blog – BEIGEWUM

Kategorie: blog


Diskussion „Alternativen zum BIP“: Veranstaltungsbericht vom 4.5.2011

6. Mai 2011 – 9:00 Uhr

Wie neu­tral ist das BIP? Unter ande­rem die­se Fra­ge wur­de bei der BEI­GEWUM-Podi­ums­dis­kus­si­on „Alter­na­ti­ven zum BIP – wel­che Indi­ka­to­ren für wel­che Gesell­schaft?“ am 4.5. durch­aus kon­tro­ver­si­ell dis­ku­tiert. Kon­rad Pesen­dor­fer (Gene­ral­di­rek­tor Sta­tis­tik Aus­tria) ver­tei­dig­te das Brut­to­in­lands­pro­dukt (BIP) als wert­freie Addi­ti­on mone­tä­rer Akti­vi­tä­ten, die erst durch ihre Über­hö­hung als Wohl­stands­in­di­ka­tor durch die Poli­tik pro­ble­ma­tisch, weil irre­füh­rend, wer­de. Dem­ge­gen­über beton­ten Katha­ri­na Mader (Wirt­schafts­uni­ver­si­tät, BEIGEWUM) und Ulrich Brand (Poli­tik­wis­sen­schafts-Pro­fes­sor Uni Wien) die intrinsisch poli­ti­sche Qua­li­tät von Indi­ka­to­ren. „Kenn­zif­fern­fra­gen sind Macht­fra­gen“ lau­tet denn auch der Titel eines Bei­trags im aktu­el­len Kurs­wech­sel 1/​2011, der bei der Ver­an­stal­tung vor­ge­stellt wurde.

Der­zeit gibt es inter­na­tio­nal eine Debat­te um neue Wohl­stands­in­di­ka­to­ren, die das BIP ergän­zen oder ablö­sen sol­len, wie Kon­rad Pesen­dor­fer erläu­ter­te. Als wich­ti­ge Weg­mar­ke gilt der von Frank­reichs Prä­si­dent Sar­ko­zy beauf­trag­te Stiglit­z/­Sen/­Fi­tous­si-Bericht, der in drei Gebie­ten Anpas­sun­gen vor­schlägt (Ergän­zung des Pro­duk­ti­ons-Blick­win­kels des BIP durch eine Betrach­tung der Lage von Haus­hal­ten; Mes­sung von Lebens­qua­li­tät; Mes­sung von Nach­hal­tig­keit). Im Anschluss dar­an sind auch EU und OECD aktiv bei der Suche nach neu­en Indi­ka­to­ren. In Öster­reich arbei­tet die Sta­tis­tik Aus­tria dar­an, auf Basis bestehen­der Daten sol­che Indi­ka­to­ren bereit­zu­stel­len. Aus dem Publi­kum wur­de zudem auf das Indi­ka­to­ren­set nach­hal­ti­ger Ent­wick­lung in Öster­reich hingewiesen.

Bei den Indi­ka­to­ren anzu­set­zen wer­te­te Mader als Ver­such, das Pferd ver­kehrt her­um auf­zu­zäu­men. Zuerst brau­che es eine neue Wirt­schafts­theo­rie und Debat­te dar­über, was gesell­schaft­lich wich­tig, was wirt­schaft­lich sinn­vol­le Akti­vi­tät und wie der Zusam­men­hang zwi­schen Wirt­schaft und Lebens­qua­li­tät sei, erst dar­aus abge­lei­tet kön­ne sinn­voll über Indi­ka­to­ren dis­ku­tiert wer­den. Die Aus­blen­dung der Haus­ar­beit im BIP und die damit ver­knüpf­ten geschlech­ter­po­li­ti­schen Fra­gen nann­te Mader als zen­tra­les Bei­spiel. Die Fra­ge, was gemes­sen wer­de und ob aus Mes­sun­gen auch (wirtschafts)politische Kon­se­quen­zen gezo­gen wer­den, sei eine Fra­ge gesell­schaft­li­cher Macht, und kei­ne tech­ni­sche Fra­ge der Erfin­dung von Indi­ka­to­ren. Die BIP-Debat­te blen­de gesell­schaft­li­che Macht­ver­hält­nis­se und die Grund­tat­sa­che eines Wirt­schafts­sys­tems aus, das auf Kapi­tal­ak­ku­mu­la­ti­on basiert, so Brand.

Dies wur­de in der Dis­kus­si­on auf­ge­grif­fen, als die Fra­ge the­ma­ti­siert wur­de, was eine Erfin­dung neu­er Indi­ka­to­ren dage­gen aus­rich­ten kön­ne, dass in der EU-Leit­stra­te­gie für die nächs­ten Jah­re, „EU 2020“, bereits zen­tra­le Indi­ka­to­ren vor­ge­ge­ben seien.

Reduk­ti­on oder Breite?

Brand wies dar­auf hin, dass es bereits zahl­rei­che alter­na­ti­ve Indi­ka­to­ren gebe (Gini Koef­fi­zi­ent für Ver­tei­lung, Human Deve­lo­p­ment Index, Hap­py Pla­net Index, öko­lo­gi­scher Ruck­sack, Gute Arbeit Indi­ka­tor etc.), so dass die Arbeit nicht bei Null begin­nen müs­se. Eine Viel­zahl von Indi­ka­to­ren sei wich­tig, um die Brei­te gesell­schaft­li­cher Pro­ble­me im Blick zu behal­ten, statt wie im BIP zahl­rei­che Aspek­te aus­zu­blen­den. So füh­re z.B. die „BIP-Bril­le“ in der Wirt­schafts­po­li­tik dazu, dass etwa nur an markt­för­mi­ge, wachs­tums­freund­li­che Lösun­gen der öko­lo­gi­schen Kri­se gedacht wer­de. Dem­ge­gen­über beton­te Pesen­dor­fer, dass es wich­tig sei, die Brei­te auf weni­ge Leit­in­di­ka­to­ren ein­zu­schrän­ken, die dafür eine umso brei­te­re Öffent­lich­keit errei­chen könnten.

Fotos zur Ver­an­stal­tung: Fach­buch­hand­lung des ÖGB-Verlags

Kommentieren » | Kategorie: blog

18.5.2011 Workshop EU-Wirtschaftsreformen

5. Mai 2011 – 9:26 Uhr


Work­shop „Akti­vi­tä­ten der Euro­päi­schen Zivil­ge­sell­schaft als Reak­ti­on auf EU >Six Pack< zu Euro­pean Eco­no­mic Governance“

18.05.2011, 18–20 Uhr im Repu­bli­ka­ni­schen Club (Rockh­gas­se 1, 1010 Wien)


mit Alex­an­dra Strick­ner (Attac Öster­reich) und Lukas Obern­dor­fer (AK, Abtei­lung EU& Internationales)


Der „six pack“: so wer­den die sechs Legis­la­tiv­vor­schlä­ge im poli­ti­schen Jar­gon genannt, mit denen sich die EU, zumin­dest wenn es nach dem Wil­len der EU Kom­mis­si­on und der Regie­rungs­chefs geht, eine neue wirt­schafts­po­li­ti­sche Steue­rung mit Sank­ti­ons­me­cha­nis­mus geben will. Für die ein­zel­nen Mit­glieds­staa­ten bedeu­tet dies: Schär­fe­re Kon­troll­maß­nah­men für das Bud­get als unter dem Sta­bi­li­täts­pakt und har­te Sank­ti­ons­me­cha­nis­men bei Abwei­chun­gen. Für die Bür­ge­rIn­nen wahr­schein­lich sehr dras­ti­sche Spar­pa­ke­te in den nächs­ten Jahren.


Doch han­delt es sich dabei wirk­lich um eine stil­le neo­li­be­ra­le Revo­lu­ti­on, wie dies Klatzer/​Schlager (2011) in ihrem jüngs­ten Arti­kel im Kurs­wech­sel bezeich­nen – oder gibt es auch ande­re Bewegungen?


Der BEIGEWUM ver­an­stal­te­te bereits am 31.03. unter dem Titel „Euro­pean Eco­no­mic Gover­nan­ce – ein ver­schärf­ter Neo­li­be­ra­lis­mus“ einen Work­shop im Zusam­men­hang mit den gesetz­li­chen Akti­vi­tä­ten der euro­päi­schen Uni­on. Dabei lag der Schwer­punkt auf der Ana­ly­se der offi­zi­el­len Pro­ze­du­ren und Inhalte.


Der Schwer­punkt des Work­shops am 18.05.2011 liegt auf den Akti­vi­tä­ten der euro­päi­schen Zivil­ge­sell­schaft. Was haben unter­schied­li­che Grup­pie­run­gen in ver­schie­de­nen Mit­glieds­staa­ten und auf euro­päi­scher Ebe­ne die­sem Vor­ge­hen der Regie­run­gen ent­ge­gen­zu­stel­len? Wel­che Akti­vi­tä­ten sind bis zum mög­li­chen Beschluss des „Six Pack“ am Eco­fin am 15. Juni geplant und wel­che Inhal­te sol­len trans­por­tiert wer­den bzw. wur­den schon platziert?


Ant­wor­ten auf die­se Fra­ge­stel­lun­gen wer­den uns Alex­an­dra Strick­ner (Attac Öster­reich) und Lukas Obern­dor­fer (AK, Abtei­lung EU & Inter­na­tio­na­les) geben.


Korruptionsskandal im EU-Parlament nur die Spitze des Eisbergs

24. April 2011 – 20:23 Uhr

Im März ließ die bri­ti­sche Zei­tung Sunday Times vier Abge­ord­ne­te auf­flie­gen, die für in Aus­sicht gestell­te Bezah­lung Geset­zes­vor­schlä­ge im EU-Par­la­ment ein­ge­bracht hat­ten. In einer Under­co­ver-Recher­che hat­ten sich Jour­na­lis­tIn­nen der Zei­tung als Lob­by­is­tIn­nen aus­ge­ge­ben und Abge­ord­ne­ten Bera­ter­jobs in einer erfun­de­nen Lob­by-Fir­ma ange­bo­ten – für 100.000 Euro jähr­lich. Auf heim­lich gedreh­ten Vide­os wur­de ver­öf­fent­licht, wie der ex-Außen­mi­nis­ter Ernst Stras­ser, der Rumä­ne Adri­an Seve­rin, der Slo­wa­ke Zor­an Tha­ler und der Spa­ni­er Pablo Zal­ba Bide­gain dar­auf eingingen.

Tha­ler und Stras­ser sind nach den Ver­öf­fent­li­chun­gen zurück getre­ten. Seve­rin wur­de aus der sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Frak­ti­on aus­ge­schlos­sen, klebt aber an sei­nem Par­la­ments­sitz. Eben­so Zal­ba Bide­gain. Die Kon­ser­va­ti­ven ver­tei­di­gen den Spa­ni­er, der gar kein Geld ange­nom­men hät­te. Dabei zeigt das Sunday Times Video deut­lich, dass Zal­ba alles ande­re als abge­neigt war.

Der bis­her größ­te Lob­by­skan­dal der EU-Geschich­te hat in Brüs­sel Schock­wel­len aus­ge­löst. Und eine brei­te Debat­te über Kor­rup­ti­on und die Rol­le von Lob­by­is­ten im EU-Sys­tem. Die­se Woche tag­te erst­mals eine von Par­la­ments­prä­si­dent Buzek ein­ge­setz­te Arbeits­grup­pe, um einen strik­ten Ver­hal­tens­ko­dex für EU-Abge­ord­ne­te zu erarbeiten.

Der ist bit­ter nötig. Allein die Tat­sa­che, dass fast 25% der Par­la­men­ta­rie­rIn­nen, die die Under­co­ver-Jour­na­lis­tIn­nen der Sunday Times kon­tak­tiert haben (14 von ins­ge­samt 60) ernst­haft an ihrem Ange­bot inter­es­siert waren, zeigt, dass im EU-Par­la­ment die Gren­ze zwi­schen gewähl­ten Ent­schei­dungs­trä­ge­rIn­nen und bezahl­tem Lob­by­is­mus längst ver­schwom­men ist.

Lukra­ti­ve Nebentätigkeiten

Auch, dass vor dem Sunday Times Skan­dal kaum jemand ein Pro­blem damit hat­te, dass Stras­ser neben sei­ner Abge­ord­ne­ten­tä­tig­keit hun­dert­tau­sen­de Euros als Indus­trie-Lob­by­ist ver­dien­te, gibt zu den­ken. Bereits im Febru­ar gab es Gerüch­te, dass der Abge­ord­ne­te Tref­fen zwi­schen der EU-Kom­mis­si­on und Unter­neh­men ein­fä­del­te. Damals stritt er das schlicht ab und die Sache war vom Tisch. Im Sunday Times Video ist er dage­gen ganz offen: “Na klar bin ich Lob­by­ist”. Und ein beson­ders guter dazu, denn als Abge­ord­ne­ter kön­ne er eben leicht Türen öffnen.

Tat­säch­lich gibt es im Euro­pa­par­la­ment bis­her kei­ne Regeln, die Par­la­men­ta­rie­rIn­nen ver­bie­ten, neben­her Lob­by­is­mus zu betrei­ben. Kürz­lich ent­hüll­te ein Reu­ters-Arti­kel Neben­jobs einer Rei­he pro­mi­nen­ter Abge­ord­ne­ter, bei denen Inter­es­sen­kon­flik­te mit ihrer Tätig­keit im Par­la­ment auf der Hand lie­gen. Der deut­sche Christ­de­mo­krat Klaus-Hei­ner Leh­ne ist z.B. Part­ner der Anwalts­kanz­lei Tay­lor Wes­sing. Und EU Vete­ran Elmar Brok steht auf der Gehalts­lis­te des Medi­en-Gigan­ten Ber­tels­mann. Bei­de Unter­neh­men lob­by­ie­ren die EU-Institutionen.

Nicht sel­ten bekom­men Abge­ord­ne­te die Feder­für­hung zu einem The­ma, bei dem sie auf­grund ihrer Neben­jobs einen kla­ren Inter­es­sen­kon­flikt haben. Im letz­ten EU-Par­la­ment setz­te sich der bri­ti­sche Abge­ord­ne­te John Pur­vis als Bericht­erstat­ter zu Hedge Funds ein für deren laxe Regu­lie­rung. Gleich­zei­tig war Pur­vis Vor­sit­zen­der des bri­ti­schen Able­gers eines Schwei­zer Unter­neh­mens, das in Hedge Funds investierte.

Durch die Dreh­tür… und zurück

Als er aus dem Par­la­ment aus­schied, wech­sel­te Pur­vis zur Lob­by-Fir­ma Cabi­net DN, als Exper­te für Finanz­markt­an­ge­le­gen­hei­ten. Er ist nur einer von vie­len ehe­ma­li­gen Abge­ord­ne­ten, die durch die Dreh­tür von der Poli­tik in die Lob­by-Indus­trie gewech­selt haben.

Auch Hubert Pir­ker, Strasser’s Nach­fol­ger im Euro­pa­par­la­ment, war schon ein­mal Abge­ord­ne­ter bevor er sei­ne Lob­by­fir­ma EU-Tricon­sult auf­mach­te – die er als neu­er Abge­ord­ne­ter nun angeb­lich wie­der zuge­macht hat.

Bei einer der­art gut geöl­ten Dreh­tür zwi­schen Euro­pa­par­la­ment und der Lob­by­in­dus­trie stellt sich ganz grund­sätz­lich die Fra­ge, ob die Brüs­se­ler Abge­ord­ne­ten im öffent­li­chen Inter­es­se Poli­tik machen – oder poten­ti­el­len zukünf­ti­gen Arbeit­ge­bern ger­ne mal einen Gefal­len tun.

Flie­ßen­de Gren­ze zwi­schen Lob­by­is­mus und Korruption

Das deu­tet bereits an, dass die Gren­ze zwi­schen Lob­by­is­mus und Kor­rup­ti­on flie­ßend ist. Dar­auf hat jüngst der schwe­di­sche EU-Par­la­men­ta­ri­er Carl Schly­ter hin­ge­wie­sen. In einem Inter­view ver­ur­teil­te er die Pra­xis, Geset­zes­an­trä­ge für Geld ein­zu­brin­gen als “wider­lich”. Aller­dings sei sie die Aus­nah­me. Denn: “Die meis­ten Abge­ord­ne­ten rei­chen Ände­rungs­an­trä­ge für ande­re umsonst ein. Ich weiß nicht, was schlim­mer ist. Was am Ende beschlos­sen wird, ist das Glei­che.” Schly­ter sieht im Lob­by­is­mus daher eine der Haupt­ur­sa­chen für schlech­te EU-Politik.

Auch ande­re Abge­ord­ne­te haben sich in den letz­ten Wochen dafür aus­ge­spro­chen, den Ein­fluss von Kapi­tal­in­ter­es­sen auf die EU-Poli­tik zurück zu drän­gen. Und Abge­ord­ne­ten die zulas­sen, dass die Kapi­tal­sei­te in Brüs­sel stän­dig den Poli­tik­pro­zess kapert, die Stirn zu zei­gen. Die nächs­ten Mona­te wer­den zei­gen, ob sich für ihre Posi­ti­on eine Mehr­heit fin­den lässt.

Kommentieren » | Kategorie: blog

4.5.: Alternativen zum BIP: Welche Indikatoren für welche Gesellschaft?

13. April 2011 – 15:09 Uhr

Wachs­tum als zen­tra­le Mess­grö­ße für gesell­schaft­li­chen Wohl­stand gerät immer stär­ker in Kri­tik. Zu offen­sicht­lich wird das Aus­ein­an­der­fal­len von Wachs­tum mit einer Ver­bes­se­rung der Lebens- und Exis­tenz­be­din­gun­gen brei­ter Bevöl­ke­rungs­schich­ten. Par­al­lel zur Kri­se des finanz­ge­trie­be­nen Wirt­schafts­mo­dells, der unglei­che­ren Ver­tei­lung des erwirt­schaf­te­ten Reich­tums und der Arbeit sowie der öko­lo­gi­schen Pro­ble­me wächst das Bedürf­nis nach Alter­na­ti­ven zur Kenn­zahl des BIP bzw Wirtschaftswachstums.




Obwohl immer noch wirt­schafts­po­li­ti­sche Steue­rungs- und Erfolgs­mess­grö­ße Num­mer Eins, gibt es unter­schied­li­che Initia­ti­ven auf natio­na­ler (Sta­tis­tik Aus­tria) und inter­na­tio­na­ler (UNO, OECD, EU) Ebe­ne um ein brei­te­res Set an gesell­schaft­li­chen Fort­schritts­in­di­ka­to­ren wie bei­spiels­wei­se Ver­mö­gens- und Ein­kom­mens­ver­tei­lung, Ver­tei­lung von bezahl­ter und unbe­zahl­ter Arbeit bzw Frei­zeit, Qua­li­tät der Arbeit, Arbeits­lo­sig­keit oder Res­sour­cen­scho­nung zu ent­wi­ckeln. Im Kern geht es aber nicht um die Kenn­zif­fern, son­dern um die Fra­ge, wie und an wel­chen Inter­es­sen Wirt­schafts­po­li­tik aus­ge­rich­tet und legi­ti­miert wird.




Des­halb – und anläss­lich des 25-Jah­re-Jubi­lä­ums des Kurs­wech­sels – wol­len wir in die­ser Ver­an­stal­tung mit in der Pra­xis täti­gen Exper­tIn­nen der Fra­ge nach­ge­hen, wel­chen Bei­trag alter­na­ti­ve Wohl­stands­in­di­ka­to­ren für einen gesellschafts‑, wirt­schafts– und umwelt­po­li­ti­schen Kurs­wech­sel leis­ten kön­nen und wie die dies­be­züg­li­chen der­zei­ti­gen Initia­ti­ven ein­zu­schät­zen sind.





Podi­ums­dis­kus­si­on & Prä­sen­ta­ti­on des Kurs­wech­sels 1/​2011 „Zukunfts­aus­sich­ten“




Mi, 4. Mai, Beginn: 18.30


Buch­hand­lung des ÖGB-Ver­lag, Rat­haus­str. 21, 1010 Wien




Podi­ums­dis­kus­si­on mit:


* Ulrich Brand (Insti­tut für Poli­tik­wis­sen­schaft & Bun­des­tags-Enquete-Kom­mis­si­on „Wachs­tum, Wohl­stand, Lebensqualität“)


* Katha­ri­na Mader (BEIGEWUM & Insti­tut für Insti­tu­tio­nel­le und Hete­ro­do­xe Öko­no­mie der WU Wien)


* Kon­rad Pesen­dor­fer (Gene­ral­di­rek­tor der Sta­tis­tik Austria)


mode­riert von Vanes­sa Redak (Kurs­wech­sel-Redak­ti­on)




Im Anschluss laden ÖGB-Buch­hand­lung & BEIGEWUM zu einem klei­nen Imbiss.




BEI­GEWUM-Ver­an­stal­tung in Koope­ra­ti­on mit der Buch­hand­lung des ÖGB-Ver­lags sowie: StV.Doktorat@WU, StV VW (WU)




Ein Heft mit Zukunftsaussichten – 25 Jahre Kurswechsel

10. April 2011 – 13:21 Uhr


Der Kurs­wech­sel wird 25, und die aktu­el­le Kri­se wird 3: Zeit für eine Zwi­schen­bi­lanz mit Aus­blick­cha­rak­ter. Müs­sen wir wie­der über wirt­schaft­li­che Sta­gna­ti­on reden? In wel­che Rich­tung zielt die For­de­rung nach einem gesellschafts‑, wirt­schafts- und umwelt­po­li­ti­schen Kurs­wech­sel heu­te? Der „Kurs­wech­sel“ star­tet mit einem Schwer­punkt zu „Zukunfts­aus­sich­ten“ in den Jahr­gang 2011. Dies­mal haben wir außer­ge­wöhn­lich viel Platz ein­ge­räumt, um vie­len unter­schied­li­chen span­nen­den Per­spek­ti­ven Platz zu geben, die die aktu­el­le Lage und ihre Mög­lich­kei­ten ausloten.


Hier das Inhalts­ver­zeich­nis mit eini­gen Leseproben.

Und hier die Abo­mög­lich­keit.


Kommentieren » | Kategorie: blog

Heinz Steinert ist tot – sein Beitrag bleibt

5. April 2011 – 14:40 Uhr

Am 20. März ist Heinz Stei­nert gestor­ben. Auch nach sei­ner beruf­li­chen Tätig­keit als kri­ti­scher Kri­mi­nal­so­zio­lo­ge ist Stei­nert der leben­di­gen Wei­ter­ar­beit an der Kri­ti­schen Theo­rie treu geblie­ben, und hat immer wie­der mit erfri­schen­den Inter­ven­tio­nen, zuletzt vor allem mit sei­nen Büchern zu Kapi­ta­lis­mus und Max Weber und Bei­trä­gen auf links-netz.de Dis­kus­sio­nen berei­chert oder angestoßen.


Die ers­ten Berüh­rungs­punk­te mit dem BEIGEWUM gab es in Form einer Kri­tik, die Stei­nert an dem sei­ner Ansicht nach zu wenig weit­ge­hend „alter­na­ti­ven“ Eco­fin-Gegen­gip­fel geübt hat, den der BEIGEWUM in Wien 2006 mit­ver­an­stal­tet hat.  Nicht zuletzt auf­grund der dar­in gege­be­nen Anstö­ße luden wir ihn aufs Podi­um anläss­lich der 25 Jahr-Fei­er des Ver­eins im Herbst 2010.  Dort hielt er ein erfri­schen­des Plä­doy­er für eine Zusam­men­ar­beit zwi­schen kri­ti­schen Wirt­schafts­fach­leu­ten und ande­ren Sozi­al­wis­sen­schaf­te­rIn­nen und gab den in unse­ren Zusam­men­hän­gen domi­nan­ten Kri­sen­ana­ly­sen eine neue Wen­dung. Zwei Wochen vor sei­nem Tod über­mit­tel­te Heinz Stei­nert der Kurs­wech­sel-Redak­ti­on noch Druck­fah­nen-Kor­rek­tu­ren für sei­nen Bei­trag in Kurs­wech­sel 1/​2011, der sein ers­ter und lei­der letz­ter in der Zeit­schrift gewe­sen sein wird, ja sein letz­ter über­haupt: „Wirt­schafts­po­li­ti­sche Alter­na­ti­ven, und war­um sie kei­nen Anklang fin­den“. Heinz Stei­nert hat bei uns gro­ßen Anklang gefun­den und sein Werk wird das auch wei­ter­hin tun. Wir ver­ab­schie­den ihn in Trauer.

Kommentieren » | Kategorie: blog

Europäische Union: Bleibt beim Wettlauf zum Klubbeschluss zur Europäischen Wirtschaftsregierung noch Platz für die Ausübung demokratischer Souveränität?

24. März 2011 – 9:32 Uhr

Wirt­schafts­re­gie­rung und Pakt für den Euro : Ergeb­nis einer Umdeu­tung der Finanz­markt­kri­se zur Staatskrise. 

Die unmit­tel­ba­ren Kri­sen­ver­ur­sa­cher (Finanz­märk­te und Ban­ken) ste­hen knapp zwei­ein­halb Jah­re nach deren Aus­bruch wie­der auf ver­meint­lich sta­bi­le­ren Bei­nen. Im letz­ten Jahr hat sich das Bedro­hungs­sze­na­rio immer mehr von einem Zusam­men­bruch der Finanz­märk­te und einem Ein­bruch der gesam­ten Wirt­schafts­leis­tung hin zu einem Staats­ver­sa­gen und einer Gefähr­dung des Euro durch die über­bor­den­de Staats­ver­schul­dung bewegt. Die Staa­ten der Uni­on gehen es  nun an: Es braucht eine euro­päi­sche Wirt­schafts­re­gie­rung. Die Gestal­tung der Wirt­schafts­po­li­tik soll in einem stär­ke­ren Aus­maß auf euro­päi­scher Ebe­ne gere­gelt wer­den und den Natio­nal­staa­ten soll Hand­lungs­spiel­raum ent­zo­gen wer­den. Seit Län­ge­rem schon lie­gen sechs Legis­la­tiv­vor­schlä­ge auf dem Tisch, die vor allem eine Ver­stär­kung des Sta­bi­li­täts- und Wachs­tums­pak­tes und schär­fe Sank­tio­nie­rungs­me­cha­nis­men bei Nicht­ein­hal­tung vor­se­hen. Anfang Febru­ar ließ nun auch Deutsch­land mit einem neu­en Papier auf­hor­chen. Hin­ter­grund: Die Legis­la­tiv­vor­schlä­ge sei­en zumin­dest für die Euro­zo­ne nicht genug – es bräuch­te einen Pakt für den Euro, der eine noch stär­ke­re Abstim­mung der Wirt­schafts­po­li­tik der Euro­län­der impli­ziert und die­se einer stär­ke­ren Kon­trol­le unter­zieht. Dar­auf haben sich die Euro­staa­ten auch in abge­schwäch­ter Form geeinigt. 

Ein Neo­li­be­ra­les Wirt­schafts­pro­jekt wird durch Ent­mach­tung der demo­kra­ti­schen Ent­schei­dungs­pro­zes­se ermöglicht 

Es ist außer Fra­ge zu stel­len, dass es sinn­voll wäre sich auf euro­päi­scher Ebe­ne wirt­schafts­po­li­tisch bes­ser zu koor­di­nie­ren. Der „Wild­wuchs“ an Rege­lun­gen von natio­na­len wirt­schafts­po­li­ti­schen Ein­zel­in­ter­es­sen hat in der Ver­gan­gen­heit zu nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen für die wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung ein­zel­ner euro­päi­scher Staa­ten und von ganz Euro­pa geführt. Doch eine schnel­le Ana­ly­se des aktu­el­len Pro­zes­ses zeigt: Inhalt­lich wird hier ein stark neo­li­be­ra­les Pro­jekt vor­an­ge­trie­ben, des­sen Haupt­schau­platz die Legis­la­tiv­vor­schlä­ge sind, die beim Früh­jah­res­tref­fen der Staats- und Regie­rungs­chefs beschlos­sen wer­den sol­len. Ein Ablen­kungs­ma­nö­ver davon wur­de nun im „Pakt für den Euro“ gefun­den. Die­ses Vor­ge­hen mutet von einem demo­kra­tie­po­li­ti­schen Stand­punkt aus betrach­tet, sehr befremd­lich an, da sich die Ent­mach­tung demo­kra­tie­po­li­ti­scher Ent­schei­dungs­pro­zes­se sehr sehr deut­lich zeigt. Wur­den beim Abschluss des Ver­trags von Lis­sa­bon noch gro­ße Reden geschwun­gen, dass nun ein ent­schei­den­der Fort­schritt zur Demo­kra­ti­sie­rung der euro­päi­schen Uni­on und der Weg zu einer euro­päi­schen Uni­ons­bür­ger­schaft beschrit­ten wer­den soll­te, so ist davon beim Beschluss­ver­fah­ren für die Wirt­schafts­re­gie­rung sehr wenig zu bemer­ken. Die Regie­rungs­chefs zie­hen sich in ihren „Klub­raum“ zurück, hal­ten ihre Vor­schlä­ge unter Ver­schluss und tref­fen Ent­schei­dun­gen in einer Geschwin­dig­keit, die nicht ein­mal den infor­mier­ten Exper­tIn­nen Raum für eine dif­fe­ren­zier­te Ana­ly­se und Mei­nungs­bil­dung gibt. Die all­ge­mei­ne Öffent­lich­keit lei­det unter einem Infor­ma­ti­ons­de­fi­zit und es herrscht ein all­ge­mei­nes Ohn­machts­ge­fühl ange­sichts des Beschluss­stak­ka­tos der Regie­rungs­ver­tre­te­rIn­nen in Brüs­sel. Doch auch die­se Beschlüs­se wer­den nicht in Unab­hän­gig­keit getrof­fen, da die Regie­run­gen viel­mehr Getrie­be­ne der Inter­es­sen der Wirt­schafts- und Finanz­markt­lob­by­is­ten sind.

Ent­wick­lung eines demo­kra­tie­po­li­ti­schen Bewusst­seins für eine wirt­schafts­po­li­ti­sche Aus­rich­tung im Sin­ne der Bür­ger der euro­päi­schen Union

Wor­an krankt die­ses Sys­tem und was ist zu tun? Der Weg zur Euro­päi­schen Wirt­schafts­re­gie­rung zeigt es sehr deut­lich: in der Euro­päi­schen Uni­on hat sich bis­her noch kei­ne demo­kra­ti­sche Öffent­lich­keit der Uni­ons­bür­ger gebil­det. Es ist an der Zeit, Schrit­te dahin­ge­hend zu unter­neh­men, dass sich die Men­schen Euro­pas als sou­ve­rä­ne Bür­ge­rIn­nen wahr­neh­men. Wich­ti­ge poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen wohin die Euro­päi­sche Uni­on wirt­schafts- und gesell­schafts­po­li­tisch steu­ert, kön­nen nicht unter Aus­schluss der Öffent­lich­keit getrof­fen wer­den. Eine aus­führ­li­che­re Debat­te durch z.B. ver­stärk­te Medi­en­be­richt­erstat­tung gestal­tet sich aber schwie­rig, da auch die Medi­en­ver­tre­te­rIn­nen  – auch wenn sie Exper­tIn­nen der Euro­pa­po­litk sind —  die­se der Bevöl­ke­rung auf­grund tech­ni­scher Kom­ple­xi­tät und schnell­le­bi­ger ad hoc Ent­schei­dun­gen schwer kom­mu­ni­zie­ren kön­nen. Nach­voll­zieh­ba­re Poli­tik­ent­schei­dun­gen und eine aus­führ­li­che Debat­te dar­über soll­te aller­dings die Prä­mis­se für eine demo­kra­ti­sche Poli­tik­ge­stal­tung sein. Daher müs­sen Euro­pas Regie­run­gen ihrem gesell­schaft­li­chen Auf­trag ihre Bür­ge­rIn­nen ver­stärkt wirt­schafts- und demo­kra­tie­po­li­tisch auf­zu­klä­ren, inten­si­ver nach­kom­men. Kri­ti­sche Bil­dungs­in­sti­tu­tio­nen, Medi­en und zivil­ge­sell­schaft­li­che Bewe­gun­gen kön­nen hier einen ent­schei­den­den Bei­trag dazu leis­ten und viel­leicht auch als „Ent­schleu­ni­ger“ wirken. 

Aber die Ver­stär­kung eines demo­kra­tie­po­li­ti­schen Bewusst­seins allei­ne reicht nicht aus. Es muss auch ver­deut­licht wer­den, dass die aktu­el­len Vor­schlä­ge zur wirt­schafts­po­li­ti­schen Regie­rung nicht den Kern des Pro­blems tref­fen. Die geplan­ten Maß­nah­men lau­fen im Wesent­li­chen dar­auf hin­aus, eine ver­stärk­te Kon­sti­tu­tio­na­li­sie­rung neo­li­be­ra­ler Wirt­schafts­po­li­tik vor­zu­neh­men, mit einer Bestands­ga­ran­tie, die weit über natio­na­le Ver­fas­sungs­ge­set­ze hin­aus­geht. Es lie­gen schon dif­fe­ren­zier­te Ana­ly­sen zur Wirt­schafts­re­gie­rung und den Pakt für den Euro vor, auch an alter­na­ti­ven Ansät­zen man­gelnd es nicht.

Hier eine Aus­wahl zur Nachlese: 

Der neu­es­te Bei­trag von Andrew Watt: Par­al­lel uni­ver­ses: A Pact for the Euro and Annu­al Growth Sur­vey but still no clear path out of crisis.

Wachs­tum in der EU stär­ken, nicht gefähr­den“ – gemein­sa­me Pres­se­kon­fe­renz von AK und ÖGB am 21.03.2011 EGB-Reso­lu­ti­on zur Eco­no­mic Gover­nan­ce (http://www.etuc.org/IMG/pdf/Resolution-on-European-Economic-Governance-EN.pdf

Zur online Vor­ab­ver­si­on des Bei­trags von Eli­sa­beth Klat­zer und Chris­ta Schla­ger. Sie ana­ly­sie­ren die geplan­ten EU Refor­men für den Kurs­wech­sel 1/​2011 („Zukunfts­aus­sich­ten“)

http://www.beigewum.at/kurswechsel/jahresprogramm-2011/heft-12011-zukunftsaussichten/


Auch der BEIGEWUM hat bereits im „Mythus Null­de­fi­zit“ im Jahr 2000 im Kapi­tel „Bud­get­po­li­ti­sche Vor­ga­ben der EU“, die Wirt­schafts­po­li­tik analysiert. 

Die Ana­ly­se bestä­tigt noch­mals: Die aktu­el­le Debat­te um die „Eco­no­mic gover­nan­ce“ der EU ent­hält wenig neue Gedan­ken, die sich tat­säch­lich als „Leh­re aus der Kri­se“ ein­ge­stellt hät­ten. Die Kri­se schwächt viel­mehr die Gegen­wehr gegen lang­ge­heg­te Vor­ha­ben, die nun end­lich durch­set­zungs­fä­hig schei­nen. Hier die Argu­men­ta­ti­on des BEIGEWUM aus dem Jahr 2000

Die EU-Rege­lun­gen zu Bud­get­po­li­tik ent­sprin­gen einer Kon­zep­ti­on, die auf das Zurück­drän­gen des Sozi­al­staats abzielt. Die­se war auf EU-Ebe­ne leich­ter durch­zu­set­zen als in den ein­zel­nen Mit­glied­staa­ten.(…) Sie schlägt sich in einer Ver­an­ke­rung von immer radi­ka­le­ren Vor­ga­ben für die natio­na­le Bud­get­po­li­tik auf EU-Ebe­ne nie­der. Stufe1: Maas­tricht (…); Stufe2: Sta­bi­li­täts­pakt(…); Stu­fe 3: Qua­li­tät der öffent­li­chen Finanzen: (…). 

Anfang der 90er Jah­re wur­de gesagt, gerin­ge Defi­zi­te sei­en erfor­der­lich, um Hand­lungs­spiel­raum für kon­junk­tur­sta­bi­li­sie­ren­de Maß­nah­men in einer Rezes­si­on zu gewin­nen. Mitt­ler­wei­le sind aus­ge­gli­che­ne Bud­gets die Norm. (..) Jetzt wer­den wei­te­re Über­schüs­se gefor­dert (…) Für irgend­et­was muss immer Vor­sor­ge getrof­fen wer­den. Dazu kommt die Beob­ach­tung, dass der Abbau der Defi­zi­te in den letz­ten Jah­ren zu einem Gut­teil auf Kos­ten staat­li­cher Inves­ti­ti­ons­aus­ga­ben erfolgt ist, (….) das scha­det aber direkt der Wirt­schaft. (…) Die­se Erfah­rung führ­te dazu, dass nach der bis­he­ri­gen Annä­he­rung über Umwe­ge nun direkt die Sozi­al­aus­ga­ben ins Visier genom­men wer­den. Das hat die nächs­te Run­de in punk­to Ver­schär­fung der Bud­get­kri­te­ri­en ein­ge­läu­tet. Unter dem harm­los klin­gen­den Titel „Qua­li­tät der öffent­li­chen Finan­zen“ wird in den EU-Gre­mi­en debat­tiert, die Ver­wen­dungs­zwe­cke der ein­zel­nen Bud­get­aus­ga­ben zu über­prü­fen. 
(…)Hier geht es offen dar­um, den natio­na­len Finanz­mi­nis­te­ri­en durch inter­na­tio­na­le Ver­ein­ba­run­gen den Rücken für die inner­staat­li­che Durch­set­zung der Visi­on vom schlan­ken (Sozial-)Staat zu stär­ken. Um die Quan­ti­tät und Qua­li­tät der öffent­li­chen Ein­nah­men macht man sich dage­gen nicht so viel Kopf­zer­bre­chen: Seit Jah­ren wer­den bei der ein­heit­li­chen Min­dest­be­steue­rung von Kapi­tal­erträ­gen kei­ne wirk­li­chen Fort­schrit­te erzielt. 

 Wich­tig für den Weg hin zu einer alter­na­ti­ven Wirt­schafts­po­li­tik im Sin­ne der Mehr­heit der euro­päi­schen Bevöl­ke­rung ist nun, dass sich die Uni­ons­bür­ger nicht von Regie­rungs­klubs dis­zi­pli­nie­ren las­sen, son­dern ihr demo­kra­tie­po­li­ti­sches Bewusst­sein ent­wi­ckeln und für einen inklu­si­ven Ent­schei­dungs­pro­zess eintreten.



Kommentieren » | Kategorie: blog

Europäische Wirtschaftsregierung – eine stille neoliberale Revolution?

16. März 2011 – 11:27 Uhr

Wäh­rend die Finanz- und Wirt­schafts­kri­se deut­lich zuta­ge brach­te, dass nicht nur die Dere­gu­lie­rung der Finanz­märk­te, son­dern auch die Wirt­schafts­po­li­tik der letz­ten Jahr­zehn­te mit wach­sen­den Leis­tungs­bi­lanz­un­gleich­ge­wich­ten, rapi­de zuneh­men­den Ungleich­hei­ten in der Ver­tei­lung von Ein­kom­men und Ver­mö­gen, anhal­ten­der Wachs­tums­schwä­che durch eine im Rah­men des Sta­bi­li­täts- und Wachs­tums­pak­tes (SWP) kon­zer­tier­te öffent­li­che Kon­so­li­die­rungs­po­li­tik und schäd­li­chem Steu­er­wett­be­werb, beglei­tet von Dere­gu­lie­rung und Pri­va­ti­sie­rung, wirt­schafts­po­li­tisch der fal­sche Weg und kon­tra­pro­duk­tiv ist, zeigt sich gegen­wär­tig eine erstaun­li­che Dyna­mik : Die öffent­li­che Debat­te ist domi­niert von Geschich­ten über Staa­ten die – vor­nehm­lich selbst­ver­schul­det – nahe am Staats­bank­rott sind, dra­ma­ti­schen Ret­tungs­ak­tio­nen, Refi­nan­zie­rungs­schwie­rig­kei­ten, Gefah­ren des Aus­ein­an­der­bre­chens des Euros und Dis­zi­pli­nie­rung durch Finanz­märk­te (Zins­druck). In einer der­art dra­ma­ti­schen Situa­ti­on müs­sen die »unver­ant­wort­li­chen EU-Mit­glieds­staa­ten« hart her­ge­nom­men wer­den : »Die EU schlägt zurück« und »the EU gets tough«, so die Pres­se­ver­laut­ba­run­gen der Euro­päi­schen Kom­mis­si­on. Und : wer erlaubt sich ange­sichts einer der­ar­ti­gen Dra­ma­tik über­haupt den Luxus, Kri­tik zu üben ?

Wäh­rend die Not­wen­dig­keit bes­se­rer und ver­stärk­ter wirt­schafts­po­li­ti­scher Koor­di­nie­rung und Steue­rung inner­halb der EU weit­ge­hend unbe­strit­ten ist, sind sowohl hin­sicht­lich der Aus­ge­stal­tung der vor­ge­schla­ge­nen Instru­men­te und Pro­zes­se als auch hin­sicht­lich des Zustan­de­kom­mens der neu­en Rege­lun­gen aus wirt­schafts- und demo­kra­tie­po­li­ti­scher Per­spek­ti­ve grund­le­gen­de Ein­wän­de anzu­mel­den. Die­se Maß­nah­men haben gra­vie­ren­de Aus­wir­kun­gen auf die wirt­schafts­po­li­ti­schen Spiel­räu­me der Mit­glied­staa­ten, sie stel­len de fac­to Ein­grif­fe in die Bud­get­ho­heit und eine Umge­hung von demo­kra­ti­schen Mecha­nis­men in Mit­glied­staa­ten und auf EU Ebe­ne dar.

In einer online Vor­ab-Ver­si­on ihres Bei­trags für Kurs­wech­sel 1/​2011 („Zukunfts­aus­sich­ten“) ana­ly­sie­ren Eli­sa­beth Klat­zer und Chris­ta Schla­ger die geplan­ten EU-Reformen.

Am 31.3.2011 laden wir zu einer Dis­kus­si­on zum The­ma mit der Bei­trags­au­torin Eli­sa­beth Klat­zer und dem deut­schen Gewerk­schafts­öko­no­men Dierk Hirschel.

Kommentieren » | Kategorie: blog

Das Weltsozialforum 2011 in Dakar

27. Februar 2011 – 16:15 Uhr

Welt­ge­schich­te wird in die­sen Tagen in Kai­ro und ande­ren nord­afri­ka­ni­schen Städ­ten und Län­dern geschrie­ben. Doch das seit 2001 bestehen­de Welt­so­zi­al­fo­rum, das Mit­te Febru­ar in Dakar statt­fand, erweist sich als Raum, der unver­zicht­bar ist, um sich auf trans­na­tio­na­ler Ebe­ne aus­zu­tau­schen, Stra­te­gien zu ent­wi­ckeln und Kam­pa­gnen zu lan­cie­ren. Für vie­le Akti­vis­tIn­nen begann das WSF bereits eine Woche vor­her mit einer Kara­wa­ne zum The­ma Migra­ti­on vom mali­schen Bama­ko nach Dakar, um über die kom­ple­xen Zusam­men­hän­ge von Migra­ti­on zu infor­mie­ren, zu ler­nen und sich poli­tisch zu ver­net­zen. Es gab wei­te­re Kara­wa­nen in die sene­ga­le­si­sche Haupt­stadt, mit denen die Teil­neh­men­den „unter­wegs“ auf ihre Anlie­gen auf­merk­sam mach­ten und ande­re Ver­hält­nis­se kennenlernten.

Der Aus­tra­gungs­ort des WSF spielt immer eine Rol­le. Für vie­le Teil­neh­men­den aus Euro­pa war die Erfah­rung eines ange­nehm offe­nen und reli­gi­ös tole­ran­ten isla­mi­schen Lan­des wich­tig. Inhalt­lich waren vor zwei Jah­ren im bra­si­lia­ni­schen Belem die Abhol­zung des Ama­zo­nas­ge­biets und der Wider­stand dage­gen all­ge­gen­wär­tig. Die­ses Mal spiel­ten die Land­wirt­schaft in Afri­ka, der der­zeit groß­flä­chi­ge Land­kauf (land-grab­bing) durch inter­na­tio­na­le Inves­to­ren – oft genug ver­mit­telt mit loka­len Inter­es­sen­grup­pen –, die mili­tä­ri­sche Prä­senz Frank­reichs und die (neo-)kolonialistische Rol­le Euro­pas in der Regi­on eine gro­ße Rol­le. Häu­fig ging es um die Benach­tei­li­gung von Frau­en in der Gesellschaft.

WSF-Dynamiken am Beispiel der Themen Klima bzw Lebens- und Arbeitsbedingungen

Alter­na­ti­ven zur herr­schen­den und wenig effek­ti­ven Kli­ma­po­li­tik müs­sen zwar kon­kret in der Ener­gie­po­li­tik, Stadt­pla­nung oder ande­ren Pro­duk­ti­ons­for­men for­mu­liert wer­den, aber sie wer­den durch trans­na­tio­na­le Auf­merk­sam­keit und gegen­sei­ti­ges Ler­nen gestärkt. So kamen Grup­pen nach Dakar, die gegen die repres­si­ve und öko­lo­gisch zer­stö­re­ri­sche Aus­beu­tung von Erd­öl etwa im Niger­del­ta oder gegen den Uran­ab­bau in Niger pro­tes­tie­ren. Das Mot­to der „Kli­ma­ge­rech­tig­keit“ wird zum Ober­be­griff einer ganz ande­ren Ener­gie­po­li­tik, die mit einem grund­le­gen­den Umbau der Pro­duk­ti­ons- und Lebens­wei­se ein­her­ge­hen muss. Eine For­de­rung war: „Lasst die fos­si­len Res­sour­cen im Boden!“ Die­se neu­en For­men der Ener­gie­kämp­fe wer­den auch auf der nächs­ten Kli­ma­kon­fe­renz im Dezem­ber in Dur­ban und wohl auch in der „Rio plus 20“-Konferenz bzw. dem Par­al­lel­kon­gress in Bra­si­li­en im Mai 2012 eine Rol­le spielen.

Kämp­fe um bes­se­re Lebens- und Arbeits­be­din­gun­gen in unter­schied­li­chen Regio­nen und Berei­chen sind tra­di­tio­nell ein zen­tra­les The­ma auf dem WSF. Gewerk­schaf­ten spiel­ten bei die­sem Forum jedoch eine deut­lich gerin­ge­re Rol­le als zuvor. Zum einen hat die Teil­nah­me inter­na­tio­na­ler Gewerk­schaf­te­rIn­nen, ins­be­son­de­re aus Euro­pa deut­lich abge­nom­men, was die Reso­nan­zen des WSF inner­halb der orga­ni­sier­ten Arbei­te­rIn­nen­be­we­gung erschwe­ren wird. In Öster­reich war bei­spiels­wei­se die erfolg­rei­che „Stopp GATS!“-Kampagne eine Fol­ge der Teil­nah­me öster­rei­chi­scher Gewerk­schaf­te­rIn­nen auf einem der ers­ten WSF in Por­to Alegre. Die Schwa­che Prä­senz der Gewerk­schaf­ten hängt wie­der­um mit dem Aus­tra­gungs­ort zusam­men. Bei etwa zehn Mil­lio­nen Ein­woh­ne­rIn­nen im Sene­gal mit einer weit­ge­hend infor­ma­li­sier­ten Öko­no­mie gibt es schät­zungs­wei­se 250.000 for­ma­li­sier­te Arbeits­ver­hält­nis­se. In den Nach­bar­län­dern dürf­te es nicht viel anders aus­se­hen. Die WSF in Bra­si­li­en hin­ge­gen wur­den ganz zen­tral von den dor­ti­gen Gewerk­schaf­ten getragen.

Alternative Entwicklung oder Alternativen zu Entwicklung?

In den Dis­kus­sio­nen ent­stand der Ein­druck, dass in (West-)Afrika noch viel stär­ker um „Ent­wick­lung“ in einem klas­si­schen und pro­gres­si­ven Sin­ne gerun­gen wird – der Begriff von real deve­lo­p­ment tauch­te immer wie­der auf –, näm­lich als Kampf gegen Armut und Kor­rup­ti­on, gegen den impe­ria­len Zugriff von außen (vor allem Euro­pas, aber auch Chi­nas oder Bra­si­li­ens) und für die Demo­kra­ti­sie­rung und Ver­bes­se­rung sozio-öko­no­mi­scher, poli­ti­scher und kul­tu­rel­ler Lebens­ver­hält­nis­se. Das WSF vor zwei Jah­ren in Belem brach­te neben die­ser auch dort prä­sen­ten Per­spek­ti­ve einen ande­ren Ton in die Debat­te, was damit zu tun hat, dass „Ent­wick­lung“ in vie­len latein­ame­ri­ka­ni­schen Län­dern der­zeit im obi­gen Sin­ne ja statt­fin­det – das dyna­mi­sche Wachs­tum ver­bes­sert die Lebens­la­ge von Mil­lio­nen, inte­griert mehr Men­schen in die for­mel­le und infor­mel­le Lohn­ar­beit, erhöht staat­li­che Ver­tei­lungs­spiel­räu­me. Doch dies geschieht um den Preis einer enor­men öko­lo­gi­schen Zer­stö­rung und um eine Schwä­chung von Alter­na­ti­ven zum impe­ria­len und neo­li­be­ra­len Welt­markt und zur impe­ria­len Lebens­wei­se in den kapi­ta­lis­ti­schen Zen­tren und der Mit­tel- und Ober­schich­ten in den Län­dern des Glo­ba­len Südens. Daher war in Belem und ist heu­te in Latein­ame­ri­ka eine eman­zi­pa­to­ri­sche Per­spek­ti­ve sicht­bar, der es um eine not­wen­di­ge Umori­en­tie­rung eben von „Ent­wick­lung“ selbst geht. Der in Belem pro­mi­nen­te Begriff der Zivi­li­sa­ti­ons­kri­se war in Dakar absent.

Aller­dings wird die­se Debat­te auch in Latein­ame­ri­ka – mit Aus­nah­me Boli­vi­ens und Ecua­dors – eher am Ran­de geführt. Vor zwei Jah­ren hat­te ich nach dem WSF for­mu­liert, dass eine der wich­tigs­ten Aus­wir­kun­gen des WSF sein könn­te, der öko­lo­gi­schen Rase­rei im Ama­zo­nas Ein­halt zu gebie­ten. Doch das ist nicht gesche­hen. Das Was­ser­kraft­pro­jekt Belo Mon­te in einem Sei­ten­fluss des Ama­zo­nas, das drei Tal­sper­ren und zwei Stau­se­en von der Grö­ße des Boden­sees schaf­fen soll, über zehn Pro­zent des bra­si­lia­ni­schen Strom­be­darfs decken soll und enor­me sozio-öko­lo­gi­sche Impli­ka­tio­nen hat, ist im Janu­ar in die letz­te Pla­nungs­pha­se gegan­gen (ursprüng­lich war eine vier Mal so gro­ße Flä­che geplant, doch das Pro­jekt wur­de nach mas­si­ven Pro­tes­ten ver­klei­nert). Statt eine Poli­tik der Ener­gie­ef­fi­zi­enz und des Ener­gie­spa­rens zu för­dern, flie­ßen Mil­li­ar­den-Inves­ti­tio­nen in ein Pro­jekt, das zudem sehr stark der welt­markt­ori­en­tier­ten Mon­tan­in­dus­trie zugutekommt.

Perspektiven des WSF: Raum oder Akteur oder …

Aller­dings dür­fen die tages­ak­tu­el­len Gescheh­nis­se in Nord­afri­ka nicht dar­über hin­weg täu­schen, dass das WSF neben den erfreu­li­chen Ent­wick­lun­gen in eini­gen Berei­chen der­zeit nicht in der Lage ist, umfas­sen­de Dis­kus­sio­nen dahin­ge­hend zu orga­ni­sie­ren, dass wirk­lich glo­ba­le Bezugs­punk­te ent­ste­hen. In Belem 2009 deu­te­te sich das mit dem bereits erwähn­ten Begriff der Zivi­li­sa­ti­ons­kri­se an, doch es wur­de nicht wei­ter­ge­führt. Das WSF ist auch kein Anzie­hungs­punkt für Intel­lek­tu­el­le, die in span­nen­den und plu­ra­len Aus­ein­an­der­set­zun­gen auf sol­che Bezugs­punk­te hin­ar­bei­ten könnten.

Der Modus der the­ma­tisch ori­en­tier­ten und auf Stra­te­gie­ent­wick­lung und Aktio­nen ori­en­tier­ten Ver­samm­lun­gen in der zwei­ten Hälf­te des Forums – in die­sem Jahr waren es um die vier­zig – hat sich zwar als geeig­net erwie­sen, um in den je spe­zi­fi­schen Kon­flikt­fel­dern hand­lungs­fä­hig zu wer­den. Und den­noch stellt sich ange­sichts der mul­ti­plen Kri­se die Fra­ge gemein­sa­mer Bezugs­punk­te ganz drin­gend. Wie könn­te bei­spiels­wei­se eine umfas­sen­de Ori­en­tie­rung an Gerech­tig­keit und Soli­da­ri­tät die Spe­zi­fi­tät der ein­zel­nen eman­zi­pa­to­ri­schen Kämp­fe ver­deut­li­chen und den­noch auf etwas Gemein­sa­mes hin ori­en­tie­ren? Den Neo­li­be­ra­len ist es ja gelun­gen, mit den Begrif­fen Frei­heit und Effi­zi­enz ihre Inter­es­sen im Sin­ne einer kapi­ta­lis­ti­schen Ratio­na­li­tät in den meis­ten gesell­schaft­li­chen Berei­chen zu ver­an­kern. Die Bewe­gung für eine ande­re Glo­ba­li­sie­rung agiert, mei­nes Erach­tens sinn­vol­ler­wei­se, in ein­zel­nen Kon­flikt­fel­dern, doch in die­sen arti­ku­lie­ren sich ja über­grei­fen­de Ent­wick­lun­gen und es müs­sen gemein­sa­me Bezugs­punk­te her­ge­stellt wer­den. Der Ver­zicht dar­auf, wie bei den ers­ten WSF zen­tra­le „gro­ße“ Debat­ten zu orga­ni­sie­ren, ist zum einen berech­tigt, da eben dadurch die Man­nig­fal­tig­keit der Kämp­fe aner­kannt wird (und die­se Debat­ten waren auf den ers­ten WSF nicht all­zu pri­ckelnd). Sie ist aber in der­zeit dyna­mi­schen Zei­ten wie die­sen, in denen es durch­aus um Ori­en­tie­rung geht, auch ein Manko.

Es gibt wei­ter­hin eine inten­si­ve Dis­kus­si­on dar­über, ob das WSF eher ein poli­ti­scher Raum blei­ben soll, in dem sich unter­schied­lichs­te Bewe­gun­gen tref­fen kön­nen, um in den Fel­dern wie Land­wirt­schaft, Migra­ti­on, Kli­ma­po­li­tik, Geschlech­ter­ge­rech­tig­keit, Anti­ras­sis­mus oder Welt­han­del ihre Erfah­run­gen aus­zu­tau­schen und Stra­te­gien zu entwickeln.

Eine ande­re Posi­ti­on argu­men­tiert, dass das WSF zu einem poli­ti­schen Akteur wer­den sol­le, der ein­heit­li­cher auf der welt­po­li­ti­schen Büh­ne auf­tritt und damit an Ein­fluss gewinnt. Ber­nard Cas­sen, Mit­be­grün­der von Attac-Frank­reich und einer der Prot­ago­nis­ten der Aus­rich­tung des WSF als Akteur, will mit die­ser Posi­ti­on die angeb­lich durch die Viel­falt des WSF ver­ur­sach­te Schwä­che über­win­den. Er argu­men­tiert, dass ein „Bruch“ mit dem aktu­ell vor­herr­schen­den neo­li­be­ra­len Modell eben nur mit einem WSF mög­lich wäre, das stär­ker einen Akteurs­sta­tus annimmt. Auf den ers­ten Blick spricht für die­se Posi­ti­on, dass die „Ver­samm­lung der Bewe­gun­gen“, die sich jeweils gegen Ende des Forums als Zusam­men­kunft der radi­ka­le­ren Kräf­te trifft, ein eher hilf­lo­ses, sich in All­ge­mein­plät­zen ver­lie­ren­des, stra­te­gisch unbrauch­ba­res Doku­ment als Abschluss-State­ment ange­nom­men hat.

Cas­sen hat Recht: In der Tat feh­len kla­re Trans­for­ma­ti­ons­stra­te­gien und das WSF hat erheb­li­che Pro­ble­me, die Hand­lungs­fä­hig­keit von Bewe­gun­gen zu ver­bes­sern. Doch die Seman­tik des Cas­sen­schen Argu­ments ist, dass im Raum viel gere­det, aber nicht gehan­delt wird. Das stimmt, trotz allem nicht genutz­ten Poten­zi­als, so nicht.

Zwei Argu­men­te spre­chen dafür, das WSF als struk­tu­rier­ten und struk­tu­rie­ren­den Raum im Lich­te der Erfah­run­gen wei­ter­zu­ent­wi­ckeln. Zum einen wird zuvor­derst in den kon­kre­ten Kon­flikt­fel­dern agiert wie Finanz­markt­re­gu­lie­rung, die Stär­kung der Frau­en-Men­schen­rech­te, Migra­ti­on und Anti­ras­sis­mus oder für eine ande­re Ener­gie- und Kli­ma­po­li­tik. Zusam­men­hän­ge und Kon­ver­gen­zen müs­sen ana­ly­tisch wie poli­tisch her­ge­stellt wer­den. Das kann nicht „von oben“, durch den Inter­na­tio­nal Coun­cil oder eine ande­re Kraft lau­fen, denn dann besteht die Gefahr einer ver­ein­heit­li­chen­den Welt­sicht und der Suche nach ein­heit­li­chen Akteu­ren. Wenn man sieht, wie die ortho­do­xen, oft genug euro­zen­tri­schen und links-eta­tis­ti­schen Strö­mun­gen eben der Viel­fäl­tig­keit von Lebens­er­fah­run­gen und die Suche nach Alter­na­ti­ven aus­blen­den, wünscht man sich auch nicht unbe­dingt, dass die­se Stra­te­gien von den selbst­er­nann­ten Vor­den­kern for­mu­liert wer­den, die all­zu schnell bei der/​ihrer radi­ka­len poli­ti­schen Par­tei landen.

Zwei­tens fin­den Ansatz­punk­te oder gar prak­ti­sche Poli­ti­ken des Bruchs mit neo­li­be­ral-impe­ria­len oder gar kapi­ta­lis­ti­schen Logi­ken, das zei­gen die letz­ten Jah­re, eben eher auf loka­ler und natio­nal­staat­li­cher Ebe­ne (sie­he Latein­ame­ri­ka) oder in den spe­zi­fi­schen Kon­flikt­fel­dern statt. Ich habe kei­ne Lösung für die rela­ti­ve Schwä­che eman­zi­pa­to­ri­scher Poli­tik auf glo­ba­ler Ebe­ne. Mir scheint die poli­ti­sche Auf­wer­tung des WSF zu einem Akteur eher als Aus­druck von Hilf­lo­sig­keit. Hand­lungs­fä­hig­keit, und davon war Dakar ja wie­der­um ein Beleg und Ägyp­ten ließ grü­ßen, stellt sich kom­ple­xer und kon­tin­gen­ter her.

Ausblick

Auf der Ebe­ne trans­na­tio­na­ler Stra­te­gie­ent­wick­lun­gen könn­te in den kom­men­den Jah­ren eine zuneh­men­de Süd-Süd-Ver­net­zung von Intel­lek­tu­el­len und Akti­vis­tIn­nen mit teil­wei­se gutem Zugang zu pro­gres­si­ven Regie­run­gen wich­ti­ger wer­den. In Dakar gab es dazu ein von Samir Amin initi­ier­tes Tref­fen und in den kom­men­den Mona­ten soll ein Arbeits­pro­gramm for­mu­liert wer­den. Inter­es­sant wird hier in Zukunft sein, wie bei pro­gres­si­ven Kräf­ten damit umge­gan­gen wird, dass die aktu­el­len poli­ti­schen und öko­no­mi­schen Süd-Süd-Koope­ra­tio­nen oft genug sub­im­pe­ri­al imprä­gniert sind, denn die Regie­run­gen Bra­si­li­ens, Chi­nas, Indi­ens oder Süd­afri­kas bean­spru­chen eine Füh­rungs­rol­le für ihre Regi­on oder „den“ Süden. Die mas­siv zuge­nom­me­nen west­afri­ka­ni­schen Lebens­mit­tel­im­por­te aus Bra­si­li­en stel­len für die Land­wirt­schaft eben­so eine Gefahr dar wie jene aus Europa.

Das Forum steht für einen lang­at­mi­gen Pro­zess. Das geht mit Rück­schlä­gen ein­her wie etwa die kei­nes­wegs pro­gres­si­ve Bear­bei­tung der Wirt­schafts- und Finanz­kri­se, wodurch die glo­ba­len Pro­ble­me eher ver­grö­ßert wer­den und inner­halb sozia­ler Bewe­gun­gen ten­den­zi­ell für Frus­tra­ti­on sor­gen. Immer wie­der wur­de auch Kri­tik dar­an geäu­ßert, dass der Sozi­al­fo­rums­pro­zess in Euro­pa nicht funk­tio­niert. Doch es gibt kei­ne Alter­na­ti­ve dazu, in auf­wen­di­gen Such- und Lern­pro­zes­sen trans­na­tio­na­les Momen­tum zu gewin­nen. In eini­gen Berei­chen scheint das zu gelin­gen, in ande­ren weniger.

In Euro­pa bestehen dafür nach dem desas­trö­sen Euro­päi­schen Sozi­al­fo­rum im letz­ten Som­mer kaum Anknüp­fungs­punk­te. Ganz im Gegen­teil offen­bar zu dem kurz vor dem ESF statt­ge­fun­de­nen US-ame­ri­ka­ni­schen Sozi­al­fo­rum. Vie­le berich­te­ten von dem Tref­fen in Detroit im letz­ten Juni fast eupho­risch, da es gelun­gen sei, vie­le Men­schen zu invol­vie­ren, eine Kul­tur des Zuhö­rens und Aus­tausch zu schaf­fen und die eine oder ande­re Per­spek­ti­ve ver­bind­li­cher Koope­ra­ti­on zu entwickeln.

Das WSF in Dakar ist mit dem ESF 2010 auf kei­nen Fall ver­gleich­bar. Und den­noch hat­te man bei bei­den Tref­fen teil­wei­se (und wirk­lich nur teil­wei­se!) den Ein­druck, dass es nicht um das geht, wofür die Sozi­al­fo­rums­be­we­gung geschaf­fen wur­de: Eman­zi­pa­to­ri­sche Poli­ti­ken auf der Höhe der Zeit und unter gar nicht gemüt­li­chen Bedin­gun­gen zu formulieren.

Es gibt aber kei­ne Alter­na­ti­ve zum WSF. Es muss sich, um ein immer wie­der gebrauch­tes Wort zu nut­zen, mit der Unter­stüt­zung vie­ler neu erfin­den, damit es ein struk­tu­rier­ter wie struk­tu­rie­ren­der Raum ist und von ihm Impul­se aus­ge­hen. Ob es dafür bes­ser zum wie­der­hol­ten Male an den­sel­ben Orten statt­fin­det, also in gewis­ser Wei­se zwi­schen drei oder vier Orten wan­dert, um das so drin­gend benö­tig­te orga­ni­sa­to­ri­sche Erfah­rungs­wis­sen zu akku­mu­lie­ren, ist eine so offe­ne wie wich­ti­ge Fra­ge. Auf jeden Fall soll­te es dort statt­fin­den, wo es dyna­mi­sche Bewe­gun­gen gibt, es also in der Erfah­rung der Bewe­gun­gen vor Ort um etwas geht und das auch prak­tisch ange­gan­gen wird.

Die­ser Bei­trag erscheint hier in gekürz­ter Form. Der Autor dankt der Rosa-Luxem­burg-Stif­tung dafür, dass sie ihm die Teil­nah­me am WSF ermög­lich­te. Kurz­ver­sio­nen des Bei­tra­ges erschie­nen zB auch in „Freitag.online“ und „Wie­ner Zei­tung“.

http://fsm2011.org/en


Kommentieren » | Kategorie: blog

Studiengebühren

13. Dezember 2010 – 23:14 Uhr

Feh­ler machen bekannt­lich bes­ten­falls dann einen Sinn, wenn man dar­aus lernt. Die SPÖ scheint den Feh­ler, die Stu­di­en­ge­büh­ren unter Gusen­bau­er zunächst wei­ter tole­riert zu haben, dem­nach völ­lig umsonst gemacht zu haben. Jeden­falls platzt die Aus­sa­ge, dass diver­se füh­ren­de SPÖ-Poli­ti­ker Stu­di­en­ge­büh­ren nicht (mehr) ableh­nen (sie­he etwa bei Der Stan­dard) mit­ten in die von Wis­sen­schafts­mi­nis­te­rin Karl (ÖVP) los­ge­tre­te­ne Debat­te um Zulas­sungs­be­schrän­kun­gen und Stu­di­en­ge­büh­ren. Häu­pl und Kräu­ter berei­ten damit einer unsäg­li­chen Debat­te über die Fra­ge der Ein­schrän­kung des Hoch­schul­zu­gangs den Weg; einer Debat­te, in der die SPÖ nur ver­lie­ren kann, da sie gegen die eige­ne Pro­gram­ma­tik gerich­tet ist.

Die zentralen Argumente

Die Argu­men­te gegen Stu­di­en­ge­büh­ren sind hin­läng­lich bekannt. In aller Kür­ze für die nun ein­set­zen­de Debat­te noch mal:

  1. Es gibt kei­ne sozi­al gerech­ten Stu­di­en­ge­büh­ren. Stu­di­en­ge­büh­ren ver­teu­ern das Stu­di­um, was zwangs­läu­fig dazu führt, dass die Zah­lungs­schwächs­ten auf der Stre­cke blei­ben. Es ist zudem bekannt, dass sich Kin­der aus soge­nann­ten „bil­dungs­fer­nen“ Eltern­häu­sern schwe­rer tun mit einer Ver­schul­dung zur Finan­zie­rung von Gebüh­ren. Daher lässt sich das Pro­blem der sozia­len Selek­ti­vi­tät auch nicht durch die Ver­schie­bung des Zeit­punkts der Fäl­lig­keit der Gebüh­ren lösen. Hier sei auf das Bei­spiel Aus­tra­li­en ver­wie­sen.
  2. Die­ses Pro­blem lässt sich auch nicht dadurch lösen, dass die Zah­lung der Gebüh­ren an das Ein­kom­men der Eltern gekop­pelt wird. Hier ver­schiebt sich ledig­lich das Pro­blem: Stu­die­ren­de wer­den dann in ers­ter Linie als die Kin­der ihrer Eltern und nicht als erwach­se­ne Men­schen begrif­fen. Wenn die Eltern jedoch der Mei­nung sind, dass Phi­lo­so­phie ein über­flüs­si­ges Stu­di­um ist und/​oder dass bspw. Frau­en eigent­lich eh eine ande­re „Bestim­mung“ hät­ten, dann hilft der Ver­weis auf die Eltern nicht weiter.
  3. Stu­di­en­ge­büh­ren ver­än­dern den Bil­dungs­be­griff. Bis­her ist ein erheb­li­cher Teil der Stu­die­ren­den zumin­dest auch intrinsisch moti­viert. Es geht um Erkennt­nis­ge­winn, das Aneig­nen von Wis­sen, das Ent­wi­ckeln einer Per­sön­lich­keit usw. Klar ist: Auch heu­te spie­len die Berufs­aus­sich­ten eine Rol­le. Mit Stu­di­en­ge­büh­ren wird das Stu­di­um jedoch zu einer ›Inves­ti­ti­on in das eige­ne Human­ka­pi­tal‹ mit ent­spre­chen­den Ein­kom­mens­er­war­tun­gen als ›Return on Invest­ment‹. Das ver­än­dert mas­siv den Bil­dungs­be­griff und wirkt sich auch auf die Fächer­wahl aus. Die­se erfolgt dann eben nicht (über­wie­gend) nach Nei­gun­gen und Fähig­kei­ten, son­dern nach ver­meint­li­chen Arbeits­markt­per­spek­ti­ven. Auf einen wei­ter­füh­ren­den Bei­trag zum The­ma Human­ka­pi­tal von Ulf Ban­sche­rus sei ver­wie­sen.
  4. Ent­ge­gen aller Behaup­tun­gen haben die Stu­die­ren­den durch Stu­di­en­ge­büh­ren nicht mehr Ein­fluss auf die Leh­re. Zwar ändert sich die Erwar­tungs­hal­tung der Stu­die­ren­den, als ato­mi­sier­tes Indi­vi­du­um ist die Aus­übung von Druck jedoch kaum mög­lich. Zudem ist ein Stu­di­en­ort­wech­sel mit erheb­li­chen Hür­den ver­se­hen (Woh­nung, Freun­des­kreis, Job…) und daher nicht mög­lich, nur weil einem die Vor­le­sung X nicht passt.

Gerechtigkeitsbegriff…

Die Argu­men­ta­ti­on der SPÖ ist an Stel­le beson­ders ver­quer: Es wird sug­ge­riert, der Ver­zicht auf Stu­di­en­ge­büh­ren sei unge­recht, da auch Kin­der rei­cher Eltern die­se Stu­di­en­ge­büh­ren nicht zah­len. Wie ver­quer die­se Logik ist hat Son­ja Staack wun­der­bar dar­ge­legt, auf die­sen Text sei daher ver­wie­sen. In aller Kür­ze stellt sich jedoch die Fra­ge, wer denn unter Stu­di­en­ge­büh­ren lei­den wür­de? Sicher ist: Wer ver­mö­gen­de Eltern hat und sich mit den Eltern nicht zer­strit­ten hat (etwa über die Fra­ge des Stu­di­en­fa­ches), der hat mit Stu­di­en­ge­büh­ren kei­ner­lei Pro­ble­me. Wer aller­dings unsi­cher ist, kei­ne aka­de­mi­schen „Vor­bil­der“ in der Fami­lie hat, finan­zi­ell nicht begü­tert ist, der wird dann ver­mut­lich auf ein Stu­di­um ver­zich­ten. Unter­su­chun­gen des Hoch­schul-Infor­ma­ti­on-Sys­tems (HIS) für Deutsch­land sagen: Allei­ne 500 Euro Stu­di­en­ge­büh­ren im Semes­ter in eini­gen Bun­des­län­dern haben bis zu 18.000 jun­ge Men­schen vom Stu­di­um abgehalten.

Die Debat­te über die sozia­le Unge­rech­tig­keit öffent­li­cher Leis­tun­gen ist eine Schein­de­bat­te. Wenn die SPÖ Gerech­tig­keit ein­for­dert, dann soll sie end­lich das Steu­er­sys­tem refor­mie­ren und dafür sor­gen, dass ins­be­son­de­re Ver­mö­gen­de ange­mes­sen zur Finan­zie­rung öffent­li­cher Auf­ga­ben bei­tra­gen. Anstatt ÖVP-Debat­ten zu füh­ren wäre hier eine Mög­lich­keit sinn­voll über die Fra­ge der Ver­tei­lung von Armut, Reich­tum und Chan­cen zu dis­ku­tie­ren – und nicht bei Studiengebühren.

1 Kommentar » | Kategorie: blog

zum Anfang der Seite