Kurswechsel für ein gutes Leben
Der neue Kurswechsel 2/214 ist da! Das Editorial und das Debattenforum können hier online gelesen werden, der Kurswechsel kann hier bestellt werden.
Aus dem Editorial:
„Nach sechs Jahren „muddling through“ ist der Misserfolg der europäischen Krisenlösungsstrategie, die vorrangig auf Austerität, Arbeitsmarktflexibilisierung, weitere Exportorientierung außerhalb der EU und Umverteilung nach oben setzt, offensichtlich. Das im Vertrag von Lissabon formulierte Versprechen einer „nachhaltigen Entwicklung Europas“, die auf „Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt“, wirkt zunehmend unglaubwürdig. Die über 25 Millionen Arbeitslosen und 125 Millionen von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Menschen – jeweils um einige Millionen mehr als vor der Krise – lassen die realen Verschlechterung deutlich zu Tage treten. Gleichzeitig bleiben drängende Umweltprobleme, wie insbesondere der Klimawandel, nach wie vor ungelöst. Weniger klar ist jedoch der Weg zu geeigneten Alternativen: Wie können soziale und ökologische Probleme gemeinsam gelöst werden? Ist lediglich ein höheres Wirtschaftswachstum notwendig, um die derzeitigen Probleme zu lösen? Ließe es sich überhaupt wieder erreichen? Oder braucht es eine radikale Wende, um ein besseres Leben für alle zu ermöglichen? Diese Fragen waren Ausgangspunkt für eine Serie von vier Veranstaltungen unter dem Titel dieser Ausgabe des Kurswechsels, die im vergangenen Jahr von AK Wien und Grüner Bildungswerkstatt in Kooperation mit dem BEIGEWUM, der zivilgesellschaftlichen Allianz, „Wege aus der Krise“, ATTAC, der Katholischen ArbeitnehmerInnen-Bewegung, dem Mattersburger Kreis für Entwicklungspolitik und der Initiative „Europa geht anders“ organisiert wurde. Die gemeinsame Basis bildete die Suche nach einem überzeugenden sozial-ökologischen Transformationsprojekt in Europa, das auf ein möglichst gutes Leben für möglichst viele Menschen abzielt. Nicht die Aneinanderreihung der altbekannten „keynesianischen“ und „wachstumskritischen“ Positionen, sondern eine produktive Synthese der Interpretation der europäischen Krise aus einer ökologischen und einer sozialen Perspektive sollte erreicht werden.“
Das Debattenforum (hier online verfügbar) beschäftigt sich schließlich mit dem TTIP, dem immer weitere Kreise ziehenden Transatlantischen Freihandels- und Investitionsschutzabkommen zwischen der EU und den USA.
Die Zukunft der EU?: EUROMEMO online
Wohin geht die EU? Stehen die Zeichen weiter auf Stagnation und verschärfte Polarisierung? Oder gelingt der Kurswechsel? Diesen Fragen ging die 20. EUROMEMO-Konferenz für alternative Wirtschaftspolitik Ende September nach. Die Dokumentation der sechs Workshops findet sich hier – die Inputs der über 80 TeilnehmerInnen widmeten sich sowohl „klassischen“ Baustellen wie z.B. der fortgesetzten Entdemokratisierung der EU-Wirtschafts- und Fiskalpolitik als auch neueren Flaggschiffprojekten wie dem dem EU-USA Freihandelsabkommen „TTIP“. Die Diskussionen in Rom sind direkt in die Vorbereitung der Publikation des EUROMEMOS 2015 übergangen. Die Veröffentlichung dieser jährlichen Analysen und Politikempfehlungen zur EU-Entwicklung ist für Dezember in Aussicht gestellt.
Soziale Proteste in der Krise
Die EU ist derzeit mit der schlimmsten wirtschaftlichen und sozialen Krise ihrer Geschichte konfrontiert. Soziale Ungleichheiten, Arbeitslosigkeit und Armut nehmen vor allem in den süd- und osteuropäischen Ländern Europas stark zu. Die neoliberale EU-Krisenpolitik, bei der versucht wird die Krise vorwiegend über Einsparungen, das Herabsetzen von sozialen Standards und Privatisierungen zu bewältigen, trägt ihr Übriges dazu bei die soziale Krise in Europa weiter zu verschärfen. In vielen europäischen Ländern wehren sich jedoch (große) Teile der Bevölkerung gegen diese EU-Krisenpolitik. Europaweit bekannt sind etwa die Indignad@s in Spanien, die Streikbewegungen in Griechenland oder das Protestbündnis Blockupy. Die Protestierenden fordern einen Wandel in der Wirtschafts- und Sozialpolitik sowie den Aufbau eines anderen, also eines sozialeren und eines demokratischeren Europas.
„Economics of Inequality“
Am nächsten Wochenende (30./31.5.2014) findet an der WU Wien die Jahreskonferenz der Nationalökonomischen Gesellschaft (NOeG) zum Thema „Economics of Inequality“ statt.
Die drei Plenarveranstaltungen sind frei zugängig für alle; das gesamte wissenschaftliche Programm ist frei zugängig für Studenten (Voranmeldung notwendig: http://www.wu.ac.at/economics/vw-zentrum/events/economicsofinequality).
Das genaue Programm findet sich unter:
http://www2.wu.ac.at/noeg2014/
Die Kurzfassungen der beiden Keynote Lectures von Sir T. Atkinson und G. Corneo finden sich in der Wr. Ztg. von morgen:
Feministische Perspektiven auf die Ökonomie und ihre Krisen. Buch- und Kurswechsel-Präsentation Feministische Ökonomie
Zeit: Mittwoch, 11. Juni 2014, 19.00 Uhr
Ort: TC.0.01 (Teaching Center), Wirtschaftsuniversität Wien, Welthandelsplatz 1, 1020 Wien
Mit: Bettina Haidinger, Käthe Knittler, Katharina Mader und Christa Schlager
Moderation: Alyssa Schneebaum
Die herrschende Wirtschaftstheorie und ‑politik sowie wesentliche ökonomische Kennzahlen werden als geschlechtsneutral präsentiert. Hinter diesen scheinbar neutralen Zahlen und Konzepten verstecken sich jedoch geschlechtliche Ungleichheiten, Herrschafts- und Ausbeutungsstrukturen werden verdeckt. Feministische Ökonomie deckt diese blinden Flecken auf, übt Kritik an den herrschenden Mainstream‑, aber auch heterodoxen Ökonomiesträngen und entwickelt Gegenmodelle. Gerade im Zuge der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise wurde die Mainstream-Ökonomie aus unterschiedlichsten Perspektiven kritisiert, trotz methodologischer und politökonomischer Schwachstellen sowie ideologischer Einseitigkeit hat sie ihren Status als „herrschende“ Lehre aber weiterhin behaupten können. Wirtschafts- und Finanzexpertentum hat nicht an Macht und Einfluss verloren, im Gegenteil, kaum je zuvor war es medial und politisch so präsent wie in den letzten Jahren. Macht- und herrschaftskritische Zugänge wären daher für die Analyse der gegenwärtigen multiplen Krise und die Krisenbewältigung zentral, kommen aber viel zu kurz. Der Kurswechsel und das Buch stellen Widerstandsstrategien, Alternativen und Utopien jenseits des Mainstreams vor.
Eine Veranstaltung von BEIGEWUM, VrauWL und VW Zentrum
Europa spaltet sich. Die Notwendigkeit für radikale Alternativen zur gegenwärtigen EU-Politik. Präsentation des EuroMemorandum 2014
Donnerstag, 22. Mai 2014, 18.00 – 20.00 Uhr, C3-Centrum für Internationale Entwicklung, Sensengasse 3, 1090 Wien
Programm:
Eröffnung: Jana Schultheiss, BEIGEWUM
Präsentation des EuroMemorandums 2014: „Europa spaltet sich. Die Notwendigkeit für radikale Alternativen zur gegenwärtigen EU-Politik“
Trevor Evans, Koordinator der EuroMemo Gruppe & HWR Berlin
Diskussionsrunde mit:
Trevor Evans, EuroMemo Gruppe & Hochschule für Wirtschaft & Recht, Berlin
Andrés Musacchio, Fachhochschule Mainz und Universidad de Buenos Aires, Argentinien
Elisabeth Springler, Fachhochschule des bfi Wien (angefragt)
Moderation: Werner Raza, ÖFSE
Ausklang bei Getränken und Snacks; Anmeldung bitte an: i.pumpler@oefse.at
Eine Veranstaltung des BEIGEWUM, der ÖFSE und der Wirtschaftspolitischen Akademie
Die Europäische Union (EU) beginnt sich von der Rezession zu erholen, doch in Teilen Europas herrschen Depressions-ähnliche Zustände. Die Arbeitslosigkeit in den peripheren Ländern der Eurozone ist sehr hoch und es sieht nicht danach aus, dass sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt in naher Zukunft verbessern wird. Die harten Sparmaßnahmen führten zu einer starken sozialen Polarisierung und einer industriellen Umstrukturierung in Europa: die wirtschaftliche Position von Deutschland und den Staaten im Norden Europas hat sich verbessert, während Produktionskapazitäten in Südeuropa abgebaut werden. Im Laufe der Krise verschob sich auch die Einkommensverteilung. Die Reallöhne sind in den meisten Ländern außerhalb der Eurozone, genauso wie in der Peripherie der Eurozone und in vielen Ländern Osteuropas gesunken. Gleichzeitig hat sich das hierarchische Machtgefüge zwischen den Mitgliedstaaten durch die gestärkte Position Deutschlands und einiger anderer Länder im Norden Europas weiter zugespitzt. Den geschwächten südlichen Ländern Europas werden weite Bereiche ihrer Wirtschaftspolitik schlicht von Brüssel vorgegeben. Das Vorgehen der EU-Kommission ist weiterhin von einem schweren Demokratiedefizit und einem Mangel an Transparenz gekennzeichnet.
Wenige Tage vor der Wahl zum Europäischen Parlament stellt sich daher umso dringlicher die Frage, welche alternative Politik es braucht, um die strukturelle Krise der Europäischen Union zu überwinden. Das seit 1997 jährlich von der EuroMemo-Gruppe (www.euromemo.eu) herausgegebene EuroMemorandum bietet eine kritische Analyse der wirtschaftlichen und politischen Situation der Europäischen Union. Es macht Vorschläge für ein anderes Europa, das auf den Prinzipien der demokratischen Teilhabe, der sozialen Gerechtigkeit und der ökologischen Nachhaltigkeit aufbaut.
Die niedrige Inflation Euroraum – Ein wirtschaftspolitisches Dilemma
Die niedrigen Inflationsraten in der Peripherie[1] sind ein wirtschaftspolitisches Dilemma für Europa. Einerseits gelten sie als notwendiger Bestandteil der Anpassungen im Euroraum, andererseits besteht die Möglichkeit einer deflationären Spirale in diesen Volkswirtschaften. Der vorliegende Beitrag diskutiert und quantifiziert die wesentlichen Kanäle, und diskutiert Argumente für eine höhere Inflationsrate in Deutschland. Diese würde die notwendigen Anpassungen in der Peripherie erleichtern und die Gefahr einer deflationären Spirale in diesen Ländern minimieren. Eine Erhöhung des Inflationsziels der Europäischen Zentralbank (EZB) ist dazu nicht notwendig.
Seit Mitte 2012 geht der Anstieg des harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) in der Mehrzahl der 17 Mitgliedsländer des Euroraums[2] kontinuierlich zurück. Einige sind bereits in die Deflation abgerutscht. Die Entwicklung hat im Wesentlichen zwei Ursachen: Erstens, negative Basiseffekte bei den volatilen Komponenten[3] der Inflationsrate. Und zweitens, einen merklichen Rückgang der Kerninflation (der Preisanstiege für Dienstleistungen und nicht-energetische Industriegüter) infolge einer durchwegs schwachen wirtschaftlichen Entwicklung in diesem Zeitraum.
Die niedrige Inflation in den peripheren Volkswirtschaften stellt die europäische Wirtschaftspolitik vor ein Problem. Einerseits, so wird häufig argumentiert, ist die Korrektur der überhöhten Inflationsraten der Peripherie von vor der Krise ein notwendiger Bestandteil der Anpassungen im Euroraum[4], andererseits besteht dadurch die Gefahr einer deflationären Spirale (siehe Abbildung oben). Niedrige Inflationsraten und ‑erwartungen führen – über höhere Realzinsen und über unerwartet hohe Realschulden – zu sinkender Nachfrage, die wiederum – ceteris paribus – zu einer niedrigeren Inflation beiträgt. In einem rezenten Blog-Beitrag hat Olivier Blanchard die Möglichkeit einer deflationären Spirale im Euroraum als eine der zwei wesentlichen Risiken für den weltwirtschaftlichen Ausblick des Internationalen Währungsfonds (IWF) bezeichnet. Auch wenn zum gegebenen Zeitpunkt die langfristigen Inflationserwartungen (gemessen als die durchschnittliche Inflation über 5 Jahre in 5 Jahren) für den gesamten Euroraum gut verankert scheinen, so sollte die Geldpolitik dennoch wachsam sein.
Betrachten wir die einzelnen Kanäle im Detail. Die Realzinsen (Abbildungen oben) ergeben sich als Differenz aus Nominalzinsen[5] und erwarteter Inflation[6]. Im Euroraum-Durchschnitt liegen sie im Dezember 2013 bei ca. 1%. Abbildung 2 macht die Heterogenität innerhalb des Euroraums deutlich. Während die griechischen Unternehmen und Haushalte mit Realzinsen von ca. 4% rechnen müssen, sind die Realzinsen für einige Mitgliedsländer sogar negativ (u.a. für Österreich). Die relativ stärker gesunkenen Inflationserwartungen in der Peripherie sind ein wesentlicher Grund für die sichtbare Heterogenität. Während die geldpolitische Lockerung seit 2008 in allen Ländern zu niedrigeren Nominalzinsen geführt hat, haben die stark gesunkenen Inflationserwartungen in der Peripherie diesen Rückgang abgeschwächt, in Griechenland sogar umgekehrt. Die Realzinsen im Euroraum waren im Dezember 2013 ca. 2 pp niedriger als noch Anfang 2008, jene in Griechenland um ca. 2 pp höher.
Als zweiten Kanal betrachten wir den Effekt der Inflationserwartungen auf die reale Verschuldung, auch Fisher-Effekt genannt (siehe Abbildung oben). Dazu vergleichen wir den Barwert zweier fiktiver Kreditkontrakte, eine verbreitete Methode in diesem Zusammenhang. Beide Kontrakte werden im Jänner 2008 abgeschlossen und sind im Dezember 2013 endfällig zu tilgen (Laufzeit 6 Jahre), die Nominale beträgt 100 Euro und der Zinssatz ist fix. Der erste Barwert basiert auf der erwarteten Inflation zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses und berechnet sich wie folgt:
BW1=N/(1+i‑infe),
wobei BW1 gleich Barwert 1, N gleich der Nominale, i gleich dem Nominalzins und infe gleich der erwarteten Inflation zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses (also der durchschnittlichen Inflationsrate der letzten 24 Monate). Der zweite Barwert berechnet sich beinahe identisch, in der obigen Formel ist lediglich infe durch inf (der tatsächlichen Inflation zwischen Jänner 2008 und Dezember 2013) zu ersetzen. Wir vergleichen also den Barwert eines Kreditkontraktes auf Basis der erwarteten Inflation mit jenem auf Basis der tatsächlichen Inflation. Ist letztere geringer als erwartet erhöht sich der Barwert entsprechend. Die positive Differenz zwischen BW1-BW2 misst diese reale Aufwertung der Verschuldung. Der Effekt ist vergleichbar mit dem realen Anstieg eines Fremdwährungskredits infolge der Aufwertung der Fremdwährung gegenüber der eigenen Währung. Die Berechnungen zeigen, dass auch hier die Peripherie negativ betroffen ist, was insbesondere wegen der erhöhten privaten Verschuldung dort problematisch erscheint. Die Werte stellen aber sicher eine obere Grenze dar: Erstens, ca. 50% aller Unternehmens- und Haushaltskredite im Euroraum sind variabel verzinst (der Fisher-Effekt ist zwangsläufig kleiner). Und zweitens, die Inflationserwartungen in der Peripherie haben sich seit Anfang 2008 verringert (später abgeschlossene Kontrakte sind daher weniger von der realen Aufwertung betroffen).
Das hier beschriebene Dilemma ist vielfach diskutiert worden. Als Ausweg wird meist eine (temporäre) Erhöhung des EZB-Inflationsziels vorgeschlagen (Schmitt-Grohé und Uribe, 2013). Dabei wird vergessen, dass das gültige Inflationsziel an sich genug Spielraum bietet um das Dilemma zu lösen (Pisani-Ferry und Merler, 2012). Die Frage ist, ob und wie man es erfüllt?[7] Obige Abbildung vergleicht die Beiträge der einzelnen Länder und Ländergruppen zur Inflationsrate im Euroraum auf Basis der Ländergewichte im harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) im Jahr 2013. Das Prinzip dieser Gewichte ist einfach: Je größer der Anteil eines Landes an den gesamten Konsumausgaben des Euroraums, desto größer sein Gewicht[8]. Wenn jedes der 17 Mitgliedsländer das Inflationsziel von 2% erreichen würde, dann ergeben sich die relativen Anteile des SOLL-Szenarios aus diesen Gewichten (ganz links abgebildet). In diesem Fall erreicht der Euroraum sein Inflationsziel von 2% und jedes Land leistet einen (vor den Gewichten) gleichen Beitrag. Im Durchschnitt von 1999 bis 2008 (WAR-Szenario) wurde das Inflationsziel überschritten (teils durch positive Schocks bei den volatilen Komponenten und teils durch einen überproportional hohen Beitrag der Peripherie geg. dem SOLL-Szenario), im Durchschnitt von 2009 bis 2013 (IST-Szenario) wurde das Inflationsziel unterschritten. Alle Länder bzw. Ländergruppen trugen dazu bei. Auffallend ist auch, dass Deutschlands Beitrag seit 1999 im Durchschnitt unter seinem Soll lag (das sind ca. 0.1 Prozentpunkte pro Jahr bzw. 1.5 Prozentpunkte kumuliert über 15 Jahre). Wären die deutschen Verbraucherpreise seit 1999 mit der Zielinflation gewachsen, wäre das Preisniveau heute (2013) gut 7% höher. Das ist eine beträchtliche Inflationslücke, die sich in den letzten Jahren noch weiter vergrößert hat.
Unter diesen Voraussetzungen hat die Peripherie wenig Spielraum, die notwendigen Korrekturen vorzunehmen, ohne in eine deflationäre Spirale zu geraten. Der Schlüssel zur Lösung des Dilemmas ist die deutsche Binnennachfrage. Ein stärkeres, von der Binnennachfrage getragenes BIP-Wachstum in Europas größter Volkswirtschaft führt – über den bekannten Zusammenhang der Phillips-Kurve[9] – auch zu einer höheren Inflationsrate im Euroraum. Erste Vorschläge dazu gibt es bereits. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) etwa empfiehlt zusätzliche öffentliche Investitionen in den Bereichen Energie, Verkehrsinfrastruktur und Bildung (DIW 2013). Auch die Macroeconomic Imbalance Procedure (MIP) der Europäischen Kommission (EK) fordert Maßnahmen zur Stärkung der Binnennachfrage. Die Schlüsselrolle wird der Lohnpolitik zukommen. Über ihren Einfluss auf den privaten Konsum und die Produktionskosten wirkt sie doppelt auf die Inflationsrate. Die gute Beschäftigungssituation 2013 erlaubte Tarifabschlüsse von durchschnittlich über 3% (WSI 2014). Für 2014 werden noch höhere Zuwächse erwartet.
Dominik Bernhofer, Oesterreichische Nationalbank (OeNB)
[1] IE, EL, PT, IT, ES, SI, CY.
[2] Seit 01.01.2014 ist Lettland das 18. Mitglied des Euroraums. Ob der kurzen Zeitspanne wird es in unseren Überlegungen und Berechnungen aber noch nicht berücksichtigt.
[3] Preise für Energie und unverarbeitete Lebensmittel.
[4] Ein schwächeres Wachstum von Löhnen, Gewinnen und Preisen drosselt die Importnachfrage, erhöht die preisliche Wettbewerbsfähigkeit (was wiederum die Exportnachfrage aus dem Ausland verstärkt) und reduziert damit die außen-wirtschaftlichen Defizite. Das Argument setzt eine relativ höhere Inflationsrate bei den Handelspartnern der Peripherie voraus.
[5] Wir verwenden den composite cost of borrowing Indikator der EZB, der die typischen Nominalzinsen für kurz- und langfristige Unternehmens- und Haushaltskredite pro Mitgliedsland ermittelt.
[6] Wir berechnen die Inflationserwartungen als die durchschnittliche Inflationsrate der letzten 24 Monate (adaptive Erwartungen). Um einer etwaig höheren Persistenz dieser Erwartungen Rechnung zu tragen, wurden die Berechnungen auch mit 48 Monaten durchgeführt. Die Ergebnisse bleiben im Wesentlichen unverändert.
[7] Dabei ist zu berücksichtigen, dass das EZB-Inflationsziel von knapp unter 2% mittelfristig zu erreichen ist.
[8] Anteil Deutschland: 26.2%, Anteil Peripherie (IE, PT, EL, ES, IT, SI und CY): 38.8%, Anteil Rest: 35.0%.
[9] Sie beschreibt den Zusammenhang zwischen (der Veränderung der) Inflationsrate und der Arbeitslosigkeit.
Die Zukunft Europas: Kurswechsel für ein gutes Leben?
Mo, 5. Mai 2014, 18 Uhr, AK Bildungszentrum, großer Saal, Theresianumgasse 16–18, Wien
Abschließender 4. Teil der gleichnamigen Veranstaltungsserie gemeinsam mit AK Wien, Grüner Bildungswerkstatt und anderen. Diesmal am Podium:
Barbara Blaha (Leiterin Momentum Kongress)
Martin Allespach (IG Metall)
Maxime Combes (Attac Frankreich)
Moderation: Robert Misik (Falter, Standard, taz)
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Plätze sichern! Zur ReOrganisierung der Linken in der Krise – Montag, 28. April um 18:30
Seit 2011 hat in Europa und den USA mit den „Empörten“ und „Occupy Wall Street“ ein neuer Bewegungszyklus eingesetzt. Unbeindruckt davon setzen die Regierungen ihre Politik des neoliberalen Autoritarismus fort.
Doch die Bewegungen haben Lehren gezogen: unter anderem in den USA, Spanien oder Griechenland sind Prozesse der Re-Organisierung zu beobachten, die die gesamte gesellschaftliche Linke erfassen. Wie sehen diese Prozesse aus und welche Herausforderungen bestehen für eine Linke in Österreich und Deutschland?
Ein Abend mit Mario Candeias und Eva Völpel, Autor_innen des Buches „Plätze sichern! ReOrganisierung der Linken in der Krise. Zur Lernfähigkeit des Mosaiks in den USA, Spanien und Griechenland“ (www.vsa-verlag.de/nc/detail/artikel/plaetze-sichern)
Moderation: Lukas Oberndorfer, Arbeitskreis kritische Europaforschung (www.ake.akg-online.org)
Eine Veranstaltung in Kooperation mit: Institut für Politikwissenschaften der Uni Wien, Beigewum, Attac Österreich, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Solidarity4all Vienna,Juventud Sin Futuro / Marea Granate Viena, Das Literaturbuffet, StV Politikwissenschaften und juridikum. zeitschrift für kritik – recht – gesellschaft
Ort: Hörsaal II (Erdgeschoss), Neues Institutsgebäude (NIG) der Universität Wien
Von Lateinamerika lernen: Binnen- statt Exportorientierung? – 3. Teil der Veranstaltungsreihe „Die Zukunft Europas: Kurswechsel für ein gutes Leben?“
Mo, 31. März 2014, 18 Uhr, AK Bildungszentrum, großer Saal, Theresianumgasse 16–18, Wien
Marcio Pochmann (Fundação Perseu Abramo – politische Bildungseinrichtung der brasilianischen Arbeiterpartei)
Özlem Onaran (University of Greenwich) und
Oliver Prausmüller (AK Wien)
im Gespräch mit Monika Kalcsics (Journalistin, Ö1)
„Seit dem Krisenbeginn 2008 lassen sich auch in Europa Prozesse ungleicher Entwicklung beobachten, die noch bis vor kurzem als Entwicklungsmerkmale peripherer Staaten galten. Politiken und Theorien, die vermeintlich der „Dritten Welt“ vorbehalten schienen, finden nun auch in Europa Anwendung, insbesondere in Form von Export- und Wettbewerbsorientierung bei gleichzeitiger Senkung von Lohn‑, Umwelt- und Sozialstandards im Inland. Damit werden aber auch alternative Ansätze bzw. Modelle, die ungleiche räumliche Entwicklungsdynamiken untersuchen und überwinden wollen, für die europäische Zentrum-Peripherie-Struktur attraktiv. Zum anderen basieren mehrere gelebte Entwicklungsmodelle in lateinamerikanischen Ländern des vergangenen Jahrzehnts auf einer Ausweitung des exportorientierten Extraktivismus und einer moderaten Umverteilungspolitik mit steigenden Reallöhnen, besseren Bildungs- und Beschäftigungschancen sowie ausgeweiteten sozialen Sicherungssystemen. Selbst diese – vielfach als unzureichend kritisierte und ökologisch durchaus problematische – Politik genügte, um die jeweiligen nationalen Binnenmärkte krisensicherer zu machen als in Europa. Können diese Strategien, oder Teilaspekte dieser Strategien Teil von Lösungsansätzen für Europa sein?“
http://media.arbeiterkammer.at/PDF/Gutes_Leben_fuer_alle.pdf