blog – BEIGEWUM

Kategorie: blog


Solidarisches Europa?

12. Februar 2010 – 18:08 Uhr

Das Pro­jekt Euro­pa war nie in ers­ter Linie ein sozia­les Pro­jekt, und es ist kein Pro­jekt, dass die Kon­zep­ti­on der stan­dar­t­ori­en­tier­ten Wett­be­werbs­staa­ten in Fra­ge gestellt hät­te. Zag­haf­te Ansät­ze mögen vor­han­den gewe­sen sein, im Wesent­lich ver­su­chen die Staa­ten aber nach wie vor, ihre Volks­wirt­schaft zu Las­ten ande­rer Staa­ten bes­ser­zu­stel­len. Aktu­ell lässt sich das Resul­tat an min­des­tens zwei Bei­spie­len sehen.

Steu­er­oa­sen
Steu­er­be­trug ist Dieb­stahl am öffent­li­chen Eigen­tum. Die Wah­rung eines strik­ten Bank­ge­heim­nis­ses ist die Bei­hil­fe zu die­sem Dieb­stahl. So ver­su­chen Staa­ten wie die Schweiz und Liech­ten­stein, aber eben auch Öster­reich sich zu Las­ten ande­rer Staa­ten zu berei­chern, indem durch ein rigo­ro­ses Bank­ge­heim­nis ver­hin­dert wird, dass die umlie­gen­den Staa­ten die ihnen zuste­hen­den Steu­ern ein­trei­ben kön­nen. Dage­gen wehrt sich Deutsch­land nun mit dem Auf­kauf der omi­nö­sen Steu­er­da­ten-CD aus der Schweiz. Und die Schweiz keilt zurück, wobei die Steu­er­flucht auch ger­ne mal als „Not­wehr“ vor den hohen Steu­ern genannt wird. Dabei wird – wie immer bei sol­chen Debat­ten – außer Acht gelas­sen, dass die Spit­zen­ver­die­ner nur des­we­gen so viel ver­die­nen, weil es in Euro­pa eine ent­spre­chen­de Infra­struk­tur an Bil­dung, Stra­ßen, Schie­nen, (Rechts-)Sicherheit usw. gibt, die eben steu­er­fi­nan­ziert wer­den. Es ist eben meis­tens nicht – oder nicht nur – die „eige­ne Leis­tung“, die den Erfolg bringt. Dane­ben sorgt die­se „Not­wehr“ dafür, dass sozia­le Leis­tun­gen nicht oder nur ver­min­dert erbracht werden.

Öko­no­mi­sche Ungleichgewichte
Deutsch­land hat zwar in der Fra­ge des Steu­er­be­trugs recht, aber auch die Bun­des­re­pu­blik ver­hält sich kei­nes­wegs so, wie es ein soli­da­ri­sches Euro­pa erfor­dern wür­de. Seit Jah­ren wer­den die Lohn­kos­ten gedrückt und die Bin­nen­nach­fra­ge stran­gu­liert, um als „Export­welt­meis­ter“ ande­re Län­der zu zwin­gen, sich in Deutsch­land zu ver­schul­den. Das geht einer­seits gegen die Bevöl­ke­rung in Deutsch­land; die Ver­tei­lung wird immer unglei­cher. Ande­rer­seits ist dies aber auch ein Angriff auf ande­re Staa­ten, da die­se sich ent­we­der bei Deutsch­land ver­schul­den oder selbst eine Dum­ping­po­li­tik betrei­ben müs­sen. Eine nach­hal­ti­ge Ent­wick­lung in Euro­pa sieht anders aus. Grie­chen­land gehört mit Sicher­heit zu den Län­dern, das – neben der eige­nen Feh­ler – unter dem „Export­welt­meis­ter“ lei­det. Sol­che Ungleich­ge­wich­te – noch dazu in einem ein­heit­li­chen Wäh­rungs­raum – sind auf Dau­er fatal.

Was Euro­pa wirk­lich braucht sind weder Steu­er­oa­sen noch Lohn­dum­ping, weder Steu­er­wett­be­werb noch sinn­lo­se Dere­gu­lie­run­gen. Euro­pa muss ein Euro­pa für die Men­schen wer­den – mit sozia­len Min­dest­stan­dards, die kon­ti­nu­ier­lich aus­ge­baut wer­den, mit einer stär­ke­ren Besteue­rung der Kapi­tal­ein­künf­te, mit star­ken Regu­lie­run­gen und mit dem Ziel eines sozia­len und nach­hal­ti­gen Wirt­schaf­tens. Dazu aller­dings müs­sen die natio­na­len Ego­is­men, die der Mehr­heit der Bür­ge­rIn­nen sowie­so nur scha­den, auf­ge­ge­ben werden.

Kommentieren » | Kategorie: blog

„Bologna“ – und weiter?

8. Februar 2010 – 21:00 Uhr

von Kle­mens Him­pe­le und Oli­ver Praus­mül­ler. Ist im Debat­ten­fo­rum der Zeit­schrift Kurs­wech­sel erschie­nen: Aus­ga­be 1/​2010, S. 113–117.


Als der heu­te hef­tig dis­ku­tier­te „Bolo­gna-Pro­zess“ Ende der 1990er-Jah­re ent­stand, konn­te in Euro­pa bereits auf zwei Jahr­zehn­te Refor­mo­lo­gie für die „stand­ort­ge­rech­te Dienst­leis­tungs­hoch­schu­le“ zurück­ge­blickt wer­den. Die hoch­schul­po­li­ti­sche Debat­te war in vie­len Län­dern – wenn auch in unter­schied­li­chen Tem­pi – in eine ähn­li­che Rich­tung ver­lau­fen: Eine stär­ker „markt­ori­en­tier­te Umge­bung“ und klam­me öffent­li­chen Finan­zen wür­den mehr Wett­be­werbs­ori­en­tie­rung an den Hoch­schu­len erfor­dern; dafür sei mit­hin ein „gestärk­ter Füh­rungs­kern“ not­wen­dig, der mit genü­gend „Auto­ri­tät“ für die Imple­men­tie­rung des „New Public Manage­ment“ aus­ge­stat­tet ist; es brau­che eine „Diver­si­fi­zie­rung“ der Finan­zie­rungs­ba­sis; die Hoch­schu­len müss­ten mehr „ver­markt­ba­re Dienst­leis­tun­gen“ lie­fern etc. (vgl. Bult­mann 1996; Öster­rei­chi­sche HochschülerInnenschaft/​Paulo Frei­re Zen­trum 2005; Zeu­ner 2007; EURYDICE 2000; Maassen/​Olsen 2007). Der sei­ner­zeit vor­nehm­lich natio­nal­staat­li­che Bezugs­rah­men der Hoch­schul­po­li­tik soll nicht über die euro­päi­schen Dimen­sio­nen der Neo­li­be­ra­li­sie­rungs-Dyna­mi­ken hin­weg­täu­schen, in die der Auf­stieg der „stand­ort­ge­rech­ten Dienst­leis­tungs­hoch­schu­le“ in einem erwei­ter­ten Sin­ne ein­ge­bet­tet ist (vgl. Bie­ling 2004). Nur basiert die­ser zu gewich­ti­gen Tei­len auf Poli­ti­ken, die ohne Bezü­ge auf einen euro­päi­schen Hoch­schul­raum Wirk­mäch­tig­keit ent­fal­tet haben.

Ange­sichts der im Zuge der Stu­die­ren­den­pro­tes­te auf­ge­flamm­ten Debat­ten stellt sich nun die Fra­ge, wie die for­ma­li­sier­te, wenn auch recht­lich nicht bin­den­de Euro­päi­sie­rung des Hoch­schul­raums den unter­neh­me­ri­schen Umbau der Hoch­schu­len (wei­ter) beein­flusst hat. Klar ist einer­seits, dass „Bolo­gna“ Struk­tu­ren schafft, die einen euro­päi­schen Bil­dungs­markt erst ermög­li­chen. Zudem kön­nen unge­lieb­te Refor­men durch­ge­setzt wer­den, indem natio­nal­staat­lich auf  den ver­meint­li­chen Sach­zwang „Bolo­gna“ ver­wie­sen wird. Damit kann der Pro­zess von den Akteu­ren durch­aus impli­zit als Instru­ment zur Umstruk­tu­rie­rung des Hoch­schul­sys­tems ange­legt wor­den sein (vgl. Mar­tens et al. 2006). Ande­rer­seits ist auch immer wie­der auf die Poten­zia­le des Bolo­gna-Pro­zes­ses zu ver­wei­sen, etwa im Bereich der sozia­len Öff­nung. Es stellt sich mit­hin heu­te die Fra­ge, ob „Bolo­gna“ „an sich“ ein Teil des Pro­blems ist, oder ob die gesell­schaft­li­chen Kräf­te­ver­hält­nis­se, die eine bestimm­te Ten­denz des Bolo­gna-Pro­zes­ses in den Vor­der­grund rücken las­sen, das Pro­blem sind.

Andre­as Kel­ler (2003) kommt zu der Ein­schät­zung, dass der Bolo­gna-Pro­zess eine neo­li­be­ra­le Umstruk­tu­rie­rung des euro­päi­schen Hoch­schul­we­sens begüns­ti­gen kann, eben­so wie er in der Lage ist, eman­zi­pa­to­ri­sche hoch­schul­po­li­ti­sche Ent­wick­lun­gen in Gang zu set­zen. Kel­ler macht damit deut­lich, dass der Bolo­gna-Pro­zess von Beginn an umkämpft war. Dies lässt sich auch dar­an able­sen, dass in den Bolo­gna-Doku­men­ten einer­seits posi­tiv auf die Lis­sa­bon-Stra­te­gie Bezug genom­men wird. Die­se steht unter dem Ziel, die EU bis 2010 zum „wett­be­werbs­fä­higs­ten und dyna­mischs­ten wis­sens­ba­sier­ten Wirt­schafts­raum der Welt“ zu machen. Ent­lang die­ser Logik braucht es inbe­son­de­re eine Opti­mie­rung der Human­ka­pi­tal­pro­duk­ti­on: „Die Stu­die­ren­den soll­ten für den Arbeits­markt mög­lichst effi­zi­ent und kos­ten­güns­tig ‚beschäf­ti­gungs­fä­hig‘ gemacht wer­den“ (Hirsch 2008, S. 23). Die­ser Ver­en­gung des Bil­dungs­be­griffs ent­spricht die Über­la­ge­rung der Stu­di­en­re­form­de­bat­ten durch Stu­di­en­zeit­ver­kür­zun­gen, einer Eng­füh­rung der Pra­xis­ori­en­tie­rung – und gip­felt im Unwort der „Employa­bi­li­ty“. Auf der ande­ren Sei­te beto­nen die Doku­men­te der Bolo­gna-Fol­ge­kon­fe­ren­zen die Bedeu­tung der sozia­len Dimen­si­on und die öffent­li­che Ver­ant­wor­tung für das Bil­dungs­sys­tem. Fer­ner sind die Erhö­hung der Mobi­li­tät, das Durch­bre­chen der Ver­säu­lung zwi­schen aka­de­mi­scher und dua­ler Aus­bil­dung und die Öff­nung der Hoch­schu­len für Men­schen ohne tra­di­tio­nel­le Hoch­schul­zu­gangs­be­rech­ti­gung als posi­ti­ve Zie­le zu benen­nen (vgl. Ban­sche­rus et al. 2009). Die­se sind in der prak­ti­schen Aus­ge­stal­tung jedoch kaum zum Zug gekom­men. Ob sich das durch die euro­pa­wei­ten Pro­tes­te ändert, ist der­zeit offen.

Die Ambi­va­lenz des Bolo­gna-Pro­zes­ses lässt sich auch in der Aus­ein­an­der­set­zung pro­gres­si­ver Kräf­te erken­nen. Tors­ten Bult­mann (2007) iden­ti­fi­ziert hier zwei zen­tra­le Posi­tio­nie­run­gen: Ers­tens die­ne der Pro­zess der Kom­mo­di­fi­zie­rung wis­sen­schaft­li­cher Bil­dung und stel­le somit „ledig­lich eine Eins-zu-Eins Umset­zung neo­li­be­ra­ler Kon­zep­te dar“ (S. 148). Maß­ge­bend sei dabei ein Qua­li­fi­ka­ti­ons­be­griff, dem­zu­fol­ge das „Ein­trai­nie­ren eines instru­men­tell abruf­ba­ren arbeits­markt­re­le­van­ten ‚Wis­sens‘ Vor­rang hat vor der Aneig­nung einer selbst­stän­di­gen wis­sen­schaft­li­chen Urteils­fä­hig­keit“ (ebd.). In die­se Rich­tung wei­sen etwa die Kri­ti­ken an der zen­tra­len Stel­lung von Employa­bi­li­ty-Kon­zep­ten in dem Reform­pro­zess. Zwei­tens sei die­ser vor allem mit ver­kapp­ter Spar­po­li­tik asso­zi­iert, die in Ver­bin­dung mit einem „kon­ser­va­ti­ven Roll-back der Mas­sen­uni­ver­si­tät“ (ebd.) steht. Die Eta­blie­rung des sechs­se­mest­ri­gen Bache­lors sei ent­lang die­ser Posi­ti­on gleich­sam weg­be­rei­tend dafür, den Zugang zum bis­he­ri­gen „Regel­ab­schluss“ selek­ti­ver zu gestal­ten bzw. stär­ker zu kon­di­tio­na­li­sie­ren. Bult­mann weist zwar dar­auf hin, dass für die­se Schluss­fol­ge­run­gen zwei­fels­frei Anhalts­punk­te bestehen. Eben­so las­sen sich gut orga­ni­sier­te Inter­es­sen iden­ti­fi­zie­ren, denen die­se Moti­ve zuge­ord­net wer­den kön­nen. Sein Ein­wand läuft jedoch grund­sätz­lich dar­auf hin­aus, dass sich die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Bolo­gna-Pro­zess nicht in einem „bloß ent­lar­ven­den Hin­weis“ auf die neo­li­be­ra­len Moti­ve zen­tra­ler Akteu­re des Pro­zes­ses erschöp­fen kann. Damit blie­be gera­de auch eine Poli­ti­sie­rung der Wider­sprü­che und Span­nungs­fel­der, die im Bolo­gna-Pro­zess ange­legt sind, aus.

Ent­lang die­ses Ein­wands müs­sen die Span­nungs­fel­der, die im Bolo­gna-Pro­zess  prä­sent sind, stär­ker kennt­lich gemacht wer­den. Die­sen mehr Auf­merk­sam­keit zu wid­men, könn­te gleich­sam eine Mög­lich­keit dar­stel­len, die durch die Stu­die­ren­den­pro­tes­te geschaf­fe­nen poli­ti­schen Inter­ven­ti­ons­mög­lich­kei­ten auch in die­sem Zusam­men­hang zu nutzen.

  • Wird der Bolo­gna-Pro­zess vor dem Hin­ter­grund der Bestre­bun­gen per­spek­ti­viert, einen glo­ba­len Bil­dungs­markt zu kon­sti­tu­ie­ren (vgl. Hart­mann 2004, Ant­ho­fer 2005), birgt das in den Doku­men­ten ent­hal­ten­de Bekennt­nis zu Hoch­schul­bil­dung als einem „öffent­li­chen Gut“ einen Ansatz­punkt, eine alter­na­ti­ve „Ver­laufs­form“ der Euro­päi­sie­rung ein­zu­for­dern. Was mit die­sem (Lippen?-)Bekenntnis geschieht, gewinnt u.a. ange­sichts der for­cier­ten Stra­te­gie an Bedeu­tung, den Wunsch höhe­rer Bil­dungs­aus­ga­ben über die ver­stärk­te Erschlie­ßung pri­va­ter Finan­zie­rungs­quel­len zu errei­chen. Hier setzt bei­spiels­wei­se die deut­sche Bil­dungs­ge­werk­schaft GEW an, indem sie die Unter­zeich­ner­staa­ten der Bolo­gna-Erklä­rung dazu auf­for­dert, die Rea­li­sie­rung des im Inter­na­tio­na­len Pakts für wirt­schaft­li­che, sozia­le und kul­tu­rel­le Rech­te (UN-Sozi­al­pakt) ver­bürg­ten Rechts auf Bil­dung im gesam­ten euro­päi­schen Hoch­schul­raum zu rea­li­sie­ren. Dies soll auch dadurch erfol­gen, dass „der Hoch­schul­un­ter­richt auf jede geeig­ne­te Wei­se, ins­be­son­de­re durch all­mäh­li­che Ein­füh­rung der Unent­gelt­lich­keit, jeder­mann glei­cher­ma­ßen ent­spre­chend sei­nen Fähig­kei­ten zugäng­lich gemacht wer­den muss“ (Arti­kel 13 Absatz 2 Buch­sta­be c UN Sozi­al­pakt). Die Ver­knüp­fung des Bekennt­nis­ses zu Bil­dung als einem öffent­li­chen Gut mit den For­de­run­gen des UN-Sozi­al­pakts könn­te dem­nach als Ansatz­punkt genutzt wer­den, die Debat­te über den Bil­dungs­be­griff und über die sozia­le Durch­läs­sig­keit von Bil­dungs­sys­te­men neu zu ent­fa­chen. Dazu gehört bei­spiels­wei­se auch ein gebüh­ren­frei­er euro­päi­scher Hochschulraum.
  • In den Bolo­gna-Doku­men­ten wird wie­der­holt die sozia­le Dimen­si­on betont, ohne dass dies bis­her nach­hal­ti­ge Ände­run­gen nach sich gezo­gen hät­te. Die Fra­ge der Auf­nah­me eines Stu­di­ums ist stark mit dem fami­liä­ren Hin­ter­grund kor­re­liert. Noch immer stu­die­ren deut­lich mehr Kin­der aus soge­nann­ten bil­dungs­na­hen Eltern­häu­sern. Die Grün­de hier­für sind viel­schich­tig. So wer­den Kin­der durch die­se Eltern in der Regel stär­ker geför­dert, es sind grö­ße­re Res­sour­cen vor­han­den, das Ver­ständ­nis für eine Bil­dungs­kar­rie­re ist grö­ßer und die Selbst­ver­ständ­lich­keit, bestimm­te Bil­dungs­we­ge bis hin zu einem Stu­di­en­ab­schluss zu beschrei­ten, vor­han­den. Kin­der, deren Eltern selbst nicht stu­diert haben, müs­sen sich oft erst gegen die­se durch­set­zen und haben oft eine unsi­che­re Ein­schät­zung von einem Stu­di­um und scheu­en die Kos­ten eines Stu­di­ums eher. Gera­de hier hät­te die neue Stu­fung der Stu­di­en­gän­ge anset­zen kön­nen, indem der Bache­lor genutzt wird, ein zugäng­li­che­res Stu­di­um auch für Men­schen anzu­bie­ten, die bis­her vor einem lan­gen Magis­ter­stu­di­um zurück­ge­schreckt sind. Die Ent­schei­dung für ein Stu­di­um könn­te erleich­tert wer­den, wenn man bei der Kon­zep­ti­on der Stu­di­en­gän­ge eben die­se bil­dungs­fer­nen Schich­ten mit­denkt und auch bereit ist, den eli­tä­ren Habi­tus der Hoch­schu­len zu durch­bre­chen. Gesche­hen ist das Gegen­teil: Die Stu­di­en­gän­ge wer­den immer wei­ter geschlos­sen. Auch die Fra­ge des Über­gangs zum Mas­ter fällt unter das Stich­wort „Sozia­le Dimen­si­on“: Anstatt zu ver­su­chen, das Dog­ma der Stu­di­en­zeit­ver­kür­zung umzu­set­zen, indem man Zugän­ge zum Mas­ter beschränkt, ist das Stu­di­um auch an die­ser Hür­de zu öff­nen, um allen, die wol­len, einen Zugang zum Mas­ter zu ermöglichen.
  • Der Bolo­gna-Pro­zess muss dazu genutzt wer­den, einen sinn­vol­len Pra­xis­be­griff zu ent­wi­ckeln. Nicht die Eng­füh­rung auf „Employa­bi­li­ty“, son­dern die Fra­ge der gesell­schaft­li­chen Rele­vanz ist hier in den Mit­tel­punkt zu stel­len. Gera­de kri­ti­sche Kräf­te soll­ten die Debat­te um den Pra­xis­be­griff offen­siv füh­ren. Dafür braucht es mit­hin mehr als das Weg­schie­ben der „Pra­xis­fra­ge“ in Rich­tung Fachhochschulen.
  • Die Ver­säu­lung zwi­schen aka­de­mi­scher und hand­werk­li­cher Aus­bil­dung ist auf­zu­bre­chen. Der Bolo­gna-Pro­zess stellt hier durch­aus Instru­men­te bereit, wenn die kon­se­ku­ti­ve Struk­tur zur Öff­nung der Hoch­schu­len etwa für Men­schen mit Berufs­er­fah­rung genutzt wird. Dies erfor­dert jedoch Ver­än­de­run­gen in der Arbeits­welt und an den Hoch­schu­len. So sind kul­tu­rel­le Hür­den zu über­win­den und die Hoch­schu­len tat­säch­lich für beruf­lich Qua­li­fi­zier­te zu öff­nen. Zudem ist der Pra­xis­ori­en­tie­rung der Wis­sen­schaft eine Ver­wis­sen­schaft­li­chung der Pra­xis zur Sei­te zu stel­len (vgl. Ban­sche­rus et al. 2009).

Die Stu­die­ren­den­pro­tes­te waren inso­fern erfolg­reich, als sie bestimm­te The­men auf die poli­ti­sche Tages­ord­nung gesetzt und den öffent­li­chen Dis­kurs ver­scho­ben haben. Bis­her galt das Leit­bild der neo­li­be­ra­len Struk­tur­re­form: Hoch­schu­len soll­ten zu stand­ort­ge­rech­ten Dienst­leis­tungs­un­ter­neh­men umge­baut wer­den, die im Wett­be­werb um die Stu­die­ren­den als zah­len­de Kun­dIn­nen wer­ben und die­sen mit einem Aus­bil­dungs­zer­ti­fi­kat die Beschäf­ti­gungs­fä­hig­keit attes­tie­ren. Bil­dung wird hier wei­ter­füh­rend als Ware ver­stan­den, das Stu­di­um mit einer Inves­ti­ti­on in das eige­ne Human­ka­pi­tal ver­bun­den (und nicht etwa mit dem Ziel eines Erkennt­nis­ge­winns). In die­ser Rich­tung kann auch der Bolo­gna-Pro­zess inter­pre­tiert wer­den: Denn wird „der Bil­dungs- und Wis­sen­schafts­markt, auf dem die Hoch­schu­len in einen Wett­be­werb um Nach­fra­ger tre­ten, euro­pa­weit kon­sti­tu­iert, bedarf es einer euro­pa­wei­ten Kom­pa­ti­bi­li­tät und Über­trag­bar­keit. Zen­tra­les Instru­men­ta­ri­um für die Her­stel­lung der Über­trag­bar­keit von Stu­di­en­leis­tun­gen ist ein ein­heit­li­ches Leis­tungs­punkt­sys­tem – gleich­sam die gemein­sa­me ‚Wäh­rung´ im euro­päi­schen Stu­di­en­raum, die Stu­di­en­leis­tun­gen mess­bar und ver­gleich­bar macht. Die euro­pa­weit ein­heit­li­che Mess­bar­keit von Stu­di­en­leis­tun­gen bzw. den ihnen zugrun­de lie­gen­den Stu­di­en­dienst­leis­tun­gen könn­te in einem wei­te­ren Schritt zur Vor­aus­set­zung für eine inter­na­tio­nal ver­gleich­ba­re Berech­nung von durch die Stu­die­ren­den zu bezah­len­den Gebüh­ren oder für ein euro­pa­weit gel­ten­des Bil­dungs­gut­schein­sys­tem wer­den“ (Kel­ler 2003, S. 44).
Nicht nur im euro­päi­schen, son­dern auch im natio­na­len Kon­text wur­de der Bolo­gna-Pro­zess oft neo­li­be­ral inter­pre­tiert: Markt­kon­for­me Dis­zi­pli­nie­rung der Stu­die­ren­den in einem stark ver­schul­ten „Aus­bil­dungs­be­trieb“, Bil­dung als Inves­ti­ti­on in die „Ich-AG“, Employa­bi­li­ty als Ziel und das Ein­zie­hen einer wei­te­ren selek­ti­ven Hier­ar­chie­ebe­ne beim Über­gang vom Bache­lor zum Mas­ter. Zudem ver­bin­den natio­na­le Akteu­re mit Euro­päi­sie­rung vor allem die Mög­lich­keit des Spiels über Ban­de: Unpo­pu­lä­re Ände­run­gen und eige­nes Ver­sa­gen bei Stu­di­en­re­for­men und der Finan­zie­rung der Hoch­schu­len kön­nen auf „Euro­pa“ gebucht und so der eige­nen Ver­ant­wor­tung ent­le­digt werden.

Die Stu­die­ren­den­pro­tes­te haben den Fokus jedoch auf die Poten­tia­le des Pro­zes­ses gelegt, da sie in ein erheb­li­ches inhalt­li­ches Vaku­um gesto­ßen sind. Im März soll die Voll­endung des euro­päi­schen Hoch­schul­raums gefei­ert wer­den, bis­wei­len steht in den offi­zi­el­len Vor­be­rei­tun­gen eines „Fol­low-up für die nächs­te Deka­de“ Selbst­be­weih­räu­che­rung im Vor­der­grund*. Vie­le Akteu­re sind irri­tiert bis rat­los, was die Chan­cen geziel­ter Inter­ven­tio­nen erhöht. In vie­len Fäl­len kön­nen der­zeit eher Fra­gen for­mu­liert als Ant­wor­ten gege­ben wer­den. Die Debat­te über eine neue Archi­tek­tur des euro­päi­schen Hoch­schul­raums könn­te jedoch umso mehr dazu bei­tra­gen, neue Hand­lungs­spiel­räu­me für kri­ti­sches Stu­die­ren, Leh­ren und For­schen zu erschließen.


* vgl. Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Wis­sen­schaft und For­schung; zur „Gegen-Mobi­li­sie­rung“ sie­he Bol­gnab­urns.


Lite­ra­tur:

  • Ant­ho­fer, Hel­mut (2005): GATS und die Libe­ra­li­sie­rung von Bil­dungs­dienst­leis­tun­gen. Eine Bestands­auf­nah­me, Wien, PDF [2,8 MB].
  • Ban­sche­rus, Ulf /​ Gulbins, Anne­ro­se /​ Him­pe­le, Kle­mens /​ Staack, Son­ja (2009): Der Bolo­gna-Pro­zess zwi­schen Anspruch und Wirk­lich­keit. Die euro­päi­schen Zie­le und ihre Umset­zung in Deutsch­land. Eine Exper­ti­se im Auf­trag der Max-Tra­e­ger-Stif­tung, Frankfurt/​M., PDF [800 KB].
  • Bie­ling, Hans-Jür­gen (2004): Euro­päi­sche Inte­gra­ti­on: Deter­mi­nan­ten und Hand­lungs­mög­lich­kei­ten, in: Beer­horst, Joachim/​et al. (Hg.): Kri­ti­sche Theo­rie im gesell­schaft­li­chen Struk­tur­wan­del, Frankfurt/​M., 94–127.
  • Bult­mann, Tors­ten (1996): Die stand­ort­ge­rech­te Dienst­leis­tungs­hoch­schu­le, in: PROKLA, 26/​104, 329–355, PDF [3,7 MB].
  • Bult­mann, Tors­ten (2007): Künf­ti­ge Per­spek­ti­ven von Wis­sen­schaft und Beruf – Wider­sprü­che und Kon­flikt­li­ni­en des Bolo­gn­a­pro­zes­ses und der Reor­ga­ni­sa­ti­on der Hoch­schu­len. In: Brü­chert, Oliver/​et al. (Hg.): Kri­ti­sche Wis­sen­schaft, Eman­zi­pa­ti­on und die Ent­wick­lung der Hoch­schu­len, Mar­burg, 147–154.
  • EURYDICE (2000): Two Deca­des of Reform in Hig­her Edu­ca­ti­on in Euro­pe: 1980 onwards, Brüs­sel, PDF [3 MB].
  • Hart­mann, Eva (2004): Der glo­ba­le Bil­dungs­markt. Hege­mo­nie­kämp­fe um Qua­li­täts­stan­dards und Aner­ken­nung von Abschlüs­sen, in: PROKLA, 34/​137, 565–585, PDF [3,8 MB].
  • Hirsch, Nele (2008): „Bolo­gna-Pro­zess“ und der Kampf an den Hoch­schu­len, in: Z. – Zeit­schrift Mar­xis­ti­sche Erneue­rung, 19/​74, 22 ‑27, Online hier.
  • Kel­ler, Andre­as (2003): Chan­cen und Risi­ken des Bolo­gna-Pro­zess, in: Forum Wis­sen­schaft 3/​2003, 43–45, Online hier.
  • Mar­tens, Kerstin/​Wolf, Die­ter (2006): Para­do­xien der neu­en Staats­rä­son. Die Inter­na­tio­na­li­sie­rung der Bil­dungs­po­li­tik in der EU und der OECD, in: Zeit­schrift für inter­na­tio­na­le Bezie­hun­gen, 13/​2, 145–176, PDF [400 KB]
  • Maas­sen, Peter/​Olsen, Johan P. (2007): Uni­ver­si­ty Dyna­mics and Euro­pean Inte­gra­ti­on, Dordrecht.
  • Öster­rei­chi­sche Hoch­schü­le­rIn­nen­schaft, Pau­lo Frei­re Zen­trum (Hg., 2005): Öko­no­mi­sie­rung der Bil­dung. Ten­den­zen, Stra­te­gien, Alter­na­ti­ven, Wien, PDF [700 KB].
  • Zeu­ner, Bodo (2007): Die Freie Uni­ver­si­tät Ber­lin vor dem Bör­sen­gang. Bemer­kun­gen zur Öko­no­mi­sie­rung der Wis­sen­schaft. Abschied­vor­le­sung, [PDF 350 KB].


Links zuletzt geprüft am 8. Febru­ar 2010

Kommentieren » | Kategorie: blog

„Mythen der Krise“ – neues BEIGEWUM Buch!

25. Januar 2010 – 17:39 Uhr

Neu­es BEIGEWUM Buch:
„Mythen der Kri­se. Ein­sprü­che gegen fal­sche Leh­ren aus dem gro­ßen Crash“
Her­aus­ge­ge­ben vom Bei­rat für gesellschafts‑, wirt­schafts- und umwelt­po­li­ti­sche Alter­na­ti­ven und von Attac Österreich
VSA Ver­lag, 128 Sei­ten (Febru­ar 2010)
EUR 10.80
ISBN 978–3‑89965–373‑1



Zu Beginn der aktu­el­len Kri­se schien der Neo­li­be­ra­lis­mus, ja der Kapi­ta­lis­mus ins­ge­samt, schwe­ren Legi­ti­ma­ti­ons­scha­den zu neh­men. Doch mitt­ler­wei­le haben sich sei­ne Apo­lo­ge­ten erholt und ver­su­chen mit allen Mit­teln, ihre Leh­ren zu verteidigen.

Mit Mythen wie „Der Staat ist schuld an der Kri­se“ oder „Euro­pa ist nur Opfer“ wird Ursa­chen­ver­leug­nung betrie­ben. Mit Ansa­gen wie „Jetzt droht die Hyper­in­fla­ti­on“, „Wir ver­er­ben nach­fol­gen­den Genera­tio­nen Schul­den ohne Ende“ oder „Jetzt müs­sen alle den Gür­tel enger schnal­len“, wird ver­sucht, eine Abkehr von der herr­schen­den wirt­schafts­po­li­ti­schen Dok­trin zu ver­hin­dern. Mit War­nun­gen wie „Die Ban­ken sind um jeden Preis zu ret­ten“ wird beschleu­nigt in Sack­gas­sen gesteu­ert. Doch auch kri­tisch auf­tre­ten­de Ansät­ze wie die Zins­kri­tik ver­su­chen die Kri­se zu nut­zen, um für ihre Irr­leh­ren zu werben.

Die AutorIn­nen neh­men sich die kur­sie­ren­den Mythen vor und ord­nen sie in die Berei­che Kri­sen­ur­sa­chen, Kri­sen­be­schrei­bung sowie Kri­sen­lö­sun­gen ein. Die auch für Nicht-Öko­nom­In­nen ein­gän­gi­ge Dar­stel­lung und das Auf­grei­fen von hart­nä­ckig wir­ken­den Vor­ur­tei­len machen ihr Buch zu einer will­kom­me­nen Argu­men­ta­ti­ons­hil­fe für all jene, die dem herr­schen­den Kri­sen-Manage­ment kennt­nis­reich ent­ge­gen tre­ten wollen.

Prä­sen­ta­ti­on am Di, 16.3. 2010 um 19h in der Städ­ti­schen Büche­rei Wien am Urban Loritz Platz mit Karin Küb­lböck, Mar­kus Mar­ter­bau­er und Georg Feigl: „Alle Gür­tel enger schnal­len, sonst droht der Staats­bank­rott und ande­re Mythen der Krise“


Wei­te­re Termine:

10. Febru­ar 16h und Frei­tag, 12. Febru­ar 9h05: Inter­view mit Co-Autor Beat Weber in der Ö1-Sen­dung „Kon­text – Sach­bü­cher und Themen“

24. März 2010 um 18h an der WU Wien, Hs. 5.46 © mit Hele­ne Schu­berth, Eli­sa­beth Spring­ler und Beat Weber

19. April 2010 um 19h Buch­prä­sen­ta­ti­on und Dis­kus­si­on mit Katha­ri­na Muhr (BEIGEWUM) im Kul­tur­hof Amstetten

Inhalts­ver­zeich­nis: Inhalts­ver­zeich­nis (PDF)

Text­pro­be: Mythos – Alle müs­sen Gür­tel enger schnal­len (PDF)

Bestell­mög­lich­keit

Kommentare deaktiviert für „Mythen der Krise“ – neues BEIGEWUM Buch! | Kategorie: blog, Publikationen

Neu: Kurswechsel 4/09: „State(s) of Workfare“

25. Januar 2010 – 17:26 Uhr

Work­fa­re: Does it work? Is it fair? Der Begriff Work­fa­re ver­weist auf einen tief­grei­fen­den Wan­del des Staa­tes, der eine stra­te­gi­sche Neu­aus­rich­tung sei­ner sozi­al­po­li­ti­schen Instru­men­te gemäß den Vor­ga­ben dere­gu­lier­ter Arbeits­märk­te und aus­ge­gli­che­ner Staats­haus­hal­te mit sich bringt. Das neue Kurs­wech­sel- Heft geht die­sen Ver­än­de­run­gen mit Fokus auf die Poli­tik­fel­der der Sozi­al­hil­fe- und Arbeits­markt­po­li­tik nach und arbei­tet sei­ne sozia­len Impli­ka­tio­nen heraus.

 

Mit Bei­trä­gen von Roland Atz­mül­ler, Hans-Jür­gen Bie­ling, Chris­ti­an Brütt, Niko­laus Dim­mel, Mar­cel Fink, Brit­ta Grell, Mar­kus Gries­ser und Bet­ti­na Leibetseder.

 

Außer­halb des Schwer­punkts in die­sem Heft eine aktu­el­le Debat­te zum The­ma Spa­ren und Mana­ge­ria­lis­mus im öffent­li­chen Bereich. Mit Bei­trä­gen von Flo­ren­ti­ne Mai­er, Johan­nes Leit­ner, Micha­el Mey­er, Rein­hard Mill­ner, Bru­no Ross­mann, Chris­ta Schlager


Kommentare deaktiviert für Neu: Kurswechsel 4/09: „State(s) of Workfare“ | Kategorie: blog, News & Termine

Demokratisierung und aufkommende Postdemokratie

19. Januar 2010 – 16:20 Uhr

Bei­trag[1] von Bern­hard Leu­bolt [2]

Die aktu­el­le Trans­for­ma­ti­on der Demo­kra­tie um das Span­nungs­feld von Gerech­tig­keit und Glo­ba­li­sie­rung ist Leit­the­ma die­ses Bei­trags. Dafür wird erst die Ent­ste­hungs­ge­schich­te der demo­kra­ti­schen Idee kurz umris­sen, um davon aus­ge­hend ide­al­ty­pisch Dimen­sio­nen demo­kra­ti­scher Ent­wick­lung zu skiz­zie­ren. Der hier prä­sen­tier­te Ide­al­ty­pus geht in drei­er­lei Hin­sicht über kon­ven­tio­nel­le Sicht­wei­sen hin­aus, die Demo­kra­tie auf Wahl- und Eigen­tums­recht redu­zie­ren: (1) Auf Pro­zess­ebe­ne wird die Ergän­zung reprä­sen­ta­ti­ver Demo­kra­tie durch direk­te und par­ti­zi­pa­ti­ve For­men vor­ge­schla­gen; [3] auf inhalt­li­cher Ebe­ne wer­den sowohl (2) sozia­le als auch (3) Wirt­schafts­de­mo­kra­tie als not­wen­di­ge Ergän­zun­gen the­ma­ti­siert. Tabel­le 1 skiz­ziert die­ses brei­te Ver­ständ­nis von Demo­kra­tie, das im anschlie­ßen­den Kapi­tel näher dar­ge­stellt wird. Auf die­ser Grund­la­ge wird die Ent­wick­lung der Demo­kra­tie ab dem Ende des Zwei­ten Welt­kriegs behan­delt. Beson­ders her­aus­ge­stellt wer­den dabei Debat­ten um das Auf­kom­men von „Post­de­mo­kra­tie“.

Tabel­le: Dimen­sio­nen von Demo­kra­tie[4]

Pro­zess Inhalt
Bereich Poli­tisch Sozio-öko­no­misch
Wor­über? Regel­set­zung Resul­tats-ori­en­tiert
Ide­al Frei­heit Gleich­heit und Gerechtigkeit
Wie? Teil­habe an poli­ti­schen Entscheidungen
Staats­macht: büro­kra­tisch /​​ öffent­lich /​​ pri­vat
Partizipation
Zugang zu Ressourcen
Sozia­le und öko­no­mi­sche Rech­te: uni­ver­sell oder par­ti­ell („Treff­si­cher­heit“)
For­men Direkt, reprä­sen­ta­tiv, partizipativ Wohl­fahrts­staat, betrieb­li­che Demokratie

Demokratie – Begriffsbestimmung und Geschichte

Der Begriff „Demo­kra­tie“ kommt aus dem anti­ken Grie­chen­land und schließt die Begrif­fe Volk (démos) und Herr­schaft (kra­tía) ein. Der Begriff hat­te jedoch damals nicht unbe­dingt eine posi­ti­ve Kon­no­ta­ti­on, son­dern war viel­mehr „ein par­tei­li­cher Ter­mi­nus, der von den obe­ren Klas­sen geprägt wur­de, um die ‚Über­macht’ (krá­tos) der Besitz­lo­sen (démos) zu bezeich­nen, wenn ‚Demo­kra­tie’ herrscht“, wie Can­fo­ra in sei­ner „kur­zen Geschich­te der Demo­kra­tie“ anmerkt. [5] Demo­kra­tie wur­de mit Cha­os gleich­ge­setzt, das ein­tre­te, wenn die unge­bil­de­ten Mas­sen die Macht über­neh­men. Daher distan­zier­te sich ins­be­son­de­re Pla­to von die­ser Herr­schafts­form.[6] In der „Wie­ge der Poli­tik“ Athen eta­blier­te sich in wei­te­re Fol­ge dann auch eine Herr­schafts­form, die die­se Kri­tik berück­sich­tig­te. Nicht-ver­sklav­te männ­li­che Bür­ger (teil­wei­se auch bloß Krie­ger) fäll­ten poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen. Schon in die­ser Zeit war Staats­bür­ger­schaft (im Stadt­staat) Vor­aus­set­zung zur Teil­nah­me an den kol­lek­ti­ven Ent­schei­dun­gen. Außer­dem muss­te das Ein­kom­men groß genug sein, um Steu­ern zu ent­rich­ten und auch Wehr­dienst muss­te geleis­tet wer­den. Alle Frau­en und die Mehr­heit der Män­ner blie­ben somit aus­ge­schlos­sen. Daher kann Demo­kra­tie in ihren klas­si­schen Ursprün­gen im anti­ken Grie­chen­land mit Can­fo­ra als „Gemein­schaft bewaff­ne­ter Män­ner“ [7] bezeich­net werden.

Die dahin­ter ste­hen­de gesell­schaft­li­che Tra­di­ti­on setzt sich seit­her wei­test­ge­hend durch. Mit Ran­ciè­re gespro­chen, „gibt es [in den Augen der Mäch­ti­gen bzw. der ‚Olig­ar­chie’] nur eine gute Demo­kra­tie, die­je­ni­ge, die die Kata­stro­phe demo­kra­ti­scher Zivi­li­sa­ti­on ver­hin­dert“ [8]. Nach Ran­ciè­re war es stets die gesell­schaft­li­che Min­der­heit einer „Olig­ar­chie“, die ihre über Her­kunft, Reich­tum und Bil­dung erreich­ten Pri­vi­le­gi­en nicht an die Mas­sen bzw. „den Pöbel“ abge­ben wollte.

In der wei­te­ren geschicht­li­chen Ent­wick­lung zeig­te sich dann auch, dass die ers­ten „demo­kra­ti­schen Rech­te“ libe­ra­le Grund­rech­te zum Schutz des Indi­vi­du­ums vor staat­li­chen Ein­grif­fen waren. Die auf­kom­men­de bür­ger­li­che Öffent­lich­keit [9], die sich in den Salons und Kaf­fee­häu­sern for­mier­te, ver­lang­te nach Schutz vor staat­li­cher Will­kür. Wich­tigs­tes bür­ger­li­ches Anlie­gen war jedoch auch in die­ser Zeit schon der Schutz ihres pri­va­ten Eigen­tums und der fami­liä­ren Pri­vat­sphä­re vor staat­li­chen oder frem­den Ein­flüs­sen. Die­se Ent­wick­lung ging ein­her mit der zuneh­men­den Eta­blie­rung kapi­ta­lis­ti­scher Ver­ge­sell­schaf­tung. [10] In der Rechts­ge­schich­te schlägt sie sich in der frü­hen Eta­blie­rung des Eigen­tums­rechts als ers­tem ver­brief­ten Recht nie­der. Die in die­sem Zusam­men­hang garan­tier­te Frei­heit wird in der Phi­lo­so­phie als „nega­ti­ve Frei­heit“ bezeich­net, die nach Isaiah Ber­lin [11] einen Zustand bezeich­net, in dem kei­ne von ande­ren Men­schen oder Orga­ni­sa­tio­nen aus­ge­hen­den Zwän­ge indi­vi­du­el­les Ver­hal­ten erschwe­ren oder verhindern.

Posi­tive Frei­heit impli­ziert hin­ge­gen die Mög­lich­keit, die nega­tive Frei­heit von frem­den Ein­flüs­sen auch dahin gehend zu nut­zen, das eige­ne Leben zu gestal­ten. „No taxa­tion wit­hout rep­re­sen­ta­tion“ war dies­be­züg­lich die For­de­rung, mit der sich die bri­ti­sche Bour­geoi­sie gegen­über den Ade­li­gen durch­set­zen konn­te. Auch die fran­zö­si­sche Revo­lu­tion war von ähn­li­chen Gedan­ken getra­gen. In die­sem Fall stütz­te sich die bür­ger­li­che Bewe­gung jedoch gleich­zei­tig auch auf die gro­ße Mehr­heit der Bevöl­ke­rung wie die Losung „Frei­heit, Gleich­heit, Brü­der­lich­keit“ auf­zeigt. Nach der Nie­der­schla­gung von Jako­bi­ne­rIn­nen und Sans­cu­lot­tes um Robes­pierre setz­te sich aber auch hier das Besitz­bür­ger­tum durch. Das Wahl­recht war dann – wie in Eng­land – von Klas­sen­zu­ge­hö­rig­keit, Bil­dungs­stand und Geschlecht abhän­gig. Ana­log zum anti­ken Grie­chen­land wur­den die Vor­rechte der patri­ar­cha­len Olig­ar­chie also auch im Zuge der bür­ger­li­chen Revo­lu­tion kaum beein­träch­tigt. [12]

Demo­kra­ti­sie­rung im 20. Jahrhundert

Mit weni­gen Aus­nah­men wur­de das all­ge­meine Wahl­recht erst im 20. Jahr­hun­dert eta­bliert und das auch oft bloß etap­pen­weise. Das Frau­en­wahl­recht folg­te dabei meist zuletzt, was die patri­ar­chale Tren­nung zwi­schen den Män­nern vor­be­hal­te­ner „Öffent­lich­keit“ und den Frau­en zuge­schrie­be­ner „Pri­vat­heit“ im Fami­li­en­haus­halt wie­der­spie­gelt. Wäh­rend Frau­en Für­sor­ge­ar­beit im Pri­vat­haus­halt zuge­schrie­ben wird, sind Män­ner in den Berei­chen von Lohn­ar­beit und Poli­tik präsent.

Hin­ter der Errei­chung des all­ge­mei­nen Wahl­rechts stan­den mas­sive gesell­schaft­li­che Kämp­fe. In Euro­pa war die Arbei­te­rIn­nen­be­we­gung – in wei­ten Tei­len reprä­sen­tiert durch sozia­lis­ti­sche oder sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Par­teien – zen­trale Prot­ago­nis­tin für die­sen demo­kra­ti­schen Wan­del, der vor allem in den Zei­ten nach den Welt­krie­gen statt­fand. Die pro­pa­gierte Vor­stel­lung von Demo­kra­tie umfass­te jedoch nicht bloß poli­ti­sche, son­dern auch sozia­le Rech­te. Beson­de­res Augen­merk wur­de dabei auf Arbeits­rechte gelegt, aber auch die Demo­kra­ti­sie­rung der Arbeits­welt wur­de dis­ku­tiert. Wäh­rend des Zusam­men­bruchs der Mon­ar­chie arbei­tete z.B. die öster­rei­chi­sche Sozi­al­de­mo­kra­tie unter Otto Bau­er dar­auf hin, demo­kra­ti­sche Struk­tu­ren betrieb­li­cher Selbst­ver­wal­tung zu initi­ie­ren, was in den Bestim­mun­gen zu den Betriebs­rä­ten Ein­zug in die öster­rei­chi­sche Ver­fas­sung gefun­den hat. Ten­den­zen zur Eta­blie­rung von sozio-​​öko­no­mi­scher Demo­kra­tie wur­den jedoch auch in die­ser Pha­se von kon­ser­va­ti­ven und libe­ra­len Kräf­ten abge­schwächt oder ver­hin­dert.[13]

Erst nach dem 2. Welt­krieg setz­te dann eine neue Dyna­mik ein: die Ent­wick­lung von Wohl­fahrts­staa­ten in Euro­pa. In die­ser Zeit war ein anti­fa­schis­ti­scher Grund­kon­sens die Basis für die Betei­li­gung von sozia­lis­ti­schen und kom­mu­nis­ti­schen Par­teien in ver­fas­sungs­ge­ben­den Ver­samm­lun­gen.[14] Die resul­tie­ren­den Ver­fas­sun­gen ent­hiel­ten weit­ge­hen­dere Arbeits­rechte als je zuvor. Öko­no­misch setz­te sich das Modell des Keyne­sia­nis­mus bzw. „For­dis­mus“ durch, das auf Mas­sen­pro­duk­tion für den Mas­sen­kon­sum inner­halb der Natio­nal­staa­ten abziel­te. Hen­ry Fords Losung, dass „sei­ne Arbei­ter sich sei­ne Autos leis­ten kön­nen müs­sen“, wur­de Pro­gramm. Kor­po­ra­tis­ti­sche Arran­ge­ments nah­men „sozi­al­part­ner­schaft­li­che“ For­men an – Gewerk­schaf­ten beka­men somit eine akti­ve Rol­le bei der For­mu­lie­rung von Poli­tik. Frau­en blie­ben dabei weit­ge­hend aus­ge­schlos­sen, da sowohl Staat als auch kor­po­ra­tis­ti­sche Orga­ni­sa­tio­nen von Män­ner­bün­den[15] domi­niert wurden.

Sozi­al­po­li­tik – ursprüng­lich von Bis­mark zur Schwä­chung der Arbei­te­rIn­nen­be­we­gung ein­ge­führt – wur­de stark aus­ge­baut. Der bri­ti­sche Sozio­loge T.H. Mar­shall sprach von der Eta­blie­rung von „sozia­ler Staats­bür­ger­schaft“ (social citi­zenship).[16] Durch die Gewäh­rung von poli­ti­schen und sozia­len Rech­ten wür­den Klas­sen­un­ter­schiede lang­sam ver­schwin­den und statt­des­sen wür­den sich glei­che Staats­bür­ge­rIn­nen gegen­über­tre­ten. Die Uni­ver­sa­li­sie­rung von öffent­li­chen Dienst­leis­tun­gen – ins­be­son­dere von sozi­al­po­li­ti­schen wie Bil­dungs­ein­rich­tun­gen und Gesund­heits­ver­sor­gung – war dafür essen­zi­elle Grund­lage. Gesetz­lich garan­tierte sozia­le Rech­te, die ein­ge­klagt wer­den konn­ten, stell­ten einen gro­ßen Unter­schied zur vor­her gege­be­nen Abhän­gig­keit von Almo­sen gut­mü­ti­ger rei­cher Men­schen dar. Ide­al­ty­pisch kann daher die Ent­wick­lung der Demo­kra­tie in Euro­pa mit der schritt­wei­sen Ein­füh­rung bzw. dem Erkämp­fen von libe­ra­len Grund­rech­ten (civil rights), poli­ti­schen Rech­ten und sozia­len Rech­ten ver­stan­den wer­den.[17]

Die als Ergeb­nis des „demo­kra­ti­schen Klas­sen­kamp­fes“[19] eta­blier­ten staat­li­chen Sozi­al­leis­tun­gen grif­fen auch in polit-​​öko­no­mi­sche Pro­zesse ein. Der Pro­zess der Kom­mo­di­fi­zie­rung, d.h. des „zur Ware wer­dens“ bzw. der Inwert­set­zung von Arbeits­pro­duk­ten, wur­de in man­chen Berei­chen rück­gän­gig gemacht – z.B. muss­te dann für den Besuch von Schu­len oder Kran­ken­häu­sern kein indi­vi­du­el­ler Preis mehr bezahlt wer­den. In der Lite­ra­tur wird der ent­spre­chende Pro­zess als „De-​​Kom­mo­di­fi­zie­rung“ bezeich­net, wodurch „Anti-​​Wert“ ent­ste­hen konn­te.[20] Durch steu­er­lich finan­zierte staat­li­che Leis­tun­gen wur­den eini­ge Berei­che der Pro­fit­lo­gik ent­zo­gen, was posi­tive Aus­wir­kun­gen auf die Bür­ge­rIn­nen hat­te, die sozia­le Rech­te gül­tig machen konnten:

Indem er Armut, Arbeits­lo­sig­keit und tota­ler Lohn­ab­hän­gig­keit ein Ende setzt, stei­gert der Wohl­fahrts­staat poli­ti­sche Res­sour­cen und ver­rin­gert zugleich jene sozia­len Spal­tun­gen, die die poli­ti­sche Ein­heit der Arbei­ter­schaft gefähr­den.“[21]

Gleich­zei­tig begüns­tigte die De-​​Kom­mo­di­fi­zie­rung auch die wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung. Die staat­li­che Bereit­stel­lung sozia­ler Dienst­leis­tun­gen begüns­tigt in viel­fa­cher Wei­se der Repro­duk­tion der mensch­li­chen Arbeits­kraft. Staat­li­che Bil­dung kann betrieb­li­che Wei­ter­bil­dung teil­weise erset­zen, staat­li­che Gesund­heits­ver­sor­gung ver­rin­gert krank­heits­be­dingte Arbeits­aus­fälle, usw. Auch Geschlech­ter­ver­hält­nisse kön­nen durch Pro­zesse der De-​​Kom­mo­di­fi­zie­rung beein­flusst wer­den. Die vor­hin erwähn­te Tren­nung in „Pri­vat­heit“ und „Öffent­lich­keit“ im Arbeits­le­ben kann durch staat­li­che Ange­bote von Für­sor­ge­ar­beit (Care) wie Kin­der– und Alten­be­treu­ung dahin­ge­hend beein­flusst wer­den, dass Frau­en am Arbeits­le­ben teil­neh­men. Der damit ein­her­ge­hende Pro­zess von Kom­mo­di­fi­zie­rung ist ein dop­pel­ter: (1) Die neu ent­ste­hen­den Arbeits­plätze wer­den größ­ten­teils von Frau­en aus­ge­übt und (2) eröff­net die staat­li­che Über­nahme der Für­sor­ge­ar­beit Frau­en die Mög­lich­keit zur Lohn­ar­beit. Esping-​​An­der­sen bezeich­net die­se Pro­zesse als De-​​Fa­mi­lia­ri­sie­rung,[22] die in ers­ter Linie in den sozi­al­de­mo­kra­tisch gepräg­ten Wohl­fahrts­staa­ten in Skan­di­na­vien ein­ge­tre­ten ist. In den libe­ra­len sowie den kon­ser­va­ti­ven Wohl­fahrts­staa­ten Mit­tel– und Süd­eu­ro­pas ist Sozi­al­po­li­tik hin­ge­gen noch stär­ker fami­lia­ri­siert.[23] Wäh­rend in libe­ra­len Wohl­fahrts­staa­ten und in Süd­eu­ropa der Grad der De-​​Kom­mo­di­fi­zie­rung rela­tiv gering ist, wur­de in Zen­tral­eu­ropa trotz De-​​Kom­mo­di­fi­zie­rung rela­tiv wenig de-​​fa­mi­lia­ri­siert. Das Modell des männ­li­chen Fami­li­e­n­er­näh­rers wur­de hier in der Zeit der dyna­mi­schen Ent­wick­lung der Sozi­al­po­li­tik kaum ange­tas­tet. Anders als in Skan­di­na­vien wur­de in den 1960er und 1970er Jah­ren von staat­li­cher Sei­te nicht ver­sucht, den staat­li­chen Bedarf an Arbeits­plät­zen durch die Inte­gra­tion von Frau­en in die Lohn­ar­beit zu decken. Viel­mehr wur­de hier auf männ­li­che „Gast­ar­bei­ter“ gesetzt.[24] Die staat­lich for­cier­ten Migra­ti­ons­pro­zesse führ­ten gleich­zei­tig auch Pro­bleme vor Augen, die mit der Kop­pe­lung von sozia­len Rech­ten an Staats­bür­ger­schaft ver­bun­den sind. Pro­zesse der Über­aus­beu­tung migran­ti­scher Arbeits­kraft waren auch ers­te Ansatz­punkte zur Auf­kün­di­gung des for­dis­ti­schen Wohl­fahrts­staats, der auf der kon­ti­nu­ier­li­chen Aus­wei­tung des Mas­sen­kon­sums basier­te.[25]

Die Wel­le der Demo­kra­ti­sie­rung erfass­te bis in die 1970er Jah­re immer wei­tere Berei­che. In Öster­reich wur­de unter Krei­sky – im Rah­men der kor­po­ra­tis­ti­schen Tra­di­tion – bei­spiels­weise auch das Bil­dungs­we­sen für die Betei­li­gung von betrof­fe­nen Grup­pen geöff­net. Sozio-​​öko­no­mi­sche Demo­kra­ti­sie­rung ging dabei mit poli­ti­scher Demo­kra­ti­sie­rung ein­her, da gleich­zei­tig der Zugang ver­brei­tert und die Betei­lig­ten an Ent­schei­dun­gen betei­ligt wur­den. Die schon erwähn­ten Pro­ble­ma­tik der domi­nie­ren­den Män­ner­bünde setz­te sich aber auch in die­ser Pha­se fort. Der deut­sche Ungleich­heits­for­scher Kre­ckel führt dies vor allem dar­auf zurück, dass der (in Öster­reich und Deutsch­land domi­nante) Kor­po­ra­tis­mus an der männ­lich domi­nier­ten Erwerbs­ar­beit anknüpf­te und Frau­en daher auto­ma­tisch aus­schloss.[26]

Die zuneh­mende Büro­kra­ti­sie­rung kann als wei­te­res Pro­blem betrach­tet wer­den. Auf der einen Sei­te hel­fen büro­kra­ti­sche Pro­ze­du­ren zwar, per­sön­li­che Herr­schafts­for­men ein­zu­däm­men, da glei­che Regeln für alle zu gel­ten haben.[27] Gleich­zei­tig ist die Büro­kra­tie auch ein hier­ar­chi­sches Sys­tem, das dazu ten­diert, sich vom gesell­schaft­li­chen Leben abzu­kop­peln. Staat­lich erbrach­te Dienst­leis­tun­gen wur­den daher viel­fach nicht als öffent­li­che (d.h. tat­säch­lich gesell­schaft­lich und demo­kra­tisch) Leis­tun­gen iden­ti­fi­ziert – weder sei­tens der Nut­ze­rIn­nen noch sei­tens der Beam­tIn­nen. Neben die­ser Pro­ble­ma­tik zeig­te sich schon im „gol­de­nen Zeit­al­ter“ der sozio-​​öko­no­mi­schen Demo­kra­ti­sie­rung im For­dis­mus, dass die Ver­brei­te­rung des Zugangs teil­weise zu Qua­li­täts­ver­lus­ten führ­te. Die Phä­no­mene von „Mas­sen­kul­tur“ und der dadurch beding­te Struk­tur­wan­del der Öffent­lich­keit wur­den beson­ders von Ver­tre­tern der Frank­fur­ter Schu­le (v.a. Haber­mas, Ador­no, Hork­hei­mer) aus­ge­ar­bei­tet. So schrei­ben Hork­hei­mer und Adorno[28] schon 1944:

Die Abschaf­fung des Bil­dungs­pri­vi­legs durch Aus­ver­kauf lei­tet die Mas­sen nicht in die Berei­che, die man ihnen ehe­dem vor­ent­hielt, son­dern dient, unter den beste­hen­den gesell­schaft­li­chen Bedin­gun­gen, gera­de dem Zer­fall der Bil­dung, dem Fort­schritt der bar­ba­ri­schen Beziehungslosigkeit.“

Die in der „Dia­lek­tik der Auf­klä­rung“ ent­hal­tene Kri­tik am Ver­lust der kri­ti­schen Bil­dung, die ursprüng­lich dazu gedient hat­te, das gesell­schaft­li­che Esta­blish­ment auf ihre Füh­rungs­rol­len in Poli­tik und Wirt­schaft vor­zu­be­rei­ten, um dann von Mas­sen (aus)bildung abge­löst zu wer­den, deren Haupt­auf­gabe die Vor­be­rei­tung auf den Arbeits­markt war, wur­de von Haber­mas noch brei­ter auf die Gesell­schaft bezo­gen. Die kri­ti­sche bür­ger­li­che Öffent­lich­keit wur­de durch eine durch kom­mer­zi­elle Inter­es­sen „ver­mach­tete“ Öffent­lich­keit der Mas­sen­kul­tur und –gesell­schaft abge­löst.[29] In Bezug auf die Trans­for­ma­tion der Demo­kra­tie hat­te Agnoli[30] ähn­li­che Gedan­ken: Er radi­ka­li­sierte die bür­ger­lich-​​auf­klä­re­ri­sche Kri­tik der Frank­fur­ter Schu­le dahin­ge­hend, die Kon­ti­nui­tät der Pro­zesse der gesell­schaft­li­chen Abson­de­rung der Herr­schen­den auf­zu­zei­gen. In der sich eta­blie­ren­den Mas­sen­ge­sell­schaft ent­wi­ckelte sich ein Typus der Mas­sen– bzw. Staats­par­tei, die einen star­ken „Zug zur poli­ti­schen Mit­te“ auf­weist. Dafür ist es not­wen­dig, dass sich Par­teien weg von ihren Mit­glie­dern ent­wi­ckel­ten, was meist über Büro­kra­ti­sie­rung geschah. An die Stel­le gesell­schaft­li­cher Aus­ein­an­der­set­zung tritt dann die Aus­ein­an­der­set­zung um Kom­pe­tenz in der Ver­wal­tung von „Sach­zwän­gen“:

Die poli­ti­sche Par­tei des Ver­fas­sungs­staa­tes – dort, wo sie sich am volls­ten aus­ge­bil­det hat – wirkt in letz­ter Instanz als Klas­sen­or­gan der Kon­ser­va­ti­ven, weil sie kei­ne Klas­sen mehr zu ken­nen vor­gibt, son­dern nur noch ‚Men­schen’. In ihr herr­schen beim Ent­schei­dungs­pro­zess nicht der Drang und der Druck exis­ten­ter Bevöl­ke­rungs­grup­pen, son­dern der ‚Sach­zwang’.“[31]

Schon in der Pha­se des for­dis­ti­schen Wohl­fahrts­staats zeig­ten sich also ers­te Anzei­chen des Pro­zes­ses, der in der aktu­el­len Debat­te als „post­de­mo­kra­tisch“ beschrie­ben wird.

Neo­li­be­ra­ler Auto­ri­ta­ris­mus und Postdemokratie

In den 1980er Jah­ren wur­den der keyne­sia­nisch-​​for­dis­ti­sche Nach­kriegs­kon­sens vom Neo­li­be­ra­lis­mus ver­drängt. David Har­vey[32] zeigt auf, dass es sich dabei um ein Pro­jekt der Wie­der­her­stel­lung der Macht der herr­schen­den Klas­sen han­delte. In mate­ri­el­ler Hin­sicht zeigt sich das deut­lich in Ein­kom­mens– und Ver­mö­gens­ver­tei­lung. Nicht nur die (im Gini-​​Ko­ef­fi­zi­en­ten gemes­sene) per­so­nelle Ein­kom­mens­ver­tei­lung, son­dern auch die funk­tio­nale Ver­tei­lung zwi­schen Kapi­tal und Arbeit ver­än­dern sich bestän­dig zu Guns­ten der Reichs­ten. Die größ­ten Ver­lie­rer sind dabei auf den ers­ten Blick die männ­li­chen Brot­ver­die­ner von einst, die auf­grund von Real­lohn­ein­bu­ßen oft nicht mehr allei­ne ihre Fami­lien ernäh­ren kön­nen. Auf Frau­en wir­ken die Umstruk­tu­rie­run­gen klas­sen­se­lek­tiv:[33] Gene­rell üben jetzt mehr Frau­en Erwerbs­ar­beit aus. In den ärme­ren Fami­lien wird die Lohn­ein­buße des ehe­ma­li­gen Fami­li­e­n­er­näh­rers meist durch Teil­zeit­ar­beit der Frau­en aus­ge­gli­chen, deren Arbeits­be­las­tung im Haus­halt jedoch nicht gleich­zei­tig sinkt. Rei­chere Dop­pel­ver­die­ne­rIn­nen-​​Fa­mi­li­en hin­ge­gen leis­ten sich zuneh­mend Haus­häl­te­rin­nen. Meist von Migran­tin­nen aus­ge­führte Haus­halts­ar­beit wird dann zwar bezahlt, führt aber auch zur Aus­wei­tung des Niedriglohnsegments.

Die­se sozia­le Ent­de­mo­kra­ti­sie­rung wird ver­schärft durch Ten­den­zen zur Pri­va­ti­sie­rung, da der Zugang zu sozia­ler Infra­struk­tur dann stär­ker durch finan­zi­elle Mög­lich­kei­ten geprägt wird. Auch die Umstruk­tu­rie­rung der Sozi­al­po­li­tik im Sinn von „work­fare“ statt „wel­fare“[34] wie z.B. mit­tels der Hartz IV Geset­ze in Deutsch­land trägt zur auto­ri­tä­ren Wen­de bei, da „akti­vie­rende Arbeits­markt­po­li­tik“ an den Zwang gekop­pelt wird, Erwerbs­ar­beit nach­zu­ge­hen – auch unter sehr schlech­ten Arbeits­be­din­gun­gen. Die sozio-​​öko­no­mi­sche Kom­po­nente wird auch durch Umstruk­tu­rie­run­gen des Arbeits­re­gimes ver­än­dert. Die „Fle­xi­bi­li­sie­rung“ (d.h. der Abbau) arbeits­recht­li­cher Stan­dards geht ein­her mit der Ero­sion kor­po­ra­tis­ti­scher Mecha­nis­men der „Sozi­al­part­ner­schaft“. An deren Stel­le tre­ten jedoch nicht offe­nere For­men von Mit­be­stim­mung, son­dern Kom­bi­na­tio­nen aus Ziel­vor­ga­ben des obe­ren Manage­ments (mit­tels Indi­ka­to­ren usw.) und auto­nome Team­struk­tu­ren unter den Arbeit­neh­me­rIn­nen, die frei sind in der Wahl der Mit­tel zur eige­nen Aus­beu­tung.[35]

Auch auf Pro­zess­ebene geht die Ten­denz in Rich­tung Demo­kra­tie­ab­bau, was als „Post­de­mo­kra­tie“ (Crouch) bzw. „post-​​po­li­ti­sche“ Ent­wick­lung (Mouf­fe, Ran­cière) bezeich­net wird. Zen­trale Ele­mente sind hier (1) das Ver­schwim­men der Gren­zen zwi­schen Unter­neh­men und Staat und (2) die Ablö­sung von inter­es­sens­ba­sier­ter Poli­tik durch „objek­tive“ Behand­lung von „Sach­zwän­gen“ durch Exper­tIn­nen. Crouch[36] betont beson­ders die Domi­nanz des „glo­ba­len Unter­neh­mens“: Die mit dem Pro­zess der „Glo­ba­li­sie­rung“[37] zusam­men­hän­gende stei­gende Mobi­li­tät des Kapi­tals erhöht des­sen Druck­po­ten­tial gegen­über natio­na­len Regie­run­gen. Auch insti­tu­tio­nelle Umstruk­tu­rie­run­gen der Staa­ten för­dern die­sen Pro­zess: Einer­seits führt der Fokus auf „Public – Pri­vate Part­nerships“ (PPPs) dazu, dass der Staat in vie­len kon­kre­ten Pro­jek­ten direkt mit Unter­neh­men zusam­men­ar­bei­tet. Trans­pa­renz und Rechen­schaft, die in klas­sisch büro­kra­ti­schen Pro­zes­sen wich­tig waren, gehen dabei eben­so ver­lo­ren wie die Mög­lich­keit von gewähl­ten Ver­tre­te­rIn­nen, eigen­stän­dig Ent­schei­dun­gen zu tref­fen.[38] Ande­rer­seits wird auch staat­li­ches Han­deln selbst in Reform­pro­zes­sen des „New Public Manage­ment“ nach dem Vor­bild der unter­neh­me­ri­schen Orga­ni­sa­tion „ver­be­triebs­wirt­schaft­licht“. Das Ergeb­nis bezeich­nen die renom­mier­ten Gover­nan­ce-​​For­scher Peters und Pierre[39] als „Faust’schen Tausch“ von kurz­fris­ti­ger Effi­zi­enz zu Las­ten von Demokratie.

Im poli­ti­schen Pro­zess wer­den die von Agno­li schon für den For­dis­mus skiz­zier­ten Ten­den­zen zur De-​​Po­li­ti­sie­rung wei­ter radi­ka­li­siert. Poli­tik wird in die­sem Sin­ne nicht mehr als Auf­ein­an­der­pral­len von ent­ge­gen­ge­setz­ten Inter­es­sen betrie­ben, son­dern als objek­ti­ves Lösen von Pro­ble­men unter der Last der „Sach­zwänge der Glo­ba­li­sie­rung“. Auf Akteurs­ebene betrifft das vor allem ehe­mals lin­ke Par­teien, die sich auch selbst umstruk­tu­rie­ren: Um den „Zug zur Mit­te“ voll­zie­hen zu kön­nen, wer­den Ent­schei­dungs­kom­pe­ten­zen auf weni­ge füh­rende Köp­fe zen­tra­li­siert und der Par­tei­ap­pa­rat dabei büro­kra­ti­siert. Die Staats­ap­pa­rate selbst wer­den ähn­lich umstruk­tu­riert: stra­te­gi­sche Ent­schei­dun­gen wer­den zuneh­mend weni­ger in Par­la­men­ten getrof­fen, son­dern durch Exe­ku­tive und Judi­ka­tive (letz­te­res v.a. in der EU), wirt­schaft­li­che Appa­rate wie Finanz­mi­nis­te­rium und Zen­tral­bank wer­den gegen­über ande­ren Appa­ra­ten gestärkt. Eini­ges wird auch auf „Exper­ten­gre­mien“ aus­ge­la­gert, die als objek­tiv prä­sen­tiert wer­den.[40] Ran­cière sieht dar­in die Demo­kra­tie­feind­lich­keit der „Olig­ar­chie“ des gesell­schaft­li­chen Esta­blish­ments, die ihre „natür­li­che Über­le­gen­heit“ auf­grund von Her­kunft und Bil­dung nicht an „den Pöbel“ abge­ben wol­len.[41] Als Reak­tion of die soge­nannte Poli­tik­ver­dros­sen­heit im post­de­mo­kra­ti­schen Zeit­al­ter gibt es teil­weise Par­ti­zi­pa­ti­ons­pro­jekte auf loka­ler Ebe­ne. Meis­tens betref­fen die­se Pro­jekte jedoch bloß Mikro­stru­ku­ren (z.B. par­ti­zi­pa­tive Park­ge­stal­tung) wäh­rend stra­te­gisch zen­trale Ent­schei­dun­gen (z.B. EU-​​Re­form­ver­trag, akti­ve Rechts­spre­chung des Euro­päi­schen Gerichts­hofs) in ent­po­li­ti­sier­ten und meist auch intrans­pa­ren­ten Räu­men statt­fin­den. Vie­ler­orts sind die ein­zi­gen Par­teien, die sich dem post­de­mo­kra­ti­schen Kon­sens ent­ge­gen­stel­len, neo­fa­schis­tisch, wäh­rend Par­teien des lin­ken Spek­trums sich zur poli­ti­schen Mit­te hin als Staats­par­teien zu eta­blie­ren versuchen.

Fazit

Das hier skiz­zierte Kon­zept von Demo­kra­tie ist breit ange­legt als poli­tisch und sozio-​​öko­no­misch sowie pro­zess­haft, d.h. die Pro­zesse von Demo­kra­ti­sie­rung und Ent-​​De­mo­kra­ti­sie­rung ste­hen im Mit­tel­punkt der Betrach­tung. Zen­tra­les Moment bei die­sen Pro­zes­sen ist das Ver­hält­nis der „Olig­ar­chie“ zur „Mas­se des Vol­kes“. Im Lauf der Geschich­te zeig­te sich, dass die „Olig­ar­chie“ stets Bemü­hun­gen zeig­te, sich vom Rest abzu­schot­ten und zu ver­hin­dern, dass „der unge­bil­dete Pöbel“ Ent­schei­dun­gen trifft. Nach der Erkämp­fung des all­ge­mei­nen Wahl­rechts kam es nach dem Zwei­ten Welt­krieg zu einer kur­zen Wel­le der Demo­kra­ti­sie­rung. Im Zuge der neo­li­be­ra­len Trans­for­ma­tio­nen ver­stärk­ten sich dann Ten­den­zen zur Ent-​​De­mo­kra­ti­sie­rung, die in aktu­el­len Debat­ten als „post­de­mo­kra­tisch“ bezeich­net wer­den. Im Zuge des­sen wer­den sozio-​​öko­no­mi­sche Rech­te abge­baut und ent­spre­chende Ent­schei­dun­gen als „öko­no­mi­sche Sach­zwänge der Glo­ba­li­sie­rung“ de-​​po­li­ti­siert. Wenn die­se Ent­wick­lun­gen die Par­teien des lin­ken Spek­trums erfas­sen, sind es oft bloß neo­fa­schis­ti­sche Par­teien, die sich gegen den post­de­mo­kra­ti­schen Kon­sens stel­len. Um mög­li­che Neo­fa­schis­men zu ver­hin­dern, gilt es, pro­gres­sive Kon­zepte von Re-​​Po­li­ti­sie­rung und Demo­kra­ti­sie­rung zu ent­wi­ckeln, die an der Dyna­mik der Nach­kriegs­zeit anknüp­fen und in Bezug auf Geschlech­ter­ver­hält­nisse und Staats­bür­ger­schaft neue Ansät­ze zu fin­den, um den Pro­zess der Demo­kra­ti­sie­rung wei­ter voranzutreiben.


Lite­ra­tur

Agno­li, Johan­nes (2004): Die Trans­for­ma­tion der Demo­kra­tie und ver­wandte Schrif­ten, Ham­burg: Kon­kret Lite­ra­tur Verlag.

And­reotti, Alberta/​​Garcia, Mari­sol Soledad/​​Gomez, Aitor/​​Hespanha, Pedro/​​Kazepo, Yuri/​​Mingione, Enzo (2001): Does a Sou­thern Euro­pean Model Exist?, In: Jour­nal of Con­tem­porary Euro­pean Stu­dies 9, H. 1, S. 43–62.

Bali­bar, Étienne/​​Wallerstein, Imma­nuel (1998): Ras­se, Klas­se, Nati­on: Ambi­va­lente Iden­ti­tä­ten Ham­burg: Argu­ment, 2. Aufl.

Bau­er, Otto (1976): Der Weg zum Sozia­lis­mus, Werk­aus­gabe, Wien: Euro­pa­ver­lag, S. 89–131.

Ber­lin, Isaiah (1958): Two Con­cepts of Liber­ty http://www.nyu.edu/projects/nissenbaum/papers/twoconcepts.pdf (Stand: 23-11-2009).

Can­fora, Lucia­no (2006): Eine kur­ze Geschich­te der Demo­kra­tie. Von Athen bis zur Euro­päi­schen Uni­on, Köln: PapyRossa.

Crouch, Colin (2008): Post­de­mo­kra­tie, Frank­furt: Suhrkamp.

Dör­re, Klaus/​​Röttger, Bernd (2003), Hg.: Das neue Markt­re­gime. Kon­tu­ren eines nach­for­dis­ti­schen Pro­duk­ti­ons­mo­dells, Ham­burg: VSA.

Esping-​​An­der­sen, Gøs­ta (1990): The three worlds of wel­fare capi­ta­lism, Cam­bridge: Poli­ty Press.

Esping- ​​Ander­sen, Gøs­ta (1998): Die drei Wel­ten des Wohl­fahrts­ka­pi­ta­lis­mus. Zur Poli­ti­schen Öko­no­mie des Wohl­fahrts­staa­tes, Hg. Ste­phan Lessenich/​​llona Ost­ner, Wel­ten des Wohl­fahrts­ka­pi­ta­lis­mus: Der Sozi­al­staat in ver­glei­chen­der Per­spek­tive, Frank­furt: Cam­pus, S. 19–56.

Esping-​​An­der­sen, Gøs­ta (1999): Social Foun­da­ti­ons of Post­in­dus­trial Eco­no­mies, Oxford: Oxford Uni­ver­sity Press.

Haber­mas, Jür­gen (1990): Struk­tur­wan­del der Öffent­lich­keit. Unter­su­chun­gen zu einer Kate­go­rie der bür­ger­li­chen Gesell­schaft. Mit einem Vor­wort zur Neu­auf­lage 1990, Frank­furt: Suhrkamp.

Har­vey, David (2007): Klei­ne Geschich­te des Neo­li­be­ra­lis­mus, Zürich: Rotpunktverlag.

Hork­hei­mer, Max/​​Adorno, Theo­dor W. (2003): Dia­lek­tik der Auf­klä­rung. Phi­lo­so­phi­sche Frag­mente, Frank­furt: Fischer, 14. Aufl.

Huber, Evelyne/​​Stephens, John D. (2001): Deve­lop­ment and Cri­sis of the Wel­fare Sta­te: Par­ties and Poli­cies in Glo­bal Mar­kets, Chi­cago: The Uni­ver­sity of Chi­cago Press.

Kann­an­ku­lam, John (2008): Auto­ri­tä­rer Eta­tis­mus im Neo­li­be­ra­lis­mus: Zur Staats­theo­rie von Nicos Pou­lant­zas, Ham­burg: VSA.

Kor­pi, Wal­ter (1983): The Demo­cra­tic Class Strugg­le, Lon­don: Routledge.

Kre­ckel, Rein­hard (2004): Poli­ti­sche Sozio­lo­gie der sozia­len Ungleich­heit, Frank­furt: Cam­pus, 3. Aufl.

Krei­sky, Eva (1994): Das ewig Män­ner­bün­di­sche? Zur Stan­dard­form von Staat und Poli­tik, Hg. Claus Leg­ge­wie, Wozu Poli­tik­wis­sen­schaft? Über das Neue in der Politik,

Darm­stadt: Wis­sen­schaft­li­che Buch­ge­sell­schaft, S. 191–208.

Krom­phardt, Jür­gen (2004): Kon­zep­tio­nen und Ana­ly­sen des Kapi­ta­lis­mus, Göt­tin­gen: Van­den­hoeck & Ruprecht, 4. Aufl.

Leu­bolt, Bernhard/​​Novy, Andreas/​​Beinstein, Bar­bara (2009): Gover­nance and Demo­cracy – KATARSIS Sur­vey Paper, in: Cahiers du Cent­re de recher­che sur les inno­va­tions socia­les (CRISES), Collec­tion Étu­des thé­o­ri­ques, H. ET0908 http://www.crises.uqam.ca/cahiers/ET0908.pdf (Stand: 17-11-2009).

Mar­shall, Tho­mas Hum­phrey (1950): Citi­zenship and Social Class, and other Essays, Cam­bridge: Cam­bridge Uni­ver­sity Press.

Mouf­fe, Chan­tal (2006): On the Poli­ti­cal, Lon­don: Routledge.

Novy, Andreas/​​Leubolt, Bern­hard (2009): Sca­le-​​Sen­si­ti­ve Socio­eco­no­mic Demo­cra­ti­sa­tion, auf der „RSA-​​con­fe­rence: Under­stan­ding and Shaping Regi­ons: Spa­tial, Social and Eco­no­mic Futures“ Kon­fe­renz prä­sen­tier­tes paper, Leu­ven, 6–8 April.

Nowak, Jörg (2009): Geschlech­ter­po­li­tik und Klas­sen­herr­schaft: Eine Inte­gra­tion mar­xis­ti­scher und femi­nis­ti­scher Staats­theo­rien, Müns­ter: West­fä­li­sches Dampfboot.

O’Donnell, Guil­lermo (2004): Human Deve­lop­ment, Human Rights, and Demo­cracy, Hg. Guil­lermo O’Donnell/Jorge Var­gas Cullell/​​Osvaldo M. Iaz­zetta, The Qua­lity of Demo­cracy: Theo­ry and App­li­ca­ti­ons, Not­re Dame: Uni­ver­sity of Not­re Dame Press, S. 9–92.

Oli­vei­ra, Fran­cisco de (1988): O Sur­gi­mento do Anti­va­lor. Capi­tal, For­ça de Tra­balho e Fun­do Púb­li­co, In: Novos Estu­dos 9, H. 22, S. 8–28.

Peck, Jamie (2001): Work­fare Sta­tes, New York: Guil­ford Publications.

Peters, B. Guy/​​Pierre, Jon (2004): Mul­ti-​​le­vel Gover­nance and Demo­cracy: A Faus­tian Bar­gain?, Hg. Ian Bache/​​Matthew Flin­ders, Mul­ti-​​le­vel Gover­nance, Oxford: Oxford Univer­sity Press, S. 75–89.

Ran­cière, Jac­ques (2009): Hat­red of Demo­cracy, Lon­don: Verso.

Reh­mann, Jan (1998): Max Weber: Moder­ni­sie­rung als pas­sive Revo­lu­tion. Kon­text­stu­dien zu Poli­tik, Phi­lo­so­phie und Reli­gion im Über­gang zum For­dis­mus, Ham­burg: Argument.

Weber, Max (1980): Wirt­schaft und Gesell­schaft. Grund­riß der Ver­ste­hen­den Sozio­lo­gie, Tübin­gen: Mohr Sie­beck, 5. Aufl.

Fußnoten

[1] Die­ser Bei­trag wird im Früh­jahr 2010 in einer Publi­ka­tion der GBW zum The­men­be­reich „Glo­ba­li­sie­rung – Gerech­tig­keit – Demo­kra­tie“ im Pla­net-​​Ver­lag erscheinen.

[2] Pro­mo­ti­ons­sti­pen­diat der Hein­rich-​​B­öll-​​Stif­tung im Rah­men des Kol­legs „Glo­bal Social Poli­cies and Gover­nance“ (http://www.social-globalization.uni-kassel.de/); Redak­ti­ons­mit­glied des „Jour­nal für Ent­wick­lungs­po­li­tik“ (http://www.mattersburgerkreis.at/jep/); Vor­stands­mit­glied des BEIGEWUM.

[3] Die Kom­bi­na­tion von reprä­sen­ta­ti­ver, direk­ter und par­ti­zi­pa­ti­ver Demo­kra­tie wird hier jedoch nicht wei­ter ver­tieft. Vgl. dazu: Bern­hard Leu­bolt, Andre­as Novy und Bar­bara Bein­stein: Gover­nance and Demo­cracy – KATARSIS Sur­vey Paper, in: Cahiers du Cent­re de recher­che sur les inno­va­tions socia­les (CRISES), Collec­tion Étu­des thé­o­ri­ques, H. ET0908 (2009) http://www.crises.uqam.ca/cahiers/ET0908.pdf (Stand: 17-11-2009).

[4] Andre­as Novy und Bern­hard Leu­bolt: Sca­le-​​Sen­si­ti­ve Socio­eco­no­mic Demo­cra­ti­sa­tion, auf der „RSA-​​con­fe­rence: Under­stan­ding and Shaping Regi­ons: Spa­tial, Social and Eco­no­mic Futures“ Kon­fe­renz prä­sen­tier­tes paper, Leu­ven, 6–8 April 2009, S. 4, http://www.regional-studies-assoc.ac.uk/events/2009/apr-leuven/papers/Novy.pdf (Stand: 26.11.2009).

[5] Lucia­no Can­fora: Eine kur­ze Geschich­te der Demo­kra­tie. Von Athen bis zur Euro­päi­schen Uni­on, Köln: Papy­Rossa 2006, S. 35f.

[6] Neben Can­fo­ras Buch vgl. auch: Jac­ques Ran­cière: Hat­red of Demo­cracy, Lon­don: Ver­so 2009.

[7] Can­fora (Anm. 3), S. 35.

[8] Ran­cière (Anm. 4), S. 4; Übers. BL.

[9] Vgl.: Jür­gen Haber­mas: Struk­tur­wan­del der Öffent­lich­keit. Unter­su­chun­gen zu einer Kate­go­rie der bür­ger­li­chen Gesell­schaft. Mit einem Vor­wort zur Neu­auf­lage 1990, Frank­furt: Suhr­kamp 1990.

[10] Eine aus­ge­zeich­nete Beschrei­bung der his­to­ri­schen Ent­ste­hung des Kapi­ta­lis­mus fin­det sich bei: Jür­gen Krom­phardt: Kon­zep­tio­nen und Ana­ly­sen des Kapi­ta­lis­mus, Göt­tin­gen: Van­den­hoeck & Ruprecht, 4. Aufl. 2004.

[11] Isaiah Ber­lin: Two Con­cepts of Liber­ty (1958) http://www.nyu.edu/projects/nissenbaum/papers/twoconcepts.pdf (Stand: 23-11-2009).

[12] Neben Can­fo­ras Buch (Anm. 3) gibt auch „Der acht­zehnte Bru­maire des Lou­is Napo­leon“ von Karl Marx (MEW 8, Ber­lin: Dietz; bzw.: http://www.ml-werke.de/marxengels/me08_115.htm) inter­es­sante Ein­bli­cke in die Geschich­te der fran­zö­si­schen Revolution.

[13] Zu den aus­tro-​​mar­xis­ti­schen Kon­zep­tio­nen vgl.: Otto Bau­er: Der Weg zum Sozia­lis­mus, Werk­aus­gabe, Wien: Euro­pa­ver­lag 1976. In einem ande­ren Bei­trag bezie­he ich mich aus­führ­li­cher dar­auf: Bern­hard Leu­bolt: Kri­se der Demo­kra­tie und mög­li­che Alter­na­ti­ven, http://www.beigewum.at/2009/11/krise-der-demokratie-und-mogliche-alternativen/ (Stand: 26.11.2009)

[14] Vgl.: Can­fora (Anm. 3).

[15] Vgl.: Eva Krei­sky: Das ewig Män­ner­bün­di­sche? Zur Stan­dard­form von Staat und Poli­tik, Hg. Claus Leg­ge­wie, Wozu Poli­tik­wis­sen­schaft? Über das Neue in der Poli­tik, Darm­stadt: Wis­sen­schaft­li­che Buch­ge­sell­schaft 1994.

[16] Vgl.: Tho­mas Hum­phrey Mar­shall: Citi­zenship and Social Class, and other Essays, Cam­bridge: Cam­bridge Uni­ver­sity Press 1950.

[17] Vgl.: Guil­lermo O’Donnell: Human Deve­lop­ment, Human Rights, and Demo­cracy, Hg. Guil­lermo O’Donnell, Jor­ge Var­gas Cul­lell und Osval­do M. Iaz­zetta, The Qua­lity of Demo­cracy: Theo­ry and App­li­ca­ti­ons, Not­re Dame: Uni­ver­sity of Not­re Dame Press 2004.

[18] Eige­ne Dar­stel­lung nach: Ebd.

[19] Der Begriff stammt von Kor­pi, der damit auf die klas­sen-​​ba­sier­ten insti­tu­tio­nel­len Kämp­fe von sozialdemokratischen,sozialistischen und/​​oder kom­mu­nis­ti­schen Par­teien hin­wies, die zur Eta­blie­rung von sozi­al­po­li­ti­schen Arran­ge­ments führ­ten. Vgl.: Wal­ter Kor­pi: The Demo­cra­tic Class Strugg­le, Lon­don: Rout­ledge 1983

[20] Der Begriff der De-​​Kom­mo­di­fi­zie­rung geht auf Esping-​​An­der­sen zurück; vgl.: Gøs­ta Esping-​​An­der­sen: The three worlds of wel­fare capi­ta­lism, Cam­bridge: Poli­ty Press 1990Gøsta Esping-​​An­der­sen: Die drei Wel­ten des Wohl­fahrts­ka­pi­ta­lis­mus. Zur Poli­ti­schen Öko­no­mie des Wohl­fahrts­staa­tes, Hg. Ste­phan Les­se­nich und llo­na Ost­ner, Wel­ten des Wohl­fahrts­ka­pi­ta­lis­mus: Der Sozi­al­staat in ver­glei­chen­der Per­spek­tive, Frank­furt: Cam­pus 1998.
Der bra­si­lia­ni­sche Sozio­loge Oli­vei­ra beschrieb die Ent­wick­lung mit Hil­fe der Marx’schen Kate­go­rien zur Kri­tik der poli­ti­schen Öko­no­mie als „Auf­kom­men des Anti-​​Werts“; vgl.: Fran­cisco de Oli­vei­ra: O Sur­gi­mento do Anti­va­lor. Capi­tal, For­ça de Tra­balho e Fun­do Púb­li­co, In: Novos Estu­dos 9 (1988), H. 22.

[21] Esping-​​An­der­sen: Die drei Wel­ten des Wohl­fahrts­ka­pi­ta­lis­mus. Zur Poli­ti­schen Öko­no­mie des Wohl­fahrts­staa­tes, S. 23.

[22] Gøs­ta Esping-​​An­der­sen: Social Foun­da­ti­ons of Post­in­dus­trial Eco­no­mies, Oxford: Oxford Uni­ver­sity Press 1999.

[23] Esping-​​An­der­sen unter­schei­det sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Wohl­fahrts­staa­ten (Skan­di­na­vien) von libe­ra­len (z.B. Groß­bri­tan­nien, USA) und kon­ser­va­tiv-​​kor­po­ra­tis­ti­schen (z.B. Deutsch­land, Frank­reich, Öster­reich). Auf­grund des deut­lich gerin­ge­ren Gra­des der De-​​Kom­mo­di­fi­zie­rung und der damit ver­bun­de­nen Aus­la­ge­rung von Sozi­al­po­li­tik auf Fami­lien wird Süd­eu­ro­pas Sozi­al­mo­dell oft als fami­li­en­ba­siert bezeich­net; vgl. z.B.: Alber­ta Andreottiu.a.: Does a Sou­thern Euro­pean Model Exist?, In: Jour­nal of Con­tem­porary Euro­pean Stu­dies 9 (2001), H. 1.

[24] Vgl.: Eve­lyne Huber und John D. Ste­phens: Deve­lop­ment and Cri­sis of the Wel­fare Sta­te: Par­ties and Poli­cies in Glo­bal Mar­kets, Chi­cago: The Uni­ver­sity of Chi­cago Press 2001.

[25] Vgl.: Éti­enne Bali­bar und Imma­nuel Wal­ler­stein: Ras­se, Klas­se, Nati­on: Ambi­va­lente Iden­ti­tä­ten Ham­burg: Argu­ment, 2. Aufl. 1998.

[26] Rein­hard Kre­ckel: Poli­ti­sche Sozio­lo­gie der sozia­len Ungleich­heit, Frank­furt: Cam­pus, 3. Aufl. 2004

[27] Das grund­le­gende Werk zur Büro­kra­tie ist: Max Weber: Wirt­schaft und Gesell­schaft. Grund­riß der Ver­ste­hen­den Sozio­lo­gie, Tübin­gen: Mohr Sie­beck, 5. Aufl. 1980; zur Kri­tik vgl.: Jan Reh­mann: Max Weber: Moder­ni­sie­rung als pas­sive Revo­lu­tion. Kon­text­stu­dien zu Poli­tik, Phi­lo­so­phie und Reli­gion im Über­gang zum For­dis­mus, Ham­burg: Argu­ment 1998.

[28] Max Hork­hei­mer und Theo­dor W. Ador­no: Dia­lek­tik der Auf­klä­rung. Phi­lo­so­phi­sche Frag­mente, Frank­furt: Fischer, 14. Aufl. 2003, S. 169.

[29] Haber­mas (Anm. 7).

[30] Johan­nes Agno­li: Die Trans­for­ma­tion der Demo­kra­tie und ver­wandte Schrif­ten, Ham­burg: Kon­kret Lite­ra­tur Ver­lag 2004.

[31] Ebd., S. 41.

[32] David Har­vey: Klei­ne Geschich­te des Neo­li­be­ra­lis­mus, Zürich: Rot­punkt­ver­lag 2007.

[33] Vgl.: Jörg Nowak: Geschlech­ter­po­li­tik und Klas­sen­herr­schaft: Eine Inte­gra­tion mar­xis­ti­scher und femi­nis­ti­scher Staats­theo­rien, Müns­ter: West­fä­li­sches Dampf­boot 2009.

[34] Vgl.: Jamie Peck: Work­fare Sta­tes, New York: Guil­ford Publi­ca­ti­ons 2001.

[35] Vgl.: Klaus Dör­re und Bernd Rött­ger, Hg.: Das neue Markt­re­gime. Kon­tu­ren eines nach­for­dis­ti­schen Pro­duk­ti­ons­mo­dells, Ham­burg: VSA 2003.

[36] Colin Crouch: Post­de­mo­kra­tie, Frank­furt: Suhr­kamp 2008.

[37] Ent­ge­gen dem Dis­kurs um „Sach­zwänge der Glo­ba­li­sie­rung“ beste­hen auf natio­nal­staat­li­cher jedoch eigent­lich noch grö­ßere Hand­lungs­spiel­räume. Ein Indiz dafür sind die natio­nal­staat­li­chen Reak­tio­nen auf die aktu­elle Weltwirtschaftskrise.

[38] In Arbei­ten „Gover­nance“ wird das beson­ders deut­lich. Vgl.: Leu­bolt, Novy und Bein­stein (Anm. 1)

[39] B. Guy Peters und Jon Pierre: Mul­ti-​​le­vel Gover­nance and Demo­cracy: A Faus­tian Bar­gain?, Hg. Ian Bache und Mat­thew Flin­ders, Mul­ti-​​le­vel Gover­nance, Oxford: Oxford Uni­ver­sity Press 2004.

[40] Vgl. die Debat­te zu Post­de­mo­kra­tie: Crouch; Chan­tal Mouf­fe: On the Poli­ti­cal, Lon­don: Rout­ledge 2006; mit etwas ande­rem Blick­win­kel vgl. auch: John Kann­an­ku­lam: Auto­ri­tä­rer Eta­tis­mus im Neo­li­be­ra­lis­mus: Zur Staats­theo­rie von Nicos Pou­lant­zas, Ham­burg: VSA 2008.

[41] Ran­cière (Anm.4).

1 Kommentar » | Kategorie: blog

Was es mir wert ist.

11. Januar 2010 – 20:13 Uhr

Finanz­mi­nis­ter Pröll will die Öster­rei­chi­sche Natio­nal­bank ver­staat­li­chen. Ich kann nur ver­mu­ten, die hier ver­sam­mel­ten Wirt­schafts­wis­sen­schaft­le­rIn­nen stim­men die­sem Schritt voll inhalt­lich zu. Von mir nur ein Hin­weis auf eine seman­ti­sche Irri­ta­ti­on. In der Ankün­di­gung, die rest­li­chen, nicht-staat­li­chen Antei­le der ÖNB für die Repu­blik auf­kau­fen zu wol­len, hat Pröll heu­te gesagt:

50 Mil­lio­nen – das ist es mir wert.“

Ich will ja nicht klein­lich erschei­nen. Aber, wirk­lich: wie kann ein Finanz­mi­nis­ter – wie kann irgend jemand, der über öffent­li­che Gel­der ver­fügt – sich so eine Aus­sa­ge erlau­ben? Dass es ihm das wert ist? Im Sin­ne von: Das geneh­mi­ge ich mir? Statt viel­leicht dar­auf hin­zu­wei­sen, dass es den staat­li­chen Inter­es­sen ent­spre­chen wür­de, einen sol­chen Schritt zu set­zen? Statt den Satz etwa so zu for­mu­lie­ren: „50 Mil­lio­nen – das ist die Sache wert.“ – ?

Wie geschrie­ben, eine seman­ti­sche Irri­ta­ti­on. Aber vom Ges­tus schon auf­fäl­lig. Wie nen­nen wir das: geleb­ten Josefinismus?

Kommentieren » | Kategorie: blog

Jörg Huffschmid (1940-2009)

12. Dezember 2009 – 21:46 Uhr

Der BEIGEWUM trau­ert um Prof. Dr. Jörg Huff­schmid, der am letz­ten ver­gan­ge­nen Sams­tag (5.12.2009) nach schwe­rer Krank­heit viel zu früh aus dem Leben schied. Als einem der füh­ren­den deutsch­spra­chi­gen poli­ti­schen Öko­no­men der letz­ten vier Jahr­zehn­te ver­ban­den den BEIGEWUM und vie­le sei­ner Mit­glie­der mit Jörg Huff­schmid eine lan­ge Rei­he von per­sön­li­chen und insti­tu­tio­nel­len Kon­tak­ten und Koope­ra­tio­nen. Mehr noch: Jörg Huff­schmid war ein leuch­ten­der Fix­stern am intel­lek­tu­el­len Fir­ma­ment vie­ler kri­ti­scher Sozi­al- und Wirt­schafts­wis­sen­schaf­te­rIn­nen, die sich im BEIGEWUM engagierten.


Das per­sön­li­che Ethos von Jörg Huff­schmid war von dem inten­si­ven Bestre­ben getra­gen, kri­ti­sche Wis­sen­schaft in den Dienst fort­schritt­li­cher Poli­tik zu stel­len. Die­ses Ziel hat er nicht nur mit zahl­rei­chen wis­sen­schaft­li­chen Ana­ly­sen und Publi­ka­tio­nen aktiv ver­folgt, son­dern auch durch prak­ti­sche orga­ni­sa­to­ri­sche Tätig­keit an der Schnitt­stel­le von Wis­sen­schaft und Politik.


Obgleich er in den Anfän­gen sei­ner wis­sen­schaft­lich-poli­ti­schen Tätig­keit mit der Grün­dung der „Arbeits­grup­pe Alter­na­ti­ve Wirt­schafts­po­li­tik“ im Jahr 1975 und den seit 1977 jähr­lich erschei­nen­den Jah­res­gut­ach­ten (Memo­ran­den) noch einen Schwer­punkt auf die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land gelegt hat­te­leg­te, hat­te die Arbeit der Memo­ran­dum-Grup­pe schon damals für den BEIGEWUM Vor­bild­cha­rak­ter. In den spä­ten 1980er und frü­hen 1990er Jah­ren kam es auch zu ers­ten Kon­tak­ten zwi­schen der Memo­ran­dum Grup­pe und dem BEIGEWUM. In den 1990er Jah­ren erwei­ter­te Jörg Huff­schmid den geo­gra­phi­schen Radi­us sei­ner Inter­es­sen und Akti­vi­tä­ten auf die euro­päi­sche Ebe­ne. Als Grün­der der Arbeits­grup­pe für eine ande­re Wirt­schafts­po­li­tik für Euro­pa (Euro­Me­mo­ran­dum-Grup­pe) im Jahr 1995 und Haupt­au­tor des jähr­lich erschei­nen­den Euro-Memo­ran­dums leis­te­te Jörg Huff­schmid Pio­nier­ar­beit im Auf­bau einer kri­ti­schen öko­no­mi­schen und poli­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung mit der euro­päi­schen Inte­gra­ti­on. Eben­so wies er schon früh­zei­tig und nach­drück­lich auf die Gefah­ren eines außer Kon­trol­le gera­ten­den Finanz­sek­tors und die ver­fehl­te Kon­struk­ti­on der euro­päi­schen Finanz­markt­in­te­gra­ti­on hin. Huff­schmids Bestre­ben war es dabei immer, pro­gres­si­ve Alter­na­ti­ven zur herr­schen­den Wirt­schafts-und Sozi­al­po­li­tik in der EU auf­zu­zei­gen. Er for­mu­lier­te dabei einen soli­tä­ren und erst mit der Zeit auf brei­te­re Reso­nanz sto­ßen­den Gegen­stand­punkt zum zuneh­mend neo­li­be­ral über­form­ten Inte­gra­ti­ons­mo­dell. Auf­grund die­ser stark in den Vor­der­grund tre­ten­den euro­päi­schen Dimen­si­on im Wir­ken von Jörg Huff­schmid inten­si­vier­te sich in den letz­ten Jah­ren auch die Zusam­men­ar­beit mit dem BEIGEWUM. Huff­schmid war mit Attac Öster­reich, der Arbei­ter­kam­mer und dem BEIGEWUM aktiv in die Orga­ni­sa­ti­on der ers­ten Alter­na­ti­ven ECO­FIN-Kon­fe­renz in Wien im April 2006 ein­ge­bun­den. Sei­ne füh­ren­de Mit­wir­kung an den alter­na­ti­ven ECO­FIN-Kon­fe­renz in den Fol­ge­jah­ren, wie auch zahl­rei­cher euro­päi­scher For­schungs­ak­ti­vi­tä­ten und Ver­an­stal­tun­gen, ver­deut­lich­ten uns die Not­wen­dig­keit, kon­se­quent an der Ver­net­zung von kri­ti­scher Wis­sen­schaft und Öffent­lich­keit in den Staa­ten der Euro­päi­schen Uni­on zu arbeiten.


Im Rück­blick erscheint es uns als Geschenk, dass Jörg Huff­schmid im Früh­jahr 2009 für meh­re­re Mona­te als Gast­pro­fes­sor am Insti­tut für Poli­tik­wis­sen­schaf­ten in Wien weil­te. Dadurch konn­ten wir ihm bei meh­re­ren öffent­li­chen Ver­an­stal­tun­gen und pri­va­ten Tref­fen noch­mals begeg­nen, und von sei­ner ana­ly­ti­schen Schär­fe und sei­nem poli­ti­schen Weit­blick profitieren.


Jörg Huff­schmid war als Mensch lie­bens­wür­dig und völ­lig unprä­ten­ti­ös. Mit sei­nem Tod ver­lie­ren wir des­halb nicht nur einen gro­ßen Wis­sen­schaf­ter, son­dern wir trau­ern auch um den Men­schen Jörg Huffschmid.


Vor­stand des BEIGEWUM


Wei­te­re Nach­ru­fe zum Tode von Jörg Huffschmid:

Nach­ruf von Rudolf Hickel
Heinz‑J. Bon­trup in der Frank­fur­ter Rund­schau
Heinz‑J. Bon­trup im Neu­en Deutsch­land
Nach­ruf von Axel Troost

Nach­ruf von Rai­ner Ril­ling bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung 
Sei­te von ATTAC Öster­reich zu Hiffschmid
http://www-user.uni-bremen.de/~huffschm/


Kommentieren » | Kategorie: blog

Krise der Demokratie und mögliche Alternativen

13. November 2009 – 18:10 Uhr

Krise der Demokratie und mögliche Alternativen*

Bern­hard Leubolt**


Die Welt­wirt­schafts­kri­se wird als Teil von mul­ti­plen sys­te­mi­schen Kri­sen ver­stan­den, wobei die Demo­kra­tie­kri­se und mög­li­che Stra­te­gien zu deren Bewäl­ti­gung im Mit­tel­punkt stehen.

Multiple Krisen – aufkommende „Post-Demokratie


Die aktu­el­le Welt­wirt­schafts­kri­se ist zwar seit den 1920er/​30er Jah­ren die schwers­te, aber auch bei wei­tem nicht die ers­te Finanz­kri­se der jün­ge­ren Ver­gan­gen­heit. Die euro­päi­schen Regie­run­gen reagier­ten weit­ge­hend mit Ver­staat­li­chung der pri­va­ten Ver­lus­te – ins­be­son­de­re mit­tels der „Ban­ken­ret­tungs­pa­ke­te“ – „auf Pump“. Die dadurch aus­ufern­den Bud­get­de­fi­zi­te wer­den wohl Grund­la­ge für Fis­kal­kri­sen der Staa­ten ablie­fern. Ähn­lich wie unter Rea­gans Regie­rung wo das mit­tels unpro­por­tio­na­ler Anhe­bun­gen des Rüs­tungs­bud­gets geschah, wird die­se „Poli­tik der lee­ren Staats­kas­sen“ in wei­te­rer Fol­ge zum „Sach­zwang Bud­get­kon­so­li­die­rung“ füh­ren. Somit besteht dann eine neue Argu­men­ta­ti­ons­grund­la­ge für wei­te­re Kür­zun­gen der Sozi­al­aus­ga­ben, die als unfi­nan­zier­bar dar­ge­stellt wer­den kön­nen. Die Wirt­schafts­kri­se wird somit aller Vor­aus­sicht nach – im Gefol­ge von stei­gen­der Arbeits­lo­sig­keit und sin­ken­den Sozi­al­aus­ga­ben – eine mehr oder weni­ger schwe­re sozia­le Kri­se nach sich ziehen.


Die­se sozia­len und öko­no­mi­schen Kri­sen wer­den von wei­te­ren Kri­sen beglei­tet: Nicht zuletzt der Kli­ma­wan­del zeigt eine pro­fun­de und struk­tu­rel­le Umwelt­kri­se auf. Beglei­tet wer­den die­se Kri­sen außer­dem von einer über die letz­ten Jah­ren auf­kom­men­de Demo­kra­tie-Kri­se. Obwohl Demo­kra­tie auf glo­ba­ler Ebe­ne for­mal ihren Durch­bruch erreicht zu haben scheint, sind Phä­no­me­ne wie Poli­tik­ver­dros­sen­heit an der Tages­ord­nung – ins­be­son­de­re in Län­dern, die als „kon­so­li­dier­te Demo­kra­tien“ gal­ten. Der bri­ti­sche Poli­tik­wis­sen­schaf­ter Colin Crouch brach­te die dies­be­züg­li­che Debat­te in sei­nem 2003 in Ita­li­en erschie­ne­nen Buch auf den Punkt – es hand­le sich um „Post-Demo­kra­tie“:

Der Begriff bezeich­net ein Gemein­we­sen, in dem zwar nach wie vor Wah­len ab-gehal­ten wer­den, Wah­len, die sogar dazu füh­ren, daß Regie­run­gen ihren Abschied neh­men müs­sen, in dem aller­dings kon­kur­rie­ren­de Teams pro­fes­sio­nel­ler PR-Exper­ten die öffent­li­che Debat­te wäh­rend der Wahl­kämp­fe so stark kon­trol­lie­ren, daß sie zu einem rei­nen Spek­ta­kel ver­kommt, bei dem man nur über eine Rei­he von Pro­ble­men dis­ku­tiert, die die Exper­ten zuvor aus­ge­wählt haben. […] Im Schat­ten die­ser poli­ti­schen Insze­nie­rung wird die rea­le Poli­tik hin­ter ver­schlos­se­nen Türen gemacht: von gewähl­ten Regie­run­gen und Eli­ten, die vor allem die Inter­es­sen der Wirt­schaft ver­tre­ten.“ (Crouch 2008, S. 10)


Der dem kri­ti­schen Main­stream zure­chen­ba­re Crouch geht in die­sem Zusam­men­hang von einer Dege­ne­ra­ti­on der Demo­kra­tie aus, die sich ins­be­son­de­re durch die Ori­en­tie­rung auf die poli­ti­sche Mit­te und angeb­lich objek­ti­ve Pro­blem­lö­sun­gen mit­tels „Exper­ten­gre­mi­en“ aus­zeich­net. Sei­ne Kol­le­gin Chan­tal Mouf­fe (2006) warnt in die­sem Zusam­men­hang vor der Ent­po­li­ti­sie­rung, die einer­seits Inter­es­sen ver­schlei­ert und dadurch den Inter­es­sen mäch­ti­ger Min­der­hei­ten zu Gute kommt und ande­rer­seits das Wie­der­auf­kom­men des Faschis­mus bzw. der extre­men Rech­ten ermög­licht. Letz­te­re bleibt vie­ler­orts im poli­ti­schen Spek­trum als ein­zi­ge Kraft bestehen, die glaub­haft Alter­na­ti­ven ver­tritt, die sich jen­seits des „post-poli­ti­schen“ Kon­sens befinden.


Demokratisierung von Staat und Budget


Alter­na­ti­ven zur Post-Demo­kra­tie gehen unwei­ger­lich mit Poli­ti­sie­rung ein­her. Gesell­schaft­lich rele­van­te Ent­schei­dun­gen soll­ten dem­nach demo­kra­tisch ent­schie­den wer­den statt an „Exper­ten­gre­mi­en“ dele­giert zu wer­den. Vor­der­grün­dig betrifft das Ent­schei­dun­gen im All­tag. Die femi­nis­ti­sche For­de­rung „das Pri­va­te öffent­lich zu machen“ und somit also zu pri­va­ti­sie­ren kann dies­be­züg­lich auf vie­le Berei­che umge­legt werden.


Das betrifft einer­seits den Staat selbst. Die gebräuch­li­che For­mu­lie­rung des „öffent­li­chen Sek­tors“ ist dies­be­züg­lich dahin­ge­hend zu über­prü­fen, in wie fern staat­li­che Poli­tik auch de fac­to öffent­lich gemacht wird. Hier gibt es auf loka­ler Ebe­ne posi­ti­ve Ten­den­zen zur Eta­blie­rung von Par­ti­zi­pa­ti­ons­pro­jek­ten. Loka­le Par­ti­zi­pa­ti­on gilt dabei oft­mals als „All­heil-mit­tel“ gegen Poli­tik­ver­dros­sen­heit und mög­li­che Pro­tes­te der von den poli­ti­schen Ent­schei­dun­gen betrof­fe­nen Grup­pen. Die posi­ti­ve Kon­no­ta­ti­on von Par­ti­zi­pa­ti­on ist jedoch mit Vor­sicht zu betrach­ten. Meis­tens han­delt es sich dabei bloß um Befra­gun­gen und nicht um effek­ti­ve Mit­be­stim­mung. Außer­dem betrifft Par­ti­zi­pa­ti­on nahe­zu immer gesell­schaft­lich rela­tiv mar­gi­na­le The­men auf der Mikro-Ebe­ne wie z.B. Park­ge­stal­tung. Dabei ist die Gefahr der Instru­men­ta­li­sie­rung hoch: Aktu­ell wäre eine par­ti­el­le Ein­bin­dung im Rah­men eines „par­ti­zi­pa­ti­ves Spar­pa­kets“ vor­stell­bar, um „Spar­zwän­ge“ zu legi­ti­mie­ren. Das führt die Wich­tig­keit der Poli­ti­sie­rung stra­te­gisch zen­tra­ler Poli­tik­be­rei­che vor Augen. Hier müs­sen in der Zivil­ge­sell­schaft die­se Berei­che erst iden­ti­fi­ziert wer­den, um dann Druck zu deren Demo­kra­ti­sie­rung auf­bau­en zu können.


Ein Feld, das sich dafür aktu­ell beson­ders gut eig­nen wür­de, ist die Bud­get­po­li­tik. Dies­be­züg­lich gibt es das prak­ti­sche Bei­spiel aus Por­to Alegre, wo die Bevöl­ke­rung über vie­le Jah­re hin­weg effek­tiv Ent­schei­dungs­kom­pe­tenz im Hin­blick auf staat­li­che Aus­ga­ben bekam. For­de­run­gen an den Lokal­staat – etwa nach Stra­ßen oder Kin­der­gär­ten – wur­den von den betref­fen­den Grup­pen öffent­lich in Sit­zun­gen ein­ge­bracht und in wei­te­rer Fol­ge auch öffent­lich beschlos­sen oder abge­lehnt. Der Staat wur­de also ansatz­wei­se „ver­öf­fent­licht“ (näher dazu: Leu­bolt 2006) und gleich­zei­tig fun­gier­te das Par­ti­zi­pa­ti­ve Bud­get auch für teil­neh­men­de Bür­ge­rIn­nen als „Schu­le der Demo­kra­tie“ wie fol­gen­de Aus­sa­ge einer Teil­neh­me­rin zeigt:

Sogar ich habe nur an mei­ne Stra­ße gedacht, als ich zum Par­ti­zi­pa­ti­ven Bud­get gekom­men bin. Aber ich habe ande­re Per­so­nen und Gemein­schaf­ten getrof­fen und habe viel grö­ße­re Pro­ble­me ken­nen gelernt. Was ich als Rie­sen­pro­blem gese­hen habe, war nichts im Ver­gleich zur Situa­ti­on ande­rer Per­so­nen. Kei­ne Woh­nung zu haben, unter einem Tuch zu schla­fen oder die Fra­ge der Abwäs­ser unter frei­em Him­mel, wo Kin­der spie­len und lau­fen. Ich ver­gaß mei­ne Stra­ße, sodass sie sogar bis heu­te nicht asphal­tiert ist.“ (Rose­lai­ne; in: Leu­bolt 2006, S.74f.)

Dass ärme­re Teil­neh­me­rIn­nen – ins­be­son­de­re Frau­en – über­durch­schnitt­lich stark ver­tre­ten waren, lag auch stark dar­an, dass Par­ti­zi­pa­ti­on nicht bloß klei­ne Pro­jek­te, son­dern das gesam­te Bud­get betraf. Die auf­ge­wen­de­te Zeit zahl­te sich für die teil­neh­men­den Men­schen aus, da sie Ent­schei­dun­gen tref­fen konn­ten, die von beson­de­rer Rele­vanz waren. Lob­by­ing war in Por­to Alegre nicht mehr pri­va­ti­siert – weg­wei­sen­de Ent­schei­dun­gen nicht bloß zwi­schen Poli­ti­ke­rIn­nen und „wich­ti­gen Men­schen“ in Vier-Augen-Gesprä­chen gefällt. Viel­mehr fand öffent­li­ches Lob­by­ing um staat­li­che Geld­ver­ga­be statt und eini­ge Teil­neh­me­rIn­nen ent­wi­ckel­ten wie Rose­lai­ne einen neu­en sozia­len Geist: Im Auf­ein­an­der-pral­len von per­sön­li­chen Bedürf­nis­sen konn­te zumin­dest teil­wei­se das „ich“ zum „wir“ und somit eine „Schu­le der Demo­kra­tie“ eta­bliert werden.


Demokratisierung der Arbeitswelt


Die betrieb­li­che Rea­li­tät stellt für die meis­ten einen wenig dis­ku­tier­ten unde­mo­kra­ti­schen Raum dar. Mit dem Ein­tritt an den Arbeits­platz wird gleich­zei­tig die Mög­lich­keit zur Mit­be­stim­mung an Vor­ge­setz­te abge­ge­ben. Außer­halb Latein­ame­ri­kas wur­de die­ser Umstand in den letz­ten Jah­ren wenig dis­ku­tiert. Dabei kamen wich­ti­ge Impul­se für die Debat­te vom öster-rei­chi­schen Sozi­al­de­mo­kra­ten Otto Bau­er, der in sei­nem Werk „Der Weg zum Sozia­lis­mus“ schon 1919 ausführte:

Wenn die Regie­rung alle mög­li­chen Betrie­be beherrsch­te, dann wür­de sie dem Volk und er Volks­ver­tre­tung gegen­über all­zu mäch­tig; sol­che Stei­ge­rung der Macht der Regie­rung wäre der Demo­kra­tie gefähr­lich. Und zugleich wür­de die Regie­rung die ver­ge­sell­schaf­te­te Indus­trie schlecht ver­wal­ten; nie­mand ver­wal­tet Indus­trie­be­trie­be schlech­ter als der Staat. Des­halb haben wir Sozi­al­de­mo­kra­ten nie die Ver­staat­li­chung, immer nur die Ver­ge­sell­schaf­tung der Indus­trie gefor­dert.“ (Bau­er 1976 [1919],S.96; Herv.B.L.)

Relik­te des Ansat­zes der Sozia­li­sie­rung fin­den sich heu­te noch in den Bestim­mun­gen zu Be-triebs­rä­ten in der öster­rei­chi­schen Ver­fas­sung: Die nicht ganz zur Gel­tung kom­men­de Idee dahin­ter war, dass Betrie­be mit zuneh­men­der Grö­ße ver­ge­sell­schaf­tet wer­den soll­ten – der Betriebs­rat soll­te dabei als demo­kra­ti­sches Organ des Manage­ments die­nen, als Basis für die kol­lek­ti­ve Selbst­ver­wal­tung der Arbei­te­rIn­nen. Das wei­te­re demo­kra­ti­sche Kon­zept sah vor, über Betriebs­rä­te, Kon­su­men­tIn­nen-Räte und staat­li­chen Ver­tre­te­rIn­nen die unter-neh­me­ri­schen Ent­schei­dun­gen zu tref­fen und somit eine Art „basis­de­mo­kra­ti­sche Sozi­al­part­ne­rIn­nen­schaft“ mit ein­ge­schränk­tem Mit­spra­che­recht der Kapi­ta­lis­tIn­nen zu schaffen.


In Zei­ten der Welt­wirt­schafts­kri­se wür­de sich somit eine Per­spek­ti­ve für staat­lich „zu ret­ten­de Betrie­be“ wie z.B. die Aus­tri­an Air­lines auf­tun: Der staat­li­chen Sub­ven­tio­nie­rung gro­ßer Kon­zer­ne wie Luft­han­sa oder Magna könn­te die For­de­rung nach Errich­tung eines öffent­li­chen Betrie­bes mit demo­kra­ti­schen Bestim­mungs­rech­ten für Beleg­schaft und Gesell­schaft ent­ge­gen­ge­stellt werden.

Kon­kret wird die Per­spek­ti­ve der Demo­kra­ti­sie­rung der Arbeits­welt beson­ders inner­halb der Bewe­gung soli­da­ri­scher Öko­no­mie wie­der dis­ku­tiert (vgl. z.B. www.solidarische-oekonomie.at; Altvater/​Sekler 2006). Dabei geht es meis­tens noch um Bewe­gun­gen, die in ers­ter Linie jen­seits oder gegen den Staat agie­ren und dabei ver­su­chen auf loka­ler Ebe­ne Kon­zep­te zur Demo­kra­ti­sie­rung der Arbeits­welt zu ver­wirk­li­chen. Der Bezug auf einen zu ver­öf­fent­li­chen­den Staat könn­te hier in zwei­er­lei Hin­sicht Impul­se geben: Einer­seits kann mit Hil­fe staat­li­cher Gel­der das Bestehen im Kon­kur­renz­kampf erleich­tert wer­den, um Pro­ble­men wie mög­li­cher „Selbst­aus­beu­tung“ begeg­nen zu kön­nen; ande­rer­seits könn­ten soli­dar-öko­no­misch geführ­te Betrie­be auch als „Schu­len der Demo­kra­tie“ wir­ken, die Impul­se zur Ver­öf­fent­li­chung und Ver­ge­sell­schaf­tung von Staat und Wirt­schaft geben.


Fazit: Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft


Die hier ver­tre­te­ne Per­spek­ti­ve der Demo­kra­ti­sie­rung setzt an der All­tags­welt an. Das schließt natür­lich auch die Fami­lie bzw. den Haus­halt als ursprüng­li­chen Hort des Pri­va­ten mit ein. Im Hin­blick auf Geschlech­ter­ge­rech­tig­keit und inner­fa­milä­rer Demo­kra­tie sind dabei vie­le Pro­zes­se invol­viert, die hier nicht geson­dert behan­delt wur­den. Die zen­tra­len Bezü­ge die­ses Bei­trags waren im Hin­blick auf das Auf­kom­men einer post-demo­kra­ti­schen Gesell­schaft alter­na­ti­ve Zugän­ge in Form der Demo­kra­ti­sie­rung von Wirt­schaft und Gesell­schaft vor­zu­stel­len. Das impli­ziert auch, nicht jeg­li­che Ver­staat­li­chung bzw. Ein­satz staat­li­cher Mit­tel posi­tiv zu sehen. Viel­mehr gilt es, bestän­dig demo­kra­ti­sche Mei­nungs­bil­dung ein­zu­for­dern und somit Staat und Öffent­lich­keit begriff­lich von­ein­an­der zu unter­schei­den. Dabei kann ein wahr­haft öffent­li­cher Sek­tor als kon­kre­te Uto­pie die­nen. Das schließt auch die Sozia­li­sie­rung bzw. Demo­kra­ti­sie­rung von Unter­neh­men mit ein, was als Alter­na­ti­ve zu staat­lich sub­ven­tio­nier­ten Pri­va­ti­sie­run­gen oder der rei­nen staat­li­chen Sub­ven­tio­nie­rung pri­va­ter Unter­neh­men gese­hen wer­den kann.


Gleich­zei­tig ist auch zu beto­nen, dass der ers­te Schritt zur Demo­kra­ti­sie­rung die öffent­li­che The­ma­ti­sie­rung – d.h. die Poli­ti­sie­rung – gesell­schaft­li­cher Pro­ble­me ste­hen muss. Die­se Poli­ti­sie­rung beginnt im All­tag, im eige­nen Haus­halt, am eige­nen Arbeits­platz, geht aber gleich­zei­tig auch in die Makro-Ebe­ne poli­ti­schen Han­delns. Die Zusam­men­set­zung von „Exper­ten­gre­mi­en“ für poli­ti­sche Refor­men ist dem­nach im Hin­blick auf die ver­tre­te­nen und aus­ge­schlos­se­nen Inter­es­sen genau­so zu hin­ter­fra­gen wie Ent­schei­dungs­struk­tu­ren auf natio­na­ler, euro­päi­scher und inter­na­tio­na­ler Ebene.


Im Hin­blick auf poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen im Zuge der Kri­sen­be­wäl­ti­gung ist die Bud­get­po­li­tik von beson­de­rem Inter­es­se: Wer bezahlt für die Kri­se? Wem wird gehol­fen? Wer lei­det beson­ders unter den Aus­wir­kun­gen? „Ban­ken­ret­tungs­pa­ke­te“, staat­li­che Gel­der an die männ­lich domi­nier­te Auto­mo­bil­in­dus­trie, Pri­va­ti­sie­rung und gleich­zei­ti­ge Sub­ven­tio­nie­rung gro­ßer Flug­li­ni­en spre­chen dies­be­züg­lich eine deut­li­che Spra­che. Um zu die­sen Prak­ti­ken Alter­na­ti­ven for­mu­lie­ren zu kön­nen, lohnt sich ein Blick auf aktu­el­le Ent­wick­lun­gen in Latein­ame­ri­ka eben­so sehr wie ein Blick in die jün­ge­re Geschich­te Euro­pas. In der Ver­ar­bei­tung die­ser Erfah­run­gen ist jedoch eben­so wich­tig, aus den damals auf­ge­tre­te­nen Pro­ble­men und Wider­sprü­chen zu ler­nen, um neue – bes­se­re – Alter­na­ti­ven rea­lis­tisch for­mu­lie­ren zu kön­nen. Es bleibt die Hoff­nung, dass die­ser Weg von pro­gres­si­ven Kräf­ten und nicht von deren neo­li­be­ra­len oder neo-faschis­ti­schen Wider­parts erfolg­reich beschrit­ten wird.


Literatur

Alt­va­ter, Elmar/​Sekler, Nico­la (Hg., 2006): Soli­da­ri­sche Öko­no­mie. Rea­der des Wis­sen­schaft­li­chen Bei­rats von Attac. Ham­burg: VSA.
Bau­er, Otto (1976): Der Weg zum Sozia­lis­mus. Werk­aus­ga­be. Wien: Euro­pa­ver­lag. Erst­aufl. 1919, 89–131.
Crouch, Colin (2008): Post­de­mo­kra­tie. Frank­furt: Suhrkamp.
Leu­bolt, Bern­hard (2006): Staat als Gemein­we­sen. Das Par­ti­zi­pa­ti­ve Bud­get in Rio Gran­de do Sul und Por­to Alegre. Wien: LIT.
Mouf­fe, Chan­tal (2006): On the Poli­ti­cal. Lon­don: Routledge.


* Der vor­lie­gen­de Arti­kel basiert auf einem Bei­trag zum Eröff­nungs­po­di­um der attac Som­mer-aka­de­mie 2009 in Krems zum The­men­feld „Alter­na­ti­ven rund um die glo­ba­le Kri­se, Stra­te­gien zu einem zukünf­ti­gen Wirt­schafts- und Gesell­schafts­sys­tem“ und wird auch in einer Bro­schü­re im ÖGB-Ver­lag veröffentlicht.
** Sti­pen­di­at der Hein­rich-Böll-Stif­tung im Pro­mo­ti­ons­kol­leg „Glo­bal Social Poli­ci­es and Gover­nan­ce“ an der Uni­ver­si­tät Kas­sel, wis­sen­schaft­li­cher Pro­jekt­mit­ar­bei­ter an der WU-Wien, Redak­ti­ons­mit­glied des „Jour­nal für Ent­wick­lungs­po­li­tik“, Vor­stands­mit­glied des BEIGEWUM.

Kommentieren » | Kategorie: blog

Wege aus der Krise? Einige Anmerkungen

9. November 2009 – 17:19 Uhr

Es gibt zwei Grund­mus­ter des Wirtschaftens:
* Gemein­wirt­schaft­lich­keit: Nie­mand kann bei wirt­schaft­li­chen Hand­lun­gen zu Las­ten ande­rer (Erwerbs-)Vorteile für sich erzielen.
* Eigen­wirt­schaft­lich­keit: Wirt­schaft­li­che Hand­lun­gen wer­den mit der Absicht unter­nom­men, (Erwerbs-)Vorteile für sich ohne Rück­sicht dar­auf zu erzie­len, zu wes­sen Las­ten sie gehen.

Dem­ge­mäß gibt es zwei Grund­mus­ter der Ver­tei­lung von Über­schüs­sen: Sie werden
* ent­we­der von der Gemein­schaft, die sie her­vor­ge­bracht hat, nach von der Gemein­schaft selbst fest­ge­leg­ten Regeln eben­so gemein­schaft­lich genutzt bezie­hungs­wei­se verbraucht
* oder von einer Per­son oder Wirt­schafts­ein­heit auf eine ande­re Per­son oder Wirt­schafts­ein­heit über­tra­gen, wobei die­se Übertragung
— ent­we­der als Raub, also als erzwun­ge­ne Her­ga­be und gewalt­sa­me Aneignung,
— oder als Tausch, also als Ver­kauf und Kauf auf einem Markt (Ver­trag durch schlüs­si­ge Hand­lun­gen) statt­fin­den kann.


Die­se Grund­mus­ter las­sen sich zeit­ge­nös­sisch als Soli­da­ri­sche Öko­no­mie und als Kapi­ta­lis­ti­sche Riva­li­täts­wirt­schaft fassen.


Bedingt durch die poli­ti­sche Schwä­che der Arbeiter/​innenbewegung nicht erst seit zwei Jahr­zehn­ten wur­den soli­dar­öko­no­mi­sche Ele­men­te zuneh­mend aus der vor­herr­schen­den kapi­ta­lis­ti­schen Öko­no­mie ver­drängt. Das neo­li­be­ra­le Dog­ma vom „frei­en Wett­be­werb in offe­ner Markt­wirt­schaft“ hat zur Riva­li­tät (auch unter den Kapi­tal­frak­tio­nen) und zum Tota­li­ta­ris­mus des pri­va­ten Gewin­ne­ma­chens geführt. Der Leis­tungs­fe­ti­schis­mus wur­de zum Leis­tungs­fa­schis­mus wei­ter per­ver­tiert. Leistungsträger/​innen, die den maxi­ma­len Anfor­de­run­gen des Finanz­ka­pi­tals nicht gewach­sen sind („Minderleister/​innen“) oder sogar Wider­stand ent­ge­gen­set­zen, wer­den durch Hin­aus­wurf aus den „Tem­peln der Mehr­wert­ab­schöp­fung“ bei gleich­zei­ti­ger Kür­zung von Sozi­al­leis­tun­gen gesell­schaft­lich „liqui­diert“. Die in den öko­no­mi­schen Struk­tu­ren ver­bor­ge­ne Gewalt läuft eben­so bru­tal auf eine sozia­le Ver­nich­tung hin­aus wie die offe­ne Gewalt des Faschis­mus auf die phy­si­sche Vernichtung.


So offen­bart sich in der aktu­el­len Kri­se die Sys­tem­ei­gen­tüm­lich­keit des Kapi­ta­lis­mus: die Beein­träch­ti­gung der Gesamt­ge­sell­schaft durch die „Kauf­kraft­schwä­chung“ ihrer Mehr­heit. Als „Kos­ten­fak­to­ren“ sind erwerbs­ar­bei­ten­de Men­schen Stör­ele­men­te im ver­selbst­stän­dig­ten Haupt­zweck der kapi­ta­lis­ti­schen Wirt­schaft, dem Trieb der pri­va­ten Kapi­tal­an­häu­fung. Das Kapi­tal als „Kom­man­do über unbe­zahl­te Arbeit“, wie Karl Marx und Fried­rich Engels in ihrem Haupt­werk sein unde­mo­kra­ti­sches Wesen bloß­le­gen, ruft den Wider­spruch zwi­schen gesell­schaft­li­cher Pro­duk­ti­on und indi­vi­du­el­ler Aneig­nung her­vor. Er bewirkt, dass „die kapi­ta­lis­ti­sche Pro­duk­ti­on … auf der einen Sei­te für die Gesell­schaft ver­liert, was sie auf der ande­ren für den ein­zel­nen Kapi­ta­lis­ten gewinnt“. Dazu tra­gen auch geziel­te Pri­va­ti­sie­run­gen öffent­li­chen und gemein­wirt­schaft­li­chen Eigen­tums bei. Dadurch wer­den bedeut­sa­me Berei­che der Gesell­schaft dem Ein­fluss form­alde­mo­kra­tisch legi­ti­mier­ter Kör­per­schaf­ten ent­zo­gen und der Ver­fü­gungs­ge­walt demo­kra­tie­lo­ser Kapi­tal­ei­gen­tü­mer­gre­mi­en unterworfen.


Das Kapi­tal ist ein herr­schaft­li­ches Ver­hält­nis zwi­schen Per­so­nen, das durch die Ver­fü­gung über Sachen ver­mit­telt wird. So erfolgt unter dem trü­ge­ri­schen Schein von „Sach­lich­keit“ die Her­ab­wür­di­gung von Men­schen zu „Arbeits­kräf­ten“, die nur solan­ge Erwerbs­ar­beit fin­den, solan­ge sie als „Waren“ für das Kapi­tal ver­wert­bar sind. Dar­aus resul­tiert eine ten­den­zi­el­le Beein­träch­ti­gung ihres Zutrau­ens in die Zuver­läs­sig­keit ihrer eige­nen Erfah­rung. Die­ser Zer­stö­rungs­vor­gang berei­tet die see­li­sche Grund­la­ge für das Emp­fin­den auf, bedeu­tungs­los zu sein, und führt zum Ent­ste­hen von Ich-Schwä­che. Ganz zu schwei­gen davon, dass die­se psy­chi­schen Mecha­nis­men bei Erwerbs­ar­beits­lo­sen noch viel hef­ti­ger wir­ken. Feh­len­de poli­ti­sche Bil­dung und man­geln­de Kennt­nis­se von gesell­schaft­li­chen Zusam­men­hän­gen begüns­ti­gen zusätz­lich die Anfäl­lig­keit vie­ler Betrof­fe­ner für auto­ri­tä­re Lösun­gen zu Las­ten ande­rer Benach­tei­lig­ter. Die Ent­frem­dung durch Erwerbs­ar­beit oder ihr Feh­len wird poli­tisch zur mensch­li­chen Selbst­ent­frem­dung ver­dreht. Das Kapi­tal erweist sich dadurch nicht bloß als demo­kra­tie­los, son­dern viel­mehr als demokratiegefährdend.


Die Demo­kra­tie­lo­sig­keit der Wirt­schaft wird damit zum Haupt­an­satz­punkt für Bemü­hun­gen, Wege aus der Kri­se zu fin­den. Denn mil­li­ar­den­schwe­re Kon­junk­tur­pa­ke­te, Stüt­zun­gen und Garan­tien der Öffent­li­chen Hand nahe­zu bedin­gungs­los über die bestehen­de kapi­ta­lis­ti­sche Wirt­schafts­struk­tur aus­zu­schüt­ten, die die­se Kri­se her­vor­ge­bracht hat, läuft nur dar­auf hin­aus, der nächs­ten Kri­se Vor­schub zu leisten.


Über­schüs­se sind unver­zicht­bar, aber ihre auto­ma­ti­sche Ver­tei­lung zum Kapi­tal ist es nicht. Es genügt aber nicht, bloß Umver­tei­lung und die­se nur durch Steu­ern (Sekun­där­ver­tei­lung) oder Trans­fer­leis­tun­gen (Ter­tiär­ver­tei­lung) bewerk­stel­li­gen zu wol­len. Die­se von reprä­sen­ta­tiv-demo­kra­ti­schen Kör­per­schaf­ten zu beschlie­ßen­den Maß­nah­men kön­nen auf Dau­er die „auto­ma­ti­sche“ Umver­tei­lung von der Arbeit zum Kapi­tal durch die anti­de­mo­kra­ti­sche kapi­ta­lis­ti­sche Eigen­tums­ord­nung nicht kor­ri­gie­ren. Dafür bedarf es Ein­grif­fe in die Pri­mär­ver­tei­lung, also in die Ver­tei­lung des gesell­schaft­li­chen Mehr­pro­dukts dort, wo es ent­steht: im demo­kra­tie­lo­sen Bereich der Arbeits­welt. Es geht damit auch um die Ver­wirk­li­chung eines ande­ren Arbeits­be­griffs, der auf einem Bewusst­sein der Men­schen von ihrer gesell­schaft­li­chen Ver­bun­den­heit beruht, von den Ele­men­ten der Soli­da­ri­tät sowie des Schöp­fe­ri­schen und Iden­ti­täts­stif­ten­den geprägt und die Grund­la­ge eines „guten Lebens für alle“ ist.


Gesell­schaft­li­ches Eigen­tum an Grund und Boden, Fabrik und Büro ist Vor­aus­set­zung und Aus­druck die­ses Demo­kra­ti­sie­rungs­pro­zes­ses. Es ent­steht, wenn demo­kra­tisch legi­ti­mier­te Öffent­li­che Hän­de die in ihrem Ein­fluss­be­reich befind­li­chen Betrie­be und Unter­neh­men gemein­sam mit demo­kra­tisch legi­ti­mier­ten Vertreter/​inne/​n der Beschäf­tig­ten und der Verbraucher/​innen, „also der­je­ni­gen Grup­pen, für die der Betrieb da sein soll“, ver­wal­ten. Das soll zur „wirt­schaft­li­chen Selbst­ver­wal­tung des gan­zen Vol­kes“ füh­ren, wie es der Theo­re­ti­ker des Aus­tromar­xis­mus Otto Bau­er in sei­nen Sozia­li­sie­rungs­kon­zep­ten formulierte.


Gesell­schaft­li­ches Eigen­tum mani­fes­tiert sich in der Bestel­lung von Auf­sichts- und Lei­tungs­or­ga­nen durch die Tria­de Öffent­li­che Hand, Beschäf­tig­te und Verbraucher/​innen, in der demo­kra­ti­schen Ver­tei­lung des inner­be­trieb­li­chen Über­schus­ses auf die ein­zel­nen Ein­kom­mens­ar­ten nach gesetz­lich fest­ge­leg­ten sta­tu­ta­ri­schen Prin­zi­pi­en bezie­hungs­wei­se des außer­be­trieb­lich zu ver­tei­len­den Über­schus­ses nach gesetz­lich fest­ge­leg­ten Zweck­bin­dun­gen. Die­se Struk­tur­merk­ma­le sol­len der Beein­träch­ti­gung der Gesamt­ge­sell­schaft durch die Schwä­chung ihrer gesell­schaft­li­chen Mehr­heit vor­beu­gen sowie einem bedarfs­de­ckungs­ori­en­tier­ten, gebrauchs­wert­ge­lei­te­ten und selbst­kos­ten­ba­sier­ten Wirt­schaf­ten Vor­schub leisten.


In der Neu­zeit rei­chen Bemü­hun­gen um gesell­schaft­li­ches Eigen­tum bei­spiels­wei­se von den Dig­gers und der New Model Army im Eng­land der Mit­te des 17. Jahr­hun­derts über die Pari­ser Kom­mu­ne vom Früh­jahr 1871 und die Land­be­set­zun­gen in Mexi­ko Anfang des 20. Jahr­hun­derts bis zu den Arbei­ter­rä­ten in Mit­tel- und Ost­eu­ro­pa sowie den Gemein­wirt­schaft­li­chen Anstal­ten in Öster­reich nach dem Ers­ten Welt­krieg. Sie setz­ten sich nach dem Zusam­men­bruch des Faschis­mus in der jugo­sla­wi­schen Arbei­ter­selbst­ver­wal­tung, den eng­li­schen Arbei­ter­ko­ope­ra­ti­ven und den besetz­ten Betrie­ben Frank­reichs fort und leben gegen­wär­tig wei­ter in den viel­fäl­ti­gen Mus­tern der Soli­dar­öko­no­mie in Argen­ti­ni­en, Bra­si­li­en und ande­ren latein­ame­ri­ka­ni­schen Län­dern sowie wie im Genos­sen­schafts­netz­werk Mond­ra­gon im spa­ni­schen Bas­ken­land. Die­se Bemü­hun­gen waren und sind nicht frei von Irr­tü­mern und Feh­lern der Bemü­hen­den und sie unter­la­gen bezie­hungs­wei­se unter­lie­gen oft den Anfein­dun­gen des Kapi­tals. Doch bele­gen die­se Anfein­dun­gen die grund­sätz­li­che Rich­tig­keit die­ser Stoßrichtung.


Die Demo­kra­ti­sie­rung der Wirt­schaft eröff­net nicht zwangs­läu­fig das Para­dies. Kon­flik­te wer­den nicht ver­schwin­den, aber für ihre Lösung bie­ten sich ande­re Vor­gän­ge an als das Aus­spie­len öko­no­mi­scher Gewalt. Sie gewähr­leis­ten jeden­falls die Bedin­gung der Mög­lich­keit, nicht mehr län­ger eine Sup­pe aus­löf­feln zu müs­sen, die uns ande­re ein­bro­cken, son­dern, gesell­schaft­lich orga­ni­siert, unse­re Sup­pe soli­da­risch selbst zu kochen.

Kommentieren » | Kategorie: blog

Ist das alles?!

4. November 2009 – 22:56 Uhr

Radi­ka­ler als die Wirk­lich­keit: 34 Mil­lio­nen schüt­telt der Minis­ter aus dem Ärmel, und lädt zu „brei­tem“ (?) Dia­log mit den Hoch­schul­part­ne­rIn­nen, bevor er sich nach Brüs­sel ver­zieht. Eine kur­ze Bedachtnahme:

Das mit dem Dia­log, das hat­ten wir schon. Kann sich über­haupt noch jemand erin­nern? Defi­nie­ren wir Dia­log nach wiki­pe­dia als

eine münd­lich oder schrift­lich zwi­schen zwei oder meh­re­ren Per­so­nen geführ­te Rede und Gegenrede,

dann ist das Unter­neh­men damals gründ­lich schief gegan­gen. Wich­ti­ger als der Gesprächs­in­halt ist aber ohne­hin das Signal, und noch wich­ti­ger als das Signal ist, dass über­haupt etwas gesagt wur­de. Also wer­den sich am 25.11. ein paar (um genau zu sein: 50!) Per­so­nen ver­sam­meln und ein­mal reden, und das wars dann. Immer­hin wird der Hoch­schul­dia­log nicht so teu­er wie der For­schungs­dia­log, von dem wir frei­lich auch nicht wis­sen, was er gekos­tet hat. Wert war er jeden­falls kei­nen Cent; und auf die­ses Preis-Leis­tungs­ver­hält­nis wird der Event Ende Novem­ber sicher auch kommen.

Und das führt schon zum zwei­ten Punkt: Die Trans­pa­renz. Dass Hahn plötz­lich so viel Geld hat, mach­te eini­ge stut­zig. Aber ob nun das Geld aus einer Quel­le kommt, die vor­her den Unis abge­zwackt wur­de, ist gar nicht so wich­tig. Pro­ble­ma­ti­scher ist die Art, wie die Mit­tel plötz­lich aus dem Hut gezau­bert wer­den – vom Gön­ner Gio, der einen glimpf­li­chen Aus­gang der gan­zen Uni-Affä­re braucht, will er wirk­lich das For­schungs­res­sort in Brüs­sel über­neh­men – und wie sie ver­ge­ben wer­den – von den Rek­to­ra­ten, in Zusam­men­ar­beit mit der ÖH. Das ist die Poli­tik der Sym­bo­lik, in der es um kei­ne inhalt­li­che Aus­ein­an­der­set­zung geht. Und es ist auch eine Poli­tik der Ver­ant­wor­tungs­lo­sig­keit, in der sich der zustän­di­ge Res­sort­lei­ter abputzt an den Ver­tei­lungs­kämp­fen, die unter sei­nen wach­sa­men Augen dann aus­ge­tra­gen werden.

Die For­de­run­gen der Stu­die­ren­den und der Leh­ren­den (zumin­dest jener, die sich mit den Beset­ze­rIn­nen soli­da­risch erklärt haben) klin­gen ja anders. Aber mich irri­tiert, dass vor allem letz­te­re auf Hahns uner­war­te­te Geld­spen­de bis­her noch gar nicht reagiert haben. Wie wäre es denn damit, dass die „exter­nen“ Lek­to­rIn­nen an jenen Insti­tu­ten, wo sie mehr als 50% der Leh­re tra­gen, ihre Ver­trä­ge kün­di­gen oder, wenn das recht­lich nicht gut mög­lich ist, sich soweit soli­da­ri­sie­ren, dass sie kei­ne zukünf­ti­gen Ver­trä­ge mehr unter­schrei­ben, sofern dort nicht sub­stan­ti­el­le Ver­bes­se­run­gen drin­nen ste­hen? Ich wüss­te eini­ge Stu­di­en­rich­tun­gen, da wür­de der Lehr­be­trieb sofort zusammenbrechen.

Kommentieren » | Kategorie: blog

zum Anfang der Seite