2.2.12: Care Ökonomie Diskussion
„Investitionen in soziale Dienstleistungen zahlen sich aus. Care Ökonomie – unterschätztes Potential!“
Diskussion und Kurswechsel-Heftpräsentation mit Alban Knecht und Katharina Mader, Moderation: Julia Hofmann
Do, 2. Feber 2012, 18:00, im Republikanischen Club, Rockhgasse 1, 1010 Wien
Care-Krisen sind die „Zweitrundeneffekte“ von Wirtschaftskrisen. Fallen staatliche Sozialausgaben weg, sind unbezahlte Care-Tätigkeiten als soziale Airbags gefragt. Doch die Care Ökonomie muss als das begriffen werden, was sie ist – ein wachsender, aufstrebender Bereich, von dem alle profitieren. Alban Knecht und Katharina Mader diskutieren mit Julia Hofmann, warum sich Investitionen in soziale Dienstleistungen auszahlen, und stellen den aktuellen Kurswechsel vor, der auch vor Ort bezogen werden kann. Im Anschluss gemütlicher Ausklang mit Buffet.
The same procedure as every year: Eine Studiengebührendebatte
Die SPÖ scheint ein neues Hobby zu haben: Jedes Jahr vor Weihnachten wird die Debatte um Studiengebühren ausgepackt – eine Debatte, in der die SPÖ nur verlieren kann. Bereits letztes Jahr habe ich hier die Debatte in der Sozialdemokratie kommentiert. Dieses Mal geht es nun verstärkt um sogenannte nachgelagerte Studiengebühren. Die Idee ist, dass die Studierenden während des Studiums die Studiengebühren erlassen bekommen, um sie dann nach dem Studium abzubezahlen. Im Detail unterscheiden sich die Modelle dabei erheblich, wobei die Stellschrauben vor allem die Folgenden sind:
- Die Studiengebühren werden als fester Betrag als Schulden verbucht, also bspw. 1.000 Euro im Jahr. Nach dem Studium sind diese Schulden abzubezahlen.
- Die Studiengebühren werden nicht erhoben, sondern ein bestimmter Anteil des späteren Einkommens wird als Sondersteuer eingezogen. Die Höhe der Studiengebühren hängt also vom eigenen Einkommen ab.
- Die Schulden werden verzinst oder nicht.
- Es gibt eine zeitliche Begrenzung der Rückzahlung (etwa: zehn Jahre nach Studienabschluss) oder man bezahlt, so lange man Einkommen bezieht.
Allgemein wird in der Debatte gerne auf das australische Modell verwiesen, oft jedoch ohne genaue Kenntnisse des Modells. Auch diese Debatte ist keineswegs neu. Alle Modelle haben spezifische Probleme, aus ökonomischer Sicht sind die Fragen der Steuerungswirkung, der Rückzahlungssumme, des Verwaltungsaufwands und der Mitnahmeeffekte bei diesen Fragen zentral. Allerdings gibt es einige grundsätzliche Einwände gegen nachgelagerte Studiengebühren, die im Folgenden in aller Kürze benannt werden sollen. Eine ausführliche Darstellung und Kritik der Modelle findet man in einer Broschüre des deutschen Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren (ABS) als PDF.
Soziale Selektivität
Die Erhöhung von Preisen sorgt in der Regel für einen Rückgang der Nachfrage. Preise sind eine Selektionsinstrument, um die Verteilung von Gütern und Dienstleistungen zu regulieren, zum Zuge kommt, wer die entsprechende Zahlungsbereitschaft und Zahlungsfähigkeit aufweist. Deswegen sind Studiengebühren immer auch mit einer sozialen Selektivität verbunden. Dieses Selektivität soll nun dadurch vermieden werden, dass die Studiengebühren nicht direkt, sondern nachgelagert erhoben werden. Die Argumentation der Beführworter/innen solcher Modelle: Da die Gebühren nur bezahlt würden, wenn ein Einkommen vorhanden ist, sei eine Selektivität nicht gegeben. Diese Argumentation setzt einen Homo Oeconomicus voraus, der rational kalkulierend und vollständig informiert seine Entscheidungen treffen kann – das ist jedoch bekanntlich nicht der Fall. Wir wissen, dass die Frage der Herkunft einen entscheidenden Einfluss auf die Risikoaversion hat; und eine Verschuldung ist in der subjektiven Wahrnehmung immer mit einem Risiko verbunden. Und wir wissen, dass Menschen aus bildungsfernen Schichten die Kosten eines Studiums oft über‑, den Nutzen aber unterschätzen. Kurzum: Es spricht vieles dafür, dass die soziale Selektivität ggf. gemindert, jedoch nicht vermieden wird. Dafür sprechen auch die Erfahrungen aus Australien (siehe die oben verlinkte Broschüre). Die Verschiebung des Zahlungszeitpunktes ändert eben nichts an der Tatsache, dass bezahlt werden muss.
Gerechtigkeit
Zur Frage, ob Studiengebühren sozial Gerecht sind, hat Sonja Staack in diesem Beitrag eigentlich alles gesagt. Die Argumentation der Gebührenbefürworter/innen läuft im Kern darauf hinaus, dass diejenigen, die den Nutzen haben, auch die Kosten tragen sollen (siehe zu diesem Argument ausführlich uns lesenswert auch hier). Dabei wird einerseits die Frage ausgeblendet, wem ein Studium eigentlich nutzt. Sicher, der Studierende selbst hat hiervon etwas. Aber die Begründung öffentlicher Bildungseinrichtungen liegt gerade auch darin, dass es eben nicht um den persönlichen Nutzen geht, sondern um den gesellschaftlichen. Es ist im Zweifel so, dass der Patient mehr von einem gut ausgebildeten Arzt hat als der Arzt selbst. Dieses sehr plakative Beispiel lässt sich auf andere Bereiche übertragen. Zum zweiten wird die Frage ausgeblendet, wer den eigentlich einen Nutzengewinn hätte, wenn Studiengebühren eingeführt würden. Darunter leiden sicher nicht die Kinder aus gut verdienenden Elternhäusern. Im Gegenteil: Sollte die Studierneigung auf Grund der Gebühren sinken, dann würde das Angebot an AkademikerInnen auf dem Arbeitsmarkt sinken und diese somit höhere Löhne verhandeln können.
Richtig ist, dass das derzeitige System in Österreich nicht in ausreichendem Ausmaß die Verteilung des Sozialprodukts regelt. In der Tendenz werden die Reichen reicher und die Armen ärmer. Zudem müssen öffentliche Ausgaben auch refinanziert werden. Hierfür bedarf es eines gerechten Steuersystems. Warum dieses aber am Bildungsabschluss statt an der Leistungsfähigkeit anknüpfen soll bleibt das Geheimnis der Akademikersteuerfans.
Bildungsbegriff
Ein entscheidende Frage, was eigentlich der Sinn eines Studiums ist, fällt bei der Debatte um die Studiengebühren völlig hinten runter. Denn Studiengebühren – egal ob nachgelagert oder direkt bezahlt – verändern den Bildungsbegriff. Das Studium wird so zu einer Investition in das eigene Humankapital, der Return on Investment ist das später zu erzielende Einkommen. Das Ziel des Studiums ist also nicht Erkenntnisgewinn, Wahrheitssuche, Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschen oder ähnliches, sondern das Ziel des Studiums ist das spätere Einkommen. Darauf soll fokussiert werden (schon bei der Wahl des Studiengangs), das ist der zentrale Steuerungsansatz über Studiengebühren. Auch hier lohnt ein Blick nach Australien, wenn schon das dortiger Higher Education Contribution Scheme (HECS) gerne als Vorbild genannt wird: Hier sind die Studiengebühren in verschiedene Preiskategorien unterteilt. Besonders hoch sind die Gebühren aber nicht in den Fächern, die besonders teuer sind, sondern in den Fächern, in denen das erwartete Einkommen hoch ist. „Viel offensichtlicher ist, dass für diese Preisbildung die Antizipation künftiger Einkommenschancen nach Berufsgruppen Pate gestanden hat. Der Staat will hier offensichtlich potentielle ökonomische Verwertungsmöglichkeiten abbilden und auf Seiten der StudienplatzbewerberInnen eine indirekte sozialdarwinistische Vorselektion über die Risikowahrnehmung und ‑bereitschaft erzeugen. Damit wird hier die Studienentscheidung zu einer Investitionsentscheidung, sie wird nur noch unter ökonomischen Nützlichkeitskriterien betrachtet, die dann auch das individuelle Verhältnis zur Wissenschaft prägt“, heißt es dazu auf den NachDenkSeiten.
Einnahmen des Staates?
Die Debatte um nachgelagerte Studiengebühren wird extrem unehrlich geführt. Denn die Debatte ist in Österreich vor allem Folge der massiven Unterfinanzierung der Hochschulen. Dieses Problem soll partiell durch die Einnahmen aus den Studiengebühren gelöst werden. Wenn nun aber nachgelagerte Studiengebühren eingehoben werden sollen, die zudem erst ab einem bestimmte Einkommen greifen, dann hat der Staat zunächst einmal keine Einnahmen. Im Gegenteil: er müsste die Studiengebühren, die er in einigen Jahren vielleicht bei den Studierenden eintreibt heute den Hochschulen vorstrecken, er müsste also erhebliche Vorleistungen tätigen. Hinzu kommen die Zinsverluste bis zum nachgelagerten Bezahlen der Gebühren, die erheblichen Verwaltungskosten (man Denke nur an das Eintreiben bei säumigen Zahler/innen, die ggf. auch noch im Ausland leben) und die Implementierungskosten. Kurzum: Ob der Staat am Ende tatsächlich ein Plus macht hängt von der Höhe der Gebühren und den Rückzahlungsgrenzen ab. Je brutaler hier vorgegangen wird, desto eher gibt es auch Einnahmen. Das aber beißt sich mit den proklamierten Zielen der angeblichen sozialen Verträglichkeit. Auch hier lohnt der schonungslose Blick nach Australien.
Die Österreichische HochschülerInnenschaften hat die Debatte in einer Presseaussendung kommentiert. Darin wird deutlich, dass die ÖH nachgelagerte Studiengebühren ablehnt. Es gilt die Studierenden bei Ihren politischen Auseinandersetzungen zu unterstützen. Soziale Verträglichkeit auf die Frage der Kreditaufnahmemöglichkeit zu reduzieren jedenfalls ist fatal – und der Sozialdemokratie unwürdig.
Divided we stand – Why inequality keeps rising
Die Welt steht nicht mehr lange. Der Komet wird kommen. Wenn bereits die OECD, der neoliberale Fels in der Brandung, die steigende Ungleichheit beklagt, dann sind unsere Tage gezählt …
386 Seiten zur Ungleichheit im OECD-Raum: Heute stellt die OECD einen umfassenden Bericht zur Ungleichheit, zu ihren Ursachen und Handlungsmöglichkeiten vor. Im Pressetext heißt es dazu: „´Divided we stand´ geht den Ursachen steigender Ungleichheit auf den Grund. Die Studie widerlegt die Annahme, dass Wirtschaftswachstum automatisch allen Bevölkerungsgruppen zugutekommt und dass Ungleichheit soziale Mobilität fördert. ´Zunehmende Ungleichheit schwächt die Wirtschaftskraft eines Landes, sie gefährdet den sozialen Zusammenhalt und schafft politische Instabilität – aber sie ist nicht unausweichlich´, sagte OECD-Generalsekretär Angel Gurria [hat er am Vorabend getrunken?]. ´Wir brauchen eine umfassende Strategie für sozialverträgliches Wachstum, um diesem Trend Einhalt zu gebieten´.“
Wie gesagt, die Welt steht nicht mehr lange …
Der Bericht ist zu finden unter: http://dx.doi.org/10.1787/9789264119536-en
Weiteres Material zum Thema: www.oecd.org/els/social/inequality
Österreich ist ein Einwanderungs-, kein Gastarbeiterland. Zum ambivalenten Verhältnis von so genannten InländerInnen und so genannten AusländerInnen
Österreich ist ein Einwanderungsland! Daher sollte von ZuwanderInnen, nicht von GastarbeiterInnen gesprochen werden. Dennoch wird an der Fiktion des „Gastarbeiters“ – im Neusprech umschrieben mit „circular migration“ – festgehalten. Die seit längerem bestehenden, gegenwärtig wieder stärker thematisierten Probleme mit der Integration von MigrantInnen in Österreich hängen nicht zuletzt mit diesem „Missverständnis“, das ein wechselseitiges war und ist, zusammen; dieses nahm ihren Anfang mit den Anwerbe-kampagnen Ende der 1960er Jahre. Ein durch das Ausländerbeschäftigungsgesetz unnötig lange aufrecht erhaltener, prekärer Arbeitsmarktstatuts von ImmigrantInnen auf der einen Seite und Parallelgesellschaften auf der anderen sind die Folge. Hinzu kommen vielfältige Formen der Diskriminierung von MigrantInnen, die ihre Triebfeder nicht selten aus rassistischen Impulsen beziehen und eine politisch weithin ignorierte Realität darstellen.
Das natürliche Bevölkerungswachstum ist in Österreich mit Mitte der 1990er Jahre zum Stillstand gekommen. Seitdem wächst die Wohnbevölkerung im Lande nur mehr, weil mehr Menschen zuwandern (2010 waren das ca. 114.400 Personen) als abwandern (ca. 86.700 Personen), die Nettomigration belief sich daher auf +27.700 im Jahr 2010. Große Zuwanderungswellen gab es im Zeitraum 1989–1993 und (sic!) unter der Schwarz-Blauen-Regierung 2001–2005. Der Anstieg der Wohnbevölkerung seit 1960 von ca. 7 Mio. auf 8,4 Mio. ist zu 2/3 auf Zuwanderung, zu 1/3 auf den Überhang von Geburten gegenüber Sterbefällen zurückzuführen. 2010 lebten ca. 895.000 Personen mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft in Österreich („Ausländer“), ca. 1,5 Mio. Personen, das sind 18,6% der Gesamtbevölkerung, mit Migrationshintergrund, d. h. beide Elternteile wurden im Ausland geboren. 642.000 Personen dieser Gruppe lebten in Wien, das entspricht 41,6% von allen. Dementsprechend liegt der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund in der Bundeshauptstadt auch bei 38,2% – Zuwanderung und Integration sind also primär ein Wiener Problem!
Aus Sicht der so genannten AusländerInnen
Wie ein aktueller Bericht der OECD „The Labour Market Integration of Immigrants and their Children“(Krause, K. und Liebig, Th., siehe http://dx.doi.org/10.1787/5kg264fz6p8w-en) im Detail darlegt, sind MigrantInnen, insbesondere aus so genannten „lower income countries“, d. h. hierzulande primär aus Ex-Jugoslawien und der Türkei stammend, am österreichischen Arbeitsmarkt auf vielfältige Art und Weise benachteiligt. Das wird im besonderen Maße an den „labour market outcomes“ ersichtlich: So lag etwa die Beschäftigungsquote von türkischen Frauen bei 40% (2010), die Quote der im Inland geboren Frauen dagegen bei 68%; bei der Arbeitslosenquote derselben Personengruppen lag die Relation bei ca. 4% zu 12%. Bei im Land geborenen Kindern von Zuwanderern ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich am Rande des Arbeitsmarktes befinden (definiert als „Not in Education, Employment or Training, NEET“, gering Qualifizierte, 20–29 Jährige) mit 12% viermal höher als bei Kindern von im Land geborenen Eltern. Besondere Probleme haben Menschen mit im Ausland erworbenen formalen Qualifikationen („der iranische Diplomingenieur als Taxifahrer“): So haben hoch-qualifizierte Personen eine um 50% niedrigere Wahrscheinlichkeit, in einem ausbildungsadäquaten Job zu arbeiten als „nativ-born“-Personen, wenn sie aus ärmeren Ländern kommen und ihre Ausbildungen nicht anerkennen ließen. Oder anders formuliert: Hochschulabsolventen aus Rumänien sind in Österreich beispielsweise zu 82,2% in Tätigkeiten zu finden, für die sie überqualifiziert sind – im Vergleich dazu ist dies bei ÖsterreicherInnen nur in 33,4% der Fall (siehe IHS/WIFO 2008, Die ökonomischen Wirkungen der Immigration in Österreich 1989–2007, http://www.wifo.ac.at/wwa/jsp/index.jsp?fid=23923&id=34980&ty peid=8& diplay_mode=2). Neben dem Fehlen eines Gesamtkonzeptes zur Integration von MigrantInnen weisen die OECD-AutorInnen auch darauf hin, dass Diskriminerung offensichtlich ein reales Problem für viele ZuwanderInnen in Österreich ist, zu dem aber bisher wenig konkrete Forschungsergebnisse vorliegen (etwa so genannte „correspondence testing studies“, die in anderen Ländern zeigen, dass Personen mit „ausländisch klingenden“ Namen wesentlich seltener zu Vorstellungsgesprächen eingeladen werden, obwohl ihre Lebensläufe mit der inländischen Vergleichsgruppe nahezu ident sind) und das öffentliche Problembewusstsein auch weitgehend fehlt.
Zu dieser faktischen Schlechterstellung von MigrantInnen am Arbeitsmarkt kommt natürlich in manchen Fällen eine Art von Integrationsverweigerung hinzu, die sich etwa in mangelnden Deutschkenntnissen auch nach Jahrzehnten des Aufenthaltes in Österreich manifestiert. Eine Mentalreservation, die genährt wird von der, mit den Jahren verblassenden Hoffnung auf Rückkehr ins vermeintliche Heimatland und die den Betroffenen teuer zu stehen kommt: Sie sind weder hier noch dort zu Hause!
Aus Sicht der so genannten InländerInnen
Vereinfacht formuliert, erschweren das Multi-Kulti-Getue der Grünen, die politische Korrektheit der Linken und die Hetze der FPÖ bis dato die offenen Diskussion von negativen Auswirkungen der Zuwanderung – insbesondere auf Niedrigqualifizierte. Die ökonomische Zunft, in der Mainstream-Variante im Besonderen, ist ja gerade dabei, die letzte Reputation zu verlieren, aber, wenn etwas klar ist, dann: Zusätzliches (Arbeits-)Angebot drückt, sonst alles gleich, den (Lohn)Preis. Nur im unrealistischen Fall, dass Zuwanderung ausschließlich komplementär wirkt, gibt es nur positive Effekte. Daher sind die Gewerkschaften auch gegenüber Zuwanderung traditionell skeptisch (aber leider nicht nur deshalb …). Immigration erhöht, vor allem wenn in kurzer Zeit mehr als 2–3% der Beschäftigten am Arbeitsmarkt zusätzlich auftreten (wie 1990–1991), die Arbeitslosigkeit derer, die sich zusätzlicher Konkurrenz gegenübersehen: Dies gilt für Niedrig‑, aber auch für Hochqualifizierte, für letztere sind nur die Auswirkungen in sozialpolitischer Hinsicht weniger problematisch. Lt. der oben bereits zitierten IHS/WIFO-Unterschung von 2008 erhöht zwar ein zusätzliches ausländisches Arbeitsangebot von 1% (ca. 30.000 Personen) BIP und Beschäftigung eindeutig, aber auch die Arbeitslosigkeit erhöht sich, die Löhne werden tendenziell gesenkt (steigen weniger) und auch das BIP pro Kopf sinkt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass das Durschnittswerte sind: in einzelnen Sektoren und einzelnen Regionen fallen die Effekte für einzelne Gruppen weit höher aus! Dies gilt im übrigen auch für die aktuelle Arbeitsmarktöffnung 2011, mit der ca. 20.000 Personen bisher zusätzlich am österreichischen Arbeitsmarkt aus den EU8-Staaten aufgetreten sind. Es kann also, ohne allzu spekulativ zu sein zu wollen, davon ausgegangen werden, dass die Verluste in den realen Einkommen der untern 3 Dezile seit Anfang der 1990er Jahre auch (!) auf die Zuwanderungswellen in diesem Zeitraum zurückgeführt werden können. Wenn aber diese negativen Auswirkungen der Zuwanderung auf einzelne Gruppen von der Politik nicht wahrgenommen werden – dann, ja dann, haben die Rattenfänger vom Schlage eines Herren Strache oder Sarrazin vermehrt Zulauf!
Wenn wir nicht heute die Probleme bei der Integration von MigrantInnen ernsthaft in Angriff nehmen, dann werden sich uns in Zukunft mehr noch als gegenwärtig auf den Kopf fallen: Die Erwerbsbevölkerung 15–64 Jahre wird ohne Migration bis 2050 aller Voraussicht nach um 1,4 Mio. Personen zusätzlich schrumpfen. Wenn auch kein Grund zu panischem Alarmismus auf Grund der Tatsache einer alternden Bevölkerung besteht (wir werden aller Vorraussicht reicher werden bis 2050, die Beschäftigungsquoten können erhöht werden, etc.), so ist doch klar: Der Anteil an Personen mit Migrationshintergrund wird jedenfalls noch ansteigen in den nächsten Jahrzehnten!
Conclusio: Es ist dieses Unentschiedene in diesem Lande – da holen wir, im internationalen Vergleich relative viele MigrantInnen ins Land, nennen sie „GastarbeiterInnen, halten sie in prekären Arbeitsmarkt- und Lebensverhältnissen, wollen sie nicht integrieren – und wundern uns dann, wenn die Betroffenen auch nicht wollen! Warum können wir nicht ehrlicher sein: Wir lassen nur so viele EinwanderInnen zu, wie wir politisch auch verkraften können, behandeln diese jedoch dann auch anständig und ermöglichen ihnen die Integration!
Imagine Economy: „Schuldenbremse“ – Vorschau aufs neue BEIGEWUM-Buch
Im Frühjahr 2012 erscheint das neue BEIGEWUM-Buch „Imagine Economy. Neoliberale Metaphern in der Wirtschaftspolitik“, das sich mit der Rolle von Metaphern im wirtschaftspolitischen Diskurs und ihren Einfluss auf das Denken und Handeln auseinandersetzt. Aus aktuellem Anlass machen wir hier (PDF) einen Beitrag zum Thema „Schuldenbremse“ aus diesem Buch vorab verfügbar.
Mehr über den Band, der im Rahmen der Reihe Arts, Culture and Education im Löcker Verlag erscheinen wird, gibt es in den abschließenden Bemerkungen dieses Artikels: (link)
Vermögensungleichheit USA 2007-2009
Von der Fed wurde eine außertourliche Erhebung zu privatem Vermögen in den USA in der Krise durchgeführt. Zielsetzung war es, festzustellen, wie sich die Vermögenspositionen der privaten Haushalte in den USA im Zuge der Finanzkrise verändert haben. Der Survey of Consumer Finances (SCF) wird ansonsten regelmäßig alle drei Jahre seit 1983 erhoben. Die Fed verglich nun die Vermögenssituation der US-Bevölkerung im Krisenjahr 2009 mit jener im Vorkrisenjahr 2007. Es wurden dieselben Haushalte befragt (Paneldaten).
Wichtige Ergebnisse
1. Enorme Stabilität in der Vermögensungleichheit in den USA seit den 1980er Jahren. Der Anteil des obersten 1 % bleibt bei einem Drittel des gesamten Vermögens aller Haushalte (33,3%). Und dies obwohl die Vermögensverluste durch die Krise auf die Reichsten konzentriert waren; d.h. absolut verloren die Reichen zwar beträchtlich (99. Perzentilwert: 9 Mio. USD 2007 Rückgang auf 7 Mio. USD 2009); relativ betrachtet verändert sich in der Krise für die Reichen nichts (2007: 33,3%).
2. Fast die gesamten Anleihen werden von den reichsten 10% in den USA gehalten; und fast 2/3 hat das reichste 1 %. Auch Unternehmensvermögen ist enorm konzentriert: über die Hälfte wird vom obersten 1% gehalten.
3. Der Anteil der unteren Hälfte der privaten Haushalte (0–50%) am gesamten Vermögen aller Haushalte sank von 2,5% auf 1,5%. Hatten die unteren 50% schon vor der Krise – relativ gesehen – fast nichts an Vermögenswerten, so sank dieser Wert in der Krise signifikant.
Vermögensteuern: Ja! Aber wie und welche?
Rechtzeitig zur aktuellen Debatte um den Beitrag von Vermögensteuern in der Budgetkonsolidierung: Ein Vorab-Einblick in das Debattenforum des demnächst erscheinenden Kurswechsel Heft 4/2012 (Hauptthema „Care Ökonomie“), mit Beiträgen von Margit Schratzenstaller und Christoph Berka/Josef Thoman über die Machbarkeit unterschiedlicher Varianten der Vermögensbesteuerung.
ÖkonomInnen-Appell gegen Schuldenbremse
Die österreichische Regierung nimmt sich das deutsche Modell einer „Schuldenbremse“ als Vorbild. Als die Schuldenbremse in Deutschland eingeführt wurde, reagierten 64 ÖkonomInnen mit dem Appell „Die Schuldenbremse gefährdet die gesamtwirtschaftliche Stabilität und die Zukunft unserer Kinder“. Aus aktuellem Anlass hier zur Wieder-Lektüre.
Die Schuldenbremse als Farce
Nun befindet sich die Bundesregierung also auf direktem Weg eine sogenannte Schuldenbremse in Verfassungsrang zu heben. Die wesentliche Frage, was das nun genau bedeutet, dürfte zwar noch offen sein, doch fest steht, dass damit pünktlich zum Wirtschaftsabschwung ein neuerliches Sparpaket verhandelt werden wird. Diese Unbestimmtheit liegt auch daran, dass es mehrere Formen von Fiskalregeln gibt, die in der Debatte alle als Schuldenbremse bezeichnet werden.
Wahrscheinlich ist, dass die deutsche Regelung übernommen wird, die weitgehend mit den soeben erst verschärften europäischen Budgetvorgaben übereinstimmt. Beide enthalten im Kern die Umsetzung der äußert rigiden sogenannten Medium Term Objectives (mittelfristige Haushaltsziele). Im Falle Österreichs und Deutschlands ist das (fast) ein strukturelles Nulldefizit. Ausgehend von der soeben veröffentlichten Herbstprognose der EU-Kommission, die das strukturelle Defizit für Österreich mit 2,8 % des BIP (2013) prognostiziert, müsste die Konsolidierung folglich über 8 Mrd. Euro betragen – ein Vielfaches des Spar- und Steuerpakets aus dem Vorjahr. Das würde pro Person zu einer durchschnittlichen Zusatzbelastung von 1.000 Euro pro Jahr führen, was angesichts dieses Volumens – selbst bei einer schwerpunktmäßigen Belastung der reichsten Haushalte – auch die Mittelschicht empfindlich treffen würde.
Neben einer Kopie der deutschen Schuldenbremse wurden als Alternative anscheinend zwei weitere Fiskalregeln diskutiert. Die moderateste Version wäre eine Erweiterung der bisherigen Praxis der Ausgabenobergrenzen auf alle Gebietskörperschaften plus Beschränkung ihrer Zuwächse mit der mittelfristigen Wachstumsrate. Ausgabenobergrenzen könnten zwar prinzipiell wirtschaftspolitisch verkraftbar ausgestaltet werden, hätten aber bereits eine langfristige Kürzung des Staatshaushalts und somit eine Behinderung des sozialen Fortschritts zur Folge. Völlig jenseitig wäre hingegen eine weitere Fiskalregel, nämlich die von der ÖVP verlangte Festschreibung einer Staatsschuldenquote von 60 % des BIP bis 2020. Hierfür wären etwa 40 Mrd Euro – das entspricht mehr als der Hälfte des Bundesbudgets – notwendig. Würden zwischenzeitlich z.B. weitere Bankenhilfen gewährt, kämen sogar noch weitere Milliarden hinzu.
Denn sie wissen, was sie tun?
Wäre die Sache wirtschaftspolitisch nicht so ernst, wäre diese grobe Festlegung kabarettreif: Jene Regierung, die noch im Vorjahr mit der verspäteten Budgetvorlage die Verfassung gebrochen hat, verpflichtet sich und zukünftige Regierung mittels Verfassungsänderung zu weiteren drakonischen Konsolidierungsmaßnahmen – die sie bisher zu Recht mit dem Hinweis auf die relative Stabilität und die schwachen Wirtschaftsprognosen ausgeschlossen hatte. Völlig unklar ist zudem, weshalb es diese verfassungsmäßige politische Selbstentmündigung braucht, denn nichts – abgesehen von wirtschaftspolitischem Sachverstand – hindert die Regierung jedwede Regel zu befolgen, die sie politisch auch tatsächlich befolgen will.
Trotzdem ist diese Inkonsequenz in gewissem Sinne auch wieder konsequent: Im November des Vorjahres schloss der Bundeskanzler weitere Konsolidierungsmaßnahmen in dieser Legislaturperiode aus, ehe er dann im März in Brüssel rechtliche Änderungen absegnete, die weitere Sparpakete erforderlich machten. Und nun im Oktober billigte er das Regierungsziel eines maximalen Defizits von 3,2 % des BIP 2012, nur um dann kurz darauf gemeinsam mit seinen europäischen AmtskollegInnen ausgeglichene Haushalte in allen europäischen Staaten zu fordern. Übertroffen wird er nur von seiner Finanzministerin, die zeitgleich die Steuerbelastung reduzieren, den Budgetpfad fortführen und die Staatsverschuldung auf 60 % senken will. Alles klar?
Das Argument für diese politische Farce: Es brauche ein glaubhaftes Signal an die Finanzmärkte, um die Zinskosten relativ niedrig zu halten. Die Pointe: In Spanien, wo eben erst eine Schuldenbremse beschlossen wurde, hat man bewiesen, dass ein ausgeglichener Haushalt in der Verfassung das eben nicht leisten kann. Die Sekundärmarktzinssätze spanischer Staatsanleihen stiegen in den Tagen rund um den Beschluss weiter an und wurden erst durch die EZB-Intervention kurzfristig stabilisiert – mittlerweile haben sie sogar ein neues, untragbares Rekordniveau erreicht.
Im Gegensatz zu vielen PolitikerInnen dürfte den meisten Finanzmarktakteuren klar sein, dass reine Sparpolitik ohne Rücksicht auf Verluste nicht die langfristigen Einnahmen sichern kann, die es zur Bedienung der Staatsschulden bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung selbst rudimentärer Staatsaufgaben braucht. Insbesondere weil die grundlegenden ökonomischen Probleme (Spanien: geplatzte Immobilienblase, Rekordarbeitslosigkeit, private Verschuldung; Österreich: Bankensektor bzw. dessen Ost-Abhängigkeit, Italien-Verflechtung) ungelöst bleiben, ist eine Schuldenbremse in der Verfassung etwa so wirksam bzw. glaubwürdig wie ein Gesetz gegen schlechtes Wetter.
Schuldenbremse = Wohlstandsbremse = Ablenkungsmanöver
Und das führt zum ernsten Teil dieser Farce. Was eine Schuldenbremse bringen wird, ist also weniger eine Reduzierung der Zinskosten oder stabile Staatshaushalte, sondern im Gegenteil eine tendenzielle Destabilisierung von Wirtschaft und Gesellschaft durch die Einschränkung zukünftigen Wohlstandes. Für diesen braucht es nämlich Investitionen, die sinnvoller Weise von jenen bezahlt werden, die den größten Nutzen daraus ziehen, nämlich die zukünftigen Begünstigten über höhere zukünftige Einkommen. Zudem braucht es die Möglichkeit, konjunkturelle Schwankungen auszugleichen, um die kurz- wie langfristigen, individuellen wie gesellschaftlichen Folgen von Arbeitslosigkeit abzumildern. Schuldenbremsen gefährden beides und können somit rasch zu Wohlstands‑, Investitions‑, Beschäftigungs‑, Sozial- und Zukunftsbremsen mutieren.
Ein weiteres Problem ist, dass mit der Schuldenbremse indirekt suggeriert wird, die Staatsverschuldung wäre auf unverantwortliche Budgetpolitik zurückzuführen. Damit wird davon abgelenkt, dass erst mit der Krise 2008 die Staatsverschuldung wieder gestiegen, zuvor allerdings in der Eurozone kontinuierlich gesunken ist (von 72,8 % vor ihrer Gründung auf 66,1 % des BIP 2007, ähnlich auch in Österreich). Würde man diesen Zusammenhang stärker berücksichtigen, wäre zu erkennen, dass es zur mittelfristigen Reduzierung der Staatsverschuldung keine wirtschaftspolitische Zwangsjacke, sondern Maßnahmen gegen die hauptsächlichen schuldentreibenden Faktoren braucht: Ein krisenanfälliges Finanzsystem, das Bankenrettungen notwendig macht; Konjunkturschwäche und steigende Arbeitslosigkeit, die die Steuereinnahmen senken und zu höheren Ausgaben führen (insbesondere für Arbeitsmarktpolitik); und letztlich unzureichende Beiträge von Reichen und Unternehmen, die von der wirtschaftlichen und steuerpolitischen Entwicklung vor der Krise besonders profitierten.
Staatsbankrott – Alternative zu Austeritätspolitik und Weg aus der Euro-Krise ?
Über die Sinnhaftigkeit und die Folgen einer Staatsinsolvenz im Euroraum gibt es geteilte Meinungen. Inwieweit ist eine geordnete Staatsinsolvenz sinnvoll und würde die ökonomischen und sozialen Kosten der Krise in den betroffenen Ländern und im Euroraum reduzieren? Welche Erfahrungen gibt es mit dem Instrument des Staatbankrotts besonders in Ländern des Südens, wo dieses Instrument seit langem gefordert wird ? Wie kann eine geregelte Staatsinsolvenz im Euroraum gestaltet werden ? Inwieweit würde eine geregelte Staatsinsolvenz zu Ansteckungseffekten führen und dadurch die Krise verschärfen? Welche alternativen Politiken gibt es zum Staatsbankrott, um die Krise zu entschärfen und die ökonomischen und sozialen Kosten der Krise reduzieren?
Im aktuellen Kurswechsel (Hauptthema: „Rohstoffe“) kommen dazu zwei unterschiedliche Positionen zu Wort: Kunibert Raffer (Uni Wien) fordert schon seit Jahrzehnten eine Staatsinsolvenzprozedur vor allem für Länder des Südens. Torsten Niechoj (IMK) betont hingegen die Gefahren einer Staatsinsolvenz im Euroraum und argumentiert für alternative Lösungen.
Das Heft erscheint Mitte November, die Debattenbeiträge sind vorab online.
Am 10.November 2011 um 19h in C3 (Sensengasse 3, 1090 Wien) gibt es eine BEIGEWUM/ÖFSE-Diskussionsveranstaltung zum Thema mit Helene Schuberth und Kunibert Raffer.