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EU-Fiskalpakt: Das programmierte Desaster

28. März 2012 – 14:37 Uhr

Als die 25 Staa­ten­len­ke­rIn­nen den EU-Fis­kal­pakt unter­zeich­ne­ten, haben sie sei­ne Fol­gen nicht begrif­fen. Das Ziel war doch so klar – Schluss mit dem Schul­den­ma­che­rei! – und die Regeln doch so einfach:

  • Jeder Ver­trags­staat darf nur mehr ein struk­tu­rel­les (kon­junk­tur­be­rei­nig­tes) Haus­halts­de­fi­zit von maxi­mal 0,5% des BIP auf­wei­sen (Defi­zit­kri­te­ri­um).
  • Jedes Jahr muss die Staats­schuld um ein Zwan­zigs­tel der Dif­fe­renz zwi­schen der aktu­el­len Schul­den­quo­te und dem Ziel­wert von 60% abbau­en (Schul­den­kri­te­ri­um).
  • Jedes Ver­trags­land kann ein ande­res beim Euro­päi­schen Gerichts­hof (EuGH) wegen Regel­ver­let­zung anzei­gen, die­ser prüft und ver­hängt Strafen.

Die Fol­gen: Nach dem Defi­zit­kri­te­ri­um muss etwa Spa­ni­en sein Defi­zit von 8,5% des BIP so rasch wie mög­lich besei­ti­gen. Ver­ein­bart sind mit der Euro­päi­schen Kom­mis­si­on Ziel­wer­te von 5,4% (2012) und 3,0% (2013). Ange­sichts der schwe­ren Rezes­si­on (das BIP schrumpft heu­er um 2%) und extrem hoher Arbeits­lo­sig­keit ver­schlim­mert das Spa­ren die Lage immer mehr.

Annah­me: Eine Defi­zit­re­duk­ti­on um einen BIP-Pro­zent­punkt redu­ziert das BIP in glei­chem Aus­maß (Mul­ti­pli­ka­tor = 1), gleich­zei­tig kommt die Infla­ti­on zum Still­stand (nicht zuletzt infol­ge sin­ken­der Löh­ne). Dann wird das nomi­nel­le BIP durch die Spar­po­li­tik 2012 und 2013 um jeweils 5% schrump­fen. Wird das Spar­ziel (den­noch) erreicht, so müss­te Spa­ni­en nach dem Defi­zit­kri­te­ri­um des Fis­kal­pakts nicht wei­ter spa­ren, obwohl das Gesamt­de­fi­zit noch immer 3% beträgt.

Grund: Das aktu­el­le BIP läge 2013 um mehr als 5% unter dem Poten­ti­a­l­out­put (wegen des durch die Spar­po­li­tik ver­tief­ten Wirt­schafts­ein­bruchs), die Kon­junk­tur­kom­po­nen­te des Gesamt­de­fi­zits wäre zumin­dest 2,5%, das kon­junk­tur­be­rei­nig­te („struk­tu­rel­le“) Defi­zit also klei­ner als 0,5% des BIP.

Nun aber ent­fal­tet das Schul­den­kri­te­ri­um sei­ne Wir­kung. 2012 und 2013 steigt die spa­ni­sche Staats­schul­den­quo­te (Rela­ti­on der Schul­den zum BIP) von 70% auf fast 90% (!). Dazu tra­gen die Bud­get­de­fi­zi­te 8,4 BIP-Pro­zent­punk­te bei (5,4 plus 3,0). Noch stär­ker ins Gewicht fällt die Schrump­fung des BIP (des Nen­ners) um 10%. Fol­ge: Nach dem Schul­den­kri­te­ri­um muss Spa­ni­en jetzt 20 Jah­re lang Jahr 1,5% des BIP ein­spa­ren (1/​20el von 90% minus 60%)…..

Ver­ord­ne­ter Weg in die Depression

Fazit: Die „Ver­zah­nung“ von Defi­zit- und Schul­den­re­gel im Fis­kal­pakt ver­ord­net (fast) allen EU-Län­dern den „grie­chi­schen Weg“ in die Depres­si­on. Spar­maß­nah­men redu­zie­ren zwar das Defi­zit, aber gleich­zei­tig das BIP, die Staats­schul­den­quo­te steigt, und das erzwingt ein (nahe­zu) per­ma­nen­tes Spa­ren. Der euro­päi­sche Sozi­al­staat wird so kon­se­quent stran­gu­liert. Das hat der EZB-Chef Draghi rich­tig erkannt.

Bei­spiel Ita­li­en: Die Staats­schul­den­quo­te beträgt 120%, Ita­li­en müss­te also 20 Jah­re lang 3% des BIP ein­spa­ren, Jahr für Jahr…… Wich­tig: Die für das Euro­päi­sche Sozi­al­mo­dell ver­hee­ren­de Wir­kung des Fis­kal­pakts liegt nicht in der viel dis­ku­tier­ten Schul­den­brem­se nach deut­schem Vor­bild (= Defi­zit­kri­te­ri­um), son­dern im Schul­den­kri­te­ri­um –  über die­ses ist kaum berich­tet, geschwei­ge denn öffent­lich dis­ku­tiert wor­den. Danach müs­sen näm­lich alle wich­ti­gen EU-Län­der per­ma­nent und gleich­zei­tig kon­so­li­die­ren. Wer so etwas beschließt, hat das 1 mal 1 der Makro­öko­no­mie nicht begriffen.

Ein wei­te­rer Fun­da­men­tal­feh­ler: Die Ziel­grö­ße einer Schul­den­quo­te von 60%. Die­ser Wert hat­te 1992 als Teil der Maas­tricht-Kri­te­ri­en sei­ne Berech­ti­gung. Damals glaub­te man,  (nomi­nel­le) BIP wür­de lang­fris­tig um 5% pro Jahr stei­gen. In die­sem Fall kon­ver­giert die Staats­schul­den­quo­te gegen den Wert von 60%, wenn das Bud­get­de­fi­zit per­ma­nent bei der Maas­tricht-Ober­gren­ze von 3% des BIP liegt (3/5=0,6).

Tat­säch­lich ist aber das nomi­nel­le BIP der Euro­län­der seit 1992 ledig­lich um 3,5% pro Jahr gestie­gen. Dar­aus ergä­be sich ein höhe­rer Grenz­wert der Staats­schul­den­quo­te, näm­lich 86% (3/3,5). Soll aber das Gesamt­de­fi­zit mit­tel­fris­tig nur 0,5% des BIP betra­gen wie im EU-Fis­kal­pakt vor­ge­se­hen, dann dürf­te der Ziel­wert der Staats­schul­den­quo­te nur bei 14% lie­gen (0,5/3,5). Ita­li­en müss­te dann 20 Jah­re lang sei­ne öffent­li­chen Schul­den um 5,3 BIP-Pro­zent­punk­te pro Jahr abbauen.

Ver­na­de­rung als Solidaritätsbekundung

Kom­plet­tiert wird der Pakt durch den (Vernaderungs)Artikel 8: Dem­nach wer­den Straf­ver­fah­ren gegen „Zuwe­nig-Spa­rer“ (nur) durch (wech­sel­sei­ti­ges) Anzei­gen der Ver­trags­län­der beim EuGH initi­iert. Das Gericht kann dann Stra­fen bis zu 0,1% des BIP ver­hän­gen (etwa 300 Mill. € im Fall von Österreich).

Aller­dings müss­ten die Rich­ter ein mehr­jäh­ri­ges Öko­no­mie­stu­di­um nach­ho­len, um die dif­fi­zi­len Fra­gen über­haupt zu ver­ste­hen, die beim Ver­such einer Quan­ti­fi­zie­rung von Poten­ti­a­l­out­put und struk­tu­rel­lem Defi­zit auf­tre­ten. Die Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ter haben dazu trotz jahr­zehn­te­lan­gem Bemü­hen kei­ne ein­heit­li­chen Ant­wor­ten fin­den können.

End­gül­tig als Far­ce erkenn­bar wird der Pakt dar­an, dass er ja gar nicht Teil des EU-Rechts ist (weil Eng­land und Tsche­chi­en nicht mit­ma­chen). Daher kön­nen die 25 Part­ner auch kei­ne EU-Insti­tu­tio­nen wie EuGH oder Kom­mis­si­on mit Pakt-Auf­ga­ben betrau­en. Viel­mehr müss­ten sich die 25 Län­der als euro­päi­scher Spar­ver­ein kon­sti­tu­ie­ren („Die 25-er“), der sei­ne eige­nen Orga­ne bil­det, etwa auch ein Schiedsgericht.

Tot­ge­burt in spe

Juris­ten nen­nen Nor­men, wel­che nicht mehr anwend­bar sind, „totes Recht“. Beim Fis­kal­pakt han­delt es sich um eine „Tot­ge­burt in spe“. Aller­dings: Bis zur Aus­stel­lung des Toten­scheins kann die­ser Unsinn enor­men Scha­den anrich­ten. Sei­ne Rati­fi­zie­rung in den natio­na­len Par­la­men­ten zu ver­hin­dern, ist der Bür­ge­rIn­nen ers­te Pflicht.

Die­ser Bei­trag erschien bereits in der Vor­wo­che im Fal­ter 12/​2012.

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18.3.12: Quo Vadis Ungarn? Diskussion

5. März 2012 – 13:05 Uhr

Quo vadis Ungarn?

Dis­kus­si­on am Sonn­tag, 18. März 2012, 18.00 Uhr im Repu­bli­ka­ni­schen Club (Rockh­gas­se 1, 1010 Wien)


Mit Sus­an Zim­mer­mann (Prof. f. Geschich­te Buda­pest) und Ist­ván Gra­jcz­jár (Ass.Prof. f. Sozio­lo­gie Buda­pest); Mode­ra­ti­on Julia Hof­mann (BEIGEWUM)


Wie konn­te aus Ungarn ein Nähr­bo­den für rechts­ra­di­ka­le Par­tei­en wer­den? Wie lässt sich die innen- und wirt­schafts­po­li­ti­sche Stra­te­gie der Regie­rung Orbán ein­schät­zen? Was sind die Fol­gen der poli­ti­schen Wei­chen­stel­lun­gen für Ungarn, Euro­pa und Öster­reich im Beson­de­ren? Wel­che Kon­se­quen­zen soll die Euro­päi­sche Uni­on zie­hen? Wel­che Chan­cen haben eman­zi­pa­to­ri­sche Ideen und Pro­jek­te in Ungarn heute?

Neues BEIGEWUM Buch: „Imagine Economy“ ist da!

20. Februar 2012 – 16:28 Uhr

Jetzt ist es da: Das neue Bei­gewum-Buch „ima­gi­ne eco­no­my. Neo­li­be­ra­le Meta­phern im wirt­schafts­po­li­ti­schen Diskurs“!


Prä­sen­ta­ti­ons­ver­an­stal­tung:


Vom >Ret­tungs­schirm< zur >Schul­den­brem­se<: Meta­phern in der Wirtschaftspolitik“

Mon­tag, 23.4. 19:30 im Hör­saal M13a (Aka­de­mie der bil­den­den Küns­te, Schil­ler­platz 3, 1010 Wien, nach dem Ein­gang rechts, im 1.Stock)

Mit Ruth Wod­ak, Ani­ta Roit­ner und Maria Mal­t­sch­nig, Agnieszka Cze­j­kow­s­ka und Beat Weber


In den Bei­trä­gen die­ses Ban­des wer­den die Bil­der und Asso­zia­tio­nen, die mit neo­li­be­ra­len Meta­phern trans­por­tiert wer­den, expli­zit gemacht und ihre Kon­no­ta­tio­nen und Aus­blen­dun­gen kri­tisch beleuch­tet. In der wirt­schafts­po­li­ti­schen Debat­te wird mit Meta­phern wie »Ret­tungs­schirm«, »Schul­den­brem­se« (als Lese­pro­be hier), »schlan­ker Staat«, »sozia­le Hän­ge­mat­te«, »Leis­tungs­trä­ger« etc. ver­sucht, gewis­se Inter­pre­ta­tio­nen und Wer­tun­gen öko­no­mi­scher Sach­ver­hal­te durch­zu­set­zen, und damit bestimm­te Maß­nah­men zu legi­ti­mie­ren und ande­re zu dis­kre­di­tie­ren. Die­ses Buch bie­tet ein klei­nes Glos­sar der wich­tigs­ten Meta­phern im wirt­schafts­po­li­ti­schen Dis­kurs. Es sind zumeist sol­che, die ein neo­li­be­ra­les Welt­bild und eine eben­sol­che Agen­da trans­por­tie­ren. Das AutorIn­nen­kol­lek­tiv lie­fert aber auch Bei­spie­le für Meta­phern und Bil­der, die Wunsch­vor­stel­lun­gen von einer eman­zi­pa­ti­ven Ver­än­de­rung eine Form geben. Den Welt­erfin­dungs-Pro­jek­tio­nen der Neo­li­be­ra­len und der Unter­neh­men wer­den so alter­na­ti­ve Bild­pro­duk­tio­nen ent­ge­gen­ge­setzt. Ima­gi­ne Eco­no­my… differently!


Mit einem Vor­wort von Ruth Wod­ak, Text­bei­trä­gen von Hans Asen­baum, Kle­mens Him­pe­le, Loui­se Hor­vath, Alban Knecht, Bern­hard Leu­bolt, Susan­ne May­er, Katha­ri­na Mei­che­nitsch, Katha­ri­na Muhr, Michae­la Neu­mayr, Wal­ter Ötsch, Oli­ver Praus­mül­ler, Armin Pul­ler, Phil­ipp Poyn­t­ner, Dani­el Sie­grist, Ani­ta Roit­ner, Eli­sa­beth Spring­ler und Beat Weber, sowie Bild­bei­trä­gen von Lin­da Bil­da, elffriede.interdisziplinäre.aufzeichnensysteme, Laas und Eva Vasari.


BEIGEWUM (Hg.): ima­gi­ne eco­no­my. Neo­li­be­ra­le Meta­phern im wirt­schafts­po­li­ti­schen Dis­kurs (Arts & Cul­tu­re & Edu­ca­ti­on Band 7. Hg. von Agnieszka Cze­j­kow­s­ka im Löcker Ver­lag. Bro­schur, ca. 180 Sei­ten, zahl­rei­che Farb­abb., € 14,80, ISBN 978–3‑85409–614‑6)


Hörmanns Zinskritik

26. Januar 2012 – 12:58 Uhr

In den Medi­en wird der­zeit über die Rol­le von Franz Hör­mann im Zusam­men­hang mit einer anti­se­mi­ti­schen Wirt­schafts­kri­tik, die an die Occu­py-Bewe­gung anzu­do­cken ver­sucht, diskutiert.

In der Debat­te wird jedoch sel­ten auf die pro­ble­ma­ti­schen öko­no­mi­schen The­sen ein­ge­gan­gen, durch die Hör­mann popu­lär gewor­den ist. Dazu ein Aus­zug aus dem Edi­to­ri­al der nächs­ten Aus­ga­be des Kurswechsel:


Der Betriebs­wirt­schaf­ter Franz Hör­mann hat in Öster­reich mit Publi­ka­tio­nen öffent­li­che Auf­merk­sam­keit erregt, die die „Zins­kri­tik“ wie­der­be­le­ben (Hörman/​Pregetter 2011: „Das Ende des Gel­des“). In die­ser Wirt­schafts­ana­ly­se wird das Gläu­bi­ger-Schuld­ner-Ver­hält­nis in den Vor­der­grund gestellt, und in der Ver­zin­sung von Kre­di­ten die Ursa­che für Sys­tem­pro­ble­me gese­hen. Hör­mann zufol­ge ist das zen­tra­le Pro­blem, dass Ban­ken Geld als Kre­dit aus dem Nichts schöp­fen, aber dabei die Zin­sen nicht mit­ge­schöpft wer­den. Des­halb sei für Rück­zah­lung plus Zin­sen zu wenig Geld da und der Zusam­men­bruch unver­meid­lich. Sein Bei­spiel: Auf einer Insel mit 10 Ein­woh­ne­rIn­nen eröff­net eine Bank und ver­leiht an jede Per­son 10 Gold­stü­cke für ein Jahr zu einem Zins­satz von 10%. Nach einem Jahr wer­den in Sum­me 110 Gold­stü­cke fäl­lig. Die Bewoh­ne­rIn­nen wür­den des­halb im Lauf des Jah­res ver­su­chen, sich gegen­sei­tig Gold­stü­cke abzu­ja­gen, wür­den also zur Kon­kur­renz gezwun­gen, um die Rück­zah­lung plus Zin­sen auf­zu­brin­gen. Es gibt aber ins­ge­samt nur 100 Gold­stü­cke, folg­lich sei­en letzt­lich Kon­kur­se und Beschlag­nah­mung von Sicher­hei­ten durch die Bank die unaus­weich­li­che Fol­ge. Die Kre­dit­wirt­schaft sei somit ein Betrugs- und Ent­eig­nungs­mo­dell. Hör­mann sieht die aktu­el­le Über­schul­dungs­kri­se in Euro­pa als Aus­druck die­ser Mechanismen.


Das ist ein sehr schö­nes Bei­spiel, weil sich an ihm zen­tra­le Irr­tü­mer der Zins­kri­tik ver­an­schau­li­chen lassen.


Ers­tens beach­tet sie nur die Zir­ku­la­ti­ons­sphä­re und blen­det den Ver­wen­dungs­zweck der Kre­di­te, und damit die Pro­duk­ti­on völ­lig aus. Der Kapi­ta­lis­mus dreht sich aber um Mehr­wert­pro­duk­ti­on, und Kre­di­te sind das Mit­tel für Unter­neh­men, um die­se zu star­ten: Sie sind kein Zwang, der Unter­neh­men erst in Kon­kur­renz ver­setzt, son­dern die Kon­kur­renz bringt Unter­neh­men dazu, frei­wil­lig Kre­di­te auf­zu­neh­men, um Mehr­wert pro­du­zie­ren zu kön­nen. Die Geschäf­te zwi­schen den Insel­be­woh­ne­rIn­nen, sofern es sich um eine kapi­ta­lis­ti­sche Insel han­delt, bestehen nicht aus wech­sel­sei­ti­ger Über­vor­tei­lung im geld­ver­mit­tel­ten Tausch­han­del, wie das in Hör­manns Bei­spiel anklingt. Son­dern es wer­den mit Hil­fe der Kre­di­te im Erfolgs­fall neue Wer­te geschaf­fen, die mehr Geld ein­brin­gen als die Sum­me ihrer Bestand­tei­le. Kre­dit­geld fun­giert hier als Kapi­tal, nicht bloß als Zahlungsmittel.


Zwei­tens ist die Geld­men­ge als Sum­me der zir­ku­lie­ren­den Zah­lungs­mit­tel kei­ne Beschrän­kung für die Kre­dit­rück­zah­lung plus Zin­sen: Ein und das­sel­be Gold­stück aus dem obi­gen Bei­spiel kann für eine Viel­zahl von Zah­lun­gen durch ver­schie­de­ne Insel­be­woh­ne­rIn­nen benutzt wer­den – Geld zir­ku­liert (des­halb ist die Umlauf­ge­schwin­dig­keit ein gro­ßes The­ma in der öko­no­mi­schen Theo­rie­ge­schich­te). Die Zin­sen, die die Bank von einem Schuld­ner erhält, flie­ßen wie­der in den Wirt­schafts­kreis­lauf zurück (weil damit u.a. Bank­an­ge­stell­te, ‑aktio­nä­rIn­nen und Spar­kun­dIn­nen bezahlt wer­den, die die­ses Geld wie­der­um aus­ge­ben kön­nen), und erlau­ben den nächs­ten, ihre Rech­nun­gen zu beglei­chen etc. Abge­se­hen davon ist die Annah­me abwe­gig, dass sämt­li­che Kre­di­te einer Wirt­schaft zum sel­ben Zeit­punkt auf ein­mal fäl­lig werden.


Dass es zu unglei­chen Ver­tei­lungs­pro­zes­sen kommt, ist zwar nicht zu bestrei­ten: Im Kapi­ta­lis­mus gilt die Kapi­tal­ak­ku­mu­la­ti­on als Impe­ra­tiv. Aber Zin­sen sind nur ein Aspekt davon. Unter­neh­mens­ge­win­ne, Spit­zen­ein­kom­men, Erb­schaf­ten und Finanz­ge­schäf­te sind die zen­tra­len Quel­len für wach­sen­de Ungleich­heit: Durch Ein­strei­fen der Zin­sen auf bra­ves Spar­buch-Spa­ren ist hin­ge­gen noch nie­mand reich geworden.


Die Zins­kri­tik schließt an tra­di­tio­nel­le Vor­be­hal­te gegen Geld­ver­leih und Zin­sen an, die durch die jüngs­te Finanz­kri­se in der öffent­li­chen Mei­nung wie­der Auf­trieb erhiel­ten. Mit die­sem Fokus ver­fehlt sie jedoch zen­tra­le Mecha­nis­men des gel­ten­den Wirt­schafts­sys­tems und ihr Ver­ständ­nis der Funk­ti­ons­wei­se von Geld beruht auf fol­gen­schwe­ren Miss­ver­ständ­nis­sen. Dass ent­spre­chen­de Ansät­ze häu­fig eine Nähe zu Anti­se­mi­tis­mus auf­wei­sen, ist auch kein Zufall.

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S&P als Stimme der Vernunft?

23. Januar 2012 – 16:58 Uhr

Nie­mand kann oder will die Bot­schaft der Rating-Agen­tur Stan­dard & Poors ver­ste­hen. Dabei sind die Ana­ly­sen der Rater wesent­lich ver­nünf­ti­ger als das was an Unsinn durch die öster­rei­chi­schen Medi­en geistert.

Das inter­na­tio­nal renom­mier­te Fach­blatt für Wirt­schaft­fra­gen „Heu­te“ hat mit­tels zehn Fra­gen Öster­reichs Kre­dit­wür­dig­keit erläu­tert. Fra­ge 7: „Wie kann Öster­reich den AAA-Sta­tus wie­der­be­kom­men“? beant­wor­tet „Heu­te“ wie folgt: „Durch rasche Spar­maß­nah­men. Gera­de die hohen Schul­den haben zur Her­ab­stu­fung geführt (…)“ Das ist nur die sim­pels­te Wie­der­ga­be des­sen, was fast alle Mei­nungs­ma­che­rIn­nen die­ser Tage mit sor­gen­vol­ler Mie­ne ver­kün­den: Wir hät­ten die AAA-Boni­tät wegen man­geln­der Spar­an­stren­gun­gen ver­lo­ren. Nie­mand hat es über­prüft aber alle wis­sen: Nur har­te Refor­men und eiser­nes Spa­ren kön­nen uns aus der Schul­den­kri­se füh­ren. Doch las­sen wir Stan­dard & Poors (S&P) ein­mal selbst spre­chen und schau­en wir, was in ihrem aktu­el­len Report zu lesen ist: 

Wir sind auch der Auf­fas­sung, dass die Gip­fel­ver­ein­ba­rung (EU-Gip­fel vom 9.12.) von einer ledig­lich ein­sei­ti­gen Inter­pre­ta­ti­on der Ursa­chen der Staats­schul­den­kri­se geprägt ist, näm­lich dass die der­zei­ti­gen finan­zi­el­len Unsi­cher­hei­ten pri­mär von man­geln­der bud­ge­tä­rer Dis­zi­plin in den Peri­phe­rie­staa­ten der Euro­zo­ne her­rüh­ren. Nach unse­rer Mei­nung sind die finan­zi­el­len Pro­ble­me in der Euro­zo­ne jedoch glei­cher­ma­ßen ein Ergeb­nis der stei­gen­den außen­wirt­schaft­li­chen Ungleich­ge­wich­te und aus­ein­an­der­lau­fen­der Wett­be­werbs­fä­hig­keit zwi­schen den Kern­län­dern der Euro­zo­ne und den soge­nann­ten Peri­phe­rie­staa­ten. Daher glau­ben wir, dass ein Reform­pro­zess, der ein­sei­tig auf fis­ka­li­schen Spar­maß­nah­men beruht, unwirk­sam sein könn­te, indem die Inlands­nach­fra­ge in glei­chem Maße sinkt wie die Sor­ge der Ver­brau­cher um ihre Arbeits­plät­ze und ihre ver­füg­ba­ren Ein­kom­men steigt und damit die natio­na­len Steu­er­ein­nah­men erodieren“. 

Das hört sich doch ganz anders an als „Spa­ren, Spa­ren, Spa­ren“. Kann es sein, dass „den Gür­tel enger schnal­len“ und „sich von lieb­ge­wor­de­nen Gewohn­hei­ten tren­nen“ über­haupt nicht den Emp­feh­lung von Stan­dard & Poors ent­spricht? S&P Chef­ana­lyst Moritz Krä­mer hat­te im Ö1-Mit­tags­jour­nal selbst die Gele­gen­heit Stel­lung zu neh­men. Weil für Ö1-Jour­na­list Vol­ker Ober­may­er die Ant­wor­ten schein­bar ohne­dies schon fest­stan­den, gab er sie sich in der Fra­ge auch gleich selbst: „Ver­mis­sen Sie den eiser­nen poli­ti­schen Wil­len, die Kon­se­quen­zen aus der Lage zu zie­hen. Also nach­hal­tig die Bud­gets zu sanie­ren, Struk­tur­re­for­men durch­zu­zie­hen?“ Zur Über­ra­schung auf­merk­sa­mer Höre­rIn­nen kommt von Krä­mer kei­ne Bestä­ti­gung: „Viel wich­ti­ger für uns – um wie­der den Fokus auf die euro­päi­sche Ebe­ne zurück­zu­füh­ren – ist, dass es nach unse­rem Dafür­hal­ten die Kri­se gar nicht vor allem eine Bud­get­kri­se ist oder eine öffent­li­che Schul­den­kri­se, son­dern eine Kri­se die dadurch aus­ge­löst wur­de, dass sich die wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen und die Wett­be­werbs­fä­hig­kei­ten in der Euro­zo­ne in den letz­ten zehn Jah­ren dia­me­tral  in Rich­tung aus­ein­an­der bewegt haben. Durch Schul­den­brem­sen euro­pa­weit lässt sich die­ses Pro­blem nicht eindämmen.“ 


keyne­sia­ni­sche Krisendiagnose

Unglaub­lich aber wahr: Die Rating-Agen­tur Stan­dard & Poors hat im Kern die glei­che Kri­sen­dia­gno­se wie zB etwa das keyne­sia­nisch ori­en­tier­te Insti­tut für Makro­öko­no­mie und Kon­junk­tur­for­schung in Düs­sel­dorf (IMK). Der Befund ist kurz gesagt der fol­gen­de: Nicht nur die öffent­li­chen, son­dern auch die pri­va­ten Schul­den bedür­fen einer poli­ti­schen Berück­sich­ti­gung. Wenn die Gut­ha­ben des pri­va­ten Sek­tors die Schul­den des Sek­tors Staat in einer Volks­wirt­schaft nicht über­tref­fen, oder die Pri­va­ten in Sum­me unterm Strich sogar selbst ver­schul­det sind, ist das ein direk­tes Resul­tat der nega­ti­ven Außen­han­dels­bi­lanz der ent­spre­chen­den Volk­wirt­schaft. Die­se Leis­tungs­bi­lanz­un­gleich­ge­wich­te ent­ste­hen auf Grund der unter­schied­li­chen Ent­wick­lung der Wett­be­werbs­fä­hig­keit der Staa­ten im Euro­raum, was wie­der­um damit zu tun hat, dass die süd­eu­ro­päi­schen Staa­ten wegen der gemein­sa­men Wäh­rung man­gels Abwer­tungs­ven­til kei­ne Mög­lich­keit haben, die Lohn­zu­rück­hal­tung im Nor­den – allen vor­an in Deutsch­land – zu kompensieren.

Die­se Sicht­wei­se auf die Ursa­chen der aktu­el­len Kri­se ist wesent­lich dif­fe­ren­zier­ter als der aus­schließ­li­che Fokus auf die öffent­li­chen Haus­hal­te. Stan­dard & Poors hat offen­sicht­lich Leu­te, die cle­ver und weit­sich­tig genug sind, das zu erken­nen. Wie­so? Ganz ein­fach, weil die­se Aktue­rIn­nen Inter­es­se dar­an haben, dass ihre Ver­an­la­gun­gen nicht wert­los wer­den und sie prag­ma­tisch jede Poli­tik unter­stüt­zen, die in der Lage ist das Ver­trau­en wie­der­her­zu­stel­len und den Finanz­sek­tor nicht beim Koh­le schef­feln stört.

Gleich­zei­tig müs­sen wir aber lei­der fest­stel­len, dass die in Öster­reich ver­öf­fent­lich­te Mei­nung die Ana­ly­sen von S&P igno­riert bzw. voll­stän­dig aus einem vor­ge­fer­tig­ten und unver­rück­ba­ren Kor­sett her­aus umin­ter­pre­tiert. Bei­spiel­haft hier­für etwa Bern­hard Fel­de­rer (IHS) in „Im Zen­trum“: „(…) Ich glau­be ent­schei­dend ist dass wir jetzt alle erken­nen, es gibt kei­nen ande­ren Weg als Schul­den­brem­se als Ver­fas­sungs­ge­setz, als wei­te­re Konsolidierungen.“ 

Natür­lich weiß auch die gast­ge­ben­de Mode­ra­to­rin und neu­er­dings Finanz­ex­per­tin Ingrid Thurn­her, dass der Staats­haus­halt der Kern des Pro­blems ist, wie sie eine gan­ze „Im Zentrum“-Sendung unmiss­ver­ständ­lich klar machte.

Das weiß die amtie­ren­de Finanz­mi­nis­te­rin Maria Fek­ter () zu bestä­ti­gen: „Das was wir haben ist nicht ein wirt­schaft­li­ches Pro­blem, ist nicht ein Pro­blem der Real­wirt­schaft. (…) Das was wir haben ist ein Pro­blem der Staa­ten und da der Schul­den und der Defi­zi­te und Haushalte.“ 

Der angeb­lich sozi­al­de­mo­kra­ti­sche öster­rei­chi­sche Noten­bank­chef Ewald Nowotny bezeich­net die Prag­ma­ti­ke­rIn­nen von Stan­dard & Poors gar als poli­tisch moti­viert. Das ist inso­fern beson­ders ulkig, weil es die euro­päi­sche Wirt­schafts­po­li­tik ist, die außer den öffent­li­chen Haus­hal­ten kein The­ma mehr kennt. Das ist Ideo­lo­gie pur, eine aus­ge­gli­che­ne Poli­tik wür­de ja alle Ursa­chen der aktu­el­len Kri­se – Ban­ken­pro­ble­me, Leis­tungs­bi­lanz­un­gleich­ge­wich­te, Ver­tei­lungs­pro­ble­me, öffent­li­che Haus­hal­te – unter die Lupe neh­men. Ideo­lo­gie zeich­net sich genau durch eine absicht­li­che Ein­schrän­kung der Wahr­neh­mung aus. Inso­fern ist S&P wei­ter als die Ent­schei­dungs­trä­ge­rIn­nen in der Euro­päi­sche Uni­on. Noch düm­mer argu­men­tie­ren nur Abge­ord­ne­te der CDU im Online-Stan­dard „CDU-Frak­ti­ons­vi­ze Micha­el Fuchs spricht von „Atta­cken auf den Euro“ aus den USA. Der CDU-Euro­pa-Poli­ti­ker Elmar Brok sagt in der „Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Sonn­tags­zei­tung“, die Abstu­fung käme in der Kon­se­quenz „fast einem Wäh­rungs­krieg“ gleich.“ Es ist völ­lig absurd zu glau­ben, irgend­wer in den USA hät­te Inter­es­se an einem Kol­laps des Euro. Die Port­fo­li­os der Akteu­rIn­nen am Finanz­markt sind inter­na­tio­nal diver­si­fi­ziert, da besteht mit Sicher­heit kein Inter­es­se dar­an, dass eine der gro­ßen Wäh­run­gen in denen man inves­tiert ist kra­chen geht. 


Sind Rating-Agen­tu­ren das Zen­trum des Bösen?

Bei aller Kri­tik an den Rating­agen­tu­ren muss man eines sagen: Rating­agen­tu­ren sind ein­fach Teil eines Sys­tems, des­sen Ent­wick­lung durch poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen zuge­las­sen und sogar geför­dert wur­de. Rating­agen­tur sind nicht unmo­ra­lisch, son­dern amo­ra­lisch, weil sie inner­halb einer Sys­tem­lo­gik ihre Auf­ga­be erfül­len. S&P will ein­fach die Kri­se über­le­ben und wie­der ordent­lich Geld ver­die­nen. Des­halb sind sie im Zwei­fels­fall offen­sicht­lich pragmatisch.

Das Zen­trum des Bösen sind offen­bar weder die Rating-Agen­tu­ren, noch das Finanz­ka­pi­tal, son­dern es ist die Ideo­lo­gie. Und zwar die Spar- und Aus­teri­täts­ideo­lo­gie, die in Euro­pa von 90% aller Opi­ni­on Lea­der nach­ge­be­tet wird. Kei­ne Indus­trie, weder bin­nen- noch export­ori­en­tier­te, ja nicht ein­mal die auf­ge­bläh­te und über­flüs­si­ge Finanz­in­dus­trie haben irgend­et­was von die­ser Sparpolitik.

Die­ser Bei­trag ist in einer län­ge­ren Ver­si­on auf misik.at zu fin­den.

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2.2.12: Care Ökonomie Diskussion

13. Januar 2012 – 12:56 Uhr

Inves­ti­tio­nen in sozia­le Dienst­leis­tun­gen zah­len sich aus. Care Öko­no­mie – unter­schätz­tes Potential!“
Dis­kus­si­on und Kurs­wech­sel-Heft­prä­sen­ta­ti­on mit Alban Knecht und Katha­ri­na Mader, Mode­ra­ti­on: Julia Hofmann
Do, 2. Feber 2012, 18:00, im Repu­bli­ka­ni­schen Club, Rockh­gas­se 1, 1010 Wien

Care-Kri­sen sind die „Zweit­run­den­ef­fek­te“ von Wirt­schafts­kri­sen. Fal­len staat­li­che Sozi­al­aus­ga­ben weg, sind unbe­zahl­te Care-Tätig­kei­ten als sozia­le Air­bags gefragt. Doch die Care Öko­no­mie muss als das begrif­fen wer­den, was sie ist – ein wach­sen­der, auf­stre­ben­der Bereich, von dem alle pro­fi­tie­ren. Alban Knecht und Katha­ri­na Mader dis­ku­tie­ren mit Julia Hof­mann, war­um sich Inves­ti­tio­nen in sozia­le Dienst­leis­tun­gen aus­zah­len, und stel­len den aktu­el­len Kurs­wech­sel vor, der auch vor Ort bezo­gen wer­den kann. Im Anschluss gemüt­li­cher Aus­klang mit Buffet.


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The same procedure as every year: Eine Studiengebührendebatte

15. Dezember 2011 – 1:26 Uhr

Die SPÖ scheint ein neu­es Hob­by zu haben: Jedes Jahr vor Weih­nach­ten wird die Debat­te um Stu­di­en­ge­büh­ren aus­ge­packt – eine Debat­te, in der die SPÖ nur ver­lie­ren kann. Bereits letz­tes Jahr habe ich hier die Debat­te in der Sozi­al­de­mo­kra­tie kom­men­tiert. Die­ses Mal geht es nun ver­stärkt um soge­nann­te nach­ge­la­ger­te Stu­di­en­ge­büh­ren. Die Idee ist, dass die Stu­die­ren­den wäh­rend des Stu­di­ums die Stu­di­en­ge­büh­ren erlas­sen bekom­men, um sie dann nach dem Stu­di­um abzu­be­zah­len. Im Detail unter­schei­den sich die Model­le dabei erheb­lich, wobei die Stell­schrau­ben vor allem die Fol­gen­den sind:

  • Die Stu­di­en­ge­büh­ren wer­den als fes­ter Betrag als Schul­den ver­bucht, also bspw. 1.000 Euro im Jahr. Nach dem Stu­di­um sind die­se Schul­den abzubezahlen.
  • Die Stu­di­en­ge­büh­ren wer­den nicht erho­ben, son­dern ein bestimm­ter Anteil des spä­te­ren Ein­kom­mens wird als Son­der­steu­er ein­ge­zo­gen. Die Höhe der Stu­di­en­ge­büh­ren hängt also vom eige­nen Ein­kom­men ab.
  • Die Schul­den wer­den ver­zinst oder nicht.
  • Es gibt eine zeit­li­che Begren­zung der Rück­zah­lung (etwa: zehn Jah­re nach Stu­di­en­ab­schluss) oder man bezahlt, so lan­ge man Ein­kom­men bezieht.


All­ge­mein wird in der Debat­te ger­ne auf das aus­tra­li­sche Modell ver­wie­sen, oft jedoch ohne genaue Kennt­nis­se des Modells. Auch die­se Debat­te ist kei­nes­wegs neu. Alle Model­le haben spe­zi­fi­sche Pro­ble­me, aus öko­no­mi­scher Sicht sind die Fra­gen der Steue­rungs­wir­kung, der Rück­zah­lungs­sum­me, des Ver­wal­tungs­auf­wands und der Mit­nah­me­ef­fek­te bei die­sen Fra­gen zen­tral. Aller­dings gibt es eini­ge grund­sätz­li­che Ein­wän­de gegen nach­ge­la­ger­te Stu­di­en­ge­büh­ren, die im Fol­gen­den in aller Kür­ze benannt wer­den sol­len. Eine aus­führ­li­che Dar­stel­lung und Kri­tik der Model­le fin­det man in einer Bro­schü­re des deut­schen Akti­ons­bünd­nis­ses gegen Stu­di­en­ge­büh­ren (ABS) als PDF.


Soziale Selektivität

Die Erhö­hung von Prei­sen sorgt in der Regel für einen Rück­gang der Nach­fra­ge. Prei­se sind eine Selek­ti­ons­in­stru­ment, um die Ver­tei­lung von Gütern und Dienst­leis­tun­gen zu regu­lie­ren, zum Zuge kommt, wer die ent­spre­chen­de Zah­lungs­be­reit­schaft und Zah­lungs­fä­hig­keit auf­weist. Des­we­gen sind Stu­di­en­ge­büh­ren immer auch mit einer sozia­len Selek­ti­vi­tät ver­bun­den. Die­ses Selek­ti­vi­tät soll nun dadurch ver­mie­den wer­den, dass die Stu­di­en­ge­büh­ren nicht direkt, son­dern nach­ge­la­gert erho­ben wer­den. Die Argu­men­ta­ti­on der Beführworter/​innen sol­cher Model­le: Da die Gebüh­ren nur bezahlt wür­den, wenn ein Ein­kom­men vor­han­den ist, sei eine Selek­ti­vi­tät nicht gege­ben. Die­se Argu­men­ta­ti­on setzt einen Homo Oeco­no­mic­us vor­aus, der ratio­nal kal­ku­lie­rend und voll­stän­dig infor­miert sei­ne Ent­schei­dun­gen tref­fen kann – das ist jedoch bekannt­lich nicht der Fall. Wir wis­sen, dass die Fra­ge der Her­kunft einen ent­schei­den­den Ein­fluss auf die Risi­ko­aver­si­on hat; und eine Ver­schul­dung ist in der sub­jek­ti­ven Wahr­neh­mung immer mit einem Risi­ko ver­bun­den. Und wir wis­sen, dass Men­schen aus bil­dungs­fer­nen Schich­ten die Kos­ten eines Stu­di­ums oft über‑, den Nut­zen aber unter­schät­zen. Kurz­um: Es spricht vie­les dafür, dass die sozia­le Selek­ti­vi­tät ggf. gemin­dert, jedoch nicht ver­mie­den wird. Dafür spre­chen auch die Erfah­run­gen aus Aus­tra­li­en (sie­he die oben ver­link­te Bro­schü­re). Die Ver­schie­bung des Zah­lungs­zeit­punk­tes ändert eben nichts an der Tat­sa­che, dass bezahlt wer­den muss.


Gerechtigkeit

Zur Fra­ge, ob Stu­di­en­ge­büh­ren sozi­al Gerecht sind, hat Son­ja Staack in die­sem Bei­trag eigent­lich alles gesagt. Die Argu­men­ta­ti­on der Gebührenbefürworter/​innen läuft im Kern dar­auf hin­aus, dass die­je­ni­gen, die den Nut­zen haben, auch die Kos­ten tra­gen sol­len (sie­he zu die­sem Argu­ment aus­führ­lich uns lesens­wert auch hier). Dabei wird einer­seits die Fra­ge aus­ge­blen­det, wem ein Stu­di­um eigent­lich nutzt. Sicher, der Stu­die­ren­de selbst hat hier­von etwas. Aber die Begrün­dung öffent­li­cher Bil­dungs­ein­rich­tun­gen liegt gera­de auch dar­in, dass es eben nicht um den per­sön­li­chen Nut­zen geht, son­dern um den gesell­schaft­li­chen. Es ist im Zwei­fel so, dass der Pati­ent mehr von einem gut aus­ge­bil­de­ten Arzt hat als der Arzt selbst. Die­ses sehr pla­ka­ti­ve Bei­spiel lässt sich auf ande­re Berei­che über­tra­gen. Zum zwei­ten wird die Fra­ge aus­ge­blen­det, wer den eigent­lich einen Nut­z­en­ge­winn hät­te, wenn Stu­di­en­ge­büh­ren ein­ge­führt wür­den. Dar­un­ter lei­den sicher nicht die Kin­der aus gut ver­die­nen­den Eltern­häu­sern. Im Gegen­teil: Soll­te die Stu­dier­nei­gung auf Grund der Gebüh­ren sin­ken, dann wür­de das Ange­bot an Aka­de­mi­ke­rIn­nen auf dem Arbeits­markt sin­ken und die­se somit höhe­re Löh­ne ver­han­deln können.

Rich­tig ist, dass das der­zei­ti­ge Sys­tem in Öster­reich nicht in aus­rei­chen­dem Aus­maß die Ver­tei­lung des Sozi­al­pro­dukts regelt. In der Ten­denz wer­den die Rei­chen rei­cher und die Armen ärmer. Zudem müs­sen öffent­li­che Aus­ga­ben auch refi­nan­ziert wer­den. Hier­für bedarf es eines gerech­ten Steu­er­sys­tems. War­um die­ses aber am Bil­dungs­ab­schluss statt an der Leis­tungs­fä­hig­keit anknüp­fen soll bleibt das Geheim­nis der Akademikersteuerfans.


Bildungsbegriff

Ein ent­schei­den­de Fra­ge, was eigent­lich der Sinn eines Stu­di­ums ist, fällt bei der Debat­te um die Stu­di­en­ge­büh­ren völ­lig hin­ten run­ter. Denn Stu­di­en­ge­büh­ren – egal ob nach­ge­la­gert oder direkt bezahlt – ver­än­dern den Bil­dungs­be­griff. Das Stu­di­um wird so zu einer Inves­ti­ti­on in das eige­ne Human­ka­pi­tal, der Return on Invest­ment ist das spä­ter zu erzie­len­de Ein­kom­men. Das Ziel des Stu­di­ums ist also nicht Erkennt­nis­ge­winn, Wahr­heits­su­che, Ver­bes­se­rung der Lebens­ver­hält­nis­se der Men­schen oder ähn­li­ches, son­dern das Ziel des Stu­di­ums ist das spä­te­re Ein­kom­men. Dar­auf soll fokus­siert wer­den (schon bei der Wahl des Stu­di­en­gangs), das ist der zen­tra­le Steue­rungs­an­satz über Stu­di­en­ge­büh­ren. Auch hier lohnt ein Blick nach Aus­tra­li­en, wenn schon das dor­ti­ger Hig­her Edu­ca­ti­on Con­tri­bu­ti­on Sche­me (HECS) ger­ne als Vor­bild genannt wird: Hier sind die Stu­di­en­ge­büh­ren in ver­schie­de­ne Preis­ka­te­go­rien unter­teilt. Beson­ders hoch sind die Gebüh­ren aber nicht in den Fächern, die beson­ders teu­er sind, son­dern in den Fächern, in denen das erwar­te­te Ein­kom­men hoch ist. „Viel offen­sicht­li­cher ist, dass für die­se Preis­bil­dung die Anti­zi­pa­ti­on künf­ti­ger Ein­kom­mens­chan­cen nach Berufs­grup­pen Pate gestan­den hat. Der Staat will hier offen­sicht­lich poten­ti­el­le öko­no­mi­sche Ver­wer­tungs­mög­lich­kei­ten abbil­den und auf Sei­ten der Stu­di­en­platz­be­wer­be­rIn­nen eine indi­rek­te sozi­al­dar­wi­nis­ti­sche Vor­se­lek­ti­on über die Risi­ko­wahr­neh­mung und ‑bereit­schaft erzeu­gen. Damit wird hier die Stu­di­en­ent­schei­dung zu einer Inves­ti­ti­ons­ent­schei­dung, sie wird nur noch unter öko­no­mi­schen Nütz­lich­keits­kri­te­ri­en betrach­tet, die dann auch das indi­vi­du­el­le Ver­hält­nis zur Wis­sen­schaft prägt“, heißt es dazu auf den Nach­Denk­Sei­ten.


Einnahmen des Staates?

Die Debat­te um nach­ge­la­ger­te Stu­di­en­ge­büh­ren wird extrem unehr­lich geführt. Denn die Debat­te ist in Öster­reich vor allem Fol­ge der mas­si­ven Unter­fi­nan­zie­rung der Hoch­schu­len. Die­ses Pro­blem soll par­ti­ell durch die Ein­nah­men aus den Stu­di­en­ge­büh­ren gelöst wer­den. Wenn nun aber nach­ge­la­ger­te Stu­di­en­ge­büh­ren ein­ge­ho­ben wer­den sol­len, die zudem erst ab einem bestimm­te Ein­kom­men grei­fen, dann hat der Staat zunächst ein­mal kei­ne Ein­nah­men. Im Gegen­teil: er müss­te die Stu­di­en­ge­büh­ren, die er in eini­gen Jah­ren viel­leicht bei den Stu­die­ren­den ein­treibt heu­te den Hoch­schu­len vor­stre­cken, er müss­te also erheb­li­che Vor­leis­tun­gen täti­gen. Hin­zu kom­men die Zins­ver­lus­te bis zum nach­ge­la­ger­ten Bezah­len der Gebüh­ren, die erheb­li­chen Ver­wal­tungs­kos­ten (man Den­ke nur an das Ein­trei­ben bei säu­mi­gen Zahler/​innen, die ggf. auch noch im Aus­land leben) und die Imple­men­tie­rungs­kos­ten. Kurz­um: Ob der Staat am Ende tat­säch­lich ein Plus macht hängt von der Höhe der Gebüh­ren und den Rück­zah­lungs­gren­zen ab. Je bru­ta­ler hier vor­ge­gan­gen wird, des­to eher gibt es auch Ein­nah­men. Das aber beißt sich mit den pro­kla­mier­ten Zie­len der angeb­li­chen sozia­len Ver­träg­lich­keit. Auch hier lohnt der scho­nungs­lo­se Blick nach Australien.


Die Öster­rei­chi­sche Hoch­schü­le­rIn­nen­schaf­ten hat die Debat­te in einer Pres­se­aus­sen­dung kom­men­tiert. Dar­in wird deut­lich, dass die ÖH nach­ge­la­ger­te Stu­di­en­ge­büh­ren ablehnt. Es gilt die Stu­die­ren­den bei Ihren poli­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen zu unter­stüt­zen. Sozia­le Ver­träg­lich­keit auf die Fra­ge der Kre­dit­auf­nah­me­mög­lich­keit zu redu­zie­ren jeden­falls ist fatal – und der Sozi­al­de­mo­kra­tie unwürdig.

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Divided we stand – Why inequality keeps rising

5. Dezember 2011 – 10:57 Uhr

Die Welt steht nicht mehr lan­ge. Der Komet wird kom­men. Wenn bereits die OECD, der neo­li­be­ra­le Fels in der Bran­dung, die stei­gen­de Ungleich­heit beklagt, dann sind unse­re Tage gezählt …
386 Sei­ten zur Ungleich­heit im OECD-Raum: Heu­te stellt die OECD einen umfas­sen­den Bericht zur Ungleich­heit, zu ihren Ursa­chen und Hand­lungs­mög­lich­kei­ten vor. Im Pres­se­text heißt es dazu: „´Divi­ded we stand´ geht den Ursa­chen stei­gen­der Ungleich­heit auf den Grund. Die Stu­die wider­legt die Annah­me, dass Wirt­schafts­wachs­tum auto­ma­tisch allen Bevöl­ke­rungs­grup­pen zugu­te­kommt und dass Ungleich­heit sozia­le Mobi­li­tät för­dert. ´Zuneh­men­de Ungleich­heit schwächt die Wirt­schafts­kraft eines Lan­des, sie gefähr­det den sozia­len Zusam­men­halt und schafft poli­ti­sche Insta­bi­li­tät – aber sie ist nicht unaus­weich­lich´, sag­te OECD-Gene­ral­se­kre­tär Angel Gur­ria [hat er am Vor­abend getrun­ken?]. ´Wir brau­chen eine umfas­sen­de Stra­te­gie für sozi­al­ver­träg­li­ches Wachs­tum, um die­sem Trend Ein­halt zu gebieten´.“
Wie gesagt, die Welt steht nicht mehr lange …

Der Bericht ist zu fin­den unter: http://dx.doi.org/10.1787/9789264119536-en
Wei­te­res Mate­ri­al zum The­ma: www.oecd.org/els/social/inequality

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Österreich ist ein Einwanderungs-, kein Gastarbeiterland. Zum ambivalenten Verhältnis von so genannten InländerInnen und so genannten AusländerInnen

30. November 2011 – 17:23 Uhr

Öster­reich ist ein Ein­wan­de­rungs­land! Daher soll­te von Zuwan­de­rIn­nen, nicht von Gast­ar­bei­te­rIn­nen gespro­chen wer­den. Den­noch wird an der Fik­ti­on des „Gast­ar­bei­ters“ – im Neu­sprech umschrie­ben mit „cir­cu­lar migra­ti­on“ – fest­ge­hal­ten. Die seit län­ge­rem bestehen­den, gegen­wär­tig wie­der stär­ker the­ma­ti­sier­ten Pro­ble­me mit der Inte­gra­ti­on von Migran­tIn­nen in Öster­reich hän­gen nicht zuletzt mit die­sem „Miss­ver­ständ­nis“, das ein wech­sel­sei­ti­ges war und ist, zusam­men; die­ses nahm ihren Anfang mit den Anwer­be-kam­pa­gnen Ende der 1960er Jah­re. Ein durch das Aus­län­der­be­schäf­ti­gungs­ge­setz unnö­tig lan­ge auf­recht erhal­te­ner, pre­kä­rer Arbeits­markt­sta­tuts von Immi­gran­tIn­nen auf der einen Sei­te und Par­al­lel­ge­sell­schaf­ten auf der ande­ren sind die Fol­ge. Hin­zu kom­men viel­fäl­ti­ge For­men der Dis­kri­mi­nie­rung von Migran­tIn­nen, die ihre Trieb­fe­der nicht sel­ten aus ras­sis­ti­schen Impul­sen bezie­hen und eine poli­tisch weit­hin igno­rier­te Rea­li­tät darstellen.
Das natür­li­che Bevöl­ke­rungs­wachs­tum ist in Öster­reich mit Mit­te der 1990er Jah­re zum Still­stand gekom­men. Seit­dem wächst die Wohn­be­völ­ke­rung im Lan­de nur mehr, weil mehr Men­schen zuwan­dern (2010 waren das ca. 114.400 Per­so­nen) als abwan­dern (ca. 86.700 Per­so­nen), die Net­to­mi­gra­ti­on belief sich daher auf +27.700 im Jahr 2010. Gro­ße Zuwan­de­rungs­wel­len gab es im Zeit­raum 1989–1993 und (sic!) unter der Schwarz-Blau­en-Regie­rung 2001–2005. Der Anstieg der Wohn­be­völ­ke­rung seit 1960 von ca. 7 Mio. auf 8,4 Mio. ist zu 2/​3 auf Zuwan­de­rung, zu 1/​3 auf den Über­hang von Gebur­ten gegen­über Ster­be­fäl­len zurück­zu­füh­ren. 2010 leb­ten ca. 895.000 Per­so­nen mit nicht-öster­rei­chi­scher Staats­bür­ger­schaft in Öster­reich („Aus­län­der“), ca. 1,5 Mio. Per­so­nen, das sind 18,6% der Gesamt­be­völ­ke­rung, mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund, d. h. bei­de Eltern­tei­le wur­den im Aus­land gebo­ren. 642.000 Per­so­nen die­ser Grup­pe leb­ten in Wien, das ent­spricht 41,6% von allen. Dem­entspre­chend liegt der Anteil der Per­so­nen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund in der Bun­des­haupt­stadt auch bei 38,2% – Zuwan­de­rung und Inte­gra­ti­on sind also pri­mär ein Wie­ner Problem!
Aus Sicht der so genann­ten AusländerInnen
Wie ein aktu­el­ler Bericht der OECD „The Labour Mar­ket Inte­gra­ti­on of Immi­grants and their Children“(Krause, K. und Lie­big, Th., sie­he http://dx.doi.org/10.1787/5kg264fz6p8w-en) im Detail dar­legt, sind Migran­tIn­nen, ins­be­son­de­re aus so genann­ten „lower inco­me coun­tries“, d. h. hier­zu­lan­de pri­mär aus Ex-Jugo­sla­wi­en und der Tür­kei stam­mend, am öster­rei­chi­schen Arbeits­markt auf viel­fäl­ti­ge Art und Wei­se benach­tei­ligt. Das wird im beson­de­ren Maße an den „labour mar­ket out­co­mes“ ersicht­lich: So lag etwa die Beschäf­ti­gungs­quo­te von tür­ki­schen Frau­en bei 40% (2010), die Quo­te der im Inland gebo­ren Frau­en dage­gen bei 68%; bei der Arbeits­lo­sen­quo­te der­sel­ben Per­so­nen­grup­pen lag die Rela­ti­on bei ca. 4% zu 12%. Bei im Land gebo­re­nen Kin­dern von Zuwan­de­rern ist die Wahr­schein­lich­keit, dass sie sich am Ran­de des Arbeits­mark­tes befin­den (defi­niert als „Not in Edu­ca­ti­on, Employ­ment or Trai­ning, NEET“, gering Qua­li­fi­zier­te, 20–29 Jäh­ri­ge) mit 12% vier­mal höher als bei Kin­dern von im Land gebo­re­nen Eltern. Beson­de­re Pro­ble­me haben Men­schen mit im Aus­land erwor­be­nen for­ma­len Qua­li­fi­ka­tio­nen („der ira­ni­sche Diplom­in­ge­nieur als Taxi­fah­rer“): So haben hoch-qua­li­fi­zier­te Per­so­nen eine um 50% nied­ri­ge­re Wahr­schein­lich­keit, in einem aus­bil­dungs­ad­äqua­ten Job zu arbei­ten als „nativ-born“-Personen, wenn sie aus ärme­ren Län­dern kom­men und ihre Aus­bil­dun­gen nicht aner­ken­nen lie­ßen. Oder anders for­mu­liert: Hoch­schul­ab­sol­ven­ten aus Rumä­ni­en sind in Öster­reich bei­spiels­wei­se zu 82,2% in Tätig­kei­ten zu fin­den, für die sie über­qua­li­fi­ziert sind – im Ver­gleich dazu ist dies bei Öster­rei­che­rIn­nen nur in 33,4% der Fall (sie­he IHS/​WIFO 2008, Die öko­no­mi­schen Wir­kun­gen der Immi­gra­ti­on in Öster­reich 1989–2007, http://www.wifo.ac.at/wwa/jsp/index.jsp?fid=23923&id=34980&ty peid=8& diplay_mode=2). Neben dem Feh­len eines Gesamt­kon­zep­tes zur Inte­gra­ti­on von Migran­tIn­nen wei­sen die OECD-AutorIn­nen auch dar­auf hin, dass Dis­kri­mi­ne­r­ung offen­sicht­lich ein rea­les Pro­blem für vie­le Zuwan­de­rIn­nen in Öster­reich ist, zu dem aber bis­her wenig kon­kre­te For­schungs­er­geb­nis­se vor­lie­gen (etwa so genann­te „cor­re­spon­dence tes­ting stu­dies“, die in ande­ren Län­dern zei­gen, dass Per­so­nen mit „aus­län­disch klin­gen­den“ Namen wesent­lich sel­te­ner zu Vor­stel­lungs­ge­sprä­chen ein­ge­la­den wer­den, obwohl ihre Lebens­läu­fe mit der inlän­di­schen Ver­gleichs­grup­pe nahe­zu ident sind) und das öffent­li­che Pro­blem­be­wusst­sein auch weit­ge­hend fehlt.
Zu die­ser fak­ti­schen Schlech­ter­stel­lung von Migran­tIn­nen am Arbeits­markt kommt natür­lich in man­chen Fäl­len eine Art von Inte­gra­ti­ons­ver­wei­ge­rung hin­zu, die sich etwa in man­geln­den Deutsch­kennt­nis­sen auch nach Jahr­zehn­ten des Auf­ent­hal­tes in Öster­reich mani­fes­tiert. Eine Men­tal­re­ser­va­ti­on, die genährt wird von der, mit den Jah­ren ver­blas­sen­den Hoff­nung auf Rück­kehr ins ver­meint­li­che Hei­mat­land und die den Betrof­fe­nen teu­er zu ste­hen kommt: Sie sind weder hier noch dort zu Hause!
Aus Sicht der so genann­ten InländerInnen
Ver­ein­facht for­mu­liert, erschwe­ren das Mul­ti-Kul­ti-Getue der Grü­nen, die poli­ti­sche Kor­rekt­heit der Lin­ken und die Het­ze der FPÖ bis dato die offe­nen Dis­kus­si­on von nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen der Zuwan­de­rung – ins­be­son­de­re auf Nied­rig­qua­li­fi­zier­te. Die öko­no­mi­sche Zunft, in der Main­stream-Vari­an­te im Beson­de­ren, ist ja gera­de dabei, die letz­te Repu­ta­ti­on zu ver­lie­ren, aber, wenn etwas klar ist, dann: Zusätz­li­ches (Arbeits-)Angebot drückt, sonst alles gleich, den (Lohn)Preis. Nur im unrea­lis­ti­schen Fall, dass Zuwan­de­rung aus­schließ­lich kom­ple­men­tär wirkt, gibt es nur posi­ti­ve Effek­te. Daher sind die Gewerk­schaf­ten auch gegen­über Zuwan­de­rung tra­di­tio­nell skep­tisch (aber lei­der nicht nur des­halb …). Immi­gra­ti­on erhöht, vor allem wenn in kur­zer Zeit mehr als 2–3% der Beschäf­tig­ten am Arbeits­markt zusätz­lich auf­tre­ten (wie 1990–1991), die Arbeits­lo­sig­keit derer, die sich zusätz­li­cher Kon­kur­renz gegen­über­se­hen: Dies gilt für Niedrig‑, aber auch für Hoch­qua­li­fi­zier­te, für letz­te­re sind nur die Aus­wir­kun­gen in sozi­al­po­li­ti­scher Hin­sicht weni­ger pro­ble­ma­tisch. Lt. der oben bereits zitier­ten IHS/­WI­FO-Unter­schung von 2008 erhöht zwar ein zusätz­li­ches aus­län­di­sches Arbeits­an­ge­bot von 1% (ca. 30.000 Per­so­nen) BIP und Beschäf­ti­gung ein­deu­tig, aber auch die Arbeits­lo­sig­keit erhöht sich, die Löh­ne wer­den ten­den­zi­ell gesenkt (stei­gen weni­ger) und auch das BIP pro Kopf sinkt. Wich­tig ist in die­sem Zusam­men­hang, dass das Durschnitts­wer­te sind: in ein­zel­nen Sek­to­ren und ein­zel­nen Regio­nen fal­len die Effek­te für ein­zel­ne Grup­pen weit höher aus! Dies gilt im übri­gen auch für die aktu­el­le Arbeits­markt­öff­nung 2011, mit der ca. 20.000 Per­so­nen bis­her zusätz­lich am öster­rei­chi­schen Arbeits­markt aus den EU8-Staa­ten auf­ge­tre­ten sind. Es kann also, ohne all­zu spe­ku­la­tiv zu sein zu wol­len, davon aus­ge­gan­gen wer­den, dass die Ver­lus­te in den rea­len Ein­kom­men der untern 3 Dezi­le seit Anfang der 1990er Jah­re auch (!) auf die Zuwan­de­rungs­wel­len in die­sem Zeit­raum zurück­ge­führt wer­den kön­nen. Wenn aber die­se nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen der Zuwan­de­rung auf ein­zel­ne Grup­pen von der Poli­tik nicht wahr­ge­nom­men wer­den – dann, ja dann, haben die Rat­ten­fän­ger vom Schla­ge eines Her­ren Stra­che oder Sar­ra­zin ver­mehrt Zulauf!
Wenn wir nicht heu­te die Pro­ble­me bei der Inte­gra­ti­on von Migran­tIn­nen ernst­haft in Angriff neh­men, dann wer­den sich uns in Zukunft mehr noch als gegen­wär­tig auf den Kopf fal­len: Die Erwerbs­be­völ­ke­rung 15–64 Jah­re wird ohne Migra­ti­on bis 2050 aller Vor­aus­sicht nach um 1,4 Mio. Per­so­nen zusätz­lich schrump­fen. Wenn auch kein Grund zu pani­schem Alar­mis­mus auf Grund der Tat­sa­che einer altern­den Bevöl­ke­rung besteht (wir wer­den aller Vorraus­sicht rei­cher wer­den bis 2050, die Beschäf­ti­gungs­quo­ten kön­nen erhöht wer­den, etc.), so ist doch klar: Der Anteil an Per­so­nen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund wird jeden­falls noch anstei­gen in den nächs­ten Jahrzehnten!
Con­clu­sio: Es ist die­ses Unent­schie­de­ne in die­sem Lan­de – da holen wir, im inter­na­tio­na­len Ver­gleich rela­ti­ve vie­le Migran­tIn­nen ins Land, nen­nen sie „Gast­ar­bei­te­rIn­nen, hal­ten sie in pre­kä­ren Arbeits­markt- und Lebens­ver­hält­nis­sen, wol­len sie nicht inte­grie­ren – und wun­dern uns dann, wenn die Betrof­fe­nen auch nicht wol­len! War­um kön­nen wir nicht ehr­li­cher sein: Wir las­sen nur so vie­le Ein­wan­de­rIn­nen zu, wie wir poli­tisch auch ver­kraf­ten kön­nen, behan­deln die­se jedoch dann auch anstän­dig und ermög­li­chen ihnen die Integration!

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Imagine Economy: „Schuldenbremse“ – Vorschau aufs neue BEIGEWUM-Buch

21. November 2011 – 17:20 Uhr

Im Früh­jahr 2012 erscheint das neue BEI­GEWUM-Buch „Ima­gi­ne Eco­no­my. Neo­li­be­ra­le Meta­phern in der Wirt­schafts­po­li­tik“, das sich mit der Rol­le von Meta­phern im wirt­schafts­po­li­ti­schen Dis­kurs und ihren Ein­fluss auf das Den­ken und Han­deln aus­ein­an­der­setzt. Aus aktu­el­lem Anlass machen wir hier (PDF) einen Bei­trag zum The­ma „Schul­den­brem­se“ aus die­sem Buch vor­ab verfügbar.


Mehr über den Band, der im Rah­men der Rei­he Arts, Cul­tu­re and Edu­ca­ti­on im Löcker Ver­lag erschei­nen wird, gibt es in den abschlie­ßen­den Bemer­kun­gen die­ses Arti­kels: (link)

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