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Europäische Wirtschaftsregierung – eine stille neoliberale Revolution?

16. März 2011 – 11:27 Uhr

Wäh­rend die Finanz- und Wirt­schafts­kri­se deut­lich zuta­ge brach­te, dass nicht nur die Dere­gu­lie­rung der Finanz­märk­te, son­dern auch die Wirt­schafts­po­li­tik der letz­ten Jahr­zehn­te mit wach­sen­den Leis­tungs­bi­lanz­un­gleich­ge­wich­ten, rapi­de zuneh­men­den Ungleich­hei­ten in der Ver­tei­lung von Ein­kom­men und Ver­mö­gen, anhal­ten­der Wachs­tums­schwä­che durch eine im Rah­men des Sta­bi­li­täts- und Wachs­tums­pak­tes (SWP) kon­zer­tier­te öffent­li­che Kon­so­li­die­rungs­po­li­tik und schäd­li­chem Steu­er­wett­be­werb, beglei­tet von Dere­gu­lie­rung und Pri­va­ti­sie­rung, wirt­schafts­po­li­tisch der fal­sche Weg und kon­tra­pro­duk­tiv ist, zeigt sich gegen­wär­tig eine erstaun­li­che Dyna­mik : Die öffent­li­che Debat­te ist domi­niert von Geschich­ten über Staa­ten die – vor­nehm­lich selbst­ver­schul­det – nahe am Staats­bank­rott sind, dra­ma­ti­schen Ret­tungs­ak­tio­nen, Refi­nan­zie­rungs­schwie­rig­kei­ten, Gefah­ren des Aus­ein­an­der­bre­chens des Euros und Dis­zi­pli­nie­rung durch Finanz­märk­te (Zins­druck). In einer der­art dra­ma­ti­schen Situa­ti­on müs­sen die »unver­ant­wort­li­chen EU-Mit­glieds­staa­ten« hart her­ge­nom­men wer­den : »Die EU schlägt zurück« und »the EU gets tough«, so die Pres­se­ver­laut­ba­run­gen der Euro­päi­schen Kom­mis­si­on. Und : wer erlaubt sich ange­sichts einer der­ar­ti­gen Dra­ma­tik über­haupt den Luxus, Kri­tik zu üben ?

Wäh­rend die Not­wen­dig­keit bes­se­rer und ver­stärk­ter wirt­schafts­po­li­ti­scher Koor­di­nie­rung und Steue­rung inner­halb der EU weit­ge­hend unbe­strit­ten ist, sind sowohl hin­sicht­lich der Aus­ge­stal­tung der vor­ge­schla­ge­nen Instru­men­te und Pro­zes­se als auch hin­sicht­lich des Zustan­de­kom­mens der neu­en Rege­lun­gen aus wirt­schafts- und demo­kra­tie­po­li­ti­scher Per­spek­ti­ve grund­le­gen­de Ein­wän­de anzu­mel­den. Die­se Maß­nah­men haben gra­vie­ren­de Aus­wir­kun­gen auf die wirt­schafts­po­li­ti­schen Spiel­räu­me der Mit­glied­staa­ten, sie stel­len de fac­to Ein­grif­fe in die Bud­get­ho­heit und eine Umge­hung von demo­kra­ti­schen Mecha­nis­men in Mit­glied­staa­ten und auf EU Ebe­ne dar.

In einer online Vor­ab-Ver­si­on ihres Bei­trags für Kurs­wech­sel 1/​2011 („Zukunfts­aus­sich­ten“) ana­ly­sie­ren Eli­sa­beth Klat­zer und Chris­ta Schla­ger die geplan­ten EU-Reformen.

Am 31.3.2011 laden wir zu einer Dis­kus­si­on zum The­ma mit der Bei­trags­au­torin Eli­sa­beth Klat­zer und dem deut­schen Gewerk­schafts­öko­no­men Dierk Hirschel.

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Das Weltsozialforum 2011 in Dakar

27. Februar 2011 – 16:15 Uhr

Welt­ge­schich­te wird in die­sen Tagen in Kai­ro und ande­ren nord­afri­ka­ni­schen Städ­ten und Län­dern geschrie­ben. Doch das seit 2001 bestehen­de Welt­so­zi­al­fo­rum, das Mit­te Febru­ar in Dakar statt­fand, erweist sich als Raum, der unver­zicht­bar ist, um sich auf trans­na­tio­na­ler Ebe­ne aus­zu­tau­schen, Stra­te­gien zu ent­wi­ckeln und Kam­pa­gnen zu lan­cie­ren. Für vie­le Akti­vis­tIn­nen begann das WSF bereits eine Woche vor­her mit einer Kara­wa­ne zum The­ma Migra­ti­on vom mali­schen Bama­ko nach Dakar, um über die kom­ple­xen Zusam­men­hän­ge von Migra­ti­on zu infor­mie­ren, zu ler­nen und sich poli­tisch zu ver­net­zen. Es gab wei­te­re Kara­wa­nen in die sene­ga­le­si­sche Haupt­stadt, mit denen die Teil­neh­men­den „unter­wegs“ auf ihre Anlie­gen auf­merk­sam mach­ten und ande­re Ver­hält­nis­se kennenlernten.

Der Aus­tra­gungs­ort des WSF spielt immer eine Rol­le. Für vie­le Teil­neh­men­den aus Euro­pa war die Erfah­rung eines ange­nehm offe­nen und reli­gi­ös tole­ran­ten isla­mi­schen Lan­des wich­tig. Inhalt­lich waren vor zwei Jah­ren im bra­si­lia­ni­schen Belem die Abhol­zung des Ama­zo­nas­ge­biets und der Wider­stand dage­gen all­ge­gen­wär­tig. Die­ses Mal spiel­ten die Land­wirt­schaft in Afri­ka, der der­zeit groß­flä­chi­ge Land­kauf (land-grab­bing) durch inter­na­tio­na­le Inves­to­ren – oft genug ver­mit­telt mit loka­len Inter­es­sen­grup­pen –, die mili­tä­ri­sche Prä­senz Frank­reichs und die (neo-)kolonialistische Rol­le Euro­pas in der Regi­on eine gro­ße Rol­le. Häu­fig ging es um die Benach­tei­li­gung von Frau­en in der Gesellschaft.

WSF-Dynamiken am Beispiel der Themen Klima bzw Lebens- und Arbeitsbedingungen

Alter­na­ti­ven zur herr­schen­den und wenig effek­ti­ven Kli­ma­po­li­tik müs­sen zwar kon­kret in der Ener­gie­po­li­tik, Stadt­pla­nung oder ande­ren Pro­duk­ti­ons­for­men for­mu­liert wer­den, aber sie wer­den durch trans­na­tio­na­le Auf­merk­sam­keit und gegen­sei­ti­ges Ler­nen gestärkt. So kamen Grup­pen nach Dakar, die gegen die repres­si­ve und öko­lo­gisch zer­stö­re­ri­sche Aus­beu­tung von Erd­öl etwa im Niger­del­ta oder gegen den Uran­ab­bau in Niger pro­tes­tie­ren. Das Mot­to der „Kli­ma­ge­rech­tig­keit“ wird zum Ober­be­griff einer ganz ande­ren Ener­gie­po­li­tik, die mit einem grund­le­gen­den Umbau der Pro­duk­ti­ons- und Lebens­wei­se ein­her­ge­hen muss. Eine For­de­rung war: „Lasst die fos­si­len Res­sour­cen im Boden!“ Die­se neu­en For­men der Ener­gie­kämp­fe wer­den auch auf der nächs­ten Kli­ma­kon­fe­renz im Dezem­ber in Dur­ban und wohl auch in der „Rio plus 20“-Konferenz bzw. dem Par­al­lel­kon­gress in Bra­si­li­en im Mai 2012 eine Rol­le spielen.

Kämp­fe um bes­se­re Lebens- und Arbeits­be­din­gun­gen in unter­schied­li­chen Regio­nen und Berei­chen sind tra­di­tio­nell ein zen­tra­les The­ma auf dem WSF. Gewerk­schaf­ten spiel­ten bei die­sem Forum jedoch eine deut­lich gerin­ge­re Rol­le als zuvor. Zum einen hat die Teil­nah­me inter­na­tio­na­ler Gewerk­schaf­te­rIn­nen, ins­be­son­de­re aus Euro­pa deut­lich abge­nom­men, was die Reso­nan­zen des WSF inner­halb der orga­ni­sier­ten Arbei­te­rIn­nen­be­we­gung erschwe­ren wird. In Öster­reich war bei­spiels­wei­se die erfolg­rei­che „Stopp GATS!“-Kampagne eine Fol­ge der Teil­nah­me öster­rei­chi­scher Gewerk­schaf­te­rIn­nen auf einem der ers­ten WSF in Por­to Alegre. Die Schwa­che Prä­senz der Gewerk­schaf­ten hängt wie­der­um mit dem Aus­tra­gungs­ort zusam­men. Bei etwa zehn Mil­lio­nen Ein­woh­ne­rIn­nen im Sene­gal mit einer weit­ge­hend infor­ma­li­sier­ten Öko­no­mie gibt es schät­zungs­wei­se 250.000 for­ma­li­sier­te Arbeits­ver­hält­nis­se. In den Nach­bar­län­dern dürf­te es nicht viel anders aus­se­hen. Die WSF in Bra­si­li­en hin­ge­gen wur­den ganz zen­tral von den dor­ti­gen Gewerk­schaf­ten getragen.

Alternative Entwicklung oder Alternativen zu Entwicklung?

In den Dis­kus­sio­nen ent­stand der Ein­druck, dass in (West-)Afrika noch viel stär­ker um „Ent­wick­lung“ in einem klas­si­schen und pro­gres­si­ven Sin­ne gerun­gen wird – der Begriff von real deve­lo­p­ment tauch­te immer wie­der auf –, näm­lich als Kampf gegen Armut und Kor­rup­ti­on, gegen den impe­ria­len Zugriff von außen (vor allem Euro­pas, aber auch Chi­nas oder Bra­si­li­ens) und für die Demo­kra­ti­sie­rung und Ver­bes­se­rung sozio-öko­no­mi­scher, poli­ti­scher und kul­tu­rel­ler Lebens­ver­hält­nis­se. Das WSF vor zwei Jah­ren in Belem brach­te neben die­ser auch dort prä­sen­ten Per­spek­ti­ve einen ande­ren Ton in die Debat­te, was damit zu tun hat, dass „Ent­wick­lung“ in vie­len latein­ame­ri­ka­ni­schen Län­dern der­zeit im obi­gen Sin­ne ja statt­fin­det – das dyna­mi­sche Wachs­tum ver­bes­sert die Lebens­la­ge von Mil­lio­nen, inte­griert mehr Men­schen in die for­mel­le und infor­mel­le Lohn­ar­beit, erhöht staat­li­che Ver­tei­lungs­spiel­räu­me. Doch dies geschieht um den Preis einer enor­men öko­lo­gi­schen Zer­stö­rung und um eine Schwä­chung von Alter­na­ti­ven zum impe­ria­len und neo­li­be­ra­len Welt­markt und zur impe­ria­len Lebens­wei­se in den kapi­ta­lis­ti­schen Zen­tren und der Mit­tel- und Ober­schich­ten in den Län­dern des Glo­ba­len Südens. Daher war in Belem und ist heu­te in Latein­ame­ri­ka eine eman­zi­pa­to­ri­sche Per­spek­ti­ve sicht­bar, der es um eine not­wen­di­ge Umori­en­tie­rung eben von „Ent­wick­lung“ selbst geht. Der in Belem pro­mi­nen­te Begriff der Zivi­li­sa­ti­ons­kri­se war in Dakar absent.

Aller­dings wird die­se Debat­te auch in Latein­ame­ri­ka – mit Aus­nah­me Boli­vi­ens und Ecua­dors – eher am Ran­de geführt. Vor zwei Jah­ren hat­te ich nach dem WSF for­mu­liert, dass eine der wich­tigs­ten Aus­wir­kun­gen des WSF sein könn­te, der öko­lo­gi­schen Rase­rei im Ama­zo­nas Ein­halt zu gebie­ten. Doch das ist nicht gesche­hen. Das Was­ser­kraft­pro­jekt Belo Mon­te in einem Sei­ten­fluss des Ama­zo­nas, das drei Tal­sper­ren und zwei Stau­se­en von der Grö­ße des Boden­sees schaf­fen soll, über zehn Pro­zent des bra­si­lia­ni­schen Strom­be­darfs decken soll und enor­me sozio-öko­lo­gi­sche Impli­ka­tio­nen hat, ist im Janu­ar in die letz­te Pla­nungs­pha­se gegan­gen (ursprüng­lich war eine vier Mal so gro­ße Flä­che geplant, doch das Pro­jekt wur­de nach mas­si­ven Pro­tes­ten ver­klei­nert). Statt eine Poli­tik der Ener­gie­ef­fi­zi­enz und des Ener­gie­spa­rens zu för­dern, flie­ßen Mil­li­ar­den-Inves­ti­tio­nen in ein Pro­jekt, das zudem sehr stark der welt­markt­ori­en­tier­ten Mon­tan­in­dus­trie zugutekommt.

Perspektiven des WSF: Raum oder Akteur oder …

Aller­dings dür­fen die tages­ak­tu­el­len Gescheh­nis­se in Nord­afri­ka nicht dar­über hin­weg täu­schen, dass das WSF neben den erfreu­li­chen Ent­wick­lun­gen in eini­gen Berei­chen der­zeit nicht in der Lage ist, umfas­sen­de Dis­kus­sio­nen dahin­ge­hend zu orga­ni­sie­ren, dass wirk­lich glo­ba­le Bezugs­punk­te ent­ste­hen. In Belem 2009 deu­te­te sich das mit dem bereits erwähn­ten Begriff der Zivi­li­sa­ti­ons­kri­se an, doch es wur­de nicht wei­ter­ge­führt. Das WSF ist auch kein Anzie­hungs­punkt für Intel­lek­tu­el­le, die in span­nen­den und plu­ra­len Aus­ein­an­der­set­zun­gen auf sol­che Bezugs­punk­te hin­ar­bei­ten könnten.

Der Modus der the­ma­tisch ori­en­tier­ten und auf Stra­te­gie­ent­wick­lung und Aktio­nen ori­en­tier­ten Ver­samm­lun­gen in der zwei­ten Hälf­te des Forums – in die­sem Jahr waren es um die vier­zig – hat sich zwar als geeig­net erwie­sen, um in den je spe­zi­fi­schen Kon­flikt­fel­dern hand­lungs­fä­hig zu wer­den. Und den­noch stellt sich ange­sichts der mul­ti­plen Kri­se die Fra­ge gemein­sa­mer Bezugs­punk­te ganz drin­gend. Wie könn­te bei­spiels­wei­se eine umfas­sen­de Ori­en­tie­rung an Gerech­tig­keit und Soli­da­ri­tät die Spe­zi­fi­tät der ein­zel­nen eman­zi­pa­to­ri­schen Kämp­fe ver­deut­li­chen und den­noch auf etwas Gemein­sa­mes hin ori­en­tie­ren? Den Neo­li­be­ra­len ist es ja gelun­gen, mit den Begrif­fen Frei­heit und Effi­zi­enz ihre Inter­es­sen im Sin­ne einer kapi­ta­lis­ti­schen Ratio­na­li­tät in den meis­ten gesell­schaft­li­chen Berei­chen zu ver­an­kern. Die Bewe­gung für eine ande­re Glo­ba­li­sie­rung agiert, mei­nes Erach­tens sinn­vol­ler­wei­se, in ein­zel­nen Kon­flikt­fel­dern, doch in die­sen arti­ku­lie­ren sich ja über­grei­fen­de Ent­wick­lun­gen und es müs­sen gemein­sa­me Bezugs­punk­te her­ge­stellt wer­den. Der Ver­zicht dar­auf, wie bei den ers­ten WSF zen­tra­le „gro­ße“ Debat­ten zu orga­ni­sie­ren, ist zum einen berech­tigt, da eben dadurch die Man­nig­fal­tig­keit der Kämp­fe aner­kannt wird (und die­se Debat­ten waren auf den ers­ten WSF nicht all­zu pri­ckelnd). Sie ist aber in der­zeit dyna­mi­schen Zei­ten wie die­sen, in denen es durch­aus um Ori­en­tie­rung geht, auch ein Manko.

Es gibt wei­ter­hin eine inten­si­ve Dis­kus­si­on dar­über, ob das WSF eher ein poli­ti­scher Raum blei­ben soll, in dem sich unter­schied­lichs­te Bewe­gun­gen tref­fen kön­nen, um in den Fel­dern wie Land­wirt­schaft, Migra­ti­on, Kli­ma­po­li­tik, Geschlech­ter­ge­rech­tig­keit, Anti­ras­sis­mus oder Welt­han­del ihre Erfah­run­gen aus­zu­tau­schen und Stra­te­gien zu entwickeln.

Eine ande­re Posi­ti­on argu­men­tiert, dass das WSF zu einem poli­ti­schen Akteur wer­den sol­le, der ein­heit­li­cher auf der welt­po­li­ti­schen Büh­ne auf­tritt und damit an Ein­fluss gewinnt. Ber­nard Cas­sen, Mit­be­grün­der von Attac-Frank­reich und einer der Prot­ago­nis­ten der Aus­rich­tung des WSF als Akteur, will mit die­ser Posi­ti­on die angeb­lich durch die Viel­falt des WSF ver­ur­sach­te Schwä­che über­win­den. Er argu­men­tiert, dass ein „Bruch“ mit dem aktu­ell vor­herr­schen­den neo­li­be­ra­len Modell eben nur mit einem WSF mög­lich wäre, das stär­ker einen Akteurs­sta­tus annimmt. Auf den ers­ten Blick spricht für die­se Posi­ti­on, dass die „Ver­samm­lung der Bewe­gun­gen“, die sich jeweils gegen Ende des Forums als Zusam­men­kunft der radi­ka­le­ren Kräf­te trifft, ein eher hilf­lo­ses, sich in All­ge­mein­plät­zen ver­lie­ren­des, stra­te­gisch unbrauch­ba­res Doku­ment als Abschluss-State­ment ange­nom­men hat.

Cas­sen hat Recht: In der Tat feh­len kla­re Trans­for­ma­ti­ons­stra­te­gien und das WSF hat erheb­li­che Pro­ble­me, die Hand­lungs­fä­hig­keit von Bewe­gun­gen zu ver­bes­sern. Doch die Seman­tik des Cas­sen­schen Argu­ments ist, dass im Raum viel gere­det, aber nicht gehan­delt wird. Das stimmt, trotz allem nicht genutz­ten Poten­zi­als, so nicht.

Zwei Argu­men­te spre­chen dafür, das WSF als struk­tu­rier­ten und struk­tu­rie­ren­den Raum im Lich­te der Erfah­run­gen wei­ter­zu­ent­wi­ckeln. Zum einen wird zuvor­derst in den kon­kre­ten Kon­flikt­fel­dern agiert wie Finanz­markt­re­gu­lie­rung, die Stär­kung der Frau­en-Men­schen­rech­te, Migra­ti­on und Anti­ras­sis­mus oder für eine ande­re Ener­gie- und Kli­ma­po­li­tik. Zusam­men­hän­ge und Kon­ver­gen­zen müs­sen ana­ly­tisch wie poli­tisch her­ge­stellt wer­den. Das kann nicht „von oben“, durch den Inter­na­tio­nal Coun­cil oder eine ande­re Kraft lau­fen, denn dann besteht die Gefahr einer ver­ein­heit­li­chen­den Welt­sicht und der Suche nach ein­heit­li­chen Akteu­ren. Wenn man sieht, wie die ortho­do­xen, oft genug euro­zen­tri­schen und links-eta­tis­ti­schen Strö­mun­gen eben der Viel­fäl­tig­keit von Lebens­er­fah­run­gen und die Suche nach Alter­na­ti­ven aus­blen­den, wünscht man sich auch nicht unbe­dingt, dass die­se Stra­te­gien von den selbst­er­nann­ten Vor­den­kern for­mu­liert wer­den, die all­zu schnell bei der/​ihrer radi­ka­len poli­ti­schen Par­tei landen.

Zwei­tens fin­den Ansatz­punk­te oder gar prak­ti­sche Poli­ti­ken des Bruchs mit neo­li­be­ral-impe­ria­len oder gar kapi­ta­lis­ti­schen Logi­ken, das zei­gen die letz­ten Jah­re, eben eher auf loka­ler und natio­nal­staat­li­cher Ebe­ne (sie­he Latein­ame­ri­ka) oder in den spe­zi­fi­schen Kon­flikt­fel­dern statt. Ich habe kei­ne Lösung für die rela­ti­ve Schwä­che eman­zi­pa­to­ri­scher Poli­tik auf glo­ba­ler Ebe­ne. Mir scheint die poli­ti­sche Auf­wer­tung des WSF zu einem Akteur eher als Aus­druck von Hilf­lo­sig­keit. Hand­lungs­fä­hig­keit, und davon war Dakar ja wie­der­um ein Beleg und Ägyp­ten ließ grü­ßen, stellt sich kom­ple­xer und kon­tin­gen­ter her.

Ausblick

Auf der Ebe­ne trans­na­tio­na­ler Stra­te­gie­ent­wick­lun­gen könn­te in den kom­men­den Jah­ren eine zuneh­men­de Süd-Süd-Ver­net­zung von Intel­lek­tu­el­len und Akti­vis­tIn­nen mit teil­wei­se gutem Zugang zu pro­gres­si­ven Regie­run­gen wich­ti­ger wer­den. In Dakar gab es dazu ein von Samir Amin initi­ier­tes Tref­fen und in den kom­men­den Mona­ten soll ein Arbeits­pro­gramm for­mu­liert wer­den. Inter­es­sant wird hier in Zukunft sein, wie bei pro­gres­si­ven Kräf­ten damit umge­gan­gen wird, dass die aktu­el­len poli­ti­schen und öko­no­mi­schen Süd-Süd-Koope­ra­tio­nen oft genug sub­im­pe­ri­al imprä­gniert sind, denn die Regie­run­gen Bra­si­li­ens, Chi­nas, Indi­ens oder Süd­afri­kas bean­spru­chen eine Füh­rungs­rol­le für ihre Regi­on oder „den“ Süden. Die mas­siv zuge­nom­me­nen west­afri­ka­ni­schen Lebens­mit­tel­im­por­te aus Bra­si­li­en stel­len für die Land­wirt­schaft eben­so eine Gefahr dar wie jene aus Europa.

Das Forum steht für einen lang­at­mi­gen Pro­zess. Das geht mit Rück­schlä­gen ein­her wie etwa die kei­nes­wegs pro­gres­si­ve Bear­bei­tung der Wirt­schafts- und Finanz­kri­se, wodurch die glo­ba­len Pro­ble­me eher ver­grö­ßert wer­den und inner­halb sozia­ler Bewe­gun­gen ten­den­zi­ell für Frus­tra­ti­on sor­gen. Immer wie­der wur­de auch Kri­tik dar­an geäu­ßert, dass der Sozi­al­fo­rums­pro­zess in Euro­pa nicht funk­tio­niert. Doch es gibt kei­ne Alter­na­ti­ve dazu, in auf­wen­di­gen Such- und Lern­pro­zes­sen trans­na­tio­na­les Momen­tum zu gewin­nen. In eini­gen Berei­chen scheint das zu gelin­gen, in ande­ren weniger.

In Euro­pa bestehen dafür nach dem desas­trö­sen Euro­päi­schen Sozi­al­fo­rum im letz­ten Som­mer kaum Anknüp­fungs­punk­te. Ganz im Gegen­teil offen­bar zu dem kurz vor dem ESF statt­ge­fun­de­nen US-ame­ri­ka­ni­schen Sozi­al­fo­rum. Vie­le berich­te­ten von dem Tref­fen in Detroit im letz­ten Juni fast eupho­risch, da es gelun­gen sei, vie­le Men­schen zu invol­vie­ren, eine Kul­tur des Zuhö­rens und Aus­tausch zu schaf­fen und die eine oder ande­re Per­spek­ti­ve ver­bind­li­cher Koope­ra­ti­on zu entwickeln.

Das WSF in Dakar ist mit dem ESF 2010 auf kei­nen Fall ver­gleich­bar. Und den­noch hat­te man bei bei­den Tref­fen teil­wei­se (und wirk­lich nur teil­wei­se!) den Ein­druck, dass es nicht um das geht, wofür die Sozi­al­fo­rums­be­we­gung geschaf­fen wur­de: Eman­zi­pa­to­ri­sche Poli­ti­ken auf der Höhe der Zeit und unter gar nicht gemüt­li­chen Bedin­gun­gen zu formulieren.

Es gibt aber kei­ne Alter­na­ti­ve zum WSF. Es muss sich, um ein immer wie­der gebrauch­tes Wort zu nut­zen, mit der Unter­stüt­zung vie­ler neu erfin­den, damit es ein struk­tu­rier­ter wie struk­tu­rie­ren­der Raum ist und von ihm Impul­se aus­ge­hen. Ob es dafür bes­ser zum wie­der­hol­ten Male an den­sel­ben Orten statt­fin­det, also in gewis­ser Wei­se zwi­schen drei oder vier Orten wan­dert, um das so drin­gend benö­tig­te orga­ni­sa­to­ri­sche Erfah­rungs­wis­sen zu akku­mu­lie­ren, ist eine so offe­ne wie wich­ti­ge Fra­ge. Auf jeden Fall soll­te es dort statt­fin­den, wo es dyna­mi­sche Bewe­gun­gen gibt, es also in der Erfah­rung der Bewe­gun­gen vor Ort um etwas geht und das auch prak­tisch ange­gan­gen wird.

Die­ser Bei­trag erscheint hier in gekürz­ter Form. Der Autor dankt der Rosa-Luxem­burg-Stif­tung dafür, dass sie ihm die Teil­nah­me am WSF ermög­lich­te. Kurz­ver­sio­nen des Bei­tra­ges erschie­nen zB auch in „Freitag.online“ und „Wie­ner Zei­tung“.

http://fsm2011.org/en


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Studiengebühren

13. Dezember 2010 – 23:14 Uhr

Feh­ler machen bekannt­lich bes­ten­falls dann einen Sinn, wenn man dar­aus lernt. Die SPÖ scheint den Feh­ler, die Stu­di­en­ge­büh­ren unter Gusen­bau­er zunächst wei­ter tole­riert zu haben, dem­nach völ­lig umsonst gemacht zu haben. Jeden­falls platzt die Aus­sa­ge, dass diver­se füh­ren­de SPÖ-Poli­ti­ker Stu­di­en­ge­büh­ren nicht (mehr) ableh­nen (sie­he etwa bei Der Stan­dard) mit­ten in die von Wis­sen­schafts­mi­nis­te­rin Karl (ÖVP) los­ge­tre­te­ne Debat­te um Zulas­sungs­be­schrän­kun­gen und Stu­di­en­ge­büh­ren. Häu­pl und Kräu­ter berei­ten damit einer unsäg­li­chen Debat­te über die Fra­ge der Ein­schrän­kung des Hoch­schul­zu­gangs den Weg; einer Debat­te, in der die SPÖ nur ver­lie­ren kann, da sie gegen die eige­ne Pro­gram­ma­tik gerich­tet ist.

Die zentralen Argumente

Die Argu­men­te gegen Stu­di­en­ge­büh­ren sind hin­läng­lich bekannt. In aller Kür­ze für die nun ein­set­zen­de Debat­te noch mal:

  1. Es gibt kei­ne sozi­al gerech­ten Stu­di­en­ge­büh­ren. Stu­di­en­ge­büh­ren ver­teu­ern das Stu­di­um, was zwangs­läu­fig dazu führt, dass die Zah­lungs­schwächs­ten auf der Stre­cke blei­ben. Es ist zudem bekannt, dass sich Kin­der aus soge­nann­ten „bil­dungs­fer­nen“ Eltern­häu­sern schwe­rer tun mit einer Ver­schul­dung zur Finan­zie­rung von Gebüh­ren. Daher lässt sich das Pro­blem der sozia­len Selek­ti­vi­tät auch nicht durch die Ver­schie­bung des Zeit­punkts der Fäl­lig­keit der Gebüh­ren lösen. Hier sei auf das Bei­spiel Aus­tra­li­en ver­wie­sen.
  2. Die­ses Pro­blem lässt sich auch nicht dadurch lösen, dass die Zah­lung der Gebüh­ren an das Ein­kom­men der Eltern gekop­pelt wird. Hier ver­schiebt sich ledig­lich das Pro­blem: Stu­die­ren­de wer­den dann in ers­ter Linie als die Kin­der ihrer Eltern und nicht als erwach­se­ne Men­schen begrif­fen. Wenn die Eltern jedoch der Mei­nung sind, dass Phi­lo­so­phie ein über­flüs­si­ges Stu­di­um ist und/​oder dass bspw. Frau­en eigent­lich eh eine ande­re „Bestim­mung“ hät­ten, dann hilft der Ver­weis auf die Eltern nicht weiter.
  3. Stu­di­en­ge­büh­ren ver­än­dern den Bil­dungs­be­griff. Bis­her ist ein erheb­li­cher Teil der Stu­die­ren­den zumin­dest auch intrinsisch moti­viert. Es geht um Erkennt­nis­ge­winn, das Aneig­nen von Wis­sen, das Ent­wi­ckeln einer Per­sön­lich­keit usw. Klar ist: Auch heu­te spie­len die Berufs­aus­sich­ten eine Rol­le. Mit Stu­di­en­ge­büh­ren wird das Stu­di­um jedoch zu einer ›Inves­ti­ti­on in das eige­ne Human­ka­pi­tal‹ mit ent­spre­chen­den Ein­kom­mens­er­war­tun­gen als ›Return on Invest­ment‹. Das ver­än­dert mas­siv den Bil­dungs­be­griff und wirkt sich auch auf die Fächer­wahl aus. Die­se erfolgt dann eben nicht (über­wie­gend) nach Nei­gun­gen und Fähig­kei­ten, son­dern nach ver­meint­li­chen Arbeits­markt­per­spek­ti­ven. Auf einen wei­ter­füh­ren­den Bei­trag zum The­ma Human­ka­pi­tal von Ulf Ban­sche­rus sei ver­wie­sen.
  4. Ent­ge­gen aller Behaup­tun­gen haben die Stu­die­ren­den durch Stu­di­en­ge­büh­ren nicht mehr Ein­fluss auf die Leh­re. Zwar ändert sich die Erwar­tungs­hal­tung der Stu­die­ren­den, als ato­mi­sier­tes Indi­vi­du­um ist die Aus­übung von Druck jedoch kaum mög­lich. Zudem ist ein Stu­di­en­ort­wech­sel mit erheb­li­chen Hür­den ver­se­hen (Woh­nung, Freun­des­kreis, Job…) und daher nicht mög­lich, nur weil einem die Vor­le­sung X nicht passt.

Gerechtigkeitsbegriff…

Die Argu­men­ta­ti­on der SPÖ ist an Stel­le beson­ders ver­quer: Es wird sug­ge­riert, der Ver­zicht auf Stu­di­en­ge­büh­ren sei unge­recht, da auch Kin­der rei­cher Eltern die­se Stu­di­en­ge­büh­ren nicht zah­len. Wie ver­quer die­se Logik ist hat Son­ja Staack wun­der­bar dar­ge­legt, auf die­sen Text sei daher ver­wie­sen. In aller Kür­ze stellt sich jedoch die Fra­ge, wer denn unter Stu­di­en­ge­büh­ren lei­den wür­de? Sicher ist: Wer ver­mö­gen­de Eltern hat und sich mit den Eltern nicht zer­strit­ten hat (etwa über die Fra­ge des Stu­di­en­fa­ches), der hat mit Stu­di­en­ge­büh­ren kei­ner­lei Pro­ble­me. Wer aller­dings unsi­cher ist, kei­ne aka­de­mi­schen „Vor­bil­der“ in der Fami­lie hat, finan­zi­ell nicht begü­tert ist, der wird dann ver­mut­lich auf ein Stu­di­um ver­zich­ten. Unter­su­chun­gen des Hoch­schul-Infor­ma­ti­on-Sys­tems (HIS) für Deutsch­land sagen: Allei­ne 500 Euro Stu­di­en­ge­büh­ren im Semes­ter in eini­gen Bun­des­län­dern haben bis zu 18.000 jun­ge Men­schen vom Stu­di­um abgehalten.

Die Debat­te über die sozia­le Unge­rech­tig­keit öffent­li­cher Leis­tun­gen ist eine Schein­de­bat­te. Wenn die SPÖ Gerech­tig­keit ein­for­dert, dann soll sie end­lich das Steu­er­sys­tem refor­mie­ren und dafür sor­gen, dass ins­be­son­de­re Ver­mö­gen­de ange­mes­sen zur Finan­zie­rung öffent­li­cher Auf­ga­ben bei­tra­gen. Anstatt ÖVP-Debat­ten zu füh­ren wäre hier eine Mög­lich­keit sinn­voll über die Fra­ge der Ver­tei­lung von Armut, Reich­tum und Chan­cen zu dis­ku­tie­ren – und nicht bei Studiengebühren.

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Budgetkonsolidierung: Eine Bestandsaufnahme

9. Dezember 2010 – 11:29 Uhr

Ange­sichts der nun ein­ge­schla­ge­nen, kon­kre­ti­sier­ten Wege der Bud­get­kon­so­li­die­rung ver­här­ten sich die Anzei­chen für einen „Neo­li­be­ra­lis­mus rel­oa­ded“ in Euro­pa. Dies äußert sich gera­de auch in der Kon­ti­nui­tät einer Poli­tik, die sozia­le Ungleich­hei­ten ver­schärft und wohl­fahrts­staat­li­che Hand­lungs­spiel­räu­me sys­te­ma­tisch ein­schränkt. Es zeigt sich immer kla­rer, dass sich das Spar-Man­tra von OECD, EZB, EU-Kom­mis­si­on sowie Wirt­schafts­lob­bys und ihren Par­tei­en weit­ge­hend durch­ge­setzt hat, wenn auch nicht in dem zu befürch­ten­den Aus­maß. Dafür wird der Euro­päi­sche Sta­bi­li­täts­pakt deut­lich ver­schärft, sodass noch lan­ge nach der Kri­se die Euro­päi­sche Aus­teri­täts­po­li­tik spür­bar sein wird. Auch die ver­schärf­te Durch­set­zung der bereits vor der Kri­se ins Sto­cken gera­te­nen neo­li­be­ra­len Reform­po­li­tik kommt in Gang, wie die Arbeits­markt­fle­xi­bi­li­sie­rung in Spa­ni­en, die Ren­ten­re­for­men, die schwer­punkt­mä­ßi­gen Kür­zun­gen im öffent­li­chen Sek­tor und der weit­ge­hend auf­recht erhal­te­ne Zustand dere­gu­lier­ter Finanz­märk­te zei­gen. Selbst sozi­al­li­be­ra­le Nuan­cen wie das Fle­xi­cu­ri­ty-Modell in Däne­mark gera­ten unter Druck. Ein­nah­men­sei­tig wer­den tat­säch­lich in ers­ter Linie Mas­sen­steu­ern erhöht, mit denen nun vor allem ärme­ren Haus­hal­ten Las­ter finan­zi­ell aus­ge­trie­ben wer­den sol­len (Tabak, Alko­hol, Energieverbrauch).


Die kri­ti­schen Stim­men, die vor einer neu­er­li­chen Rezes­si­on oder zumin­dest Sta­gna­ti­on in der Euro­zo­ne war­nen, wer­den wie­der lau­ter und kom­men selbst aus dem IWF. Gera­de für die beson­ders stark getrof­fe­nen Län­der Irland, Spa­ni­en, Por­tu­gal und Grie­chen­land über­wiegt wei­ter­hin die Skep­sis bezüg­lich einer raschen Über­win­dung der Kri­se. Die Arbeits­lo­sig­keit ver­harrt auf hohem Niveau mit unver­meid­li­chen nega­ti­ven Fol­gen nicht nur für die Betroffenen.


AT: Ein Kompromiss zu Gunsten der wenigen, die die Krisenkosten hätten tragen können und sollen

Die Regie­rung hat sich Ende Okto­ber auf ihre kon­kre­ten Kon­so­li­die­rungs­maß­nah­men geei­nigt. Gemes­sen an ihren eige­nen Ankün­di­gun­gen im Früh­jahr die­ses Jah­res (mehr dazu hier) ist der nun getrof­fe­ne Kom­pro­miss ins­ge­samt weit glimpf­li­cher aus­ge­fal­len, als damals zu befürch­ten war. Die bis zu 4,2 Mrd Euro an Ein­spa­run­gen und Steu­er­erhö­hun­gen wur­den fast hal­biert, nicht zuletzt durch Offen­siv­maß­nah­men, dh zusätz­li­che Mit­telim Umfang von 400 Mio Euro für den Aus­bau der Ganz­ta­ges­schul­plät­ze, Uni­ver­si­tä­ten, For­schung und ther­mi­sche Gebäu­de­sa­nie­rung. Mit der Ban­ken­ab­ga­be, der Besteue­rung von Wert­pa­pier­zu­wäch­sen, Ein­schrän­kun­gen von Stif­tungs- und Unter­neh­mens­steu­er­vor­tei­len und einer ver­schärf­ten Betrugs­be­kämp­fung wur­den erst­mals seit lan­gem der Abwärts­trend bei ver­mö­gens- und kapi­tal­ertrags­be­zo­ge­nen Steu­ern umge­kehrt. Ledig­lich im Fami­li­en­be­reich fie­len die Kür­zun­gen här­ter aus und tref­fen ein­zel­ne Grup­pen – ins­be­son­de­re Stu­die­ren­de – über­ra­schend stark.


Der sprin­gen­de Punkt ist aller­dings, dass ein glimpf­li­ches noch kein gutes Ergeb­nis ist. Man kann nicht oft genug wie­der­ho­len, dass das Bud­get­de­fi­zit die Fol­ge der stärks­ten Kri­se des kapi­ta­lis­ti­schen Wirt­schafts­sys­tems seit 80 Jah­ren ist. Das aktu­el­le Kon­so­li­die­rungs­pa­ket ist dar­auf eine mehr als unbe­frie­di­gen­de Reak­ti­on. Wenn Finanz­wirt­schaft und Rei­che über Jah­re stän­dig stei­gen­de Ein­kom­men und Ver­mö­gen durch ein – letzt­lich von der All­ge­mein­heit zu sanie­ren­des – kri­sen­an­fäl­li­ges Wachs­tums­mo­dell bei sin­ken­den Abga­ben­an­tei­len ver­zeich­nen konn­ten, ist ein klei­ner Bei­trag zur Fol­gen­be­wäl­ti­gung der Kri­se nun deut­lich zu wenig. Vor allem, wenn sie – etwa im Gegen­satz zu den nun beson­ders belas­te­ten Stu­die­ren­den – gera­de durch die staat­li­chen Kri­sen­maß­nah­men bereits wie­der kräf­ti­ge Ver­mö­gens­zu­wäch­se ver­zeich­nen konn­ten: Gemäß Arbei­ter­kam­mer erreich­te das pri­va­te Net­to­geld­ver­mö­gen 2009 bereits wie­der neue Rekord­wer­te. Allein der Wert der Akti­en der Ers­te Bank stieg in den ers­ten sechs Mona­ten nach der staat­li­chen Stüt­zungs­ak­ti­on um 7 Mrd Euro – fast zur Gän­ze steuerfrei.


Es ist kein Trost, dass die­ser sehr klei­ne Schritt hin zu stär­ke­ren Besteue­rung Ver­mö­gen­der dem euro­päi­schen Mus­ter von Bud­get­kon­so­li­die­run­gen folgt: sym­bo­li­sche Bei­trä­ge jener, die es sich leis­ten könn­ten, und har­te Ein­schnit­te – zT jen­seits der Schmerz­gren­ze – für ein­zel­ne Grup­pen mit schwä­che­rem Ein­kom­men: Hartz-IV-Emp­fän­ge­rIn­nen in Deutsch­land, arbeits­lo­se oder stu­die­ren­de Jugend­li­che in Öster­reich, öffent­lich Bediens­te­te und Pen­sio­nis­tIn­nen fast über­all. Das Ver­ur­sa­cher­prin­zip wur­de weit­ge­hend eben­so aus­ge­blen­det wie die in der Kri­se noch­mals redu­zier­te Steu­er- und Abga­ben­quo­te. Statt­des­sen wur­de so getan als ob plötz­lich über­bor­den­de Sozi­al­leis­tun­gen maß­geb­lich zu den hohen Defi­zi­ten geführt hät­ten – obwohl das natür­lich nicht der Fall war, wie zumin­dest für Öster­reich nach­ge­rech­net wurde.


Ausgabenseitige Konsolidierung mit wenig Licht und viel Schatten

Der größ­te Feh­ler neben der zu gerin­gen Anhe­bung der ver­mö­gens­be­zo­ge­nen Steu­ern betrifft die Art und Wei­se, wie die Aus­ga­ben gekürzt wur­den: Statt gezielt bei dis­kus­si­ons­wür­di­gen bzw nicht mehr zeit­ge­mä­ßen Aus­ga­ben ein­zu­spa­ren, mit­tel­fris­ti­ge Struk­tur­re­for­men zumin­dest zu begin­nen und im Zwei­fels­fall auch teu­re Steu­er­vor­tei­le im Pri­vat­pen­si­ons- oder Fami­li­en­be­reich als zu kür­zen­de Kos­ten in Betracht zu zie­hen, hielt man sich weit­ge­hend an die im April im Zuge des Bun­des­fi­nanz­rah­men­ge­setz fest­ge­leg­te „Rasen­mä­her­me­tho­de“. Hier­bei wur­de ein­fach in allen Berei­chen der­sel­be Pro­zent­satz abge­schnit­ten – ledig­lich sen­si­ble Berei­che wie Bil­dung und Arbeits­markt wur­den mit „höhe­ren Schnitt­stu­fen“ etwas geschont. Damit war bereits im April besie­gelt, dass es etwa bei der Fami­li­en­för­de­rung zu emp­find­li­chen Ein­schnit­ten kom­men wird. Aus­ga­ben­kür­zun­gen oder –umschich­tun­gen der Bun­des­län­der waren zudem nur rhe­to­risch ein Thema.


Wenn man sich die kon­kre­ten Maß­nah­men ansieht, so fällt zunächst das eigent­lich offen­sicht­li­che auf: mil­li­ar­den­schwe­re Aus­ga­ben­kür­zun­gen sind kurz­fris­tig nur durch unbe­lieb­te Leis­tungs­kür­zun­gen mög­lich. Auf den zwei­ten Blick ist eine dif­fe­ren­zier­te Betrach­tung ange­bracht. Wäh­rend es in den Bud­ge­tun­ter­glie­de­run­gen wie bei­spiels­wei­se Pen­sio­nen und Gesund­heit rela­tiv gut gelun­gen ist, die nega­ti­ven Effek­te zu beschrän­ken, sticht der Fami­li­en­be­reich nega­tiv her­vor. Statt wenig effek­ti­ve und eher Bes­ser­ver­die­ne­rIn­nen zu Gute kom­men­de teu­re Steu­er­vor­tei­le wie ins­be­son­de­re den Kin­der­frei­be­trag abzu­schaf­fen, wer­den Stu­die­ren­de und arbeits­lo­se Jugend­li­che bzw. deren Eltern beson­ders hart getrof­fen. Wegen rela­tiv gerin­gen Sum­men wur­de zunächst eine Ein­schrän­kung des frei­en Zugangs zum Jus­tiz­sys­tem ris­kiert, ehe noch vor der Bud­get­re­de ein Abschlei­fen erfolg­te. Im Bil­dungs- und Wis­sen­schafts­be­reich gibt es zwar jeweils 80 Mio Euro zusätz­lich im Jahr, doch gleich­zei­tig wer­den sinn­vol­le Aus­ga­ben – etwa für das Nach­ho­len von Bil­dungs­ab­schlüs­sen, anwen­dungs­ori­en­tier­te­re außer­uni­ver­si­tä­re For­schungs­ein­rich­tun­gen oder Bau- und För­der­maß­nah­men für Men­schen mit Behin­de­rung – gekürzt oder ver­scho­ben. Im Bereich der Ent­wick­lungs­fi­nan­zie­rung, wo Öster­reich bereits bis­her am unters­ten Ende inner­halb der EU zu fin­den und weit ent­fernt von den eige­nen Zie­len bzw. jenen in inter­na­tio­na­len Abkom­men war, wer­den die Aus­ga­ben noch­mals deut­lich redu­ziert. All das hät­te nicht nur sym­bo­lisch abge­schlif­fen, son­dern tat­säch­lich geän­dert wer­den müssen.


In vie­ler­lei Hin­sicht ist das Sze­na­rio eines „Abbaus der Kri­sen­schul­den auf Kos­ten von Zukunfts­in­ves­ti­tio­nen“ ein­ge­tre­ten. Dafür ist ins­be­son­de­re ver­ant­wort­lich, dass die Abga­ben­quo­te von Ver­mö­gen im inter­na­tio­na­len Ver­gleich wei­ter­hin rekord­ver­däch­tig nied­rig bleibt. Statt über­wie­gend auf höhe­re ver­mö­gens­be­zo­ge­ne Steu­ern zum Abbau der Kri­sen­schul­den zu set­zen, wur­de ent­ge­gen der Pröll’schen Rhe­to­rik auf die „Zukunft unse­rer Kin­der“ gera­de nicht geach­tet. Gro­ße Bil­dungs­re­for­men feh­len, ihren Eltern wur­den Bei­hil­fen gekürzt und auch zu Las­ten not­wen­di­ger Zukunfts­in­ves­ti­tio­nen wur­de gespart: zu wenig für qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­ge Bil­dung, kei­ne nach­hal­ti­ge Lösung der Pfle­ge­pro­ble­ma­tik, kei­ne neu­en Mit­tel für die Kin­der­be­treu­ung oder Inte­gra­ti­ons­för­de­rung und nur zag­haf­te Schrit­te Rich­tung Ener­gie­wen­de. So blieb von der „Her­zens­an­ge­le­gen­heit“ des Finanz­mi­nis­ters weit­ge­hend nicht mehr als Frust in der Bevöl­ke­rung übrig, die sich mehr als den kleins­ten gemein­sa­men groß­ko­ali­tio­nä­ren Nen­ner erwar­tet hätte.

25 Jahre BEIGEWUM

29. November 2010 – 19:20 Uhr

In den ver­gan­ge­nen 25 Jah­ren haben sich die öko­no­mi­schen, gesell­schaft­li­chen und poli­ti­schen Zustän­de gra­vie­rend ver­än­dert – und mit ihnen auch das Selbst­ver­ständ­nis und die Auf­ga­ben des BEIGEWUM. Anläss­lich sei­nes 25-jäh­ri­gen Geburts­ta­ges dis­ku­tier­ten Bri­git­te Unger (Depart­ment of Public Sec­tor Eco­no­mics, Utrecht Uni­ver­si­ty School of Eco­no­mics), Karin Fischer (Abtei­lung für Poli­tik- und Ent­wick­lungs­for­schung am Insti­tut für Sozio­lo­gie, Uni­ver­si­tät Linz), Jörg Fle­cker (FORBA – For­schungs- und Bera­tungs­stel­le Arbeits­welt), Gun­du­la Lud­wig (Zen­trum für Gen­der Stu­dies und femi­nis­ti­sche Zukunfts­for­schung der Uni­ver­si­tät Mar­burg) und Heinz Stei­nert (em. Insti­tut für Gesell­schafts- und Poli­tik­ana­ly­se, Uni­ver­si­tät Frank­furt) gemein­sam mit Beat Weber (BEIGEWUM) die­se Ver­än­de­run­gen unter der Fra­ge: „Wel­ches Wis­sen gegen die Krise?“.

„Nie war der Krieg zwi­schen Main­stream-Öko­nom­In­nen und Kri­ti­schen Öko­nom­In­nen grö­ßer als jetzt“

In der Key Note Speak stell­te Bri­git­te Unger über­blicks­ar­tig die Ände­run­gen seit den 1980er Jah­ren dar: vom stär­ker wer­den­den Neo­li­be­ra­lis­mus und dem „abhe­ben“ der Finanz­märk­te bis zur heu­ti­gen Situa­ti­on, in der die öko­no­mi­schen Varia­blen (wie Ein­kom­mens­ver­tei­lung, Arbeits­lo­sig­keit und Leis­tungs­bi­lan­zen) soweit aus­ein­an­der­klaf­fen wie nie zuvor. Im Bereich der Wis­sen­schaf­ten wei­sen zwar auch füh­ren­de Öko­no­men, wie Krug­man oder Stiglitz, auf die star­ken Ungleich­hei­ten hin, den­noch ist der Kampf zwi­schen Main­stream-Öko­nom­In­nen und Kri­ti­schen Öko­nom­In­nen noch stär­ker als vor der Kri­se. Auf­ga­be des BEIGEWUM muss es sein Fach­in­for­ma­tio­nen für die Öffent­lich­keit zu „über­set­zen“. Heu­te gilt es ins­be­son­de­re finanz­tech­ni­sche Fra­gen zu „ent­zau­bern“ und in poli­ti­sche Fra­gen zu „über­set­zen“.

Die Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten des Kapi­ta­lis­mus relativieren“
Heinz Stei­nert mach­te deut­lich, dass es unse­re Auf­ga­be ist und bleibt zu zei­gen, dass man „die Din­ge“ auch ganz anders den­ken kann und dass es ein „ande­res Wis­sen“ als die Main­stream-Öko­no­mie gibt. Wäh­rend der Kri­se gab es eine kur­ze Zeit, in der sich Neo­li­be­ra­le – auch in der Öffent­lich­keit – bla­miert haben – in die­se Lücken gilt es hin­ein­zu­sto­ßen. Aller­dings mach­te Stei­nert auch die zen­tra­le Bedeu­tung der Medi­en bei der schnel­len Wie­der­her­stel­lung der neo­li­be­ra­len Hege­mo­nie deut­lich. Kri­sen­zei­ten bie­ten meist kei­ne Chan­cen, radi­ka­le For­de­run­gen umzu­set­zen, die Men­schen und Öffent­lich­keit wer­den eher kon­ser­va­tiv und wün­schen sich die Zustän­de aus Vor­kri­sen­zei­ten zurück. Auf­ga­be des BEIGEWUM muss es sein, die Pro­ble­me des Kapi­ta­lis­mus auf­zu­zei­gen und dabei alle mög­li­chen Mit­tel und For­men zu nut­zen. Ein wich­ti­ger Ansatz­punkt sind die Lebens­ver­hält­nis­se der Men­schen, denn Gesell­schaft ändert sich, wenn die Leu­te anders leben. 

„Auf die Uni­ver­si­tä­ten kann als Ort Kri­ti­scher Wis­sen­schaf­ten nicht ver­zich­tet werden“ 

Auch wenn Gun­du­la Lud­wig dar­auf hin­wies, dass die Uni­ver­si­tä­ten nie „der“ lin­ke Ort waren, hat sich ihre Situa­ti­on seit Mit­te der 1990er Jah­re deut­lich ver­schärft. Dies lässt sich in ver­schie­de­nen Dimen­sio­nen fest­stel­len: der Öko­no­mi­sie­rung des Sozia­len (ver­stärk­te Effi­zi­enz­ge­dan­ken, mehr For­schung statt Leh­re), den Bedin­gun­gen des Arbei­tens (hoher Druck für alle Hoch­schul­mit­glie­der, nicht nur die Hoch­schu­len, auch die Sub­jek­te soll­ten zum „Unter­neh­mer ihrer selbst“ wer­den), par­al­lel zur Öko­no­mi­sie­rung der Uni­ver­si­tä­ten fin­det eine Ent­de­mo­kra­ti­sie­rung statt. Dar­aus abge­lei­tet muss die Kri­tik zen­tral an der Ent­de­mo­kra­ti­sie­rung und den Arbeits­ver­hält­nis­sen in Zusam­men­hang mit den Lebens­wei­sen anset­zen. Es soll­te über Pra­xen der Ver­wei­ge­rung nach­ge­dacht wer­den und zudem eine kri­ti­sche Selbst­re­fle­xi­on statt­fin­den, denn auch für vie­le Wis­sen­schaft­le­rIn­nen ist das Kon­zept des/​der „Unter­neh­me­rIn seiner/​ihrer selbst“ ver­füh­re­risch. Wich­tig bleibt es, die ver­meint­li­chen Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten auf­zu­bre­chen und immer wie­der auch „außer­halb des Kapi­ta­lis­mus“ zu den­ken. Der Ansatz, Infor­ma­tio­nen zu „über­set­zen“, ist zwar rich­tig, aber es braucht auch noch mehr „ande­res“ Wissen.

Es ist eine Illu­si­on zu glau­ben, dass die Spar­pa­ke­te so von der Gesell­schaft hin­ge­nom­men werden“
Jörg Fle­cker berich­te­te über den Wan­del der Zie­le der (außer­uni­ver­si­tä­ren) For­schung. So sind heu­te viel weni­ger Regie­run­gen oder die EU-Kom­mis­si­on direk­te Adres­sa­ten von For­schungs­er­geb­nis­sen. Viel­mehr wird zu span­nen­den Fra­ge­stel­lun­gen gear­bei­tet und gehofft, dass unbe­kann­te Nut­ze­rIn­nen die Ergeb­nis­se auf­grei­fen und ver­wen­den kön­nen. Jedoch ermög­li­chen För­de­run­gen insb. im Bereich der EU immer wie­der die Schaf­fung von Frei­räu­men, in denen Wis­sen gegen den Main­stream gene­riert wer­den kann. Die aktu­ell geplan­te Strei­chung der Basis­för­de­rung für unab­hän­gi­ge Insti­tu­te wird es aller­dings sehr schwer machen, nach­hal­tig kri­ti­sche Wis­sen­schaft zu betrei­ben. Die gegen­wär­ti­ge Situa­ti­on hält Jörg Fle­cker für sehr irri­tie­rend: sah es anfangs kurz so aus, als sei­en die Markt­ra­di­ka­len schwer von der Kri­se getrof­fen wor­den, war bald klar, dass dras­ti­sche Spar­pa­ke­te kom­men wer­den. Dies trifft nun ein und einer­seits ent­steht das Gefühl, die­sen voll­kom­men macht­los gegen­über zu ste­hen, ander­seits glaubt Fle­cker nicht, dass die Gesell­schaft die­se Ein­schnit­te ohne wei­te­res hin­neh­men wird. 

„Wir soll­ten uns nicht die klei­nen Schrit­te auf­zwin­gen lassen“

Für einen glo­bal­his­to­risch erwei­ter­ten Blick auf die Kri­se plä­dier­te Karin Fischer. Es ist not­wen­dig, in die Kri­sen­ana­ly­sen grö­ße­re Zeit­räu­me als auch die Süd­per­spek­ti­ve ein­zu­be­zie­hen. Auch in den Süd­län­dern ist die enor­me Kri­sen­haf­tig­keit des Kapi­ta­lis­mus schon  seit den 80er Jah­ren zu spü­ren. Aller­dings gibt es auch Län­der, deren Öko­no­mien gera­de wach­sen kön­nen und sol­che, die mit anti­zy­kli­scher Poli­tik und Ban­ken­re­gu­lie­rung posi­ti­ve Bei­spie­le set­zen kön­nen. Jedoch müs­sen die Hoff­nung auf Latein­ame­ri­ka und die der­zei­ti­gen Ver­schie­bun­gen von Zen­trum- Peri­phe­rie­gren­zen, durch die Regio­nal­mäch­te auf­ge­wer­tet wer­den, auch immer kri­tisch reflek­tiert wer­den, da noch nicht klar ist, wie eman­zi­pa­to­risch die­se Ver­än­de­run­gen sind. Von ent­schei­den­der Bedeu­tung wird es sein, wie wich­tig demo­kra­ti­sche Fra­gen in die­ser Ent­wick­lung sind. 
Die Rück­erobe­rung der Demo­kra­tie ist aber auch ein zen­tra­ler Ansatz­punkt für kri­ti­sche Men­schen in Euro­pa. Gegen den bewuss­ten Aus­schluss von Ent­schei­dun­gen hel­fen Denk­kol­lek­ti­ve, gegen­sei­ti­ger Aus­tausch über Publi­ka­ti­ons­or­ga­ne und das gemein­sa­me Arbei­ten an poli­ti­schen Perspektiven.

Der Abend ende­te mit Dank und Glück­wün­schen für 25 Jah­re BEI­GEWUM-Arbeit und der Ermun­te­rung, die kri­ti­sche Arbeit fortzusetzen.

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Krise: Zwischenstop in Irland

26. November 2010 – 12:56 Uhr

Der­zeit hält die Kri­se in Irland. Mit Sicher­heit wird es nicht die letz­te Sta­ti­on sein.  EU und IWF schnü­ren an einem Hilfs­pa­ket von bis zu 100 Mil­li­ar­den Euro, um die Bewäl­ti­gung der hohen  Schul­den der iri­schen Ban­ken zu meistern.


Ähn­lich wie Island war Irland lan­ge Zeit ein neo­li­be­ra­ler Mus­ter­staat: Unter­neh­mens­steu­er-Dum­ping, hohe wirt­schaft­li­che Anpas­sungs­be­reit­schaft, Bud­get­über­schüs­se, tol­les Wachs­tum. 2008 stell­te sich her­aus, dass der Wohl­stand nicht Ergeb­nis einer erfolg­rei­chen wirt­schafts­po­li­ti­schen Linie, son­dern einer kre­dit­fi­nan­zier­ten Immo­bi­li­en­bla­se war, deren Plat­zen zu einem Schul­den­berg führ­te. Die­ser Schul­den­berg über­stieg anfangs die Kräf­te der Ban­ken, die dar­auf­hin staat­lich unter­stützt bzw. ganz ver­staat­licht wur­den. Durch das Ein­tref­fen lau­fen­der Kor­rek­tu­ren der Ver­lust­schät­zun­gen der Ban­ken nach oben über­steigt er nun auch die Kräf­te des Lan­des (das mit einer Garan­tie­er­klä­rung für sämt­li­che Ein­la­gen über das zwei­ein­halb­fa­che der jähr­li­chen Wirt­schafts­leis­tung schon 2008 eine gigan­ti­sche Ansa­ge getrof­fen hat­te). Wenn nach Irland auch Por­tu­gal, dann Spa­ni­en und viel­leicht Ita­li­en die Kräf­te aus­ge­hen, ist wohl auch die nächst­hö­he­re Sicher­heits­netz-Ebe­ne, EU und IWF, in der Bre­douil­le. Das Schul­den-Wei­ter­rei­chen und damit Zeit kau­fen ist dann zu Ende, und die Stun­de der For­de­rungs­ver­zich­te schlägt. Die ers­ten Ver­zich­te hat ein gerin­ger Teil der unbe­si­cher­ten Anlei­he­hal­ter der Anglo Irish Bank (und zwar Spe­zia­lis­ten­fonds, die die­se For­de­run­gen mit Abschlä­gen von aus­län­di­schen Ban­ken erwor­ben hat­ten, in der Hoff­nung, dass sie bei den Ver­hand­lun­gen mit Anglo Irish ein biss­chen mehr raus­krie­gen als sie bezahlt haben) letz­te Woche bereits hin­ge­nom­men, wei­te­re wer­den wohl fol­gen müssen.


In einem offe­nen Brief in der Finan­cial Times hat der iri­sche Finanz­mi­nis­ter ange­kün­digt, trotz immensen Bud­get­drucks kei­nes­falls an den nied­ri­gen Unter­neh­mens­steu­er­sät­zen in Irland rüt­teln zu wol­len. Irland müs­se wach­sen, um die Schul­den­last abzu­tra­gen. Er zitiert eine OECD Stu­die, wonach eine Erhö­hung der Unter­neh­men­steu­ern mit größ­ter Wahr­schein­lich­keit das Wachs­tum behin­de­re. Irlands Regie­rung scheint den neo­li­be­ra­len Rat­schlä­gen also unge­bro­chen zu fol­gen. Mul­ti­na­tio­na­le Kon­zer­ne dro­hen Irland in der Tat mit Abwan­de­rung im Fall einer Steu­er­erhö­hung. Dass bei einer auch nur gering­fü­gi­gen Anhe­bung der Steu­ern sofor­ti­ger Mas­sen-Exo­dus statt­fin­det ist jedoch nicht zu erwar­ten, schließ­lich hat Irland auch ande­re „Stand­ort­vor­tei­le“ (Lage, Aus­bil­dungs­ni­veau, Spra­che etc.). Mit dem klas­sisch keyne­sia­ni­schen Argu­ment, eine ein­sei­ti­ge Auf­bür­dung der Anpas­sungs­las­ten auf die Schul­tern der Lohn­ab­hän­gi­gen wür­de die Mas­sen­kauf­kraft in Irland und somit auch den Unter­neh­men scha­den, wer­den die Kon­zer­ne jedoch nicht zu beein­dru­cken sein: Irland hat Züge einer ver­län­ger­ten Werk­bank, wo Mul­tis für den Export statt für den Bin­nen­kon­sum pro­du­zie­ren. Schät­zun­gen, wonach das Brut­to­so­zi­al­pro­dukt (Ein­künf­te der Staats­an­ge­hö­ri­gen) um rund ein Fünf­tel unter dem Brut­to­in­lands­pro­dukt (Ein­künf­te der Orts­an­säs­si­gen) lie­ge, sind ein Indiz, dass mas­si­ve Zuflüs­se von Aus­lands­ka­pi­tal rein der Ver­lo­ckung nied­ri­ger Steu­ern zu ver­dan­ken sind. Die­se Gel­der wer­den in Irland ver­steu­ert, in wei­te­rer Fol­ge aber über ver­zerr­te Trans­fer­prei­se inner­halb mul­ti­na­tio­na­ler Unter­neh­men wie­der ins Aus­land trans­fe­riert. In die­sem Modell abhän­gi­gen Wachs­tums bleibt Irland durch die wirt­schafts­po­li­ti­sche Wei­chen­stel­lung der Regie­rung gefan­gen. Aus der dar­über geleg­ten Finan­zia­li­sie­rung, die eine Zeit­lang die Illu­si­on von Wohl­stand über das Land brach­te, ist für abseh­ba­re Zeit die Luft raus – außer von irgend­wo­her kom­men mas­si­ve Zuströ­me von wohl­ha­ben­den Men­schen, die iri­sche Häu­ser kau­fen, und den Immo­bi­li­en­boom wie­der in Gang brin­gen. Die poli­ti­schen Eli­ten, die in kor­rup­ter Wei­se mit dem Finanz­boom ver­knüpft waren, sind dele­gi­ti­miert. Ob es zu einem sys­tem­in­ter­nen Umsturz wie in Island kom­men wird, wird sich bei den Wah­len spä­tes­tens im Früh­jahr zeigen.


Irland und die Län­der der Süd­pe­ri­phe­rie (Por­tu­gal, Ita­li­en, Spa­ni­en), die im Fokus der aktu­el­len Finanz­be­sorg­nis ste­hen haben eine auf­fäl­li­ge Gemein­sam­keit: Sie bil­den die Grup­pe mit der höchs­ten Ein­kom­mensun­gleich­heit inner­halb des Euro­raums (und gemein­sam mit ande­ren Haupt-Kri­sen­be­trof­fe­nen Lett­land und UK auch inner­halb der EU) (Gini Koef­fi­zi­ent lt. UN Defi­ni­ti­on, Wer­te von 2008). Die viel beschwo­re­nen Ungleich­ge­wich­te zwi­schen Zen­trum und Peri­phe­rie in Han­del und Finan­zie­rung wer­den ergänzt durch inter­ne Ungleich­hei­ten in den Peri­phe­rie-Län­dern. Der neo­li­be­ra­le Glau­be, Ungleich­heit sei eine not­wen­di­ge Begleit­erschei­nung von öko­no­mi­scher Pro­spe­ri­tät wird dadurch ein­mal mehr in Fra­ge gestellt. Eine wirt­schafts­po­li­ti­sche Kurs­kor­rek­tur steht nicht an. Ihre Eig­nung als kurz­fris­ti­ge Kri­sen­hil­fe in der jet­zi­gen ver­fah­re­nen Situa­ti­on wäre auch unge­wiss. Über­haupt ist die Fan­ta­sie betref­fend kurz­fris­ti­ge Lösun­gen der­zeit aller­orts ziem­lich verpufft.


Es ist jeden­falls schwer vor­stell­bar, wie es ohne eine Schul­den­re­struk­tu­rie­rung, also teil­wei­sen For­de­rungs­ver­zicht, für sämt­li­che in Dis­kus­si­on ste­hen­de Staa­ten der Euro-Peri­phe­rie (Grie­chen­land, Irland, Spa­ni­en, Por­tu­gal, Ita­li­en) wei­ter­ge­hen kann. Ein­zel­fall­lö­sun­gen hal­ten nicht, denn die Restruk­tu­rie­rung in Ein­zel­fäl­len erhöht sofort den Druck auf ver­gleich­ba­re Fäl­le (Anstieg der Finan­zie­rungs­kos­ten für Staa­ten bzw. Ban­ken aus die­sen Län­dern). Die ande­ren Staa­ten zögern mit die­ser Lösung, denn die Schul­den­re­duk­tio­nen tref­fen die For­de­run­gen der eige­nen Ban­ken und Fonds: In Deutsch­land, Frank­reich, Groß­bri­tan­ni­en etc wür­den mas­si­ve Ver­lus­te aus For­de­run­gen an Irland und Co. wei­te­re staat­li­che Ban­ken­hilfs­pa­ke­te auf die Tages­ord­nung set­zen. Die Furcht vor Domi­no­ef­fek­ten und anschlie­ßen­dem Cha­os ist groß.


Der neo­li­be­ra­le Weg aus der Sta­gna­ti­on ist geschei­tert und hat die gesam­te nörd­li­che Hemi­sphä­re in eine ver­fah­re­ne Situa­ti­on manö­vriert, in der guter Rat teu­er ist.

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Kurt W. Rothschild 1914-2010

24. November 2010 – 12:05 Uhr

Kurt W. Roth­schild ist am 15. Novem­ber 2010 von uns gegan­gen. Mit Roth­schild ver­lie­ren wir nicht nur den bedeu­tends­ten öster­rei­chi­schen Öko­no­men, son­dern mit ihm ver­lie­ren wir auch eine Per­sön­lich­keit, deren Vor­bild­wir­kung kaum hoch genug ein­ge­schätzt wer­den kann. Der Lebens­weg von Kurt Roth­schild und sei­ner Frau Val­ly, wel­che gemein­sam über knapp 75 Jah­re (!) eine äußerst lie­bens­wür­di­ge und wür­de­vol­le Bezie­hung pfleg­ten, war alles ande­re als mühe­los. Auf­ge­wach­sen in klein­bür­ger­li­chen Ver­hält­nis­sen im Roten Wien der 30er Jah­re erleb­te Roth­schild äußerst authen­tisch die fata­len öko­no­mi­schen und sozia­len Kon­se­quen­zen der 1. Welt­wirt­schafts­kri­se 1929/​30. Zwei­fels­oh­ne waren die­se Zei­ten prä­gend für Roth­schilds gesam­tes zukünf­ti­ges For­schungs­re­per­toire: Fra­gen der Arbeits­lo­sig­keit, des Außen­han­dels sowie Fra­gen der Ein­kom­mens­ver­tei­lung und der Macht in der Öko­no­mie spiel­ten immer die zen­tra­le Rol­le in Roth­schilds Werk. Die Grund­phi­lo­so­phie Roth­schilds über die Rol­le der Öko­no­mie als Wis­sen­schaft hat sich sicher­lich bereits in die­ser poli­tisch äußerst tra­gi­schen Zeit gebil­det. Roth­schild schreibt über sei­nen Grund­an­spruch an die Wis­sen­schaft 1966 in der Ein­lei­tung zu sei­nem Buch „Markt­form, Lohn und Außen­han­del“ folgendes:


Der grund­le­gen­de Stand­punkt „… besteht letz­ten Endes dar­in, dass der Natio­nal­öko­nom sich stets bewusst sein soll, daß die Theo­rie nie Selbst­zweck wer­den darf. Sie soll­te stets der gründ­li­chen Durch­leuch­tung unse­rer Umwelt die­nen, damit die­se bes­ser und men­schen­wür­di­ger gestal­tet wer­den kann.“


Die­sem anspruchs­vol­len Grund­satz folg­te Roth­schild in all sei­nen Arbeiten!


1938 muss­ten er und sei­ne Frau als jüdi­sche Bür­ge­rIn­nen gemein­sam von Öster­reich in die Schweiz flüch­ten und dann wei­ter nach Glas­gow (Schott­land) emi­grie­ren. Dort war Roth­schild bis 1947 tätig und mach­te in die­ser Zeit auch engs­te Bekannt­schaft mit der jun­gen keyne­sia­ni­schen Diskussion.

1942, im Alter von 28 Jah­ren (!), schick­te er einen Arti­kel an das Eco­no­mic Jour­nal, das dama­li­ge „Core Jour­nal“ der Öko­no­mie, des­sen Her­aus­ge­ber kein Gerin­ge­rer als John May­nard Keynes (JMK) selbst gewe­sen ist. Dazu Roth­schild im O‑Ton: „Mei­nen ers­ten theo­re­ti­schen Auf­satz, den ich gemacht habe an der Uni, habe ich im jugend­li­chen Über­mut gleich an die füh­ren­de Zeit­schrift geschickt, an das Eco­no­mic Jour­nal. Er (JMK, W.A.) war der Her­aus­ge­ber. Nach ein paar Tagen habe ich einen Brief bekom­men, wo er schrieb, das gefällt mir, das wer­de ich bringen.“


Als Roth­schild 1947 wie­der zurück nach Öster­reich kam, wur­de er nicht gera­de mit offe­nen Armen emp­fan­gen. Seit 1947 arbei­te­te Roth­schild am Öster­rei­chi­schen Insti­tut für Wirt­schafts­for­schung (WIFO) und erst 1966 bekam Roth­schild den längst über­fäl­li­gen Lehr­stuhl an der neu gegrün­de­ten Uni­ver­si­tät Linz, wo er bis zu sei­ner Eme­ri­tie­rung 1984 arbei­te­te und dabei auch die Posi­ti­on des Rek­tors inne hat­te. Seit damals leb­te Roth­schild mit sei­ner Frau in Wien, in jener beschei­de­nen Woh­nung, wel­che das Ehe­paar bereits 1947 – in einem Tausch­ge­schäft in Schott­land (!) – erstan­den hatte.


Roth­schild unter­stütz­te die Arbei­ten des BEIGEWUM von Beginn an, sowohl mora­lisch als auch in Form von zahl­rei­chen Vor­trä­gen und Buch­bei­trä­gen. Roth­schild hielt bereits 1989, bei der ers­ten gro­ßen Kon­fe­renz des BEIGEWUM („Steue­rungs­pro­ble­me der Wirt­schafts­po­li­tik – Auf dem Weg in eine ande­re Moder­ne“, BEIGEWUM 1989) das Haupt­re­fe­rat und unter­stütz­te den Ver­ein bis zuletzt. Nur die letz­te Ein­la­dung für den 9.Juni 2010 muss­te er aus gesund­heit­li­chen Grün­den ausschlagen.


Das, was Roth­schild so außer­or­dent­lich macht, ist sei­ne wis­sen­schaft­li­che Offen­heit, ver­bun­den mit einer stets kon­struk­ti­ven Dis­kus­si­on zu den unter­schied­lichs­ten Theo­rien, Metho­den und The­men. Er ist kaum jemals einer neu­en Idee abge­neigt. Aber er dis­ku­tiert die­se stets mit unnach­gie­bi­ger Stren­ge, ver­bun­den mit kon­struk­ti­ven Anmerkungen.


Auch wenn uns der genia­le Dis­kus­si­ons­part­ner Kurt Roth­schild abhan­den gekom­men ist, so hin­ter­lässt er uns einen Schatz an Lite­ra­tur, wel­chen es zu stu­die­ren und zu nut­zen gilt. Aber ich wür­de mir auch wün­schen, dass sich über die öko­no­mi­sche Wis­sen­schaft hin­aus mög­lichst vie­le Men­schen der Rothschild’schen Grund­prin­zi­pi­en anneh­men wür­den: Offen­heit, Tole­ranz, Güte und Freund­lich­keit – nahe­zu die gesam­ten huma­nis­ti­schen Grund­wer­te. Es gibt sel­ten eine Per­son, bei wel­cher Werk und Leben so eins waren – das ist das Bewun­derns­wer­tes­te bei Rothschild!


Roth­schild war uns stets eine gro­ße Hil­fe und er wird uns feh­len. Sein groß­ar­ti­ges Werk wird jedoch für immer bei uns sein. Und es wird uns noch oft hel­fen für eine gerech­te­re und sozia­le­re Welt einzutreten.


In tie­fer Trau­er und Anteilnahme!


Ein lan­ges Inter­view mit Kurt W. Roth­schild ist nach­zu­le­sen in Kurs­wech­sel 4/​2006: „Die Gefahr der Gewöhnung“

Sein aus­ge­zeich­ne­tes (und wit­zi­ges!) Kurz-Inter­view mit Rena­te Gra­ber im Stan­dard (vom 24.10.2009) ist ein „Muss“ für Jede/n!“Da hab ich mir gedacht: Habt’s mich gern“ – Kurt Roth­schild im „Anders gefragt“-Interview


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Loiperdsorfer Kompromiss

25. Oktober 2010 – 17:53 Uhr

Nein, eine Ver­mö­gen­steu­er wird es wie­der mal nicht geben. Und auch die Erb­schafts­steu­ern wer­den nicht ange­ho­ben, der Spit­zen­steu­er­satz bleibt unan­ge­tas­tet und es wird sich wenig an der unglei­chen Ein­kom­mens- und Ver­mö­gens­ver­tei­lung ändern. Aber man soll ja nicht immer nur raun­zen. So ist doch erwäh­nens­wert, dass es Steu­er­erhö­hun­gen geben wird und damit zumin­dest ein Teil der Kri­sen­kos­ten ein­nah­me­sei­tig erbracht wer­den soll. Das ist erst ein­mal erfreu­lich, da etwa Bern­hard Fel­de­rer ja noch vor nicht all­zu­lan­ger Zeit deut­lich gemacht hat, dass es vor allem um Aus­ga­ben­kür­zun­gen gehen müs­se. Und Josef Pröll hat­te im ORF-Som­mer­ge­spräch schon die Debat­te über neue Steu­ern als schäd­lich bezeich­net. In die­sem Blog hat­te ich damals geschrie­ben:

Man muss sich dies auf der Zun­ge zer­ge­hen las­sen: Josef Pröll for­dert, dass in einer Situa­ti­on der Wirt­schafts­kri­se, in der mas­siv Staats­geld zur Ret­tung von Ver­mö­gen ein­ge­setzt wur­de, nicht über Steu­ern gespro­chen wer­den darf. Es ist ein merk­wür­di­ges Demo­kra­tie­ver­ständ­nis, wenn eine der zen­tra­len Auf­ga­ben des Par­la­ments […] ent­po­li­ti­siert und einem ver­meint­li­chen Sach­zwang unter­wor­fen wer­den soll.

Es ist also erfreu­lich, dass die Spe­ku­la­ti­ons­frist bei Akti­en­ver­käu­fen abge­schafft wer­den soll und hier die Kapi­tal­ertrags­steu­er greift. Es ist auch schön, dass die Stif­tungs­be­steue­rung geän­dert wird. Man kann inso­fern von einem Para­dig­men­wech­sel spre­chen, da das Dog­ma, dass das Kapi­tal kei­nes­falls höher besteu­ert wer­den kön­nen (weil es „scheu wie ein Reh“ sei) end­lich über­wun­den ist. Pröll hat Wort gebro­chen – und das ist gut so. End­lich eine umfas­sen­de Steu­er­re­form anzu­ge­hen – dazu reicht der Mut aber offen­sicht­lich nicht und es bleibt dabei, dass Ver­mö­gen­de, Unter­neh­men und Bes­ser­ver­die­nen­de deut­lich stär­ker besteu­ert wer­den müs­sen als derzeit.

Scha­de nur, dass die Kri­sen­kos­ten auch durch eine Kür­zung von sozia­len Leis­tun­gen refi­nan­ziert wer­den soll. Weder Pen­sio­nis­ten noch Eltern mit erwach­se­nen Kin­dern (Kür­zung des Fami­li­en­bei­hil­fe­be­zugs) haben die Kri­se ver­ur­sacht. Und den­noch sol­len sie jetzt dafür bezah­len. Es war zu erwar­ten (sie­he hier und hier), dass nicht (nur) die Ver­ur­sa­cher der Kri­se die Fol­gen tra­gen müs­sen, ist aber den­noch falsch.

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12.11.: Diskussion „Welches Wissen gegen die Krise?“

6. Oktober 2010 – 9:52 Uhr

25 Jah­re Kri­tik, Gegen­ex­per­ti­se und Alter­na­ti­ven­dis­kus­si­on im BEIGEWUM – Anlass genug für eine Bilanz­dis­kus­si­on mit Per­spek­ti­ve: Wo kann kri­ti­sches Wis­sen heu­te ent­ste­hen und anset­zen, ange­sichts des schwers­ten Sys­tem­schocks seit Jahr­zehn­ten? Zudem wird nach der Dis­kus­si­on das 25-jäh­ri­ge Bestehen des BEIGEWUM mit einem Fest gefeiert.


Beginn: 18 Uhr

Ort: Albert Schweit­zer Haus, Schwarz­spa­nier­stra­ße 13, 1090 Wien


mit


  • Bri­git­te Unger (Depart­ment of Public Sec­tor Eco­no­mics, Utrecht Uni­ver­si­ty School of Economics)
  • Karin Fischer (Abtei­lung für Poli­tik- und Ent­wick­lungs­for­schung am Insti­tut für Sozio­lo­gie, Johan­nes Kep­ler Uni­ver­si­tät Linz)
  • Jörg Fle­cker (FORBA – For­schungs- und Bera­tungs­stel­le Arbeitswelt)
  • Gun­du­la Lud­wig (Zen­trum für Gen­der Stu­dies und femi­nis­ti­sche Zukunfts­for­schung der Uni­ver­si­tät Marburg)
  • Heinz Stei­nert (em. Insti­tut für Gesell­schafts- und Politikanalyse, 
    Uni­ver­si­tät Frankfurt)


Mode­ra­ti­on: Beat Weber (BEIGEWUM)


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16.10.: Wirtschaftsdemokratie

27. September 2010 – 17:03 Uhr

Tagung: „Wirt­schafts­de­mo­kra­tie – ein Aus­weg (nicht nur) aus der Krise?“
Zeit: 16. Okto­ber 9h30-17h 

Ort: Ren­ner Insti­tut, Gar­ten­ho­tel Alt­manns­dorf (Hoff­in­ger­gas­se 33, 1120 Wien)

In den let­zen zwei Jahr­zehn­ten hat sich auf poli­ti­scher Ebe­ne die Ent­de­mo­kra­ti­sie­rung ver­schärft, wodurch sich die Demo­kra­tie­lo­sig­keit der Wirt­schaft noch gra­vie­ren­der aus­wirkt. Haben die­se Ent­wick­lun­gen die aktu­el­le Wirt­schafts­kri­se aus­ge­löst bzw. wie stark haben sie dazu bei­getra­gen? Öff­net sich durch die Wirt­schafts­kri­se ein Zeit­fens­ter, um die Demo­kra­ti­sie­rung der Wirt­schaft neu zu dis­ku­tie­ren und sie anzugehen?

Es dis­ku­tie­ren Paul Sin­ger, Eva Anger­ler, Andre­as Exner, Wolf­gang G. Weber, Hei­di Ambrosch u.v.m.

Details & Anmeldung 

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