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Immer wieder: Die Rente

11. Mai 2009 – 23:15 Uhr

Die Indi­vi­dua­li­sie­rung sozia­ler Risi­ken ist ein Merk­mal der Poli­tik der ver­gan­ge­nen Jah­re. Dazu gehört auch die (Teil-)Privatisierung der Alters­vor­sor­ge. Begrün­det wur­de und wird die­ser Schritt vor allem mit der demo­gra­fi­schen Ent­wick­lung. Zwar hat sich gera­de das pri­va­te Pen­si­ons­sys­tem in der der­zei­ti­gen Kri­se kräf­tig bla­miert und damit alle Kri­ti­ker bestä­tigt, zu glau­ben, damit sei das The­ma erle­digt, ist jedoch naiv. Dazu sind die Sum­men, um die es für die Finanz­wirt­schaft geht, schlicht zu hoch. Im Kurier wird der übli­chen und üblen Pro­pa­gan­da ein­mal mehr Platz gege­ben. Das Fazit des Kom­men­tars: „Nicht zuletzt ist die Eigen­in­itia­ti­ve gefragt: Wer sich allein auf das öffent­li­che Ren­ten­sys­tem des Jah­res 2030 oder 2040 ver­lässt, könn­te bit­ter ent­täuscht wer­den. Nun hat auch die pri­va­te Vor­sor­ge ihre Kos­ten und Fal­len. Doch nie­mand soll­te sich täu­schen las­sen: Die ›Ren­ten­ga­ran­tien‹ der heu­ti­gen Poli­ti­ker­ge­nera­ti­on gel­ten in 30 Jah­ren garan­tiert wenig.“ Aha. Pri­va­te Vor­sor­ge gegen die Demo­gra­fie, wenn­gleich mit „Kos­ten und Fal­len“.  Auch wenn es müh­sam ist sei­en an die­ser Stel­le noch ein­mal ein paar Fak­ten dargestellt:


  1. Die Ver­schie­bung der Bevöl­ke­rungs­struk­tur ist kei­nes­falls eine neue Ent­wick­lung. Die deut­sche Gewerk­schaft ver.di hat dies in einer Bro­schü­re schön dar­ge­stellt: „Vor über hun­dert Jah­ren kamen auf eine Per­son über 65 Jah­ren rund zwölf Erwerbs­fä­hi­ge. 2000 sind es gera­de noch vier“ (S. 8). Nach der Demo­gra­fie-Logik müss­te es einem Rent­ner bzw. einer Rent­ne­rin vor hun­dert Jah­ren dem­nach blen­dend gegan­gen sein. Tat­säch­lich ist der Wohl­stand heu­te aber erheb­lich höher. Die Fra­ge der Höhe der Alters­pen­sio­nen ist jeden­falls nicht line­ar von der Bevöl­ke­rungs­zu­sam­men­set­zung abzuleiten.

  2. Die Finan­zier­bar­keit der Alters­pen­sio­nen lei­tet sich viel­mehr von der volks­wirt­schaft­li­chen Wert­schöp­fung und deren Ver­tei­lung ab. Die Wert­schöp­fung wie­der­um hängt auch an der Anzahl der Beschäf­tig­ten, aber eben auch an der Fra­ge der Pro­duk­ti­vi­tät. Je höher die­se ist, des­to weni­ger Arbeits­kraft wird für den Erhalt des Wohl­stands­ni­veaus benötigt.

  3. Wie wer­den eigent­lich die Ren­di­ten der kapi­tal­ge­deck­ten Ren­ten erwirt­schaf­tet? Ver­mut­lich wird das Geld in eine Kis­te gesteckt, in die­ser Kis­te arbei­tet es dann ein paar Jah­re und man kann es zum Zeit­punkt der Pen­sio­nie­rung samt Zin­sen aus die­ser Kis­te her­aus­neh­men. Oder wie soll man das ver­ste­hen, dass das Geld für einen arbei­tet? Das ist natür­lich ziem­li­cher Quatsch, die Ren­di­te für kapi­tal­ge­deck­te Sys­te­me wird von der arbei­ten­den Bevöl­ke­rung erwirt­schaf­tet. Die­se unter­liegt jedoch der demo­gra­fi­schen Ver­än­de­rung genau­so wie die Ein­zah­le­rin­nen und Ein­zah­ler in das staat­li­che Sys­tem – schlicht, weil es um die­sel­be Popu­la­ti­on geht. Der ein­zi­ge Aus­weg aus die­sem Dilem­ma ist ein Ren­ten­im­pe­ria­lis­mus: Man kann das Geld im Aus­land „für sich arbei­ten las­sen“ – bzw. die dor­ti­gen Arbeits­kräf­te. Das ist jedoch eine ande­re Debatte.

Wenn nun die kapi­tal­ge­deck­te wie auch die umla­ge­fi­nan­zier­te Ren­te von der demo­gra­fi­schen Ent­wick­lung tan­giert wird, was bedeu­tet das für die Sicher­heit der Ren­ten? Hat der Kurier doch recht mit sei­ner Skep­sis? Um die Ant­wort vor­weg­zu­neh­men: Hat er nicht. Die Fra­ge der Höhe der staat­li­chen Alters­pen­sio­nen ist eine Fra­ge der Ver­tei­lung. Neh­men wir an, die Wirt­schaft wächst in Zukunft pro Jahr im Schnitt um ledig­lich 1%. Bei gleich­blei­ben­der Ver­tei­lung haben dann alle 1% mehr: Die Arbeit­neh­me­rin­nen und Arbeit­neh­mer, die Sozi­al­leis­tungs­be­zie­he­rin­nen und –bezie­her, die Unter­neh­me­rin­nen und Unter­neh­mer und der Staat. Damit das BIP bei sin­ken­der Zahl der Arbei­ten­den tat­säch­lich steigt muss die Pro­duk­ti­vi­tät erhöht wer­den. Die ent­spricht der his­to­ri­schen Ent­wick­lung der Ver­gan­gen­heit: Trotz sin­ken­der Arbeits­zeit stieg der volks­wirt­schaft­li­che Reich­tum. Poli­tisch wäre dem­nach „nur“ zu ent­schei­den, dass die Pro­duk­ti­vi­täts­zu­wäch­se nicht voll­stän­dig den Unter­neh­mern und den Arbeit­neh­mern zur Ver­fü­gung ste­hen, son­dern eben auch dem Ren­ten- und Sozi­al­sys­tem.  Da Pro­blem ist also nicht das umla­ge­fi­nan­zier­te Sys­tem, son­dern die Rentenpolitik.


In der Aus­ein­an­der­set­zung geht es um viel Geld für die Finanz­wirt­schaft. Des­halb ist die Pro­pa­gan­da gegen das staat­li­che Umla­ge­sys­tem auch so aus­dau­ernd. Dabei wird auch ger­ne die Tat­sa­che ver­schwie­gen, dass die Mil­li­ar­den Euro in den Pen­si­ons­fonds, die Ren­di­te erwirt­schaf­ten sol­len, mit­ver­ant­wort­lich sind für die Bla­sen­öko­no­mie der Vergangenheit.

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Pflegt, Männer!

8. Mai 2009 – 16:09 Uhr

In der lau­fen­den Debat­te um neue Kon­junk­tur­pa­ke­te wird immer wie­der dar­auf ver­wie­sen, dass die stei­gen­de Arbeits­lo­sig­keit mehr­heit­lich Män­ner betrifft. Dies ist nicht ver­wun­der­lich, sind doch Män­ner eher in den nun stark von der Kri­se betrof­fe­nen Indus­trie­zwei­gen beschäf­tigt. Die For­de­rung nach einem Kon­junk­tur­pa­ket für sozia­le Dienst­leis­tun­gen lässt sich dem­nach ver­meint­lich leicht vom Tisch wischen – mit einem Aus­bau des Pfle­ge­an­ge­bots wür­de man den der­zeit Arbeits­lo­sen nicht hel­fen können.

Die­se Argu­men­ta­ti­on verwundert.

Es ist bekannt, dass die demo­gra­fi­sche Ent­wick­lung eine dau­er­haf­te und nach­hal­ti­ge Lösung erfor­dert. Es ist bekannt, dass der Pfle­ge­sek­tor ein schnell wach­sen­der und zukunfts­träch­ti­ger sowie beschäf­ti­gungs­in­ten­si­ver Sek­tor ist. Es ist bekannt, dass Frau­en die Haupt­last der Pfle­ge tra­gen, for­mell wie infor­mell. Es ist bekannt, dass der­zeit eine Berufs­grup­pe in den Pfle­ge­be­ru­fen beson­ders gesucht wird, die der Heim­hil­fen. Dies ist eine Berufs­grup­pe, die rasch aus­ge­bil­det und ein­ge­setzt wer­den kann. Und es ist bekannt, dass Pfle­ge­dienst­leis­ter expli­zit Män­ner in Pfle­ge­be­ru­fen suchen, da für pfle­ge­be­dürf­ti­ge Men­schen männ­li­che Ansprech­part­ner der­zeit nur in Form von Heim­lei­tern und Zivil­die­nern ver­füg­bar sind.

Was spricht also gegen Män­ner in der Pfle­ge? Der nied­ri­ge Lohn? Die häu­fi­ge Teil­zeit­be­schäf­ti­gung? Die kör­per­lich anstren­gen­den Tätig­kei­ten? Oder ist es ein­fach nur so, dass man sich Män­ner im Frau­en­be­ruf „Pfle­ge“ nicht vor­stel­len kann?

Es ist erstaun­lich, mit wel­cher Leich­tig­keit die For­de­rung nach einem sinn­vol­len Aus­bau von sozia­len Dienst­leis­tun­gen ent­ge­gen getre­ten wird. Ein Kon­junk­tur­pa­ket sozia­le Dienst­leis­tun­gen wür­de vie­le posi­ti­ve Effek­te brin­gen. Eine den Bedürf­nis­sen der Men­schen ange­pass­te Pfle­ge und Betreu­ung, Beschäf­ti­gung und Wachs­tum auch für struk­tur­schwa­che Regio­nen und Ent­las­tung für Per­so­nen, die sich der­zeit infor­mell um Pfle­ge­be­dürf­ti­ge bemühen.

Und all jenen Män­nern, die sich Sor­gen um das „explo­die­ren­de Bud­get­de­fi­zit“ machen, sei gesagt, dass auch ihre Wahr­schein­lich­keit, pfle­ge­be­dürf­tig zu wer­den, rela­tiv hoch ist. Sie wer­den es zu schät­zen wis­sen, wür­den wir heu­te die rich­ti­gen Inves­ti­tio­nen tätigen.

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Budgetk(r)ampf , Teil 2

8. Mai 2009 – 13:24 Uhr

Mit die­sem Bud­get stel­len wir sicher: Nie­mand wird im Regen ste­hen gelassen.“
Zu die­ser Aus­sa­ge hat sich Finanz­mi­nis­ter Pröll hin­rei­ßen lassen.

Kann er dies auch einhalten?

Als Beleg für die­se Behaup­tung wer­den immer die beschlos­se­nen Kon­junk­tur­pa­ke­te her­an­ge­zo­gen. Wie effek­tiv sind die­se aber?

Zu den Kon­junk­tur­pa­ke­ten wer­den ja fast alle dis­kre­tio­nä­ren Maß­nah­men gezählt, die seit letz­tem Früh­ling beschlos­sen wur­den. Dies ist aller­dings nicht über­mä­ßig kor­rekt. Als der so genann­te „Oster­frie­den“ unter Kanz­ler Gusen­bau­er geschlos­sen wur­de, der auch die Sen­kung der Arbeits­lo­sen­ver­si­che­rungs­bei­trä­ge für Nied­rig­ver­die­ne­rIn­nen beinhal­tet, war von einer Wirt­schafts­kri­se noch nicht viel die Rede. Jeden­falls wur­den die Maß­nah­men nicht im Zusam­men­hang mit einer sich abzeich­nen­den Kri­se beschlos­sen. Bis Herbst waren alle über die hohe Infla­ti­on in Öster­reich besorgt, es wur­den Infla­ti­ons­be­kämp­fungs­maß­nah­men beschlossen.

Die „neue“ Regie­rung – das Kabi­nett Fay­mann-Pröll – hat lt. OeNB Maß­nah­men gesetzt, die einen Kon­junk­tur­ef­fekt von 0,6% heu­er und 1,1% nächs­tes Jahr aus­lö­sen wer­den. Gut, sei­en wir ein­mal nicht so klein­lich und schla­gen wir auch die „Anti-Teue­rungs-Pake­te“ den Kon­junk­tur­pa­ke­ten dazu. Wenn auch die unter dem Titel „Anti-Teue­rung“ beschlos­se­nen Maß­nah­men von 2008 mit­ge­zählt wer­den, ergibt sich ein Kon­junk­tur­ef­fekt von 0,8% im Jahr 2009 und 1,4% des BIP 2010. Ist die­ser Effekt wirk­lich berau­schend? Immer­hin wer­den ange­kün­dig­te 6,6 Mrd. Euro (2,2% des BIP) heu­er und 6,9 Mrd. (2,4% des BIP) nächs­tes Jahr aus­ge­ge­ben. Damit wer­den kumu­lie­rend 25.000 Arbeits­plät­ze geschaf­fen. Ist es wirk­lich effek­tiv, dass wir heu­er 2,2% des BIP inves­tie­ren, um einen Wachs­tums­ef­fekt von 0,8% des BIP zu errei­chen? Und die­ser dann nicht mehr als 12.000 Arbeits­plät­ze bringt? Ganz ehr­lich: das soll ein Kon­junk­tur­pa­ket sein?

Ein Kon­junk­tur­pa­ket, das auch als Recht­fer­ti­gung für – im Regie­rungs­pro­gramm unab­hän­gig von der Wirt­schafts­kri­se ohne­hin vor­ge­se­he­nen – Ein­spa­rungs­vor­ha­ben her­an­ge­zo­gen wird – weil es ja über­all an Geld fehlt, das für „Kon­junk­tur­be­le­bung“ frei gemacht wer­den muss.

Als Recht­fer­ti­gung für eine restrik­ti­ve Per­so­nal­po­li­tik des Bun­des: bis 2013 sol­len rund 1.800 Plan­stel­len ein­ge­spart wer­den, obwohl es wohl aus­ge­spro­chen wider­sin­nig ist, gera­de in der Kri­se Stel­len abzu­bau­en. Als Recht­fer­ti­gung für die „äußers­te Zurück­hal­tung bei den gestalt­ba­ren Ermes­sens­aus­ga­ben“, was vie­le von öffent­li­chen För­de­run­gen und Auf­trä­gen abhän­gi­ge Ver­ei­ne, Insti­tu­tio­nen und Insti­tu­te – und damit tau­sen­de Beschäf­tig­te – trifft. Ach ja, „wir spa­ren bei uns selbst“? Wer ist denn die­ses omi­nö­se „wir“? Wir alle sind „der Staat“. Und ja, wir mer­ken auch, dass jetzt schon gespart wird. Die bedarfs­ori­en­tier­te Min­dest­si­che­rung fin­det in kei­nem der wirk­lich sehr dicken Bud­ge­tun­ter­la­gen auch nur eine Erwähnung.

Ande­rer­seits hät­te sich die Regie­rung auch eini­ges an wirk­lich teu­ren Maß­nah­men spa­ren kön­nen. Eine Steu­er­re­form, die kei­ne Reform ist, son­dern wie­der mal ein „Geschen­ke ver­tei­len“ an Grup­pen, die es wirk­lich nicht nötig hät­ten: Der Gewinn­frei­be­trag, der je nach Dar­stel­lung zwi­schen 150–300 Mio. Euro kos­ten wird, und damit den Selb­stän­di­gen neben der Tarif­ent­las­tung eine 2. Ent­las­tung bie­tet. Der Fami­li­en­frei­be­trag, der 220 Mio. Euro kos­tet und nur den Bes­ser­ver­die­nen­den was brin­gen wird, das Schie­ben der Bemes­sungs­grund­la­ge für den Spit­zen­steu­er­satz von 51.000 auf 60.000 Euro, was 120 Mio. Euro kos­ten wird, sogar die Ver­dop­pe­lung der Absetz­bar­keit der Kir­chen­bei­trä­ge wird unter den Begriff „Steu­er­re­form“ sub­su­miert und damit unter die kon­junk­tur­po­li­ti­sche Maßnahmen.

Viel Geld wird also aus­ge­ge­ben. Aller­dings – wie bereits beschrie­ben –wenig ziel­ge­rich­tet und mit nied­ri­ger Beschäftigungswirkung.

Immer wie­der wird ins Tref­fen geführt, dass so früh gehan­delt wur­de. Die öko­no­mi­schen Bedin­gun­gen haben sich aller­dings wei­ter dra­ma­tisch ver­schlech­tert: Als das letz­te so genann­te Kon­junk­tur­pa­ket ange­dacht wur­de, gin­gen die Wirt­schafts­for­schungs­in­sti­tu­te noch von rund 30.000 Arbeits­lo­sen zusätz­lich aus. Jetzt wird schon mit annä­hernd 100.000 Per­so­nen gerech­net. Und die Pro­gno­sen wer­den schlech­ter, nicht bes­ser. Trotz­dem wur­den seit­her kei­ne zusätz­li­chen Kon­junk­tur­pa­ke­te beschlos­sen. Einen umfas­sen­den Schutz­schirm gibt es bis jetzt nur für die Ban­ken und die Banker.

Vie­le wer­den dage­gen im Regen ste­hen bleiben.

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Stress Test

7. Mai 2009 – 3:12 Uhr

Heu­te wer­den in den USA die lan­ge erwar­te­ten Stress Tests der Ban­ken ver­öf­fent­licht. Oder wer­den sie? Als Tre­a­su­ry Secreta­ry Timo­thy Geith­ner die Tests vor 12 Wochen ankün­dig­te, reagier­ten die Märk­te – und an denen misst sich die Regie­rung Oba­ma offen­sicht­lich – posi­tiv. Inzwi­schen gibt es Zwei­fel am Effekt der Übung. Für Geith­ner besteht die Gefahr, dass er ent­we­der die Wahr­heit sagt – und damit einen Bank­run aus­löst –, oder so tut, als wäre alles in Ord­nung – und damit sei­ne Glaub­wür­dig­keit untergräbt.

Jon Ste­wart fass­te das in der gest­ri­gen Aus­ga­be von The Dai­ly Show so schön zusam­men: „Do you want to know how the finan­cial sys­tem works – or do you want the finan­cial sys­tem to work?“ Mir gefällt beson­ders die Ana­lo­gie zur Hei­sen­berg­schen Unschärferelation.


Update, 7.Mai: Das Ergeb­nis beein­druckt in den Staa­ten nie­man­den. Der Unter­schied zu Öster­reich: In den USA ist man schein­bar der Mei­nung, eine sol­che Medi­en­ver­an­stal­tung zu benö­ti­gen. Hier­zu­lan­de zieht man es vor, die Ergeb­nis­se sol­cher Tests gleich gar nicht zu ver­öf­fent­li­chen.

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Buchrezension: Reinhard Bispinck/Thorsten Schulten/Peeter Raane (Hrsg.): Wirtschaftsdemokratie und expansive Lohnpolitik – Zur Aktualität von Viktor Agartz

4. Mai 2009 – 20:49 Uhr

Wer war Vik­tor Agartz, wel­che wirt­schafts­po­li­ti­schen Kon­zep­te ver­trat er, und sind sei­ne Über­le­gun­gen heu­te noch rele­vant? Ein kürz­lich erschie­ne­ner Tagungs­band wid­met sich die­sen Fra­gen, und weist auf die Aktua­li­tät „klas­si­scher“ sozi­al­de­mo­kra­ti­scher Wirt­schafts­po­li­tik hin.

 

Vik­tor Agartz

 

Vik­tor Agartz (1897–1964) gilt als einer der ein­fluss­reichs­ten und bedeu­tends­ten Wirtschaftspolitiker/​innen der west­deut­schen Gewerk­schaf­ten und Sozi­al­de­mo­kra­tie in der Nach­kriegs­zeit. Im Zen­trum sei­ner Über­le­gun­gen stand die sozia­le und demo­kra­ti­sche Neu­ge­stal­tung der BRD nach dem Zwei­ten Welt­krieg. Zu Agartz’ wich­tigs­ten Kon­zep­ten gehö­ren die expan­si­ve Lohn­po­li­tik und die Wirtschaftsdemokratie.

 

In einem kürz­lich erschie­ne­nen Sam­mel­band zu einer Tagung des Wirt­schafts- und Sozi­al­wis­sen­schaft­li­chen Insti­tuts (WSI) in der Hans-Böck­ler-Stif­tung und der Rosa-Luxem­burg-Stif­tung NRW anläss­lich des 110. Geburts­tags von Vik­tor Agartz wird argu­men­tiert, dass des­sen zen­tra­le Über­le­gun­gen heu­te noch von Rele­vanz sind.

 

Expan­si­ve Lohnpolitik

 

 

Für Agartz ist „jede expan­die­ren­de Wirt­schaft von der Gefahr bedroht, dass die Nach­fra­ge hin­ter dem Waren­an­ge­bot zurück­bleibt“ (S. 154). Die Lohn­po­li­tik ist in Agartz’ Vor­stel­lung nicht ein­fach pro­duk­ti­vi­täts­ori­en­tiert, son­dern ver­sucht, „die wirt­schaft­li­che Expan­si­on von sich aus zu for­cie­ren, um durch bewuss­te Kauf­kraft­stei­ge­rung eine Aus­wei­tung der Pro­duk­ti­on her­aus­zu­for­dern“ (S. 154). Zugleich wir­ke die­se expan­si­ve Lohn­po­li­tik als Struk­tur­peit­sche, wel­che die Unter­neh­men zu höhe­rer Pro­duk­ti­vi­tät zwin­ge. Agartz war stets auf die gewerk­schaft­li­che Auto­no­mie bedacht, und plä­dier­te gegen die Unter­ord­nung gewerk­schaft­li­cher Tarif­po­li­tik unter ande­re Zie­le, denn der Lohn sei „immer ein poli­ti­scher Lohn“.

 

Gleich­zei­tig sah er in der expan­si­ven Lohn­po­li­tik aber kei­ne ego­is­ti­sche Inter­es­sens­po­li­tik, son­dern eine wachs­tums­för­dern­de struk­tur­po­li­ti­sche Erwei­te­rung der damals keyne­sia­nisch gepräg­ten Vor­stel­lun­gen des öko­no­mi­schen Main­stream. Gegen die Kri­tik, dass Lohn­er­hö­hun­gen über den Pro­duk­ti­vi­täts­spiel­raum hin­aus eine Lohn-Preis-Spi­ra­le in Gang set­zen, wand­te Agartz ein, dass die Preis­set­zung der Unter­neh­men nicht durch voll­kom­me­ne Kon­kur­renz deter­mi­niert sei, son­dern der jewei­li­gen Macht­kon­stel­la­ti­on fol­ge. Es sei „Sache einer Regie­rung, Preis­stei­ge­run­gen durch eine akti­ve Preis­po­li­tik zu mil­dern oder zu ver­hü­ten.“ (S. 154) Expan­si­ve Lohn­po­li­tik sei des­halb ein Instru­ment zur Begren­zung der Monopolrenten.

 

Wirt­schafts­de­mo­kra­tie

 

Nach der Kata­stro­phe des Zwei­ten Welt­kriegs stand die Grün­dung einer neu­en demo­kra­ti­schen Gesell­schafts­ord­nung an. Für Agartz soll­te die Demo­kra­tie aus drei Grün­den nicht an den Fabriks­to­ren enden: Ers­tens sta­bi­li­sie­re Wirt­schafts­de­mo­kra­tie die stets gefähr­de­te poli­ti­sche Demo­kra­tie. Zwei­tens ermög­li­che sie die Ent­wick­lung der for­ma­len zur leben­di­gen Demo­kra­tie. Und drit­tens beför­de­re sie die Eman­zi­pa­ti­on der Lohn- und Gehaltsempfänger/​innen von Untertan/​innen zu selbst­be­wuss­ten Bürger/​innen.

 

Agartz’ Kon­zept der Wirt­schafs­de­mo­kra­tie beinhal­te­te die Ver­ge­sell­schaf­tung der Schlüs­sel­in­dus­trien und von unten nach oben orga­ni­sier­te, demo­kra­ti­sche Pla­nungs­in­sti­tu­tio­nen, wel­che einen volks­wirt­schaft­li­chen Rah­men­plan aus­ar­bei­ten sol­len. Er sah wei­ters eine pari­tä­ti­sche Beset­zung und Demo­kra­ti­sie­rung der Auf­sichts- und Kon­troll­be­hör­den sowie der Wirt­schafts­kam­mern vor. Zen­tral ist zudem die Aus­wei­tung der pari­tä­ti­schen Mit­be­stim­mung auf alle pri­va­ten und öffent­li­chen Betrie­be. Schließ­lich befür­wor­te­te Agartz eine stär­ke­re Regu­lie­rung der Märk­te. Ziel Agartz’ war die Sozia­li­sie­rung der Unternehmer/​innen/​funktion, nicht aber die Abschaf­fung der Marktwirtschaft.

 

Wirt­schafts­po­li­tik in der glo­ba­len Krise

 

Die Bei­trä­ge des Sam­mel­ban­des dis­ku­tie­ren enga­giert Agartz’ Kon­zep­te und die Fra­ge ihrer heu­ti­gen Rele­vanz, da sie aber vor der aktu­el­len Kri­se geschrie­ben wur­den, gehen sie nicht auf die mitt­ler­wei­le stark ver­än­der­te Situa­ti­on der Welt­wirt­schaft ein. Die­se unter­streicht aber nur die not­wen­di­ge Abkehr von neo­li­be­ra­len Denk­mus­tern, „klas­si­sche“ sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Wirt­schafts­po­li­tik erscheint vor die­sem Hin­ter­grund wie­der modern. Aber auch wenn neu­er­dings alle Keynesianer/​innen sei­en, ist vie­ler­orts doch nur ein rudi­men­tä­rer Keynes angekommen.

 

Die glo­ba­le Wirt­schafts­leis­tung befin­det sich im frei­en Fall, die USA wer­den ihre bis­he­ri­ge Rol­le als Haupt­ab­neh­me­rin von Pro­duk­ten export­ori­en­tier­ter Län­der mit­tel­fris­tig nicht län­ger spie­len kön­nen. Stei­gen­de Arbeits­lo­sig­keit erhöht den Druck auf die Löh­ne, was zu einem wei­tern Weg­bre­chen der Nach­fra­ge führt. Im schlimms­ten Fall mün­det die­se Ent­wick­lung in eine Defla­ti­ons­spi­ra­le und Depres­si­on. Soll dies ver­mie­den wer­den, muss der län­ger anhal­ten­de Nach­fra­ge­aus­fall von Sei­ten der USA durch expan­si­ve Finanz- und Lohn­po­li­tik insb. in Län­dern mit Han­dels­bi­lanz­über­schüs­sen – v.a. Chi­na, Japan, Deutsch­land sowie eini­ge klei­ne­re EU-Staa­ten – kom­pen­siert wer­den. Aus makro­öko­no­mi­scher Sicht sind höhe­re staat­li­che Inves­ti­ti­ons- und Kon­sum­aus­ga­ben, sowie eine sta­bi­li­sie­ren­de Lohn­po­li­tik unab­ding­bar zur Ein­gren­zung die­ser „Jahr­hun­dert­kri­se“.

 

In die­ser Hin­sicht sind die im Buch dis­ku­tier­ten lohn­po­li­ti­schen Vor­stel­lun­gen aktu­el­ler denn je. Und auch wirt­schafts­de­mo­kra­ti­sche Über­le­gun­gen gewin­nen in die­sem Umfeld an Charme. Ein wich­ti­ger Kon­tra­punkt gegen die Kurz­fris­tori­en­tie­rung der Finanzmarktakteur/​innen im Betrieb kann die Stär­kung der Mit­be­stim­mung sein. Und was spricht gegen die Aus­wei­tung von Mit­be­stim­mungs- und Demo­kra­tie­ele­men­ten in öffent­li­chen Betrie­ben und Regu­lie­rungs­be­hör­den? War­um soll­ten Betrie­be, die öffent­li­che Hilfs­gel­der in Anspruch neh­men, nicht auf eine demo­kra­tisch bestimm­te Sozi­al­char­ta ver­pflich­tet werden?

 

Wirt­schafts­de­mo­kra­tie und expan­si­ve Lohn­po­li­tik – Zur Aktua­li­tät von Vik­tor Agartz“ von Rein­hard Bispinck/​Thorsten Schulten/​Peeter Raa­ne (Hrsg.) ist 2008 im VSA-Ver­lag Ham­burg erschie­nen. Es umfasst 244 Sei­ten und kos­tet 17,80 EUR.

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Prölls Kampfansage

3. Mai 2009 – 21:48 Uhr

Finanz­mi­nis­ter Pröll hielt sei­ne ers­te Bud­get­re­de. Sie war eine Kampf­an­sa­ge. Eine Kampf­an­sa­ge an die Kri­se, wie er es bezeichnete?

Wohl kaum.

Die Kon­junk­tur­pa­ke­te, die die Regie­rung bis jetzt beschlos­sen hat, inkl. Steu­er­re­form, dem letzt­jäh­ri­gen „Oster­frie­den“ und dem Maß­nah­men­pa­ket vom Herbst wer­den lt. OeNB eine Wachs­tums­wir­kung von 0,8% des BIP heu­er, und 1,4% des BIP nächs­tes Jahr ent­fal­ten. Mit einem kumu­lier­ten Beschäf­ti­gungs­ef­fekt von 25.000 Per­so­nen 2010. Dabei waren schon im April über 300.000 Men­schen in Öster­reich arbeits­los, wenn die Schu­lungs­teil­neh­me­rIn­nen mit­ge­zählt wer­den. Es ist also nicht alles eine Kon­junk­tur­maß­nah­me, auch wenn sie so bezeich­net wird. Aber das wäre einen eige­nen blog wert.

Was gibt es Posi­ti­ves zu berich­ten? Die Bud­gets wer­den expan­siv wir­ken, weil die auto­ma­ti­schen Sta­bi­li­sa­to­ren wir­ken. Mehr Geld gibt es also in den Berei­chen Arbeit und Sozi­al­ver­si­che­rung, aber auch Gesund­heit, Bil­dung, Wis­sen­schaft und Forschung.

Kaum jemand ist damit aber zufrie­den, weil von den Maß­nah­men des Regie­rungs­pro­gramms, die unter Finan­zie­rungs­vor­be­halt gestan­den sind (und dies war der über­wie­gen­de Teil) kaum eine umge­setzt wird. Die Ermes­sens­aus­ga­ben wur­den zudem gekürzt und der Per­so­nal­plan sieht bis 2013 Kür­zun­gen von 1.800 Stel­len vor, aus­ge­nom­men sind nur Bil­dung und Inne­res. Ach ja, an Ban­ken wer­den heu­er 10.300 Mio. Euro aus­be­zahlt wer­den. Die sind aller­dings zufrie­den damit.

War­um war die Rede Prölls trotz­dem eine Kampf­an­sa­ge? Die Kampf­an­sa­ge galt denen, die sich für Ver­tei­lungs­ge­rech­tig­keit in die­sem Land ein­set­zen. „Man kann sicher­lich vie­les über Öster­reich behaup­ten, aber doch sicher nicht, dass es unse­rem Land an Ver­tei­lungs­ge­rech­tig­keit man­gelt …“, ist da nach­zu­le­sen. Und „Die wirk­lich wich­ti­ge Fra­ge ist daher nicht: Wer zahlt die Kri­se?“ Son­dern? „Die ent­schei­den­de Fra­ge kann doch nur sein: Wie kön­nen wir die­se Kri­se mög­lichst schnell über­win­den? Und auch hier kann die Ant­wort nur sein: Wir alle gemeinsam.“

Wie­so sol­len wir nicht dar­über reden, wer die Kri­se bezah­len soll? Fast gleich­zei­tig mit dem Bud­get ist das Sta­bi­li­täts­pro­gramm an die EU ver­schickt wor­den, wo die Regie­rung schreibt, dass sie das Defi­zit bis 2012 wie­der unter 3 Pro­zent brin­gen will. Was heißt das? Das nächs­te Bud­get wird schon ein Kon­so­li­die­rungs­bud­get. Die ÖVP wehrt sich, Steu­ern zu erhö­hen. Zur Erin­ne­rung: Als 1997 erst­mals das Maas­tricht-Defi­zit unter 3% gedrückt wur­de, lag die Abga­ben­quo­te bei 44,4 Pro­zent. Als 2001 der unver­gleich­li­che Karl Heinz Gras­ser ein Null­de­fi­zit schrieb, lag die Abga­ben­quo­te gar bei 45,3 Pro­zent. Bei­de Male war die ÖVP in der Regierung.

Für 2010 und die Fol­ge­jah­re ist aller­dings eine Abga­ben­quo­te von 41,2 Pro­zent pro­gnos­ti­ziert – kein Wun­der, gehen doch die Steu­er­auf­kom­men aus Kör­per­schafts­steu­er, ver­an­lag­ter Ein­kom­mens­steu­er – nicht zuletzt auf­grund von Steu­er­pri­vi­le­gi­en – und Kapi­tal­ertrags­steu­er dra­ma­tisch zurück. Bei einem Defi­zit von 4,7% des BIP, dies soll auch in den Fol­ge­jah­ren noch so hoch sein. Wenn also ein­nah­men­sei­ti­ge Maß­nah­men getrof­fen wer­den wür­den, um die 3%-Grenze zu errei­chen, wür­de die Abga­ben­quo­te wie­der auf ca. 43% stei­gen. Dort lag sie 2008 auch. Sie liegt damit weit unter 1997 und 2001. Trotz­dem legt sich die ÖVP quer.

Die ÖVP macht eine Kampf­an­sa­ge, nicht an die Kri­se, son­dern an den Sozi­al­staat. Die­ser ver­teilt in Öster­reich vor allem aus­ga­ben­sei­tig um. Und dort soll gekürzt wer­den. Weil es für die ÖVP, wie wir gelernt haben, an vie­lem man­gelt, aber an Ver­tei­lungs­ge­rech­tig­keit in Öster­reich noch viel zu viel gibt.

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Mehr Brutto!

1. Mai 2009 – 19:00 Uhr

Auf sei­nen Post­kar­ten zum The­ma „Raus aus der Kri­se!“ for­dert der ÖGB Ober­ös­ter­reich unter ande­rem eine Sen­kung der Lohn­steu­er. Ähn­li­ches konn­te man am 1. Mai in Wien hören.  Nun ist natür­lich nichts dage­gen ein­zu­wen­den, das Steu­er­sys­tem zu refor­mie­ren. Es muss aber klar sein, dass eine Lohn­steu­er­sen­kung immer auch den Spit­zen­steu­er­ver­die­nern zu Gute kommt. Denn auch sie zah­len für die ers­ten 11.000 Euro kei­ne Ein­kom­men­steu­ern, für die fol­gen­den Euro dann den Ein­gangs­steu­er­satz usw. und erst der 60.001. Euro  wird mit dem Spit­zen­steu­er­satz belas­tet. Wird der Ein­gangs­steu­er­satz gesenkt, dann zahlt auch der Ein­kom­mens­mil­lio­när weni­ger Ein­kom­men­steu­ern. Zudem muss der Staat die aus der Steu­er­sen­kung resul­tie­ren­den Min­der­ein­nah­men lang­fris­tig über Aus­ga­ben­kür­zun­gen oder ande­re Steu­ern kompensieren.


Um die gewal­ti­gen Aus­ga­ben zu finan­zie­ren, die einer­seits not­wen­dig sind, um die Kri­se zu über­ste­hen, die ande­rer­seits aber auch not­wen­dig sind, um bspw. das Sozi­al­sys­tem aus­zu­bau­en und die öffent­li­che Daseins­vor­sor­ge wie­der in die öffent­li­che Hand zu über­füh­ren, braucht der Staat jedoch Mehr­ein­nah­men. Daher soll­te über eine Anhe­bung des Spit­zen­steu­er­sat­zes nach­ge­dacht wer­den – also über höhe­re Ein­kom­men­steu­ern. So kön­nen die Spit­zen­ver­die­ne­rIn­nen stär­ker an der Finan­zie­rung öffent­li­cher Aus­ga­ben betei­ligt werden. 
Das Ziel des ÖGB ist eine neue Ver­tei­lung der Steu­er­last. Arbeit­neh­me­rIn­nen sol­len ent­las­tet wer­den, im Gegen­zug sol­len ande­re Steu­ern erhöht wer­den.  Höhe­re Steu­ern auf Ver­mö­gen sind hier­bei ein rich­ti­ger Schritt. Die Lohn­steu­ern zu sen­ken kann aber kei­ne sinn­vol­le For­de­rung sein, da ein Ziel auch staat­li­che Mehr­ein­nah­men sind.
Steu­er­po­li­tik kann und muss auch für Umver­tei­lung genutzt wer­den – die Debat­te über die Ver­mö­gens­be­steue­rung macht dies deut­lich. Aller­dings kann Umver­tei­lung nur statt­fin­den, wenn ein Ver­tei­lungs­kampf auch geführt wird. Ori­gi­nä­re Auf­ga­be der Gewerk­schaf­ten ist dabei die Tarif- und nicht die Steu­er­po­li­tik. Die For­de­rung muss lau­ten: Mehr brut­to (und nicht: Mehr Net­to vom Brut­to). Auf­ga­be der Gewerk­schaf­ten ist es, über gute Lohn­ab­schlüs­se auch dafür zu sor­gen, dass die Ver­tei­lung zwi­schen Kapi­tal- und Arbeits­ein­kom­men zu Guns­ten der Arbeit ver­scho­ben wird. Die­se Aus­ein­an­der­set­zung mit der Arbeit­ge­ber­sei­te gilt es zu füh­ren – und nicht den Ver­tei­lungs­kampf Arbeit­neh­me­rIn­nen gegen Staat.

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Risiko

30. April 2009 – 18:10 Uhr

Seit Ulrich Beck 1986 mit der Ver­öf­fent­li­chung sei­ner Risi­ko­ge­sell­schaft einen aka­de­mi­schen Voll­tref­fer gelan­det hat (Tscher­no­byl!), pro­pa­giert er die­sen Gedan­ken wo immer man ihn lässt. Inzwi­schen ist ihm sein Trade­mark zur Welt­ri­si­ko­ge­sell­schaft ange­wach­sen. In einem Kom­men­tar im Stan­dard schreibt Beck von der Zukunft der EU und malt den Teu­fel an die Wand:

Wenn Euro­pa an der glo­ba­len Wirt­schafts­kri­se zer­bre­chen soll­te, dann wird es kei­ne Gren­zen geben für das Unglück, die Not und die Schan­de sei­ner Poli­ti­ker und fünf­hun­dert Mil­lio­nen Menschen!“

Becks Inten­ti­on ist sicher ehren­wert, er rich­tet sich gegen einen neu­en Natio­na­lis­mus und for­dert eine „durch die Kri­se erneu­er­te EU“. Aber abge­se­hen vom schlech­ten Deutsch („Die Lage spitzt sich zu: ent­we­der Mehr-Euro­pa oder Nicht-Euro­pa. Die­ser Impe­ra­tiv des mög­li­chen Schei­terns [sic!] begrün­det die Hoff­nung à la baisse“ und so wei­ter) hat Beck kein Argu­ment anzu­brin­gen. Son­dern nur, sei­en wir ehr­lich, Ideologie:

In der Welt­ri­si­ko­ge­sell­schaft sind iso­lier­te Natio­nal­staa­ten weder hand­lungs­fä­hig noch über­le­bens­fä­hig noch sou­ve­rän.“ Und: „Nur eine durch die Kri­se erneu­er­te EU kann im Zusam­men­spiel mit der neu­en US-Welt­of­fen­heit Oba­mas glaub­wür­dig und wir­kungs­voll die Regu­lie­rung der Finanz­märk­te einfordern.“

Wel­che Regu­lie­rung? Hier mache ich einen radi­ka­len Schnitt. Im gest­ri­gen Pod­cast von Pla­net Money (den ich allen, die an der Wirt­schafts­kri­se inter­es­siert sind, wirk­lich ans Herz legen will) spricht Nas­sim Tal­eb, Autor von Black Swan, über sei­ne Vor­stel­lun­gen einer ver­nünf­ti­gen Regu­lie­rung der Finanz­märk­te. Tal­eb spricht deut­li­che Wor­te (mei­ne Transkription):

Any pro­duct that reli­es on mathe­ma­ti­cal models will disap­pe­ar or needs to disap­pe­ar becau­se we know not­hing about the­se pro­ba­bi­li­ties and the past of cour­se is no indi­ca­ti­on and I pro­ved it […]. This idea of using his­to­ri­cal ana­ly­sis is com­ple­te­ly bogus and the idea of making an aprio­ri theo­ry of what a pro­ba­bi­li­ty of events should be is also bogus, so we should aban­don them. […] Ban the­se products!“

Tal­eb teilt nicht nur Becks opti­mis­ti­schen Blick auf die Oba­ma-Admi­nis­tra­ti­on nicht („The US government eco­no­mists, they are not equip­ped to under­stand that envi­ron­ment [of the cur­rent cri­sis]. They are trai­ned in con­ven­tio­nal ways, they can­not under­stand it.“), er bringt auch kon­kre­te Vor­schlä­ge zur Regulierung:

We even­tual­ly need to be orga­ni­zed in a way that resem­bles Mother Natu­re with not­hing too big to fail, with pro­ducts that are much less sen­si­ti­ve to lar­ge devia­ti­on, name­ly, you know, just very simp­le finan­cial pro­ducts, and, what peop­le don’t like, and I say sor­ry, but we can no lon­ger afford debt. Debt doesn’t give you room for error. […] Unless you shut down the inter­net, unless you stop glo­ba­liz­a­ti­on, the­re is no room for errors. […] Debt is some­thing that fra­ge­li­zes the sys­tem. You have to choo­se: debt or globalization.“

War­um brin­ge ich die­se bei­den in allen Belan­gen unglei­chen media­len Berich­te? Inter­es­sant ist jeweils der Zugang zum Risi­ko. Für Ulrich Beck ist „das Risi­ko“ etwas gesell­schaft­lich Gege­be­nes, etwas Unhin­ter­geh­ba­res. Man kann allen­falls dar­über spe­ku­lie­ren, ob er zu die­sem Schluss basie­rend auf sei­nen sozio­lo­gi­schen Unter­su­chun­gen gekom­men ist, oder ob es sich um die Pro­pa­gie­rung sei­nes wich­tigs­ten Mar­ke­ting­pro­dukt han­delt (self-ful­fil­ling pro­phe­cy). Nas­sim Tal­eb hin­ter­fragt die Evi­denz, die Nowen­dig­keit von Risi­ko, und lei­tet poli­ti­sche For­de­run­gen dar­aus ab. Das ist unge­wöhn­lich, und daher muten sei­ne Vor­schlä­ge radi­kal an. Intel­lek­tu­ell ist es jeden­falls ungleich bereichender.

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„Wir haben alle über unsere Verhältnisse gelebt“

27. April 2009 – 21:49 Uhr

Der deut­sche Bun­des­prä­si­dent Horst Köh­ler hat eini­ge Kri­tik geern­tet, als er mit Blick auf die aktu­el­le Kri­se von sich gab: „Wir haben alle über unse­re Ver­hält­nis­se gelebt.“ Dass der stei­gen­de Wohl­stand eben nicht „allen“ zu Gute kam, soll­te dabei auch Herr Köh­ler wis­sen: Die Real­löh­ne in Deutsch­land sind gesun­ken (!), die Steu­ern für Gewin­ne und hohe Ein­kom­men auch. Aber der Arbei­ter mit sin­ken­dem Lohn trotz Pro­duk­ti­vi­täts­wachs­tum hat über sei­ne Ver­hält­nis­se gelebt. Köh­ler strickt bereits an der Legen­de, dass eben nicht bspw. Dere­gu­lie­rung und eine unglei­che Ein­kom­mens­ver­tei­lung, mit­hin ein spe­zi­fi­sches (neo­li­be­ra­les) Akku­mu­la­ti­ons­re­gime Schuld an der Kri­se sind, son­dern der Nor­mal­bür­ger, der sei­nen Anteil am Wohl­stand einfordert.


Die­sen Sub­text gibt es auch in Öster­reich. Hans Rau­scher etwa kommt im Stan­dard von der Finanz­kri­se über die Hack­ler­re­ge­lung zu fol­gen­der Aus­sa­ge: „Und die gut Orga­ni­sier­ten, die es sich in den Nischen und Win­keln des Sozi­al­staa­tes gemüt­lich gemacht haben, betrei­ben eine Umver­tei­lung min­des­tens so pro­ble­ma­tisch wie die Meinls.“ Zwar unter­stellt Rau­scher nicht, dass die­se Men­schen an der Kri­se Schuld sei­en. Den­noch ist die Funk­ti­on die­ser Äuße­run­gen klar: Die unglei­che Ein­kom­mens- und Ver­mö­gens­ver­tei­lung ist gerecht­fer­tigt, und schwar­ze Scha­fe gibt es nun mal über­all. Daher müs­sen auch alle den Gür­tel enger schnal­len – wir wer­den die For­de­run­gen nach Lohn­ver­zicht schon bald zu hören bekom­men, wenn es um die Finan­zie­rung der Kri­se geht. Daher muss die Debat­te genutzt wer­den, eini­ge For­de­run­gen auch durch­zu­set­zen. Am lau­tes­ten dis­ku­tiert wird in Öster­reich der­zeit die Ver­mö­gen­steu­er. Die­se Debat­te gilt es aus­zu­wei­ten – auf Ver­tei­lung, Lohn­po­li­tik und die Fra­ge nach der Gesell­schaft, in der wir leben möchten.

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Hopebreak

27. April 2009 – 9:13 Uhr

Ich fina­li­sie­re gra­de einen Arti­kel für den kom­men­den Kurs­wech­sel über die ver­schie­de­nen Mass­nah­men­pa­ke­te der Regie­rung Oba­ma. Im Grun­de geht es dabei um drei Bereiche:

Ers­tens um eine etwas genaue­re Beschrei­bung der Viel­zahl an Initia­ti­ven, die in den letz­ten sechs Mona­ten gestar­tet wur­den. Neben dem Trou­bled Asset Reli­ef Pro­gram (TARP), ein Ver­mächt­nis von Hank Paul­son (Tre­a­su­ry Secreta­ry in der Bush Admi­nis­tra­ti­on) sind inzwi­schen der Sti­mu­lus (Ame­ri­can Reco­very and Reinvest­ment Act, ARRA) abge­seg­net sowie das Bud­get für Fis­cal Year 2010 (begin­nend mit 1.10.2009) im Kon­gress ein­ge­bracht wor­den. Dane­ben hat Ben Bern­an­ke die Auf­ga­ben­be­rei­che der Federal Reser­ve Bank in bei­spiel­lo­ser Wei­se erwei­tert (die Fed ver­gibt nun Kre­di­te an Nicht­ban­ken) und lässt wie ver­rückt Dol­lar drucken.

Zwei­tens die Visi­on der Oba­ma-Admi­nis­tra­ti­on und die Stra­te­gie, wie sie die­se Visi­on umset­zen will. Oba­mas Ziel ist ein moder­ni­sier­ter, ener­gie­po­li­tisch unab­hän­gi­ger Wohl­fahrts­staat. Vie­les, was ins­be­son­de­re im Pro­zess der Bud­get­er­stel­lung vor­ge­ge­ben wur­de, wie die Gesund­heits­re­form, ist in der Tat ermu­ti­gend. Oba­ma selbst hat von den fünf Säu­len der Bud­get­re­form gespro­chen, und dar­in sind die maß­geb­li­chen Ver­än­de­run­gen etwa im Bud­get des Pen­ta­gon noch gar nicht ent­hal­ten. Damit zur Stra­te­gie: Oba­ma will die Kri­se für einen Umbau des poli­ti­schen Sys­tems und der Reich­tums­ver­tei­lung nut­zen, aller­dings sich zugleich nicht mit der herr­schen­den Finan­zo­lig­ar­chie anle­gen. Die Stra­te­gie ist daher, den Finanz­sek­tor kurz­fris­tig wie­der­her­zu­stel­len („res­to­re the con­fi­dence“). Basie­rend auf die­sem poli­ti­schen wie öko­no­mim­schen Erfolg sol­len die wei­ter­rei­chen­den Zie­le rea­li­siert werden.

Drit­tens: Das Ziel ist gut gemeint, doch die Stra­te­gie hat meh­re­re Tücken:

- Zunächst: was, wenn sich das Finanz­sys­tem gar nicht mehr in der bekann­ten Wei­se repa­rie­ren lässt? Bis­her zei­gen alle Äuße­run­gen und Initia­ti­ven um Lar­ry Sum­mers und Tim Geith­ner, dass die Admi­nis­tra­ti­on fest an einen blo­ßen Liqui­di­täts­eng­pass bei den Ban­ken glaubt (zuletzt etwa P‑PIP). Was aber, wenn sie insol­vent sind?

- Außer­dem wid­met sich die Admi­nis­tra­ti­on, ins­be­son­de­re der Finanz­mi­nis­ter, fast aus­schließ­lich der Finanz­kri­se. Auch die Men­gen an Geld, die bereits effek­tiv in die­sen Sek­tor geschüt­tet wur­den, über­stei­gen die pro­jek­tier­ten Aus­ga­ben für die Real­wirt­schaft und den gesell­schaft­li­chen Umbau bei wei­tem.

- Nicht zuletzt zeigt der Skan­dal um die AIG-Bonus­zah­lun­gen, dass die Alli­anz mit der Finan­zo­lig­ar­chie für die poli­ti­sche Glaub­wür­dig­keit der Admi­nis­tra­ti­on schwer­wie­gen­de Fol­gen haben kann.

- Und ganz gene­rell stellt sich die Fra­ge, ob rei­ner Prag­ma­tis­mus wirk­lich aus­reicht, um hoch­ste­hen­de Zie­le zu errei­chen. Oba­ma scheint, abge­se­hen von mar­ki­gen Wor­ten, nicht bereit zu sein, irgend jeman­dem auf die Füs­se zu stei­gen; nach dem klei­nen ABC der poli­ti­schen Öko­no­mie bedeu­tet das aber, dass die Haupt­last der Kri­se den Schwächs­ten zuge­spielt wird.

Die Situa­ti­on sieht daher im Augen­blick so aus, als wür­de die Regie­rung, bei allen enor­men Anstren­gun­gen, die sie unter­nimmt, einem über­kom­me­nen Sche­ma fol­gen: „defe­ring to big banks and pre­fe­ring fis­cal expan­si­on“. Ein eben­so abseh­ba­rer wie unmit­tel­ba­rer Effekt aus der Per­so­nal­aus­wahl, die Oba­ma bei Erstel­lung sei­nes Wirt­schafts­teams getrof­fen hat.


Noch ein Wort zur Infor­ma­ti­ons­la­ge: Die­se ist in der Regel aus­rei­chend, man könn­te fast sagen: über­wäl­ti­gend. Die online-Quel­len, aus denen ich mei­ne Infor­ma­tio­nen bezie­he, sofern sie im Arti­kel dann nicht genannt wer­den, sind – abge­se­hen von News­pa­pers wie Washing­ton Post, NY Times, Poli­ti­co – im wesent­li­chen NPRs Pla­net Money sowie die Pro­phe­ts of Doom: base­li­ne sce­n­a­rio (mit Simon John­son), RGE Moni­tor (mit Nou­riel Rou­bi­ni), Paul Krug­man.


PS: der Titel für die­sen Blo­gen­try stammt aus Nao­mi Kleins hüb­scher Samm­lung an Oba­ma-Neo­lo­gis­men.

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