blog – BEIGEWUM

Kategorie: blog


Verlustgeschäft Privatisierung

26. Mai 2011 – 14:34 Uhr

Ver­lust­ge­schäft Privatisierung

Seit Wirt­schafts­kam­mer-Prä­si­dent Chris­toph Leitl und IV-Chef Veit Sor­ger in einer Pres­se­kon­fe­renz am 4. Mai 2011 eine neue Pri­va­ti­sie­rungs­wel­le for­der­ten, reißt die Debat­te dar­um nicht mehr ab. Ver­kauft wer­den sol­len nahe­zu alle Unter­neh­men, die sich im öffent­li­chen Besitz befin­den: Die Ener­gie­ver­sor­gungs­un­ter­neh­men, die Bun­des­im­mo­bi­li­en, die gemein­nüt­zi­gen Woh­nun­gen, die Mün­ze Öster­reich,  die Bun­des­fors­te und vie­le mehr.

Es gibt eine Rei­he poli­ti­scher Grün­de, die gegen die Pri­va­ti­sie­rung die­ser Unter­neh­men spre­chen. Die Antei­le der öffent­li­chen Hand sichern die Daseins­vor­sor­ge, Arbeits­plät­ze (sie­he Aus­tria Tabak), die Ver­sor­gung der Bevöl­ke­rung und wirt­schafts­po­li­ti­sche Gestal­tungs­mög­lich­kei­ten. Im Fall der Unter­neh­men, die auf der Ver­kaufs­lis­te von WKÖ und IV ste­hen, zeigt jedoch auch ein Blick auf die Zah­len, dass eine Pri­va­ti­sie­rung ein nicht beson­ders lukra­ti­ves Geschäft wäre.

Als Argu­ment für den Ver­kauf von Unter­neh­mens­be­tei­li­gun­gen der öffent­li­chen Hand dient die aus­ge­ru­fe­ne Schul­den­kri­se. „Wenn die Repu­blik ihre Unter­neh­men ver­kauft, bringt das eine Men­ge Geld und befreit uns von der Last der Schul­den“ – so das nur auf den ers­ten Blick nach­voll­zieh­ba­re Argu­ment. Ganz davon abge­se­hen, dass gestie­ge­ne Staats­schul­den eine Kri­sen­fol­ge sind und die Schul­den­quo­te in Öster­reich 2010 mit 72,3% des BIP noch lan­ge kei­ner Panik bedarf und unter dem euro­päi­schem Durch­schnitt liegt, gibt es ein­fach einen Unter­schied zwi­schen dem pri­va­ten Haus­halt und dem Staat: Der Staat muss eben kein Dar­le­hen mit einer bestimm­ten Lauf­zeit wie­der zurück­zah­len, daher sind für ihn vor allem die Zin­sen­diens­te die rele­van­te Grö­ße. Es gibt aber eine Gemein­sam­keit, die ger­ne ver­ges­sen wird: den Schul­den steht ein Ver­mö­gen gegen­über – nur bei­des zusam­men führt zu einer sinn­vol­len Beur­tei­lung der Finanz­si­tua­ti­on. Im Fal­le des Staa­tes gibt es zwar lei­der kei­ne ver­läss­li­chen Zah­len, doch eine Stu­die des WIFO von 2006 lie­fer­te mit einem geschätz­ten Brut­to­ver­mö­gen von ca. 113 % des BIP immer­hin den Anhalts­punkt, dass ins­ge­samt ein deut­lich posi­ti­ves staat­li­ches Net­to­ver­mö­gen vor­han­den ist.

Wie hoch auch immer das Net­to­ver­mö­gen sein mag, Fakt bleibt, dass der Erlös aus dem Ver­kauf staat­li­cher Betrie­be die Brut­to­staats­ver­schul­dung auf einen Schlag sen­ken kann. Dadurch hat die Finanz­mi­nis­te­rin jedoch nicht per se einen grö­ße­ren finan­zi­el­len Spiel­raum. Der Vor­teil einer Redu­zie­rung der Staats­schul­den liegt dar­in, dass in Zukunft weni­ger Zin­sen bezahlt wer­den müs­sen. Der Nach­teil einer sol­chen Schul­den­re­duk­ti­on durch den Ver­kauf von staat­li­chem Eigen­tum besteht aber dar­in, dass natur­ge­mäß Ertrag brin­gen­des Staats­ver­mö­gen ver­lo­ren geht, und damit dau­er­haf­te Ver­lus­te von Unter­neh­mens­ge­win­nen anfal­len. Der­zeit fließt stän­dig Geld von OMV, Ver­bund und Co in Form von Divi­den­den in die Staats­kas­sa. Und: Die Unter­neh­men wer­den durch Inves­ti­tio­nen ua mehr wert, das sorgt für noch höhe­re Divi­den­den in der Zukunft.

Aus die­ser Tat­sa­che ergibt sich eine ein­fa­che Rech­nung: Wenn der Betrag, den der Staat durch einen gerin­ge­ren Zin­sen­dienst spart, höher ist als die – aktu­el­len und zukünf­ti­gen – Divi­den­den, lohnt sich das Kon­zept „Pri­va­ti­sie­rung zum Schul­den­ab­bau“ rein finan­zi­ell. Hier ist jedoch genau das Gegen­teil der Fall: Jene Unter­neh­men, die auf der Ver­kaufs­lis­te von Wirt­schafts­kam­mer und Indus­tri­el­len­ver­ei­ni­gung ste­hen, sind hoch pro­fi­ta­bel – ins­be­son­de­re die Ener­gie­ver­sor­ger. Die Zei­ten, in denen der Staat sei­ne Betrie­be teu­er sub­ven­tio­nie­ren muss, sind vorbei.

Eine sche­ma­ti­sche Bei­spiel­rech­nung zeigt, dass die letz­ten Pri­va­ti­sie­run­gen kein Geschäft für den Staat waren. Die OMV-Teil­pri­va­ti­sie­rung von rund 15 % des Unter­neh­mens brach­te 1996 Pri­va­ti­sie­rungs­er­lö­se von knapp über 300 Mio Euro. Die­se führ­ten zu einer Zins­er­spar­nis von rund 19 Mio Euro jähr­lich. Gleich­zei­tig gin­gen aber auch die Anrech­te auf rund 15% des OMV-Jah­res­über­schus­ses – damals kon­kret 21,5 Mio Euro– ver­lo­ren. Das heißt, durch die Pri­va­ti­sie­rung ergab sich bereits im ers­ten Jahr ein öko­no­mi­scher Ver­lust von 2,5 Mio Euro. Über die Jah­re stieg der OMV-Jah­res­über­schuss auf das 10-fache an, was natür­lich auch den Bun­des­an­teil am Gewinn auf das 10-fache erhöht hät­te, wäh­rend die jähr­li­che Zins­er­spar­nis par­al­lel zum sin­ken­den Zins­ni­veau sogar klei­ner wur­de. Im Zeit­raum 1996–2010 ergibt sich so ein gigan­ti­scher Ver­lust für den Staats­haus­halt von über 1 Mil­li­ar­de Euro.

Ganz davon abge­se­hen, dass der Ver­kauf von Unter­neh­men, die die Bevöl­ke­rung mit Ener­gie ver­sor­gen oder dem Was­ser­schutz die­nen (Bun­des­fors­te) die Ver­sor­gungs­si­cher­heit gefähr­den – inter­na­tio­na­le Bei­spie­le dafür gibt es genug – wäre eine neue Pri­va­ti­sie­rungs­wel­le für den Staat rein kauf­män­nisch ein denk­bar schlech­tes Geschäft. Die Bemü­hun­gen von Wirt­schafts­kam­mer und Indus­tri­el­len­ver­ei­ni­gung die­ses Geschäft trotz­dem durch­zu­zie­hen, legen den Schluss nahe, dass es mit der dort pos­tu­lier­ten Ideo­lo­gie­frei­heit nicht weit her ist. Sie blei­ben im alten Den­ken „Pri­va­ti­sie­rung von Gewin­nen, Sozia­li­sie­rung von Ver­lus­ten“ verhaftet.

Kommentieren » | Kategorie: blog

„Sie können sich die Heimkosten für 2 Monate leisten!“

16. Mai 2011 – 14:02 Uhr

Der Sozi­al­hil­fe­ver­band Lie­zen bie­tet für sei­ne Bür­ge­rIn­nen ein ganz beson­de­res Online-tool – den Heim­kos­ten­rech­ner. Er soll zei­gen, wie viel ein Platz in einem Pfle­ge­heim kos­tet. Gleich­zei­tig offen­bart er das Kon­zept der öster­rei­chi­schen Pfle­ge­fi­nan­zie­rung, und das in nur zwei Fra­gen: (1) „Ihre Pen­si­on brut­to in Euro beträgt?“, und (2) „Ihre Pen­si­on reicht für die monat­li­chen Heim­kos­ten nicht aus! Besit­zen Sie Ersparnisse?“


Wird man in Öster­reich pfle­ge­be­dürf­tig, schlägt die 100%ige Ver­mö­gens­steu­er zu. Alles wird ver­wer­tet, bevor die öffent­li­che Hand ein­springt. Im Fach­jar­gon nennt man das den Eigen­re­gress, der Bar­ver­mö­gen, Wert­pa­pie­re und Eigen­tum ein­zieht. Noch wei­te­re Krei­se zieht der Ange­hö­ri­gen­re­gress, der kürz­lich in der Stei­er­mark wie­der ein­ge­führt wur­de. Eltern, Kin­der und Ehe­gat­ten bzw. Erben sind dann gesetz­lich ver­pflich­tet, Sozi­al­hil­fe­kos­ten, die wäh­rend eines Heim­auf­ent­hal­tes ent­ste­hen, zu ersetzen.


Eigen­tums­be­steue­rung und Pfle­ge sind also mit­ein­an­der ver­quickt – aller­dings nicht in der Form, dass die Rei­che­ren für die Ärme­ren ein­ste­hen, son­dern so, dass die Armen allein daste­hen. Ver­mö­gens­be­zo­ge­ne Steu­ern könn­ten jedoch hel­fen, den stei­gen­den Finan­zie­rungs­druck auf­grund demo­gra­fi­scher Ent­wick­lung und not­wen­di­gem Aus­bau des Dienst­leis­tungs­sys­tems zu lin­dern. In den nächs­ten ein­ein­halb Jah­ren wird unter Feder­füh­rung des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Sozia­les eine Arbeits­grup­pe für die Neu­ge­stal­tung des öster­rei­chi­schen Pfle­ge­sys­tems tagen. Auch hier wird man nicht umhin kom­men, alter­na­ti­ve steu­er­ba­sier­te For­men der Finan­zie­rung anzudenken.


Pfle­ge­be­dürf­tig­keit kann uns näm­lich alle tref­fen. Das lau­tet dann so: „Sie kön­nen sich die Heim­kos­ten für 2 Mona­te leis­ten! Ab dem 3. Monat muss für Sie jedoch…“

Kommentieren » | Kategorie: blog

Fekters Ideologie

8. Mai 2011 – 16:23 Uhr

Neu-Finanz­mi­nis­te­rin Maria Fek­ter emp­fin­det den Ver­gleich mit Mar­gret That­cher als „eiser­ne Lady“ als ein Kom­pli­ment. Das ver­riet sie dem Stan­dard (7./8. Mai 2011) in einem Inter­view. War­um? „That­cher hat mit ihren Refor­men ein abge­wirt­schaf­te­tes Land zur Erfolgs­sto­ry gemacht.“ Wenn das mal kei­ne Dro­hung ist…

Fek­ter sagt dann im glei­chen Inter­view auch, dass der Staat sich von sei­nen Betrie­ben tren­nen soll, „und zwar um Schul­den abzu­bau­en […].“ Das ist inter­es­sant. Denn wenn man  eine Bilanz gleich­zei­tig auf der Haben­sei­te (Staats­ver­mö­gen) und auf der Soll­sei­te (Staats­schul­den) kürzt, dann betreibt man ledig­lich  eine Bilanz­kür­zung und  kei­nen Schul­den­ab­bau. Anders for­mu­liert: Den Staats­schul­den steht ein Staats­ver­mö­gen ent­ge­gen. Noch anders for­mu­liert: Wenn jemand ein Haus besitzt, das 200.000 Euro wert ist, und Kre­di­te in Höhe von 100.000 Euro hat,  besitzt er ein Ver­mö­gen von 100.000 Euro. Wird das Haus ver­kauft und die Kre­di­te begli­chen, dann blei­ben 100.000 Euro als Haben – als Ver­mö­gen – bestehen. Die Zusam­men­set­zung des Ver­mö­gens hat sich also geän­dert, am Wert des Ver­mö­gens ändert sich jedoch nichts. Pri­va­ti­sie­run­gen füh­ren also nicht zum Schul­den­ab­bau, son­dern zu einer Ver­än­de­rung der Zusam­men­set­zung des Staats­ver­mö­gens. Fek­ters Aus­sa­gen fol­gen kei­ner Logik – aber dar­um geht es ihr auch nicht. Son­dern um pure Ideo­lo­gie. Noch ein­mal aus dem Stan­dard-Inter­view: „Außer­dem ist wirt­schaft­li­ches Manage­ment immer bes­ser als staat­li­ches.“ Begrün­det wird das nicht, was nach der Ban­ken- und Wirt­schafts­kri­se min­des­tens erstaun­lich ist.

Es stellt sich die Fra­ge, wann es Sinn macht, die staat­li­che Eigen­tü­mer­schaft einer pri­va­ten vor­zu­zie­hen. Dies macht dann Sinn, wenn die Zie­le (sozia­ler Aus­gleich, öffent­li­che Infra­struk­tur, öffent­li­che Daseins­vor­sor­ge usw.) sich bes­ser durch den Staat als über pri­va­te Anbie­ter errei­chen las­sen. Maria Fek­ter müss­te also begrün­den, war­um pri­va­te Anbie­ter etwa die Ver­sor­gung mit öffent­li­chen Ver­kehrs­dienst­lei­tun­gen in der Flä­che bes­ser bewerk­stel­li­gen kön­nen als der Staat. Zudem müss­te sie begrün­den, wann Schul­den­ab­bau und Schul­den­auf­nah­me durch den Staat Sinn machen, und wann nicht. Auf dem BEI­GEWUM-Blog wur­de am Bei­spiel der Schul­den­brem­se und der geplan­ten Bud­get­kon­so­li­die­rung in Öster­reich hier­zu Stel­lung genommen.

Wenn Fek­ter ihre ideo­lo­gi­schen Scheu­klap­pen abset­zen wür­de, dann könn­te auch das The­ma Staats­ver­schul­dung ange­gan­gen wer­den – noch immer ver­zich­tet Öster­reich auf Ver­mö­gens­steu­ern, hat extrem nied­ri­ge Kör­per­schafts­steu­ern und die Erb­schafts­steu­er wird bekannt­lich auch nicht mehr ein­ge­ho­ben. Hier gibt es Poten­ti­al, die Ein­nah­men des Staa­tes zu stär­ken – und so die Schul­den zurück­zu­füh­ren. „Eiser­ne Lady“ ist kein Kom­pli­ment für eine Finanz­mi­nis­te­rin. „Poli­ti­ke­rin mit öko­no­mi­schem Sach­ver­stand“, das wäre eines.

2 Kommentare » | Kategorie: blog

Diskussion „Alternativen zum BIP“: Veranstaltungsbericht vom 4.5.2011

6. Mai 2011 – 9:00 Uhr

Wie neu­tral ist das BIP? Unter ande­rem die­se Fra­ge wur­de bei der BEI­GEWUM-Podi­ums­dis­kus­si­on „Alter­na­ti­ven zum BIP – wel­che Indi­ka­to­ren für wel­che Gesell­schaft?“ am 4.5. durch­aus kon­tro­ver­si­ell dis­ku­tiert. Kon­rad Pesen­dor­fer (Gene­ral­di­rek­tor Sta­tis­tik Aus­tria) ver­tei­dig­te das Brut­to­in­lands­pro­dukt (BIP) als wert­freie Addi­ti­on mone­tä­rer Akti­vi­tä­ten, die erst durch ihre Über­hö­hung als Wohl­stands­in­di­ka­tor durch die Poli­tik pro­ble­ma­tisch, weil irre­füh­rend, wer­de. Dem­ge­gen­über beton­ten Katha­ri­na Mader (Wirt­schafts­uni­ver­si­tät, BEIGEWUM) und Ulrich Brand (Poli­tik­wis­sen­schafts-Pro­fes­sor Uni Wien) die intrinsisch poli­ti­sche Qua­li­tät von Indi­ka­to­ren. „Kenn­zif­fern­fra­gen sind Macht­fra­gen“ lau­tet denn auch der Titel eines Bei­trags im aktu­el­len Kurs­wech­sel 1/​2011, der bei der Ver­an­stal­tung vor­ge­stellt wurde.

Der­zeit gibt es inter­na­tio­nal eine Debat­te um neue Wohl­stands­in­di­ka­to­ren, die das BIP ergän­zen oder ablö­sen sol­len, wie Kon­rad Pesen­dor­fer erläu­ter­te. Als wich­ti­ge Weg­mar­ke gilt der von Frank­reichs Prä­si­dent Sar­ko­zy beauf­trag­te Stiglit­z/­Sen/­Fi­tous­si-Bericht, der in drei Gebie­ten Anpas­sun­gen vor­schlägt (Ergän­zung des Pro­duk­ti­ons-Blick­win­kels des BIP durch eine Betrach­tung der Lage von Haus­hal­ten; Mes­sung von Lebens­qua­li­tät; Mes­sung von Nach­hal­tig­keit). Im Anschluss dar­an sind auch EU und OECD aktiv bei der Suche nach neu­en Indi­ka­to­ren. In Öster­reich arbei­tet die Sta­tis­tik Aus­tria dar­an, auf Basis bestehen­der Daten sol­che Indi­ka­to­ren bereit­zu­stel­len. Aus dem Publi­kum wur­de zudem auf das Indi­ka­to­ren­set nach­hal­ti­ger Ent­wick­lung in Öster­reich hingewiesen.

Bei den Indi­ka­to­ren anzu­set­zen wer­te­te Mader als Ver­such, das Pferd ver­kehrt her­um auf­zu­zäu­men. Zuerst brau­che es eine neue Wirt­schafts­theo­rie und Debat­te dar­über, was gesell­schaft­lich wich­tig, was wirt­schaft­lich sinn­vol­le Akti­vi­tät und wie der Zusam­men­hang zwi­schen Wirt­schaft und Lebens­qua­li­tät sei, erst dar­aus abge­lei­tet kön­ne sinn­voll über Indi­ka­to­ren dis­ku­tiert wer­den. Die Aus­blen­dung der Haus­ar­beit im BIP und die damit ver­knüpf­ten geschlech­ter­po­li­ti­schen Fra­gen nann­te Mader als zen­tra­les Bei­spiel. Die Fra­ge, was gemes­sen wer­de und ob aus Mes­sun­gen auch (wirtschafts)politische Kon­se­quen­zen gezo­gen wer­den, sei eine Fra­ge gesell­schaft­li­cher Macht, und kei­ne tech­ni­sche Fra­ge der Erfin­dung von Indi­ka­to­ren. Die BIP-Debat­te blen­de gesell­schaft­li­che Macht­ver­hält­nis­se und die Grund­tat­sa­che eines Wirt­schafts­sys­tems aus, das auf Kapi­tal­ak­ku­mu­la­ti­on basiert, so Brand.

Dies wur­de in der Dis­kus­si­on auf­ge­grif­fen, als die Fra­ge the­ma­ti­siert wur­de, was eine Erfin­dung neu­er Indi­ka­to­ren dage­gen aus­rich­ten kön­ne, dass in der EU-Leit­stra­te­gie für die nächs­ten Jah­re, „EU 2020“, bereits zen­tra­le Indi­ka­to­ren vor­ge­ge­ben seien.

Reduk­ti­on oder Breite?

Brand wies dar­auf hin, dass es bereits zahl­rei­che alter­na­ti­ve Indi­ka­to­ren gebe (Gini Koef­fi­zi­ent für Ver­tei­lung, Human Deve­lo­p­ment Index, Hap­py Pla­net Index, öko­lo­gi­scher Ruck­sack, Gute Arbeit Indi­ka­tor etc.), so dass die Arbeit nicht bei Null begin­nen müs­se. Eine Viel­zahl von Indi­ka­to­ren sei wich­tig, um die Brei­te gesell­schaft­li­cher Pro­ble­me im Blick zu behal­ten, statt wie im BIP zahl­rei­che Aspek­te aus­zu­blen­den. So füh­re z.B. die „BIP-Bril­le“ in der Wirt­schafts­po­li­tik dazu, dass etwa nur an markt­för­mi­ge, wachs­tums­freund­li­che Lösun­gen der öko­lo­gi­schen Kri­se gedacht wer­de. Dem­ge­gen­über beton­te Pesen­dor­fer, dass es wich­tig sei, die Brei­te auf weni­ge Leit­in­di­ka­to­ren ein­zu­schrän­ken, die dafür eine umso brei­te­re Öffent­lich­keit errei­chen könnten.

Fotos zur Ver­an­stal­tung: Fach­buch­hand­lung des ÖGB-Verlags

Kommentieren » | Kategorie: blog

18.5.2011 Workshop EU-Wirtschaftsreformen

5. Mai 2011 – 9:26 Uhr


Work­shop „Akti­vi­tä­ten der Euro­päi­schen Zivil­ge­sell­schaft als Reak­ti­on auf EU >Six Pack< zu Euro­pean Eco­no­mic Governance“

18.05.2011, 18–20 Uhr im Repu­bli­ka­ni­schen Club (Rockh­gas­se 1, 1010 Wien)


mit Alex­an­dra Strick­ner (Attac Öster­reich) und Lukas Obern­dor­fer (AK, Abtei­lung EU& Internationales)


Der „six pack“: so wer­den die sechs Legis­la­tiv­vor­schlä­ge im poli­ti­schen Jar­gon genannt, mit denen sich die EU, zumin­dest wenn es nach dem Wil­len der EU Kom­mis­si­on und der Regie­rungs­chefs geht, eine neue wirt­schafts­po­li­ti­sche Steue­rung mit Sank­ti­ons­me­cha­nis­mus geben will. Für die ein­zel­nen Mit­glieds­staa­ten bedeu­tet dies: Schär­fe­re Kon­troll­maß­nah­men für das Bud­get als unter dem Sta­bi­li­täts­pakt und har­te Sank­ti­ons­me­cha­nis­men bei Abwei­chun­gen. Für die Bür­ge­rIn­nen wahr­schein­lich sehr dras­ti­sche Spar­pa­ke­te in den nächs­ten Jahren.


Doch han­delt es sich dabei wirk­lich um eine stil­le neo­li­be­ra­le Revo­lu­ti­on, wie dies Klatzer/​Schlager (2011) in ihrem jüngs­ten Arti­kel im Kurs­wech­sel bezeich­nen – oder gibt es auch ande­re Bewegungen?


Der BEIGEWUM ver­an­stal­te­te bereits am 31.03. unter dem Titel „Euro­pean Eco­no­mic Gover­nan­ce – ein ver­schärf­ter Neo­li­be­ra­lis­mus“ einen Work­shop im Zusam­men­hang mit den gesetz­li­chen Akti­vi­tä­ten der euro­päi­schen Uni­on. Dabei lag der Schwer­punkt auf der Ana­ly­se der offi­zi­el­len Pro­ze­du­ren und Inhalte.


Der Schwer­punkt des Work­shops am 18.05.2011 liegt auf den Akti­vi­tä­ten der euro­päi­schen Zivil­ge­sell­schaft. Was haben unter­schied­li­che Grup­pie­run­gen in ver­schie­de­nen Mit­glieds­staa­ten und auf euro­päi­scher Ebe­ne die­sem Vor­ge­hen der Regie­run­gen ent­ge­gen­zu­stel­len? Wel­che Akti­vi­tä­ten sind bis zum mög­li­chen Beschluss des „Six Pack“ am Eco­fin am 15. Juni geplant und wel­che Inhal­te sol­len trans­por­tiert wer­den bzw. wur­den schon platziert?


Ant­wor­ten auf die­se Fra­ge­stel­lun­gen wer­den uns Alex­an­dra Strick­ner (Attac Öster­reich) und Lukas Obern­dor­fer (AK, Abtei­lung EU & Inter­na­tio­na­les) geben.


Korruptionsskandal im EU-Parlament nur die Spitze des Eisbergs

24. April 2011 – 20:23 Uhr

Im März ließ die bri­ti­sche Zei­tung Sunday Times vier Abge­ord­ne­te auf­flie­gen, die für in Aus­sicht gestell­te Bezah­lung Geset­zes­vor­schlä­ge im EU-Par­la­ment ein­ge­bracht hat­ten. In einer Under­co­ver-Recher­che hat­ten sich Jour­na­lis­tIn­nen der Zei­tung als Lob­by­is­tIn­nen aus­ge­ge­ben und Abge­ord­ne­ten Bera­ter­jobs in einer erfun­de­nen Lob­by-Fir­ma ange­bo­ten – für 100.000 Euro jähr­lich. Auf heim­lich gedreh­ten Vide­os wur­de ver­öf­fent­licht, wie der ex-Außen­mi­nis­ter Ernst Stras­ser, der Rumä­ne Adri­an Seve­rin, der Slo­wa­ke Zor­an Tha­ler und der Spa­ni­er Pablo Zal­ba Bide­gain dar­auf eingingen.

Tha­ler und Stras­ser sind nach den Ver­öf­fent­li­chun­gen zurück getre­ten. Seve­rin wur­de aus der sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Frak­ti­on aus­ge­schlos­sen, klebt aber an sei­nem Par­la­ments­sitz. Eben­so Zal­ba Bide­gain. Die Kon­ser­va­ti­ven ver­tei­di­gen den Spa­ni­er, der gar kein Geld ange­nom­men hät­te. Dabei zeigt das Sunday Times Video deut­lich, dass Zal­ba alles ande­re als abge­neigt war.

Der bis­her größ­te Lob­by­skan­dal der EU-Geschich­te hat in Brüs­sel Schock­wel­len aus­ge­löst. Und eine brei­te Debat­te über Kor­rup­ti­on und die Rol­le von Lob­by­is­ten im EU-Sys­tem. Die­se Woche tag­te erst­mals eine von Par­la­ments­prä­si­dent Buzek ein­ge­setz­te Arbeits­grup­pe, um einen strik­ten Ver­hal­tens­ko­dex für EU-Abge­ord­ne­te zu erarbeiten.

Der ist bit­ter nötig. Allein die Tat­sa­che, dass fast 25% der Par­la­men­ta­rie­rIn­nen, die die Under­co­ver-Jour­na­lis­tIn­nen der Sunday Times kon­tak­tiert haben (14 von ins­ge­samt 60) ernst­haft an ihrem Ange­bot inter­es­siert waren, zeigt, dass im EU-Par­la­ment die Gren­ze zwi­schen gewähl­ten Ent­schei­dungs­trä­ge­rIn­nen und bezahl­tem Lob­by­is­mus längst ver­schwom­men ist.

Lukra­ti­ve Nebentätigkeiten

Auch, dass vor dem Sunday Times Skan­dal kaum jemand ein Pro­blem damit hat­te, dass Stras­ser neben sei­ner Abge­ord­ne­ten­tä­tig­keit hun­dert­tau­sen­de Euros als Indus­trie-Lob­by­ist ver­dien­te, gibt zu den­ken. Bereits im Febru­ar gab es Gerüch­te, dass der Abge­ord­ne­te Tref­fen zwi­schen der EU-Kom­mis­si­on und Unter­neh­men ein­fä­del­te. Damals stritt er das schlicht ab und die Sache war vom Tisch. Im Sunday Times Video ist er dage­gen ganz offen: “Na klar bin ich Lob­by­ist”. Und ein beson­ders guter dazu, denn als Abge­ord­ne­ter kön­ne er eben leicht Türen öffnen.

Tat­säch­lich gibt es im Euro­pa­par­la­ment bis­her kei­ne Regeln, die Par­la­men­ta­rie­rIn­nen ver­bie­ten, neben­her Lob­by­is­mus zu betrei­ben. Kürz­lich ent­hüll­te ein Reu­ters-Arti­kel Neben­jobs einer Rei­he pro­mi­nen­ter Abge­ord­ne­ter, bei denen Inter­es­sen­kon­flik­te mit ihrer Tätig­keit im Par­la­ment auf der Hand lie­gen. Der deut­sche Christ­de­mo­krat Klaus-Hei­ner Leh­ne ist z.B. Part­ner der Anwalts­kanz­lei Tay­lor Wes­sing. Und EU Vete­ran Elmar Brok steht auf der Gehalts­lis­te des Medi­en-Gigan­ten Ber­tels­mann. Bei­de Unter­neh­men lob­by­ie­ren die EU-Institutionen.

Nicht sel­ten bekom­men Abge­ord­ne­te die Feder­für­hung zu einem The­ma, bei dem sie auf­grund ihrer Neben­jobs einen kla­ren Inter­es­sen­kon­flikt haben. Im letz­ten EU-Par­la­ment setz­te sich der bri­ti­sche Abge­ord­ne­te John Pur­vis als Bericht­erstat­ter zu Hedge Funds ein für deren laxe Regu­lie­rung. Gleich­zei­tig war Pur­vis Vor­sit­zen­der des bri­ti­schen Able­gers eines Schwei­zer Unter­neh­mens, das in Hedge Funds investierte.

Durch die Dreh­tür… und zurück

Als er aus dem Par­la­ment aus­schied, wech­sel­te Pur­vis zur Lob­by-Fir­ma Cabi­net DN, als Exper­te für Finanz­markt­an­ge­le­gen­hei­ten. Er ist nur einer von vie­len ehe­ma­li­gen Abge­ord­ne­ten, die durch die Dreh­tür von der Poli­tik in die Lob­by-Indus­trie gewech­selt haben.

Auch Hubert Pir­ker, Strasser’s Nach­fol­ger im Euro­pa­par­la­ment, war schon ein­mal Abge­ord­ne­ter bevor er sei­ne Lob­by­fir­ma EU-Tricon­sult auf­mach­te – die er als neu­er Abge­ord­ne­ter nun angeb­lich wie­der zuge­macht hat.

Bei einer der­art gut geöl­ten Dreh­tür zwi­schen Euro­pa­par­la­ment und der Lob­by­in­dus­trie stellt sich ganz grund­sätz­lich die Fra­ge, ob die Brüs­se­ler Abge­ord­ne­ten im öffent­li­chen Inter­es­se Poli­tik machen – oder poten­ti­el­len zukünf­ti­gen Arbeit­ge­bern ger­ne mal einen Gefal­len tun.

Flie­ßen­de Gren­ze zwi­schen Lob­by­is­mus und Korruption

Das deu­tet bereits an, dass die Gren­ze zwi­schen Lob­by­is­mus und Kor­rup­ti­on flie­ßend ist. Dar­auf hat jüngst der schwe­di­sche EU-Par­la­men­ta­ri­er Carl Schly­ter hin­ge­wie­sen. In einem Inter­view ver­ur­teil­te er die Pra­xis, Geset­zes­an­trä­ge für Geld ein­zu­brin­gen als “wider­lich”. Aller­dings sei sie die Aus­nah­me. Denn: “Die meis­ten Abge­ord­ne­ten rei­chen Ände­rungs­an­trä­ge für ande­re umsonst ein. Ich weiß nicht, was schlim­mer ist. Was am Ende beschlos­sen wird, ist das Glei­che.” Schly­ter sieht im Lob­by­is­mus daher eine der Haupt­ur­sa­chen für schlech­te EU-Politik.

Auch ande­re Abge­ord­ne­te haben sich in den letz­ten Wochen dafür aus­ge­spro­chen, den Ein­fluss von Kapi­tal­in­ter­es­sen auf die EU-Poli­tik zurück zu drän­gen. Und Abge­ord­ne­ten die zulas­sen, dass die Kapi­tal­sei­te in Brüs­sel stän­dig den Poli­tik­pro­zess kapert, die Stirn zu zei­gen. Die nächs­ten Mona­te wer­den zei­gen, ob sich für ihre Posi­ti­on eine Mehr­heit fin­den lässt.

Kommentieren » | Kategorie: blog

4.5.: Alternativen zum BIP: Welche Indikatoren für welche Gesellschaft?

13. April 2011 – 15:09 Uhr

Wachs­tum als zen­tra­le Mess­grö­ße für gesell­schaft­li­chen Wohl­stand gerät immer stär­ker in Kri­tik. Zu offen­sicht­lich wird das Aus­ein­an­der­fal­len von Wachs­tum mit einer Ver­bes­se­rung der Lebens- und Exis­tenz­be­din­gun­gen brei­ter Bevöl­ke­rungs­schich­ten. Par­al­lel zur Kri­se des finanz­ge­trie­be­nen Wirt­schafts­mo­dells, der unglei­che­ren Ver­tei­lung des erwirt­schaf­te­ten Reich­tums und der Arbeit sowie der öko­lo­gi­schen Pro­ble­me wächst das Bedürf­nis nach Alter­na­ti­ven zur Kenn­zahl des BIP bzw Wirtschaftswachstums.




Obwohl immer noch wirt­schafts­po­li­ti­sche Steue­rungs- und Erfolgs­mess­grö­ße Num­mer Eins, gibt es unter­schied­li­che Initia­ti­ven auf natio­na­ler (Sta­tis­tik Aus­tria) und inter­na­tio­na­ler (UNO, OECD, EU) Ebe­ne um ein brei­te­res Set an gesell­schaft­li­chen Fort­schritts­in­di­ka­to­ren wie bei­spiels­wei­se Ver­mö­gens- und Ein­kom­mens­ver­tei­lung, Ver­tei­lung von bezahl­ter und unbe­zahl­ter Arbeit bzw Frei­zeit, Qua­li­tät der Arbeit, Arbeits­lo­sig­keit oder Res­sour­cen­scho­nung zu ent­wi­ckeln. Im Kern geht es aber nicht um die Kenn­zif­fern, son­dern um die Fra­ge, wie und an wel­chen Inter­es­sen Wirt­schafts­po­li­tik aus­ge­rich­tet und legi­ti­miert wird.




Des­halb – und anläss­lich des 25-Jah­re-Jubi­lä­ums des Kurs­wech­sels – wol­len wir in die­ser Ver­an­stal­tung mit in der Pra­xis täti­gen Exper­tIn­nen der Fra­ge nach­ge­hen, wel­chen Bei­trag alter­na­ti­ve Wohl­stands­in­di­ka­to­ren für einen gesellschafts‑, wirt­schafts– und umwelt­po­li­ti­schen Kurs­wech­sel leis­ten kön­nen und wie die dies­be­züg­li­chen der­zei­ti­gen Initia­ti­ven ein­zu­schät­zen sind.





Podi­ums­dis­kus­si­on & Prä­sen­ta­ti­on des Kurs­wech­sels 1/​2011 „Zukunfts­aus­sich­ten“




Mi, 4. Mai, Beginn: 18.30


Buch­hand­lung des ÖGB-Ver­lag, Rat­haus­str. 21, 1010 Wien




Podi­ums­dis­kus­si­on mit:


* Ulrich Brand (Insti­tut für Poli­tik­wis­sen­schaft & Bun­des­tags-Enquete-Kom­mis­si­on „Wachs­tum, Wohl­stand, Lebensqualität“)


* Katha­ri­na Mader (BEIGEWUM & Insti­tut für Insti­tu­tio­nel­le und Hete­ro­do­xe Öko­no­mie der WU Wien)


* Kon­rad Pesen­dor­fer (Gene­ral­di­rek­tor der Sta­tis­tik Austria)


mode­riert von Vanes­sa Redak (Kurs­wech­sel-Redak­ti­on)




Im Anschluss laden ÖGB-Buch­hand­lung & BEIGEWUM zu einem klei­nen Imbiss.




BEI­GEWUM-Ver­an­stal­tung in Koope­ra­ti­on mit der Buch­hand­lung des ÖGB-Ver­lags sowie: StV.Doktorat@WU, StV VW (WU)




Ein Heft mit Zukunftsaussichten – 25 Jahre Kurswechsel

10. April 2011 – 13:21 Uhr


Der Kurs­wech­sel wird 25, und die aktu­el­le Kri­se wird 3: Zeit für eine Zwi­schen­bi­lanz mit Aus­blick­cha­rak­ter. Müs­sen wir wie­der über wirt­schaft­li­che Sta­gna­ti­on reden? In wel­che Rich­tung zielt die For­de­rung nach einem gesellschafts‑, wirt­schafts- und umwelt­po­li­ti­schen Kurs­wech­sel heu­te? Der „Kurs­wech­sel“ star­tet mit einem Schwer­punkt zu „Zukunfts­aus­sich­ten“ in den Jahr­gang 2011. Dies­mal haben wir außer­ge­wöhn­lich viel Platz ein­ge­räumt, um vie­len unter­schied­li­chen span­nen­den Per­spek­ti­ven Platz zu geben, die die aktu­el­le Lage und ihre Mög­lich­kei­ten ausloten.


Hier das Inhalts­ver­zeich­nis mit eini­gen Leseproben.

Und hier die Abo­mög­lich­keit.


Kommentieren » | Kategorie: blog

Heinz Steinert ist tot – sein Beitrag bleibt

5. April 2011 – 14:40 Uhr

Am 20. März ist Heinz Stei­nert gestor­ben. Auch nach sei­ner beruf­li­chen Tätig­keit als kri­ti­scher Kri­mi­nal­so­zio­lo­ge ist Stei­nert der leben­di­gen Wei­ter­ar­beit an der Kri­ti­schen Theo­rie treu geblie­ben, und hat immer wie­der mit erfri­schen­den Inter­ven­tio­nen, zuletzt vor allem mit sei­nen Büchern zu Kapi­ta­lis­mus und Max Weber und Bei­trä­gen auf links-netz.de Dis­kus­sio­nen berei­chert oder angestoßen.


Die ers­ten Berüh­rungs­punk­te mit dem BEIGEWUM gab es in Form einer Kri­tik, die Stei­nert an dem sei­ner Ansicht nach zu wenig weit­ge­hend „alter­na­ti­ven“ Eco­fin-Gegen­gip­fel geübt hat, den der BEIGEWUM in Wien 2006 mit­ver­an­stal­tet hat.  Nicht zuletzt auf­grund der dar­in gege­be­nen Anstö­ße luden wir ihn aufs Podi­um anläss­lich der 25 Jahr-Fei­er des Ver­eins im Herbst 2010.  Dort hielt er ein erfri­schen­des Plä­doy­er für eine Zusam­men­ar­beit zwi­schen kri­ti­schen Wirt­schafts­fach­leu­ten und ande­ren Sozi­al­wis­sen­schaf­te­rIn­nen und gab den in unse­ren Zusam­men­hän­gen domi­nan­ten Kri­sen­ana­ly­sen eine neue Wen­dung. Zwei Wochen vor sei­nem Tod über­mit­tel­te Heinz Stei­nert der Kurs­wech­sel-Redak­ti­on noch Druck­fah­nen-Kor­rek­tu­ren für sei­nen Bei­trag in Kurs­wech­sel 1/​2011, der sein ers­ter und lei­der letz­ter in der Zeit­schrift gewe­sen sein wird, ja sein letz­ter über­haupt: „Wirt­schafts­po­li­ti­sche Alter­na­ti­ven, und war­um sie kei­nen Anklang fin­den“. Heinz Stei­nert hat bei uns gro­ßen Anklang gefun­den und sein Werk wird das auch wei­ter­hin tun. Wir ver­ab­schie­den ihn in Trauer.

Kommentieren » | Kategorie: blog

Europäische Union: Bleibt beim Wettlauf zum Klubbeschluss zur Europäischen Wirtschaftsregierung noch Platz für die Ausübung demokratischer Souveränität?

24. März 2011 – 9:32 Uhr

Wirt­schafts­re­gie­rung und Pakt für den Euro : Ergeb­nis einer Umdeu­tung der Finanz­markt­kri­se zur Staatskrise. 

Die unmit­tel­ba­ren Kri­sen­ver­ur­sa­cher (Finanz­märk­te und Ban­ken) ste­hen knapp zwei­ein­halb Jah­re nach deren Aus­bruch wie­der auf ver­meint­lich sta­bi­le­ren Bei­nen. Im letz­ten Jahr hat sich das Bedro­hungs­sze­na­rio immer mehr von einem Zusam­men­bruch der Finanz­märk­te und einem Ein­bruch der gesam­ten Wirt­schafts­leis­tung hin zu einem Staats­ver­sa­gen und einer Gefähr­dung des Euro durch die über­bor­den­de Staats­ver­schul­dung bewegt. Die Staa­ten der Uni­on gehen es  nun an: Es braucht eine euro­päi­sche Wirt­schafts­re­gie­rung. Die Gestal­tung der Wirt­schafts­po­li­tik soll in einem stär­ke­ren Aus­maß auf euro­päi­scher Ebe­ne gere­gelt wer­den und den Natio­nal­staa­ten soll Hand­lungs­spiel­raum ent­zo­gen wer­den. Seit Län­ge­rem schon lie­gen sechs Legis­la­tiv­vor­schlä­ge auf dem Tisch, die vor allem eine Ver­stär­kung des Sta­bi­li­täts- und Wachs­tums­pak­tes und schär­fe Sank­tio­nie­rungs­me­cha­nis­men bei Nicht­ein­hal­tung vor­se­hen. Anfang Febru­ar ließ nun auch Deutsch­land mit einem neu­en Papier auf­hor­chen. Hin­ter­grund: Die Legis­la­tiv­vor­schlä­ge sei­en zumin­dest für die Euro­zo­ne nicht genug – es bräuch­te einen Pakt für den Euro, der eine noch stär­ke­re Abstim­mung der Wirt­schafts­po­li­tik der Euro­län­der impli­ziert und die­se einer stär­ke­ren Kon­trol­le unter­zieht. Dar­auf haben sich die Euro­staa­ten auch in abge­schwäch­ter Form geeinigt. 

Ein Neo­li­be­ra­les Wirt­schafts­pro­jekt wird durch Ent­mach­tung der demo­kra­ti­schen Ent­schei­dungs­pro­zes­se ermöglicht 

Es ist außer Fra­ge zu stel­len, dass es sinn­voll wäre sich auf euro­päi­scher Ebe­ne wirt­schafts­po­li­tisch bes­ser zu koor­di­nie­ren. Der „Wild­wuchs“ an Rege­lun­gen von natio­na­len wirt­schafts­po­li­ti­schen Ein­zel­in­ter­es­sen hat in der Ver­gan­gen­heit zu nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen für die wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung ein­zel­ner euro­päi­scher Staa­ten und von ganz Euro­pa geführt. Doch eine schnel­le Ana­ly­se des aktu­el­len Pro­zes­ses zeigt: Inhalt­lich wird hier ein stark neo­li­be­ra­les Pro­jekt vor­an­ge­trie­ben, des­sen Haupt­schau­platz die Legis­la­tiv­vor­schlä­ge sind, die beim Früh­jah­res­tref­fen der Staats- und Regie­rungs­chefs beschlos­sen wer­den sol­len. Ein Ablen­kungs­ma­nö­ver davon wur­de nun im „Pakt für den Euro“ gefun­den. Die­ses Vor­ge­hen mutet von einem demo­kra­tie­po­li­ti­schen Stand­punkt aus betrach­tet, sehr befremd­lich an, da sich die Ent­mach­tung demo­kra­tie­po­li­ti­scher Ent­schei­dungs­pro­zes­se sehr sehr deut­lich zeigt. Wur­den beim Abschluss des Ver­trags von Lis­sa­bon noch gro­ße Reden geschwun­gen, dass nun ein ent­schei­den­der Fort­schritt zur Demo­kra­ti­sie­rung der euro­päi­schen Uni­on und der Weg zu einer euro­päi­schen Uni­ons­bür­ger­schaft beschrit­ten wer­den soll­te, so ist davon beim Beschluss­ver­fah­ren für die Wirt­schafts­re­gie­rung sehr wenig zu bemer­ken. Die Regie­rungs­chefs zie­hen sich in ihren „Klub­raum“ zurück, hal­ten ihre Vor­schlä­ge unter Ver­schluss und tref­fen Ent­schei­dun­gen in einer Geschwin­dig­keit, die nicht ein­mal den infor­mier­ten Exper­tIn­nen Raum für eine dif­fe­ren­zier­te Ana­ly­se und Mei­nungs­bil­dung gibt. Die all­ge­mei­ne Öffent­lich­keit lei­det unter einem Infor­ma­ti­ons­de­fi­zit und es herrscht ein all­ge­mei­nes Ohn­machts­ge­fühl ange­sichts des Beschluss­stak­ka­tos der Regie­rungs­ver­tre­te­rIn­nen in Brüs­sel. Doch auch die­se Beschlüs­se wer­den nicht in Unab­hän­gig­keit getrof­fen, da die Regie­run­gen viel­mehr Getrie­be­ne der Inter­es­sen der Wirt­schafts- und Finanz­markt­lob­by­is­ten sind.

Ent­wick­lung eines demo­kra­tie­po­li­ti­schen Bewusst­seins für eine wirt­schafts­po­li­ti­sche Aus­rich­tung im Sin­ne der Bür­ger der euro­päi­schen Union

Wor­an krankt die­ses Sys­tem und was ist zu tun? Der Weg zur Euro­päi­schen Wirt­schafts­re­gie­rung zeigt es sehr deut­lich: in der Euro­päi­schen Uni­on hat sich bis­her noch kei­ne demo­kra­ti­sche Öffent­lich­keit der Uni­ons­bür­ger gebil­det. Es ist an der Zeit, Schrit­te dahin­ge­hend zu unter­neh­men, dass sich die Men­schen Euro­pas als sou­ve­rä­ne Bür­ge­rIn­nen wahr­neh­men. Wich­ti­ge poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen wohin die Euro­päi­sche Uni­on wirt­schafts- und gesell­schafts­po­li­tisch steu­ert, kön­nen nicht unter Aus­schluss der Öffent­lich­keit getrof­fen wer­den. Eine aus­führ­li­che­re Debat­te durch z.B. ver­stärk­te Medi­en­be­richt­erstat­tung gestal­tet sich aber schwie­rig, da auch die Medi­en­ver­tre­te­rIn­nen  – auch wenn sie Exper­tIn­nen der Euro­pa­po­litk sind —  die­se der Bevöl­ke­rung auf­grund tech­ni­scher Kom­ple­xi­tät und schnell­le­bi­ger ad hoc Ent­schei­dun­gen schwer kom­mu­ni­zie­ren kön­nen. Nach­voll­zieh­ba­re Poli­tik­ent­schei­dun­gen und eine aus­führ­li­che Debat­te dar­über soll­te aller­dings die Prä­mis­se für eine demo­kra­ti­sche Poli­tik­ge­stal­tung sein. Daher müs­sen Euro­pas Regie­run­gen ihrem gesell­schaft­li­chen Auf­trag ihre Bür­ge­rIn­nen ver­stärkt wirt­schafts- und demo­kra­tie­po­li­tisch auf­zu­klä­ren, inten­si­ver nach­kom­men. Kri­ti­sche Bil­dungs­in­sti­tu­tio­nen, Medi­en und zivil­ge­sell­schaft­li­che Bewe­gun­gen kön­nen hier einen ent­schei­den­den Bei­trag dazu leis­ten und viel­leicht auch als „Ent­schleu­ni­ger“ wirken. 

Aber die Ver­stär­kung eines demo­kra­tie­po­li­ti­schen Bewusst­seins allei­ne reicht nicht aus. Es muss auch ver­deut­licht wer­den, dass die aktu­el­len Vor­schlä­ge zur wirt­schafts­po­li­ti­schen Regie­rung nicht den Kern des Pro­blems tref­fen. Die geplan­ten Maß­nah­men lau­fen im Wesent­li­chen dar­auf hin­aus, eine ver­stärk­te Kon­sti­tu­tio­na­li­sie­rung neo­li­be­ra­ler Wirt­schafts­po­li­tik vor­zu­neh­men, mit einer Bestands­ga­ran­tie, die weit über natio­na­le Ver­fas­sungs­ge­set­ze hin­aus­geht. Es lie­gen schon dif­fe­ren­zier­te Ana­ly­sen zur Wirt­schafts­re­gie­rung und den Pakt für den Euro vor, auch an alter­na­ti­ven Ansät­zen man­gelnd es nicht.

Hier eine Aus­wahl zur Nachlese: 

Der neu­es­te Bei­trag von Andrew Watt: Par­al­lel uni­ver­ses: A Pact for the Euro and Annu­al Growth Sur­vey but still no clear path out of crisis.

Wachs­tum in der EU stär­ken, nicht gefähr­den“ – gemein­sa­me Pres­se­kon­fe­renz von AK und ÖGB am 21.03.2011 EGB-Reso­lu­ti­on zur Eco­no­mic Gover­nan­ce (http://www.etuc.org/IMG/pdf/Resolution-on-European-Economic-Governance-EN.pdf

Zur online Vor­ab­ver­si­on des Bei­trags von Eli­sa­beth Klat­zer und Chris­ta Schla­ger. Sie ana­ly­sie­ren die geplan­ten EU Refor­men für den Kurs­wech­sel 1/​2011 („Zukunfts­aus­sich­ten“)

http://www.beigewum.at/kurswechsel/jahresprogramm-2011/heft-12011-zukunftsaussichten/


Auch der BEIGEWUM hat bereits im „Mythus Null­de­fi­zit“ im Jahr 2000 im Kapi­tel „Bud­get­po­li­ti­sche Vor­ga­ben der EU“, die Wirt­schafts­po­li­tik analysiert. 

Die Ana­ly­se bestä­tigt noch­mals: Die aktu­el­le Debat­te um die „Eco­no­mic gover­nan­ce“ der EU ent­hält wenig neue Gedan­ken, die sich tat­säch­lich als „Leh­re aus der Kri­se“ ein­ge­stellt hät­ten. Die Kri­se schwächt viel­mehr die Gegen­wehr gegen lang­ge­heg­te Vor­ha­ben, die nun end­lich durch­set­zungs­fä­hig schei­nen. Hier die Argu­men­ta­ti­on des BEIGEWUM aus dem Jahr 2000

Die EU-Rege­lun­gen zu Bud­get­po­li­tik ent­sprin­gen einer Kon­zep­ti­on, die auf das Zurück­drän­gen des Sozi­al­staats abzielt. Die­se war auf EU-Ebe­ne leich­ter durch­zu­set­zen als in den ein­zel­nen Mit­glied­staa­ten.(…) Sie schlägt sich in einer Ver­an­ke­rung von immer radi­ka­le­ren Vor­ga­ben für die natio­na­le Bud­get­po­li­tik auf EU-Ebe­ne nie­der. Stufe1: Maas­tricht (…); Stufe2: Sta­bi­li­täts­pakt(…); Stu­fe 3: Qua­li­tät der öffent­li­chen Finanzen: (…). 

Anfang der 90er Jah­re wur­de gesagt, gerin­ge Defi­zi­te sei­en erfor­der­lich, um Hand­lungs­spiel­raum für kon­junk­tur­sta­bi­li­sie­ren­de Maß­nah­men in einer Rezes­si­on zu gewin­nen. Mitt­ler­wei­le sind aus­ge­gli­che­ne Bud­gets die Norm. (..) Jetzt wer­den wei­te­re Über­schüs­se gefor­dert (…) Für irgend­et­was muss immer Vor­sor­ge getrof­fen wer­den. Dazu kommt die Beob­ach­tung, dass der Abbau der Defi­zi­te in den letz­ten Jah­ren zu einem Gut­teil auf Kos­ten staat­li­cher Inves­ti­ti­ons­aus­ga­ben erfolgt ist, (….) das scha­det aber direkt der Wirt­schaft. (…) Die­se Erfah­rung führ­te dazu, dass nach der bis­he­ri­gen Annä­he­rung über Umwe­ge nun direkt die Sozi­al­aus­ga­ben ins Visier genom­men wer­den. Das hat die nächs­te Run­de in punk­to Ver­schär­fung der Bud­get­kri­te­ri­en ein­ge­läu­tet. Unter dem harm­los klin­gen­den Titel „Qua­li­tät der öffent­li­chen Finan­zen“ wird in den EU-Gre­mi­en debat­tiert, die Ver­wen­dungs­zwe­cke der ein­zel­nen Bud­get­aus­ga­ben zu über­prü­fen. 
(…)Hier geht es offen dar­um, den natio­na­len Finanz­mi­nis­te­ri­en durch inter­na­tio­na­le Ver­ein­ba­run­gen den Rücken für die inner­staat­li­che Durch­set­zung der Visi­on vom schlan­ken (Sozial-)Staat zu stär­ken. Um die Quan­ti­tät und Qua­li­tät der öffent­li­chen Ein­nah­men macht man sich dage­gen nicht so viel Kopf­zer­bre­chen: Seit Jah­ren wer­den bei der ein­heit­li­chen Min­dest­be­steue­rung von Kapi­tal­erträ­gen kei­ne wirk­li­chen Fort­schrit­te erzielt. 

 Wich­tig für den Weg hin zu einer alter­na­ti­ven Wirt­schafts­po­li­tik im Sin­ne der Mehr­heit der euro­päi­schen Bevöl­ke­rung ist nun, dass sich die Uni­ons­bür­ger nicht von Regie­rungs­klubs dis­zi­pli­nie­ren las­sen, son­dern ihr demo­kra­tie­po­li­ti­sches Bewusst­sein ent­wi­ckeln und für einen inklu­si­ven Ent­schei­dungs­pro­zess eintreten.



Kommentieren » | Kategorie: blog

zum Anfang der Seite