Video zur Diskussion „Die Krise der Eurozone – Welche progressiven Antworten braucht es?“ (15.9.)
mit
Marica Frangakis, Nicos Poulantzas Institut, Athen
Miren Etxezarreta, Universidad Autónoma, Barcelona
Dominique Plihon, Université Paris Nord, Paris
Trevor Evans, Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin
Moderation: Werner Raza, ÖFSE
Vorwärts in die Vergangenheit
Immerhin – es wird wieder über eine stärkere Beteiligung der Reichen an der Finanzierung staatlicher Aufgaben gesprochen. Nicht zuletzt, weil einige der „Superreichen“ eine höhere Besteuerung eingefordert haben, allerdings in der Regel mit dem Zusatz: Zum Abbau der Staatsschulden. Sie wollen also selbst bestimmen, wofür sie Steuern zahlen. Dennoch: In Deutschland hat die SPD ein Konzept beschlossen, dass eine Anhebung des Spitzensteuersatzes der Einkommensteuer auf 49% vorsieht – nachdem die Schröder-SPD diesen von 53% auf 42% gesenkt hatte. Und die SPÖ diskutiert endlich über die Einführung einer Vermögensteuer. Bisher ist nicht absehbar, was davon wirklich wie umgesetzt wird – und schon die Pläne sind ungenügend. Angesichts der immer weiter aufgehenden Einkommens- und Vermögensschere und der zunehmenden Unfähigkeit des Staates, seinen Aufgaben finanziell nachzukommen, ist es aus sozialen, ökonomischen und aus Gründen der Fairness zwingend geboten, endlich zu handeln – und zwar nicht nach dem Prinzip „Suppenküche“.
Politik statt Appelle
Eine zentrale Errungenschaft in Österreich und in anderen Staaten ist die Tatsache, dass Menschen ein gewisses Maß an öffentlichen Leistungen zusteht. Ein Schulbesuch muss nicht erbettelt werden, und eine Mindestsicherung im Fall von Arbeitslosigkeit ist – wenn auch auf zu geringem Niveau – gewährleistet. Daneben garantiert der Staat auch weitere Leistungen. Um diese zu finanzieren erhebt er Steuern. Demokratisch gewählte Parlamente entscheiden erstens über die Höhe der Steuern und zweitens über die Verwendung der Einnahmen. Diese Errungenschaft wird jetzt angegriffen: Die Reichen sollen ja mehr bezahlen – aber freiwillig bitteschön. „Der springende Punkte“, schreibt Gerhard Kratky im Standard (7. September 2011, S. 34) „besteht darin, dort einen Beitrag zu leisten, wo man es für sinnvoll hält.“ Das Privileg, nicht in „den molochartigen und reformressistenten Steuertopf“ einzuzahlen sieht Kratky bei den Reichen. Was aber heißt das? Steuerfinanzierte Sozialleistungen nur, wenn es denn Herren und Damen der High Society genehm ist? Nicht der Staat soll entscheiden, welche Ausgaben gesellschaftlich wünschenswert und daher durch die Allgemeinheit zu finanzieren sind, sondern die Reichen? Nicht mehr die Politik entscheidet, wie hoch der Beitrag zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben für den Einzelnen ausfällt, sondern die Herren und Damen mit Zweitwohnsitzen in Monaco?
Kaum jemand hat so von den „Reformen“ der vergangenen Jahre profitiert wie die Reichen – man denke an die Stiftungsbesteuerung, die Unternehmensbesteuerung, die (fehlende) Vermögensteuer und die Abschaffung der Erbschaftsteuer. Auch das hat dazu beigetragen, dass die Verteilung immer ungleicher wurde und wird. Ein Staat, der seine Würde behalten will, kann den Umfang öffentlicher Aufgaben aber nicht nach dem Suppenküchenprinzip betreiben – es gibt nur was, wenn gespendet wurde – sondern muss die Frage der Verteilung, der ökonomischen Funktionsfähigkeit und der Sozialpolitik aktiv betreiben. Und zur Finanzierung dieser Aufgaben müssen endlich auch die Reichen wieder stärker herangezogen werden – mit dem Zwang der „Steuerkeule“ (Kratky) und nicht über moralische Appelle. Nicht Vorwärts in die Vergangenheit, in der Armenspeisungen eben kein Recht, sondern eine Gnade waren. Sondern vorwärts in die Zukunft mit einer Stärkung der Menschenwürde – mit Rechten und Pflichten.
Syntagma, Puerta del Sol, Tottenham – Autoritäre Wende und Gespenster des Politischen in Europa
Autoritäres Wirtschaftsrecht
Dieser Umstand lässt sich nicht nur an den Gewaltmitteln ablesen, die in den Städten gegen Menschen zum Einsatz kamen, sondern auch an Maßnahmen auf höherer Maßstabsebene. Zwar schmiedet das europäische Staatsapparate- und Medienensemble an einer alternativen Erzählung, die aufs Neue den Alltagsverstand erobern soll: Die multiple Krise des neoliberalen Kapitalismus wird als eine der Staatsschulden und der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit reinterpretiert . Doch für den Fall, dass das reaktualisierte Narrativ nicht greift, ist in den letzten Monaten eine beachtliche Apparatur an Zwangsmaßnahmen im Feld des europäischen Wirtschaftsrechts in Stellung gebracht worden. Mittels der als Rettungsschirm bekannt gewordenen European Financial Stability Facility (EFSF) stellen die europäischen Regierungen jenen Ländern, deren Re-Finanzierungskosten durch Krise und koordinierte Spekulation explodiert sind, Kredite zur Verfügung. Diese sind jedoch an eine „strikte Konditionalität“ gebunden. Nur gegen Umsetzung der mittlerweile allgegenwärtigen Strukturanpassungsprogramme werden die entsprechenden Geldmittel zu Verfügung gestellt. Nicht die gern bemühte europäische Solidarität treibt die Geberländer dazu an. Vielmehr sollen die Kredite garantieren, dass alte Schulden bezahlt werden – bei Banken der europäischen Exportweltmeister und Mitverursachern der Krise (vor allem Deutschland und Österreich). Allein die deutschen Banken halten griechische Staatsanleihen in der Höhe von mehr als 15 Milliarden Euro. Während sich die „aufgeklärte“ Zivilgesellschaft und ihre Intellektuellen noch am Euro-Plus-Pakt abarbeiten, ein Thesenpapier aller europäischen Staats- und Regierungschefs zur Förderung der „europäischen Wettbewerbsfähigkeit“, hat sich im Code der europäischen Rechtsform, ein beachtliches Paket (Economic Governance) zur Verschärfung des neoliberalen Konstitutionalismus zusammengeschnürt. Mit dem als „Sixpack“ bezeichneten Bündel aus fünf Verordnungen und einer Richtlinie möchte die Europäische Kommission im Bündnis mit den Staats- und Regierungschefs erstens den 1997 beschlossen Stabilitäts- und Wachstumspakt radikalisieren, zweitens durch ein Verfahren zur „Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte“ ergänzen und drittens entsprechende Sanktionen verschärfen beziehungsweise einführen. Darüber hinaus wird die Rolle der Kommission in den entsprechenden Verfahren massiv aufgewertet: In Zukunft soll die Brüsseler Exekutive Entscheidungen, insbesondere auch die Verhängung von Sanktionen, de facto alleine treffen („Reverse Majority Rule“).
Hegemonie und Rechtsform
Dass die europäische Integrationsweise durch den Einbau von autoritären Regierungstechnologien von ihrem hegemonialen Pfad abkommt, lässt sich auch anhand der Art und Weise zeigen, wie die neuen Maßnahmen eingeführt werden sollen. Diese verstößt nämlich gegen zentrale Kategorien der europäischen Rechtsform. Unter bürgerlich demokratischen Betriebstemperaturen werden gesellschaftliche Kräfteverhältnisse in den Verfahren der Rechtsform in juristische übersetzt und hegemonial eingebunden. Die juridischen Intellektuellen, etwa des Europäischen Gerichtshofs, werden so zu Organisator_innen eines feingliedrigen rechtsförmigen Konsenses, der aufeinandertreffende Interessen in Form von Durchbrüchen und darauf folgende Zugeständnisse in einem langwierigen Prozess zu einem hegemonialen Projekt zusammenfügt. Eine der zentralen Charakteristika der Rechtsform ist daher, dass sie Hegemonie durch die Beachtung von Verfahren herstellt. Genau dies ist bei den „Gesetzen“, mit denen die europäischen Regierungen den neoliberalen Konstitutionalismus verschärfen wollen, nicht der Fall. So verstößt das „Economic Governance Paket“ gegen die europäischen Verträge, da die Kompetenzgrundlage auf welche die Kommission ihre Vorschläge gestützt hat, weder die neuen Sanktionen noch die Reverse Majority Rule vorsehen. Während der Vertrag von Maastricht Anfang der 1990er noch leicht die Mehrheiten für eine Wirtschafts- und Währungsunion erreichen konnte, die er auf die Einhaltung der Grundsätze „stabile Preise, gesunde öffentliche Finanzen und monetäre Rahmenbedingungen sowie eine dauerhaft finanzierbare Zahlungsbilanz“ (Art. 119 Abs. 3 AEUV) festlegte, ist die neoliberale Hegemonie heute brüchig: Für eine entsprechende Vertragsänderung sind die Mehrheiten nicht gesichert – daher wird sie umgangen.
Gespenster des Politischen
Die Neuzusammensetzung der Praxen zur Aufrechterhaltung der Machtverhältnisse hat durch die Dynamik der Krise und die Renaissance der Kämpfe an Geschwindigkeit gewonnen. Der Umstand, dass die autoritäre Wende des neoliberalen Projektes auch auf dem europäischen Terrain und unter Einsatz von rechtsförmigen Attrappen vollzogen wird, fordert die Gespenster des Politischen heraus. Wollen die Bewegungen nicht Gefahr laufen, dass sich nationalistische Kräfte in sie einschreiben und dadurch ihr Einbau in eine autoritäre Wettbewerbsstaatlichkeit erleichtert wird, brauchen sie auch ein transnationales Programm der Transformation. Die drei zentralen Projekte des Neoliberalismus sollten dabei im Fokus stehen: Entdemokratisierung, Um-Verteilung und Konstitutionalisierung eines unbeschränkten Eigentumsrechts. Ein Bruch mit der verfassungsrechtlichen Immunisierung der Politik des absoluten Eigentums hätte die Streichung der Grundsätze (siehe oben) und Zielregime (Maastricht-Kriterien; Indikatoren der Economic Governance) der Wirtschafts- und Währungsunion zur Voraussetzung. Die sogenannten Marktfreiheiten (für Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeit) müssten von einem System, das ihre Beschränkung verbietet, zu Ansprüchen gegen Diskriminierung umgebaut werden. Die Neuerfindung des Öffentlichen durch eine gesellschaftlich verwaltetete „Infrastruktur des guten Lebens aller“, sollte von allen Blockaden des Wirtschaftsrechts (insbesondere des Vergabe- und Beihilfenrechts) befreit werden. Die durch den Steuerwettbewerb in Europa befeuerte Umverteilung, die etwa dazu geführt hat, dass Unternehmen im Schnitt weniger als 10% Steuern zahlen, gilt es durch einheitliche Steuern für Finanzmärkte (Finanztransaktionssteuer, Bankenabgabe etc), Unternehmen (Körperschaftssteuer) und Vermögen (Kapitalertragsteuer) zu beenden. Allein die Hebung der europäischen Demokratie auf bürgerliches Niveau (eine umfassende europäische Legislative bestimmt eine entsprechende Exekutive und kann eine Änderung „der Verfassung“ beschließen) hätte den Effekt, dass die Konstitution der Menschen zum Wettbewerbs-„Volk als Nation“ („wir Deutsche“) durch nationalstaatliche Politiker_innen erschwert wäre und sich gleichzeitig ein transnationaler Resonanzraum für weitergehende Forderungen der Bewegungen konstituieren würde. Syntagma, Puerta del Sol, Tottenham haben das Politische zurück auf die Plätze und Viertel der Städte gebracht – nach Praxen und Transformationsperspektiven zum Spuk auf europäischer Maßstabsebene muss noch gesucht werden.
Dieser Eintrag ist die leicht geänderte Fassung eines gleichnamigen Beitrages, der in der Nr. 11 des Prager Frühlings erscheint.
Autor_inneninfo: Lukas Oberndorfer arbeitet zu einer kritischen Theorie & Empirie der europäischen Integration und des Europarechts. Er ist Redaktionsmitglied des juridikum (zeitschrift für kritik|recht|gesellschaft) und Kuratoriumsmitglied des Institut Solidarische Moderne.
Imagewandel für Grasser
Ex-Finanzminister Grassers Lebensfreude ist seit geraumer Zeit beeinträchtigt: Seine Telefonsammlung wird abgehört, seine hilfreiche Kofferträgerei öffentlich verunglimpft, und seine Badefotos müssen auf den Titelblättern mit Negativschlagzeilen konkurrieren. Gibt es denn gar kein Entkommen aus dem Tief?
Vielleicht doch – Vorbilder jenseits der Grenze zeigen vor, wie es gehen könnte: In den USA hat Milliardär Warren Buffet in einem offenen Brief die Regierung aufgefordert, ihn und seinesgleichen höher zu besteuern. Kurz darauf folgten die französischen Millionäre Pierre Berge und Maurice Levy in der gleichen Stoßrichtung für Frankreich. Reiche, die eine höhere Besteuerung fordern – so etwas gab es in Österreich – von einer weitgehend erfolglosen kleinen Initiative der Grünen abgesehen – bislang nicht.
Welch eine ideale Vorlage für den Selbstmarketing-versierten Grasser: Eine Inszenierung als reuiger Sünder, inklusive Seitenblicke-begleiteter kollektiver Pilgerfahrt mit all seinen Bekannten nach Liechtenstein, Rückkehr barfuß über die Grenze, in jeder Hand einen dicken Geldkoffer, dann per Bahn nach Wien und das gleiche noch mal von den hiesigen Banken in Richtung Finanzamt. Dort dann eine Rede, die die Nation und vor allem die Society-Szene bewegt. „Ich bereue, widerrufe und fordere: Überfluss besteuern!“ Ein kirchlicher Würdenträger erteilt die Absolution, Tränen fließen. Vorhang. Der Coup seines Lebens! Das wär doch was!
Argumente in der (Staatsschulden-)Krise
Der „Rettungsschirm“ für Griechenland und andere Euroländer mit Refinanzierungsproblemen erhitzt sozialdarwinistische Gemüter. Im Grunde werden mit dem Geld Exportmärkte und Schuldner der Banken im Kern Europas stabilisiert. Die Sparauflagen, mit denen die Überbrückungskredite versehen wurden, sind makroökonomisch und sozial desaströs. Durch die populistische Welle, die selbst diesen eigeninteressierten Stabilisierungsversuchen entgegenschwappt, werden solche Fragen jedoch überschwemmt, und eine Diskussion um Alternativen (Marshall Plan für Griechenland, Eurobonds, internationale Regelung für geordnete Staateninsolvenz, Regulierung der Finanzmärkte etc.) erstickt.
Nach jahrzehntelanger sozialdarwinistischer Rhetorik neoliberaler Eliten wird die Geltung dieser Prinzipien jetzt von Rechtsextremen empört eingefordert – in einem Moment, wo die wirtschaftspolitischen Eliten die Grenzen der Leistungsfähigkeit dieser Diskurse und der damit verbundenen wirtschaftspolitischen Paradigmen erkennen müssen. Die neoliberale Moral fliegt den ProtagonistInnen jetzt um die Ohren.
Dem Muster der BEIGEWUM-Mythen-Reihe verwandt hat die deutsche Luxemburg-Stiftung jetzt ein sehr gutes Argumentarium herausgegeben, das „20 beliebte Irrtümer in der Schuldenkrise“ aufgreift und Gegenargumente präsentiert.
Hier österreichische Zahlen zur Ergänzung:
3) „Faulheit“? In Österreich beträgt die durchschnittliche Jahresarbeitszeit 1.621 Stunden pro BeschäftigteR (Griechenland: 2.119 Stunden)
5) Luxusrenten? Das durchschnittliche Pensionsantrittsalter beträgt 58,9 Jahre in Österreich (Griechenland: über 61,9 Jahre)
9) Mangelnde Wettbewerbsfähigkeit? Spiegelbild österreichische Exporte: Der Außenhandelsüberschuss gegenüber Griechenland betrug in den letzten Jahren rund eine halbe Mrd. Euro pro Jahr
10) Korruption: Die Schattenwirtschaft wird in Österreich auf 8% des BIP geschätzt. Grundsätzlich sind solche Schätzungen sehr umstritten.
13) Gläubigerbeteiligung? Österreichische Banken halten griechische Staatspapiere im Wert rund 3–4 Mrd. Euro.
17) Für Freunde nicht bürgen? Der österreichische Anteil am Rettungsschirm für Griechenland liegt bislang bei rund 2,3 Mrd. Euro.
Von den Ausgaben für die Bankenretttung in Österreich sind bislang 1,4 Mrd. uneinbringlich.
27.6.11: Die andere ö. Schule: Kurt Rothschild (+Video!)
Montag, 27. Juni 2011, 19 Uhr, im Republikanischen Club (Rockhg.1, 1010 Wien):
„DIE ANDERE ÖSTERREICHISCHE SCHULE: Kurt ROTHSCHILD“
Videoaufzeichnung der Veranstaltung hier.
Präsentation des neuen Kurswechsel 2/2011
Kurt Rothschilds Methodologie: Elisabeth SPRINGLER (FH / Bfi Wien),
Kurt Rothschild und die Finanzkrise: Peter MOOSLECHNER (OeNB),
Kurt Rothschild und Arbeitslosigkeit heute: Herbert WALTHER
(Wirtschaftsuniversität Wien),
Moderation: Wilfried ALTZINGER (Wirtschaftsuniversität Wien)
Kurt W. Rothschild war zweifelsohne der bekannteste Nationalökonom
Österreichs; er verfasste über 300 Artikel und schrieb über 25 Bücher.
Rothschild verstarb am 15. November 2010 im Alter von 96 Jahren. Er
war uns nicht nur als Ökonom ein großes Vorbild, sondern auch und vor
allem als umfassender Humanist in allen Teilen seines (privaten wie
öffentlichen) Lebens. Rothschild musste 1938 von Österreich nach
Glasgow emigrieren und war dort binnen kurzer Zeit in die neue und
junge Diskussion um die keynesianische Theorie involviert. Bereits
1942 veröffentlichte er seinen ersten Artikel im Economic Journal, dem
damaligen zentralen, von John Maynard Keynes editierten
Publikationsorgan in der Ökonomie. Rothschild kam 1947 nach Wien
zurück und arbeitete für 20 Jahre am Österreichischen Institut für
Wirtschaftsforschung (WIFO), welchem er auch bis zu seinem Tode als
Konsulent zur Verfügung stand. 1966 erhielt Rothschild seine Berufung
an die neu gegründete Universität Linz, wo er und seine KollegInnen
das neue Studium der Volkswirtschaftslehre errichteten. Nach seiner
Emeritierung im Jahre 1985 arbeitete, schrieb und lehrte Rothschild
bis zu seinem Tode in Wien sowie an zahlreichen Universitäten im In-
und Ausland. Seine Publikationsliste erweiterte sich auch in dieser
Zeit ungebrochen. Kurt Rothschild war dem BEIGEWUM als Berater,
Vortragender und Diskutant stets eng verbunden, ebenso war er
unterstützendes Mitglied und beliebter Vortragender im
Republikanischen Club – Neues Österreich. Der BEIGEWUM gedenkt
Rothschild mit einer Kurswechsel-Sondernummer zum Thema: „Die andere
österreichische Schule: Kurt Rothschild“.
Heft bestellen: Hier
Symposium Neoliberalismus – Krisenfolgen – Machtverhältnisse 2011 17.-19.6.11 in Graz
Neoliberalismus – Krisenfolgen – Machtverhältnisse 2011
Symposium zur Analyse und Diskussion der Kontinuitäten und Brüche
neoliberaler Herrschaft, postneoliberaler Tendenzen und emanzipatorischer
Strategien
FR 17.6. – SO 19.6. 2011 / FORUM STADTPARK / Graz
Im Angesicht der sich verschärfenden sozialen Folgen der großen
multiplen Krise, mit der wir es derzeit zu tun haben, sollen die
gegenwärtigen ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen
Transformationen im Rahmen des Symposiums in den Blick genommen werden.
Kritische Wissenschaftler_innen, Denker_innen und Aktivist_innen werden
die Kontinuitäten und Brüche neoliberaler Regierungsweisen,
Regulationsformen und Subjektivierungsweisen analysieren. Die zentrale
Fragestellung dabei ist, ob der Neoliberalismus gestärkt aus der Krise
hervorgeht, in welcher Weise er sich verändert und welche
postneoliberalen Tendenzen auszumachen sind.
Im Rahmen der Vorträge, Diskussionen und Workshops sollen die Intentionen
und Strategien der für die Destabilisierung der Wirtschaft, die
fortschreitende Entdemokratisierung und die Intensivierung sozialer
Polarisierungs- und Erosionsprozesse verantwortlichen Akteur_innen
sichtbar gemacht werden. Debattiert werden soll vor allem auch, wie
emanzipatorische Kräfte den besorgniserregenden Entwicklungen
entgegenwirken können. Welche Interventionsmöglichkeiten bestehen
angesichts der derzeitigen Machtverhältnisse? Welche gesellschaftlichen
und politischen Auseinandersetzungen werden die kommenden Jahre und
Jahrzehnte prägen?
Vortragende und Diskutant_innen
Jens Wissel (Institut für Sozialforschung, Universität Frankfurt am
Main), Gabriele Michalitsch (Ökonomin und Politologin, Universität
Wien), Stefan Schmalz (Institut für Soziologie der Friedrich
Schiller-Universität Jena), Christina Kaindl (Psychologin, Rosa Luxemburg
Stiftung / Berlin), Markus Wissen (Institut für Politikwissenschaft,
Universität Wien), Brigitte Kratzwald (Sozialwissenschaftlerin,
commons.at / Graz), Beat Weber (Ökonom, Beigewum / Wien), Ines
Aftenberger (Historikerin und Aktivistin, Mayday Graz), Marcel Kirisits
(Ökonom, Arbeiterkammer Steiermark / Graz), Felix Wiegand (Diplomand am
Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien, Aktivist der
Gruppe Perspektiven / Wien), Käthe Knittler (Ökonomin, PrekärCafè©,
Mayday / Wien), Joachim Hainzl (Sozialpädagoge und Sozialhistoriker,
Xenos / Graz), uam.
Kooperationspartner_innen
Elevate, ÖH Graz – Referat für Gesellschaftspolitik, Attac,
Arbeiterkammer Steiermark, ÖBV-Via Campesina Austria, IG Kultur
Steiermark, Amsel (Arbeitslose Menschen suchen effektive Lösungen),
Grüne Akademie, KPÖ– Bildungsverein, Sozialistische Jugend Steiermark,
Grünalternative Jugend Steiermark, Auge/UG (Alternative, Grüne und
Unabhängige GewerkschafterInnen), Infoladen Graz, Doku Graz,
GenderWerkstätte, Welthaus Diözese Graz-Seckau, A_partment politi_X,
agit.DOC, Social Innovation Network, Mayday Graz, Xenos, ETC, Hier und
Jetzt!, movimenta.org, Streifzüge, Aktive Arbeitslose, G24.at und Radio
Helsinki
Das gesamte Symposium ist bei freiem Eintritt ohne Anmeldung zu besuchen.
Verlustgeschäft Privatisierung
Verlustgeschäft Privatisierung
Seit Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl und IV-Chef Veit Sorger in einer Pressekonferenz am 4. Mai 2011 eine neue Privatisierungswelle forderten, reißt die Debatte darum nicht mehr ab. Verkauft werden sollen nahezu alle Unternehmen, die sich im öffentlichen Besitz befinden: Die Energieversorgungsunternehmen, die Bundesimmobilien, die gemeinnützigen Wohnungen, die Münze Österreich, die Bundesforste und viele mehr.
Es gibt eine Reihe politischer Gründe, die gegen die Privatisierung dieser Unternehmen sprechen. Die Anteile der öffentlichen Hand sichern die Daseinsvorsorge, Arbeitsplätze (siehe Austria Tabak), die Versorgung der Bevölkerung und wirtschaftspolitische Gestaltungsmöglichkeiten. Im Fall der Unternehmen, die auf der Verkaufsliste von WKÖ und IV stehen, zeigt jedoch auch ein Blick auf die Zahlen, dass eine Privatisierung ein nicht besonders lukratives Geschäft wäre.
Als Argument für den Verkauf von Unternehmensbeteiligungen der öffentlichen Hand dient die ausgerufene Schuldenkrise. „Wenn die Republik ihre Unternehmen verkauft, bringt das eine Menge Geld und befreit uns von der Last der Schulden“ – so das nur auf den ersten Blick nachvollziehbare Argument. Ganz davon abgesehen, dass gestiegene Staatsschulden eine Krisenfolge sind und die Schuldenquote in Österreich 2010 mit 72,3% des BIP noch lange keiner Panik bedarf und unter dem europäischem Durchschnitt liegt, gibt es einfach einen Unterschied zwischen dem privaten Haushalt und dem Staat: Der Staat muss eben kein Darlehen mit einer bestimmten Laufzeit wieder zurückzahlen, daher sind für ihn vor allem die Zinsendienste die relevante Größe. Es gibt aber eine Gemeinsamkeit, die gerne vergessen wird: den Schulden steht ein Vermögen gegenüber – nur beides zusammen führt zu einer sinnvollen Beurteilung der Finanzsituation. Im Falle des Staates gibt es zwar leider keine verlässlichen Zahlen, doch eine Studie des WIFO von 2006 lieferte mit einem geschätzten Bruttovermögen von ca. 113 % des BIP immerhin den Anhaltspunkt, dass insgesamt ein deutlich positives staatliches Nettovermögen vorhanden ist.
Wie hoch auch immer das Nettovermögen sein mag, Fakt bleibt, dass der Erlös aus dem Verkauf staatlicher Betriebe die Bruttostaatsverschuldung auf einen Schlag senken kann. Dadurch hat die Finanzministerin jedoch nicht per se einen größeren finanziellen Spielraum. Der Vorteil einer Reduzierung der Staatsschulden liegt darin, dass in Zukunft weniger Zinsen bezahlt werden müssen. Der Nachteil einer solchen Schuldenreduktion durch den Verkauf von staatlichem Eigentum besteht aber darin, dass naturgemäß Ertrag bringendes Staatsvermögen verloren geht, und damit dauerhafte Verluste von Unternehmensgewinnen anfallen. Derzeit fließt ständig Geld von OMV, Verbund und Co in Form von Dividenden in die Staatskassa. Und: Die Unternehmen werden durch Investitionen ua mehr wert, das sorgt für noch höhere Dividenden in der Zukunft.
Aus dieser Tatsache ergibt sich eine einfache Rechnung: Wenn der Betrag, den der Staat durch einen geringeren Zinsendienst spart, höher ist als die – aktuellen und zukünftigen – Dividenden, lohnt sich das Konzept „Privatisierung zum Schuldenabbau“ rein finanziell. Hier ist jedoch genau das Gegenteil der Fall: Jene Unternehmen, die auf der Verkaufsliste von Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung stehen, sind hoch profitabel – insbesondere die Energieversorger. Die Zeiten, in denen der Staat seine Betriebe teuer subventionieren muss, sind vorbei.
Eine schematische Beispielrechnung zeigt, dass die letzten Privatisierungen kein Geschäft für den Staat waren. Die OMV-Teilprivatisierung von rund 15 % des Unternehmens brachte 1996 Privatisierungserlöse von knapp über 300 Mio Euro. Diese führten zu einer Zinsersparnis von rund 19 Mio Euro jährlich. Gleichzeitig gingen aber auch die Anrechte auf rund 15% des OMV-Jahresüberschusses – damals konkret 21,5 Mio Euro– verloren. Das heißt, durch die Privatisierung ergab sich bereits im ersten Jahr ein ökonomischer Verlust von 2,5 Mio Euro. Über die Jahre stieg der OMV-Jahresüberschuss auf das 10-fache an, was natürlich auch den Bundesanteil am Gewinn auf das 10-fache erhöht hätte, während die jährliche Zinsersparnis parallel zum sinkenden Zinsniveau sogar kleiner wurde. Im Zeitraum 1996–2010 ergibt sich so ein gigantischer Verlust für den Staatshaushalt von über 1 Milliarde Euro.
Ganz davon abgesehen, dass der Verkauf von Unternehmen, die die Bevölkerung mit Energie versorgen oder dem Wasserschutz dienen (Bundesforste) die Versorgungssicherheit gefährden – internationale Beispiele dafür gibt es genug – wäre eine neue Privatisierungswelle für den Staat rein kaufmännisch ein denkbar schlechtes Geschäft. Die Bemühungen von Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung dieses Geschäft trotzdem durchzuziehen, legen den Schluss nahe, dass es mit der dort postulierten Ideologiefreiheit nicht weit her ist. Sie bleiben im alten Denken „Privatisierung von Gewinnen, Sozialisierung von Verlusten“ verhaftet.
„Sie können sich die Heimkosten für 2 Monate leisten!“
Der Sozialhilfeverband Liezen bietet für seine BürgerInnen ein ganz besonderes Online-tool – den Heimkostenrechner. Er soll zeigen, wie viel ein Platz in einem Pflegeheim kostet. Gleichzeitig offenbart er das Konzept der österreichischen Pflegefinanzierung, und das in nur zwei Fragen: (1) „Ihre Pension brutto in Euro beträgt?“, und (2) „Ihre Pension reicht für die monatlichen Heimkosten nicht aus! Besitzen Sie Ersparnisse?“
Wird man in Österreich pflegebedürftig, schlägt die 100%ige Vermögenssteuer zu. Alles wird verwertet, bevor die öffentliche Hand einspringt. Im Fachjargon nennt man das den Eigenregress, der Barvermögen, Wertpapiere und Eigentum einzieht. Noch weitere Kreise zieht der Angehörigenregress, der kürzlich in der Steiermark wieder eingeführt wurde. Eltern, Kinder und Ehegatten bzw. Erben sind dann gesetzlich verpflichtet, Sozialhilfekosten, die während eines Heimaufenthaltes entstehen, zu ersetzen.
Eigentumsbesteuerung und Pflege sind also miteinander verquickt – allerdings nicht in der Form, dass die Reicheren für die Ärmeren einstehen, sondern so, dass die Armen allein dastehen. Vermögensbezogene Steuern könnten jedoch helfen, den steigenden Finanzierungsdruck aufgrund demografischer Entwicklung und notwendigem Ausbau des Dienstleistungssystems zu lindern. In den nächsten eineinhalb Jahren wird unter Federführung des Bundesministeriums für Soziales eine Arbeitsgruppe für die Neugestaltung des österreichischen Pflegesystems tagen. Auch hier wird man nicht umhin kommen, alternative steuerbasierte Formen der Finanzierung anzudenken.
Pflegebedürftigkeit kann uns nämlich alle treffen. Das lautet dann so: „Sie können sich die Heimkosten für 2 Monate leisten! Ab dem 3. Monat muss für Sie jedoch…“
Fekters Ideologie
Neu-Finanzministerin Maria Fekter empfindet den Vergleich mit Margret Thatcher als „eiserne Lady“ als ein Kompliment. Das verriet sie dem Standard (7./8. Mai 2011) in einem Interview. Warum? „Thatcher hat mit ihren Reformen ein abgewirtschaftetes Land zur Erfolgsstory gemacht.“ Wenn das mal keine Drohung ist…
Fekter sagt dann im gleichen Interview auch, dass der Staat sich von seinen Betrieben trennen soll, „und zwar um Schulden abzubauen […].“ Das ist interessant. Denn wenn man eine Bilanz gleichzeitig auf der Habenseite (Staatsvermögen) und auf der Sollseite (Staatsschulden) kürzt, dann betreibt man lediglich eine Bilanzkürzung und keinen Schuldenabbau. Anders formuliert: Den Staatsschulden steht ein Staatsvermögen entgegen. Noch anders formuliert: Wenn jemand ein Haus besitzt, das 200.000 Euro wert ist, und Kredite in Höhe von 100.000 Euro hat, besitzt er ein Vermögen von 100.000 Euro. Wird das Haus verkauft und die Kredite beglichen, dann bleiben 100.000 Euro als Haben – als Vermögen – bestehen. Die Zusammensetzung des Vermögens hat sich also geändert, am Wert des Vermögens ändert sich jedoch nichts. Privatisierungen führen also nicht zum Schuldenabbau, sondern zu einer Veränderung der Zusammensetzung des Staatsvermögens. Fekters Aussagen folgen keiner Logik – aber darum geht es ihr auch nicht. Sondern um pure Ideologie. Noch einmal aus dem Standard-Interview: „Außerdem ist wirtschaftliches Management immer besser als staatliches.“ Begründet wird das nicht, was nach der Banken- und Wirtschaftskrise mindestens erstaunlich ist.
Es stellt sich die Frage, wann es Sinn macht, die staatliche Eigentümerschaft einer privaten vorzuziehen. Dies macht dann Sinn, wenn die Ziele (sozialer Ausgleich, öffentliche Infrastruktur, öffentliche Daseinsvorsorge usw.) sich besser durch den Staat als über private Anbieter erreichen lassen. Maria Fekter müsste also begründen, warum private Anbieter etwa die Versorgung mit öffentlichen Verkehrsdienstleitungen in der Fläche besser bewerkstelligen können als der Staat. Zudem müsste sie begründen, wann Schuldenabbau und Schuldenaufnahme durch den Staat Sinn machen, und wann nicht. Auf dem BEIGEWUM-Blog wurde am Beispiel der Schuldenbremse und der geplanten Budgetkonsolidierung in Österreich hierzu Stellung genommen.
Wenn Fekter ihre ideologischen Scheuklappen absetzen würde, dann könnte auch das Thema Staatsverschuldung angegangen werden – noch immer verzichtet Österreich auf Vermögenssteuern, hat extrem niedrige Körperschaftssteuern und die Erbschaftssteuer wird bekanntlich auch nicht mehr eingehoben. Hier gibt es Potential, die Einnahmen des Staates zu stärken – und so die Schulden zurückzuführen. „Eiserne Lady“ ist kein Kompliment für eine Finanzministerin. „Politikerin mit ökonomischem Sachverstand“, das wäre eines.