Österreich ist ein Einwanderungs-, kein Gastarbeiterland. Zum ambivalenten Verhältnis von so genannten InländerInnen und so genannten AusländerInnen
Österreich ist ein Einwanderungsland! Daher sollte von ZuwanderInnen, nicht von GastarbeiterInnen gesprochen werden. Dennoch wird an der Fiktion des „Gastarbeiters“ – im Neusprech umschrieben mit „circular migration“ – festgehalten. Die seit längerem bestehenden, gegenwärtig wieder stärker thematisierten Probleme mit der Integration von MigrantInnen in Österreich hängen nicht zuletzt mit diesem „Missverständnis“, das ein wechselseitiges war und ist, zusammen; dieses nahm ihren Anfang mit den Anwerbe-kampagnen Ende der 1960er Jahre. Ein durch das Ausländerbeschäftigungsgesetz unnötig lange aufrecht erhaltener, prekärer Arbeitsmarktstatuts von ImmigrantInnen auf der einen Seite und Parallelgesellschaften auf der anderen sind die Folge. Hinzu kommen vielfältige Formen der Diskriminierung von MigrantInnen, die ihre Triebfeder nicht selten aus rassistischen Impulsen beziehen und eine politisch weithin ignorierte Realität darstellen.
Das natürliche Bevölkerungswachstum ist in Österreich mit Mitte der 1990er Jahre zum Stillstand gekommen. Seitdem wächst die Wohnbevölkerung im Lande nur mehr, weil mehr Menschen zuwandern (2010 waren das ca. 114.400 Personen) als abwandern (ca. 86.700 Personen), die Nettomigration belief sich daher auf +27.700 im Jahr 2010. Große Zuwanderungswellen gab es im Zeitraum 1989–1993 und (sic!) unter der Schwarz-Blauen-Regierung 2001–2005. Der Anstieg der Wohnbevölkerung seit 1960 von ca. 7 Mio. auf 8,4 Mio. ist zu 2/3 auf Zuwanderung, zu 1/3 auf den Überhang von Geburten gegenüber Sterbefällen zurückzuführen. 2010 lebten ca. 895.000 Personen mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft in Österreich („Ausländer“), ca. 1,5 Mio. Personen, das sind 18,6% der Gesamtbevölkerung, mit Migrationshintergrund, d. h. beide Elternteile wurden im Ausland geboren. 642.000 Personen dieser Gruppe lebten in Wien, das entspricht 41,6% von allen. Dementsprechend liegt der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund in der Bundeshauptstadt auch bei 38,2% – Zuwanderung und Integration sind also primär ein Wiener Problem!
Aus Sicht der so genannten AusländerInnen
Wie ein aktueller Bericht der OECD „The Labour Market Integration of Immigrants and their Children“(Krause, K. und Liebig, Th., siehe http://dx.doi.org/10.1787/5kg264fz6p8w-en) im Detail darlegt, sind MigrantInnen, insbesondere aus so genannten „lower income countries“, d. h. hierzulande primär aus Ex-Jugoslawien und der Türkei stammend, am österreichischen Arbeitsmarkt auf vielfältige Art und Weise benachteiligt. Das wird im besonderen Maße an den „labour market outcomes“ ersichtlich: So lag etwa die Beschäftigungsquote von türkischen Frauen bei 40% (2010), die Quote der im Inland geboren Frauen dagegen bei 68%; bei der Arbeitslosenquote derselben Personengruppen lag die Relation bei ca. 4% zu 12%. Bei im Land geborenen Kindern von Zuwanderern ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich am Rande des Arbeitsmarktes befinden (definiert als „Not in Education, Employment or Training, NEET“, gering Qualifizierte, 20–29 Jährige) mit 12% viermal höher als bei Kindern von im Land geborenen Eltern. Besondere Probleme haben Menschen mit im Ausland erworbenen formalen Qualifikationen („der iranische Diplomingenieur als Taxifahrer“): So haben hoch-qualifizierte Personen eine um 50% niedrigere Wahrscheinlichkeit, in einem ausbildungsadäquaten Job zu arbeiten als „nativ-born“-Personen, wenn sie aus ärmeren Ländern kommen und ihre Ausbildungen nicht anerkennen ließen. Oder anders formuliert: Hochschulabsolventen aus Rumänien sind in Österreich beispielsweise zu 82,2% in Tätigkeiten zu finden, für die sie überqualifiziert sind – im Vergleich dazu ist dies bei ÖsterreicherInnen nur in 33,4% der Fall (siehe IHS/WIFO 2008, Die ökonomischen Wirkungen der Immigration in Österreich 1989–2007, http://www.wifo.ac.at/wwa/jsp/index.jsp?fid=23923&id=34980&ty peid=8& diplay_mode=2). Neben dem Fehlen eines Gesamtkonzeptes zur Integration von MigrantInnen weisen die OECD-AutorInnen auch darauf hin, dass Diskriminerung offensichtlich ein reales Problem für viele ZuwanderInnen in Österreich ist, zu dem aber bisher wenig konkrete Forschungsergebnisse vorliegen (etwa so genannte „correspondence testing studies“, die in anderen Ländern zeigen, dass Personen mit „ausländisch klingenden“ Namen wesentlich seltener zu Vorstellungsgesprächen eingeladen werden, obwohl ihre Lebensläufe mit der inländischen Vergleichsgruppe nahezu ident sind) und das öffentliche Problembewusstsein auch weitgehend fehlt.
Zu dieser faktischen Schlechterstellung von MigrantInnen am Arbeitsmarkt kommt natürlich in manchen Fällen eine Art von Integrationsverweigerung hinzu, die sich etwa in mangelnden Deutschkenntnissen auch nach Jahrzehnten des Aufenthaltes in Österreich manifestiert. Eine Mentalreservation, die genährt wird von der, mit den Jahren verblassenden Hoffnung auf Rückkehr ins vermeintliche Heimatland und die den Betroffenen teuer zu stehen kommt: Sie sind weder hier noch dort zu Hause!
Aus Sicht der so genannten InländerInnen
Vereinfacht formuliert, erschweren das Multi-Kulti-Getue der Grünen, die politische Korrektheit der Linken und die Hetze der FPÖ bis dato die offenen Diskussion von negativen Auswirkungen der Zuwanderung – insbesondere auf Niedrigqualifizierte. Die ökonomische Zunft, in der Mainstream-Variante im Besonderen, ist ja gerade dabei, die letzte Reputation zu verlieren, aber, wenn etwas klar ist, dann: Zusätzliches (Arbeits-)Angebot drückt, sonst alles gleich, den (Lohn)Preis. Nur im unrealistischen Fall, dass Zuwanderung ausschließlich komplementär wirkt, gibt es nur positive Effekte. Daher sind die Gewerkschaften auch gegenüber Zuwanderung traditionell skeptisch (aber leider nicht nur deshalb …). Immigration erhöht, vor allem wenn in kurzer Zeit mehr als 2–3% der Beschäftigten am Arbeitsmarkt zusätzlich auftreten (wie 1990–1991), die Arbeitslosigkeit derer, die sich zusätzlicher Konkurrenz gegenübersehen: Dies gilt für Niedrig‑, aber auch für Hochqualifizierte, für letztere sind nur die Auswirkungen in sozialpolitischer Hinsicht weniger problematisch. Lt. der oben bereits zitierten IHS/WIFO-Unterschung von 2008 erhöht zwar ein zusätzliches ausländisches Arbeitsangebot von 1% (ca. 30.000 Personen) BIP und Beschäftigung eindeutig, aber auch die Arbeitslosigkeit erhöht sich, die Löhne werden tendenziell gesenkt (steigen weniger) und auch das BIP pro Kopf sinkt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass das Durschnittswerte sind: in einzelnen Sektoren und einzelnen Regionen fallen die Effekte für einzelne Gruppen weit höher aus! Dies gilt im übrigen auch für die aktuelle Arbeitsmarktöffnung 2011, mit der ca. 20.000 Personen bisher zusätzlich am österreichischen Arbeitsmarkt aus den EU8-Staaten aufgetreten sind. Es kann also, ohne allzu spekulativ zu sein zu wollen, davon ausgegangen werden, dass die Verluste in den realen Einkommen der untern 3 Dezile seit Anfang der 1990er Jahre auch (!) auf die Zuwanderungswellen in diesem Zeitraum zurückgeführt werden können. Wenn aber diese negativen Auswirkungen der Zuwanderung auf einzelne Gruppen von der Politik nicht wahrgenommen werden – dann, ja dann, haben die Rattenfänger vom Schlage eines Herren Strache oder Sarrazin vermehrt Zulauf!
Wenn wir nicht heute die Probleme bei der Integration von MigrantInnen ernsthaft in Angriff nehmen, dann werden sich uns in Zukunft mehr noch als gegenwärtig auf den Kopf fallen: Die Erwerbsbevölkerung 15–64 Jahre wird ohne Migration bis 2050 aller Voraussicht nach um 1,4 Mio. Personen zusätzlich schrumpfen. Wenn auch kein Grund zu panischem Alarmismus auf Grund der Tatsache einer alternden Bevölkerung besteht (wir werden aller Vorraussicht reicher werden bis 2050, die Beschäftigungsquoten können erhöht werden, etc.), so ist doch klar: Der Anteil an Personen mit Migrationshintergrund wird jedenfalls noch ansteigen in den nächsten Jahrzehnten!
Conclusio: Es ist dieses Unentschiedene in diesem Lande – da holen wir, im internationalen Vergleich relative viele MigrantInnen ins Land, nennen sie „GastarbeiterInnen, halten sie in prekären Arbeitsmarkt- und Lebensverhältnissen, wollen sie nicht integrieren – und wundern uns dann, wenn die Betroffenen auch nicht wollen! Warum können wir nicht ehrlicher sein: Wir lassen nur so viele EinwanderInnen zu, wie wir politisch auch verkraften können, behandeln diese jedoch dann auch anständig und ermöglichen ihnen die Integration!
Imagine Economy: „Schuldenbremse“ – Vorschau aufs neue BEIGEWUM-Buch
Im Frühjahr 2012 erscheint das neue BEIGEWUM-Buch „Imagine Economy. Neoliberale Metaphern in der Wirtschaftspolitik“, das sich mit der Rolle von Metaphern im wirtschaftspolitischen Diskurs und ihren Einfluss auf das Denken und Handeln auseinandersetzt. Aus aktuellem Anlass machen wir hier (PDF) einen Beitrag zum Thema „Schuldenbremse“ aus diesem Buch vorab verfügbar.
Mehr über den Band, der im Rahmen der Reihe Arts, Culture and Education im Löcker Verlag erscheinen wird, gibt es in den abschließenden Bemerkungen dieses Artikels: (link)
Vermögensungleichheit USA 2007-2009
Von der Fed wurde eine außertourliche Erhebung zu privatem Vermögen in den USA in der Krise durchgeführt. Zielsetzung war es, festzustellen, wie sich die Vermögenspositionen der privaten Haushalte in den USA im Zuge der Finanzkrise verändert haben. Der Survey of Consumer Finances (SCF) wird ansonsten regelmäßig alle drei Jahre seit 1983 erhoben. Die Fed verglich nun die Vermögenssituation der US-Bevölkerung im Krisenjahr 2009 mit jener im Vorkrisenjahr 2007. Es wurden dieselben Haushalte befragt (Paneldaten).
Wichtige Ergebnisse
1. Enorme Stabilität in der Vermögensungleichheit in den USA seit den 1980er Jahren. Der Anteil des obersten 1 % bleibt bei einem Drittel des gesamten Vermögens aller Haushalte (33,3%). Und dies obwohl die Vermögensverluste durch die Krise auf die Reichsten konzentriert waren; d.h. absolut verloren die Reichen zwar beträchtlich (99. Perzentilwert: 9 Mio. USD 2007 Rückgang auf 7 Mio. USD 2009); relativ betrachtet verändert sich in der Krise für die Reichen nichts (2007: 33,3%).
2. Fast die gesamten Anleihen werden von den reichsten 10% in den USA gehalten; und fast 2/3 hat das reichste 1 %. Auch Unternehmensvermögen ist enorm konzentriert: über die Hälfte wird vom obersten 1% gehalten.
3. Der Anteil der unteren Hälfte der privaten Haushalte (0–50%) am gesamten Vermögen aller Haushalte sank von 2,5% auf 1,5%. Hatten die unteren 50% schon vor der Krise – relativ gesehen – fast nichts an Vermögenswerten, so sank dieser Wert in der Krise signifikant.
Vermögensteuern: Ja! Aber wie und welche?
Rechtzeitig zur aktuellen Debatte um den Beitrag von Vermögensteuern in der Budgetkonsolidierung: Ein Vorab-Einblick in das Debattenforum des demnächst erscheinenden Kurswechsel Heft 4/2012 (Hauptthema „Care Ökonomie“), mit Beiträgen von Margit Schratzenstaller und Christoph Berka/Josef Thoman über die Machbarkeit unterschiedlicher Varianten der Vermögensbesteuerung.
ÖkonomInnen-Appell gegen Schuldenbremse
Die österreichische Regierung nimmt sich das deutsche Modell einer „Schuldenbremse“ als Vorbild. Als die Schuldenbremse in Deutschland eingeführt wurde, reagierten 64 ÖkonomInnen mit dem Appell „Die Schuldenbremse gefährdet die gesamtwirtschaftliche Stabilität und die Zukunft unserer Kinder“. Aus aktuellem Anlass hier zur Wieder-Lektüre.
Die Schuldenbremse als Farce
Nun befindet sich die Bundesregierung also auf direktem Weg eine sogenannte Schuldenbremse in Verfassungsrang zu heben. Die wesentliche Frage, was das nun genau bedeutet, dürfte zwar noch offen sein, doch fest steht, dass damit pünktlich zum Wirtschaftsabschwung ein neuerliches Sparpaket verhandelt werden wird. Diese Unbestimmtheit liegt auch daran, dass es mehrere Formen von Fiskalregeln gibt, die in der Debatte alle als Schuldenbremse bezeichnet werden.
Wahrscheinlich ist, dass die deutsche Regelung übernommen wird, die weitgehend mit den soeben erst verschärften europäischen Budgetvorgaben übereinstimmt. Beide enthalten im Kern die Umsetzung der äußert rigiden sogenannten Medium Term Objectives (mittelfristige Haushaltsziele). Im Falle Österreichs und Deutschlands ist das (fast) ein strukturelles Nulldefizit. Ausgehend von der soeben veröffentlichten Herbstprognose der EU-Kommission, die das strukturelle Defizit für Österreich mit 2,8 % des BIP (2013) prognostiziert, müsste die Konsolidierung folglich über 8 Mrd. Euro betragen – ein Vielfaches des Spar- und Steuerpakets aus dem Vorjahr. Das würde pro Person zu einer durchschnittlichen Zusatzbelastung von 1.000 Euro pro Jahr führen, was angesichts dieses Volumens – selbst bei einer schwerpunktmäßigen Belastung der reichsten Haushalte – auch die Mittelschicht empfindlich treffen würde.
Neben einer Kopie der deutschen Schuldenbremse wurden als Alternative anscheinend zwei weitere Fiskalregeln diskutiert. Die moderateste Version wäre eine Erweiterung der bisherigen Praxis der Ausgabenobergrenzen auf alle Gebietskörperschaften plus Beschränkung ihrer Zuwächse mit der mittelfristigen Wachstumsrate. Ausgabenobergrenzen könnten zwar prinzipiell wirtschaftspolitisch verkraftbar ausgestaltet werden, hätten aber bereits eine langfristige Kürzung des Staatshaushalts und somit eine Behinderung des sozialen Fortschritts zur Folge. Völlig jenseitig wäre hingegen eine weitere Fiskalregel, nämlich die von der ÖVP verlangte Festschreibung einer Staatsschuldenquote von 60 % des BIP bis 2020. Hierfür wären etwa 40 Mrd Euro – das entspricht mehr als der Hälfte des Bundesbudgets – notwendig. Würden zwischenzeitlich z.B. weitere Bankenhilfen gewährt, kämen sogar noch weitere Milliarden hinzu.
Denn sie wissen, was sie tun?
Wäre die Sache wirtschaftspolitisch nicht so ernst, wäre diese grobe Festlegung kabarettreif: Jene Regierung, die noch im Vorjahr mit der verspäteten Budgetvorlage die Verfassung gebrochen hat, verpflichtet sich und zukünftige Regierung mittels Verfassungsänderung zu weiteren drakonischen Konsolidierungsmaßnahmen – die sie bisher zu Recht mit dem Hinweis auf die relative Stabilität und die schwachen Wirtschaftsprognosen ausgeschlossen hatte. Völlig unklar ist zudem, weshalb es diese verfassungsmäßige politische Selbstentmündigung braucht, denn nichts – abgesehen von wirtschaftspolitischem Sachverstand – hindert die Regierung jedwede Regel zu befolgen, die sie politisch auch tatsächlich befolgen will.
Trotzdem ist diese Inkonsequenz in gewissem Sinne auch wieder konsequent: Im November des Vorjahres schloss der Bundeskanzler weitere Konsolidierungsmaßnahmen in dieser Legislaturperiode aus, ehe er dann im März in Brüssel rechtliche Änderungen absegnete, die weitere Sparpakete erforderlich machten. Und nun im Oktober billigte er das Regierungsziel eines maximalen Defizits von 3,2 % des BIP 2012, nur um dann kurz darauf gemeinsam mit seinen europäischen AmtskollegInnen ausgeglichene Haushalte in allen europäischen Staaten zu fordern. Übertroffen wird er nur von seiner Finanzministerin, die zeitgleich die Steuerbelastung reduzieren, den Budgetpfad fortführen und die Staatsverschuldung auf 60 % senken will. Alles klar?
Das Argument für diese politische Farce: Es brauche ein glaubhaftes Signal an die Finanzmärkte, um die Zinskosten relativ niedrig zu halten. Die Pointe: In Spanien, wo eben erst eine Schuldenbremse beschlossen wurde, hat man bewiesen, dass ein ausgeglichener Haushalt in der Verfassung das eben nicht leisten kann. Die Sekundärmarktzinssätze spanischer Staatsanleihen stiegen in den Tagen rund um den Beschluss weiter an und wurden erst durch die EZB-Intervention kurzfristig stabilisiert – mittlerweile haben sie sogar ein neues, untragbares Rekordniveau erreicht.
Im Gegensatz zu vielen PolitikerInnen dürfte den meisten Finanzmarktakteuren klar sein, dass reine Sparpolitik ohne Rücksicht auf Verluste nicht die langfristigen Einnahmen sichern kann, die es zur Bedienung der Staatsschulden bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung selbst rudimentärer Staatsaufgaben braucht. Insbesondere weil die grundlegenden ökonomischen Probleme (Spanien: geplatzte Immobilienblase, Rekordarbeitslosigkeit, private Verschuldung; Österreich: Bankensektor bzw. dessen Ost-Abhängigkeit, Italien-Verflechtung) ungelöst bleiben, ist eine Schuldenbremse in der Verfassung etwa so wirksam bzw. glaubwürdig wie ein Gesetz gegen schlechtes Wetter.
Schuldenbremse = Wohlstandsbremse = Ablenkungsmanöver
Und das führt zum ernsten Teil dieser Farce. Was eine Schuldenbremse bringen wird, ist also weniger eine Reduzierung der Zinskosten oder stabile Staatshaushalte, sondern im Gegenteil eine tendenzielle Destabilisierung von Wirtschaft und Gesellschaft durch die Einschränkung zukünftigen Wohlstandes. Für diesen braucht es nämlich Investitionen, die sinnvoller Weise von jenen bezahlt werden, die den größten Nutzen daraus ziehen, nämlich die zukünftigen Begünstigten über höhere zukünftige Einkommen. Zudem braucht es die Möglichkeit, konjunkturelle Schwankungen auszugleichen, um die kurz- wie langfristigen, individuellen wie gesellschaftlichen Folgen von Arbeitslosigkeit abzumildern. Schuldenbremsen gefährden beides und können somit rasch zu Wohlstands‑, Investitions‑, Beschäftigungs‑, Sozial- und Zukunftsbremsen mutieren.
Ein weiteres Problem ist, dass mit der Schuldenbremse indirekt suggeriert wird, die Staatsverschuldung wäre auf unverantwortliche Budgetpolitik zurückzuführen. Damit wird davon abgelenkt, dass erst mit der Krise 2008 die Staatsverschuldung wieder gestiegen, zuvor allerdings in der Eurozone kontinuierlich gesunken ist (von 72,8 % vor ihrer Gründung auf 66,1 % des BIP 2007, ähnlich auch in Österreich). Würde man diesen Zusammenhang stärker berücksichtigen, wäre zu erkennen, dass es zur mittelfristigen Reduzierung der Staatsverschuldung keine wirtschaftspolitische Zwangsjacke, sondern Maßnahmen gegen die hauptsächlichen schuldentreibenden Faktoren braucht: Ein krisenanfälliges Finanzsystem, das Bankenrettungen notwendig macht; Konjunkturschwäche und steigende Arbeitslosigkeit, die die Steuereinnahmen senken und zu höheren Ausgaben führen (insbesondere für Arbeitsmarktpolitik); und letztlich unzureichende Beiträge von Reichen und Unternehmen, die von der wirtschaftlichen und steuerpolitischen Entwicklung vor der Krise besonders profitierten.
Staatsbankrott – Alternative zu Austeritätspolitik und Weg aus der Euro-Krise ?
Über die Sinnhaftigkeit und die Folgen einer Staatsinsolvenz im Euroraum gibt es geteilte Meinungen. Inwieweit ist eine geordnete Staatsinsolvenz sinnvoll und würde die ökonomischen und sozialen Kosten der Krise in den betroffenen Ländern und im Euroraum reduzieren? Welche Erfahrungen gibt es mit dem Instrument des Staatbankrotts besonders in Ländern des Südens, wo dieses Instrument seit langem gefordert wird ? Wie kann eine geregelte Staatsinsolvenz im Euroraum gestaltet werden ? Inwieweit würde eine geregelte Staatsinsolvenz zu Ansteckungseffekten führen und dadurch die Krise verschärfen? Welche alternativen Politiken gibt es zum Staatsbankrott, um die Krise zu entschärfen und die ökonomischen und sozialen Kosten der Krise reduzieren?
Im aktuellen Kurswechsel (Hauptthema: „Rohstoffe“) kommen dazu zwei unterschiedliche Positionen zu Wort: Kunibert Raffer (Uni Wien) fordert schon seit Jahrzehnten eine Staatsinsolvenzprozedur vor allem für Länder des Südens. Torsten Niechoj (IMK) betont hingegen die Gefahren einer Staatsinsolvenz im Euroraum und argumentiert für alternative Lösungen.
Das Heft erscheint Mitte November, die Debattenbeiträge sind vorab online.
Am 10.November 2011 um 19h in C3 (Sensengasse 3, 1090 Wien) gibt es eine BEIGEWUM/ÖFSE-Diskussionsveranstaltung zum Thema mit Helene Schuberth und Kunibert Raffer.
Warum die Bildungskarenz reformiert werden sollte!
Seit dem Krisenjahr 2009 erfreut sich die Bildungskarenz in Österreich steigender Beliebtheit – und der Trend hält auch 2011 weiter an. Wer kennt nicht jemanden in seinem Bekanntenkreis, der freudig bekundet: Ich bin für ein Jahr in Bildungskarenz! Ja, und was wäre auch auszusetzen daran, dass ArbeitnehmerInnen den Herausforderungen einer sich ständig wandelnden Arbeitswelt durch Weiterbildung begegnen? A priori natürlich wenig, erst ein genauerer Blick auf die Realitäten lässt Zweifel aufkommen und an Reformen denken.
1998 wurde die Bildungskarenz im Zuge einer Pensionsdiskussion eingeführt. Ur-sprüngliches Ziel war die intelligente Entlastung des Arbeitsangebotes. Wenn sich eine ArbeitnehmerIn mit einem Arbeitgeber einigt, dann besteht im Prinzip ein Rechtsanspruch auf Weiterbildungsgeld in Höhe des Arbeitslosengeldes, wenn eine Ausbildung, ein Kurs, ein Seminar im Ausmaß von mindestens 20 Wochenstunden (16 Stunden bei Betreuungspflichten) besucht wird. Bis 2008 blieb der „take-up“ releativ gering, in den meisten Jahren gingen weniger als 2000 Personen in Bildungskarenz. Mit der Krise änderten sich Muster und Ausmaß der Inanspruchnahme: 2009 und 2010 gingen jeweils ca. 11.000 in Bildungskarenz, v. a. Männer aus dem von der Krise besonders betroffenen Bereich „Herstellung von Waren“ in OÖ und Stmk. Sprunghaft stiegen allerdings auch die Ausgaben (inkl. Sozialversicherungsbeiträgen) des AMS von ca. €10 Mio. (2007) auf €108 (2010) an.
Einer aktuellen Studie des IHS (Lassnigg et. al. 2011, Evaluierung der Bildungskarenz 2000–2009, siehe: http://www.bmask.gv.at/site/Soziales/Statistische_Daten_und_ Studien/Studien/Arbeitsmarkt_Studien_) zufolge sind erstmals weitere Details zur Teilnahme und den Wirkungen der Bildungskarenz bekannt: Die BezieherInnen von Weiterbildungsgeld sind jünger und höher ausgebildet; sie kommen häufig aus den Wirtschaftsbereichen „Gesundheit/Soziales“ oder aus technischen Berufen; wenn den Ergebnissen der Befragung vertraut werden darf(?!), dann besuchen sie hochwertige und lange dauernde Kursen (durchschnittlich 9,5 Monate) – sie holen etwa die Matura nach, machen den Werkmeister, schließen ihr Studium ab, belegen eine berufsorientierten Kurs, etc.; insgesamt sind ca. 90% der TeilnehmerInnen „mit den Auswirkungen der Bildungskarenz sehr zufrieden“.
Wenn aber ohnehin alle zufrieden sind, warum sollte dann die Bildungskarenz reformiert werden?
• Weil die Bildungskarenz keinen Beitrag zur Korrektur der Schieflage in der beruflichen Weiterbildung leistet, ja sie zementiert vielmehr den „Matthäus-Effekt“ noch weiter ein, weil sie von Personen mit maximal Pflichtschulabschluss weit unterdurchschnittlich in Anspruch genommen wird, die Umverteilung also nach oben läuft. Oder anders gewendet: Die durchschnittliche Leistungshöhe liegt beim Weiterbildungsgeld mit ca. €863 monatlich um etwa 15% über dem Arbeitslosengeld, ca. 10% der BezieherInnen von Weiterbildungsgeld erhalten zwischen €1400–1500 im Monat. Überspitzt formuliert könnte man auch sagen, dass die Hauptschüler den Maturanten ihren Uni-Abschluss bezahlen.
• Weil auf Grund eines vermeintlich hohen Aufwandes und versicherungsrechtlicher Einwände weder der Kursbesuch, noch der Kurserfolg vom AMS überprüft werden – ein Umstand, der dem Missbrauch natürlich Tür und Tor öffnet. Zu Beginn der Karenz muss lediglich eine Bescheinigung über das Ausmaß der Weiterbildungsteilnahme von 20 Wochenstunden (wovon allerdings 12 Stunden als „Lern- und Studienzeiten“ angerechnet werden) vorgelegt werden, beim Studium genügt überhaupt nur die Inskriptionsbestätigung!
• Weil die IHS-Untersuchung hinsichtlich der kausalen Wirkungen der Bildungskarenz in Bezug auf Beschäftigung, Arbeitslosigkeit und Einkommen auch nach 7 Jahren Nachbeobachtung keine signifikant positiven Effekte finden konnte (einzige Ausnahme: Personen mit Lehrabschuss, die die Meisterprüfung ablegen). Das hängt einerseits zusammen mit den TeilnehmerInnen an Bildungskarenz, die im überwiegenden Ausmaß sehr stark in den Arbeitsmarkt integriert sind (stabile Beschäftigungskarrieren) aber andererseits möglicherweise auch mit fehlendem Ergebnisdruck und Missbrauch.
• Weil die Arbeitslosenversicherung kein Ersatz für ein mangelndes Hochschul-Stipendiumsystem sein kann: 2008 haben 43,9 aller Zugänge in Bildungskarenz ein Universitätsstudium begonnen, fortgeführt oder abgeschlossen.
• Und schließlich: weil ein € 100 Mio. Programm kein Pappenstiel mehr ist, die Frage nach Effektivität und Effizienz der Verwendung öffentlicher Mittel jedenfalls gestellt werden muss. Wird ja wohl noch erlaubt sein?
Angriff auf die Demokratie
Der Vorschlag zur Neugestaltung des Steuersystems, wie wir ihn von David Gulda im Standard lesen, ist ein Angriff auf die Demokratie. Gulda schlägt mit Sloterdijk vor, dass die Steuerpflichtigen selbst darüber entscheiden sollen, wo ihre Steuern ausgegeben werden soll. Wörtlich: „Der Gesetzgeber möge die Steuererhöhung auf Grundvermögen, Einkommen oder was immer in Prozent festlegen, es aber dem einzelnen Steuerpflichtigen überlassen, für welchen Zweck er das zusätzlich abgeführte Geld eingesetzt sehen will.“ Dies sei dann laut Gulda eine „Abkehr vom autokratischen Fiskalwesen dieser Republik und Einstieg in ein demokratisches, vom Bürger kontrolliertes Steuerverwendungssystem.“ Das Gegenteil ist richtig: Der Vorschlag impliziert die Abkehr von einem bürgerlich-demokratischen Staatswesen hin zu einem neuen Feudalismus. Der Witz an Steuern ist ja gerade, dass nicht der Einzelne über seine Verwendung verfügt, sondern das demokratisch gewählte Parlament.
Denken wir Gulda einmal weiter: Wir führen eine Vermögenssteuer ein, aber die Vermögenden entscheiden selbst, wohin das Geld geht. Die Steuer ist strenggenommen also keine Steuer, sondern eine „Zwangsspende“. Profitieren würden also die „Hobbies“ oder Leidenschaften der Vermögenden, vielleicht Kunst und Kultur. Gulda schlägt nur vor, die neuen Steuern bzw. die Mehreinnahmen durch Steuererhöhungen diesem Prinzip zu unterwerfen, so dass das Parlament die Gelder in Kunst und Kultur reduzieren und Umverteilen könnte. Damit wäre die Idee von Gulda aber wirkungslos – zwar flössen die neuen Steuern dann bspw. in Kunst und Kultur, dafür würden die „alten“ Steuern aus diesem Bereich abgezogen. Daher werden Gulda und andere dann schnell fordern, das „Zwangsspenden“-Prinzip auf alle Steuern auszudehnen, damit das Parlament eben nicht einfach die evtl. Schieflage der „Spenden“-Adressaten korrigiert. Es müsste dann gelten: Alle Steuern werden mit der Ansage bezahlt, wo sie zu verwenden sind. Nun ist empirisch nicht gesichert, in welche Bereiche das Geld fließen würde. Sicher ist jedoch, dass die TransferleistungsempfängerInnen keinen Rechtsanspruch auf bestimmte Leistungen mehr hätten, sondern von der Gnade insbesondere der großen SteuerzahlerInnen abhingen. Nur wenn ausreichend Geld für Bedürftige, Erziehende, Pflegende und zu Pflegende, soziale Einrichtungen usw. bezahlt würden, gäbe es diese Leistungen. Öffentlich Bedienstete würden ebenfalls nach dem „Good Will“ bezahlt, und nicht nach Arbeitsverträgen. Wenn die Steuerzahler nun (zumindest überwiegend) egoistisch Handeln, dann werden Unternehmen die Gelder für Straßen, Flughäfen und Unternehmenssubventionen usw. eingesetzt sehen wollen, die Eltern der Mittelschichten werden evtl. die Hochschulen fördern wollen usw. Was bleibt da für Arbeitslose, Kranke und Alte?
Wenn Gulda treuherzig schreibt, er „würde zum Beispiel öffentlichen Großbauten oder Rüstungsaufwendungen die Finanzierung verweigern“, dann mag man ihm das glauben. Es ist allerdings reichlich naiv davon auszugehen, dass gerade große Infrastrukturprojekte nicht kampagnenmäßig begleitet würden und nicht gerade die Frage der Sicherheit auch mit Mitteln der PR betrieben würde. Umgekehrt aber stellt sich beispielsweise die Frage, welche Lobby das Thema Kinderarmut hat.
Richtig ist: Die Transparenz der Verwendung öffentlicher Mittel ist zu erhöhen. Österreich muss sich der Debatte um Korruptionsanfälligkeit und Konsequenzen aus den derzeitigen Vorfällen stellen. Richtig ist aber auch, dass nicht der Einzelne (reiche) entscheiden kann, was öffentlich finanziert werden soll, sondern immer nur die Gemeinschaft als Ganzes – in parlamentarischen Demokratien geschieht dies über das Parlament. Andere demokratische Herrschaftsformen sind natürlich denk- und diskutierbar. Ein Zurück zum Feudalismus jedoch, indem die Gnade des Gebers über die Verwendung der Mittel entscheidet ist kein Fortschritt – und erst Recht kein Mehr an Demokratie.
„Wage moderation“, die lohnpolitische Obsession der EU
Jetzt fehlt gerade noch, dass der ökonomische Mainstream die Lohnpolitik der Gewerkschaf-ten für die Finanzkrise verantwortlich macht! Denn nachdem die mehrheitlich konservativen Staatenlenkerinnen in der Union sich gegenüber dem penetranten Lobbying der Bank- und Hedgefondsmanager à la Ackermann offensichtlich nicht zur Wehr setzten können, wendet sich die EU wieder ihren beiden Lieblingsthemen zu: neben dem Sparen sind das die so ge-nannten Strukturreformen, die Lohnfindungssysteme im Speziellen. Dabei wird zum Schein eine technische Debatte geführt, im Hintergrund geht es jedoch um Interessen und Ideolo-gien, so simple. Aber der Reihe nach.
Mitte September 2011 fand in Brüssel eine ExpertInnen-Konferenz zum Thema „Wage trends in Europe“ statt. Weil das Treffen von der Generaldirektion Beschäftigung veranstaltet wurde, war für Ausgewogenheit auf den Panels und in den Workshops gesorgt: einem Ge-werkschafts-Vertreter folgte einer von der Arbeitgeberseite, einem Redner der Generaldi-rektion Wirtschaft und Finanzen einer von der Beschäftigungsseite, usw. So kamen viele in-teressante Argumente zu Wort, nur miteinander geredet und diskutiert wurde nicht. Das ist aber nicht weiter von Bedeutung, denn was wirtschaftspolitisch Sache ist in der EU, das be-stimmen ohnehin noch immer die FinanzministerInnen!
Im Kern ging es um zwei Fragen: (1) In welchem Zusammenhang steht die Entwicklung von Löhnen und Gehältern mit der Wettbewerbsfähigkeit? Seit M. Porter wissen wir, dass diese von vielen Faktoren wie den örtlichen Standortbedingungen (Infrastruktur, Ausbildungs- und Technologiestandards, Fleiß und Präzision der MitarbeiterInnen), den Nachfrageverhältnis-sen und der Wettbewerbsintensität am Heimmarkt, etc. abhängt; die Lohnhöhe ist dabei nur eine Größe unter vielen! Dennoch schielt die EU-KOM in ihren wirtschaftspolitischen Emp-fehlungen, aber auch beim so genannten Scoreboard im Rahmen des neuen „Excessive Im-balance Procedure“ beinahe ausschließlich auf die Arbeitskosten. Dabei sind die Zusam-menhänge zwischen der Entwicklung von Löhnen, Preisen, Produktivität, Realzinsen und dem Wachstum von Exporten, Inlandsnachfrage, BIP und Beschäftigung wie so oft in der Ökonomie alles andere als klar – das zeigt auch ein Blick auf die tatsächliche Entwicklung verschiedener Länder in verschiedenen Perioden. Alleine der Hausverstand würde einem schon sagen, dass bei der Frage, wodurch ein Unternehmen erfolgreich auf den Exportmärk-ten ist, das Niedrig-Halten von Löhnen vielleicht nicht gerade eine innovative Vorwärtsstra-tegie genannt werden kann. Der Exportweltmeister Deutschland ist v. a. deshalb erfolgreich, weil er die stark gestiegene Importnachfrage der Schwellenländer mit qualitativ hochwerti-gen Produkten bedienen kann. Die jahrelange Lohnzurückhaltung in Deutschland, aber auch in Österreich, wirkt dabei unterstützend, ist aber nicht entscheidend! Wendet man die so genannte „Golden Rule“ (früher hieß sie „Benya-Formel“) an – die Nominallöhne sollen im Ausmaß von Produktivität und Inflationsziel steigen –, dann hat sich Österreich seit Beginn der Währungsunion einen 10%igen Wettbewerbsvorteil ergattert, Deutschland gar über 17%. Aber bei dieser Betrachtung der Wettbewerbsfähigkeit sind die Vorteile der einen (DT, Ö) eben die Nachteile der anderen (GR, ITA, ESP, P); soviel zum Thema europäische Solidari-tät.
Die zweite zentrale Fragestellung der Konferenz bezog sich darauf, wie die ungleicher wer-dende Verteilung einzuschätzen sei? Hier ist mittlerweile die Faktenlage derart eindeutig, dass selbst die hartgesottenen Ökonomen der OECD (wie Stefano Scarpetta) feststellen mussten: „While overall redistribution has increased, this was not enough to offset growing market-income inequality.“ Die Daten der OECD zeigen eindeutig, dass in der überwiegenden Mehrzahl der Industrieländer die Einkommensungleichheit in den letzten 25 Jahren größer geworden ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Lage wahrscheinlich noch wesentlich dramatischer ist, weil: die Qualität der Daten notorisch schlecht ist, etwa bei den Einkommen der Selbstständigen; und weil sich die Ungleichverteilung bei den Vermögen noch wesentlich dramatischer darstellt. Diese Einsichten zur neuen Verteilungsfrage bleiben jedoch in der EU folgenlos, ganz im Gegensatz zu den unzähligen Empfehlungen und Mahnungen zur Lohnzurückhaltung. Nicht zuletzt an dieser Stelle wird sichtbar, wie ideologisch der Diskurs bis dato geführt wird. Pragmatisch wäre anders.
Angesichts der Einseitigkeit der Kontroverse und der beginnenden Herbstlohnrunde hierzu-lande liegt folgender Schluss nahe: Um sich selbst, aber auch den griechischen KollegInnen zu helfen, sollten die österreichischen Gewerkschaften höhere Lohnabschlüsse als in der Vergangenheit durchsetzen. Das wäre doch ein vernunftgeleiteter Beitrag zur Lage in Öster-reich und in der EU!