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Österreich ist ein Einwanderungs-, kein Gastarbeiterland. Zum ambivalenten Verhältnis von so genannten InländerInnen und so genannten AusländerInnen

30. November 2011 – 17:23 Uhr

Öster­reich ist ein Ein­wan­de­rungs­land! Daher soll­te von Zuwan­de­rIn­nen, nicht von Gast­ar­bei­te­rIn­nen gespro­chen wer­den. Den­noch wird an der Fik­ti­on des „Gast­ar­bei­ters“ – im Neu­sprech umschrie­ben mit „cir­cu­lar migra­ti­on“ – fest­ge­hal­ten. Die seit län­ge­rem bestehen­den, gegen­wär­tig wie­der stär­ker the­ma­ti­sier­ten Pro­ble­me mit der Inte­gra­ti­on von Migran­tIn­nen in Öster­reich hän­gen nicht zuletzt mit die­sem „Miss­ver­ständ­nis“, das ein wech­sel­sei­ti­ges war und ist, zusam­men; die­ses nahm ihren Anfang mit den Anwer­be-kam­pa­gnen Ende der 1960er Jah­re. Ein durch das Aus­län­der­be­schäf­ti­gungs­ge­setz unnö­tig lan­ge auf­recht erhal­te­ner, pre­kä­rer Arbeits­markt­sta­tuts von Immi­gran­tIn­nen auf der einen Sei­te und Par­al­lel­ge­sell­schaf­ten auf der ande­ren sind die Fol­ge. Hin­zu kom­men viel­fäl­ti­ge For­men der Dis­kri­mi­nie­rung von Migran­tIn­nen, die ihre Trieb­fe­der nicht sel­ten aus ras­sis­ti­schen Impul­sen bezie­hen und eine poli­tisch weit­hin igno­rier­te Rea­li­tät darstellen.
Das natür­li­che Bevöl­ke­rungs­wachs­tum ist in Öster­reich mit Mit­te der 1990er Jah­re zum Still­stand gekom­men. Seit­dem wächst die Wohn­be­völ­ke­rung im Lan­de nur mehr, weil mehr Men­schen zuwan­dern (2010 waren das ca. 114.400 Per­so­nen) als abwan­dern (ca. 86.700 Per­so­nen), die Net­to­mi­gra­ti­on belief sich daher auf +27.700 im Jahr 2010. Gro­ße Zuwan­de­rungs­wel­len gab es im Zeit­raum 1989–1993 und (sic!) unter der Schwarz-Blau­en-Regie­rung 2001–2005. Der Anstieg der Wohn­be­völ­ke­rung seit 1960 von ca. 7 Mio. auf 8,4 Mio. ist zu 2/​3 auf Zuwan­de­rung, zu 1/​3 auf den Über­hang von Gebur­ten gegen­über Ster­be­fäl­len zurück­zu­füh­ren. 2010 leb­ten ca. 895.000 Per­so­nen mit nicht-öster­rei­chi­scher Staats­bür­ger­schaft in Öster­reich („Aus­län­der“), ca. 1,5 Mio. Per­so­nen, das sind 18,6% der Gesamt­be­völ­ke­rung, mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund, d. h. bei­de Eltern­tei­le wur­den im Aus­land gebo­ren. 642.000 Per­so­nen die­ser Grup­pe leb­ten in Wien, das ent­spricht 41,6% von allen. Dem­entspre­chend liegt der Anteil der Per­so­nen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund in der Bun­des­haupt­stadt auch bei 38,2% – Zuwan­de­rung und Inte­gra­ti­on sind also pri­mär ein Wie­ner Problem!
Aus Sicht der so genann­ten AusländerInnen
Wie ein aktu­el­ler Bericht der OECD „The Labour Mar­ket Inte­gra­ti­on of Immi­grants and their Children“(Krause, K. und Lie­big, Th., sie­he http://dx.doi.org/10.1787/5kg264fz6p8w-en) im Detail dar­legt, sind Migran­tIn­nen, ins­be­son­de­re aus so genann­ten „lower inco­me coun­tries“, d. h. hier­zu­lan­de pri­mär aus Ex-Jugo­sla­wi­en und der Tür­kei stam­mend, am öster­rei­chi­schen Arbeits­markt auf viel­fäl­ti­ge Art und Wei­se benach­tei­ligt. Das wird im beson­de­ren Maße an den „labour mar­ket out­co­mes“ ersicht­lich: So lag etwa die Beschäf­ti­gungs­quo­te von tür­ki­schen Frau­en bei 40% (2010), die Quo­te der im Inland gebo­ren Frau­en dage­gen bei 68%; bei der Arbeits­lo­sen­quo­te der­sel­ben Per­so­nen­grup­pen lag die Rela­ti­on bei ca. 4% zu 12%. Bei im Land gebo­re­nen Kin­dern von Zuwan­de­rern ist die Wahr­schein­lich­keit, dass sie sich am Ran­de des Arbeits­mark­tes befin­den (defi­niert als „Not in Edu­ca­ti­on, Employ­ment or Trai­ning, NEET“, gering Qua­li­fi­zier­te, 20–29 Jäh­ri­ge) mit 12% vier­mal höher als bei Kin­dern von im Land gebo­re­nen Eltern. Beson­de­re Pro­ble­me haben Men­schen mit im Aus­land erwor­be­nen for­ma­len Qua­li­fi­ka­tio­nen („der ira­ni­sche Diplom­in­ge­nieur als Taxi­fah­rer“): So haben hoch-qua­li­fi­zier­te Per­so­nen eine um 50% nied­ri­ge­re Wahr­schein­lich­keit, in einem aus­bil­dungs­ad­äqua­ten Job zu arbei­ten als „nativ-born“-Personen, wenn sie aus ärme­ren Län­dern kom­men und ihre Aus­bil­dun­gen nicht aner­ken­nen lie­ßen. Oder anders for­mu­liert: Hoch­schul­ab­sol­ven­ten aus Rumä­ni­en sind in Öster­reich bei­spiels­wei­se zu 82,2% in Tätig­kei­ten zu fin­den, für die sie über­qua­li­fi­ziert sind – im Ver­gleich dazu ist dies bei Öster­rei­che­rIn­nen nur in 33,4% der Fall (sie­he IHS/​WIFO 2008, Die öko­no­mi­schen Wir­kun­gen der Immi­gra­ti­on in Öster­reich 1989–2007, http://www.wifo.ac.at/wwa/jsp/index.jsp?fid=23923&id=34980&ty peid=8& diplay_mode=2). Neben dem Feh­len eines Gesamt­kon­zep­tes zur Inte­gra­ti­on von Migran­tIn­nen wei­sen die OECD-AutorIn­nen auch dar­auf hin, dass Dis­kri­mi­ne­r­ung offen­sicht­lich ein rea­les Pro­blem für vie­le Zuwan­de­rIn­nen in Öster­reich ist, zu dem aber bis­her wenig kon­kre­te For­schungs­er­geb­nis­se vor­lie­gen (etwa so genann­te „cor­re­spon­dence tes­ting stu­dies“, die in ande­ren Län­dern zei­gen, dass Per­so­nen mit „aus­län­disch klin­gen­den“ Namen wesent­lich sel­te­ner zu Vor­stel­lungs­ge­sprä­chen ein­ge­la­den wer­den, obwohl ihre Lebens­läu­fe mit der inlän­di­schen Ver­gleichs­grup­pe nahe­zu ident sind) und das öffent­li­che Pro­blem­be­wusst­sein auch weit­ge­hend fehlt.
Zu die­ser fak­ti­schen Schlech­ter­stel­lung von Migran­tIn­nen am Arbeits­markt kommt natür­lich in man­chen Fäl­len eine Art von Inte­gra­ti­ons­ver­wei­ge­rung hin­zu, die sich etwa in man­geln­den Deutsch­kennt­nis­sen auch nach Jahr­zehn­ten des Auf­ent­hal­tes in Öster­reich mani­fes­tiert. Eine Men­tal­re­ser­va­ti­on, die genährt wird von der, mit den Jah­ren ver­blas­sen­den Hoff­nung auf Rück­kehr ins ver­meint­li­che Hei­mat­land und die den Betrof­fe­nen teu­er zu ste­hen kommt: Sie sind weder hier noch dort zu Hause!
Aus Sicht der so genann­ten InländerInnen
Ver­ein­facht for­mu­liert, erschwe­ren das Mul­ti-Kul­ti-Getue der Grü­nen, die poli­ti­sche Kor­rekt­heit der Lin­ken und die Het­ze der FPÖ bis dato die offe­nen Dis­kus­si­on von nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen der Zuwan­de­rung – ins­be­son­de­re auf Nied­rig­qua­li­fi­zier­te. Die öko­no­mi­sche Zunft, in der Main­stream-Vari­an­te im Beson­de­ren, ist ja gera­de dabei, die letz­te Repu­ta­ti­on zu ver­lie­ren, aber, wenn etwas klar ist, dann: Zusätz­li­ches (Arbeits-)Angebot drückt, sonst alles gleich, den (Lohn)Preis. Nur im unrea­lis­ti­schen Fall, dass Zuwan­de­rung aus­schließ­lich kom­ple­men­tär wirkt, gibt es nur posi­ti­ve Effek­te. Daher sind die Gewerk­schaf­ten auch gegen­über Zuwan­de­rung tra­di­tio­nell skep­tisch (aber lei­der nicht nur des­halb …). Immi­gra­ti­on erhöht, vor allem wenn in kur­zer Zeit mehr als 2–3% der Beschäf­tig­ten am Arbeits­markt zusätz­lich auf­tre­ten (wie 1990–1991), die Arbeits­lo­sig­keit derer, die sich zusätz­li­cher Kon­kur­renz gegen­über­se­hen: Dies gilt für Niedrig‑, aber auch für Hoch­qua­li­fi­zier­te, für letz­te­re sind nur die Aus­wir­kun­gen in sozi­al­po­li­ti­scher Hin­sicht weni­ger pro­ble­ma­tisch. Lt. der oben bereits zitier­ten IHS/­WI­FO-Unter­schung von 2008 erhöht zwar ein zusätz­li­ches aus­län­di­sches Arbeits­an­ge­bot von 1% (ca. 30.000 Per­so­nen) BIP und Beschäf­ti­gung ein­deu­tig, aber auch die Arbeits­lo­sig­keit erhöht sich, die Löh­ne wer­den ten­den­zi­ell gesenkt (stei­gen weni­ger) und auch das BIP pro Kopf sinkt. Wich­tig ist in die­sem Zusam­men­hang, dass das Durschnitts­wer­te sind: in ein­zel­nen Sek­to­ren und ein­zel­nen Regio­nen fal­len die Effek­te für ein­zel­ne Grup­pen weit höher aus! Dies gilt im übri­gen auch für die aktu­el­le Arbeits­markt­öff­nung 2011, mit der ca. 20.000 Per­so­nen bis­her zusätz­lich am öster­rei­chi­schen Arbeits­markt aus den EU8-Staa­ten auf­ge­tre­ten sind. Es kann also, ohne all­zu spe­ku­la­tiv zu sein zu wol­len, davon aus­ge­gan­gen wer­den, dass die Ver­lus­te in den rea­len Ein­kom­men der untern 3 Dezi­le seit Anfang der 1990er Jah­re auch (!) auf die Zuwan­de­rungs­wel­len in die­sem Zeit­raum zurück­ge­führt wer­den kön­nen. Wenn aber die­se nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen der Zuwan­de­rung auf ein­zel­ne Grup­pen von der Poli­tik nicht wahr­ge­nom­men wer­den – dann, ja dann, haben die Rat­ten­fän­ger vom Schla­ge eines Her­ren Stra­che oder Sar­ra­zin ver­mehrt Zulauf!
Wenn wir nicht heu­te die Pro­ble­me bei der Inte­gra­ti­on von Migran­tIn­nen ernst­haft in Angriff neh­men, dann wer­den sich uns in Zukunft mehr noch als gegen­wär­tig auf den Kopf fal­len: Die Erwerbs­be­völ­ke­rung 15–64 Jah­re wird ohne Migra­ti­on bis 2050 aller Vor­aus­sicht nach um 1,4 Mio. Per­so­nen zusätz­lich schrump­fen. Wenn auch kein Grund zu pani­schem Alar­mis­mus auf Grund der Tat­sa­che einer altern­den Bevöl­ke­rung besteht (wir wer­den aller Vorraus­sicht rei­cher wer­den bis 2050, die Beschäf­ti­gungs­quo­ten kön­nen erhöht wer­den, etc.), so ist doch klar: Der Anteil an Per­so­nen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund wird jeden­falls noch anstei­gen in den nächs­ten Jahrzehnten!
Con­clu­sio: Es ist die­ses Unent­schie­de­ne in die­sem Lan­de – da holen wir, im inter­na­tio­na­len Ver­gleich rela­ti­ve vie­le Migran­tIn­nen ins Land, nen­nen sie „Gast­ar­bei­te­rIn­nen, hal­ten sie in pre­kä­ren Arbeits­markt- und Lebens­ver­hält­nis­sen, wol­len sie nicht inte­grie­ren – und wun­dern uns dann, wenn die Betrof­fe­nen auch nicht wol­len! War­um kön­nen wir nicht ehr­li­cher sein: Wir las­sen nur so vie­le Ein­wan­de­rIn­nen zu, wie wir poli­tisch auch ver­kraf­ten kön­nen, behan­deln die­se jedoch dann auch anstän­dig und ermög­li­chen ihnen die Integration!

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Imagine Economy: „Schuldenbremse“ – Vorschau aufs neue BEIGEWUM-Buch

21. November 2011 – 17:20 Uhr

Im Früh­jahr 2012 erscheint das neue BEI­GEWUM-Buch „Ima­gi­ne Eco­no­my. Neo­li­be­ra­le Meta­phern in der Wirt­schafts­po­li­tik“, das sich mit der Rol­le von Meta­phern im wirt­schafts­po­li­ti­schen Dis­kurs und ihren Ein­fluss auf das Den­ken und Han­deln aus­ein­an­der­setzt. Aus aktu­el­lem Anlass machen wir hier (PDF) einen Bei­trag zum The­ma „Schul­den­brem­se“ aus die­sem Buch vor­ab verfügbar.


Mehr über den Band, der im Rah­men der Rei­he Arts, Cul­tu­re and Edu­ca­ti­on im Löcker Ver­lag erschei­nen wird, gibt es in den abschlie­ßen­den Bemer­kun­gen die­ses Arti­kels: (link)

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Vermögensungleichheit USA 2007-2009

21. November 2011 – 16:57 Uhr

Von der Fed wur­de eine außer­tour­li­che Erhe­bung zu pri­va­tem Ver­mö­gen in den USA in der Kri­se durch­ge­führt. Ziel­set­zung war es, fest­zu­stel­len, wie sich die Ver­mö­gens­po­si­tio­nen der pri­va­ten Haus­hal­te in den USA im Zuge der Finanz­kri­se ver­än­dert haben. Der Sur­vey of Con­su­mer Finan­ces (SCF) wird ansons­ten regel­mä­ßig alle drei Jah­re seit 1983 erho­ben. Die Fed ver­glich nun die Ver­mö­gens­si­tua­ti­on der US-Bevöl­ke­rung im Kri­sen­jahr 2009 mit jener im Vor­kri­sen­jahr 2007. Es wur­den die­sel­ben Haus­hal­te befragt (Panel­da­ten).


 Wich­ti­ge Ergebnisse 

 1.     Enor­me Sta­bi­li­tät in der Ver­mö­gensun­gleich­heit in den USA seit den 1980er Jah­ren. Der Anteil des obers­ten 1 % bleibt bei einem Drit­tel des gesam­ten Ver­mö­gens aller Haus­hal­te (33,3%). Und dies obwohl die Ver­mö­gens­ver­lus­te durch die Kri­se auf die Reichs­ten kon­zen­triert waren; d.h. abso­lut ver­lo­ren die Rei­chen zwar beträcht­lich (99. Per­zen­til­wert: 9 Mio. USD 2007 Rück­gang auf 7 Mio. USD 2009); rela­tiv betrach­tet ver­än­dert sich in der Kri­se für die Rei­chen nichts (2007: 33,3%).

 

2.     Fast die gesam­ten Anlei­hen wer­den von den reichs­ten 10% in den USA gehal­ten; und fast 2/​3 hat das reichs­te 1 %. Auch Unter­neh­mens­ver­mö­gen ist enorm kon­zen­triert: über die Hälf­te wird vom obers­ten 1% gehalten.

 

3.     Der Anteil der unte­ren Hälf­te der pri­va­ten Haus­hal­te (0–50%) am gesam­ten Ver­mö­gen aller Haus­hal­te sank von 2,5% auf 1,5%. Hat­ten die unte­ren 50% schon vor der Kri­se – rela­tiv gese­hen – fast nichts an Ver­mö­gens­wer­ten, so sank die­ser Wert in der Kri­se signifikant.





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Ver­mö­gen­steu­ern: Ja! Aber wie und welche?

21. November 2011 – 14:49 Uhr

Recht­zei­tig zur aktu­el­len Debat­te um den Bei­trag von Ver­mö­gen­steu­ern in der Bud­get­kon­so­li­die­rung: Ein Vor­ab-Ein­blick in das Debat­ten­fo­rum des dem­nächst erschei­nen­den Kurs­wech­sel Heft 4/​2012 (Haupt­the­ma „Care Öko­no­mie“), mit Bei­trä­gen von Mar­git Schrat­zen­stal­ler und Chris­toph Berka/​Josef Tho­man über die Mach­bar­keit unter­schied­li­cher Vari­an­ten der Vermögensbesteuerung.

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ÖkonomInnen-Appell gegen Schuldenbremse

17. November 2011 – 13:54 Uhr

Die öster­rei­chi­sche Regie­rung nimmt sich das deut­sche Modell einer „Schul­den­brem­se“ als Vor­bild. Als die Schul­den­brem­se in Deutsch­land ein­ge­führt wur­de, reagier­ten 64 Öko­nom­In­nen mit dem Appell „Die Schul­den­brem­se gefähr­det die gesamt­wirt­schaft­li­che Sta­bi­li­tät und die Zukunft unse­rer Kin­der“. Aus aktu­el­lem Anlass hier zur Wie­der-Lek­tü­re.

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Die Schuldenbremse als Farce

15. November 2011 – 11:51 Uhr

Nun befin­det sich die Bun­des­re­gie­rung also auf direk­tem Weg eine soge­nann­te Schul­den­brem­se in Ver­fas­sungs­rang zu heben. Die wesent­li­che Fra­ge, was das nun genau bedeu­tet, dürf­te zwar noch offen sein, doch fest steht, dass damit pünkt­lich zum Wirt­schafts­ab­schwung ein neu­er­li­ches Spar­pa­ket ver­han­delt wer­den wird. Die­se Unbe­stimmt­heit liegt auch dar­an, dass es meh­re­re For­men von Fis­kal­re­geln gibt, die in der Debat­te alle als Schul­den­brem­se bezeich­net werden.

Wahr­schein­lich ist, dass die deut­sche Rege­lung über­nom­men wird, die weit­ge­hend mit den soeben erst ver­schärf­ten euro­päi­schen Bud­get­vor­ga­ben über­ein­stimmt. Bei­de ent­hal­ten im Kern die Umset­zung der äußert rigi­den soge­nann­ten Medi­um Term Objec­ti­ves (mit­tel­fris­ti­ge Haus­halts­zie­le). Im Fal­le Öster­reichs und Deutsch­lands ist das (fast) ein struk­tu­rel­les Null­de­fi­zit. Aus­ge­hend von der soeben ver­öf­fent­lich­ten Herbst­pro­gno­se der EU-Kom­mis­si­on, die das struk­tu­rel­le Defi­zit für Öster­reich mit 2,8 % des BIP (2013) pro­gnos­ti­ziert, müss­te die Kon­so­li­die­rung folg­lich über 8 Mrd. Euro betra­gen – ein Viel­fa­ches des Spar- und Steu­er­pa­kets aus dem Vor­jahr. Das wür­de pro Per­son zu einer durch­schnitt­li­chen Zusatz­be­las­tung von 1.000 Euro pro Jahr füh­ren, was ange­sichts die­ses Volu­mens – selbst bei einer schwer­punkt­mä­ßi­gen Belas­tung der reichs­ten Haus­hal­te – auch die Mit­tel­schicht emp­find­lich tref­fen würde.

Neben einer Kopie der deut­schen Schul­den­brem­se wur­den als Alter­na­ti­ve anschei­nend zwei wei­te­re Fis­kal­re­geln dis­ku­tiert. Die mode­ra­tes­te Ver­si­on wäre eine Erwei­te­rung der bis­he­ri­gen Pra­xis der Aus­ga­ben­ober­gren­zen auf alle Gebiets­kör­per­schaf­ten plus Beschrän­kung ihrer Zuwäch­se mit der mit­tel­fris­ti­gen Wachs­tums­ra­te. Aus­ga­ben­ober­gren­zen könn­ten zwar prin­zi­pi­ell wirt­schafts­po­li­tisch ver­kraft­bar aus­ge­stal­tet wer­den, hät­ten aber bereits eine lang­fris­ti­ge Kür­zung des Staats­haus­halts und somit eine Behin­de­rung des sozia­len Fort­schritts zur Fol­ge. Völ­lig jen­sei­tig wäre hin­ge­gen eine wei­te­re Fis­kal­re­gel, näm­lich die von der ÖVP ver­lang­te Fest­schrei­bung einer Staats­schul­den­quo­te von 60 % des BIP bis 2020. Hier­für wären etwa 40 Mrd Euro – das ent­spricht mehr als der Hälf­te des Bun­des­bud­gets – not­wen­dig. Wür­den zwi­schen­zeit­lich z.B. wei­te­re Ban­ken­hil­fen gewährt, kämen sogar noch wei­te­re Mil­li­ar­den hinzu.

Denn sie wissen, was sie tun?

Wäre die Sache wirt­schafts­po­li­tisch nicht so ernst, wäre die­se gro­be Fest­le­gung kaba­rett­reif: Jene Regie­rung, die noch im Vor­jahr mit der ver­spä­te­ten Bud­get­vor­la­ge die Ver­fas­sung gebro­chen hat, ver­pflich­tet sich und zukünf­ti­ge Regie­rung mit­tels Ver­fas­sungs­än­de­rung zu wei­te­ren dra­ko­ni­schen Kon­so­li­die­rungs­maß­nah­men – die sie bis­her zu Recht mit dem Hin­weis auf die rela­ti­ve Sta­bi­li­tät und die schwa­chen Wirt­schafts­pro­gno­sen aus­ge­schlos­sen hat­te. Völ­lig unklar ist zudem, wes­halb es die­se ver­fas­sungs­mä­ßi­ge poli­ti­sche Selbstent­mün­di­gung braucht, denn nichts – abge­se­hen von wirt­schafts­po­li­ti­schem Sach­ver­stand – hin­dert die Regie­rung jed­we­de Regel zu befol­gen, die sie poli­tisch auch tat­säch­lich befol­gen will.

Trotz­dem ist die­se Inkon­se­quenz in gewis­sem Sin­ne auch wie­der kon­se­quent: Im Novem­ber des Vor­jah­res schloss der Bun­des­kanz­ler wei­te­re Kon­so­li­die­rungs­maß­nah­men in die­ser Legis­la­tur­pe­ri­ode aus, ehe er dann im März in Brüs­sel recht­li­che Ände­run­gen abseg­ne­te, die wei­te­re Spar­pa­ke­te erfor­der­lich mach­ten. Und nun im Okto­ber bil­lig­te er das Regie­rungs­ziel eines maxi­ma­len Defi­zits von 3,2 % des BIP 2012, nur um dann kurz dar­auf gemein­sam mit sei­nen euro­päi­schen Amts­kol­le­gIn­nen aus­ge­gli­che­ne Haus­hal­te in allen euro­päi­schen Staa­ten zu for­dern. Über­trof­fen wird er nur von sei­ner Finanz­mi­nis­te­rin, die zeit­gleich die Steu­er­be­las­tung redu­zie­ren, den Bud­get­pfad fort­füh­ren und die Staats­ver­schul­dung auf 60 % sen­ken will. Alles klar?

Das Argu­ment für die­se poli­ti­sche Far­ce: Es brau­che ein glaub­haf­tes Signal an die Finanz­märk­te, um die Zins­kos­ten rela­tiv nied­rig zu hal­ten. Die Poin­te: In Spa­ni­en, wo eben erst eine Schul­den­brem­se beschlos­sen wur­de, hat man bewie­sen, dass ein aus­ge­gli­che­ner Haus­halt in der Ver­fas­sung das eben nicht leis­ten kann. Die Sekun­där­markt­zins­sät­ze spa­ni­scher Staats­an­lei­hen stie­gen in den Tagen rund um den Beschluss wei­ter an und wur­den erst durch die EZB-Inter­ven­ti­on kurz­fris­tig sta­bi­li­siert – mitt­ler­wei­le haben sie sogar ein neu­es, untrag­ba­res Rekord­ni­veau erreicht.

Im Gegen­satz zu vie­len Poli­ti­ke­rIn­nen dürf­te den meis­ten Finanz­markt­ak­teu­ren klar sein, dass rei­ne Spar­po­li­tik ohne Rück­sicht auf Ver­lus­te nicht die lang­fris­ti­gen Ein­nah­men sichern kann, die es zur Bedie­nung der Staats­schul­den bei gleich­zei­ti­ger Auf­recht­erhal­tung selbst rudi­men­tä­rer Staats­auf­ga­ben braucht. Ins­be­son­de­re weil die grund­le­gen­den öko­no­mi­schen Pro­ble­me (Spa­ni­en: geplatz­te Immo­bi­li­en­bla­se, Rekord­ar­beits­lo­sig­keit, pri­va­te Ver­schul­dung; Öster­reich: Ban­ken­sek­tor bzw. des­sen Ost-Abhän­gig­keit, Ita­li­en-Ver­flech­tung) unge­löst blei­ben, ist eine Schul­den­brem­se in der Ver­fas­sung etwa so wirk­sam bzw. glaub­wür­dig wie ein Gesetz gegen schlech­tes Wetter.

Schuldenbremse = Wohlstandsbremse = Ablenkungsmanöver

Und das führt zum erns­ten Teil die­ser Far­ce. Was eine Schul­den­brem­se brin­gen wird, ist also weni­ger eine Redu­zie­rung der Zins­kos­ten oder sta­bi­le Staats­haus­hal­te, son­dern im Gegen­teil eine ten­den­zi­el­le Desta­bi­li­sie­rung von Wirt­schaft und Gesell­schaft durch die Ein­schrän­kung zukünf­ti­gen Wohl­stan­des. Für die­sen braucht es näm­lich Inves­ti­tio­nen, die sinn­vol­ler Wei­se von jenen bezahlt wer­den, die den größ­ten Nut­zen dar­aus zie­hen, näm­lich die zukünf­ti­gen Begüns­tig­ten über höhe­re zukünf­ti­ge Ein­kom­men. Zudem braucht es die Mög­lich­keit, kon­junk­tu­rel­le Schwan­kun­gen aus­zu­glei­chen, um die kurz- wie lang­fris­ti­gen, indi­vi­du­el­len wie gesell­schaft­li­chen Fol­gen von Arbeits­lo­sig­keit abzu­mil­dern. Schul­den­brem­sen gefähr­den bei­des und kön­nen somit rasch zu Wohlstands‑, Investitions‑, Beschäftigungs‑, Sozi­al- und Zukunfts­brem­sen mutieren.

Ein wei­te­res Pro­blem ist, dass mit der Schul­den­brem­se indi­rekt sug­ge­riert wird, die Staats­ver­schul­dung wäre auf unver­ant­wort­li­che Bud­get­po­li­tik zurück­zu­füh­ren. Damit wird davon abge­lenkt, dass erst mit der Kri­se 2008 die Staats­ver­schul­dung wie­der gestie­gen, zuvor aller­dings in der Euro­zo­ne kon­ti­nu­ier­lich gesun­ken ist (von 72,8 % vor ihrer Grün­dung auf 66,1 % des BIP 2007, ähn­lich auch in Öster­reich). Wür­de man die­sen Zusam­men­hang stär­ker berück­sich­ti­gen, wäre zu erken­nen, dass es zur mit­tel­fris­ti­gen Redu­zie­rung der Staats­ver­schul­dung kei­ne wirt­schafts­po­li­ti­sche Zwangs­ja­cke, son­dern Maß­nah­men gegen die haupt­säch­li­chen schul­den­trei­ben­den Fak­to­ren braucht: Ein kri­sen­an­fäl­li­ges Finanz­sys­tem, das Ban­ken­ret­tun­gen not­wen­dig macht; Kon­junk­tur­schwä­che und stei­gen­de Arbeits­lo­sig­keit, die die Steu­er­ein­nah­men sen­ken und zu höhe­ren Aus­ga­ben füh­ren (ins­be­son­de­re für Arbeits­markt­po­li­tik); und letzt­lich unzu­rei­chen­de Bei­trä­ge von Rei­chen und Unter­neh­men, die von der wirt­schaft­li­chen und steu­er­po­li­ti­schen Ent­wick­lung vor der Kri­se beson­ders profitierten.

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Staatsbankrott – Alternative zu Austeritätspolitik und Weg aus der Euro-Krise ?

18. Oktober 2011 – 9:50 Uhr

Über die Sinn­haf­tig­keit und die Fol­gen einer Staats­in­sol­venz im Euro­raum gibt es geteil­te Mei­nun­gen. Inwie­weit ist eine geord­ne­te Staats­in­sol­venz sinn­voll und wür­de die öko­no­mi­schen und sozia­len Kos­ten der Kri­se in den betrof­fe­nen Län­dern und im Euro­raum redu­zie­ren? Wel­che Erfah­run­gen gibt es mit dem Instru­ment des Staat­bank­rotts beson­ders in Län­dern des Südens, wo die­ses Instru­ment seit lan­gem gefor­dert wird ? Wie kann eine gere­gel­te Staats­in­sol­venz im Euro­raum gestal­tet wer­den ? Inwie­weit wür­de eine gere­gel­te Staats­in­sol­venz zu Anste­ckungs­ef­fek­ten füh­ren und dadurch die Kri­se ver­schär­fen? Wel­che alter­na­ti­ven Poli­ti­ken gibt es zum Staats­bank­rott, um die Kri­se zu ent­schär­fen und die öko­no­mi­schen und sozia­len Kos­ten der Kri­se reduzieren?


Im aktu­el­len Kurs­wech­sel  (Haupt­the­ma: „Roh­stof­fe“) kom­men dazu zwei unter­schied­li­che Posi­tio­nen zu Wort: Kuni­bert Raf­fer (Uni Wien) for­dert schon seit Jahr­zehn­ten eine Staats­in­sol­venz­pro­ze­dur vor allem für Län­der des Südens. Tors­ten Niechoj (IMK) betont hin­ge­gen die Gefah­ren einer Staats­in­sol­venz im Euro­raum und argu­men­tiert für alter­na­ti­ve Lösungen.


Das Heft erscheint Mit­te Novem­ber, die Debat­ten­bei­trä­ge sind vor­ab online.

Am 10.November 2011 um 19h in C3 (Sen­sen­gas­se 3, 1090 Wien) gibt es eine BEIGEWUM/ÖFSE-Dis­kus­si­ons­ver­an­stal­tung zum The­ma mit Hele­ne Schu­berth und Kuni­bert Raf­fer.

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Warum die Bildungskarenz reformiert werden sollte!

10. Oktober 2011 – 12:41 Uhr

Seit dem Kri­sen­jahr 2009 erfreut sich die Bil­dungs­ka­renz in Öster­reich stei­gen­der Beliebt­heit – und der Trend hält auch 2011 wei­ter an. Wer kennt nicht jeman­den in sei­nem Bekann­ten­kreis, der freu­dig bekun­det: Ich bin für ein Jahr in Bil­dungs­ka­renz! Ja, und was wäre auch aus­zu­set­zen dar­an, dass Arbeit­neh­me­rIn­nen den Her­aus­for­de­run­gen einer sich stän­dig wan­deln­den Arbeits­welt durch Wei­ter­bil­dung begeg­nen? A prio­ri natür­lich wenig, erst ein genaue­rer Blick auf die Rea­li­tä­ten lässt Zwei­fel auf­kom­men und an Refor­men denken.
1998 wur­de die Bil­dungs­ka­renz im Zuge einer Pen­si­ons­dis­kus­si­on ein­ge­führt. Ur-sprüng­li­ches Ziel war die intel­li­gen­te Ent­las­tung des Arbeits­an­ge­bo­tes. Wenn sich eine Arbeit­neh­me­rIn mit einem Arbeit­ge­ber einigt, dann besteht im Prin­zip ein Rechts­an­spruch auf Wei­ter­bil­dungs­geld in Höhe des Arbeits­lo­sen­gel­des, wenn eine Aus­bil­dung, ein Kurs, ein Semi­nar im Aus­maß von min­des­tens 20 Wochen­stun­den (16 Stun­den bei Betreu­ungs­pflich­ten) besucht wird. Bis 2008 blieb der „take-up“ relea­tiv gering, in den meis­ten Jah­ren gin­gen weni­ger als 2000 Per­so­nen in Bil­dungs­ka­renz. Mit der Kri­se änder­ten sich Mus­ter und Aus­maß der Inan­spruch­nah­me: 2009 und 2010 gin­gen jeweils ca. 11.000 in Bil­dungs­ka­renz, v. a. Män­ner aus dem von der Kri­se beson­ders betrof­fe­nen Bereich „Her­stel­lung von Waren“ in und Stmk. Sprung­haft stie­gen aller­dings auch die Aus­ga­ben (inkl. Sozi­al­ver­si­che­rungs­bei­trä­gen) des AMS von ca. €10 Mio. (2007) auf €108 (2010) an.
Einer aktu­el­len Stu­die des IHS (Lass­nigg et. al. 2011, Eva­lu­ie­rung der Bil­dungs­ka­renz 2000–2009, sie­he: http://www.bmask.gv.at/site/Soziales/Statistische_Daten_und_ Studien/​Studien/​Arbeitsmarkt_​Studien_​) zufol­ge sind erst­mals wei­te­re Details zur Teil­nah­me und den Wir­kun­gen der Bil­dungs­ka­renz bekannt: Die Bezie­he­rIn­nen von Wei­ter­bil­dungs­geld sind jün­ger und höher aus­ge­bil­det; sie kom­men häu­fig aus den Wirt­schafts­be­rei­chen „Gesundheit/​Soziales“ oder aus tech­ni­schen Beru­fen; wenn den Ergeb­nis­sen der Befra­gung ver­traut wer­den darf(?!), dann besu­chen sie hoch­wer­ti­ge und lan­ge dau­ern­de Kur­sen (durch­schnitt­lich 9,5 Mona­te) – sie holen etwa die Matu­ra nach, machen den Werk­meis­ter, schlie­ßen ihr Stu­di­um ab, bele­gen eine berufs­ori­en­tier­ten Kurs, etc.; ins­ge­samt sind ca. 90% der Teil­neh­me­rIn­nen „mit den Aus­wir­kun­gen der Bil­dungs­ka­renz sehr zufrieden“.
Wenn aber ohne­hin alle zufrie­den sind, war­um soll­te dann die Bil­dungs­ka­renz refor­miert werden?
• Weil die Bil­dungs­ka­renz kei­nen Bei­trag zur Kor­rek­tur der Schief­la­ge in der beruf­li­chen Wei­ter­bil­dung leis­tet, ja sie zemen­tiert viel­mehr den „Mat­thä­us-Effekt“ noch wei­ter ein, weil sie von Per­so­nen mit maxi­mal Pflicht­schul­ab­schluss weit unter­durch­schnitt­lich in Anspruch genom­men wird, die Umver­tei­lung also nach oben läuft. Oder anders gewen­det: Die durch­schnitt­li­che Leis­tungs­hö­he liegt beim Wei­ter­bil­dungs­geld mit ca. €863 monat­lich um etwa 15% über dem Arbeits­lo­sen­geld, ca. 10% der Bezie­he­rIn­nen von Wei­ter­bil­dungs­geld erhal­ten zwi­schen €1400–1500 im Monat. Über­spitzt for­mu­liert könn­te man auch sagen, dass die Haupt­schü­ler den Matu­ran­ten ihren Uni-Abschluss bezahlen.
• Weil auf Grund eines ver­meint­lich hohen Auf­wan­des und ver­si­che­rungs­recht­li­cher Ein­wän­de weder der Kurs­be­such, noch der Kurs­er­folg vom AMS über­prüft wer­den – ein Umstand, der dem Miss­brauch natür­lich Tür und Tor öff­net. Zu Beginn der Karenz muss ledig­lich eine Beschei­ni­gung über das Aus­maß der Wei­ter­bil­dungs­teil­nah­me von 20 Wochen­stun­den (wovon aller­dings 12 Stun­den als „Lern- und Stu­di­en­zei­ten“ ange­rech­net wer­den) vor­ge­legt wer­den, beim Stu­di­um genügt über­haupt nur die Inskriptionsbestätigung!
• Weil die IHS-Unter­su­chung hin­sicht­lich der kau­sa­len Wir­kun­gen der Bil­dungs­ka­renz in Bezug auf Beschäf­ti­gung, Arbeits­lo­sig­keit und Ein­kom­men auch nach 7 Jah­ren Nach­be­ob­ach­tung kei­ne signi­fi­kant posi­ti­ven Effek­te fin­den konn­te (ein­zi­ge Aus­nah­me: Per­so­nen mit Lehr­ab­schuss, die die Meis­ter­prü­fung able­gen). Das hängt einer­seits zusam­men mit den Teil­neh­me­rIn­nen an Bil­dungs­ka­renz, die im über­wie­gen­den Aus­maß sehr stark in den Arbeits­markt inte­griert sind (sta­bi­le Beschäf­ti­gungs­kar­rie­ren) aber ande­rer­seits mög­li­cher­wei­se auch mit feh­len­dem Ergeb­nis­druck und Missbrauch.
• Weil die Arbeits­lo­sen­ver­si­che­rung kein Ersatz für ein man­geln­des Hoch­schul-Sti­pen­di­um­sys­tem sein kann: 2008 haben 43,9 aller Zugän­ge in Bil­dungs­ka­renz ein Uni­ver­si­täts­stu­di­um begon­nen, fort­ge­führt oder abgeschlossen.
• Und schließ­lich: weil ein € 100 Mio. Pro­gramm kein Pap­pen­stiel mehr ist, die Fra­ge nach Effek­ti­vi­tät und Effi­zi­enz der Ver­wen­dung öffent­li­cher Mit­tel jeden­falls gestellt wer­den muss. Wird ja wohl noch erlaubt sein?

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Angriff auf die Demokratie

9. Oktober 2011 – 19:45 Uhr

Der Vor­schlag zur Neu­ge­stal­tung des Steu­er­sys­tems, wie wir ihn von David Gul­da im Stan­dard lesen, ist ein Angriff auf die Demo­kra­tie. Gul­da schlägt mit Slo­ter­di­jk vor, dass die Steu­er­pflich­ti­gen selbst dar­über ent­schei­den sol­len, wo ihre Steu­ern aus­ge­ge­ben wer­den soll. Wört­lich: „Der Gesetz­ge­ber möge die Steu­er­erhö­hung auf Grund­ver­mö­gen, Ein­kom­men oder was immer in Pro­zent fest­le­gen, es aber dem ein­zel­nen Steu­er­pflich­ti­gen über­las­sen, für wel­chen Zweck er das zusätz­lich abge­führ­te Geld ein­ge­setzt sehen will.“ Dies sei dann laut Gul­da eine „Abkehr vom auto­kra­ti­schen Fis­kal­we­sen die­ser Repu­blik und Ein­stieg in ein demo­kra­ti­sches, vom Bür­ger kon­trol­lier­tes Steu­er­ver­wen­dungs­sys­tem.“ Das Gegen­teil ist rich­tig: Der Vor­schlag impli­ziert die Abkehr von einem bür­ger­lich-demo­kra­ti­schen Staats­we­sen hin zu einem neu­en Feu­da­lis­mus. Der Witz an Steu­ern ist ja gera­de, dass nicht der Ein­zel­ne über sei­ne Ver­wen­dung ver­fügt, son­dern das demo­kra­tisch gewähl­te Parlament.
Den­ken wir Gul­da ein­mal wei­ter: Wir füh­ren eine Ver­mö­gens­steu­er ein, aber die Ver­mö­gen­den ent­schei­den selbst, wohin das Geld geht. Die Steu­er ist streng­ge­nom­men also kei­ne Steu­er, son­dern eine „Zwangs­spen­de“. Pro­fi­tie­ren wür­den also die „Hob­bies“ oder Lei­den­schaf­ten der Ver­mö­gen­den, viel­leicht Kunst und Kul­tur. Gul­da schlägt nur vor, die neu­en Steu­ern bzw. die Mehr­ein­nah­men durch Steu­er­erhö­hun­gen die­sem Prin­zip zu unter­wer­fen, so dass das Par­la­ment die Gel­der in Kunst und Kul­tur redu­zie­ren und Umver­tei­len könn­te. Damit wäre die Idee von Gul­da aber wir­kungs­los – zwar flös­sen die neu­en Steu­ern dann bspw. in Kunst und Kul­tur, dafür wür­den die „alten“ Steu­ern aus die­sem Bereich abge­zo­gen. Daher wer­den Gul­da und ande­re dann schnell for­dern, das „Zwangsspenden“-Prinzip auf alle Steu­ern aus­zu­deh­nen, damit das Par­la­ment eben nicht ein­fach die evtl. Schief­la­ge der „Spenden“-Adressaten kor­ri­giert. Es müss­te dann gel­ten: Alle Steu­ern wer­den mit der Ansa­ge bezahlt, wo sie zu ver­wen­den sind. Nun ist empi­risch nicht gesi­chert, in wel­che Berei­che das Geld flie­ßen wür­de. Sicher ist jedoch, dass die Trans­fer­leis­tungs­emp­fän­ge­rIn­nen kei­nen Rechts­an­spruch auf bestimm­te Leis­tun­gen mehr hät­ten, son­dern von der Gna­de ins­be­son­de­re der gro­ßen Steu­er­zah­le­rIn­nen abhin­gen. Nur wenn aus­rei­chend Geld für Bedürf­ti­ge, Erzie­hen­de, Pfle­gen­de und zu Pfle­gen­de, sozia­le Ein­rich­tun­gen usw. bezahlt wür­den, gäbe es die­se Leis­tun­gen. Öffent­lich Bediens­te­te wür­den eben­falls nach dem „Good Will“ bezahlt, und nicht nach Arbeits­ver­trä­gen. Wenn die Steu­er­zah­ler nun (zumin­dest über­wie­gend) ego­is­tisch Han­deln, dann wer­den Unter­neh­men die Gel­der für Stra­ßen, Flug­hä­fen und Unter­neh­mens­sub­ven­tio­nen usw. ein­ge­setzt sehen wol­len, die Eltern der Mit­tel­schich­ten wer­den evtl. die Hoch­schu­len för­dern wol­len usw. Was bleibt da für Arbeits­lo­se, Kran­ke und Alte?
Wenn Gul­da treu­her­zig schreibt, er „wür­de zum Bei­spiel öffent­li­chen Groß­bau­ten oder Rüs­tungs­auf­wen­dun­gen die Finan­zie­rung ver­wei­gern“, dann mag man ihm das glau­ben. Es ist aller­dings reich­lich naiv davon aus­zu­ge­hen, dass gera­de gro­ße Infra­struk­tur­pro­jek­te nicht kam­pa­gnen­mä­ßig beglei­tet wür­den und nicht gera­de die Fra­ge der Sicher­heit auch mit Mit­teln der PR betrie­ben wür­de. Umge­kehrt aber stellt sich bei­spiels­wei­se die Fra­ge, wel­che Lob­by das The­ma Kin­der­ar­mut hat.
Rich­tig ist: Die Trans­pa­renz der Ver­wen­dung öffent­li­cher Mit­tel ist zu erhö­hen. Öster­reich muss sich der Debat­te um Kor­rup­ti­ons­an­fäl­lig­keit und Kon­se­quen­zen aus den der­zei­ti­gen Vor­fäl­len stel­len. Rich­tig ist aber auch, dass nicht der Ein­zel­ne (rei­che) ent­schei­den kann, was öffent­lich finan­ziert wer­den soll, son­dern immer nur die Gemein­schaft als Gan­zes – in par­la­men­ta­ri­schen Demo­kra­tien geschieht dies über das Par­la­ment. Ande­re demo­kra­ti­sche Herr­schafts­for­men sind natür­lich denk- und dis­ku­tier­bar. Ein Zurück zum Feu­da­lis­mus jedoch, indem die Gna­de des Gebers über die Ver­wen­dung der Mit­tel ent­schei­det ist kein Fort­schritt – und erst Recht kein Mehr an Demokratie.

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„Wage moderation“, die lohnpolitische Obsession der EU

6. Oktober 2011 – 10:17 Uhr

Jetzt fehlt gera­de noch, dass der öko­no­mi­sche Main­stream die Lohn­po­li­tik der Gewerk­schaf-ten für die Finanz­kri­se ver­ant­wort­lich macht! Denn nach­dem die mehr­heit­lich kon­ser­va­ti­ven Staa­ten­len­ke­rin­nen in der Uni­on sich gegen­über dem pene­tran­ten Lob­by­ing der Bank- und Hedge­fonds­ma­na­ger à la Acker­mann offen­sicht­lich nicht zur Wehr setz­ten kön­nen, wen­det sich die EU wie­der ihren bei­den Lieb­lings­the­men zu: neben dem Spa­ren sind das die so ge-nann­ten Struk­tur­re­for­men, die Lohn­fin­dungs­sys­te­me im Spe­zi­el­len. Dabei wird zum Schein eine tech­ni­sche Debat­te geführt, im Hin­ter­grund geht es jedoch um Inter­es­sen und Ideo­lo-gien, so simp­le. Aber der Rei­he nach.
Mit­te Sep­tem­ber 2011 fand in Brüs­sel eine Exper­tIn­nen-Kon­fe­renz zum The­ma „Wage trends in Euro­pe“ statt. Weil das Tref­fen von der Gene­ral­di­rek­ti­on Beschäf­ti­gung ver­an­stal­tet wur­de, war für Aus­ge­wo­gen­heit auf den Panels und in den Work­shops gesorgt: einem Ge-werk­schafts-Ver­tre­ter folg­te einer von der Arbeit­ge­ber­sei­te, einem Red­ner der Gene­ral­di-rek­ti­on Wirt­schaft und Finan­zen einer von der Beschäf­ti­gungs­sei­te, usw. So kamen vie­le in-ter­es­san­te Argu­men­te zu Wort, nur mit­ein­an­der gere­det und dis­ku­tiert wur­de nicht. Das ist aber nicht wei­ter von Bedeu­tung, denn was wirt­schafts­po­li­tisch Sache ist in der EU, das be-stim­men ohne­hin noch immer die FinanzministerInnen!
Im Kern ging es um zwei Fra­gen: (1) In wel­chem Zusam­men­hang steht die Ent­wick­lung von Löh­nen und Gehäl­tern mit der Wett­be­werbs­fä­hig­keit? Seit M. Por­ter wis­sen wir, dass die­se von vie­len Fak­to­ren wie den ört­li­chen Stand­ort­be­din­gun­gen (Infra­struk­tur, Aus­bil­dungs- und Tech­no­lo­gie­stan­dards, Fleiß und Prä­zi­si­on der Mit­ar­bei­te­rIn­nen), den Nach­fra­ge­ver­hält­nis-sen und der Wett­be­werbs­in­ten­si­tät am Heim­markt, etc. abhängt; die Lohn­hö­he ist dabei nur eine Grö­ße unter vie­len! Den­noch schielt die EU-KOM in ihren wirt­schafts­po­li­ti­schen Emp-feh­lun­gen, aber auch beim so genann­ten Scoreboard im Rah­men des neu­en „Exces­si­ve Im-balan­ce Pro­ce­du­re“ bei­na­he aus­schließ­lich auf die Arbeits­kos­ten. Dabei sind die Zusam-men­hän­ge zwi­schen der Ent­wick­lung von Löh­nen, Prei­sen, Pro­duk­ti­vi­tät, Real­zin­sen und dem Wachs­tum von Expor­ten, Inlands­nach­fra­ge, BIP und Beschäf­ti­gung wie so oft in der Öko­no­mie alles ande­re als klar – das zeigt auch ein Blick auf die tat­säch­li­che Ent­wick­lung ver­schie­de­ner Län­der in ver­schie­de­nen Peri­oden. Allei­ne der Haus­ver­stand wür­de einem schon sagen, dass bei der Fra­ge, wodurch ein Unter­neh­men erfolg­reich auf den Export­märk-ten ist, das Nied­rig-Hal­ten von Löh­nen viel­leicht nicht gera­de eine inno­va­ti­ve Vor­wärts­stra-tegie genannt wer­den kann. Der Export­welt­meis­ter Deutsch­land ist v. a. des­halb erfolg­reich, weil er die stark gestie­ge­ne Import­nach­fra­ge der Schwel­len­län­der mit qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti-gen Pro­duk­ten bedie­nen kann. Die jah­re­lan­ge Lohn­zu­rück­hal­tung in Deutsch­land, aber auch in Öster­reich, wirkt dabei unter­stüt­zend, ist aber nicht ent­schei­dend! Wen­det man die so genann­te „Gol­den Rule“ (frü­her hieß sie „Benya-For­mel“) an – die Nomi­nal­löh­ne sol­len im Aus­maß von Pro­duk­ti­vi­tät und Infla­ti­ons­ziel stei­gen –, dann hat sich Öster­reich seit Beginn der Wäh­rungs­uni­on einen 10%igen Wett­be­werbs­vor­teil ergat­tert, Deutsch­land gar über 17%. Aber bei die­ser Betrach­tung der Wett­be­werbs­fä­hig­keit sind die Vor­tei­le der einen (DT, Ö) eben die Nach­tei­le der ande­ren (GR, ITA, ESP, P); soviel zum The­ma euro­päi­sche Solidari-tät.
Die zwei­te zen­tra­le Fra­ge­stel­lung der Kon­fe­renz bezog sich dar­auf, wie die unglei­cher wer-den­de Ver­tei­lung ein­zu­schät­zen sei? Hier ist mitt­ler­wei­le die Fak­ten­la­ge der­art ein­deu­tig, dass selbst die hart­ge­sot­te­nen Öko­no­men der OECD (wie Ste­fa­no Scar­pet­ta) fest­stel­len muss­ten: „While over­all redis­tri­bu­ti­on has incre­a­sed, this was not enough to off­set gro­wing mar­ket-inco­me ine­qua­li­ty.“ Die Daten der OECD zei­gen ein­deu­tig, dass in der über­wie­gen­den Mehr­zahl der Indus­trie­län­der die Ein­kom­mensun­gleich­heit in den letz­ten 25 Jah­ren grö­ßer gewor­den ist. Dabei ist zu berück­sich­ti­gen, dass die Lage wahr­schein­lich noch wesent­lich dra­ma­ti­scher ist, weil: die Qua­li­tät der Daten noto­risch schlecht ist, etwa bei den Ein­kom­men der Selbst­stän­di­gen; und weil sich die Ungleich­ver­tei­lung bei den Ver­mö­gen noch wesent­lich dra­ma­ti­scher dar­stellt. Die­se Ein­sich­ten zur neu­en Ver­tei­lungs­fra­ge blei­ben jedoch in der EU fol­gen­los, ganz im Gegen­satz zu den unzäh­li­gen Emp­feh­lun­gen und Mah­nun­gen zur Lohn­zu­rück­hal­tung. Nicht zuletzt an die­ser Stel­le wird sicht­bar, wie ideo­lo­gisch der Dis­kurs bis dato geführt wird. Prag­ma­tisch wäre anders.
Ange­sichts der Ein­sei­tig­keit der Kon­tro­ver­se und der begin­nen­den Herbst­lohn­run­de hier­zu-lan­de liegt fol­gen­der Schluss nahe: Um sich selbst, aber auch den grie­chi­schen Kol­le­gIn­nen zu hel­fen, soll­ten die öster­rei­chi­schen Gewerk­schaf­ten höhe­re Lohn­ab­schlüs­se als in der Ver­gan­gen­heit durch­set­zen. Das wäre doch ein ver­nunft­ge­lei­te­ter Bei­trag zur Lage in Öster-reich und in der EU

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