­ger und Jana Schultheiss

Mode­ra­tion: Roma­na Brait


Danach laden wir zu einem gemüt­li­chen Bei­sam­men­sein der Gene­ra­tio­nen ein.

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