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Budgetkonsolidierung: Eine Bestandsaufnahme

9. Dezember 2010 – 11:29 Uhr

Ange­sichts der nun ein­ge­schla­ge­nen, kon­kre­ti­sier­ten Wege der Bud­get­kon­so­li­die­rung ver­här­ten sich die Anzei­chen für einen „Neo­li­be­ra­lis­mus rel­oa­ded“ in Euro­pa. Dies äußert sich gera­de auch in der Kon­ti­nui­tät einer Poli­tik, die sozia­le Ungleich­hei­ten ver­schärft und wohl­fahrts­staat­li­che Hand­lungs­spiel­räu­me sys­te­ma­tisch ein­schränkt. Es zeigt sich immer kla­rer, dass sich das Spar-Man­tra von OECD, EZB, EU-Kom­mis­si­on sowie Wirt­schafts­lob­bys und ihren Par­tei­en weit­ge­hend durch­ge­setzt hat, wenn auch nicht in dem zu befürch­ten­den Aus­maß. Dafür wird der Euro­päi­sche Sta­bi­li­täts­pakt deut­lich ver­schärft, sodass noch lan­ge nach der Kri­se die Euro­päi­sche Aus­teri­täts­po­li­tik spür­bar sein wird. Auch die ver­schärf­te Durch­set­zung der bereits vor der Kri­se ins Sto­cken gera­te­nen neo­li­be­ra­len Reform­po­li­tik kommt in Gang, wie die Arbeits­markt­fle­xi­bi­li­sie­rung in Spa­ni­en, die Ren­ten­re­for­men, die schwer­punkt­mä­ßi­gen Kür­zun­gen im öffent­li­chen Sek­tor und der weit­ge­hend auf­recht erhal­te­ne Zustand dere­gu­lier­ter Finanz­märk­te zei­gen. Selbst sozi­al­li­be­ra­le Nuan­cen wie das Fle­xi­cu­ri­ty-Modell in Däne­mark gera­ten unter Druck. Ein­nah­men­sei­tig wer­den tat­säch­lich in ers­ter Linie Mas­sen­steu­ern erhöht, mit denen nun vor allem ärme­ren Haus­hal­ten Las­ter finan­zi­ell aus­ge­trie­ben wer­den sol­len (Tabak, Alko­hol, Energieverbrauch).


Die kri­ti­schen Stim­men, die vor einer neu­er­li­chen Rezes­si­on oder zumin­dest Sta­gna­ti­on in der Euro­zo­ne war­nen, wer­den wie­der lau­ter und kom­men selbst aus dem IWF. Gera­de für die beson­ders stark getrof­fe­nen Län­der Irland, Spa­ni­en, Por­tu­gal und Grie­chen­land über­wiegt wei­ter­hin die Skep­sis bezüg­lich einer raschen Über­win­dung der Kri­se. Die Arbeits­lo­sig­keit ver­harrt auf hohem Niveau mit unver­meid­li­chen nega­ti­ven Fol­gen nicht nur für die Betroffenen.


AT: Ein Kompromiss zu Gunsten der wenigen, die die Krisenkosten hätten tragen können und sollen

Die Regie­rung hat sich Ende Okto­ber auf ihre kon­kre­ten Kon­so­li­die­rungs­maß­nah­men geei­nigt. Gemes­sen an ihren eige­nen Ankün­di­gun­gen im Früh­jahr die­ses Jah­res (mehr dazu hier) ist der nun getrof­fe­ne Kom­pro­miss ins­ge­samt weit glimpf­li­cher aus­ge­fal­len, als damals zu befürch­ten war. Die bis zu 4,2 Mrd Euro an Ein­spa­run­gen und Steu­er­erhö­hun­gen wur­den fast hal­biert, nicht zuletzt durch Offen­siv­maß­nah­men, dh zusätz­li­che Mit­telim Umfang von 400 Mio Euro für den Aus­bau der Ganz­ta­ges­schul­plät­ze, Uni­ver­si­tä­ten, For­schung und ther­mi­sche Gebäu­de­sa­nie­rung. Mit der Ban­ken­ab­ga­be, der Besteue­rung von Wert­pa­pier­zu­wäch­sen, Ein­schrän­kun­gen von Stif­tungs- und Unter­neh­mens­steu­er­vor­tei­len und einer ver­schärf­ten Betrugs­be­kämp­fung wur­den erst­mals seit lan­gem der Abwärts­trend bei ver­mö­gens- und kapi­tal­ertrags­be­zo­ge­nen Steu­ern umge­kehrt. Ledig­lich im Fami­li­en­be­reich fie­len die Kür­zun­gen här­ter aus und tref­fen ein­zel­ne Grup­pen – ins­be­son­de­re Stu­die­ren­de – über­ra­schend stark.


Der sprin­gen­de Punkt ist aller­dings, dass ein glimpf­li­ches noch kein gutes Ergeb­nis ist. Man kann nicht oft genug wie­der­ho­len, dass das Bud­get­de­fi­zit die Fol­ge der stärks­ten Kri­se des kapi­ta­lis­ti­schen Wirt­schafts­sys­tems seit 80 Jah­ren ist. Das aktu­el­le Kon­so­li­die­rungs­pa­ket ist dar­auf eine mehr als unbe­frie­di­gen­de Reak­ti­on. Wenn Finanz­wirt­schaft und Rei­che über Jah­re stän­dig stei­gen­de Ein­kom­men und Ver­mö­gen durch ein – letzt­lich von der All­ge­mein­heit zu sanie­ren­des – kri­sen­an­fäl­li­ges Wachs­tums­mo­dell bei sin­ken­den Abga­ben­an­tei­len ver­zeich­nen konn­ten, ist ein klei­ner Bei­trag zur Fol­gen­be­wäl­ti­gung der Kri­se nun deut­lich zu wenig. Vor allem, wenn sie – etwa im Gegen­satz zu den nun beson­ders belas­te­ten Stu­die­ren­den – gera­de durch die staat­li­chen Kri­sen­maß­nah­men bereits wie­der kräf­ti­ge Ver­mö­gens­zu­wäch­se ver­zeich­nen konn­ten: Gemäß Arbei­ter­kam­mer erreich­te das pri­va­te Net­to­geld­ver­mö­gen 2009 bereits wie­der neue Rekord­wer­te. Allein der Wert der Akti­en der Ers­te Bank stieg in den ers­ten sechs Mona­ten nach der staat­li­chen Stüt­zungs­ak­ti­on um 7 Mrd Euro – fast zur Gän­ze steuerfrei.


Es ist kein Trost, dass die­ser sehr klei­ne Schritt hin zu stär­ke­ren Besteue­rung Ver­mö­gen­der dem euro­päi­schen Mus­ter von Bud­get­kon­so­li­die­run­gen folgt: sym­bo­li­sche Bei­trä­ge jener, die es sich leis­ten könn­ten, und har­te Ein­schnit­te – zT jen­seits der Schmerz­gren­ze – für ein­zel­ne Grup­pen mit schwä­che­rem Ein­kom­men: Hartz-IV-Emp­fän­ge­rIn­nen in Deutsch­land, arbeits­lo­se oder stu­die­ren­de Jugend­li­che in Öster­reich, öffent­lich Bediens­te­te und Pen­sio­nis­tIn­nen fast über­all. Das Ver­ur­sa­cher­prin­zip wur­de weit­ge­hend eben­so aus­ge­blen­det wie die in der Kri­se noch­mals redu­zier­te Steu­er- und Abga­ben­quo­te. Statt­des­sen wur­de so getan als ob plötz­lich über­bor­den­de Sozi­al­leis­tun­gen maß­geb­lich zu den hohen Defi­zi­ten geführt hät­ten – obwohl das natür­lich nicht der Fall war, wie zumin­dest für Öster­reich nach­ge­rech­net wurde.


Ausgabenseitige Konsolidierung mit wenig Licht und viel Schatten

Der größ­te Feh­ler neben der zu gerin­gen Anhe­bung der ver­mö­gens­be­zo­ge­nen Steu­ern betrifft die Art und Wei­se, wie die Aus­ga­ben gekürzt wur­den: Statt gezielt bei dis­kus­si­ons­wür­di­gen bzw nicht mehr zeit­ge­mä­ßen Aus­ga­ben ein­zu­spa­ren, mit­tel­fris­ti­ge Struk­tur­re­for­men zumin­dest zu begin­nen und im Zwei­fels­fall auch teu­re Steu­er­vor­tei­le im Pri­vat­pen­si­ons- oder Fami­li­en­be­reich als zu kür­zen­de Kos­ten in Betracht zu zie­hen, hielt man sich weit­ge­hend an die im April im Zuge des Bun­des­fi­nanz­rah­men­ge­setz fest­ge­leg­te „Rasen­mä­her­me­tho­de“. Hier­bei wur­de ein­fach in allen Berei­chen der­sel­be Pro­zent­satz abge­schnit­ten – ledig­lich sen­si­ble Berei­che wie Bil­dung und Arbeits­markt wur­den mit „höhe­ren Schnitt­stu­fen“ etwas geschont. Damit war bereits im April besie­gelt, dass es etwa bei der Fami­li­en­för­de­rung zu emp­find­li­chen Ein­schnit­ten kom­men wird. Aus­ga­ben­kür­zun­gen oder –umschich­tun­gen der Bun­des­län­der waren zudem nur rhe­to­risch ein Thema.


Wenn man sich die kon­kre­ten Maß­nah­men ansieht, so fällt zunächst das eigent­lich offen­sicht­li­che auf: mil­li­ar­den­schwe­re Aus­ga­ben­kür­zun­gen sind kurz­fris­tig nur durch unbe­lieb­te Leis­tungs­kür­zun­gen mög­lich. Auf den zwei­ten Blick ist eine dif­fe­ren­zier­te Betrach­tung ange­bracht. Wäh­rend es in den Bud­ge­tun­ter­glie­de­run­gen wie bei­spiels­wei­se Pen­sio­nen und Gesund­heit rela­tiv gut gelun­gen ist, die nega­ti­ven Effek­te zu beschrän­ken, sticht der Fami­li­en­be­reich nega­tiv her­vor. Statt wenig effek­ti­ve und eher Bes­ser­ver­die­ne­rIn­nen zu Gute kom­men­de teu­re Steu­er­vor­tei­le wie ins­be­son­de­re den Kin­der­frei­be­trag abzu­schaf­fen, wer­den Stu­die­ren­de und arbeits­lo­se Jugend­li­che bzw. deren Eltern beson­ders hart getrof­fen. Wegen rela­tiv gerin­gen Sum­men wur­de zunächst eine Ein­schrän­kung des frei­en Zugangs zum Jus­tiz­sys­tem ris­kiert, ehe noch vor der Bud­get­re­de ein Abschlei­fen erfolg­te. Im Bil­dungs- und Wis­sen­schafts­be­reich gibt es zwar jeweils 80 Mio Euro zusätz­lich im Jahr, doch gleich­zei­tig wer­den sinn­vol­le Aus­ga­ben – etwa für das Nach­ho­len von Bil­dungs­ab­schlüs­sen, anwen­dungs­ori­en­tier­te­re außer­uni­ver­si­tä­re For­schungs­ein­rich­tun­gen oder Bau- und För­der­maß­nah­men für Men­schen mit Behin­de­rung – gekürzt oder ver­scho­ben. Im Bereich der Ent­wick­lungs­fi­nan­zie­rung, wo Öster­reich bereits bis­her am unters­ten Ende inner­halb der EU zu fin­den und weit ent­fernt von den eige­nen Zie­len bzw. jenen in inter­na­tio­na­len Abkom­men war, wer­den die Aus­ga­ben noch­mals deut­lich redu­ziert. All das hät­te nicht nur sym­bo­lisch abge­schlif­fen, son­dern tat­säch­lich geän­dert wer­den müssen.


In vie­ler­lei Hin­sicht ist das Sze­na­rio eines „Abbaus der Kri­sen­schul­den auf Kos­ten von Zukunfts­in­ves­ti­tio­nen“ ein­ge­tre­ten. Dafür ist ins­be­son­de­re ver­ant­wort­lich, dass die Abga­ben­quo­te von Ver­mö­gen im inter­na­tio­na­len Ver­gleich wei­ter­hin rekord­ver­däch­tig nied­rig bleibt. Statt über­wie­gend auf höhe­re ver­mö­gens­be­zo­ge­ne Steu­ern zum Abbau der Kri­sen­schul­den zu set­zen, wur­de ent­ge­gen der Pröll’schen Rhe­to­rik auf die „Zukunft unse­rer Kin­der“ gera­de nicht geach­tet. Gro­ße Bil­dungs­re­for­men feh­len, ihren Eltern wur­den Bei­hil­fen gekürzt und auch zu Las­ten not­wen­di­ger Zukunfts­in­ves­ti­tio­nen wur­de gespart: zu wenig für qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­ge Bil­dung, kei­ne nach­hal­ti­ge Lösung der Pfle­ge­pro­ble­ma­tik, kei­ne neu­en Mit­tel für die Kin­der­be­treu­ung oder Inte­gra­ti­ons­för­de­rung und nur zag­haf­te Schrit­te Rich­tung Ener­gie­wen­de. So blieb von der „Her­zens­an­ge­le­gen­heit“ des Finanz­mi­nis­ters weit­ge­hend nicht mehr als Frust in der Bevöl­ke­rung übrig, die sich mehr als den kleins­ten gemein­sa­men groß­ko­ali­tio­nä­ren Nen­ner erwar­tet hätte.

25 Jahre BEIGEWUM

29. November 2010 – 19:20 Uhr

In den ver­gan­ge­nen 25 Jah­ren haben sich die öko­no­mi­schen, gesell­schaft­li­chen und poli­ti­schen Zustän­de gra­vie­rend ver­än­dert – und mit ihnen auch das Selbst­ver­ständ­nis und die Auf­ga­ben des BEIGEWUM. Anläss­lich sei­nes 25-jäh­ri­gen Geburts­ta­ges dis­ku­tier­ten Bri­git­te Unger (Depart­ment of Public Sec­tor Eco­no­mics, Utrecht Uni­ver­si­ty School of Eco­no­mics), Karin Fischer (Abtei­lung für Poli­tik- und Ent­wick­lungs­for­schung am Insti­tut für Sozio­lo­gie, Uni­ver­si­tät Linz), Jörg Fle­cker (FORBA – For­schungs- und Bera­tungs­stel­le Arbeits­welt), Gun­du­la Lud­wig (Zen­trum für Gen­der Stu­dies und femi­nis­ti­sche Zukunfts­for­schung der Uni­ver­si­tät Mar­burg) und Heinz Stei­nert (em. Insti­tut für Gesell­schafts- und Poli­tik­ana­ly­se, Uni­ver­si­tät Frank­furt) gemein­sam mit Beat Weber (BEIGEWUM) die­se Ver­än­de­run­gen unter der Fra­ge: „Wel­ches Wis­sen gegen die Krise?“.

„Nie war der Krieg zwi­schen Main­stream-Öko­nom­In­nen und Kri­ti­schen Öko­nom­In­nen grö­ßer als jetzt“

In der Key Note Speak stell­te Bri­git­te Unger über­blicks­ar­tig die Ände­run­gen seit den 1980er Jah­ren dar: vom stär­ker wer­den­den Neo­li­be­ra­lis­mus und dem „abhe­ben“ der Finanz­märk­te bis zur heu­ti­gen Situa­ti­on, in der die öko­no­mi­schen Varia­blen (wie Ein­kom­mens­ver­tei­lung, Arbeits­lo­sig­keit und Leis­tungs­bi­lan­zen) soweit aus­ein­an­der­klaf­fen wie nie zuvor. Im Bereich der Wis­sen­schaf­ten wei­sen zwar auch füh­ren­de Öko­no­men, wie Krug­man oder Stiglitz, auf die star­ken Ungleich­hei­ten hin, den­noch ist der Kampf zwi­schen Main­stream-Öko­nom­In­nen und Kri­ti­schen Öko­nom­In­nen noch stär­ker als vor der Kri­se. Auf­ga­be des BEIGEWUM muss es sein Fach­in­for­ma­tio­nen für die Öffent­lich­keit zu „über­set­zen“. Heu­te gilt es ins­be­son­de­re finanz­tech­ni­sche Fra­gen zu „ent­zau­bern“ und in poli­ti­sche Fra­gen zu „über­set­zen“.

Die Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten des Kapi­ta­lis­mus relativieren“
Heinz Stei­nert mach­te deut­lich, dass es unse­re Auf­ga­be ist und bleibt zu zei­gen, dass man „die Din­ge“ auch ganz anders den­ken kann und dass es ein „ande­res Wis­sen“ als die Main­stream-Öko­no­mie gibt. Wäh­rend der Kri­se gab es eine kur­ze Zeit, in der sich Neo­li­be­ra­le – auch in der Öffent­lich­keit – bla­miert haben – in die­se Lücken gilt es hin­ein­zu­sto­ßen. Aller­dings mach­te Stei­nert auch die zen­tra­le Bedeu­tung der Medi­en bei der schnel­len Wie­der­her­stel­lung der neo­li­be­ra­len Hege­mo­nie deut­lich. Kri­sen­zei­ten bie­ten meist kei­ne Chan­cen, radi­ka­le For­de­run­gen umzu­set­zen, die Men­schen und Öffent­lich­keit wer­den eher kon­ser­va­tiv und wün­schen sich die Zustän­de aus Vor­kri­sen­zei­ten zurück. Auf­ga­be des BEIGEWUM muss es sein, die Pro­ble­me des Kapi­ta­lis­mus auf­zu­zei­gen und dabei alle mög­li­chen Mit­tel und For­men zu nut­zen. Ein wich­ti­ger Ansatz­punkt sind die Lebens­ver­hält­nis­se der Men­schen, denn Gesell­schaft ändert sich, wenn die Leu­te anders leben. 

„Auf die Uni­ver­si­tä­ten kann als Ort Kri­ti­scher Wis­sen­schaf­ten nicht ver­zich­tet werden“ 

Auch wenn Gun­du­la Lud­wig dar­auf hin­wies, dass die Uni­ver­si­tä­ten nie „der“ lin­ke Ort waren, hat sich ihre Situa­ti­on seit Mit­te der 1990er Jah­re deut­lich ver­schärft. Dies lässt sich in ver­schie­de­nen Dimen­sio­nen fest­stel­len: der Öko­no­mi­sie­rung des Sozia­len (ver­stärk­te Effi­zi­enz­ge­dan­ken, mehr For­schung statt Leh­re), den Bedin­gun­gen des Arbei­tens (hoher Druck für alle Hoch­schul­mit­glie­der, nicht nur die Hoch­schu­len, auch die Sub­jek­te soll­ten zum „Unter­neh­mer ihrer selbst“ wer­den), par­al­lel zur Öko­no­mi­sie­rung der Uni­ver­si­tä­ten fin­det eine Ent­de­mo­kra­ti­sie­rung statt. Dar­aus abge­lei­tet muss die Kri­tik zen­tral an der Ent­de­mo­kra­ti­sie­rung und den Arbeits­ver­hält­nis­sen in Zusam­men­hang mit den Lebens­wei­sen anset­zen. Es soll­te über Pra­xen der Ver­wei­ge­rung nach­ge­dacht wer­den und zudem eine kri­ti­sche Selbst­re­fle­xi­on statt­fin­den, denn auch für vie­le Wis­sen­schaft­le­rIn­nen ist das Kon­zept des/​der „Unter­neh­me­rIn seiner/​ihrer selbst“ ver­füh­re­risch. Wich­tig bleibt es, die ver­meint­li­chen Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten auf­zu­bre­chen und immer wie­der auch „außer­halb des Kapi­ta­lis­mus“ zu den­ken. Der Ansatz, Infor­ma­tio­nen zu „über­set­zen“, ist zwar rich­tig, aber es braucht auch noch mehr „ande­res“ Wissen.

Es ist eine Illu­si­on zu glau­ben, dass die Spar­pa­ke­te so von der Gesell­schaft hin­ge­nom­men werden“
Jörg Fle­cker berich­te­te über den Wan­del der Zie­le der (außer­uni­ver­si­tä­ren) For­schung. So sind heu­te viel weni­ger Regie­run­gen oder die EU-Kom­mis­si­on direk­te Adres­sa­ten von For­schungs­er­geb­nis­sen. Viel­mehr wird zu span­nen­den Fra­ge­stel­lun­gen gear­bei­tet und gehofft, dass unbe­kann­te Nut­ze­rIn­nen die Ergeb­nis­se auf­grei­fen und ver­wen­den kön­nen. Jedoch ermög­li­chen För­de­run­gen insb. im Bereich der EU immer wie­der die Schaf­fung von Frei­räu­men, in denen Wis­sen gegen den Main­stream gene­riert wer­den kann. Die aktu­ell geplan­te Strei­chung der Basis­för­de­rung für unab­hän­gi­ge Insti­tu­te wird es aller­dings sehr schwer machen, nach­hal­tig kri­ti­sche Wis­sen­schaft zu betrei­ben. Die gegen­wär­ti­ge Situa­ti­on hält Jörg Fle­cker für sehr irri­tie­rend: sah es anfangs kurz so aus, als sei­en die Markt­ra­di­ka­len schwer von der Kri­se getrof­fen wor­den, war bald klar, dass dras­ti­sche Spar­pa­ke­te kom­men wer­den. Dies trifft nun ein und einer­seits ent­steht das Gefühl, die­sen voll­kom­men macht­los gegen­über zu ste­hen, ander­seits glaubt Fle­cker nicht, dass die Gesell­schaft die­se Ein­schnit­te ohne wei­te­res hin­neh­men wird. 

„Wir soll­ten uns nicht die klei­nen Schrit­te auf­zwin­gen lassen“

Für einen glo­bal­his­to­risch erwei­ter­ten Blick auf die Kri­se plä­dier­te Karin Fischer. Es ist not­wen­dig, in die Kri­sen­ana­ly­sen grö­ße­re Zeit­räu­me als auch die Süd­per­spek­ti­ve ein­zu­be­zie­hen. Auch in den Süd­län­dern ist die enor­me Kri­sen­haf­tig­keit des Kapi­ta­lis­mus schon  seit den 80er Jah­ren zu spü­ren. Aller­dings gibt es auch Län­der, deren Öko­no­mien gera­de wach­sen kön­nen und sol­che, die mit anti­zy­kli­scher Poli­tik und Ban­ken­re­gu­lie­rung posi­ti­ve Bei­spie­le set­zen kön­nen. Jedoch müs­sen die Hoff­nung auf Latein­ame­ri­ka und die der­zei­ti­gen Ver­schie­bun­gen von Zen­trum- Peri­phe­rie­gren­zen, durch die Regio­nal­mäch­te auf­ge­wer­tet wer­den, auch immer kri­tisch reflek­tiert wer­den, da noch nicht klar ist, wie eman­zi­pa­to­risch die­se Ver­än­de­run­gen sind. Von ent­schei­den­der Bedeu­tung wird es sein, wie wich­tig demo­kra­ti­sche Fra­gen in die­ser Ent­wick­lung sind. 
Die Rück­erobe­rung der Demo­kra­tie ist aber auch ein zen­tra­ler Ansatz­punkt für kri­ti­sche Men­schen in Euro­pa. Gegen den bewuss­ten Aus­schluss von Ent­schei­dun­gen hel­fen Denk­kol­lek­ti­ve, gegen­sei­ti­ger Aus­tausch über Publi­ka­ti­ons­or­ga­ne und das gemein­sa­me Arbei­ten an poli­ti­schen Perspektiven.

Der Abend ende­te mit Dank und Glück­wün­schen für 25 Jah­re BEI­GEWUM-Arbeit und der Ermun­te­rung, die kri­ti­sche Arbeit fortzusetzen.

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Krise: Zwischenstop in Irland

26. November 2010 – 12:56 Uhr

Der­zeit hält die Kri­se in Irland. Mit Sicher­heit wird es nicht die letz­te Sta­ti­on sein.  EU und IWF schnü­ren an einem Hilfs­pa­ket von bis zu 100 Mil­li­ar­den Euro, um die Bewäl­ti­gung der hohen  Schul­den der iri­schen Ban­ken zu meistern.


Ähn­lich wie Island war Irland lan­ge Zeit ein neo­li­be­ra­ler Mus­ter­staat: Unter­neh­mens­steu­er-Dum­ping, hohe wirt­schaft­li­che Anpas­sungs­be­reit­schaft, Bud­get­über­schüs­se, tol­les Wachs­tum. 2008 stell­te sich her­aus, dass der Wohl­stand nicht Ergeb­nis einer erfolg­rei­chen wirt­schafts­po­li­ti­schen Linie, son­dern einer kre­dit­fi­nan­zier­ten Immo­bi­li­en­bla­se war, deren Plat­zen zu einem Schul­den­berg führ­te. Die­ser Schul­den­berg über­stieg anfangs die Kräf­te der Ban­ken, die dar­auf­hin staat­lich unter­stützt bzw. ganz ver­staat­licht wur­den. Durch das Ein­tref­fen lau­fen­der Kor­rek­tu­ren der Ver­lust­schät­zun­gen der Ban­ken nach oben über­steigt er nun auch die Kräf­te des Lan­des (das mit einer Garan­tie­er­klä­rung für sämt­li­che Ein­la­gen über das zwei­ein­halb­fa­che der jähr­li­chen Wirt­schafts­leis­tung schon 2008 eine gigan­ti­sche Ansa­ge getrof­fen hat­te). Wenn nach Irland auch Por­tu­gal, dann Spa­ni­en und viel­leicht Ita­li­en die Kräf­te aus­ge­hen, ist wohl auch die nächst­hö­he­re Sicher­heits­netz-Ebe­ne, EU und IWF, in der Bre­douil­le. Das Schul­den-Wei­ter­rei­chen und damit Zeit kau­fen ist dann zu Ende, und die Stun­de der For­de­rungs­ver­zich­te schlägt. Die ers­ten Ver­zich­te hat ein gerin­ger Teil der unbe­si­cher­ten Anlei­he­hal­ter der Anglo Irish Bank (und zwar Spe­zia­lis­ten­fonds, die die­se For­de­run­gen mit Abschlä­gen von aus­län­di­schen Ban­ken erwor­ben hat­ten, in der Hoff­nung, dass sie bei den Ver­hand­lun­gen mit Anglo Irish ein biss­chen mehr raus­krie­gen als sie bezahlt haben) letz­te Woche bereits hin­ge­nom­men, wei­te­re wer­den wohl fol­gen müssen.


In einem offe­nen Brief in der Finan­cial Times hat der iri­sche Finanz­mi­nis­ter ange­kün­digt, trotz immensen Bud­get­drucks kei­nes­falls an den nied­ri­gen Unter­neh­mens­steu­er­sät­zen in Irland rüt­teln zu wol­len. Irland müs­se wach­sen, um die Schul­den­last abzu­tra­gen. Er zitiert eine OECD Stu­die, wonach eine Erhö­hung der Unter­neh­men­steu­ern mit größ­ter Wahr­schein­lich­keit das Wachs­tum behin­de­re. Irlands Regie­rung scheint den neo­li­be­ra­len Rat­schlä­gen also unge­bro­chen zu fol­gen. Mul­ti­na­tio­na­le Kon­zer­ne dro­hen Irland in der Tat mit Abwan­de­rung im Fall einer Steu­er­erhö­hung. Dass bei einer auch nur gering­fü­gi­gen Anhe­bung der Steu­ern sofor­ti­ger Mas­sen-Exo­dus statt­fin­det ist jedoch nicht zu erwar­ten, schließ­lich hat Irland auch ande­re „Stand­ort­vor­tei­le“ (Lage, Aus­bil­dungs­ni­veau, Spra­che etc.). Mit dem klas­sisch keyne­sia­ni­schen Argu­ment, eine ein­sei­ti­ge Auf­bür­dung der Anpas­sungs­las­ten auf die Schul­tern der Lohn­ab­hän­gi­gen wür­de die Mas­sen­kauf­kraft in Irland und somit auch den Unter­neh­men scha­den, wer­den die Kon­zer­ne jedoch nicht zu beein­dru­cken sein: Irland hat Züge einer ver­län­ger­ten Werk­bank, wo Mul­tis für den Export statt für den Bin­nen­kon­sum pro­du­zie­ren. Schät­zun­gen, wonach das Brut­to­so­zi­al­pro­dukt (Ein­künf­te der Staats­an­ge­hö­ri­gen) um rund ein Fünf­tel unter dem Brut­to­in­lands­pro­dukt (Ein­künf­te der Orts­an­säs­si­gen) lie­ge, sind ein Indiz, dass mas­si­ve Zuflüs­se von Aus­lands­ka­pi­tal rein der Ver­lo­ckung nied­ri­ger Steu­ern zu ver­dan­ken sind. Die­se Gel­der wer­den in Irland ver­steu­ert, in wei­te­rer Fol­ge aber über ver­zerr­te Trans­fer­prei­se inner­halb mul­ti­na­tio­na­ler Unter­neh­men wie­der ins Aus­land trans­fe­riert. In die­sem Modell abhän­gi­gen Wachs­tums bleibt Irland durch die wirt­schafts­po­li­ti­sche Wei­chen­stel­lung der Regie­rung gefan­gen. Aus der dar­über geleg­ten Finan­zia­li­sie­rung, die eine Zeit­lang die Illu­si­on von Wohl­stand über das Land brach­te, ist für abseh­ba­re Zeit die Luft raus – außer von irgend­wo­her kom­men mas­si­ve Zuströ­me von wohl­ha­ben­den Men­schen, die iri­sche Häu­ser kau­fen, und den Immo­bi­li­en­boom wie­der in Gang brin­gen. Die poli­ti­schen Eli­ten, die in kor­rup­ter Wei­se mit dem Finanz­boom ver­knüpft waren, sind dele­gi­ti­miert. Ob es zu einem sys­tem­in­ter­nen Umsturz wie in Island kom­men wird, wird sich bei den Wah­len spä­tes­tens im Früh­jahr zeigen.


Irland und die Län­der der Süd­pe­ri­phe­rie (Por­tu­gal, Ita­li­en, Spa­ni­en), die im Fokus der aktu­el­len Finanz­be­sorg­nis ste­hen haben eine auf­fäl­li­ge Gemein­sam­keit: Sie bil­den die Grup­pe mit der höchs­ten Ein­kom­mensun­gleich­heit inner­halb des Euro­raums (und gemein­sam mit ande­ren Haupt-Kri­sen­be­trof­fe­nen Lett­land und UK auch inner­halb der EU) (Gini Koef­fi­zi­ent lt. UN Defi­ni­ti­on, Wer­te von 2008). Die viel beschwo­re­nen Ungleich­ge­wich­te zwi­schen Zen­trum und Peri­phe­rie in Han­del und Finan­zie­rung wer­den ergänzt durch inter­ne Ungleich­hei­ten in den Peri­phe­rie-Län­dern. Der neo­li­be­ra­le Glau­be, Ungleich­heit sei eine not­wen­di­ge Begleit­erschei­nung von öko­no­mi­scher Pro­spe­ri­tät wird dadurch ein­mal mehr in Fra­ge gestellt. Eine wirt­schafts­po­li­ti­sche Kurs­kor­rek­tur steht nicht an. Ihre Eig­nung als kurz­fris­ti­ge Kri­sen­hil­fe in der jet­zi­gen ver­fah­re­nen Situa­ti­on wäre auch unge­wiss. Über­haupt ist die Fan­ta­sie betref­fend kurz­fris­ti­ge Lösun­gen der­zeit aller­orts ziem­lich verpufft.


Es ist jeden­falls schwer vor­stell­bar, wie es ohne eine Schul­den­re­struk­tu­rie­rung, also teil­wei­sen For­de­rungs­ver­zicht, für sämt­li­che in Dis­kus­si­on ste­hen­de Staa­ten der Euro-Peri­phe­rie (Grie­chen­land, Irland, Spa­ni­en, Por­tu­gal, Ita­li­en) wei­ter­ge­hen kann. Ein­zel­fall­lö­sun­gen hal­ten nicht, denn die Restruk­tu­rie­rung in Ein­zel­fäl­len erhöht sofort den Druck auf ver­gleich­ba­re Fäl­le (Anstieg der Finan­zie­rungs­kos­ten für Staa­ten bzw. Ban­ken aus die­sen Län­dern). Die ande­ren Staa­ten zögern mit die­ser Lösung, denn die Schul­den­re­duk­tio­nen tref­fen die For­de­run­gen der eige­nen Ban­ken und Fonds: In Deutsch­land, Frank­reich, Groß­bri­tan­ni­en etc wür­den mas­si­ve Ver­lus­te aus For­de­run­gen an Irland und Co. wei­te­re staat­li­che Ban­ken­hilfs­pa­ke­te auf die Tages­ord­nung set­zen. Die Furcht vor Domi­no­ef­fek­ten und anschlie­ßen­dem Cha­os ist groß.


Der neo­li­be­ra­le Weg aus der Sta­gna­ti­on ist geschei­tert und hat die gesam­te nörd­li­che Hemi­sphä­re in eine ver­fah­re­ne Situa­ti­on manö­vriert, in der guter Rat teu­er ist.

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Kurt W. Rothschild 1914-2010

24. November 2010 – 12:05 Uhr

Kurt W. Roth­schild ist am 15. Novem­ber 2010 von uns gegan­gen. Mit Roth­schild ver­lie­ren wir nicht nur den bedeu­tends­ten öster­rei­chi­schen Öko­no­men, son­dern mit ihm ver­lie­ren wir auch eine Per­sön­lich­keit, deren Vor­bild­wir­kung kaum hoch genug ein­ge­schätzt wer­den kann. Der Lebens­weg von Kurt Roth­schild und sei­ner Frau Val­ly, wel­che gemein­sam über knapp 75 Jah­re (!) eine äußerst lie­bens­wür­di­ge und wür­de­vol­le Bezie­hung pfleg­ten, war alles ande­re als mühe­los. Auf­ge­wach­sen in klein­bür­ger­li­chen Ver­hält­nis­sen im Roten Wien der 30er Jah­re erleb­te Roth­schild äußerst authen­tisch die fata­len öko­no­mi­schen und sozia­len Kon­se­quen­zen der 1. Welt­wirt­schafts­kri­se 1929/​30. Zwei­fels­oh­ne waren die­se Zei­ten prä­gend für Roth­schilds gesam­tes zukünf­ti­ges For­schungs­re­per­toire: Fra­gen der Arbeits­lo­sig­keit, des Außen­han­dels sowie Fra­gen der Ein­kom­mens­ver­tei­lung und der Macht in der Öko­no­mie spiel­ten immer die zen­tra­le Rol­le in Roth­schilds Werk. Die Grund­phi­lo­so­phie Roth­schilds über die Rol­le der Öko­no­mie als Wis­sen­schaft hat sich sicher­lich bereits in die­ser poli­tisch äußerst tra­gi­schen Zeit gebil­det. Roth­schild schreibt über sei­nen Grund­an­spruch an die Wis­sen­schaft 1966 in der Ein­lei­tung zu sei­nem Buch „Markt­form, Lohn und Außen­han­del“ folgendes:


Der grund­le­gen­de Stand­punkt „… besteht letz­ten Endes dar­in, dass der Natio­nal­öko­nom sich stets bewusst sein soll, daß die Theo­rie nie Selbst­zweck wer­den darf. Sie soll­te stets der gründ­li­chen Durch­leuch­tung unse­rer Umwelt die­nen, damit die­se bes­ser und men­schen­wür­di­ger gestal­tet wer­den kann.“


Die­sem anspruchs­vol­len Grund­satz folg­te Roth­schild in all sei­nen Arbeiten!


1938 muss­ten er und sei­ne Frau als jüdi­sche Bür­ge­rIn­nen gemein­sam von Öster­reich in die Schweiz flüch­ten und dann wei­ter nach Glas­gow (Schott­land) emi­grie­ren. Dort war Roth­schild bis 1947 tätig und mach­te in die­ser Zeit auch engs­te Bekannt­schaft mit der jun­gen keyne­sia­ni­schen Diskussion.

1942, im Alter von 28 Jah­ren (!), schick­te er einen Arti­kel an das Eco­no­mic Jour­nal, das dama­li­ge „Core Jour­nal“ der Öko­no­mie, des­sen Her­aus­ge­ber kein Gerin­ge­rer als John May­nard Keynes (JMK) selbst gewe­sen ist. Dazu Roth­schild im O‑Ton: „Mei­nen ers­ten theo­re­ti­schen Auf­satz, den ich gemacht habe an der Uni, habe ich im jugend­li­chen Über­mut gleich an die füh­ren­de Zeit­schrift geschickt, an das Eco­no­mic Jour­nal. Er (JMK, W.A.) war der Her­aus­ge­ber. Nach ein paar Tagen habe ich einen Brief bekom­men, wo er schrieb, das gefällt mir, das wer­de ich bringen.“


Als Roth­schild 1947 wie­der zurück nach Öster­reich kam, wur­de er nicht gera­de mit offe­nen Armen emp­fan­gen. Seit 1947 arbei­te­te Roth­schild am Öster­rei­chi­schen Insti­tut für Wirt­schafts­for­schung (WIFO) und erst 1966 bekam Roth­schild den längst über­fäl­li­gen Lehr­stuhl an der neu gegrün­de­ten Uni­ver­si­tät Linz, wo er bis zu sei­ner Eme­ri­tie­rung 1984 arbei­te­te und dabei auch die Posi­ti­on des Rek­tors inne hat­te. Seit damals leb­te Roth­schild mit sei­ner Frau in Wien, in jener beschei­de­nen Woh­nung, wel­che das Ehe­paar bereits 1947 – in einem Tausch­ge­schäft in Schott­land (!) – erstan­den hatte.


Roth­schild unter­stütz­te die Arbei­ten des BEIGEWUM von Beginn an, sowohl mora­lisch als auch in Form von zahl­rei­chen Vor­trä­gen und Buch­bei­trä­gen. Roth­schild hielt bereits 1989, bei der ers­ten gro­ßen Kon­fe­renz des BEIGEWUM („Steue­rungs­pro­ble­me der Wirt­schafts­po­li­tik – Auf dem Weg in eine ande­re Moder­ne“, BEIGEWUM 1989) das Haupt­re­fe­rat und unter­stütz­te den Ver­ein bis zuletzt. Nur die letz­te Ein­la­dung für den 9.Juni 2010 muss­te er aus gesund­heit­li­chen Grün­den ausschlagen.


Das, was Roth­schild so außer­or­dent­lich macht, ist sei­ne wis­sen­schaft­li­che Offen­heit, ver­bun­den mit einer stets kon­struk­ti­ven Dis­kus­si­on zu den unter­schied­lichs­ten Theo­rien, Metho­den und The­men. Er ist kaum jemals einer neu­en Idee abge­neigt. Aber er dis­ku­tiert die­se stets mit unnach­gie­bi­ger Stren­ge, ver­bun­den mit kon­struk­ti­ven Anmerkungen.


Auch wenn uns der genia­le Dis­kus­si­ons­part­ner Kurt Roth­schild abhan­den gekom­men ist, so hin­ter­lässt er uns einen Schatz an Lite­ra­tur, wel­chen es zu stu­die­ren und zu nut­zen gilt. Aber ich wür­de mir auch wün­schen, dass sich über die öko­no­mi­sche Wis­sen­schaft hin­aus mög­lichst vie­le Men­schen der Rothschild’schen Grund­prin­zi­pi­en anneh­men wür­den: Offen­heit, Tole­ranz, Güte und Freund­lich­keit – nahe­zu die gesam­ten huma­nis­ti­schen Grund­wer­te. Es gibt sel­ten eine Per­son, bei wel­cher Werk und Leben so eins waren – das ist das Bewun­derns­wer­tes­te bei Rothschild!


Roth­schild war uns stets eine gro­ße Hil­fe und er wird uns feh­len. Sein groß­ar­ti­ges Werk wird jedoch für immer bei uns sein. Und es wird uns noch oft hel­fen für eine gerech­te­re und sozia­le­re Welt einzutreten.


In tie­fer Trau­er und Anteilnahme!


Ein lan­ges Inter­view mit Kurt W. Roth­schild ist nach­zu­le­sen in Kurs­wech­sel 4/​2006: „Die Gefahr der Gewöhnung“

Sein aus­ge­zeich­ne­tes (und wit­zi­ges!) Kurz-Inter­view mit Rena­te Gra­ber im Stan­dard (vom 24.10.2009) ist ein „Muss“ für Jede/n!“Da hab ich mir gedacht: Habt’s mich gern“ – Kurt Roth­schild im „Anders gefragt“-Interview


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Loiperdsorfer Kompromiss

25. Oktober 2010 – 17:53 Uhr

Nein, eine Ver­mö­gen­steu­er wird es wie­der mal nicht geben. Und auch die Erb­schafts­steu­ern wer­den nicht ange­ho­ben, der Spit­zen­steu­er­satz bleibt unan­ge­tas­tet und es wird sich wenig an der unglei­chen Ein­kom­mens- und Ver­mö­gens­ver­tei­lung ändern. Aber man soll ja nicht immer nur raun­zen. So ist doch erwäh­nens­wert, dass es Steu­er­erhö­hun­gen geben wird und damit zumin­dest ein Teil der Kri­sen­kos­ten ein­nah­me­sei­tig erbracht wer­den soll. Das ist erst ein­mal erfreu­lich, da etwa Bern­hard Fel­de­rer ja noch vor nicht all­zu­lan­ger Zeit deut­lich gemacht hat, dass es vor allem um Aus­ga­ben­kür­zun­gen gehen müs­se. Und Josef Pröll hat­te im ORF-Som­mer­ge­spräch schon die Debat­te über neue Steu­ern als schäd­lich bezeich­net. In die­sem Blog hat­te ich damals geschrie­ben:

Man muss sich dies auf der Zun­ge zer­ge­hen las­sen: Josef Pröll for­dert, dass in einer Situa­ti­on der Wirt­schafts­kri­se, in der mas­siv Staats­geld zur Ret­tung von Ver­mö­gen ein­ge­setzt wur­de, nicht über Steu­ern gespro­chen wer­den darf. Es ist ein merk­wür­di­ges Demo­kra­tie­ver­ständ­nis, wenn eine der zen­tra­len Auf­ga­ben des Par­la­ments […] ent­po­li­ti­siert und einem ver­meint­li­chen Sach­zwang unter­wor­fen wer­den soll.

Es ist also erfreu­lich, dass die Spe­ku­la­ti­ons­frist bei Akti­en­ver­käu­fen abge­schafft wer­den soll und hier die Kapi­tal­ertrags­steu­er greift. Es ist auch schön, dass die Stif­tungs­be­steue­rung geän­dert wird. Man kann inso­fern von einem Para­dig­men­wech­sel spre­chen, da das Dog­ma, dass das Kapi­tal kei­nes­falls höher besteu­ert wer­den kön­nen (weil es „scheu wie ein Reh“ sei) end­lich über­wun­den ist. Pröll hat Wort gebro­chen – und das ist gut so. End­lich eine umfas­sen­de Steu­er­re­form anzu­ge­hen – dazu reicht der Mut aber offen­sicht­lich nicht und es bleibt dabei, dass Ver­mö­gen­de, Unter­neh­men und Bes­ser­ver­die­nen­de deut­lich stär­ker besteu­ert wer­den müs­sen als derzeit.

Scha­de nur, dass die Kri­sen­kos­ten auch durch eine Kür­zung von sozia­len Leis­tun­gen refi­nan­ziert wer­den soll. Weder Pen­sio­nis­ten noch Eltern mit erwach­se­nen Kin­dern (Kür­zung des Fami­li­en­bei­hil­fe­be­zugs) haben die Kri­se ver­ur­sacht. Und den­noch sol­len sie jetzt dafür bezah­len. Es war zu erwar­ten (sie­he hier und hier), dass nicht (nur) die Ver­ur­sa­cher der Kri­se die Fol­gen tra­gen müs­sen, ist aber den­noch falsch.

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12.11.: Diskussion „Welches Wissen gegen die Krise?“

6. Oktober 2010 – 9:52 Uhr

25 Jah­re Kri­tik, Gegen­ex­per­ti­se und Alter­na­ti­ven­dis­kus­si­on im BEIGEWUM – Anlass genug für eine Bilanz­dis­kus­si­on mit Per­spek­ti­ve: Wo kann kri­ti­sches Wis­sen heu­te ent­ste­hen und anset­zen, ange­sichts des schwers­ten Sys­tem­schocks seit Jahr­zehn­ten? Zudem wird nach der Dis­kus­si­on das 25-jäh­ri­ge Bestehen des BEIGEWUM mit einem Fest gefeiert.


Beginn: 18 Uhr

Ort: Albert Schweit­zer Haus, Schwarz­spa­nier­stra­ße 13, 1090 Wien


mit


  • Bri­git­te Unger (Depart­ment of Public Sec­tor Eco­no­mics, Utrecht Uni­ver­si­ty School of Economics)
  • Karin Fischer (Abtei­lung für Poli­tik- und Ent­wick­lungs­for­schung am Insti­tut für Sozio­lo­gie, Johan­nes Kep­ler Uni­ver­si­tät Linz)
  • Jörg Fle­cker (FORBA – For­schungs- und Bera­tungs­stel­le Arbeitswelt)
  • Gun­du­la Lud­wig (Zen­trum für Gen­der Stu­dies und femi­nis­ti­sche Zukunfts­for­schung der Uni­ver­si­tät Marburg)
  • Heinz Stei­nert (em. Insti­tut für Gesell­schafts- und Politikanalyse, 
    Uni­ver­si­tät Frankfurt)


Mode­ra­ti­on: Beat Weber (BEIGEWUM)


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16.10.: Wirtschaftsdemokratie

27. September 2010 – 17:03 Uhr

Tagung: „Wirt­schafts­de­mo­kra­tie – ein Aus­weg (nicht nur) aus der Krise?“
Zeit: 16. Okto­ber 9h30-17h 

Ort: Ren­ner Insti­tut, Gar­ten­ho­tel Alt­manns­dorf (Hoff­in­ger­gas­se 33, 1120 Wien)

In den let­zen zwei Jahr­zehn­ten hat sich auf poli­ti­scher Ebe­ne die Ent­de­mo­kra­ti­sie­rung ver­schärft, wodurch sich die Demo­kra­tie­lo­sig­keit der Wirt­schaft noch gra­vie­ren­der aus­wirkt. Haben die­se Ent­wick­lun­gen die aktu­el­le Wirt­schafts­kri­se aus­ge­löst bzw. wie stark haben sie dazu bei­getra­gen? Öff­net sich durch die Wirt­schafts­kri­se ein Zeit­fens­ter, um die Demo­kra­ti­sie­rung der Wirt­schaft neu zu dis­ku­tie­ren und sie anzugehen?

Es dis­ku­tie­ren Paul Sin­ger, Eva Anger­ler, Andre­as Exner, Wolf­gang G. Weber, Hei­di Ambrosch u.v.m.

Details & Anmeldung 

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14.10.: Diskussion „Klima und Verteilungsgerechtigkeit“

27. September 2010 – 17:00 Uhr

Ein­la­dung zur Dis­kus­si­on und Kurswechselpräsentation 

Zeit: Don­ners­tag 14. Okto­ber 18.30

Ort: Gro­ßer Sit­zungs­saal der WU, Augas­se 2–6, 1090 Wien, 2. Stock – Kern D


mit 

Sig­rid Sta­gl (WU-Wien)

Chris­toph Streiss­ler (AK-Wien)

Jose­pha Moli­tor (KOO

Bern­hard Ober­mayr (Green­peace)


Mode­ra­ti­on: Chris­ta Schla­ger (Kurs­wech­sel-Redak­ti­on)


Kli­ma­wan­del und sei­ne Ver­ur­sa­chung stel­len heu­te eine der größ­ten poli­ti­schen Her­aus­for­de­run­gen des 21. Jahr­hun­derts dar. Nach dem Schei­tern der Welt­kli­ma­kon­fe­renz in Kopen­ha­gen herrscht vie­ler­orts Kater­stim­mung und Rat­lo­sig­keit bezüg­lich des glo­ba­len Umgangs mit dem The­ma. Obwohl auf poli­ti­scher Ebe­ne weit­ge­hen­der Still­stand herrscht hat längst ein kli­ma­in­du­zier­ter Struk­tur­wan­del ein­ge­setzt, der das glo­ba­le Ener­gie­sys­tem ver­än­dert und in sei­ner Trag­wei­te noch schwer abzu­schät­zen ist. Klar ist jedoch, dass Kli­ma­wan­del und die damit ein­her­ge­hen­de Trans­for­ma­ti­ons­pro­zes­se eine der gro­ßen ver­tei­lungs­po­li­ti­schen The­men­stel­lung der nächs­ten Jah­re ist.


Sowohl im glo­ba­len Rah­men als auch auf euro­päi­scher bzw. natio­na­ler Ebe­ne ist die Ver­tei­lung des Zugangs zu fos­si­len Brenn­stof­fen, die Last bei der Trans­for­ma­ti­on zu einer „low-car­bon“ Öko­no­mie sowie die Betrof­fen­heit bezüg­lich der Aus­wir­kun­gen des Kli­ma­wan­dels extrem ungleich ver­teilt. Zur Ver­an­stal­tung wird die neue Kurs­wech­sel-Aus­ga­be „Im Kli­ma­wan­del – glo­ba­le Erwär­mung und Ver­tei­lungs­ge­rech­tig­keit“ präsentiert.

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Die Bildungslücken des Herrn Sarrazin und Co.

17. September 2010 – 16:31 Uhr

Die Aus­sa­gen von Thi­lo Sar­ra­zin („Deutsch­land schafft sich ab“) sor­gen für öffent­li­che Auf­re­gung. An ihrem Ori­gi­na­li­täts­wert kann es nicht lie­gen: Offe­ner Ras­sis­mus ist in der poli­ti­schen Debat­te im deutsch­spra­chi­gen Raum eine fixe Grö­ße, wobei Mus­li­me in den letz­ten Jah­ren zum Haupt­ob­jekt ent­spre­chen­der Dis­kur­se gewor­den sind.

Ein wich­ti­ger Grund für die öffent­li­che Auf­merk­sam­keit ist wohl die Tat­sa­che, dass es dies­mal ein Bil­dungs­bür­ger ist, der noch dazu ein hohes Amt besetzt, der zur Ver­tei­di­gung des Abend­lan­des auf­ruft. Ein ande­rer ist die Magie der Zahl: Sar­ra­zin argu­men­tiert mit viel Zah­len­ma­te­ri­al, beruft sich auf wis­sen­schaft­li­che Argu­men­te und die der­zeit als Uni­ver­sal­erklä­rung äußerst popu­lä­re Gene­tik, um sei­ner Pole­mik den Anstrich sach­li­cher Fun­die­rung zu geben. Doch was ist dran an dem Argu­ment, dass Dum­me eben auch dum­me Kin­der krie­gen und Klu­ge eben Kluge?


Behaup­tet wird damit die Ver­er­bung von Intel­li­genz. Zunächst: Was ist Intel­li­genz in unse­rer von den Natur­wis­sen­schaf­ten domi­nier­ten Welt? Intel­li­genz ist das Ergeb­nis eines Intel­li­genz­test. Des­sen Ergeb­nis­se lie­gen Ant­wor­ten auf Fra­gen zugrun­de, die von Exper­tIn­nen gestellt wer­den, die sich damit aus­ken­nen, wel­che Ant­wor­ten auf wel­che Fra­gen zu hohen Ergeb­nis­sen füh­ren und wel­che zu nied­ri­gen. Intel­li­genz ist das was die Exper­tIn­nen­schicht einer bestimm­ten Gesell­schaft zu einem bestimm­ten Zeit­punkt als sol­che fest­legt. Fra­gen zur Ver­er­bung wer­den allein schon dadurch rela­ti­viert, weil heu­te unklar ist, was in Zukunft als intel­li­gent gilt und was nicht.

Sar­ra­zin ver­legt sich bei der Mes­sung von Intel­li­genz auf den Bil­dungs­er­folg. Das Sub­strat der oft­mals trans­por­tier­ten The­se: Es liegt nicht am Umfeld, nicht an Dis­kri­mi­nie­rung und auch nicht an feh­len­der För­de­rung, dass bestimm­te Grup­pen kei­ne oder weni­ger Bil­dung haben, son­dern schlicht­weg an deren durch Ver­er­bung wei­ter­ge­ge­be­ner Intelligenz.

Doch da braucht sich noch nie­mand in wis­sen­schaft­li­che Lite­ra­tur ver­tie­fen um fest­zu­stel­len: Komisch, Bil­dungs­ni­veaus ver­schie­de­ner Grup­pen ver­än­dern sich über die Zeit lau­fend, und das selbst, wenn sie auf den Bil­dungs­durch­schnitt der Gesell­schaft nor­ma­li­siert wer­den. Wäre die The­se von der Ver­er­bung zutref­fend, wür­de das bedeu­ten, dass sich wohl der gene­ti­sche Pro­zess ziem­lich rasch – und für ver­schie­de­ne Grup­pen unter­schied­lich – ver­än­dert über die Zeit: Mal gibt es ein, zwei Deka­den, wo beson­ders wenig gebil­de­te Eltern dann offen­bar beson­ders gute Gene wei­ter­ge­ben, die dann zu einem Auf­ho­len unte­rer Bil­dungs­schich­ten führen.
Aber nicht nur die Varia­ti­on über die Zeit ist es, die uns da zu den­ken geben soll­te. Von Land zu Land ist die Bil­dungs­mo­bi­li­tät sehr unter­schied­lich. Wir müs­sen noch gar nicht wis­sen, wor­an das liegt, um fest­zu­stel­len, dass die Gene­tik dafür wohl kaum in Fra­ge kom­men kann.

Die Fra­ge nach der „Ver­er­bung“ von Bil­dung ist sowohl in der Sozio­lo­gie, der Psy­cho­lo­gie als auch der Volks­wirt­schafts­leh­re all­ge­mein in der Lite­ra­tur zur inter­ge­nera­tio­nel­len Wei­ter­ga­be von Ein­kom­men, sozia­lem Sta­tus, Cha­rak­te­ris­ti­ka der Per­sön­lich­keit, Wer­ten, Beru­fen und vie­lem mehr verortet.

Wäh­rend sich die Psy­cho­lo­gie vor allem auf die Wei­ter­ga­be von Wer­ten und Cha­rak­te­ris­ti­ka der Per­sön­lich­keit kon­zen­triert (sie­he bei­spiels­wei­se Heck­man and Car­nei­ro 2003 und Loeh­lin 2005), ste­hen in der Sozio­lo­gie vor allem sozia­ler Sta­tus und Beru­fe, aber auch Wer­te im Mit­tel­punkt (sie­he bei­spiels­wei­se Bour­dieu 1984 und D’Addio 2007).

In der Volks­wirt­schafts­leh­re, angeb­lich Sar­ra­zins Fach­ge­biet, exis­tiert eben­so bereits seit Jahr­zehn­ten Lite­ra­tur zu die­sem The­ma. Gele­sen dürf­te er sie nicht haben. Sie beschäf­tigt sich vor allem mit Ein­kom­men und Bil­dung (bei der es deut­lich weni­ger Mess­pro­ble­me gibt als beim Ein­kom­men). Die meis­ten Main­stream-Publi­ka­tio­nen beru­fen sich auf die theo­re­ti­schen Model­le von Becker und Tomes (1979,1986) für Ein­kom­men, und auf jene von Solon (1999, 2002, 2004) für Bil­dung. Der domi­nie­ren­de Ansatz ist die Mes­sung von soge­nann­ten inter­ge­nera­tio­nel­len Elas­ti­zi­tä­ten, oder ein­fa­cher gesagt simp­len Kor­re­la­tio­nen zwi­schen den Genera­tio­nen. In etwa „Ein Jahr mehr an Eltern­bil­dung geht mit wie viel mehr an Kin­der­bil­dung ein­her?“. Allein in die­sem Ansatz zeigt sich schon die bespro­che­ne star­ke Varia­ti­on über die Zeit und zwi­schen den Län­dern. Hertz et al. 2008 lie­fern ent­spre­chen­de Zah­len zu sehr vie­len Län­dern. Einen brei­ten Lite­ra­tur­über­blick lie­fert etwa Mul­ligan (1999). Der zwei­te Ansatz ver­sucht die kau­sa­len Effek­te der Bil­dung der Eltern auf die Bil­dung der Kin­der zu berech­nen, also für alle ande­ren Mög­lich­kei­ten, die sowohl das eine als auch das ande­re latent beein­flus­sen könn­ten zu kon­trol­lie­ren und steckt noch recht in den Kin­der­schu­hen. Das geschieht ent­we­der recht „natur­wis­sen­schaft­lich“ inspi­riert anhand von Zwil­lings­for­schung oder For­schung mit adop­tier­ten Kin­dern (sie­he Behr­man and Rosen­zweig 2002 und Plug 2004) oder aber anhand der Instru­men­tie­rung mit Schul­re­for­men (sie­he Black et al., 2005).

Zusam­men­fas­send wird etwa in einem OECD Report zum The­ma (OECD 2008) fest­ge­hal­ten, dass inter­ge­nera­tio­nel­le sozia­le Per­sis­tenz (Bil­dung wird auch spe­zi­ell behan­delt) stark mit Ungleich­heit und Armut kor­re­liert ist. Das wei­ters vor allem Ver­mö­gen und Ein­kom­men, das über die Genera­tio­nen wei­ter­ge­ge­ben wird für die Unter­schie­de (auch in Bezug auf Bil­dung) in der nächs­ten Genera­ti­on ver­ant­wort­lich sind. Bel­zil und Hann­sen 2008 zei­gen, dass rund 68% der Varia­ti­on der Bil­dung auf Unter­schie­de der Eltern­haus­hal­te zurück­zu­füh­ren sind (die in den Daten beob­acht­bar sind). Die Bil­dung der Eltern, die stark mit Ein­kom­men und Ver­mö­gen kor­re­liert, spielt dabei die größ­te Rol­le. Zum sel­ben Schluss kommt auch die OECD (2008).
Der IQ scheint, abge­se­hen davon, dass ohne­hin unklar ist wie es in einem bestimm­ten Alter zu einem bestimm­ten IQ-Squo­re in einem bestimm­ten IQ-Test kommt (könn­te ja etwa auch mit der Bil­dung wach­sen ;-)), rela­tiv wenig bei­zu­tra­gen (sie­he Bow­les und Gin­tis 2001).

Wen die gan­ze The­ma­tik inter­es­siert, dem ist jeden­falls was den volks­wirt­schaft­li­chen Main­stream angeht fol­gen­des zu empfehlen:

Black und Dev­reux (2010): Recent deve­lo­p­ments in Inter­ge­nera­tio­nal Mobility.
ftp://repec.iza.org/RePEc/Discussionpaper/dp4866.pdf

Sum­ma sum­ma­rum: Mit der volks­wirt­schaft­li­chen Kennt­nis­sen von Thi­lo Sar­ra­zin dürf­te es nicht weit her sein. Wie kommt er dann auf sei­ne Mei­nun­gen? Viel­leicht lie­fert der For­schungs­zweig zur inter­ge­nera­tio­nel­len Trans­mis­si­on ras­sis­ti­scher Vor­ur­tei­le eine Ant­wort, doch das ist eine ande­re Geschichte.

Lite­ra­tur:

Bel­zil, C./Hansen, J. (2003): Struc­tu­ral esti­ma­tes of the inter­ge­nera­tio­nal edu­ca­tio­nal cor­re­la­ti­on in: Jour­nal of App­lied Eco­no­metrics Vol. 18 No 5
Becker, Gary S./Tomes, Nigel(1979):An Equi­li­bri­um Theo­ry of the Dis­tri­bu­ti­on of Inco­me and Inter­ge­nera­tio­nal Mobi­li­ty, The Jour­nal of Poli­ti­cal Eco­no­my, Vol. 87, No. 6,p.1153–1189
Becker, Gary S./Tomes, Nigel(1986):Human Capi­tal and the Rise and Fall of Fami­lies, Jour­nal of Labor Eco­no­mics, Vol. 4, No. 3, Part 2: The Fami­ly and the Dis­tri­bu­ti­on of Eco­no­mic Rewards (Jul., 1986), p. S1-S39
Behr­man, J. R./Rosenzweig, M. R. (2002): Does Incre­a­sing Women’s Schoo­ling Rai­se the Schoo­ling of the Next Genera­ti­on? , Ame­ri­can Eco­no­mic Review 92, pp. 323–334
Bow­les, Samuel/​Gintis, Her­bert (2001):The Inheri­tance of Eco­no­mic Sta­tus: Edu­ca­ti­on, Class, and Gene­tics, TWor­king Papers 01–01-005, San­ta Fe Institute
Black, S. E./Devereux, P. J./Salvanes, K. G. (2005): Why the Apple Doesn’t Fall Far: Under­stan­ding Inter­ge­nera­tio­nal Trans­mis­si­on of Human Capi­tal, Ame­ri­can Eco­no­mic Review 95, pp. 437–449
Bour­dieu, P. (1984): Die fei­nen Unter­schie­de STW Frankfurt
Heck­man, J./Carneiro, P. (2003): Human capi­tal poli­cy NBER Working Paper 9495
D’Addio (2007):Intergenerational Trans­mis­si­on of dis­ad­van­ta­ge. mobi­li­ty or immo­bi­li­ty across genera­ti­ons? OECD Social Employ­ment and Migra­ti­on WP No. 52
Hertz, T./Jayasundera, T./Piraino, P./Selcuk, S./Smith, N./Verashchagina, A. (2008): The Inheri­tance of Edu­ca­tio­nal Ine­qua­li­ty: Inter­na­tio­nal Com­pa­ri­sons and Fif­ty-Year Trends, Advan­ces in Eco­no­mic Ana­ly­sis & Poli­cy, Ber­ke­ley Elec­tro­nic Press, vol. 7(2), pages 1775–1775.
Loeh­lin, J.C. (2005): Resem­blan­ce in Per­so­na­li­ty and Atti­tu­des Bet­ween Par­ents and Their Child­ren: Gene­tic and Envi­ron­men­tal Con­tri­bu­ti­ons in: S. Bow­les, et al Prince­ton Uni­ver­si­ty Press.
Mul­ligan, Casey B.(1999):Galton ver­sus the Human Capi­tal Approach to Inheri­tance, The Jour­nal of Poli­ti­cal Eco­no­my, Vol. 107, No. 6, Part 2: Sym­po­si­um on the Eco­no­mic Ana­ly­sis of Social Beha­vi­or in Honor of Gary S. Becker (Dec., 1999), pp. S184-S224
Plug, E. (2004):Estimating the Effect of Mother’s Schoo­ling Using a Sam­ple of Adop­tees, The Ame­ri­can Eco­no­mic Review 94, pp. 358–368
Solon, G. (1999): Inter­ge­nera­tio­nal mobi­li­ty in the labor mar­ket, in Hand­book of Labor Eco­no­mics, ed. by O. Ashen­fel­ter, and D. Card, vol. 3 of Hand­book of Labor Eco­no­mics, chap. 29, pp. 1761–1800. Elsevier
Solon, G. (2002): Cross-coun­try dif­fe­ren­ces in inter­ge­nera­tio­nal inco­me mobi­li­ty in: Jour­nal of Eco­no­mic Per­spec­ti­ves Vol. 16
Solon, G. (2004): A model of inter­ge­nera­tio­nal mobi­li­ty varia­ti­on over time and place in: M. Corak (ed.) Genera­tio­nal Inco­me mobi­li­ty in North Ame­ri­ca and Euro­pe. Cam­bridge Uni­ver­si­ty Press

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BEIGEWUM-Stellungnahme zur Budgetkonsolidierung

24. August 2010 – 15:42 Uhr

Alter­na­ti­ven zur neo­li­be­ra­len Budgetkonsolidierung 

Die Aus­wir­kun­gen der stärks­ten Kri­se des kapi­ta­lis­ti­schen Wirt­schafts­sys­tems seit 80 Jah­ren konn­ten mit mas­si­ver Staats­in­ter­ven­ti­on dies­mal ver­gleichs­wei­se rasch ein­ge­dämmt wer­den. Ban­ken wur­den geret­tet, der Wirt­schafts­ein­bruch begrenzt, die Mas­sen­ein­kom­men sta­bi­li­siert, zumin­dest in Öster­reich der Anstieg der Arbeits­lo­sig­keit über­schau­bar gehal­ten – aber vor allem wur­den auch die Ver­mö­gens­wer­te gesi­chert. All das gab es nicht zum Null­ta­rif – im Gegen­teil: Allei­ne in der Euro­zo­ne sam­mel­ten sich Kri­sen­schul­den in Höhe von einem Fünf­tel der Wirt­schafts­leis­tung an, rund 1,5 Bil­lio­nen Euro (AT: rund 10 % des BIP bzw. knapp 30 Mrd Euro).

Vor die­sem Hin­ter­grund meh­ren sich die Ver­su­che, das Ver­ur­sa­cher­prin­zip aus den gegen­wär­ti­gen bud­get­po­li­ti­schen Debat­ten aus­zu­blen­den. Umso mehr bedarf es der Klar­stel­lung, dass die höhe­re Staats­ver­schul­dung tat­säch­lich auf­grund der Kri­se – und nicht auf­grund plötz­lich über­bor­den­der Sozi­al­leis­tun­gen – so rasch steigt: Die Kri­sen­schuld drückt sich eben nicht nur in Ban­ken- und Kon­junk­tur­pa­ke­ten, son­dern eben auch in höhe­ren Sozi­al­aus­ga­ben für Arbeits­lo­sig­keit, sin­ken­des Abga­ben­auf­kom­men und stei­gen­de Abgangs­de­ckun­gen der Bei­trags­aus­fäl­le in den Sozi­al­ver­si­che­rungs­töp­fen aus. Gleich­zei­tig ist her­vor­zu­strei­chen, dass gera­de im Haupt­kri­sen­jahr 2009 die Ver­mö­gen bzw. die Zahl der Mil­lio­nä­re gemäß diver­sen Wealth Reports 2009 wie­der deut­lich gestie­gen ist – vor allem auf­grund stei­gen­der Bör­sen­kur­se. Die­se hän­gen eng damit zusam­men, dass Unter­neh­men bei Per­so­nal sowie Inves­ti­tio­nen spar­ten, wäh­rend sie zumeist die Divi­den­den­aus­schüt­tungs­quo­ten stei­ger­ten und Mana­ge­rIn­nen­be­zü­ge üppig beließen.

Kri­se als Chan­ce neo­li­be­ra­ler Reformpolitik?

Folgt man der Logik von OECD, EZB, EU-Kom­mis­si­on sowie Wirt­schafts­lob­bys und ihren Par­tei­en, müs­sen die Kri­sen­schul­den nun mög­lichst radi­kal abge­baut wer­den. Am bes­ten durch eine ver­schärf­te Durch­set­zung der bereits vor der Kri­se ins Sto­cken gera­te­nen neo­li­be­ra­len Reform­po­li­tik (kaum wei­te­re Libe­ra­li­sie­rung von Dienst­leis­tun­gen, öffent­li­cher Daseins­vor­sor­ge oder Arbeits­be­zie­hun­gen). Am Pro­gramm ste­hen ins­be­son­de­re Kür­zun­gen der Staats­haus­hal­te mit dem Ziel einer erneu­er­ten Inten­si­tät der wett­be­werbs­staat­li­chen Restruk­tu­rie­rung, Abbau der sozia­len Sicher­heit und erhöh­ter Druck auf Beschäf­tig­te län­ger und zu schlech­te­ren Bedin­gun­gen zu arbei­ten. Wo das nicht aus­reicht, sol­len Mas­sen­steu­ern die Kas­sen fül­len und vor allem ärme­ren Haus­hal­ten so man­che Las­ter finan­zi­ell aus­ge­trie­ben wer­den (Tabak, Alko­hol, Energieverbrauch).

Dis­kur­siv wer­den die Kri­sen­schul­den zuneh­mend in ein „Leben über den Ver­hält­nis­sen“ der gesam­ten Bevöl­ke­rung bzw des Staats­ap­pa­ra­tes umge­deu­tet, wel­ches nun nicht mehr leist­bar sei. So wird die Ver­tei­lungs­fra­ge bewusst aus­ge­blen­det, die sich sowohl vor, in und nach der Kri­se stellt. Folg­lich wer­den höhe­re Steu­ern für beson­ders wohl­ha­ben­de Schich­ten bes­ten­falls in Fuß­no­ten in Betracht gezo­gen. Im Mit­tel­punkt steht aber nur eines, näm­lich Spa­ren – bevor­zugt bei mög­lichst wei­ten Tei­len der Bevöl­ke­rung: Pen­sio­nis­tIn­nen, Arbeits­lo­sen, Schü­le­rIn­nen, öffent­lich Bediens­te­ten, sozi­al Schwä­che­ren, usw. Ganz im Sin­ne des Thatcher’schen Leit­spruchs heißt es wie­der „The­re is no alter­na­ti­ve“. Dass dies unver­meid­li­che nega­ti­ve Fol­gen nicht nur für die Betrof­fe­nen, son­dern auch gesamt­ge­sell­schaft­lich in Form von höhe­rer Arbeits­lo­sig­keit und nied­ri­ge­rem Wohl­stand für alle hat, wird zwar immer wie­der wis­sen­schaft­lich bestä­tigt, aber poli­tisch igno­riert oder mit der zwei­fel­haf­ten Pro­gno­se von posi­ti­ven Effek­ten in 30 Jah­ren ver­schlei­ert. Eben­so, dass es genau des­halb eine brei­te gesell­schaft­li­che Debat­te und mehr Mit­be­stim­mung statt Sach­zwang- und Blut-Schweiß-Trä­nen-Logik bedürfte.

Die­ses war bereits das domi­nie­ren­de Mus­ter der Kri­sen­po­li­ti­ken der 1980er und 1990er. Die Welt­wirt­schafts­kri­se der 1930er Jah­re wur­de hin­ge­gen – spä­tes­tens nach der Über­win­dung der sie beglei­ten­den Faschis­men – noch zu einem fun­da­men­ta­len Wech­sel in der Wirt­schafts­po­li­tik genutzt, der in den Indus­trie­staa­ten zumin­dest bis Ende der 60er noch nie dage­we­se­ne Wohl­stands­zu­wäch­se brachte.

Alter­na­ti­ven zu Spa­ren UND Schul­den gefragt

Bud­get­de­fi­zi­te sind in spe­zi­fi­schen Situa­tio­nen – wie ins­be­son­de­re der aktu­el­len – zwecks Sta­bi­li­sie­rung der Wirt­schaft im Sin­ne einer keyne­sia­ni­schen Wirt­schafts­po­li­tik, teu­ren Groß­pro­jek­te oder zwecks Inves­ti­tio­nen mit einem über den Zins­kos­ten lie­gen­dem Ertrags­wert zwei­fels­oh­ne sinn­voll. Lang­fris­tig soll­te eine wach­sen­de Staats­ver­schul­dungs­quo­te aber ver­mie­den wer­den: Ers­tens wür­de sie zu einem wach­sen­den Anteil der Zins­kos­ten an den Gesamt­aus­ga­ben füh­ren, sprich es bleibt ein gerin­ge­rer Teil für ande­re Aus­ga­ben. Zwei­tens steigt die poten­zi­el­le Abhän­gig­keit von den Kapi­tal­ge­be­rIn­nen (auch wenn die­se nur in den sel­tens­ten Fäl­len so kon­kret mani­fest wird wie zuletzt etwa in Grie­chen­land). Drit­tens ver­tei­len sie zu Wohl­ha­ben­den um, denn Staats­schul­den sind immer auch – im All­ge­mei­nen sehr ungleich ver­teil­te – Finanz­ver­mö­gen ande­rer: ins­be­son­de­re von Ban­ken, wei­ters von Invest­ment­fonds und Ver­si­che­run­gen, eher sel­te­ner direkt von rei­chen Pri­vat­per­so­nen. Es ist eine beson­de­re Iro­nie der Kri­se, wenn nun die staat­lich geret­te­ten Ban­ken – deren Ent­schei­dungs­gre­mi­en zumeist nicht ange­tas­tet wur­den – nun ihre Macht als wich­tigs­te Kapi­tal­ge­be­rin­nen der Staa­ten gegen die­se aus­spie­len und via höhe­re Zin­sen durch Risi­ko­auf­schlä­ge maß­geb­lich dar­an verdienen.

Eine höhe­re Ver­schul­dung ist daher bis zu einem gewis­sen Grad nur ein schlech­tes Sub­sti­tut für höhe­re ver­mö­gens­be­zo­ge­ne Steu­ern: Im einen Fall muss das Geld plus Zin­sen wie­der zurück­ge­zahlt wer­den, im ande­ren steht es per Gesetz der öffent­li­chen Hand zu. Im einen Fall wird die poli­ti­sche Macht des Finanz­ka­pi­tals gestärkt, im ande­ren die Ent­schei­dungs­macht der Finan­ziers ein­ge­schränkt. So schlug bereits Joseph Schum­pe­ter zu Beginn der 1. Repu­blik vor, die dama­li­gen Kriegs­schul­den mit einer ein­ma­li­gen, gro­ßen Ver­mö­gens­ab­ga­be zu til­gen. In der aktu­el­len Kri­se for­der­te ledig­lich die IG-Metall in Deutsch­land eine Zwangs­an­lei­he für Rei­che, die real­po­li­tisch jedoch noch weni­ger Erfolgs­aus­sicht haben dürf­te als zumin­dest mode­ra­te ver­mö­gens­be­zo­ge­ne Abgaben.

Her­aus­for­de­run­gen Arbeits­lo­sig­keit und Kri­sen­ver­mei­dung nicht min­der dringlich

Zur Kon­so­li­die­rung der Staats­fi­nan­zen gibt es mit­tel­fris­tig folg­lich tat­säch­lich kei­ne Alter­na­ti­ve, sehr wohl aber bezüg­lich „wer“, „wann“ und des „wie“. Wich­tig ist, dass sie nicht los­ge­löst von der Wirt­schafts­kri­se erfolgt. Sie soll des­halb Teil einer aus­ge­wo­ge­nen Wirt­schafts­po­li­tik sein, die neben dem Abbau der Defi­zi­te auch einen Abbau der deut­lich über 20 Mio Arbeits­lo­sen in Euro­pa, höhe­re und glei­cher ver­teil­te Wohl­stands­ge­win­ne, einen öko­lo­gi­schen Umbau der Wirt­schaft usw. zum Ziel hat. Sie muss aber auch auf eine Ver­mei­dung zukünf­ti­ger Kri­sen abzie­len, denn ange­sichts der Dimen­si­on der Kri­sen­schul­den wäre ihre Ver­mei­dung die mit Abstand bes­te Kon­so­li­die­rungs­stra­te­gie gewe­sen. Aus­gangs­punkt müs­sen des­halb auch Lösun­gen der struk­tu­rel­len Kri­sen­ur­sa­chen sein – im Wesent­li­chen die in Deutsch­land vom Insti­tut für Makro­öko­no­mie und Kon­junk­tur­for­schung gepräg­ten „3 U“: Ungleich­heit, Ungleich­ge­wich­te im Außen­han­del und Unver­nunft auf den Finanzmärkten.

Die aktu­el­len Kon­so­li­die­rungs­pro­zes­se auf euro­päi­scher wie natio­na­ler Ebe­ne sind Ver­su­che eine unso­zia­le Poli­tik der lee­ren Kas­sen durch­zu­set­zen: Fahr­läs­sig pro­du­zier­te Defi­zi­te wer­den genutzt um staat­li­che Leis­tun­gen ein­zu­schrän­ken oder zu pri­va­ti­sie­ren. Auch dies­mal wird haupt­säch­lich auf Aus­ga­ben­kür­zun­gen gesetzt wer­den, wäh­rend Ver­mö­gen bzw der Finanz­sek­tor kaum belas­tet wer­den. Die­se Kür­zun­gen dämp­fen jedoch die wirt­schaft­li­che Erho­lung, Beschäf­ti­gung und sozia­len Zusam­men­halt, denn Staats­aus­ga­ben sind ver­ant­wort­lich für einen wesent­li­chen Teil der gesamt­wirt­schaft­li­chen Nach­fra­ge. Gera­de in Län­dern wie Spa­ni­en wäre es fatal, wie ange­kün­digt bereits 2013 die Maas­tricht-Kri­te­ri­en wie­der ein­zu­hal­ten, zumin­dest solan­ge die Wirt­schafts- und Beschäf­ti­gungs­ent­wick­lung nicht kräf­tig anzie­hen. Gefragt ist außer­dem eine dif­fe­ren­zier­te Stra­te­gie: Län­der mit Leis­tungs­bi­lanz­über­schüs­sen und unter­durch­schnitt­li­chen Defi­zi­ten soll­ten eine weni­ger restrik­ti­ve Fis­kal­po­li­tik fah­ren um den Spiel­raum von Spa­ni­en & Co zu erhöhen.

In Öster­reich sieht der Plan der Bun­des­re­gie­rung für 2011 eine Defi­zit­re­duk­ti­on von bis zu 4 Mrd Euro mit aus­ga­ben­sei­ti­gem Schwer­punkt vor – gera­de vor dem Hin­ter­grund einer im euro­päi­schen Ver­gleich guten Aus­gangs­la­ge eine absurd hohe Vor­ga­be (ins­be­son­de­re wenn – wie von der Regie­rung vor­ge­se­hen – im Bil­dungs­be­reich mehr Mil­lio­nen als beim Heer ein­ge­spart wer­den sol­len). Es ist zu befürch­ten, dass Unter­fi­nan­zie­rung im Bil­dungs­be­reich, feh­len­de För­de­rung von Klein­kin­dern, Arbeits­lo­sig­keit und feh­len­de sozia­le Absi­che­rung die Chan­cen zukünf­ti­ger Genera­tio­nen beschrän­ken. Gemäß WIFO-Stu­di­en müss­te ein Kon­so­li­die­rungs­vo­lu­men von einer Mil­li­ar­de Euro – je nach Maß­nah­me – bis zu 0,7 % des BIP bzw 25.000 Arbeits­plät­ze kos­ten. Das wird wie­der­um dazu füh­ren, dass die Kon­so­li­die­rung selbst gefähr­det ist, weil der Nach­fra­ge­aus­fall zB die Staats­ein­nah­men wei­ter senkt oder die Aus­ga­ben durch Arbeits­lo­sig­keit erhöht. Es wird geschätzt, dass ein um 1 %-Punkt nied­ri­ge­res Wirt­schafts­wachs­tum das Bud­get­de­fi­zit um knapp 0,5 % des BIP ver­schlech­tert. Spa­ren alle Euro­päi­schen Staa­ten gleich­zei­tig, ver­stär­ken sich die nega­ti­ven Effek­te sogar noch wech­sel­sei­tig.

Ver­mö­gen­de und Finanz­sek­tor besteuern

Die Kon­so­li­die­rung muss folg­lich zual­ler­erst auf der Ein­nah­men­sei­te anset­zen und zwar dort, wo sie eine adäqua­te Kri­sen­ant­wort sind und von den Betrof­fe­nen geschul­tert wer­den kön­nen: bei Ver­mö­gen­den. Das wür­de bedeu­ten, Ver­mö­gens­zu­wäch­se, Erb­schaf­ten und Schen­kun­gen sowie Ver­mö­gen an sich zu belas­ten sowie höhe­re Spit­zen­steu­er­sät­ze auf sehr hohe Ein­kom­men ein­zu­he­ben (zB ab etwa 250.000 Euro/​Jahr). Zusätz­lich müss­ten im Finanz­sek­tor desta­bi­li­sie­ren­de Akti­vi­tä­ten redu­ziert wer­den, auch – aber nicht nur – mit Steu­ern: Finanz­trans­ak­ti­ons­steu­er, Ban­ken­ab­ga­be und höhe­re Besteue­rung von Boni­fi­ka­tio­nen kön­nen hier posi­ti­ve Len­kungs­ef­fek­te brin­gen. Die­se Steu­ern kön­nen zudem als Abgel­tung für die Ret­tung der Ver­mö­gen der Bank­ak­tio­nä­rIn­nen auf Staats­kos­ten gese­hen wer­den, die ohne Inter­ven­ti­on deut­lich ver­rin­gert oder ver­nich­tet wor­den wären.

Sie sind aber auch aus ande­ren Grün­den ande­ren Maß­nah­men wie höhe­ren Aus­ga­ben­kür­zun­gen vor­zu­zie­hen: Sie wir­ken sich posi­tiv auf die Ein­kom­mens­ver­tei­lung aus, sie ste­hen in engem Zusam­men­hang mit der Kri­se, sie fin­den eine rela­tiv brei­te Zustim­mung in der Bevöl­ke­rung und sie haben kaum nega­ti­ve Fol­gen für die gesamt­wirt­schaft­li­che Nach­fra­ge, da Rei­che eher mit Spar- als mit Kon­sum­ver­zicht reagie­ren. Spe­zi­ell in Öster­reich kommt hin­zu, dass die Abga­ben­quo­te von Ver­mö­gen auch im inter­na­tio­na­len Ver­gleich rekord­ver­däch­tig nied­rig ist.

Das Defi­zit-Dilem­ma ist nur lang­fris­tig und mit höhe­ren ver­mö­gens­be­zo­ge­nen Steu­ern sinn­voll zu lösen, die nicht nur wenig wachs­tums­hem­mend, son­dern vor allem auch sozi­al gerecht sind. Höhe­re Steu­ern sind auch des­halb ange­bracht, weil andern­falls ein Abbau der Kri­sen­schul­den wohl zu Las­ten not­wen­di­ger Zukunfts­in­ves­ti­tio­nen geht: qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­ge Bil­dung, Pfle­ge, Kin­der­be­treu­ung sowie Inte­gra­ti­on und eine Ener­gie­wen­de erfor­dern höhe­re Aus­ga­ben, die es für eine Zukunft ohne neo­li­be­ra­len Back­lash zu finan­zie­ren gilt.

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