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2.2.12: Care Ökonomie Diskussion

13. Januar 2012 – 12:56 Uhr

Inves­ti­tio­nen in sozia­le Dienst­leis­tun­gen zah­len sich aus. Care Öko­no­mie – unter­schätz­tes Potential!“
Dis­kus­si­on und Kurs­wech­sel-Heft­prä­sen­ta­ti­on mit Alban Knecht und Katha­ri­na Mader, Mode­ra­ti­on: Julia Hofmann
Do, 2. Feber 2012, 18:00, im Repu­bli­ka­ni­schen Club, Rockh­gas­se 1, 1010 Wien

Care-Kri­sen sind die „Zweit­run­den­ef­fek­te“ von Wirt­schafts­kri­sen. Fal­len staat­li­che Sozi­al­aus­ga­ben weg, sind unbe­zahl­te Care-Tätig­kei­ten als sozia­le Air­bags gefragt. Doch die Care Öko­no­mie muss als das begrif­fen wer­den, was sie ist – ein wach­sen­der, auf­stre­ben­der Bereich, von dem alle pro­fi­tie­ren. Alban Knecht und Katha­ri­na Mader dis­ku­tie­ren mit Julia Hof­mann, war­um sich Inves­ti­tio­nen in sozia­le Dienst­leis­tun­gen aus­zah­len, und stel­len den aktu­el­len Kurs­wech­sel vor, der auch vor Ort bezo­gen wer­den kann. Im Anschluss gemüt­li­cher Aus­klang mit Buffet.


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The same procedure as every year: Eine Studiengebührendebatte

15. Dezember 2011 – 1:26 Uhr

Die SPÖ scheint ein neu­es Hob­by zu haben: Jedes Jahr vor Weih­nach­ten wird die Debat­te um Stu­di­en­ge­büh­ren aus­ge­packt – eine Debat­te, in der die SPÖ nur ver­lie­ren kann. Bereits letz­tes Jahr habe ich hier die Debat­te in der Sozi­al­de­mo­kra­tie kom­men­tiert. Die­ses Mal geht es nun ver­stärkt um soge­nann­te nach­ge­la­ger­te Stu­di­en­ge­büh­ren. Die Idee ist, dass die Stu­die­ren­den wäh­rend des Stu­di­ums die Stu­di­en­ge­büh­ren erlas­sen bekom­men, um sie dann nach dem Stu­di­um abzu­be­zah­len. Im Detail unter­schei­den sich die Model­le dabei erheb­lich, wobei die Stell­schrau­ben vor allem die Fol­gen­den sind:

  • Die Stu­di­en­ge­büh­ren wer­den als fes­ter Betrag als Schul­den ver­bucht, also bspw. 1.000 Euro im Jahr. Nach dem Stu­di­um sind die­se Schul­den abzubezahlen.
  • Die Stu­di­en­ge­büh­ren wer­den nicht erho­ben, son­dern ein bestimm­ter Anteil des spä­te­ren Ein­kom­mens wird als Son­der­steu­er ein­ge­zo­gen. Die Höhe der Stu­di­en­ge­büh­ren hängt also vom eige­nen Ein­kom­men ab.
  • Die Schul­den wer­den ver­zinst oder nicht.
  • Es gibt eine zeit­li­che Begren­zung der Rück­zah­lung (etwa: zehn Jah­re nach Stu­di­en­ab­schluss) oder man bezahlt, so lan­ge man Ein­kom­men bezieht.


All­ge­mein wird in der Debat­te ger­ne auf das aus­tra­li­sche Modell ver­wie­sen, oft jedoch ohne genaue Kennt­nis­se des Modells. Auch die­se Debat­te ist kei­nes­wegs neu. Alle Model­le haben spe­zi­fi­sche Pro­ble­me, aus öko­no­mi­scher Sicht sind die Fra­gen der Steue­rungs­wir­kung, der Rück­zah­lungs­sum­me, des Ver­wal­tungs­auf­wands und der Mit­nah­me­ef­fek­te bei die­sen Fra­gen zen­tral. Aller­dings gibt es eini­ge grund­sätz­li­che Ein­wän­de gegen nach­ge­la­ger­te Stu­di­en­ge­büh­ren, die im Fol­gen­den in aller Kür­ze benannt wer­den sol­len. Eine aus­führ­li­che Dar­stel­lung und Kri­tik der Model­le fin­det man in einer Bro­schü­re des deut­schen Akti­ons­bünd­nis­ses gegen Stu­di­en­ge­büh­ren (ABS) als PDF.


Soziale Selektivität

Die Erhö­hung von Prei­sen sorgt in der Regel für einen Rück­gang der Nach­fra­ge. Prei­se sind eine Selek­ti­ons­in­stru­ment, um die Ver­tei­lung von Gütern und Dienst­leis­tun­gen zu regu­lie­ren, zum Zuge kommt, wer die ent­spre­chen­de Zah­lungs­be­reit­schaft und Zah­lungs­fä­hig­keit auf­weist. Des­we­gen sind Stu­di­en­ge­büh­ren immer auch mit einer sozia­len Selek­ti­vi­tät ver­bun­den. Die­ses Selek­ti­vi­tät soll nun dadurch ver­mie­den wer­den, dass die Stu­di­en­ge­büh­ren nicht direkt, son­dern nach­ge­la­gert erho­ben wer­den. Die Argu­men­ta­ti­on der Beführworter/​innen sol­cher Model­le: Da die Gebüh­ren nur bezahlt wür­den, wenn ein Ein­kom­men vor­han­den ist, sei eine Selek­ti­vi­tät nicht gege­ben. Die­se Argu­men­ta­ti­on setzt einen Homo Oeco­no­mic­us vor­aus, der ratio­nal kal­ku­lie­rend und voll­stän­dig infor­miert sei­ne Ent­schei­dun­gen tref­fen kann – das ist jedoch bekannt­lich nicht der Fall. Wir wis­sen, dass die Fra­ge der Her­kunft einen ent­schei­den­den Ein­fluss auf die Risi­ko­aver­si­on hat; und eine Ver­schul­dung ist in der sub­jek­ti­ven Wahr­neh­mung immer mit einem Risi­ko ver­bun­den. Und wir wis­sen, dass Men­schen aus bil­dungs­fer­nen Schich­ten die Kos­ten eines Stu­di­ums oft über‑, den Nut­zen aber unter­schät­zen. Kurz­um: Es spricht vie­les dafür, dass die sozia­le Selek­ti­vi­tät ggf. gemin­dert, jedoch nicht ver­mie­den wird. Dafür spre­chen auch die Erfah­run­gen aus Aus­tra­li­en (sie­he die oben ver­link­te Bro­schü­re). Die Ver­schie­bung des Zah­lungs­zeit­punk­tes ändert eben nichts an der Tat­sa­che, dass bezahlt wer­den muss.


Gerechtigkeit

Zur Fra­ge, ob Stu­di­en­ge­büh­ren sozi­al Gerecht sind, hat Son­ja Staack in die­sem Bei­trag eigent­lich alles gesagt. Die Argu­men­ta­ti­on der Gebührenbefürworter/​innen läuft im Kern dar­auf hin­aus, dass die­je­ni­gen, die den Nut­zen haben, auch die Kos­ten tra­gen sol­len (sie­he zu die­sem Argu­ment aus­führ­lich uns lesens­wert auch hier). Dabei wird einer­seits die Fra­ge aus­ge­blen­det, wem ein Stu­di­um eigent­lich nutzt. Sicher, der Stu­die­ren­de selbst hat hier­von etwas. Aber die Begrün­dung öffent­li­cher Bil­dungs­ein­rich­tun­gen liegt gera­de auch dar­in, dass es eben nicht um den per­sön­li­chen Nut­zen geht, son­dern um den gesell­schaft­li­chen. Es ist im Zwei­fel so, dass der Pati­ent mehr von einem gut aus­ge­bil­de­ten Arzt hat als der Arzt selbst. Die­ses sehr pla­ka­ti­ve Bei­spiel lässt sich auf ande­re Berei­che über­tra­gen. Zum zwei­ten wird die Fra­ge aus­ge­blen­det, wer den eigent­lich einen Nut­z­en­ge­winn hät­te, wenn Stu­di­en­ge­büh­ren ein­ge­führt wür­den. Dar­un­ter lei­den sicher nicht die Kin­der aus gut ver­die­nen­den Eltern­häu­sern. Im Gegen­teil: Soll­te die Stu­dier­nei­gung auf Grund der Gebüh­ren sin­ken, dann wür­de das Ange­bot an Aka­de­mi­ke­rIn­nen auf dem Arbeits­markt sin­ken und die­se somit höhe­re Löh­ne ver­han­deln können.

Rich­tig ist, dass das der­zei­ti­ge Sys­tem in Öster­reich nicht in aus­rei­chen­dem Aus­maß die Ver­tei­lung des Sozi­al­pro­dukts regelt. In der Ten­denz wer­den die Rei­chen rei­cher und die Armen ärmer. Zudem müs­sen öffent­li­che Aus­ga­ben auch refi­nan­ziert wer­den. Hier­für bedarf es eines gerech­ten Steu­er­sys­tems. War­um die­ses aber am Bil­dungs­ab­schluss statt an der Leis­tungs­fä­hig­keit anknüp­fen soll bleibt das Geheim­nis der Akademikersteuerfans.


Bildungsbegriff

Ein ent­schei­den­de Fra­ge, was eigent­lich der Sinn eines Stu­di­ums ist, fällt bei der Debat­te um die Stu­di­en­ge­büh­ren völ­lig hin­ten run­ter. Denn Stu­di­en­ge­büh­ren – egal ob nach­ge­la­gert oder direkt bezahlt – ver­än­dern den Bil­dungs­be­griff. Das Stu­di­um wird so zu einer Inves­ti­ti­on in das eige­ne Human­ka­pi­tal, der Return on Invest­ment ist das spä­ter zu erzie­len­de Ein­kom­men. Das Ziel des Stu­di­ums ist also nicht Erkennt­nis­ge­winn, Wahr­heits­su­che, Ver­bes­se­rung der Lebens­ver­hält­nis­se der Men­schen oder ähn­li­ches, son­dern das Ziel des Stu­di­ums ist das spä­te­re Ein­kom­men. Dar­auf soll fokus­siert wer­den (schon bei der Wahl des Stu­di­en­gangs), das ist der zen­tra­le Steue­rungs­an­satz über Stu­di­en­ge­büh­ren. Auch hier lohnt ein Blick nach Aus­tra­li­en, wenn schon das dor­ti­ger Hig­her Edu­ca­ti­on Con­tri­bu­ti­on Sche­me (HECS) ger­ne als Vor­bild genannt wird: Hier sind die Stu­di­en­ge­büh­ren in ver­schie­de­ne Preis­ka­te­go­rien unter­teilt. Beson­ders hoch sind die Gebüh­ren aber nicht in den Fächern, die beson­ders teu­er sind, son­dern in den Fächern, in denen das erwar­te­te Ein­kom­men hoch ist. „Viel offen­sicht­li­cher ist, dass für die­se Preis­bil­dung die Anti­zi­pa­ti­on künf­ti­ger Ein­kom­mens­chan­cen nach Berufs­grup­pen Pate gestan­den hat. Der Staat will hier offen­sicht­lich poten­ti­el­le öko­no­mi­sche Ver­wer­tungs­mög­lich­kei­ten abbil­den und auf Sei­ten der Stu­di­en­platz­be­wer­be­rIn­nen eine indi­rek­te sozi­al­dar­wi­nis­ti­sche Vor­se­lek­ti­on über die Risi­ko­wahr­neh­mung und ‑bereit­schaft erzeu­gen. Damit wird hier die Stu­di­en­ent­schei­dung zu einer Inves­ti­ti­ons­ent­schei­dung, sie wird nur noch unter öko­no­mi­schen Nütz­lich­keits­kri­te­ri­en betrach­tet, die dann auch das indi­vi­du­el­le Ver­hält­nis zur Wis­sen­schaft prägt“, heißt es dazu auf den Nach­Denk­Sei­ten.


Einnahmen des Staates?

Die Debat­te um nach­ge­la­ger­te Stu­di­en­ge­büh­ren wird extrem unehr­lich geführt. Denn die Debat­te ist in Öster­reich vor allem Fol­ge der mas­si­ven Unter­fi­nan­zie­rung der Hoch­schu­len. Die­ses Pro­blem soll par­ti­ell durch die Ein­nah­men aus den Stu­di­en­ge­büh­ren gelöst wer­den. Wenn nun aber nach­ge­la­ger­te Stu­di­en­ge­büh­ren ein­ge­ho­ben wer­den sol­len, die zudem erst ab einem bestimm­te Ein­kom­men grei­fen, dann hat der Staat zunächst ein­mal kei­ne Ein­nah­men. Im Gegen­teil: er müss­te die Stu­di­en­ge­büh­ren, die er in eini­gen Jah­ren viel­leicht bei den Stu­die­ren­den ein­treibt heu­te den Hoch­schu­len vor­stre­cken, er müss­te also erheb­li­che Vor­leis­tun­gen täti­gen. Hin­zu kom­men die Zins­ver­lus­te bis zum nach­ge­la­ger­ten Bezah­len der Gebüh­ren, die erheb­li­chen Ver­wal­tungs­kos­ten (man Den­ke nur an das Ein­trei­ben bei säu­mi­gen Zahler/​innen, die ggf. auch noch im Aus­land leben) und die Imple­men­tie­rungs­kos­ten. Kurz­um: Ob der Staat am Ende tat­säch­lich ein Plus macht hängt von der Höhe der Gebüh­ren und den Rück­zah­lungs­gren­zen ab. Je bru­ta­ler hier vor­ge­gan­gen wird, des­to eher gibt es auch Ein­nah­men. Das aber beißt sich mit den pro­kla­mier­ten Zie­len der angeb­li­chen sozia­len Ver­träg­lich­keit. Auch hier lohnt der scho­nungs­lo­se Blick nach Australien.


Die Öster­rei­chi­sche Hoch­schü­le­rIn­nen­schaf­ten hat die Debat­te in einer Pres­se­aus­sen­dung kom­men­tiert. Dar­in wird deut­lich, dass die ÖH nach­ge­la­ger­te Stu­di­en­ge­büh­ren ablehnt. Es gilt die Stu­die­ren­den bei Ihren poli­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen zu unter­stüt­zen. Sozia­le Ver­träg­lich­keit auf die Fra­ge der Kre­dit­auf­nah­me­mög­lich­keit zu redu­zie­ren jeden­falls ist fatal – und der Sozi­al­de­mo­kra­tie unwürdig.

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Divided we stand – Why inequality keeps rising

5. Dezember 2011 – 10:57 Uhr

Die Welt steht nicht mehr lan­ge. Der Komet wird kom­men. Wenn bereits die OECD, der neo­li­be­ra­le Fels in der Bran­dung, die stei­gen­de Ungleich­heit beklagt, dann sind unse­re Tage gezählt …
386 Sei­ten zur Ungleich­heit im OECD-Raum: Heu­te stellt die OECD einen umfas­sen­den Bericht zur Ungleich­heit, zu ihren Ursa­chen und Hand­lungs­mög­lich­kei­ten vor. Im Pres­se­text heißt es dazu: „´Divi­ded we stand´ geht den Ursa­chen stei­gen­der Ungleich­heit auf den Grund. Die Stu­die wider­legt die Annah­me, dass Wirt­schafts­wachs­tum auto­ma­tisch allen Bevöl­ke­rungs­grup­pen zugu­te­kommt und dass Ungleich­heit sozia­le Mobi­li­tät för­dert. ´Zuneh­men­de Ungleich­heit schwächt die Wirt­schafts­kraft eines Lan­des, sie gefähr­det den sozia­len Zusam­men­halt und schafft poli­ti­sche Insta­bi­li­tät – aber sie ist nicht unaus­weich­lich´, sag­te OECD-Gene­ral­se­kre­tär Angel Gur­ria [hat er am Vor­abend getrun­ken?]. ´Wir brau­chen eine umfas­sen­de Stra­te­gie für sozi­al­ver­träg­li­ches Wachs­tum, um die­sem Trend Ein­halt zu gebieten´.“
Wie gesagt, die Welt steht nicht mehr lange …

Der Bericht ist zu fin­den unter: http://dx.doi.org/10.1787/9789264119536-en
Wei­te­res Mate­ri­al zum The­ma: www.oecd.org/els/social/inequality

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Österreich ist ein Einwanderungs-, kein Gastarbeiterland. Zum ambivalenten Verhältnis von so genannten InländerInnen und so genannten AusländerInnen

30. November 2011 – 17:23 Uhr

Öster­reich ist ein Ein­wan­de­rungs­land! Daher soll­te von Zuwan­de­rIn­nen, nicht von Gast­ar­bei­te­rIn­nen gespro­chen wer­den. Den­noch wird an der Fik­ti­on des „Gast­ar­bei­ters“ – im Neu­sprech umschrie­ben mit „cir­cu­lar migra­ti­on“ – fest­ge­hal­ten. Die seit län­ge­rem bestehen­den, gegen­wär­tig wie­der stär­ker the­ma­ti­sier­ten Pro­ble­me mit der Inte­gra­ti­on von Migran­tIn­nen in Öster­reich hän­gen nicht zuletzt mit die­sem „Miss­ver­ständ­nis“, das ein wech­sel­sei­ti­ges war und ist, zusam­men; die­ses nahm ihren Anfang mit den Anwer­be-kam­pa­gnen Ende der 1960er Jah­re. Ein durch das Aus­län­der­be­schäf­ti­gungs­ge­setz unnö­tig lan­ge auf­recht erhal­te­ner, pre­kä­rer Arbeits­markt­sta­tuts von Immi­gran­tIn­nen auf der einen Sei­te und Par­al­lel­ge­sell­schaf­ten auf der ande­ren sind die Fol­ge. Hin­zu kom­men viel­fäl­ti­ge For­men der Dis­kri­mi­nie­rung von Migran­tIn­nen, die ihre Trieb­fe­der nicht sel­ten aus ras­sis­ti­schen Impul­sen bezie­hen und eine poli­tisch weit­hin igno­rier­te Rea­li­tät darstellen.
Das natür­li­che Bevöl­ke­rungs­wachs­tum ist in Öster­reich mit Mit­te der 1990er Jah­re zum Still­stand gekom­men. Seit­dem wächst die Wohn­be­völ­ke­rung im Lan­de nur mehr, weil mehr Men­schen zuwan­dern (2010 waren das ca. 114.400 Per­so­nen) als abwan­dern (ca. 86.700 Per­so­nen), die Net­to­mi­gra­ti­on belief sich daher auf +27.700 im Jahr 2010. Gro­ße Zuwan­de­rungs­wel­len gab es im Zeit­raum 1989–1993 und (sic!) unter der Schwarz-Blau­en-Regie­rung 2001–2005. Der Anstieg der Wohn­be­völ­ke­rung seit 1960 von ca. 7 Mio. auf 8,4 Mio. ist zu 2/​3 auf Zuwan­de­rung, zu 1/​3 auf den Über­hang von Gebur­ten gegen­über Ster­be­fäl­len zurück­zu­füh­ren. 2010 leb­ten ca. 895.000 Per­so­nen mit nicht-öster­rei­chi­scher Staats­bür­ger­schaft in Öster­reich („Aus­län­der“), ca. 1,5 Mio. Per­so­nen, das sind 18,6% der Gesamt­be­völ­ke­rung, mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund, d. h. bei­de Eltern­tei­le wur­den im Aus­land gebo­ren. 642.000 Per­so­nen die­ser Grup­pe leb­ten in Wien, das ent­spricht 41,6% von allen. Dem­entspre­chend liegt der Anteil der Per­so­nen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund in der Bun­des­haupt­stadt auch bei 38,2% – Zuwan­de­rung und Inte­gra­ti­on sind also pri­mär ein Wie­ner Problem!
Aus Sicht der so genann­ten AusländerInnen
Wie ein aktu­el­ler Bericht der OECD „The Labour Mar­ket Inte­gra­ti­on of Immi­grants and their Children“(Krause, K. und Lie­big, Th., sie­he http://dx.doi.org/10.1787/5kg264fz6p8w-en) im Detail dar­legt, sind Migran­tIn­nen, ins­be­son­de­re aus so genann­ten „lower inco­me coun­tries“, d. h. hier­zu­lan­de pri­mär aus Ex-Jugo­sla­wi­en und der Tür­kei stam­mend, am öster­rei­chi­schen Arbeits­markt auf viel­fäl­ti­ge Art und Wei­se benach­tei­ligt. Das wird im beson­de­ren Maße an den „labour mar­ket out­co­mes“ ersicht­lich: So lag etwa die Beschäf­ti­gungs­quo­te von tür­ki­schen Frau­en bei 40% (2010), die Quo­te der im Inland gebo­ren Frau­en dage­gen bei 68%; bei der Arbeits­lo­sen­quo­te der­sel­ben Per­so­nen­grup­pen lag die Rela­ti­on bei ca. 4% zu 12%. Bei im Land gebo­re­nen Kin­dern von Zuwan­de­rern ist die Wahr­schein­lich­keit, dass sie sich am Ran­de des Arbeits­mark­tes befin­den (defi­niert als „Not in Edu­ca­ti­on, Employ­ment or Trai­ning, NEET“, gering Qua­li­fi­zier­te, 20–29 Jäh­ri­ge) mit 12% vier­mal höher als bei Kin­dern von im Land gebo­re­nen Eltern. Beson­de­re Pro­ble­me haben Men­schen mit im Aus­land erwor­be­nen for­ma­len Qua­li­fi­ka­tio­nen („der ira­ni­sche Diplom­in­ge­nieur als Taxi­fah­rer“): So haben hoch-qua­li­fi­zier­te Per­so­nen eine um 50% nied­ri­ge­re Wahr­schein­lich­keit, in einem aus­bil­dungs­ad­äqua­ten Job zu arbei­ten als „nativ-born“-Personen, wenn sie aus ärme­ren Län­dern kom­men und ihre Aus­bil­dun­gen nicht aner­ken­nen lie­ßen. Oder anders for­mu­liert: Hoch­schul­ab­sol­ven­ten aus Rumä­ni­en sind in Öster­reich bei­spiels­wei­se zu 82,2% in Tätig­kei­ten zu fin­den, für die sie über­qua­li­fi­ziert sind – im Ver­gleich dazu ist dies bei Öster­rei­che­rIn­nen nur in 33,4% der Fall (sie­he IHS/​WIFO 2008, Die öko­no­mi­schen Wir­kun­gen der Immi­gra­ti­on in Öster­reich 1989–2007, http://www.wifo.ac.at/wwa/jsp/index.jsp?fid=23923&id=34980&ty peid=8& diplay_mode=2). Neben dem Feh­len eines Gesamt­kon­zep­tes zur Inte­gra­ti­on von Migran­tIn­nen wei­sen die OECD-AutorIn­nen auch dar­auf hin, dass Dis­kri­mi­ne­r­ung offen­sicht­lich ein rea­les Pro­blem für vie­le Zuwan­de­rIn­nen in Öster­reich ist, zu dem aber bis­her wenig kon­kre­te For­schungs­er­geb­nis­se vor­lie­gen (etwa so genann­te „cor­re­spon­dence tes­ting stu­dies“, die in ande­ren Län­dern zei­gen, dass Per­so­nen mit „aus­län­disch klin­gen­den“ Namen wesent­lich sel­te­ner zu Vor­stel­lungs­ge­sprä­chen ein­ge­la­den wer­den, obwohl ihre Lebens­läu­fe mit der inlän­di­schen Ver­gleichs­grup­pe nahe­zu ident sind) und das öffent­li­che Pro­blem­be­wusst­sein auch weit­ge­hend fehlt.
Zu die­ser fak­ti­schen Schlech­ter­stel­lung von Migran­tIn­nen am Arbeits­markt kommt natür­lich in man­chen Fäl­len eine Art von Inte­gra­ti­ons­ver­wei­ge­rung hin­zu, die sich etwa in man­geln­den Deutsch­kennt­nis­sen auch nach Jahr­zehn­ten des Auf­ent­hal­tes in Öster­reich mani­fes­tiert. Eine Men­tal­re­ser­va­ti­on, die genährt wird von der, mit den Jah­ren ver­blas­sen­den Hoff­nung auf Rück­kehr ins ver­meint­li­che Hei­mat­land und die den Betrof­fe­nen teu­er zu ste­hen kommt: Sie sind weder hier noch dort zu Hause!
Aus Sicht der so genann­ten InländerInnen
Ver­ein­facht for­mu­liert, erschwe­ren das Mul­ti-Kul­ti-Getue der Grü­nen, die poli­ti­sche Kor­rekt­heit der Lin­ken und die Het­ze der FPÖ bis dato die offe­nen Dis­kus­si­on von nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen der Zuwan­de­rung – ins­be­son­de­re auf Nied­rig­qua­li­fi­zier­te. Die öko­no­mi­sche Zunft, in der Main­stream-Vari­an­te im Beson­de­ren, ist ja gera­de dabei, die letz­te Repu­ta­ti­on zu ver­lie­ren, aber, wenn etwas klar ist, dann: Zusätz­li­ches (Arbeits-)Angebot drückt, sonst alles gleich, den (Lohn)Preis. Nur im unrea­lis­ti­schen Fall, dass Zuwan­de­rung aus­schließ­lich kom­ple­men­tär wirkt, gibt es nur posi­ti­ve Effek­te. Daher sind die Gewerk­schaf­ten auch gegen­über Zuwan­de­rung tra­di­tio­nell skep­tisch (aber lei­der nicht nur des­halb …). Immi­gra­ti­on erhöht, vor allem wenn in kur­zer Zeit mehr als 2–3% der Beschäf­tig­ten am Arbeits­markt zusätz­lich auf­tre­ten (wie 1990–1991), die Arbeits­lo­sig­keit derer, die sich zusätz­li­cher Kon­kur­renz gegen­über­se­hen: Dies gilt für Niedrig‑, aber auch für Hoch­qua­li­fi­zier­te, für letz­te­re sind nur die Aus­wir­kun­gen in sozi­al­po­li­ti­scher Hin­sicht weni­ger pro­ble­ma­tisch. Lt. der oben bereits zitier­ten IHS/­WI­FO-Unter­schung von 2008 erhöht zwar ein zusätz­li­ches aus­län­di­sches Arbeits­an­ge­bot von 1% (ca. 30.000 Per­so­nen) BIP und Beschäf­ti­gung ein­deu­tig, aber auch die Arbeits­lo­sig­keit erhöht sich, die Löh­ne wer­den ten­den­zi­ell gesenkt (stei­gen weni­ger) und auch das BIP pro Kopf sinkt. Wich­tig ist in die­sem Zusam­men­hang, dass das Durschnitts­wer­te sind: in ein­zel­nen Sek­to­ren und ein­zel­nen Regio­nen fal­len die Effek­te für ein­zel­ne Grup­pen weit höher aus! Dies gilt im übri­gen auch für die aktu­el­le Arbeits­markt­öff­nung 2011, mit der ca. 20.000 Per­so­nen bis­her zusätz­lich am öster­rei­chi­schen Arbeits­markt aus den EU8-Staa­ten auf­ge­tre­ten sind. Es kann also, ohne all­zu spe­ku­la­tiv zu sein zu wol­len, davon aus­ge­gan­gen wer­den, dass die Ver­lus­te in den rea­len Ein­kom­men der untern 3 Dezi­le seit Anfang der 1990er Jah­re auch (!) auf die Zuwan­de­rungs­wel­len in die­sem Zeit­raum zurück­ge­führt wer­den kön­nen. Wenn aber die­se nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen der Zuwan­de­rung auf ein­zel­ne Grup­pen von der Poli­tik nicht wahr­ge­nom­men wer­den – dann, ja dann, haben die Rat­ten­fän­ger vom Schla­ge eines Her­ren Stra­che oder Sar­ra­zin ver­mehrt Zulauf!
Wenn wir nicht heu­te die Pro­ble­me bei der Inte­gra­ti­on von Migran­tIn­nen ernst­haft in Angriff neh­men, dann wer­den sich uns in Zukunft mehr noch als gegen­wär­tig auf den Kopf fal­len: Die Erwerbs­be­völ­ke­rung 15–64 Jah­re wird ohne Migra­ti­on bis 2050 aller Vor­aus­sicht nach um 1,4 Mio. Per­so­nen zusätz­lich schrump­fen. Wenn auch kein Grund zu pani­schem Alar­mis­mus auf Grund der Tat­sa­che einer altern­den Bevöl­ke­rung besteht (wir wer­den aller Vorraus­sicht rei­cher wer­den bis 2050, die Beschäf­ti­gungs­quo­ten kön­nen erhöht wer­den, etc.), so ist doch klar: Der Anteil an Per­so­nen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund wird jeden­falls noch anstei­gen in den nächs­ten Jahrzehnten!
Con­clu­sio: Es ist die­ses Unent­schie­de­ne in die­sem Lan­de – da holen wir, im inter­na­tio­na­len Ver­gleich rela­ti­ve vie­le Migran­tIn­nen ins Land, nen­nen sie „Gast­ar­bei­te­rIn­nen, hal­ten sie in pre­kä­ren Arbeits­markt- und Lebens­ver­hält­nis­sen, wol­len sie nicht inte­grie­ren – und wun­dern uns dann, wenn die Betrof­fe­nen auch nicht wol­len! War­um kön­nen wir nicht ehr­li­cher sein: Wir las­sen nur so vie­le Ein­wan­de­rIn­nen zu, wie wir poli­tisch auch ver­kraf­ten kön­nen, behan­deln die­se jedoch dann auch anstän­dig und ermög­li­chen ihnen die Integration!

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Imagine Economy: „Schuldenbremse“ – Vorschau aufs neue BEIGEWUM-Buch

21. November 2011 – 17:20 Uhr

Im Früh­jahr 2012 erscheint das neue BEI­GEWUM-Buch „Ima­gi­ne Eco­no­my. Neo­li­be­ra­le Meta­phern in der Wirt­schafts­po­li­tik“, das sich mit der Rol­le von Meta­phern im wirt­schafts­po­li­ti­schen Dis­kurs und ihren Ein­fluss auf das Den­ken und Han­deln aus­ein­an­der­setzt. Aus aktu­el­lem Anlass machen wir hier (PDF) einen Bei­trag zum The­ma „Schul­den­brem­se“ aus die­sem Buch vor­ab verfügbar.


Mehr über den Band, der im Rah­men der Rei­he Arts, Cul­tu­re and Edu­ca­ti­on im Löcker Ver­lag erschei­nen wird, gibt es in den abschlie­ßen­den Bemer­kun­gen die­ses Arti­kels: (link)

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Vermögensungleichheit USA 2007-2009

21. November 2011 – 16:57 Uhr

Von der Fed wur­de eine außer­tour­li­che Erhe­bung zu pri­va­tem Ver­mö­gen in den USA in der Kri­se durch­ge­führt. Ziel­set­zung war es, fest­zu­stel­len, wie sich die Ver­mö­gens­po­si­tio­nen der pri­va­ten Haus­hal­te in den USA im Zuge der Finanz­kri­se ver­än­dert haben. Der Sur­vey of Con­su­mer Finan­ces (SCF) wird ansons­ten regel­mä­ßig alle drei Jah­re seit 1983 erho­ben. Die Fed ver­glich nun die Ver­mö­gens­si­tua­ti­on der US-Bevöl­ke­rung im Kri­sen­jahr 2009 mit jener im Vor­kri­sen­jahr 2007. Es wur­den die­sel­ben Haus­hal­te befragt (Panel­da­ten).


 Wich­ti­ge Ergebnisse 

 1.     Enor­me Sta­bi­li­tät in der Ver­mö­gensun­gleich­heit in den USA seit den 1980er Jah­ren. Der Anteil des obers­ten 1 % bleibt bei einem Drit­tel des gesam­ten Ver­mö­gens aller Haus­hal­te (33,3%). Und dies obwohl die Ver­mö­gens­ver­lus­te durch die Kri­se auf die Reichs­ten kon­zen­triert waren; d.h. abso­lut ver­lo­ren die Rei­chen zwar beträcht­lich (99. Per­zen­til­wert: 9 Mio. USD 2007 Rück­gang auf 7 Mio. USD 2009); rela­tiv betrach­tet ver­än­dert sich in der Kri­se für die Rei­chen nichts (2007: 33,3%).

 

2.     Fast die gesam­ten Anlei­hen wer­den von den reichs­ten 10% in den USA gehal­ten; und fast 2/​3 hat das reichs­te 1 %. Auch Unter­neh­mens­ver­mö­gen ist enorm kon­zen­triert: über die Hälf­te wird vom obers­ten 1% gehalten.

 

3.     Der Anteil der unte­ren Hälf­te der pri­va­ten Haus­hal­te (0–50%) am gesam­ten Ver­mö­gen aller Haus­hal­te sank von 2,5% auf 1,5%. Hat­ten die unte­ren 50% schon vor der Kri­se – rela­tiv gese­hen – fast nichts an Ver­mö­gens­wer­ten, so sank die­ser Wert in der Kri­se signifikant.





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Ver­mö­gen­steu­ern: Ja! Aber wie und welche?

21. November 2011 – 14:49 Uhr

Recht­zei­tig zur aktu­el­len Debat­te um den Bei­trag von Ver­mö­gen­steu­ern in der Bud­get­kon­so­li­die­rung: Ein Vor­ab-Ein­blick in das Debat­ten­fo­rum des dem­nächst erschei­nen­den Kurs­wech­sel Heft 4/​2012 (Haupt­the­ma „Care Öko­no­mie“), mit Bei­trä­gen von Mar­git Schrat­zen­stal­ler und Chris­toph Berka/​Josef Tho­man über die Mach­bar­keit unter­schied­li­cher Vari­an­ten der Vermögensbesteuerung.

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ÖkonomInnen-Appell gegen Schuldenbremse

17. November 2011 – 13:54 Uhr

Die öster­rei­chi­sche Regie­rung nimmt sich das deut­sche Modell einer „Schul­den­brem­se“ als Vor­bild. Als die Schul­den­brem­se in Deutsch­land ein­ge­führt wur­de, reagier­ten 64 Öko­nom­In­nen mit dem Appell „Die Schul­den­brem­se gefähr­det die gesamt­wirt­schaft­li­che Sta­bi­li­tät und die Zukunft unse­rer Kin­der“. Aus aktu­el­lem Anlass hier zur Wie­der-Lek­tü­re.

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Die Schuldenbremse als Farce

15. November 2011 – 11:51 Uhr

Nun befin­det sich die Bun­des­re­gie­rung also auf direk­tem Weg eine soge­nann­te Schul­den­brem­se in Ver­fas­sungs­rang zu heben. Die wesent­li­che Fra­ge, was das nun genau bedeu­tet, dürf­te zwar noch offen sein, doch fest steht, dass damit pünkt­lich zum Wirt­schafts­ab­schwung ein neu­er­li­ches Spar­pa­ket ver­han­delt wer­den wird. Die­se Unbe­stimmt­heit liegt auch dar­an, dass es meh­re­re For­men von Fis­kal­re­geln gibt, die in der Debat­te alle als Schul­den­brem­se bezeich­net werden.

Wahr­schein­lich ist, dass die deut­sche Rege­lung über­nom­men wird, die weit­ge­hend mit den soeben erst ver­schärf­ten euro­päi­schen Bud­get­vor­ga­ben über­ein­stimmt. Bei­de ent­hal­ten im Kern die Umset­zung der äußert rigi­den soge­nann­ten Medi­um Term Objec­ti­ves (mit­tel­fris­ti­ge Haus­halts­zie­le). Im Fal­le Öster­reichs und Deutsch­lands ist das (fast) ein struk­tu­rel­les Null­de­fi­zit. Aus­ge­hend von der soeben ver­öf­fent­lich­ten Herbst­pro­gno­se der EU-Kom­mis­si­on, die das struk­tu­rel­le Defi­zit für Öster­reich mit 2,8 % des BIP (2013) pro­gnos­ti­ziert, müss­te die Kon­so­li­die­rung folg­lich über 8 Mrd. Euro betra­gen – ein Viel­fa­ches des Spar- und Steu­er­pa­kets aus dem Vor­jahr. Das wür­de pro Per­son zu einer durch­schnitt­li­chen Zusatz­be­las­tung von 1.000 Euro pro Jahr füh­ren, was ange­sichts die­ses Volu­mens – selbst bei einer schwer­punkt­mä­ßi­gen Belas­tung der reichs­ten Haus­hal­te – auch die Mit­tel­schicht emp­find­lich tref­fen würde.

Neben einer Kopie der deut­schen Schul­den­brem­se wur­den als Alter­na­ti­ve anschei­nend zwei wei­te­re Fis­kal­re­geln dis­ku­tiert. Die mode­ra­tes­te Ver­si­on wäre eine Erwei­te­rung der bis­he­ri­gen Pra­xis der Aus­ga­ben­ober­gren­zen auf alle Gebiets­kör­per­schaf­ten plus Beschrän­kung ihrer Zuwäch­se mit der mit­tel­fris­ti­gen Wachs­tums­ra­te. Aus­ga­ben­ober­gren­zen könn­ten zwar prin­zi­pi­ell wirt­schafts­po­li­tisch ver­kraft­bar aus­ge­stal­tet wer­den, hät­ten aber bereits eine lang­fris­ti­ge Kür­zung des Staats­haus­halts und somit eine Behin­de­rung des sozia­len Fort­schritts zur Fol­ge. Völ­lig jen­sei­tig wäre hin­ge­gen eine wei­te­re Fis­kal­re­gel, näm­lich die von der ÖVP ver­lang­te Fest­schrei­bung einer Staats­schul­den­quo­te von 60 % des BIP bis 2020. Hier­für wären etwa 40 Mrd Euro – das ent­spricht mehr als der Hälf­te des Bun­des­bud­gets – not­wen­dig. Wür­den zwi­schen­zeit­lich z.B. wei­te­re Ban­ken­hil­fen gewährt, kämen sogar noch wei­te­re Mil­li­ar­den hinzu.

Denn sie wissen, was sie tun?

Wäre die Sache wirt­schafts­po­li­tisch nicht so ernst, wäre die­se gro­be Fest­le­gung kaba­rett­reif: Jene Regie­rung, die noch im Vor­jahr mit der ver­spä­te­ten Bud­get­vor­la­ge die Ver­fas­sung gebro­chen hat, ver­pflich­tet sich und zukünf­ti­ge Regie­rung mit­tels Ver­fas­sungs­än­de­rung zu wei­te­ren dra­ko­ni­schen Kon­so­li­die­rungs­maß­nah­men – die sie bis­her zu Recht mit dem Hin­weis auf die rela­ti­ve Sta­bi­li­tät und die schwa­chen Wirt­schafts­pro­gno­sen aus­ge­schlos­sen hat­te. Völ­lig unklar ist zudem, wes­halb es die­se ver­fas­sungs­mä­ßi­ge poli­ti­sche Selbstent­mün­di­gung braucht, denn nichts – abge­se­hen von wirt­schafts­po­li­ti­schem Sach­ver­stand – hin­dert die Regie­rung jed­we­de Regel zu befol­gen, die sie poli­tisch auch tat­säch­lich befol­gen will.

Trotz­dem ist die­se Inkon­se­quenz in gewis­sem Sin­ne auch wie­der kon­se­quent: Im Novem­ber des Vor­jah­res schloss der Bun­des­kanz­ler wei­te­re Kon­so­li­die­rungs­maß­nah­men in die­ser Legis­la­tur­pe­ri­ode aus, ehe er dann im März in Brüs­sel recht­li­che Ände­run­gen abseg­ne­te, die wei­te­re Spar­pa­ke­te erfor­der­lich mach­ten. Und nun im Okto­ber bil­lig­te er das Regie­rungs­ziel eines maxi­ma­len Defi­zits von 3,2 % des BIP 2012, nur um dann kurz dar­auf gemein­sam mit sei­nen euro­päi­schen Amts­kol­le­gIn­nen aus­ge­gli­che­ne Haus­hal­te in allen euro­päi­schen Staa­ten zu for­dern. Über­trof­fen wird er nur von sei­ner Finanz­mi­nis­te­rin, die zeit­gleich die Steu­er­be­las­tung redu­zie­ren, den Bud­get­pfad fort­füh­ren und die Staats­ver­schul­dung auf 60 % sen­ken will. Alles klar?

Das Argu­ment für die­se poli­ti­sche Far­ce: Es brau­che ein glaub­haf­tes Signal an die Finanz­märk­te, um die Zins­kos­ten rela­tiv nied­rig zu hal­ten. Die Poin­te: In Spa­ni­en, wo eben erst eine Schul­den­brem­se beschlos­sen wur­de, hat man bewie­sen, dass ein aus­ge­gli­che­ner Haus­halt in der Ver­fas­sung das eben nicht leis­ten kann. Die Sekun­där­markt­zins­sät­ze spa­ni­scher Staats­an­lei­hen stie­gen in den Tagen rund um den Beschluss wei­ter an und wur­den erst durch die EZB-Inter­ven­ti­on kurz­fris­tig sta­bi­li­siert – mitt­ler­wei­le haben sie sogar ein neu­es, untrag­ba­res Rekord­ni­veau erreicht.

Im Gegen­satz zu vie­len Poli­ti­ke­rIn­nen dürf­te den meis­ten Finanz­markt­ak­teu­ren klar sein, dass rei­ne Spar­po­li­tik ohne Rück­sicht auf Ver­lus­te nicht die lang­fris­ti­gen Ein­nah­men sichern kann, die es zur Bedie­nung der Staats­schul­den bei gleich­zei­ti­ger Auf­recht­erhal­tung selbst rudi­men­tä­rer Staats­auf­ga­ben braucht. Ins­be­son­de­re weil die grund­le­gen­den öko­no­mi­schen Pro­ble­me (Spa­ni­en: geplatz­te Immo­bi­li­en­bla­se, Rekord­ar­beits­lo­sig­keit, pri­va­te Ver­schul­dung; Öster­reich: Ban­ken­sek­tor bzw. des­sen Ost-Abhän­gig­keit, Ita­li­en-Ver­flech­tung) unge­löst blei­ben, ist eine Schul­den­brem­se in der Ver­fas­sung etwa so wirk­sam bzw. glaub­wür­dig wie ein Gesetz gegen schlech­tes Wetter.

Schuldenbremse = Wohlstandsbremse = Ablenkungsmanöver

Und das führt zum erns­ten Teil die­ser Far­ce. Was eine Schul­den­brem­se brin­gen wird, ist also weni­ger eine Redu­zie­rung der Zins­kos­ten oder sta­bi­le Staats­haus­hal­te, son­dern im Gegen­teil eine ten­den­zi­el­le Desta­bi­li­sie­rung von Wirt­schaft und Gesell­schaft durch die Ein­schrän­kung zukünf­ti­gen Wohl­stan­des. Für die­sen braucht es näm­lich Inves­ti­tio­nen, die sinn­vol­ler Wei­se von jenen bezahlt wer­den, die den größ­ten Nut­zen dar­aus zie­hen, näm­lich die zukünf­ti­gen Begüns­tig­ten über höhe­re zukünf­ti­ge Ein­kom­men. Zudem braucht es die Mög­lich­keit, kon­junk­tu­rel­le Schwan­kun­gen aus­zu­glei­chen, um die kurz- wie lang­fris­ti­gen, indi­vi­du­el­len wie gesell­schaft­li­chen Fol­gen von Arbeits­lo­sig­keit abzu­mil­dern. Schul­den­brem­sen gefähr­den bei­des und kön­nen somit rasch zu Wohlstands‑, Investitions‑, Beschäftigungs‑, Sozi­al- und Zukunfts­brem­sen mutieren.

Ein wei­te­res Pro­blem ist, dass mit der Schul­den­brem­se indi­rekt sug­ge­riert wird, die Staats­ver­schul­dung wäre auf unver­ant­wort­li­che Bud­get­po­li­tik zurück­zu­füh­ren. Damit wird davon abge­lenkt, dass erst mit der Kri­se 2008 die Staats­ver­schul­dung wie­der gestie­gen, zuvor aller­dings in der Euro­zo­ne kon­ti­nu­ier­lich gesun­ken ist (von 72,8 % vor ihrer Grün­dung auf 66,1 % des BIP 2007, ähn­lich auch in Öster­reich). Wür­de man die­sen Zusam­men­hang stär­ker berück­sich­ti­gen, wäre zu erken­nen, dass es zur mit­tel­fris­ti­gen Redu­zie­rung der Staats­ver­schul­dung kei­ne wirt­schafts­po­li­ti­sche Zwangs­ja­cke, son­dern Maß­nah­men gegen die haupt­säch­li­chen schul­den­trei­ben­den Fak­to­ren braucht: Ein kri­sen­an­fäl­li­ges Finanz­sys­tem, das Ban­ken­ret­tun­gen not­wen­dig macht; Kon­junk­tur­schwä­che und stei­gen­de Arbeits­lo­sig­keit, die die Steu­er­ein­nah­men sen­ken und zu höhe­ren Aus­ga­ben füh­ren (ins­be­son­de­re für Arbeits­markt­po­li­tik); und letzt­lich unzu­rei­chen­de Bei­trä­ge von Rei­chen und Unter­neh­men, die von der wirt­schaft­li­chen und steu­er­po­li­ti­schen Ent­wick­lung vor der Kri­se beson­ders profitierten.

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Staatsbankrott – Alternative zu Austeritätspolitik und Weg aus der Euro-Krise ?

18. Oktober 2011 – 9:50 Uhr

Über die Sinn­haf­tig­keit und die Fol­gen einer Staats­in­sol­venz im Euro­raum gibt es geteil­te Mei­nun­gen. Inwie­weit ist eine geord­ne­te Staats­in­sol­venz sinn­voll und wür­de die öko­no­mi­schen und sozia­len Kos­ten der Kri­se in den betrof­fe­nen Län­dern und im Euro­raum redu­zie­ren? Wel­che Erfah­run­gen gibt es mit dem Instru­ment des Staat­bank­rotts beson­ders in Län­dern des Südens, wo die­ses Instru­ment seit lan­gem gefor­dert wird ? Wie kann eine gere­gel­te Staats­in­sol­venz im Euro­raum gestal­tet wer­den ? Inwie­weit wür­de eine gere­gel­te Staats­in­sol­venz zu Anste­ckungs­ef­fek­ten füh­ren und dadurch die Kri­se ver­schär­fen? Wel­che alter­na­ti­ven Poli­ti­ken gibt es zum Staats­bank­rott, um die Kri­se zu ent­schär­fen und die öko­no­mi­schen und sozia­len Kos­ten der Kri­se reduzieren?


Im aktu­el­len Kurs­wech­sel  (Haupt­the­ma: „Roh­stof­fe“) kom­men dazu zwei unter­schied­li­che Posi­tio­nen zu Wort: Kuni­bert Raf­fer (Uni Wien) for­dert schon seit Jahr­zehn­ten eine Staats­in­sol­venz­pro­ze­dur vor allem für Län­der des Südens. Tors­ten Niechoj (IMK) betont hin­ge­gen die Gefah­ren einer Staats­in­sol­venz im Euro­raum und argu­men­tiert für alter­na­ti­ve Lösungen.


Das Heft erscheint Mit­te Novem­ber, die Debat­ten­bei­trä­ge sind vor­ab online.

Am 10.November 2011 um 19h in C3 (Sen­sen­gas­se 3, 1090 Wien) gibt es eine BEIGEWUM/ÖFSE-Dis­kus­si­ons­ver­an­stal­tung zum The­ma mit Hele­ne Schu­berth und Kuni­bert Raf­fer.

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