Verlustgeschäft Privatisierung
Verlustgeschäft Privatisierung
Seit Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl und IV-Chef Veit Sorger in einer Pressekonferenz am 4. Mai 2011 eine neue Privatisierungswelle forderten, reißt die Debatte darum nicht mehr ab. Verkauft werden sollen nahezu alle Unternehmen, die sich im öffentlichen Besitz befinden: Die Energieversorgungsunternehmen, die Bundesimmobilien, die gemeinnützigen Wohnungen, die Münze Österreich, die Bundesforste und viele mehr.
Es gibt eine Reihe politischer Gründe, die gegen die Privatisierung dieser Unternehmen sprechen. Die Anteile der öffentlichen Hand sichern die Daseinsvorsorge, Arbeitsplätze (siehe Austria Tabak), die Versorgung der Bevölkerung und wirtschaftspolitische Gestaltungsmöglichkeiten. Im Fall der Unternehmen, die auf der Verkaufsliste von WKÖ und IV stehen, zeigt jedoch auch ein Blick auf die Zahlen, dass eine Privatisierung ein nicht besonders lukratives Geschäft wäre.
Als Argument für den Verkauf von Unternehmensbeteiligungen der öffentlichen Hand dient die ausgerufene Schuldenkrise. „Wenn die Republik ihre Unternehmen verkauft, bringt das eine Menge Geld und befreit uns von der Last der Schulden“ – so das nur auf den ersten Blick nachvollziehbare Argument. Ganz davon abgesehen, dass gestiegene Staatsschulden eine Krisenfolge sind und die Schuldenquote in Österreich 2010 mit 72,3% des BIP noch lange keiner Panik bedarf und unter dem europäischem Durchschnitt liegt, gibt es einfach einen Unterschied zwischen dem privaten Haushalt und dem Staat: Der Staat muss eben kein Darlehen mit einer bestimmten Laufzeit wieder zurückzahlen, daher sind für ihn vor allem die Zinsendienste die relevante Größe. Es gibt aber eine Gemeinsamkeit, die gerne vergessen wird: den Schulden steht ein Vermögen gegenüber – nur beides zusammen führt zu einer sinnvollen Beurteilung der Finanzsituation. Im Falle des Staates gibt es zwar leider keine verlässlichen Zahlen, doch eine Studie des WIFO von 2006 lieferte mit einem geschätzten Bruttovermögen von ca. 113 % des BIP immerhin den Anhaltspunkt, dass insgesamt ein deutlich positives staatliches Nettovermögen vorhanden ist.
Wie hoch auch immer das Nettovermögen sein mag, Fakt bleibt, dass der Erlös aus dem Verkauf staatlicher Betriebe die Bruttostaatsverschuldung auf einen Schlag senken kann. Dadurch hat die Finanzministerin jedoch nicht per se einen größeren finanziellen Spielraum. Der Vorteil einer Reduzierung der Staatsschulden liegt darin, dass in Zukunft weniger Zinsen bezahlt werden müssen. Der Nachteil einer solchen Schuldenreduktion durch den Verkauf von staatlichem Eigentum besteht aber darin, dass naturgemäß Ertrag bringendes Staatsvermögen verloren geht, und damit dauerhafte Verluste von Unternehmensgewinnen anfallen. Derzeit fließt ständig Geld von OMV, Verbund und Co in Form von Dividenden in die Staatskassa. Und: Die Unternehmen werden durch Investitionen ua mehr wert, das sorgt für noch höhere Dividenden in der Zukunft.
Aus dieser Tatsache ergibt sich eine einfache Rechnung: Wenn der Betrag, den der Staat durch einen geringeren Zinsendienst spart, höher ist als die – aktuellen und zukünftigen – Dividenden, lohnt sich das Konzept „Privatisierung zum Schuldenabbau“ rein finanziell. Hier ist jedoch genau das Gegenteil der Fall: Jene Unternehmen, die auf der Verkaufsliste von Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung stehen, sind hoch profitabel – insbesondere die Energieversorger. Die Zeiten, in denen der Staat seine Betriebe teuer subventionieren muss, sind vorbei.
Eine schematische Beispielrechnung zeigt, dass die letzten Privatisierungen kein Geschäft für den Staat waren. Die OMV-Teilprivatisierung von rund 15 % des Unternehmens brachte 1996 Privatisierungserlöse von knapp über 300 Mio Euro. Diese führten zu einer Zinsersparnis von rund 19 Mio Euro jährlich. Gleichzeitig gingen aber auch die Anrechte auf rund 15% des OMV-Jahresüberschusses – damals konkret 21,5 Mio Euro– verloren. Das heißt, durch die Privatisierung ergab sich bereits im ersten Jahr ein ökonomischer Verlust von 2,5 Mio Euro. Über die Jahre stieg der OMV-Jahresüberschuss auf das 10-fache an, was natürlich auch den Bundesanteil am Gewinn auf das 10-fache erhöht hätte, während die jährliche Zinsersparnis parallel zum sinkenden Zinsniveau sogar kleiner wurde. Im Zeitraum 1996–2010 ergibt sich so ein gigantischer Verlust für den Staatshaushalt von über 1 Milliarde Euro.
Ganz davon abgesehen, dass der Verkauf von Unternehmen, die die Bevölkerung mit Energie versorgen oder dem Wasserschutz dienen (Bundesforste) die Versorgungssicherheit gefährden – internationale Beispiele dafür gibt es genug – wäre eine neue Privatisierungswelle für den Staat rein kaufmännisch ein denkbar schlechtes Geschäft. Die Bemühungen von Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung dieses Geschäft trotzdem durchzuziehen, legen den Schluss nahe, dass es mit der dort postulierten Ideologiefreiheit nicht weit her ist. Sie bleiben im alten Denken „Privatisierung von Gewinnen, Sozialisierung von Verlusten“ verhaftet.
„Sie können sich die Heimkosten für 2 Monate leisten!“
Der Sozialhilfeverband Liezen bietet für seine BürgerInnen ein ganz besonderes Online-tool – den Heimkostenrechner. Er soll zeigen, wie viel ein Platz in einem Pflegeheim kostet. Gleichzeitig offenbart er das Konzept der österreichischen Pflegefinanzierung, und das in nur zwei Fragen: (1) „Ihre Pension brutto in Euro beträgt?“, und (2) „Ihre Pension reicht für die monatlichen Heimkosten nicht aus! Besitzen Sie Ersparnisse?“
Wird man in Österreich pflegebedürftig, schlägt die 100%ige Vermögenssteuer zu. Alles wird verwertet, bevor die öffentliche Hand einspringt. Im Fachjargon nennt man das den Eigenregress, der Barvermögen, Wertpapiere und Eigentum einzieht. Noch weitere Kreise zieht der Angehörigenregress, der kürzlich in der Steiermark wieder eingeführt wurde. Eltern, Kinder und Ehegatten bzw. Erben sind dann gesetzlich verpflichtet, Sozialhilfekosten, die während eines Heimaufenthaltes entstehen, zu ersetzen.
Eigentumsbesteuerung und Pflege sind also miteinander verquickt – allerdings nicht in der Form, dass die Reicheren für die Ärmeren einstehen, sondern so, dass die Armen allein dastehen. Vermögensbezogene Steuern könnten jedoch helfen, den steigenden Finanzierungsdruck aufgrund demografischer Entwicklung und notwendigem Ausbau des Dienstleistungssystems zu lindern. In den nächsten eineinhalb Jahren wird unter Federführung des Bundesministeriums für Soziales eine Arbeitsgruppe für die Neugestaltung des österreichischen Pflegesystems tagen. Auch hier wird man nicht umhin kommen, alternative steuerbasierte Formen der Finanzierung anzudenken.
Pflegebedürftigkeit kann uns nämlich alle treffen. Das lautet dann so: „Sie können sich die Heimkosten für 2 Monate leisten! Ab dem 3. Monat muss für Sie jedoch…“
Fekters Ideologie
Neu-Finanzministerin Maria Fekter empfindet den Vergleich mit Margret Thatcher als „eiserne Lady“ als ein Kompliment. Das verriet sie dem Standard (7./8. Mai 2011) in einem Interview. Warum? „Thatcher hat mit ihren Reformen ein abgewirtschaftetes Land zur Erfolgsstory gemacht.“ Wenn das mal keine Drohung ist…
Fekter sagt dann im gleichen Interview auch, dass der Staat sich von seinen Betrieben trennen soll, „und zwar um Schulden abzubauen […].“ Das ist interessant. Denn wenn man eine Bilanz gleichzeitig auf der Habenseite (Staatsvermögen) und auf der Sollseite (Staatsschulden) kürzt, dann betreibt man lediglich eine Bilanzkürzung und keinen Schuldenabbau. Anders formuliert: Den Staatsschulden steht ein Staatsvermögen entgegen. Noch anders formuliert: Wenn jemand ein Haus besitzt, das 200.000 Euro wert ist, und Kredite in Höhe von 100.000 Euro hat, besitzt er ein Vermögen von 100.000 Euro. Wird das Haus verkauft und die Kredite beglichen, dann bleiben 100.000 Euro als Haben – als Vermögen – bestehen. Die Zusammensetzung des Vermögens hat sich also geändert, am Wert des Vermögens ändert sich jedoch nichts. Privatisierungen führen also nicht zum Schuldenabbau, sondern zu einer Veränderung der Zusammensetzung des Staatsvermögens. Fekters Aussagen folgen keiner Logik – aber darum geht es ihr auch nicht. Sondern um pure Ideologie. Noch einmal aus dem Standard-Interview: „Außerdem ist wirtschaftliches Management immer besser als staatliches.“ Begründet wird das nicht, was nach der Banken- und Wirtschaftskrise mindestens erstaunlich ist.
Es stellt sich die Frage, wann es Sinn macht, die staatliche Eigentümerschaft einer privaten vorzuziehen. Dies macht dann Sinn, wenn die Ziele (sozialer Ausgleich, öffentliche Infrastruktur, öffentliche Daseinsvorsorge usw.) sich besser durch den Staat als über private Anbieter erreichen lassen. Maria Fekter müsste also begründen, warum private Anbieter etwa die Versorgung mit öffentlichen Verkehrsdienstleitungen in der Fläche besser bewerkstelligen können als der Staat. Zudem müsste sie begründen, wann Schuldenabbau und Schuldenaufnahme durch den Staat Sinn machen, und wann nicht. Auf dem BEIGEWUM-Blog wurde am Beispiel der Schuldenbremse und der geplanten Budgetkonsolidierung in Österreich hierzu Stellung genommen.
Wenn Fekter ihre ideologischen Scheuklappen absetzen würde, dann könnte auch das Thema Staatsverschuldung angegangen werden – noch immer verzichtet Österreich auf Vermögenssteuern, hat extrem niedrige Körperschaftssteuern und die Erbschaftssteuer wird bekanntlich auch nicht mehr eingehoben. Hier gibt es Potential, die Einnahmen des Staates zu stärken – und so die Schulden zurückzuführen. „Eiserne Lady“ ist kein Kompliment für eine Finanzministerin. „Politikerin mit ökonomischem Sachverstand“, das wäre eines.
Diskussion „Alternativen zum BIP“: Veranstaltungsbericht vom 4.5.2011
Wie neutral ist das BIP? Unter anderem diese Frage wurde bei der BEIGEWUM-Podiumsdiskussion „Alternativen zum BIP – welche Indikatoren für welche Gesellschaft?“ am 4.5. durchaus kontroversiell diskutiert. Konrad Pesendorfer (Generaldirektor Statistik Austria) verteidigte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als wertfreie Addition monetärer Aktivitäten, die erst durch ihre Überhöhung als Wohlstandsindikator durch die Politik problematisch, weil irreführend, werde. Demgegenüber betonten Katharina Mader (Wirtschaftsuniversität, BEIGEWUM) und Ulrich Brand (Politikwissenschafts-Professor Uni Wien) die intrinsisch politische Qualität von Indikatoren. „Kennziffernfragen sind Machtfragen“ lautet denn auch der Titel eines Beitrags im aktuellen Kurswechsel 1/2011, der bei der Veranstaltung vorgestellt wurde.
Derzeit gibt es international eine Debatte um neue Wohlstandsindikatoren, die das BIP ergänzen oder ablösen sollen, wie Konrad Pesendorfer erläuterte. Als wichtige Wegmarke gilt der von Frankreichs Präsident Sarkozy beauftragte Stiglitz/Sen/Fitoussi-Bericht, der in drei Gebieten Anpassungen vorschlägt (Ergänzung des Produktions-Blickwinkels des BIP durch eine Betrachtung der Lage von Haushalten; Messung von Lebensqualität; Messung von Nachhaltigkeit). Im Anschluss daran sind auch EU und OECD aktiv bei der Suche nach neuen Indikatoren. In Österreich arbeitet die Statistik Austria daran, auf Basis bestehender Daten solche Indikatoren bereitzustellen. Aus dem Publikum wurde zudem auf das Indikatorenset nachhaltiger Entwicklung in Österreich hingewiesen.
Bei den Indikatoren anzusetzen wertete Mader als Versuch, das Pferd verkehrt herum aufzuzäumen. Zuerst brauche es eine neue Wirtschaftstheorie und Debatte darüber, was gesellschaftlich wichtig, was wirtschaftlich sinnvolle Aktivität und wie der Zusammenhang zwischen Wirtschaft und Lebensqualität sei, erst daraus abgeleitet könne sinnvoll über Indikatoren diskutiert werden. Die Ausblendung der Hausarbeit im BIP und die damit verknüpften geschlechterpolitischen Fragen nannte Mader als zentrales Beispiel. Die Frage, was gemessen werde und ob aus Messungen auch (wirtschafts)politische Konsequenzen gezogen werden, sei eine Frage gesellschaftlicher Macht, und keine technische Frage der Erfindung von Indikatoren. Die BIP-Debatte blende gesellschaftliche Machtverhältnisse und die Grundtatsache eines Wirtschaftssystems aus, das auf Kapitalakkumulation basiert, so Brand.
Dies wurde in der Diskussion aufgegriffen, als die Frage thematisiert wurde, was eine Erfindung neuer Indikatoren dagegen ausrichten könne, dass in der EU-Leitstrategie für die nächsten Jahre, „EU 2020“, bereits zentrale Indikatoren vorgegeben seien.
Reduktion oder Breite?
Brand wies darauf hin, dass es bereits zahlreiche alternative Indikatoren gebe (Gini Koeffizient für Verteilung, Human Development Index, Happy Planet Index, ökologischer Rucksack, Gute Arbeit Indikator etc.), so dass die Arbeit nicht bei Null beginnen müsse. Eine Vielzahl von Indikatoren sei wichtig, um die Breite gesellschaftlicher Probleme im Blick zu behalten, statt wie im BIP zahlreiche Aspekte auszublenden. So führe z.B. die „BIP-Brille“ in der Wirtschaftspolitik dazu, dass etwa nur an marktförmige, wachstumsfreundliche Lösungen der ökologischen Krise gedacht werde. Demgegenüber betonte Pesendorfer, dass es wichtig sei, die Breite auf wenige Leitindikatoren einzuschränken, die dafür eine umso breitere Öffentlichkeit erreichen könnten.
Fotos zur Veranstaltung: Fachbuchhandlung des ÖGB-Verlags
18.5.2011 Workshop EU-Wirtschaftsreformen
Workshop „Aktivitäten der Europäischen Zivilgesellschaft als Reaktion auf EU >Six Pack< zu European Economic Governance“
18.05.2011, 18–20 Uhr im Republikanischen Club (Rockhgasse 1, 1010 Wien)
mit Alexandra Strickner (Attac Österreich) und Lukas Oberndorfer (AK, Abteilung EU& Internationales)
Der „six pack“: so werden die sechs Legislativvorschläge im politischen Jargon genannt, mit denen sich die EU, zumindest wenn es nach dem Willen der EU Kommission und der Regierungschefs geht, eine neue wirtschaftspolitische Steuerung mit Sanktionsmechanismus geben will. Für die einzelnen Mitgliedsstaaten bedeutet dies: Schärfere Kontrollmaßnahmen für das Budget als unter dem Stabilitätspakt und harte Sanktionsmechanismen bei Abweichungen. Für die BürgerInnen wahrscheinlich sehr drastische Sparpakete in den nächsten Jahren.
Doch handelt es sich dabei wirklich um eine stille neoliberale Revolution, wie dies Klatzer/Schlager (2011) in ihrem jüngsten Artikel im Kurswechsel bezeichnen – oder gibt es auch andere Bewegungen?
Der BEIGEWUM veranstaltete bereits am 31.03. unter dem Titel „European Economic Governance – ein verschärfter Neoliberalismus“ einen Workshop im Zusammenhang mit den gesetzlichen Aktivitäten der europäischen Union. Dabei lag der Schwerpunkt auf der Analyse der offiziellen Prozeduren und Inhalte.
Der Schwerpunkt des Workshops am 18.05.2011 liegt auf den Aktivitäten der europäischen Zivilgesellschaft. Was haben unterschiedliche Gruppierungen in verschiedenen Mitgliedsstaaten und auf europäischer Ebene diesem Vorgehen der Regierungen entgegenzustellen? Welche Aktivitäten sind bis zum möglichen Beschluss des „Six Pack“ am Ecofin am 15. Juni geplant und welche Inhalte sollen transportiert werden bzw. wurden schon platziert?
Antworten auf diese Fragestellungen werden uns Alexandra Strickner (Attac Österreich) und Lukas Oberndorfer (AK, Abteilung EU & Internationales) geben.
Korruptionsskandal im EU-Parlament nur die Spitze des Eisbergs
Im März ließ die britische Zeitung Sunday Times vier Abgeordnete auffliegen, die für in Aussicht gestellte Bezahlung Gesetzesvorschläge im EU-Parlament eingebracht hatten. In einer Undercover-Recherche hatten sich JournalistInnen der Zeitung als LobbyistInnen ausgegeben und Abgeordneten Beraterjobs in einer erfundenen Lobby-Firma angeboten – für 100.000 Euro jährlich. Auf heimlich gedrehten Videos wurde veröffentlicht, wie der ex-Außenminister Ernst Strasser, der Rumäne Adrian Severin, der Slowake Zoran Thaler und der Spanier Pablo Zalba Bidegain darauf eingingen.
Thaler und Strasser sind nach den Veröffentlichungen zurück getreten. Severin wurde aus der sozialdemokratischen Fraktion ausgeschlossen, klebt aber an seinem Parlamentssitz. Ebenso Zalba Bidegain. Die Konservativen verteidigen den Spanier, der gar kein Geld angenommen hätte. Dabei zeigt das Sunday Times Video deutlich, dass Zalba alles andere als abgeneigt war.
Der bisher größte Lobbyskandal der EU-Geschichte hat in Brüssel Schockwellen ausgelöst. Und eine breite Debatte über Korruption und die Rolle von Lobbyisten im EU-System. Diese Woche tagte erstmals eine von Parlamentspräsident Buzek eingesetzte Arbeitsgruppe, um einen strikten Verhaltenskodex für EU-Abgeordnete zu erarbeiten.
Der ist bitter nötig. Allein die Tatsache, dass fast 25% der ParlamentarierInnen, die die Undercover-JournalistInnen der Sunday Times kontaktiert haben (14 von insgesamt 60) ernsthaft an ihrem Angebot interessiert waren, zeigt, dass im EU-Parlament die Grenze zwischen gewählten EntscheidungsträgerInnen und bezahltem Lobbyismus längst verschwommen ist.
Lukrative Nebentätigkeiten
Auch, dass vor dem Sunday Times Skandal kaum jemand ein Problem damit hatte, dass Strasser neben seiner Abgeordnetentätigkeit hunderttausende Euros als Industrie-Lobbyist verdiente, gibt zu denken. Bereits im Februar gab es Gerüchte, dass der Abgeordnete Treffen zwischen der EU-Kommission und Unternehmen einfädelte. Damals stritt er das schlicht ab und die Sache war vom Tisch. Im Sunday Times Video ist er dagegen ganz offen: “Na klar bin ich Lobbyist”. Und ein besonders guter dazu, denn als Abgeordneter könne er eben leicht Türen öffnen.
Tatsächlich gibt es im Europaparlament bisher keine Regeln, die ParlamentarierInnen verbieten, nebenher Lobbyismus zu betreiben. Kürzlich enthüllte ein Reuters-Artikel Nebenjobs einer Reihe prominenter Abgeordneter, bei denen Interessenkonflikte mit ihrer Tätigkeit im Parlament auf der Hand liegen. Der deutsche Christdemokrat Klaus-Heiner Lehne ist z.B. Partner der Anwaltskanzlei Taylor Wessing. Und EU Veteran Elmar Brok steht auf der Gehaltsliste des Medien-Giganten Bertelsmann. Beide Unternehmen lobbyieren die EU-Institutionen.
Nicht selten bekommen Abgeordnete die Federfürhung zu einem Thema, bei dem sie aufgrund ihrer Nebenjobs einen klaren Interessenkonflikt haben. Im letzten EU-Parlament setzte sich der britische Abgeordnete John Purvis als Berichterstatter zu Hedge Funds ein für deren laxe Regulierung. Gleichzeitig war Purvis Vorsitzender des britischen Ablegers eines Schweizer Unternehmens, das in Hedge Funds investierte.
Durch die Drehtür… und zurück
Als er aus dem Parlament ausschied, wechselte Purvis zur Lobby-Firma Cabinet DN, als Experte für Finanzmarktangelegenheiten. Er ist nur einer von vielen ehemaligen Abgeordneten, die durch die Drehtür von der Politik in die Lobby-Industrie gewechselt haben.
Auch Hubert Pirker, Strasser’s Nachfolger im Europaparlament, war schon einmal Abgeordneter bevor er seine Lobbyfirma EU-Triconsult aufmachte – die er als neuer Abgeordneter nun angeblich wieder zugemacht hat.
Bei einer derart gut geölten Drehtür zwischen Europaparlament und der Lobbyindustrie stellt sich ganz grundsätzlich die Frage, ob die Brüsseler Abgeordneten im öffentlichen Interesse Politik machen – oder potentiellen zukünftigen Arbeitgebern gerne mal einen Gefallen tun.
Fließende Grenze zwischen Lobbyismus und Korruption
Das deutet bereits an, dass die Grenze zwischen Lobbyismus und Korruption fließend ist. Darauf hat jüngst der schwedische EU-Parlamentarier Carl Schlyter hingewiesen. In einem Interview verurteilte er die Praxis, Gesetzesanträge für Geld einzubringen als “widerlich”. Allerdings sei sie die Ausnahme. Denn: “Die meisten Abgeordneten reichen Änderungsanträge für andere umsonst ein. Ich weiß nicht, was schlimmer ist. Was am Ende beschlossen wird, ist das Gleiche.” Schlyter sieht im Lobbyismus daher eine der Hauptursachen für schlechte EU-Politik.
Auch andere Abgeordnete haben sich in den letzten Wochen dafür ausgesprochen, den Einfluss von Kapitalinteressen auf die EU-Politik zurück zu drängen. Und Abgeordneten die zulassen, dass die Kapitalseite in Brüssel ständig den Politikprozess kapert, die Stirn zu zeigen. Die nächsten Monate werden zeigen, ob sich für ihre Position eine Mehrheit finden lässt.
4.5.: Alternativen zum BIP: Welche Indikatoren für welche Gesellschaft?
Wachstum als zentrale Messgröße für gesellschaftlichen Wohlstand gerät immer stärker in Kritik. Zu offensichtlich wird das Auseinanderfallen von Wachstum mit einer Verbesserung der Lebens- und Existenzbedingungen breiter Bevölkerungsschichten. Parallel zur Krise des finanzgetriebenen Wirtschaftsmodells, der ungleicheren Verteilung des erwirtschafteten Reichtums und der Arbeit sowie der ökologischen Probleme wächst das Bedürfnis nach Alternativen zur Kennzahl des BIP bzw Wirtschaftswachstums.
Obwohl immer noch wirtschaftspolitische Steuerungs- und Erfolgsmessgröße Nummer Eins, gibt es unterschiedliche Initiativen auf nationaler (Statistik Austria) und internationaler (UNO, OECD, EU) Ebene um ein breiteres Set an gesellschaftlichen Fortschrittsindikatoren wie beispielsweise Vermögens- und Einkommensverteilung, Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit bzw Freizeit, Qualität der Arbeit, Arbeitslosigkeit oder Ressourcenschonung zu entwickeln. Im Kern geht es aber nicht um die Kennziffern, sondern um die Frage, wie und an welchen Interessen Wirtschaftspolitik ausgerichtet und legitimiert wird.
Deshalb – und anlässlich des 25-Jahre-Jubiläums des Kurswechsels – wollen wir in dieser Veranstaltung mit in der Praxis tätigen ExpertInnen der Frage nachgehen, welchen Beitrag alternative Wohlstandsindikatoren für einen gesellschafts‑, wirtschafts– und umweltpolitischen Kurswechsel leisten können und wie die diesbezüglichen derzeitigen Initiativen einzuschätzen sind.
Podiumsdiskussion & Präsentation des Kurswechsels 1/2011 „Zukunftsaussichten“
Mi, 4. Mai, Beginn: 18.30
Buchhandlung des ÖGB-Verlag, Rathausstr. 21, 1010 Wien
Podiumsdiskussion mit:
* Ulrich Brand (Institut für Politikwissenschaft & Bundestags-Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“)
* Katharina Mader (BEIGEWUM & Institut für Institutionelle und Heterodoxe Ökonomie der WU Wien)
* Konrad Pesendorfer (Generaldirektor der Statistik Austria)
moderiert von Vanessa Redak (Kurswechsel-Redaktion)
Im Anschluss laden ÖGB-Buchhandlung & BEIGEWUM zu einem kleinen Imbiss.
BEIGEWUM-Veranstaltung in Kooperation mit der Buchhandlung des ÖGB-Verlags sowie: StV.Doktorat@WU, StV VW (WU)
Ein Heft mit Zukunftsaussichten – 25 Jahre Kurswechsel
Der Kurswechsel wird 25, und die aktuelle Krise wird 3: Zeit für eine Zwischenbilanz mit Ausblickcharakter. Müssen wir wieder über wirtschaftliche Stagnation reden? In welche Richtung zielt die Forderung nach einem gesellschafts‑, wirtschafts- und umweltpolitischen Kurswechsel heute? Der „Kurswechsel“ startet mit einem Schwerpunkt zu „Zukunftsaussichten“ in den Jahrgang 2011. Diesmal haben wir außergewöhnlich viel Platz eingeräumt, um vielen unterschiedlichen spannenden Perspektiven Platz zu geben, die die aktuelle Lage und ihre Möglichkeiten ausloten.
Hier das Inhaltsverzeichnis mit einigen Leseproben.
Und hier die Abomöglichkeit.
Heinz Steinert ist tot – sein Beitrag bleibt
Am 20. März ist Heinz Steinert gestorben. Auch nach seiner beruflichen Tätigkeit als kritischer Kriminalsoziologe ist Steinert der lebendigen Weiterarbeit an der Kritischen Theorie treu geblieben, und hat immer wieder mit erfrischenden Interventionen, zuletzt vor allem mit seinen Büchern zu Kapitalismus und Max Weber und Beiträgen auf links-netz.de Diskussionen bereichert oder angestoßen.
Die ersten Berührungspunkte mit dem BEIGEWUM gab es in Form einer Kritik, die Steinert an dem seiner Ansicht nach zu wenig weitgehend „alternativen“ Ecofin-Gegengipfel geübt hat, den der BEIGEWUM in Wien 2006 mitveranstaltet hat. Nicht zuletzt aufgrund der darin gegebenen Anstöße luden wir ihn aufs Podium anlässlich der 25 Jahr-Feier des Vereins im Herbst 2010. Dort hielt er ein erfrischendes Plädoyer für eine Zusammenarbeit zwischen kritischen Wirtschaftsfachleuten und anderen SozialwissenschafterInnen und gab den in unseren Zusammenhängen dominanten Krisenanalysen eine neue Wendung. Zwei Wochen vor seinem Tod übermittelte Heinz Steinert der Kurswechsel-Redaktion noch Druckfahnen-Korrekturen für seinen Beitrag in Kurswechsel 1/2011, der sein erster und leider letzter in der Zeitschrift gewesen sein wird, ja sein letzter überhaupt: „Wirtschaftspolitische Alternativen, und warum sie keinen Anklang finden“. Heinz Steinert hat bei uns großen Anklang gefunden und sein Werk wird das auch weiterhin tun. Wir verabschieden ihn in Trauer.
Europäische Union: Bleibt beim Wettlauf zum Klubbeschluss zur Europäischen Wirtschaftsregierung noch Platz für die Ausübung demokratischer Souveränität?
Wirtschaftsregierung und Pakt für den Euro : Ergebnis einer Umdeutung der Finanzmarktkrise zur Staatskrise.
Die unmittelbaren Krisenverursacher (Finanzmärkte und Banken) stehen knapp zweieinhalb Jahre nach deren Ausbruch wieder auf vermeintlich stabileren Beinen. Im letzten Jahr hat sich das Bedrohungsszenario immer mehr von einem Zusammenbruch der Finanzmärkte und einem Einbruch der gesamten Wirtschaftsleistung hin zu einem Staatsversagen und einer Gefährdung des Euro durch die überbordende Staatsverschuldung bewegt. Die Staaten der Union gehen es nun an: Es braucht eine europäische Wirtschaftsregierung. Die Gestaltung der Wirtschaftspolitik soll in einem stärkeren Ausmaß auf europäischer Ebene geregelt werden und den Nationalstaaten soll Handlungsspielraum entzogen werden. Seit Längerem schon liegen sechs Legislativvorschläge auf dem Tisch, die vor allem eine Verstärkung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und schärfe Sanktionierungsmechanismen bei Nichteinhaltung vorsehen. Anfang Februar ließ nun auch Deutschland mit einem neuen Papier aufhorchen. Hintergrund: Die Legislativvorschläge seien zumindest für die Eurozone nicht genug – es bräuchte einen Pakt für den Euro, der eine noch stärkere Abstimmung der Wirtschaftspolitik der Euroländer impliziert und diese einer stärkeren Kontrolle unterzieht. Darauf haben sich die Eurostaaten auch in abgeschwächter Form geeinigt.
Ein Neoliberales Wirtschaftsprojekt wird durch Entmachtung der demokratischen Entscheidungsprozesse ermöglicht
Es ist außer Frage zu stellen, dass es sinnvoll wäre sich auf europäischer Ebene wirtschaftspolitisch besser zu koordinieren. Der „Wildwuchs“ an Regelungen von nationalen wirtschaftspolitischen Einzelinteressen hat in der Vergangenheit zu negativen Auswirkungen für die wirtschaftliche Entwicklung einzelner europäischer Staaten und von ganz Europa geführt. Doch eine schnelle Analyse des aktuellen Prozesses zeigt: Inhaltlich wird hier ein stark neoliberales Projekt vorangetrieben, dessen Hauptschauplatz die Legislativvorschläge sind, die beim Frühjahrestreffen der Staats- und Regierungschefs beschlossen werden sollen. Ein Ablenkungsmanöver davon wurde nun im „Pakt für den Euro“ gefunden. Dieses Vorgehen mutet von einem demokratiepolitischen Standpunkt aus betrachtet, sehr befremdlich an, da sich die Entmachtung demokratiepolitischer Entscheidungsprozesse sehr sehr deutlich zeigt. Wurden beim Abschluss des Vertrags von Lissabon noch große Reden geschwungen, dass nun ein entscheidender Fortschritt zur Demokratisierung der europäischen Union und der Weg zu einer europäischen Unionsbürgerschaft beschritten werden sollte, so ist davon beim Beschlussverfahren für die Wirtschaftsregierung sehr wenig zu bemerken. Die Regierungschefs ziehen sich in ihren „Klubraum“ zurück, halten ihre Vorschläge unter Verschluss und treffen Entscheidungen in einer Geschwindigkeit, die nicht einmal den informierten ExpertInnen Raum für eine differenzierte Analyse und Meinungsbildung gibt. Die allgemeine Öffentlichkeit leidet unter einem Informationsdefizit und es herrscht ein allgemeines Ohnmachtsgefühl angesichts des Beschlussstakkatos der RegierungsvertreterInnen in Brüssel. Doch auch diese Beschlüsse werden nicht in Unabhängigkeit getroffen, da die Regierungen vielmehr Getriebene der Interessen der Wirtschafts- und Finanzmarktlobbyisten sind.
Entwicklung eines demokratiepolitischen Bewusstseins für eine wirtschaftspolitische Ausrichtung im Sinne der Bürger der europäischen Union
Woran krankt dieses System und was ist zu tun? Der Weg zur Europäischen Wirtschaftsregierung zeigt es sehr deutlich: in der Europäischen Union hat sich bisher noch keine demokratische Öffentlichkeit der Unionsbürger gebildet. Es ist an der Zeit, Schritte dahingehend zu unternehmen, dass sich die Menschen Europas als souveräne BürgerInnen wahrnehmen. Wichtige politische Entscheidungen wohin die Europäische Union wirtschafts- und gesellschaftspolitisch steuert, können nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit getroffen werden. Eine ausführlichere Debatte durch z.B. verstärkte Medienberichterstattung gestaltet sich aber schwierig, da auch die MedienvertreterInnen – auch wenn sie ExpertInnen der Europapolitk sind — diese der Bevölkerung aufgrund technischer Komplexität und schnelllebiger ad hoc Entscheidungen schwer kommunizieren können. Nachvollziehbare Politikentscheidungen und eine ausführliche Debatte darüber sollte allerdings die Prämisse für eine demokratische Politikgestaltung sein. Daher müssen Europas Regierungen ihrem gesellschaftlichen Auftrag ihre BürgerInnen verstärkt wirtschafts- und demokratiepolitisch aufzuklären, intensiver nachkommen. Kritische Bildungsinstitutionen, Medien und zivilgesellschaftliche Bewegungen können hier einen entscheidenden Beitrag dazu leisten und vielleicht auch als „Entschleuniger“ wirken.
Aber die Verstärkung eines demokratiepolitischen Bewusstseins alleine reicht nicht aus. Es muss auch verdeutlicht werden, dass die aktuellen Vorschläge zur wirtschaftspolitischen Regierung nicht den Kern des Problems treffen. Die geplanten Maßnahmen laufen im Wesentlichen darauf hinaus, eine verstärkte Konstitutionalisierung neoliberaler Wirtschaftspolitik vorzunehmen, mit einer Bestandsgarantie, die weit über nationale Verfassungsgesetze hinausgeht. Es liegen schon differenzierte Analysen zur Wirtschaftsregierung und den Pakt für den Euro vor, auch an alternativen Ansätzen mangelnd es nicht.
Hier eine Auswahl zur Nachlese:
Der neueste Beitrag von Andrew Watt: Parallel universes: A Pact for the Euro and Annual Growth Survey but still no clear path out of crisis.
„Wachstum in der EU stärken, nicht gefährden“ – gemeinsame Pressekonferenz von AK und ÖGB am 21.03.2011 EGB-Resolution zur Economic Governance (http://www.etuc.org/IMG/pdf/Resolution-on-European-Economic-Governance-EN.pdf
Zur online Vorabversion des Beitrags von Elisabeth Klatzer und Christa Schlager. Sie analysieren die geplanten EU Reformen für den Kurswechsel 1/2011 („Zukunftsaussichten“)
http://www.beigewum.at/kurswechsel/jahresprogramm-2011/heft-12011-zukunftsaussichten/
Auch der BEIGEWUM hat bereits im „Mythus Nulldefizit“ im Jahr 2000 im Kapitel „Budgetpolitische Vorgaben der EU“, die Wirtschaftspolitik analysiert.
Die Analyse bestätigt nochmals: Die aktuelle Debatte um die „Economic governance“ der EU enthält wenig neue Gedanken, die sich tatsächlich als „Lehre aus der Krise“ eingestellt hätten. Die Krise schwächt vielmehr die Gegenwehr gegen langgehegte Vorhaben, die nun endlich durchsetzungsfähig scheinen. Hier die Argumentation des BEIGEWUM aus dem Jahr 2000
Die EU-Regelungen zu Budgetpolitik entspringen einer Konzeption, die auf das Zurückdrängen des Sozialstaats abzielt. Diese war auf EU-Ebene leichter durchzusetzen als in den einzelnen Mitgliedstaaten.(…) Sie schlägt sich in einer Verankerung von immer radikaleren Vorgaben für die nationale Budgetpolitik auf EU-Ebene nieder. Stufe1: Maastricht (…); Stufe2: Stabilitätspakt(…); Stufe 3: Qualität der öffentlichen Finanzen: (…).
Anfang der 90er Jahre wurde gesagt, geringe Defizite seien erforderlich, um Handlungsspielraum für konjunkturstabilisierende Maßnahmen in einer Rezession zu gewinnen. Mittlerweile sind ausgeglichene Budgets die Norm. (..) Jetzt werden weitere Überschüsse gefordert (…) Für irgendetwas muss immer Vorsorge getroffen werden. Dazu kommt die Beobachtung, dass der Abbau der Defizite in den letzten Jahren zu einem Gutteil auf Kosten staatlicher Investitionsausgaben erfolgt ist, (….) das schadet aber direkt der Wirtschaft. (…) Diese Erfahrung führte dazu, dass nach der bisherigen Annäherung über Umwege nun direkt die Sozialausgaben ins Visier genommen werden. Das hat die nächste Runde in punkto Verschärfung der Budgetkriterien eingeläutet. Unter dem harmlos klingenden Titel „Qualität der öffentlichen Finanzen“ wird in den EU-Gremien debattiert, die Verwendungszwecke der einzelnen Budgetausgaben zu überprüfen.
(…)Hier geht es offen darum, den nationalen Finanzministerien durch internationale Vereinbarungen den Rücken für die innerstaatliche Durchsetzung der Vision vom schlanken (Sozial-)Staat zu stärken. Um die Quantität und Qualität der öffentlichen Einnahmen macht man sich dagegen nicht so viel Kopfzerbrechen: Seit Jahren werden bei der einheitlichen Mindestbesteuerung von Kapitalerträgen keine wirklichen Fortschritte erzielt.
Wichtig für den Weg hin zu einer alternativen Wirtschaftspolitik im Sinne der Mehrheit der europäischen Bevölkerung ist nun, dass sich die Unionsbürger nicht von Regierungsklubs disziplinieren lassen, sondern ihr demokratiepolitisches Bewusstsein entwickeln und für einen inklusiven Entscheidungsprozess eintreten.