Buchvorstellung „Mythen des Sparens“ 10.01. Innsbruck
Wir freuen uns, dass unser neues Buch „Mythen des Sparens“ (zu bestellen hier: http://www.vsa-verlag.de/…/artikel/mythen-des-sparen/) nun auch in Innsbruck präsentiert wird.
Jana Schultheiss und Tobias Orischnig vom AutorInnenkollektiv diskutieren unter der Moderation von Günter Mayr über die Bedeutung und Konstruktion von Sparmythen.
Freitag 10. Jänner 2014
19 Uhr – Buchhandlung Wiederin
Erlerstraße 6, 6020 Innsbruck
Mythos: „Europa muss Deutsch lernen“
„Deutschland hat sich in eine Richtung orientiert, von der alle europäischen Länder profitieren könnten – vorausschauend, weltoffen und konzentriert auf Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität”, so EZB-Präsident Mario Draghi im November 2013. An dem deutschen Musterschüler sollen sich nun andere Länder orientieren und die Reformen übernehmen.
Das scheinbare Erfolgsrezept für Wirtschaftswachstum und steigende Exporte: Lohnzurückhaltung, die Steuerreformen Anfang der 2000er Jahre sowie die Reformen der Agenda 2010, wie unter anderen die Hartz IV-Reform. Zwischen 2000 und 2007 stiegen die Leistungsbilanzüberschüsse stark an, von einem nahezu ausgeglichenen Außenbeitrag zu einem Überschuss von 7% (2011: 5,1%).
Sparen für die Wirtschaft: Runter mit Löhnen und Steuern
Ursachen für diese „positive“ Entwicklung waren jedoch nicht nur die gestiegenen Exporte. Sondern vor allem auch auch, dass durch die schwache inländische Nachfrage und die Zurückhaltung staatlicher Investitionen die Importe kaum gestiegen sind. Der Anstieg der Löhne in Deutschland blieb seit 2000 weit hinter jenem anderer EU-Mitgliedsstaaten zurück und die Reallöhne sanken. Auch flexiblere Regelungen für atypische Beschäftigungsverhältnisse wie geringfügige Beschäftigung oder Leiharbeit, die häufig schlechter entlohnt werden als Normalarbeitsverhältnisse, wurden erleichtert. Immer mehr Arbeiten werden, gerade im Handel, in schlechter bezahlte Tarifverträge ausgegliedert oder sind nicht mehr tarifgebunden. Mit dem Dienstleistungssektor oder dem Leiharbeitssektor wuchsen die Bereiche, in denen häufig niedrige Löhne bezahlt werden, besonders stark.
Im Jahr 2000 wurde von der deutschen Bundesregierung eine Steuerreform beschlossen, durch die unter anderem die Körperschaftssteuer gesenkt und der Spitzensteuersatz verringert wurde. Dadurch wurden höhere Einkommen entlastet und gleichzeitig Sozialausgaben eingespart, von denen vor allem niedrige Einkommen profitieren würden. Die Gesamteinnahmen des Staates gingen von 2001 bis 2005 von 46,2% des BIP im Jahr 2000 auf 43,6% zurück. Die Gesamtausgaben des Staates sind von rund 48% des BIPs vor den Reformen auf 45% im Jahr 2011 gesunken. Die Folgen waren deutlich: Sozialabbau, Einschränkung bei der Versorgung mit öffentlichen Gütern, Senken der öffentlichen Investitionen sowie der Abbau von Personal und Lohnzurückhaltung im öffentlichen Dienst. Durch niedrige staatliche Investitionen und eine gedämpfte Binnennachfrage war die Wirtschaft weniger gewachsen, als bei einer Binnenmarktorientierten Politik möglich hätte sein können.
Reformen und ihre Folgen
Im Rahmen der Hartz IV-Reformen wurden die Zumutbarkeitskriterien für das Arbeitslosengeld II geändert: Jede Arbeit ist zumutbar, egal ob sie geringfügig oder untertariflich bezahlt ist oder den Qualifikationen nicht entspricht, und muss daher angenommen werden. Die Zahl der Erwerbslosen ist nach den Reformen deutlich gesunken, ob sie dafür ursächlich waren ist jedoch wenig eindeutig, denn es kam gleichzeitig zu einem Wirtschaftsaufschwung.
Zu einem Wirtschaftsaufschwung, bei dem die Zahl der Working Poor stark anstieg: Im Jahr 2011 waren 30% der Arbeitslosengeld II-EmpfängerInnen in Deutschland erwerbstätig, 2007 waren es nur 23%. Sie mussten also, teilweise sogar trotz eines Vollzeit-Jobs, einen Teil ihres Einkommens an Arbeitslosengeld, „aufstocken“.
Der Anteil der Niedriglohnbeschäftigten stieg in den letzten 10 Jahren von knapp 18% auf über 22%. Damit liegt Deutschland unter den EU-15 Ländern an erster Stelle, knapp vor dem Vereinigten Königreich. 2010 arbeitete somit fast jedeR Vierte in Deutschland Beschäftigte zu einem Niedriglohn, bei Geringqualifizierten sogar mehr als die Hälfte.
Betroffen von niedrigem Lohn und prekärer Beschäftigung sind vor allem Frauen. 29% der beschäftigten Frauen erhalten nur einen Niedriglohn (im Vergleich zu 17% der Männer). Die Mehrheit der beschäftigten Frauen arbeitet in atypischen Beschäftigungsverhältnissen, wie Teilzeit oder Minijobs, und sie arbeiten häufiger in schlechter bezahlten Branchen und Berufen (Dienstleistung, Gesundheit etc.). In einzelnen Berufsgruppen arbeiten fast 90% in Niedriglohntätigkeiten.
Der niedrige Lohn führt aber nicht nur zu Armut trotz Arbeit, sondern bildet auch einen direkten Weg in die Altersarmut. Zusätzlich sinken die Steuereinnahmen – denn in der Regel fallen keine oder geringe Steuern an. Die niedrige Kaufkraft der GeringverdienerInnen dämpft dadurch auch den inländischen Konsum.
Fokus auf Exporte: Absatzmarkt am Mars
Durch die niedrigen Einkommen und die Sparmaßnahmen sinken der private Konsum und Investitionen. Drei Viertel des deutschen Wirtschaftswachstums der vergangenen Jahre sind den Exporten zuzuordnen, was negative Auswirkungen auf andere Staaten hat (vgl. Lehndorff 2012). Auch wenn seit kurzem die Löhne im vgl. zu anderen Staaten etwas stärker gestiegen sind, reicht dies noch lange nicht aus um die vorherige Entwicklung auszugleichen. Deutschland profitiert als Trittbrettfahrer von den Ländern, die aus Deutschland importieren und nutzt den eigenen Importspielraum nicht aus. Nun sollen auch andere Länder diese Politik umsetzen: Arbeitsmarktreformen, Flexibilisierung, Lohnzurückhaltung und Einsparungen bei den öffentlichen Ausgaben.
Woher soll das Wachstum aber kommen, wenn alle Staaten sparen und weder die eigenen Produkte kaufen noch importieren? Es müssen also schnell neue HandelspartnerInnen gefunden werden, die nichts gegen Leistungsbilanzdefizite haben – vielleicht auf dem Mars!
Mehr Staat statt mehr Sparen
Gerade in der Krise wurde deutlich, wie wichtig Sozialsysteme sind. Sie haben maßgeblich dazu beigetragen, dass die Wirtschaft nicht weiter eingebrochen ist, die Arbeitslosigkeit nicht weiter anstieg und die private Nachfrage nicht stärker zurückging. Konjunkturpakete trugen zusätzlich dazu bei, die Auswirkungen der Krise gering zu halten, gerade auch in Deutschland. Im Zuge der „Schuldenkrise“ sind die Wohlfahrtssysteme nun erneut unter Beschuss geraten. Um die Staatsschulden zu reduzieren, wird vor allem auf der Ausgabenseite gespart. Es werden Leistungen, Pensionen oder Löhne gekürzt, öffentliche Beschäftigung verringert, Arbeitsmarktregulierungen gelockert und weitere Privatisierungen durchgeführt; und immer weitere Sparmaßnahmen gefordert. Problem und Ausgangspunkt der Krise war nicht der Staat, sondern die wachsende Ungleichheit und der Finanzsektor. Nun werden die Staatsschulden als Möglichkeit genutzt den Staat weiter zurückzudrängen. Die Einsparungen haben einerseits negative Effekte auf Löhne, Nachfrage und damit auf das Wachstum, andererseits verstärken sie auf längere Frist die Ungleichgewichte in der Einkommens- und Vermögensverteilung. Und zusätzlich werden durch die Sparpolitik die Möglichkeiten verringert, weitere Krisen abzufangen.
Zur Bewältigung der aktuellen Krisen (wachsende Ungleichheit, Ungleichgewichte, Klimawandel; siehe Einleitung des Buches „Mythen des Sparens“) und deren Ursachen werden jedoch andere Lösungen gebraucht. Besonders Deutschland, aber auch Österreich und die Niederlande müssen jetzt bereit sein, mehr auszugeben, die Löhne zu erhöhen und die steigende Ungleichheit bekämpfen, anstatt auf Kosten anderer Staaten Außenhandelsüberschussrekorde zu sammeln.
Beim vorliegenden Beitrag handelt es sich um die gekürzte Version eines Kapitels aus dem Buch „Mythen des Sparens. Antizyklische Alternativen zur Schuldenbremse“. Dieses wurde 2013 vom BEIGEWUM herausgegeben und wendet sich an alle, die der Behauptung „Sparen sei das Gebot der Stunde“ fundierte Argumente entgegensetzen wollen. Es werden zentrale Mythen aus den Bereichen „Schulden“, „Sparen“ und der damit verbundenen EU-Politik kritisch hinterfragt und die dahinterstehenden Zusammenhänge erklärt. Das Buch ist im VSA-Verlag erschienen und kann hier bestellt werden: http://www.vsa-verlag.de/nc/detail/artikel/mythen-des-sparen/
Mythos: “Pensionen sind nicht mehr finanzierbar”
„Die Alterung der Gesellschaft führt zu steigenden Altersaufwendungen. Diese setzen die ohnehin angespannten öffentlichen Haushalte weiter unter Druck. Durch die hohen Altersaufwendungen fehlen auch Budgetmittel für die Zukunftsbereiche. Da die Renten- bzw. Pensionssysteme in Deutschland und Österreich ohnehin recht generös sind, ist die Sanierung der öffentlichen Haushalte durch deutlich verringerte Altersaufwendungen möglich.“
So oder so ähnlich klingt es, wenn in den OECD Staaten Pensionsreformen durchgeführt werden – und dies ist in den letzten 2 Jahrzehnten in allen Staaten passiert. Die Reformen verfolgten dabei das Ziel der Leistungskürzungen. Unterfüttert waren diese Leistungskürzungen mit drei Argumentationslinien – einer scheinbar explodierenden demografischen Entwicklung, einer zu Wettbewerbsnachteilen führenden Umlagefinanzierung sowie einer ausgleichenden Wirkung privater Vorsorgeleistung von Finanzmärkten.
Dem demografischen Argument kann entgegnet werden, dass lediglich quantitative, nicht jedoch qualitative Aspekte der Alterung berücksichtigt werden. Wesentliche Fragen wären aber z.B. haben Menschen im Alter wirklich Zugang zu den Leistungen? Wie hoch sind die tatsächlichen Leistungen? Wovon hängt die Zahl der Beschäftigten ab? Bedeuten steigende Beschäftigungsquoten auch tatsächlich steigende Renten- bzw. Pensionsbeiträge? All dies auszublenden ist lediglich politisch bequem, und hilfreich für die einseitige Produktion von Bildern.
Bezüglich der scheinbaren Wettbewerbsnachteile durch ein Umlagefinanziertes System kann festgestellt werden, dass der Pro-Kopf-Wohlstand in Europa weiterhin zunehmen wird, eine Sicherung der Alterssysteme ist daher trotz steigenden Anteils älterer Menschen ökonomisch nicht nur machbar sondern auch notwendig. Die bisher bewährten Systeme der Umlagefinanzierung sollen dazu weiter verstärkt werden, erreicht werden kann dies z.B. über die Einbindung von Nicht-Lohneinkommen in die Systemfinanzierung, oder auch mit Maßnahmen, die zu einer generellen Erhöhung der Lohnquote führen, wie etwa der Reduktion von Arbeitslosigkeit oder einer adäquate Lohnentwicklungen.
Schließlich bieten kapitalgedeckte Säulen der Alterssicherung keine Lösungen – sie sind zum einen mit hohen Kosten für SparerInnen verbunden, zum anderen hängt die Fähigkeit zur Privatvorsorge vom laufenden Einkommen ab.
So kann relativ rasch gesehen werden, dass ein zukunftstaugliches Alterssicherungssystem nicht durch die politisch propagierte Erhöhung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters bzw. Leistungskürzungen erreicht werden. Vielmehr braucht es vielschichtige Maßnahmen in den Bereichen der Wirtschafts‑, Arbeitsmarkt‑, Steuer- und Finanzpolitik zur Herstellung eines hochwertigen, verteilungsgerechten und nachhaltigen Alterssicherungssystems.
Beim vorliegenden Beitrag handelt es sich um die gekürzte Version eines Kapitels aus dem Buch „Mythen des Sparens. Antizyklische Alternativen zur Schuldenbremse“. Dieses wurde 2013 vom BEIGEWUM herausgegeben und wendet sich an alle, die der Behauptung „Sparen sei das Gebot der Stunde“ fundierte Argumente entgegensetzen wollen. Es werden zentrale Mythen aus den Bereichen „Schulden“, „Sparen“ und der damit verbundenen EU-Politik kritisch hinterfragt und die dahinterstehenden Zusammenhänge erklärt. Das Buch ist im VSA-Verlag erschienen und kann hier bestellt werden: http://www.vsa-verlag.de/nc/detail/artikel/mythen-des-sparen/
Mythos „Schulden sind böse – sparen ist gut“
„Die Staaten in Europa sind zu hoch verschuldet, auch in Deutschland und Österreich muss ein zentrales Ziel von Politik ein ausgeglichener Staatshaushalt sein. Wie im Privathaushalt soll das Vorbild für den Staat, z.B. nach der deutschen Bundeskanzlerin, „die schwäbische Hausfrau“ sein, die sich nur „leistet“, was sie sich auch leisten kann.“
Zahlreiche PolitikerInnen, viele ÖkonomInnen und die Medien fordern starke Sparmaßnahmen zur ausgabenseitigen Sanierung der öffentlichen Haushalte. Auffällig ist dabei, wie wenige ökonomische oder finanzpolitische Argumente in der Diskussion angeführt werden. Stattdessen wird stark moralisch argumentiert oder an das Gewissen der BürgerInnen appelliert.
Sind Schulden wirklich so böse?
Nein, prinzipiell handelt es sich um einen hartnäckigen Mythos und in der Argumentation werden einige Fehler gemacht. Ein Fehler ist Schulden bzw. die damit getätigten Ausgaben immer nur als Kosten zu betrachten. Hier ist dringend ein Umdenken gefordert, denn die Ausgaben sind auch Investitionen in Bildung, Infrastruktur, das Gesundheitssystem; kurz: in die Wohlfahrt der BürgerInnen. Der Verschuldung stehen auch Vermögenswerte (wie Straßen, Schulen, Krankenhäuser etc.) mit gesellschaftlichem Nutzen gegenüber.
Zudem ist der Staatshaushalt eben nicht mit dem Privathaushalt gleichzusetzen. Denn das Einkommen eines Staates ist nicht gesetzt – die Steuergesetzgebung ist Sache der Parlamente. Auch sind Staaten auf Dauer konzipiert und können deshalb bis in alle Ewigkeit Einkommen erzielen, aus denen die Schulden bedient werden können. Folglich müssen sie die Schulden nicht abbauen, sondern lediglich das langfristige Verhältnis zwischen Einkommen und Schuldendienst stabilisieren. Drittens ist der Staatshaushalt so groß, dass Veränderungen der Ausgaben und Einnahmen gesamtwirtschaftliche Auswirkungen haben. Sehr einfach dargestellt sinken bei großen Ausgabenkürzungen, etwa im Sozialbereich, die Einkommen der BürgerInnen (z.B. über das Kürzen der Sozialtransfers). Weniger Einkommen bedeutet, dass weniger konsumiert wird, die Nachfrage nach Produkten sinkt und die Unternehmen auf Dauer ihre Produktion reduzieren und ArbeitnehmerInnen entlassen. Folglich steigt die Arbeitslosigkeit und mehr Menschen sind auf Sozialtransfers (= Staatsausgaben) angewiesen und zahlen keine Steuern (= Staatseinnahmen) mehr. Letztendlich muss eine Ausgabenreduktion des Staates nicht unbedingt in niedrigeren Budgetdefiziten resultieren, da die Staatseinnahmen schneller sinken können als die Staatsausgaben. Dies ist im Privathaushalt nicht der Fall, da das Einkommen, der Lohn, gleich bleibt und bei einer Verringerung der Ausgaben tatsächlich gespart wird. Umgekehrt können höhere Staatsausgaben langfristig zum „Sparen“ führen. Welche ökonomischen Reaktionen auf eine Reduktion oder eine Ausweitung staatlicher Tätigkeit erfolgen, ist vom konkreten ökonomischen Umfeld abhängig.
Aber sind Schulden prinzipiell gut?
Nein, die Aufnahme von Schulden darf kein Selbstzweck sein. Entscheidend sind das ökonomische Umfeld, der Stand der Staatsverschuldung und der Spielraum bei der Erhöhung der Einnahmen bzw. beim Kürzen der Ausgaben. In vielen Fällen ist es besser, die Staatsausgaben durch laufende Einnahmen zu decken, da so keine Zinszahlungen fällig werden. Die Aufnahme von neuen Schulden muss gut durchdacht sein. Ein Bewertungskriterium hierfür liefert Corneo, der auf die Frage, wann ein Staat Schulden aufnehmen sollte, folgende Antwort gibt: „wenn für seine Bürger der Ertrag der damit finanzierten Maßnahmen (Steuersenkung, Transfererhöhung, Erhöhung des Staatskonsums oder der öffentlichen Investitionen) die Kosten der Verschuldung (Zinsen und Tilgung) übersteigt“. Oberstes Ziel muss sein, die Wohlfahrt zu maximieren. Corneo räumt ein, dass dies in der Praxis nicht immer einfach anzuwenden ist, da bspw. der Nutzen oft nur schwer in Geld bewertet werden und damit den Kosten direkt gegenübergestellt werden kann (Corneo 2009, 5). Dennoch ist diese Faustregel sicher hilfreicher als Schulden per se abzulehnen.
„Der Staat muss sparen.“
Auch dies ist häufig zu hören und mag zunächst einleuchtend klingen, denn wenn zu viel Geld ausgegeben wurde, muss eben gespart werden. Aber auch hier scheint es am ökonomischen Grundverständnis zu mangeln, denn grundsätzlich gilt: Das Sparen der Einen bedingt immer die Verschuldung der Anderen. Die Summe aller finanziellen Forderungen und Guthaben ist immer null. Das gleiche gilt für die Wirtschaftssektoren: private Haushalte, Unternehmen, Staat und Ausland. Das Sparen des einen Sektors bedingt die Verschuldung eines Anderen, die Verschuldungsbereitschaft ermöglicht erst das Sparen. In der Wirtschaftstheorie wird grob davon ausgegangen, dass die Haushalte in Summe mehr sparen als investieren, die Unternehmen investieren (=sich verschulden) und der Staat ausgleichend wirkt. Die Bilanz gegenüber dem Ausland sollte über die Jahre hinweg ausgeglichen sein. Die privaten Haushalte in Deutschland und Österreich sparen seit Jahren. Allerdings sparen derzeit auch die Unternehmen. In Deutschland haben sie in den vergangenen zehn Jahren lediglich 2003 und 2008 mehr investiert als gespart, in Österreich haben sie immerhin in drei der letzten zehn Jahre mehr gespart als investiert. Das überschüssige Geld ist dann oft am Finanzmarkt veranlagt worden. Wenn aber private Haushalte und Unternehmen sparen, dann bleiben nur der Staat und das Ausland als Schuldner, da sich die Sektoren immer zu Null addieren müssen. Für Deutschland zeigt sich eine enorme Verschuldung des Auslands, bei Österreich ist die Auslandsverschuldung eher gering, der Staat absorbiert hier die Mittel in größerem Ausmaß.
Wenn dies verstanden wird sind die politischen Forderungen aber absurd: GriechInnen, SpanierInnen, IrInnen etc. zu erklären, dass sie ihre Schulden schleunigst abbauen müssen, und gleichzeitig die Bedingungen für einen Abbau zu verunmöglichen, ist paradox und ökonomischer Unsinn.
Für das Ausland zeigt etwa Münchau auf, dass ein Leistungsbilanzüberschuss der Summe der Ersparnisse der privaten Haushalte und der Neuverschuldung des Staates entspricht. Die Leistungsbilanzen aller Länder weltweit addieren sich zu null, da jedem Export irgendwo ein Import gegenübersteht. Das bedeutet aber nach obiger Feststellung auch, dass sich die Überschüsse bzw. Defizite der privaten und öffentlichen Haushalte weltweit ebenfalls zu null addieren. Woraus gefolgert werden kann, dass weder alle Staaten ein Exportmodell verfolgen können, noch dass alle Staaten mehr sparen als investieren können.
Schuldenabbau – was steht wirklich hinter der Forderung?
Es wird schnell deutlich, dass hinter der Art der Argumente, die in der Schuldendiskussion angeführt werden, eine bestimmte Weltanschauung steht. Es geht darum, den Staat „auszuhungern“, denn weniger Mittel bedeuten auch reduzierte politische Handlungsmöglichkeiten. Die BürgerInnen sollen auf Sparmaßnahmen und Kürzungen vorbereitet werden. Der Staatshaushalt könnte zwar selbstverständlich auch über höhere Steuereinnahmen ausgeglichen werden, dies ist in der öffentlichen Diskussion aber nur selten zu hören. Auch wird kaum auf die immer weiter steigendenden Ungleichheiten zwischen „arm“ und „reich“ eingegangen. Ein Blick auf die Nettovermögen zeigt deutlich, dass die privaten Nettovermögen um ein Mehrfaches über den öffentlichen Schulden liegen. Die Debatte um die Staatsverschuldung erscheint damit in einem völlig anderen Licht. Denn dann geht es weniger um einen Schuldenabbau als um eine Umverteilung und Beteiligung von Menschen mit hohen Vermögen und Einkommen an der Finanzierung öffentlicher Ausgaben und des Sozialstaates.
Beim vorliegenden Beitrag handelt es sich um die gekürzte Version eines Kapitels aus dem Buch „Mythen des Sparens. Antizyklische Alternativen zur Schuldenbremse“. Dieses wurde 2013 vom BEIGEWUM herausgegeben und wendet sich an alle, die der Behauptung „Sparen sei das Gebot der Stunde“ fundierte Argumente entgegensetzen wollen. Es werden zentrale Mythen aus den Bereichen „Schulden“, „Sparen“ und der damit verbundenen EU-Politik kritisch hinterfragt und die dahinterstehenden Zusammenhänge erklärt. Das Buch ist im VSA-Verlag erschienen und kann hier bestellt werden: http://www.vsa-verlag.de/nc/detail/artikel/mythen-des-sparen/
Initiative „Erbschaften besteuern!“
Die Einführung einer Erbschaftssteuer ist ökonomisch sinnvoll und sozial gerecht! Petition unterzeichnen auf www.erbschaften-besteuern.at
Erbschaften sind in Österreich äußerst konzentriert: Wenige Menschen empfangen sehr große Hinterlassenschaften und werden damit ohne zu arbeiten reich. Seit der Abschaffung der Erbschaftssteuer im Jahr 2008 ist das niedrige Aufkommen aus vermögensbezogenen Steuern noch weiter gesunken.
Die Wiedereinführung einer Abgabe auf Erbschaften ist Voraussetzung für Gerechtigkeit, denn die soziale Herkunft darf nicht über die Zukunft der Menschen entscheiden. Wir brauchen die Erbschaftssteuer zum notwendigen Ausbau sozialer Dienstleistungen, um allen Kindern gute Bildungschancen zu geben und ein Altern in Würde für Alle zu ermöglichen.
Wir fordern deshalb die neue Bundesregierung auf, so rasch wie möglich eine Steuer auf Erbschaften und Schenkungen einzuführen.
Budgetloch: Wie sich rechte Think Tanks in der Öffentlichkeit breit machen und die Politik in die Bredouille bringen
Die Budgetdebatte, die in letzter Zeit gelaufen ist, lässt sich so zusammenfassen: Die PolitikerInnen, getrieben von ihren Ambitionen wiedergewählt zu werden, versprechen vor der Wahl das Blaue vom Himmel und verschweigen, dass sie dies niemals einlösen werden können. Die WirtschaftsexpertInnen hingegen, darunter ‚wirklich unabhängige‘, die von Industriellen und MilliardärInnen bezahlt werden, haben schon immer gewusst, dass Geld ausgeben immer schlecht ist, und der Staat niemals sparen kann und will. Denn er wird vom ‚bösen Wähler‘ verführt noch mehr Geld auszugeben. So schreibt etwa die rechte ‚Initiative pro Marktwirtschaft‘ vor der NR-Wahl: “Aber trotz bitterer Erfahrung scheint das ‘Geschenk-Gen‘ der Politiker so ausgeprägt zu sein, dass man es auch 2013 offenbar nicht lassen kann.“ (http://www.promarktwirtschaft.at/Brief10)
Und obwohl der rechte Think Tank ‚Agenda Austria‘ keinerlei Expertise in Sachen Budgetpolitik vorweisen kann, behauptet dessen Sprecher Franz Schellhorn vor einigen Tagen, es fehlten an die 40 Mrd. Euro im Staatshaushalt (http://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/1476433/Budgetloch_IV-fordert-strafrechtliche-Konsequenzen).
So stellt sich also die Debatte zu den öffentlichen Finanzen in Österreich im November 2013 dar.
Finanzkrise Grund des Budgetlochs
Wir befinden uns im fünften Jahr nach Ausbruch der – vom Finanzsektor ausgegangenen – Krise, die mit enormen finanziellen Einsatz der öffentlichen Hand abgefangen werden musste und Staaten wie StaatsbürgerInnen damit hohe Kosten aufgebürdet hat. Diese Kosten haben im Vergleich zur Vorperiode zu einem extremen Anstieg der öffentlichen Verschuldung geführt.
Keineswegs sind die Budgets wegen abwegiger Wünsche der Bevölkerung aus dem Ruder gelaufen. Ganz im Gegenteil: Es wurden seit Ausbruch der Krise in Österreich zwei Sparpakete beschlossen. Der Budgetvollzug war in den letzten Jahren strikter als der Voranschlag. Was heißt: Es wurde mehr gespart, als ursprünglich veranschlagt, in den letzten beiden Jahren um je über zwei Milliarden Euro.
Und wie sieht es mit der Unvernunft der PolitikerInnen aus? Die „maßlosen“ Versprechen, die da vor den Wahlen gegeben wurden: Ausbau der Kinderbetreuung (ein Luxusproblem?) oder steuerliche Entlastung der ArbeitnehmerInnen (Österreich hat im internationalen Vergleich eine sehr hohe Belastung der Arbeitseinkommen, wie selbst der IWF kritisiert)?
Sind Anliegen der BürgerInnen, die sie an die Politik haben, in einer Demokratie verwerflich? Ja, wenn man den rechten Think Tanks glaubt, die in Österreich wie Schwammerl aus dem Boden schießen. So meint Hans Pitlik, Wirtschaftsforscher und im Beirat der weis[s]en Wirtschaft: „Dass der Staat nicht von seiner „Sucht“ nach neuen Schulden loskommt, liege auch an den Wählern, (..). Sie führten die Politiker immer wieder in Versuchung, mehr auszugeben als sie einnehmen.“ (http://oe1.orf.at/artikel/357186)
Thinks Tanks bevölkern die Medienlandschaft
Die auftretenden Experten behaupten, sie seien vernünftige Ökonomen und unabhängig, weil sie ihr Geld von der Industriellenvereinigung und anonymen SpenderInnen (darunter mutmaßlich Milliardäre) nehmen und nicht von der öffentlichen Hand.
Viele Think Tanks betreiben damit heutzutage das Geschäft der LobbyistInnen, wie neue Forschungsergebnisse( http://thinktanknetworkresearch.net/blog_ttni_en/) zeigen. Es geht nicht mehr um Wissensproduktion, sondern um ‚Meinungsmarketing‘. Nachdem Lobbyismus in Verruf geraten ist, wird nun unter dem Deckmantel einer Denkfabrik weiter gemacht. Das Ziel rechter Denkfabriken ist es, den Staat, seine Träger und Institutionen unglaubwürdig zu machen und diese ob ihrer inhärenten „Verschwendungssucht“ zu denunzieren. Ihr Programm: Entdemokratisierung durch politische Entscheidungen auf ExpertInnen-Ebene, sowie ‚Automatismen‘ statt demokratischer Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse.
Wer macht die Regeln?
Hier geht es aber gegen die demokratische Verfasstheit unserer Gesellschaften, wenn das „Königsrecht“ unserer gewählten Legislativorgane, die Budgethoheit des Parlaments, in Frage gestellt wird. Die zentrale Frage ist: Macht eine ökonomischen Elite und deren Interessen verbundene Expertokratie die Regeln, oder demokratisch legitimierte Institutionen? Die Hayek’sche Wirtschaftregierung schaut schon um die Ecke, wenn dem Fiskalrat und der Bürokratie der Europäischen Kommission mittlerweile das Recht eingeräumt wird, die Budgets vorab zu prüfen und Verwarnungen auszusprechen.
Klarerweise soll damit die Politik damit nicht freigesprochen werden. Es gibt ein Versagen beim Handeln, ein Untätig sein gegen diese neoliberalen, autoritären Entwicklungen. Es liegt also auch ein Selbstverschulden der Politik vor. Auch erwähnt werden sollte das Versagen der unabhängigen und freien Presse, die bei diesem Spiel mitmacht, indem sie Statements von Think Tank-Vertretern unhinterfragt übernimmt.
Wenn politische Willensbildung durch ExpertInnenmeinung ersetzt wird, bewegen wir uns hin zum geflügelten Wort: ‚Wer das Geld hat, macht die Regeln‘. Denn Lobbyismus ist nicht gratis, und die Kräfteverhältnisse sind in diesem Bereich eindeutig auf Seiten der Vermögenden. Demgegenüber steht der Grundsatz der Demokratie: ‚Jede Stimme ist gleich viel wert‘. Diesen Pluralismus der Vielen und auch die Interessen der sozial Schwächeren gilt es zu verteidigen.
Christa Schlager ist Redakteurin der Zeitschrift Kurswechsel und seit 1997 im BEIGEWUM aktiv.
Diskussionsveranstaltung “Crisis and Social Protests in South East Europe: from Slovenia to Bulgaria”
Unter der Moderation von Joachim Becker (Kurswechsel Redaktion) diskutieren
Mariya Ivancheva (Visiting Fellow am IWM, Institut für die Wissenschaften vom Menschen) und
Blaž Gselman (DPU, Workers and Punks’ University, Ljubljana)
Dienstag, 19. November, 19:30
Alois Wagner Saal
C3 – Centrum für Internationale Entwicklung
Sensengasse 3, 1090 Wien
Noch immer heißt es offiziell oft, Osteuropa sei eine „Erfolgsgeschichte“. Gemeint sind hierbei meist die Osteuropa-Geschäfte österreichischer Banken und anderer Firmen. Doch gehört Südeuropa zu den Regionen, die von der Krise besonders stark betroffen sind. Und die starke Krise war in den vermeintlichen Erfolgsmodellen mit ihrer geringen Akzentsetzung bei den produktiven Sektoren und ihrer hohen Kreditabhängigkeit gelegt worden. Die Krise hat in verschiedenen südosteuropäischen Ländern – von Slowenien bis Bulgarien – soziale Protestbewegungen ausgelöst. In Slowenien gab es starke Proteste gegen die Sparpolitik, aber auch Korruptionsskandale, in Bulgarien waren starke Preiserhöhungen ausländischer Stromkonzerne im Kontext starker Verarmung großer Teile der Bevölkerung ein erster Auslöser von Protesten. In Rumänien setzt die Regierung verstärkt auf Bergbauproduktion – und gegen ein Goldbergbauprojekt mit starken ökologischen Folgen für die Region ging jüngst ein breites Protestspektrum auf die Straßen. Die Veranstaltung geht den jeweiligen Krisenverläufen, den unterschiedlichen sozialen Protesten, ihren TrägerInnen, Anliegen, Mobilisierungsstrategien, Erfolgen und Grenzen nach.
Veranstaltung in englischer Sprache, im Anschluss wird es ein kleines Buffet geben.
6. November 2013: Präsentation Kurswechsel 2/13 – „Social Entrepreneurship als Ausweg? Facetten sozialen Engagements von Unternehmen“
Präsentation Kurswechsel 2/13
„Social Entrepreneurship als Ausweg?
Facetten sozialen Engagements von Unternehmen“
Unter der Moderation von Dominik Sinnreich (Puls 4) diskutieren
Judith Pühringer (bdv austria, Bundesdachverband für Soziale Unternehmen),
Reinhard Millner (WU Wien) und
Anita Roitner (Ökonomin und Herausgeberin des aktuellen „Kurswechsel“)
Mittwoch, 6. November 2013, 18:30 Uhr
WU Campus Wien, Welthandelsplatz 1, 1020 Wien
Gebäude TC (Teaching Center, rost-orange), Raum 5.27 (5.Stock)
Im Schatten der Krise werden PolitikerInnen für ein vermeintliches Versagen des Staates verantwortlich gemacht, ihnen wird nicht zugetraut, passende Lösungen für die gegenwärtigen Probleme zu finden. Hingegen erfinden sich Unternehmen neu – mit Instrumenten wie Corporate Social Responsibility, sozialen Innovationen, oder sie verschreiben sich gleich in erster Linie einer sozialen Mission, wie die aufkommenden Social Entrepreneurs. Soll und kann die Verantwortung für gesellschaftspolitische Probleme an Unternehmen abgegeben werden? Wie ist das Phänomen der Social Entrepreneurs einzuschätzen, und welche Rolle spielt dabei die Europäische Union? Diese und weitere Fragen werden im aktuellen Kurswechsel „Social Entrepreneurship als Ausweg?“ diskutiert, und dienen als Grundlage für die Podiumsdiskussion am 6. November.
Der Kurswechsel kann hier bestellt werden.
27.11.2013: Dritte Reichtumskonferenz
Mittwoch, 27.11.2013, 9 bis 21 Uhr
AK Wien – Theresianumgasse 16–18; 1040 Wien
Die „3. Reichtumskonferenz – Wer das Gold hat, macht die Regeln“ rückt den die Gesellschaft spaltenden Reichtum in den Fokus.
Aus verschiedensten wissenschaftlichen und künstlerischen Perspektiven soll der Frage nach der Rechtfertigung von Vermögenskonzentration und sozialer Ungleichheit nachgegangen werden. Die Reichtumskonferenz wird sich philosophisch mit Gerechtigkeits- und Leistungsbegriffen auseinandersetzen, die empirische Vermögensforschung erörtern und die demokratischen Risiken von Reichtumskonzentration diskutieren.
organisiert von Arbeiterkammer Wien | Attac | BEIGEWUM | Die Armutskonferenz | Evangelische Akademie | Globale Verantwortung | Greenpeace | Katholische Sozialakademie | Österreichische HochschülerInnenschaft
Programm & Anmeldung hier
16.11.2013: Krisen-Metaphern-Workshop @ Alternative Medienakademie
Die Sprache der Krise – die Krise der Sprache
Analyse neoliberaler Metaphern
BEIGEWUM Workshop bei der Alternativen Medieanakademie in Wien
Wann: Sa, 16.11. von 14.30 bis 18.00
Wo: NIG, Inst.f.Politikwissenschaft, 2. Stock
Anmeldung: erforderlich, maximal 30 Teilnehmer_innen.
In diesem Workshop wird der Rolle von Sprach- und Bildpolitiken in der Krisenberichterstattung nachgegangen. Dafür bildet u.a. das aktuelle BEIGEWUM-Buch «Imagine Economy. Neoliberale Metaphern im wirtschaftspolitischen Diskurs» den Hintergrund. Es geht um Metaphern wie die der “Leistungsträger”, des “Exportweltmeister” oder um jene der “Schuldenbremse”, um die Analyse ihre Wirkung und die Möglichkeit der wirksamen Dekonstruktion solcher gezielt eingesetzten sprachlichen Kampfbegriffe.