Veranstaltungsbericht + Video „Griechenland – eine europäische Tragödie“
* In der griechischen Bevölkerung herrscht gewisse Akzeptanz für Konsolidierungsbedarf, aber die beschlossenen Maßnahmen treffen laut herrschender Einschätzung die Falschen (Probleme wie Steuerhinterziehung, Vermögensungleichheit, Militärausgaben zu wenig angegangen).
* Unter den internen Faktoren ist neben der Bankenkrise vor allem die Olympischen Spiele 2004 als maßgeblich für die Eskalation der griechischen Staatsverschuldungs-Problematik zu nennen.
* Die aktuelle Staatsschuldenkrise ist weniger internen Faktoren zuzuschreiben, als vielmehr die letzte Etappe der Finanzkrise – jetzt geht es um die Frage, wer zahlt.
* Die südlichen (wie auch die meisten östlichen) EU-Staaten haben eines gemeinsam: Importabhängigkeit und Abhängigkeit von Kapitalzufuhr aus dem Ausland, oft ist bzw. war das Wachstum Immobilienboom-getrieben. Das Spiegelbild sind Überschussländer, allen voran Deutschland (aber auch Niederlande, und Österreich gegenüber Osteuropa): Sie exportieren Waren und Kapital.
* Das Rettungspaket ist überfällig gewesen, aber in eine problematische Strategie eingebettet. Die wirtschaftspolitische Strategie der EU läuft darauf hinaus, dass alle Mitglieder Exportüberschüsse anstreben sollen – was aber zumindest global nicht für alle geht.
* Den östlichen Staaten ist von der EU schon früher jene Strategie verordnet worden, wie jetzt dem Süden: Lohnsenkungen und Budgetkonsolidierung. Weil das zur Rezession führt, wird die Budgetkonsolidierung nicht erreicht. Die Reduktion des Leistungsbilanzdefizits gelang jedoch. Allerdings zu einem hohen Preis: Zerstörung industrieller Strukturen und Armut.
Diese Strategie hat das Potenzial eines Dominoeffekts: Anpassungsdruck auf die Löhne nach unten wird auf den Westen der EU überspringen. Es handelt sich also um eine Radikalisierung der neoliberalen Politik der letzten Jahre.
* Hat sich die Rolle des IWF geändert? Der „Strauss-Kahn-Effekt“ macht sich nur moderat bemerkbar: Statt wie ursprünglich geplant 3 Jahre, erhält Griechenland für die Budgetanpassung nun 5 Jahre Zeit.
* Mögliche Alternativen: Forderungsverzicht der Gläubiger, flankiert von Kapitalverkehrskontrollen; Aufbau von Produktionsstrukturen in Defizitländern, finanziert durch Transfers aus Überschussländern.
* Hier ist eine Videoaufzeichnung der Veranstaltung.
Vorankündigung 16.06.: Buch-Präsentation „Mythen der Krise“
16. Juni, 19 Uhr
Thalia Wien Mitte, Landstraßer Hauptstraße 2a/2b
„Mythen der Krise“ – Inhaltsverzeichnis, Textprobe und Bestellmöglichkeit auf hier.
11.05.: „Griechenland – eine europäische Tragödie“
Dienstag, 11. Mai 2010, 19 Uhr,
im Republikanischen Club, Rockhgasse 1, 1010 Wien (hinterm Juridikum)
Diskussion mit ÖkonomInnen aus der Kurswechsel Redaktion:
- Joachim Becker
- Werner Raza
- Elisabeth Springler
Moderation: Beat Weber
Warum ist die EU auf der „Griechspur“? Wie fair ist das Hilfspaket? Wie aussichtsreich ist das Sparprogramm? Gibt es Alternativen? Brechen Zentrum und Peripherie in der EU jetzt auseinander? Rolle von EU und IWF, Parallelen und Unterschiede zu früheren Anpassungsprogrammen z.B. in Lateinamerika etc.
Aus Anlass der Präsentation von Kurswechsel 1/2010 „Krise in Europa“
Das Inhaltsverzeichnis findet sich hier.
Deutschland – Totengräber der Währungsunion?
Die Weigerung der deutschen Bundesregierung, Griechenland in der sich seit Monaten zuspitzenden Schuldenkrise unter die Arme zu greifen, hat die griechische Krise zu einer europäischen Krise werden lassen. Mehr noch, mittlerweile steht die Zukunft der Währungsunion auf dem Spiel. Darüber entscheiden wird maßgeblich das Verhalten der deutschen Politik.
Das vor allem in Deutschland – aber auch in Österreich – verbreitete Griechenland-Bashing und das kaum verhohlene Wiederaufleben anti-griechischer Ressentiments, ist nicht nur ökonomisch gefährlich, sondern wird die kulturelle Kluft zwischen den Mitgliedsstaaten der EU vertiefen und damit die Fundamente einer weitergehenden politischen Integration aushöhlen. Wer am Projekt Europa festhalten will, sollte gerade in der Krise nicht populistischen Verkürzungen erliegen, sondern eine ausgewogene Ursachenforschung betreiben. Das bedeutet zum ersten, anzuerkennen, dass es hausgemachte Fehler der griechischen Wirtschaftspolitik der letzten 10 Jahre gegeben hat – so war das Budgetdefizit vor Ausbruch der Krise bei hohen 5%. Die derzeitige Höhe des Defizits (13%) ist aber maßgeblich auf den Ausbruch der globalen Finanzkrise zurückführen. Es kann nicht als Versagen des griechischen Staats gelten. Die Griechen sind auch entgegen vorherrschender Vorurteile nicht faul. Das Produktivitätswachstum Griechenland überstieg das deutsche um das Doppelte seit Einführung des Euro im Jahr 1999. Die Griechen sind auch das Volk mit der längsten jährlichen Arbeitszeit in Europa.
Zum Zweiten muss man ganz klar sagen, dass Deutschland selbst eine Geschichte als Budgetsünder hat. So wurde in den Jahren 2001–2005 das Defizitkriterium des Stabilitätspakts regelmäßig verletzt. Auf maßgebliches Drängen der deutschen Regierung ist es 2005 zu einer Aufweichung des Stabilitätspakts gekommen. Übrigens ist die deutsche Bundesregierung damals kläglich mit dem Versuch gescheitert, sein Budget durch Sparprogramme zu sanieren. Genau das wird jetzt aber von Griechenland verlangt. Die Regierung Merkel misst also mit zweierlei Maß, wenn es jetzt Griechenland und anderen EU-Staaten brutale Sparprogramme aufzwingen will.
Drittens hätte es gar nicht soweit mit Griechenland kommen müssen. Die regelrechte Verzögerungstaktik der Bundesregierung während der letzten Monate bei der Ausarbeitung des Hilfspakets hat zu einer massiven Verunsicherung auf den Finanzmärkten geführt und Spekulanten auf den Plan gerufen, die auf einen Staatsbankrott Griechenlands gewettet haben. Daher das Explodieren der Risikoaufschläge auf griechische Staatsanleihen der letzten Wochen. Bei einer raschen Rettungsaktion wäre eine solche Dynamik erst gar nicht entstanden.
Viertens verstellt der herrschende wirtschaftspolitische Diskurs in Deutschland den Blick auf die ökonomischen Funktionsbedingungen einer Währungsunion. Der erste Grundsatz lautet, dass die makroökonomische Stabilität einer Währungsunion nur dann gewährleistet werden kann, wenn es zu einer realen Konvergenz von Preisen und Löhnen kommt. Hierbei spielt die Lohnpolitik eine zentrale Rolle. Nur wenn die Lohnabschlüsse in den Mitgliedsstaaten sich an der Zielinflationsrate der EZB und dem nationalen Produktivitätswachstum orientieren, kann verhindert werden, dass es zu einer Auseinanderentwicklung der Lohnstückkosten kommt. Gelingt dies nicht, kommt es unweigerlich zu Veränderungen der preislichen Wettbewerbsfähigkeit der nationalen Exportindustrien, die dann wiederum zu steigenden Handelsbilanzungleichgewichten führen. Genau das ist in der Währungsunion passiert. Länder wie Griechenland hatten in den letzten 10 Jahren zu hohe Lohnabschlüsse mit dementsprechend negativen Effekten auf ihren Handelsbilanzsaldo (-14% 2008). In Ländern mit unterdurchschnittlichen Lohnabschlüssen, allen voran Deutschland, kam es zu einem regelrechten Exportboom mit hohen Außenhandelsüberschüssen. Das heißt, beide Seiten haben gegen die Regeln verstoßen, die einen mit zu hohen Lohnabschlüssen, die anderen mit zu niedrigen. Wenn kleine Länder wie Österreich über Exporte wachsen wollen, mag das noch verkraftbar sein. Wenn das aber die Wachstumsstrategie der größten Volkswirtschaft der EU ist, muss dies zu massiven außenwirtschaftlichen Verwerfungen führen. In einer Währungsunion fällt aber das wirtschaftspolitische Mittel der Wahl zum Abbau von Handelsbilanzungleichgewichten, nämlich eine Währungsabwertung, weg. Der Abbau des Ungleichgewichts geht nur über eine reale Ab- bzw. Aufwertung. Mit anderen Worten: Griechenland muss seine Preise und Löhne senken, Deutschland diese erhöhen. Der derzeitige Lösungsansatz von EU und IWF konzentriert sich allerdings einseitig auf ersteres, zweiteres wird ignoriert. Schlimmer noch: das deutsche Establishment weigert sich beharrlich, seinen Teil der Verantwortung an der Krise anzuerkennen und die notwendigen strukturellen Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Im Gegenteil: am Dogma, dass die Erhöhung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit durch niedrige Lohnabschlüsse immer und überall die richtige wirtschaftspolitische Strategie darstellt, wird hartnäckig festgehalten.
Das in der Diskussion strapazierte moralische Argument, kein Land dürfe über seine Verhältnisse leben und mehr Schulden aufnehmen als es zurückzahlen kann (und müsse daher bei Zahlungsunfähigkeit durch strenge Sparauflagen bestraft werden), sieht nicht nur von der moralischen Verantwortung des Gläubigers ab, sondern zeugt von ökonomischem Masochismus und politischer Kurzsichtigkeit. Wenn Griechenland – und in weiterer Folge andere von Schuldenkrisen bedrohte Länder wie Portugal, Spanien oder Irland, jetzt auf Jahre zu strenger Sparpolitik gezwungen werden, leidet zuallererst die größte europäische Exportnation, indem für deutsche Exportprodukte Absatzmärkte weg brechen. Zum zweiten wird damit jede Wachstumsdynamik in den Schuldnerländern abgewürgt, und in Folge dessen die Fähigkeit zur Rückzahlung der Schulden erst recht wieder in Frage gestellt. Zahlreiche Schuldenkrisen der jüngeren Geschichte haben gezeigt, dass ein Land sich aus seinen Schulden nicht heraussparen, sondern nur herauswachsen kann. Entscheidend für die Zahlungsfähigkeit Griechenlands wird daher sein, dass es rasch auf einen Wachstumspfad zurückkehren kann. Dafür braucht es kurzfristig Überbrückungskredite von EU und IWF sowie eine Umschuldung mit einer substanziellen Reduktion der Schuldenlast zulasten der Gläubiger griechischer Staatsanleihen. Darüber hinaus muss es aber eine partielle Rücknahme bzw. zeitliche Streckung der überzogen strengen Sparauflagen geben. Nur so kann Griechenland in die Lage versetzt werden, Investitionen in die Wettbewerbsfähigkeit seiner Wirtschaft zu tätigen und die schlimmsten sozialen Auswirkungen der Krise auf seine Bevölkerung abzumildern. Wer in Deutschland und anderswo daran interessiert ist, dass das europäische Projekt eine politische Zukunft hat, sollte gerade den letzten Punkt nicht aus den Augen verlieren.
Und das Ziel der Sache?
Im Blog der Zeitschrift „The Economist“:
What exactly was the purpose of the financial sector supposed to be, again? Because I‘m pretty sure „inflating bubbles so as to bet on their collapse, thus forcing the taxpayers to bail out your counterparties“ wasn’t it. [link]
Es geht natürlich um die Anklage der U.S.-amerikanischen Aufsichtsbehörde SEC gegen die Investmentbank Goldman Sachs. Die Empörung schwappt über; selbst wenn die juristische Frage der Anklage noch bei weitem nicht geklärt ist, politisch scheint es sich für die Obama-Administration schon jetzt auszuzahlen.
Zeitgleich zur Goldman Sachs-Story ist am Wochenende eine einstündige Sendung auf „This American Life“ gelaufen, die – zeitlich beschränkt – auch als podcast zur Verfügung steht, und in der ein ähnliches Vorgehen, wie es Goldman Sachs vorgeworfen wird, beim Chicagoer Hedgefund Magnetar diagnostiziert wird. Die Geschichte wurde zuerst von Journalisten auf propublica publiziert und ist sehr lesenswert; unter anderem, weil das systematische Vorgehen sehr deutlich wird:
Deutsche, Magnetar and State Street called the $1.6 billion CDO they created Carina, a constellation whose name in Latin means a ship’s keel. In November 2007, Carina had the distinction of being the first subprime CDO of its kind to be forced into liquidation. [link]
Die Sache bleibt aus mehreren Gründen interessant. Kann die SEC, die in den letzten Jahren stark kritisiert wurde (man denke nur an Madoff), mit einem aufsehenerregenden Fall wie gegen Goldman Sachs ihre Reputation wieder herstellen? Kann die Regierung Obama die umstrittene Finanzmarktregulierung durch den Kongress bringen? Und wie werden sich die Banken wehren?
Die Logik des Exportweltmeisters
In Deutschland ist man irrsinnig stolz darauf, dass Deutschland so viel exportiert und wenig importiert. Eine ähnliche Politik fährt auch Österreich. Das Problem an der Sache: Wenn ein Land Exportüberschüsse hat, dann braucht ein anderes Importüberschüsse, denn in Summe aller Länder der Welt müssen sich Exporte und Importe immer zu Null addieren. Mit anderen Worten: Das Importland verschuldet sich beim Exportland. Noch anders: Zahlreiche Länder der EU (und darüber hinaus) sind bei Deutschland verschuldet. Nun fordert die veröffentlichte Meinung in Deutschland, die Schuldenländer sollten mal weniger Schulden machen, gleichzeitig wird von Bundeswirtschaftsminister Brüderle (FDP) eine Außenwirtschaftsoffensive angekündigt, um die Exporte zu stärken. Das nenne ich Logik: Die anderen sollen sparen, mehr Überschüsse erwirtschaften und mehr deutsche Waren kaufen. Wie das gehen soll, bleibt dabei unerklärt. Ohne dauerhaft ausgeglichene Bilanzen wird es keine Stabilität geben. Und ohne höhere Löhne in Deutschland (=Binnennachfrage stärken) wird es keine Verteilung des erwirtschafteten Wohlstands geben. Oberlehrerhaftes Getue ist weder angebracht noch hilfreich. Mehr Importe oder weniger Exporte, in jedem Fall eine stärkere Binnennachfrage, das wäre ein strategisch sinnvolles Ziel für die Bundesrepublik.
Siehe auch den FTD-Beitrag von Heiner Flassbeck und Friedericke Spiecker PDF.
Budgetpolitik mit dem Rasenmäher
Die österreichische Regierung hat sich auf einen harten Sparkurs für die kommenden Jahre geeinigt. Was sich im Jänner bereits angedeutet hatte, wurde mit den veröffentlichten Eckpunkten des Bundesfinanzrahmengesetz 2011–2014 konkret: 2011 sollen die Kosten der Krise an die Bevölkerung weitergegeben werden, nachdem sie bisher weitgehend mit staatlichen Mitteln abgefangen wurden. Die Eckpunkten enthalten drei Überraschungen: Erstens ist das Ausmaß der Konsolidierung mit bis zu 4,2 Mrd Euro (mit rund 1,5 % des BIP mehr als das Budget für Universitäten; ohne den eher unwahrscheinlichen Kürzungen von 0,8 Mrd Euro auf Landesebene immer noch 1,2 %) doppelt so hoch wie die europäischen Vorgaben (0,75 % des BIP) erfordern würden. Zweitens wird kein Bereich verschont. Mit der „Rasenmähermethode“ werden die Obergrenzen aller Ausgabenbereiche gegenüber dem BFRG 2010–2013 gekürzt, lediglich die prozentuale „Schnitthöhe“ variiert. Da die Sozialausgaben den größten Anteil im Bundesbudget ausmachen, fällt der größte Betrag (900 Mio Euro) mit dieser Methode zwangsläufig hier an. Drittens konnte die SPÖ der ÖVP abringen, dass de facto die Hälfte des Konsolidierungsvolumens durch neue oder höhere Steuern aufgebracht wird. Noch tiefere Einschnitte im Bildungs- und Sozialbereich konnten damit zwar verhindert werden – angesichts der bevorstehenden Kürzungen und drohender Massensteuern ist das Gesamtpaket trotzdem inakzeptabel. Die Krisenkosten werden auf die breite Masse der Bevölkerung verteilt, obwohl diese die Krise weder verursacht noch vom finanzgetriebenen Wirtschaftswachstum zuvor profitiert hat.
Bankensteuer als Pyrrhussieg?
Während bei der ÖVP relativ klar war, dass wider makrookönomischer Vernunft und sozialen Überlegungen ein radikaler Sparkurs auf Kosten der Allgemeinheit am Programm stand, deutete zumindest die Rhetorik des sozialdemokratischen Regierungspartners einen alternativen Kurs an. Mit der – gegen heftigen Widerstand von ÖVP und Bankenlobby – durchgesetzten Bankensteuer erreichte die SPÖ auch einen ersten konkreten Meilenstein auf dem Weg zu einer sozialeren Budgetpolitik. Wenn das jedoch der einzige Erfolg war, wird die Bankensteuer zum Pyrrhussieg, dem wertmäßig ein Mehrfaches an Massensteuern auf der Einnahmenseite und hauptsächlich Sozialausgabenkürzungen auf der Ausgabenseite gegenüberstehen. Die Bankensteuer wäre dann nicht mehr als ein Feigenblatt für ein Belastungspaket, das untere und mittlere Einkommen am stärksten treffen und gesellschaftlich sinnvolle Reformen (Kinderbetreuung, Bildung, Pflege, Integration, etc) frühestens auf 2015 verschieben würde.
„keine Tabus“
Die Ankündigung des Finanzministers, dass es beim Sparen „keine Tabus geben“ dürfe, muss als ernst zu nehmende Drohung verstanden werden. Es ist überraschend bis skandalös, dass hier sozialdemokratische MinisterInnen bisher jeglichen Widerspruch schuldig bleiben und der Kanzler diese Linie sogar aktiv befürwortet. Die Liste der aufzulistenden Tabus wäre lang und reicht von den immer noch unterdotierten Unis und Schulen über die Arbeitsmarktpolitik bis hin zum grundsätzlichen Erhalt eines leistungsfähigen Sozialstaates.
Traurige Realität ist stattdessen, dass mehr als die Hälfte der Kürzungen auf Sozialausgaben entfallen werden. Selbst die Arbeitsmarktausgaben werden trotz nicht absehbarem Rückgang der Rekordarbeitslosigkeit und trotz des Mehrbedarfs der (hoffentlich bald tatsächlich) umgesetzten Mindestsicherung relativ zum bisherigen Ausgabenplan 2011 gekürzt. Dass Sozial- und Bildungsbereich prozentual betrachtet weniger stark unter den Rasenmäher kommen ist höchstens für die PR-Verantwortlichen der Regierungsparteien ein Trost. Bitter wird es, wenn ein sozialdemokratischer Sozialminister diese Zahlen als „tragfähigen politischen Kompromiss“ verteidigt. Die konkreten Maßnahmen sind noch offen, d.h. es kann gehofft werden, dass sich wenigstens innerhalb des prekären Ausgabenrahmens bzw. bei den Mehreinnahmen die Regierungsschlagwörter „Soziale Verträglichkeit, ökonomische Vernunft, gerecht“ zeigen werden.
Regierung als Sparstreberin auf Kosten der Konjunktur
So oder so schießt die Regierung weit über das noch im Jänner angekündigte – damals noch von Pröll als „Mammutaufgabe“ bezeichnete – Ziel von ca 2,1 Mrd Euro hinaus. Im Gegensatz zu Griechenland erfolgte das übereifrig deutlich über den EU-Vorgaben liegende Konsolidierungsvorhaben freiwillig: keine Spekulationsattacken; mildere EU-Vorgaben im laufenden Defizitverfahren; sinkende Zinsaufschläge in den letzten Monaten; im internationalen Vergleich unterdurchschnittliche Neu- und Gesamtverschuldung; keine weit besseren Wirtschaftsprognosen, die eine Rückführung der Defizite eher erlauben würden; usw.
Die Begründung des Finanzministers, „dass gespart wird, um nachhaltig in die Zukunft zu investieren“, zeigt die Grenzen seiner Bauernschläue auf, wenn es um volkswirtschaftliche Zusammenhänge geht. Natürlich dämpft ein Sparpaket in dieser Größenordnung die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, sei es durch geringere verfügbare Ausgaben der privaten Haushalte (z.B. durch Pensions- und Beamtengehaltseinsparungen) oder direkt durch geringere staatliche Investitionen bzw. Konsum.
Diese geringeren Absatzaussichten werden die Unternehmensinvestitionen nicht gerade beflügeln. Die Folgen werden – verglichen mit dem Szenario „kein Sparpaket“ – eine höhere Arbeitslosigkeit und ein geringeres Wohlstandsniveau aller sein. Schätzungen von OECD, IWF oder WIFO ergeben, dass ein Sparpaket von 1 % des BIP die Wirtschaftsleistung um 0,3 bis 0,5 % dämpft. Grob geschätzt könnte das wiederum bis zu 10.000 Arbeitsplätze kosten. Niedrigere Ausgaben für Bildung, Forschung und Infrastrukturinvestitionen könnten langfristig zusätzliche Schäden verursachen.
Alternative Konsolidierungsstrategie
Führen wir uns noch einmal die Ausgangslage vor Augen: eine internationale Wirtschaftskrise, deren Ursachen u.a. mit ungleichere Einkommensverteilung, neoliberaler Umbau wohlfahrtsstaatlicher Arrangements, liberalisierten Finanzmärkten, Lohndruck durch wachsende Arbeitslosigkeit beschlagwortet werden können, wird durch massive Rettungspakete für Banken und kleineren Maßnahmen für die Konjunkturbelebung abgefedert. Zusätzlich stabilisieren die automatisch höheren Staatsausgaben (vor allem durch steigende Arbeitslosengelder und Beitragsausfällen in der Sozialversicherung) die private Nachfrage. Monate vergehen, in denen weder systematische Mängel behoben noch die Profiteure vor und in der Krise in die finanzielle Verantwortung genommen werden, obwohl beides breite Teile der Bevölkerung weltweit immer wieder einfordern, und obwohl das auch eine wirtschaftspolitisch sinnvolle Antwort wäre.
Daran anzuknüpfen, wäre das Gebot der Stunde. Die Steuervorschläge von SPÖ, Grünen, Teilen der Wissenschaft und anderen politischen Akteuren gehen in eine richtige Richtung: Finanztransaktions‑, Spekulations‑, und andere vermögensbezogene Steuern können nicht nur zu mehr Verteilungsgerechtigkeit, sondern auch zu einer nachhaltigen Reduktion des Defizits/Konsolidierung des Staatshaushalts beitragen. Der falsche Weg ist es hingegen, Ausgaben mit einer abgestuften Rasenmähermethode in Zeiten von Krise und Rekordarbeitslosigkeit zu kürzen.
Trivia
Alltagsweisheiten oder, was wir schon vor einem Jahr gewusst haben (und dieser Tage trotzdem für Schlagzeilen sorgt):
Dass Pres. Obama die ökonomischen Probleme seines Landes nicht richtig angeht (siehe meinen Kurswechsel-Beitrag von 2009 hier)
Dass in Zeiten der Krise Planwirtschaft innovativer ist als Free Market Liberalism;
Dass Nostalgie eine Emotion ist, die gar wunderliche Dinge hervorbringt.
Griechenland und die Kontrastfälle der Krise in der EU
Die aktuelle Wirtschaftskrise zeigt in Europa unterschiedliche Verläufe. Manche Länder sind primär durch das Platzen von Finanz- und Immobilienblasen getroffen, andere durch den Einbruch der Exporte. Beide Formen der Krisenbetroffenheit sind in Osteuropa aufgetreten, wo einerseits Polen 2009 noch ein leichtes Wachstum verzeichnete, während in den Baltischen Ländern die Wirtschaft am stärksten schrumpfte. Ein konzertiertes Vorgehen der Europäischen Union gegen die Krise gibt es nicht. Vielmehr unterscheiden sich die Anti-Krisen-Politiken in den europäischen Zentrums- und Peripherieländern deutlich. Damit vertieft die Wirtschaftskrise die sozioökonomischen Unterschiede in der EU wie in Europa insgesamt. Sie führt auch zu einer Krise des europäischen Integrationsprozesses.
Krisenprozesse in Osteuropa
Die Akkumulation in Osteuropa war eng an die westeuropäische gekoppelt. Mit Ausnahme Sloweniens kamen die wirtschaftlichen Schlüsselsektoren in den letzten zwei Jahrzehnten unter die Kontrolle westeuropäischer Unternehmen. Allerdings unterscheiden sich die osteuropäischen Länder in der Art der Eingliederung ihrer Ökonomien in die europäische Arbeitsteilung: Bei den Visegrád-Ländern (Polen, Slowakei,Tschechische Republik – mit deutlichen Einschränkungen Ungarn) sowie Slowenien herrschte die Orientierung auf den Industriegüterexport vor. In den Baltischen Ländern und Südosteuropa war hingegen das Wachstum stark von Krediten getrieben, die einen Immobilienboom aufbliesen (vgl. Becker 2008). In dieser zweiten Ländergruppe war auch die Verschuldung der privaten Haushalte überwiegend in Fremdwährung. Im Fall einer Währungsabwertung drohte diesen Schuldnern, aber auch den dort engagierten Banken absehbar eine Finanzklemme. In Form wie Ausmaß unterschieden sich die Krisenprozesse in diesen beiden Ländergruppen deutlich. Während bei den exportorientierten Ländern der Einbruch der Exporte die Hauptrolle spielte, brachte bei den Ländern, in denen das Wachstum kreditgetrieben war, das Austrocknen der Finanzflüsse das Wirtschaftsmodell zum Einsturz. Die Rezession war in dieser Ländergruppe besonders tief und anhaltend (Workie et al 2009: 88 ff.). Im Fall der exportorientierten Ökonomien schlug der Rückgang der Exporte voll durch. So gingen die Exporte Ende 2008/Anfang 2009 um 10% und mehr gegenüber den Vorjahresquartalen zurück und waren damit Hauptfaktor der Rezession (Eurostat 2010: Tab. T1). In den Baltischen Ländern setzte die Rezession bereits Anfang 2008 ein und erreichte 2009 europäische Rekordwerte. In Lettland lagen die Rückgänge de BIP im Verlauf der vier Quartale 2009 im Vergleich zum Vorjahr um 19%, in Estland, bis auf das 4. Quartal, bei über 15% und schwankten bei Litauen zwischen 13,0% und 19,7%. In Bulgarien und Rumänien setzte die Rezession später ein, vertiefte sich dafür aber während des Jahres 2009 (Eurostat 2010). In diesen Ländern, aber auch in Ungarn, gingen zwar auch die Exporte ähnlich drastisch zurück wie in den exportorientierten Ökonomien, sie wurden jedoch vor allem von den Kreditrestriktionen und Kapitalabflüssen schwer getroffen. Als das Treibmittel Kapitalimport ausfiel brachen ihre Wachstumsmodelle zusammen, speziell in den besonders hoch verschuldeten und extreme Leistungsbilanzdefizite aufweisenden Baltischen Staaten. Hier waren auch sehr starke Rückgänge im privaten Konsum zu verzeichnen.
Wirtschaftspolitische Reaktionen auf die Krise
Das Vertragswerk der EU geht implizit von der Prämisse aus, dass es keine Wirtschaftskrisen gibt. Dementsprechend fehlen auch institutionelle Vorkehrungen. Wurde die Bankenstützung mit ihren enormen Summen im Schnellverfahren durchgesetzt, so waren fiskalische Stimulierungsmaßnahmen Gegenstand heftiger Kontroversen und eher bescheiden dimensioniert. Auf die eher peripheren europäischen Länder mit traditionell hohen Leistungsbilanzdefiziten wird überdies zunehmend Druck ausgeübt, eine pro-zyklische Politik zu betreiben. Das gilt sowohl für süd- als auch für osteuropäische Staaten. Hierbei kommt der Druck von verschiedenen Seiten – der Europäischen Kommission, den FinanzanlegerInnen und Rating Agenturen sowie – im Fall Osteuropas – dem Internationalen Währungsfonds (IWF). In den Baltischen Ländern und Südosteuropa ist die Politik noch schärfer pro-zyklisch ausgerichtet als in den mediterranen Ländern. Die Muster der Politik wurden hier durch Programme des IWF in Ungarn, Lettland und Rumänien, gesetzt, die mit der Europäischen Kommission abgestimmt waren (Becker 2009, Galgóczi 2009). Diese Programme unterscheiden sich von traditionellen IWF Programmen nur in einem Punkt – der IWF will nicht dem Abzug von Geld durch die Banken den Rücken decken, sondern die Banken, angesichts deren totaler Dominanz in den osteuropäischen Bankensektoren und dem erklärtem Wunsch ihre Präsenz fortzusetzen, im Lande halten. Das oberste Ziel ist, die Währungsparitäten zu halten. Dies entspricht den Interessen der westeuropäischen Banken und GeldbesitzerInnen, für die Währungsabwertungen Entwertungen ihrer Aktiva bedeuteten. Diese Ausrichtung entspricht aber auch den Vorstellungen der Schuldner bei Devisenkrediten, deren Schuldendienst sich bei Abwertungen verteuern würde. Im Interesse von Industrie und Landwirtschaft wäre eher eine Abwertung. Doch diese Interessen spielen bei der zwischen IWF, Europäischer Kommission und nationalen Regierungen akkordierten Politik keine Rolle. Kern der Strukturanpassungspolitik sind reale und oft auch nominale Kürzungen der Gehälter der öffentlich Bediensteten und der Sozialleistungen. Statt abzuwerten soll durch eine scharf deflationäre Politik die Wettbewerbsfähigkeit wiederhergestellt werden (vgl. Becker 2009). Das ohnehin schwache produktive Potenzial erodiert so noch weiter. Der Beitritt zur Euro-Zone soll eine offene Währungskrise verhindern. Er würde aber die wirtschaftliche und soziale Misere festschreiben. Denn bei den gegen- wärtigen Wechselkursen ist das einheimische produktive Gewerbe chancenlos. Außerdem unterliegt, wie am Fall Griechenlands derzeit deutlich wird, die Euro-Zone bereits jetzt sehr starken Spannungen zwischen Ländern mit strukturellen Leistungsbilanzüberschüssen und ‑defiziten.
Schlussfolgerungen
Die Wirtschaftspolitik in der EU ist primär auf die Finanzinteressen zugeschnitten – dies zeigt sich in der üppigen Bemessung der Stützungspakete für die Banken, in den Versuchen zur Wiederbelebung der Finanzmärkte, im regulatorischen Minimalismus wie auch im sturen Festhalten an den überbewerteten Paritäten in Osteuropa. Im fiskalischen Bereich wird der wirtschaftspolitische Bruch zwischen Zentrum und Peripherie in der EU ganz besonders deutlich – eine leichte Stimulierung im Zentrum, hingegen eine prozyklische Politik in den Ländern der EU-Peripherie mit hohen Leistungs- und Handelsbilanzdefiziten. Die Spaltung der EU in Zentrums- und Peripherieländer wird verstärkt. Die Lohnsenkungspolitik in den Ländern der Peripherie verschärft die soziale Ungleichheit weiter und wird auch auf die Löhne im Zentrum Druck ausüben. Die Anti-Krisen-Politik geht zu Lasten der Lohnabhängigen. Notwendig wäre hingegen eine deutlich forcierte Stimulierungspolitik, die auch von einem realen Lohnwachstum getragen wäre, in den Ländern mit hohen Leistungsbilanzüberschüssen, vor allem Deutschlands.
Eine solche Politik könnte die Spannung in der EU mindern.
Der Beitrag ist im EU-Infobrief Nr. 1/März 2010 der AK Wien erschienen.
Literaturhinweise:
Becker, Joachim (2008) Der Drang nach Osten: Wirtschaftliche Interessen und geopolitische Strategien. In: Kurswechsel, Nr. 4, 5–29
Becker, Joachim (2009) Osteuropa in der Finanzkrise: Ein neues Argentinien? In: Blätter für deutsche und internationale Politik, 54(6), 97–105
Eurostat (2010) BIP in der Eurozone und in der EU27 um 0,1% gestiegen, Eurostat-Pressemitteilung, Euroindikatoren 22/2010 – 12. Februar 2010
Galgóczi, Béla (2009) Central and Eastern Europe five years after: from „emerging Europe“ to „submerging Europe“? ETUI Policy Brief, 4/2009
Workie, Membere et al. (2009) Vývoj a perspektívy svetovej ekonomiky. Globálna finančná a hospodárska kríza. Príčiny – náklady – východiská. Bratislava
Mythen-umrankte Bankensteuer
Die in Österreich geplante Bankensteuer macht Schlagzeilen, und Bundeskanzler Faymann macht so viel PR-Wind darum, dass man fürchten muss, er werde im Abtausch für diese geringfügige Maßnahme überproportional große Zugeständnisse an den Koalitionspartner bei der Verteilung der weiteren Budgetkonsolidierungs-Belastungen machen. Um das vorzubereiten, schlagen die Betroffenen und ihre Verbündeten jedenfalls mal mächtig Alarm – nicht immer mit sehr überzeugenden Argumenten. Eine kleine Auswahl:
„Abwanderung der Konzernzentralen nach Osteuropa als Folge der Einführung der Bankensteuer“: Da kann man nur sagen: Viel Spaß, wenn die nächste Finanzkrise kommt! Werden die Banken in ihren neuen Standorten in osteuropäischen Staaten dann genauso großzügig mit steuerfinanzierten Bankenpaketen gerettet werden wie vom österreichischen Staat im Herbst 2008? Angesichts der Minimal- bis Null-Pakete in den östlichen Nachbarstaaten in der jetzigen Krise und den düsteren wirtschaftlichen und budgetären Aussichten in den betroffenen Ländern kaum vorstellbar.
„Im Gegensatz zu den US-Banken sind österreichische Banken unschuldige Opfer der Krise“: Zwar ist der Anteil des spekulativen Eigenhandels in österreichischen Banken relativ klein. Doch die österreichischen Banken haben als Kundschaft durchaus versucht, an den Ertragsversprechen spekulativer Geschäfte in den USA und anderswo mitzunaschen. Und auch das vielbeschworene konservative Geschäftsmodell ist durch Überdehnung zu einem volkswirtschaftlichen Risiko geworden. Das österreichische Bankenpaket zählt mit rund 30% des BIP zu den größten in der EU – warum bloß? Weil die österreichischen Banken in den letzten Jahren aggressiv expandiert haben, vor allem im jetzt wackelnden Osteuropa. Mehr dazu im neuen BEIGEWUM-Buch „Mythen der Krise“.
„Die Steuer wird ohnehin an die Kundschaft weitergegeben“: Wenn Brancheninsider das als gesichertes Wissen vor sich hertragen, ist das ein Hinweis auf mangelnden Wettbewerb im Bankensektor, ja auf ein Fortbestehen verbotener informeller Preisabsprachen. Ein deutlicher Aufruf zum Einschreiten der Wettbewerbsbehörde. Und selbst wenn es zu einer Überwälzung kommt, ist immer noch die Frage, in welcher Form: Eine allgemeine Erhöhung von Gebühren für Basisdienstleistungen wie Kontoführung wirkt unter Verteilungsgesichtspunkten eher regressiv, eine Senkung der Sparzinsen eher proportional, eine Erhöhung spezieller Transaktionsgebühren vielleicht sogar progressiv.