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Die Person macht’s

13. Juni 2009 – 4:16 Uhr

Gerd Val­chars plä­diert im Stan­dard für eine Auf­wer­tung des Per­sön­lich­keits­wahl­rechts in Österreich:

Eine sol­che Ände­rung im Wahl­sys­tem wür­de das Gewicht bei der Kan­di­da­ten­aus­wahl deut­lich in Rich­tung Wäh­ler ver­schie­ben, ohne dass die Par­tei­en plötz­lich ihren Ein­fluss auf die Rekru­tie­rung gänz­lich ver­lie­ren würden.“

Die Effek­te, die sich Val­chars davon ver­spricht: Grö­ße­re „Bür­ger­nä­he“, sprich „mehr Unab­hän­gig­keit der ein­zel­nen Abge­ord­ne­ten gegen­über ihrer Par­tei“. Zwei­tens, ein sol­cher Modus „macht einen Wahl­gang natür­lich auch deut­lich span­nen­der“. Drit­tens und vor allem aber: „Jede ein­zel­ne Vor­zugs­stim­me zählt und wird auch wirksam.“

Bür­ger­nä­he, Span­nung, Demo­kra­tie – Das klingt zwar ein biss­chen nach Über­ra­schungs­ei, ist aber sicher rich­tig. Ich per­sön­lich wür­de viel­leicht noch hoff­nungs­froh anfü­gen, dass eine Pro­fi­lie­rung der zu Wäh­len­den gegen­über ihren Wäh­le­rIn­nen zu erwar­ten wäre (was mir ange­sichts des nie­der­schmet­tern­den Zustands der poli­ti­schen Klas­se in die­sem Land ziem­lich not­wen­dig erscheint).

Der Anlass, näm­lich die EU-Par­la­ments­wahl, wirft bei mir frei­lich eine Fra­ge auf, die mich ganz gene­rell schon seit län­ge­rem beschäf­tigt: Macht die poli­tik­wis­sen­schaft­li­che For­schung das EU-Par­la­ment viel­leicht wich­ti­ger als es nun ein­mal ist? Eine Kam­mer, die in wei­ten Tei­len zahn­los ist und nicht ein­mal den grund­le­gen­den Auf­ga­ben einer Volks­ver­tre­tung nach­kommt, wird durch eine Ände­rung des Wahl­mo­dus ja nicht rele­van­ter. Was die Sache für Öster­reich irgend­wie tra­gisch macht, ist der Umstand, dass es sogar einen poten­ti­el­len Kan­di­da­ten gab, der seit Jah­ren pro­non­ciert für eine Stär­kung des Par­la­ments und damit für eine Demo­kra­ti­sie­rung der EU ein­tritt. Aus­ge­rech­net Johan­nes Vog­gen­hu­ber ist aber aus par­tei­po­li­ti­schen Grün­den von den Wah­len fern­ge­hal­ten worden.

Val­chars rennt mit sei­nem Bei­trag bei mir offe­ne Türen ein. Ich mag die Idee einer Wahl­rechts­re­form. Aber erst in Ver­bin­dung mit der Zutei­lung von Ent­schei­dungs- und Kon­troll­kom­pe­ten­zen wird eine För­de­rung leben­di­ger Demo­kra­tie erreicht.

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Geschichte wird gemacht

9. Juni 2009 – 3:52 Uhr

Schwei­gen? Als Elder Sta­tes­man nicht mehr.

[…] unser rie­si­ger Staats­sek­tor war ja gar nicht ideo­lo­gisch gewollt. Viel­mehr war er aus einer Not­wen­dig­keit her­aus ent­stan­den: In den 50er Jah­ren gab es in Öster­reich vie­le rus­si­sche Indus­trie­be­tei­li­gun­gen, besetz­te Betrie­be und Fir­men im rus­si­schen Ein­fluss­be­reich. Die ehe­mals deut­schen Rüs­tungs­be­trie­be, das Indus­trie­kon­glo­me­rat Voest, die staat­li­che Mine­ral­öl­ver­wal­tung – all das war gefähr­det. Woll­te man die­sen Ein­fluss zurück­drän­gen, konn­te man die Unter­neh­men nur verstaatlichen.

So Wolf­gang Schüs­sel im auch sonst amü­sant lesens­wer­ten Inter­view mit dem Mana­ger Maga­zin. Dass die Voest jetzt neu­er­dings in sowje­ti­schem Besitz gewe­sen sein soll (oder davon auch nur bedroht gewe­sen wäre), heißt Geschich­te neu schrei­ben. Aber was solls, Herr Schüs­sel ist ja nicht His­to­ri­ker, son­dern, wie er salopp erklärt, Jurist Öko­nom.

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Political Meddling

5. Juni 2009 – 22:03 Uhr

Ein aktu­el­ler Nach­trag zu den „poli­ti­schen Intel­lek­tu­el­len:“ Bis­her konn­ten sich gera­de Öko­nom­In­nen in Öster­reich noch zu jenen zäh­len, die sich von poli­ti­scher Ein­fluss­nah­me ver­gleichs­wei­se frei machen konn­ten. Ein Grund neben ande­ren dafür ist das über­par­tei­li­che Wifo, eine der (weni­gen) sozi­al­wis­sen­schaft­li­chen Errun­gen­schaf­ten der Zwei­ten Repu­blik. Jetzt wird der die­ser Ein­rich­tung zugrun­de lie­gen­de, poli­ti­sche Still­hal­te­ver­trag gra­de auf­ge­kün­digt. Und warum?

Wifo-Chef Aigin­ger habe sei­ne Mit­ar­bei­ter schlicht­weg nicht mehr im Griff, wird kri­ti­siert. Vor allem die pro­non­ciert „roten“ Wifo-Exper­ten Mar­git Schrat­zen­stal­ler, Ste­phan Schul­meis­ter und Mar­kus Mar­ter­bau­er wür­den sich in der Öffent­lich­keit stän­dig zu Wort mel­den – mit poli­tisch ein­deu­ti­gen Botschaften.

Man kann sich die Sor­gen­fal­ten am Schwarz­spa­nier­platz leb­haft vor­stel­len. Jeden­falls ist der Vor­fall ein deut­li­ches Indiz, dass in der aktu­el­len Kri­se nicht nur der medi­al aus­ge­tra­ge­ne Kon­flikt um den „rich­ti­gen Kurs“ in der Wirt­schafts­po­li­tik schär­fer wird. Jetzt soll – als Reak­ti­on dar­auf – Macht exer­ziert wer­den. „Poli­ti­cal Meddling“, wie es in den USA so schön heisst.

Was ler­nen wir dar­aus? Offen­bar ist man an ver­schie­de­nen Stel­len ganz schön ner­vös. Dass die Initia­ti­ve offen­bar von Raiff­ei­sen (mit einem an sich eher unbe­deu­ten­den Jah­res­bei­trag) aus­ging, ver­stärkt den Ein­druck. Die PR die­ses schwar­zen Kon­glo­me­rats war in letz­ter Zeit ja nicht die bes­te. Von „nur über mei­ne Lei­che“ (Chris­ti­an Kon­rad) ist man dort schnell dazu über­ge­gan­gen, Geld von der Regie­rung zu neh­men. Das stellt vor­erst zwar noch nie­mand in Fra­ge. Aber bes­ser gar nix anbren­nen lassen.

Die Geschich­te stellt auch einen ziem­lich offe­nen Angriff auf das von Wis­sen­schaft­le­rIn­nen (zu recht) hoch­ge­hal­te­ne Prin­zip der „aka­de­mi­schen Frei­heit“ dar. In die­sem Zusam­men­hang ist das Wifo zwar in einer ungüns­ti­gen Posi­ti­on: Mehr Think Tank als Grund­la­gen­for­schungs­in­sti­tut. Aber trotz­dem ist fest­zu­stel­len, dass die­se Insti­tu­ti­on für die hei­mi­schen Sozi­al­wis­sen­schaf­ten sicher min­des­tens so wich­tig ist wie CERN für die Phy­si­ker. Lei­der lehrt mich die Erfah­rung, hin­sicht­lich der Reak­tio­nen aus der Com­mu­ni­ty pes­si­mis­tisch zu sein: So wirk­lich tan­giert das in Öster­reich wohl niemanden.

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Politische Intellektuelle und die Wirtschaftskrise

3. Juni 2009 – 14:24 Uhr

 

Die Fra­ge der poli­ti­schen Inter­ven­ti­ons­fä­hig­keit der Sozi­al­wis­sen­schaf­ten war ein The­ma der Kon­fe­renz „Poli­ti­cal Eco­no­my, Finan­cia­li­sa­ti­on and Dis­cour­se Theo­ry“ Ende Mai in Cardiff.

Karel Wil­liams (Man­ches­ter Busi­ness School) the­ma­ti­sier­te in sei­nem Vor­trag, wie stark sich die öffent­li­che Reak­ti­on auf die aktu­el­le Finanz- und Wirt­schafts­kri­se von der Reak­ti­on auf die Kri­sen 1931 (Welt­wirt­schafts­kri­se) und 1981 (That­cher-Schock in UK) unter­schei­de. Damals gerie­ten die Eli­ten unter Druck, 1931 führ­te das zu Ver­än­de­run­gen in der Wirt­schafts­po­li­tik, 1981 zumin­dest zu einem öffent­li­chen Auf­tre­ten lin­ker Wis­sen­schaft (auch wenn sie letzt­lich erfolg­los blieb).

Heu­te sei die öffent­li­che Reak­ti­on ver­gleichs­wei­se ver­hal­ten. Wil­liams kon­sta­tier­te eine Art gesell­schaft­li­ches „Stock­holm-Syn­drom“, auf Basis einer Gei­sel­nah­me der Gesell­schaft durch den Finanz­sek­tor – die fort­ge­schrit­te­ne Durch­drin­gung der Gesell­schaft mit einer finan­zia­li­sier­ten Logik füh­re zur Iden­ti­fi­ka­ti­on mit den Inter­es­sen und Moti­ven des Finanzsektors.

Auch die öffent­li­chen Intel­lek­tu­el­len fehl­ten. Wil­liams nann­te fol­gen­de Grün­de: Zer­split­te­rung in feind­li­che Theo­rie-Lager; Ver­drän­gung poli­ti­scher Öko­no­mie aus der Main­stream­öko­no­mie und Aus­wei­chen in Sub-Dis­zi­pli­nen mit engem Fokus wie Inter­na­tio­na­le Poli­ti­sche Öko­no­mie, Geo­gra­fie, Kul­tur­stu­di­en etc.; Professionalisierung/​ Aka­de­mi­sie­rung – das Feld der Medi­en­ar­beit wird von Aka­de­mi­ke­rIn­nen auf­ge­ge­ben und wird völ­lig den Leu­ten aus dem Finanz­sek­tor überlassen.

Ein Teil der Erklä­rung für die­se Ent­wick­lun­gen sei Unklar­heit über die Situa­ti­on und der poli­ti­sche Kon­text (Rechts­wen­dung der Labour Par­ty, Mar­gi­na­li­sie­rung der Gewerk­schaf­ten). Einen Teil der Erklä­rung lie­fe­re aber auch die Selbst­be­schrän­kung der Intel­lek­tu­el­len. Wil­liams Abschluss­fra­ge: Soll­te die Intel­li­genz von der Kri­tik zur Selbst­kri­tik über ihre innen­ori­en­tier­te Pro­fes­sio­na­li­sie­rung übergehen?

Colin Wight (Uni­ver­si­ty of Exe­ter) kon­sta­tier­te eine „Gang-Men­ta­li­tät“ in den Sozi­al­wis­sen­schaf­ten. Theo­re­ti­sche Abgren­zun­gen hät­ten häu­fig mehr mit Iden­ti­täts­po­li­tik statt Sub­stanz zu tun, sei­en in einem zer­split­ter­ten Feld wie etwa Poli­tik­wis­sen­schaft aber wich­tig für das aka­de­mi­sche Fort­kom­men (vgl. den Arti­kel von Kyle Siler in Kurs­wech­sel 4/​05 für den Fall der Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten). Das zei­ge sich in vie­len Dis­kus­sio­nen der Kon­fe­renz wie­der, wo Debat­ten zwi­schen Postruk­tu­ra­lis­tis­mus- und Kri­ti­scher-Rea­lis­mus-Ansät­zen oft über­trie­ben hef­tig geführt wür­den (So hat­te etwa jemand auf Marie­ke de Goe­des [Uni Ams­ter­dam] Ein­fü­hungs­vor­trag, in dem sie die inter­na­tio­na­le Ter­ror-Geld­wä­sche-Bekämp­fungs-Offen­si­ve als Pro­jekt zur Aus­deh­nung der Über­wa­chung im All­tag kri­ti­sier­te, gefragt, wozu sie für die­se Ana­ly­se einen post­struk­tu­ra­lis­ti­schen Ansatz bemühe).

Der kri­ti­sche Buch­hal­tungs-Theo­re­ti­ker Prem Sik­ka (Uni­ver­si­ty of Essex), der für die Auf­de­ckung von Par­tei­en­fi­nan­zie­rungs­strö­men der Tories bekannt ist, plä­dier­te für mehr jour­na­lis­ti­sches und poli­ti­sches Enga­ge­ment von WissenschafterInnen.

In der Dis­kus­si­on wur­de debat­tiert, ob die Ursa­che dafür in der Wis­sen­schaft selbst oder eher in Ver­än­de­run­gen von Poli­tik und Öffent­lich­keit zu suchen ist. Die Igno­ranz gegen­über Wis­sen­schaft habe mit Inter­es­sen und Macht zu tun, nicht mit dem Zustand der Wis­sen­schaft, so eine Anmer­kung. Der öffent­li­che Sek­tor fragt heu­te Bera­tungs­fir­men und Unter­neh­men um Exper­ti­se, nicht mehr in Uni­ver­si­tä­ten. Öffent­li­che Unter­su­chungs­kom­mis­sio­nen sind nicht an wis­sen­schaft­li­chen Ergeb­nis­sen, Pro­ble­ma­ti­sie­run­gen und Ursa­chen­for­schun­gen inter­es­siert, son­dern kom­pi­lie­ren nur noch Mei­nun­gen von (Industrie-)ExpertInnen.

Ande­re hin­ter­frag­ten, ob der Stel­len­wert der Wis­sen­schaft in der (Berufs-)Politikberatung der ent­schei­den­de Indi­ka­tor sei, oder ob es nicht viel­mehr dar­um gin­ge, sich in Bezie­hung zu sozia­len Bewe­gun­gen und wider­stän­di­gen Akteu­rIn­nen außer­halb der eta­blier­ten Poli­tik zu setzen.


Der BEIGEWUM hat zu die­sen The­men vor eini­gen Jah­ren selbst­re­fle­xi­ve Über­le­gun­gen ange­stellt (sie­he auch hier).  Zeit, ange­sichts der Kri­se dar­an weiterzuarbeiten!

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Memorandum 2009

27. Mai 2009 – 23:21 Uhr

Jedes Jahr im Mai gibt die Arbeits­grup­pe Alter­na­ti­ve Wirt­schafts­po­li­tik ein Memo­ran­dum zu aktu­el­len wirt­schafts­po­li­ti­schen The­men her­aus. Die Memo-Grup­pe selbst beschreibt Ihre Arbeit so: „In der ›Arbeits­grup­pe Alter­na­ti­ve Wirt­schafts­po­li­tik‹ arbei­ten Wirt­schafs­wis­sen­schaft­le­rin­nen und Wirt­schafts­wis­sen­schaft­ler sowie Gewerk­schaf­te­rin­nen und Gewerk­schaf­ter an der Ent­wick­lung wirt­schafts­po­li­ti­scher Vor­schlä­ge und Per­spek­ti­ven, die sich an der Siche­rung sinn­vol­ler Arbeits­plät­ze, der Ver­bes­se­rung des Lebens­stan­dards, dem Aus­bau des Sys­tems der sozia­len Sicher­heit für die Arbeit­neh­me­rin­nen und Arbeit­neh­mer sowie wirk­sa­mer Umwelt­si­che­rung in Deutsch­land ori­en­tie­ren.“ Die Memo­ran­den bezie­hen sich zwar auf Deutsch­land, die Dis­kus­sio­nen sind jedoch auch über den natio­na­len Kon­text hin­aus inter­es­sant. Die­ses Jahr wid­met sich die Grup­pe unter dem Titel „Von der Kri­se in den Absturz? Sta­bi­li­sie­rung, Umbau, Demo­kra­ti­sie­rung“ den Fol­gen der Wirt­schafts­kri­se und ent­wi­ckelt Vor­schlä­ge für eine ande­re Wirtschafts‑, Sozi­al- und Bildungspolitik. 


Export­welt­meis­ter Deutschland

Im Mit­tel­punkt des Kapi­tels zur Finanz- und Wirt­schafts­kri­se steht die ver­fehl­te Wirt­schafts­po­li­tik in der Bun­des­re­pu­blik. Über die Argu­men­ta­ti­on der Wett­be­werbs­fä­hig­keit wur­den die Löh­ne immer wei­ter gedrückt und so die Bin­nen­nach­fra­ge stran­gu­liert. Der leich­te Auf­schwung der ver­gan­ge­nen Jah­re war daher vor allem export­ge­trie­ben. Die Kon­se­quen­zen der Lohn­zu­rück­hal­tung sind bekannt: Die Ein­kom­men aus Kapi­tal und Ver­mö­gen stie­gen, die aus Löh­nen san­ken. Es ist wenig ver­wun­der­lich dass ein Abschnitt wie folgt über­schrie­ben ist: „Lohn­zu­wachs in Deutsch­land – gut für ganz Euro­pa“ (S. 75). Dabei macht die Memo-Grup­pe dar­auf auf­merk­sam, dass nicht etwa höhe­re Steu­ern und Abga­ben Schuld an der schlech­ten (Netto-)Lohnentwicklung sind son­dern eine zu gerin­ge Brut­to­lohn­stei­ge­rung – das hat­ten wir auch schon hier im Blog.

In einem wei­te­ren Kapi­tel wird der „Super-GAU der Finanz­märk­te“ ana­ly­siert, bevor das Memo­ran­dum auf Beschäf­ti­gungs­pro­gram­me und Arbeits­zeit­ver­kür­zun­gen ein­geht. Dabei wird vor allem auch die Qua­li­tät der Arbeits­plät­ze betrach­tet, da in Deutsch­land neue Jobs in den ver­gan­ge­nen Jah­ren nur bei Teil­zeit­jobs bzw. Leih­ar­beit ent­stan­den sind. Ziel ist daher eine Umver­tei­lung der Arbeitszeit. 


Sozia­le Dienst­leis­tun­gen und Alterssicherung

Ein Kapi­tel des Memo­ran­dum han­delt von sozia­len Dienst­leis­tun­gen, die öffent­lich zu orga­ni­sie­ren sind. Hier­bei geht es dar­um, sozia­le Dienst­leis­tun­gen für die Gesell­schaft anzu­bie­ten und die Memo-Grup­pe stellt eine „sozia­le Dienst­leis­tungs­lü­cke“ (S. 151) fest. Hier­bei wird auch deut­lich, dass die öffent­li­chen Aus­ga­ben für sozia­le Dienst­lei­tun­gen in Öster­reich eben­falls unzu­rei­chend und noch gerin­ger als in Deutsch­land sind.
Sozia­le Dienst­leis­tun­gen erfül­len meh­re­re Funk­tio­nen: Einer­seits kann so pro­fes­sio­nell ein ent­spre­chen­des Ange­bot geschaf­fen und in öffent­li­cher Ver­ant­wor­tung ange­bo­ten wer­den. Ande­rer­seits wird die heu­te oft pri­vat und vor allem von Frau­en getra­ge­ne Arbeit im Bereich der sozia­len Dienst­lei­tun­gen dann bezahlt. Es ist daher wenig ver­wun­der­lich, dass die Frau­en­er­werbs­tä­tig­keit posi­tiv mit dem Arbeits­vo­lu­men im sozia­len Dienst­leis­tungs­be­reich kor­re­liert. Um jedoch ein Schlie­ßen der Lücke zu errei­chen ist eine Trend­wen­de in der bis­he­ri­gen Poli­tik not­wen­dig. Der „schlan­ke Staat“ kann dann kein Leit­bild mehr sein, oder, um es mit den Wor­ten des Memo­ran­dum zu sagen: „Eine höhe­re Staats­quo­te und gute sozia­le Dienst­leis­tungs­ar­beit gehö­ren untrenn­bar zusam­men“ (S. 162).

Das Memo­ran­dum geht auch auf die Fra­ge der Alters­ver­sor­gung ein. Dabei wird auf die Gefahr der Alters­ar­mut durch das Absen­ken des Ren­ten­ni­veaus in Deutsch­land eben­so ein­ge­gan­gen wie auf die Fra­ge der Demo­gra­fie und der Pro­duk­ti­vi­täts­ent­wick­lung. Dabei wird dar­auf hin­ge­wie­sen, dass ers­tens nicht die poten­ti­el­le, son­dern die tat­säch­li­che Erwerbs­tä­ti­gen (also nicht die Arbeits­lo­sen) rele­vant sind, und dass zwei­tens von der stei­gen­den Pro­duk­ti­vi­tät ein Teil für höhe­re Bei­trags­zah­lun­gen abge­zweigt wer­den kann. Eine Kapi­tal­de­ckung jeden­falls kann aus vie­len Grün­den kei­ne Alter­na­ti­ve sein – ers­tens muss auch hier eine Ren­di­te erwirt­schaf­tet wer­den, zwei­tens sind die Unsi­cher­hei­ten imma­nent und drit­tens ist ein soli­da­ri­sche Umla­ge­sys­tem gerech­ter als ein pri­va­tes Sys­tem, dass man sich eben auch leis­ten kön­nen muss. 


Bildung

Seit eini­gen Jah­ren befin­det sich im Memo­ran­dum auch jeweils ein Bil­dungs­teil, ein Bil­dungs­text hat es sogar schon unter die Memo­ran­dum-Klas­si­ker geschafft (PDF). Die­ses Jahr ist das The­ma die neo­li­be­ra­le Aus­rich­tung der öko­no­mi­schen Bil­dung. Hier­bei wer­den u.a. Plan­spie­le für Schü­le­rin­nen und Schü­ler unter­sucht und so auf­ge­zeigt, dass ein bestimm­tes Den­ken geför­dert wer­den soll. Das The­ma knüpft an an die Fra­ge der Finanz­bil­dung, wie sie bspw. von Mar­tin Schürz und Beat Weber the­ma­ti­siert wur­de, an.


Fazit

Das Memo­ran­dum lohnt sich. Zwar ist der Schwer­punkt die Poli­tik in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, vie­les ist jedoch in der öster­rei­chi­schen Poli­tik nicht unähn­lich und die For­de­run­gen der Arbeits­grup­pe Alter­na­ti­ve Wirt­schafts­po­li­tik sind zu unter­stüt­zen. Das Memo­ran­dum bleibt eines der erfreu­li­chen Gegen­pu­bli­ka­tio­nen zum (noch?) herr­schen­den neo­li­be­ra­len Mainstream.


AG Alter­na­ti­ve Wirtschaftspolitik
MEMORANDUM 2009
Von der Kri­se in den Absturz?
Sta­bi­li­sie­rung, Umbau, Demokratisierung
Alter­na­ti­ven der Wirtschaftspolitik
Neue Klei­ne Biblio­thek 138,
268 Seiten
EUR 17,90 [D] /​ EUR 18,40 [A] /​ SFR 32,00
ISBN 978–3‑89438–409‑8

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Wenn sich die Regierung einmischt

20. Mai 2009 – 16:00 Uhr

Die Bestim­mung von Auto-Emis­sio­nen, die Oba­ma ges­tern in Washing­ton ange­kün­digt hat, wer­den als der wich­tigs­te Bei­trag der USA zur Kli­ma­po­li­tik gese­hen. Und die Vor­ga­ben sind ja nicht schlecht: Erst­mals seit zwei Jahr­zehn­ten soll die Treib­stoff­ef­fi­zi­enz von Autos, die in den USA gefah­ren wer­den dür­fen, wie­der steigen.

Wäh­rend ande­re kli­ma­po­li­ti­sche Geset­zes­vor­la­gen noch im Kon­gress ste­cken, kön­nen schon mal fol­gen­de Schlüs­se gezo­gen werden:

Ers­tens, die Oba­ma-Admi­nis­tra­ti­on hat kei­ne Beden­ken, ihren Ein­fluss für Refor­men gel­tend zu machen, die vor kur­zem noch als undenk­bar erschie­nen sind. Dass die Auto­mo­bil­in­dus­trie dem neu­en Plan zustimmt, liegt sicher­lich dar­an, dass die Regie­rung inzwi­schen in wei­ten Tei­len selbst Antei­le dar­an hält; aber es ist den­noch bemer­kens­wert.

Zwei­tens zeigt sich, wie geschickt die Oba­ma-Admi­nis­tra­ti­on im Augen­blick den poli­ti­schen Pro­zess bestimmt. Die Repu­bli­ka­ner sind ent­we­der über­ge­lau­fen (wie Arnold Schwar­zen­eg­ger) oder haben nicht viel zu sagen.

Drit­tens erkennt man das wie­der­keh­ren­de Motiv, die Kri­se für Refor­men zu nut­zen. Der Kom­pro­miss soll, so der Plan der Regie­rung, die not­wen­di­ge Inno­va­ti­on sti­mu­lie­ren, um die ame­ri­ka­ni­sche Wirt­schaft im zen­tra­len Bereich der Auto­in­dus­trie wie­der top zu machen.

Vier­tens sieht man dar­an auch, dass hier wie­der ein­mal auf alt­be­währ­te Kräf­te gesetzt wird. Im Ver­gleich zu den Inves­ti­tio­nen in High­way Con­struc­tion nimmt sich der Anteil an Public Trans­por­ta­ti­on sehr beschei­den aus. Und: Die bes­se­re Effi­zi­enz von Autos bedeu­tet ja nicht unbe­dingt, dass weni­ger Schad­stof­fe in die Luft geschleu­dert wer­den (Jevons Para­dox).

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Christian Marazzi: „Finance as a real economy“ – Bericht

13. Mai 2009 – 12:47 Uhr

Bei einem Vor­trag am 4.5.09 in Wien sprach der post­ope­rais­ti­sche Öko­nom Chris­ti­an Maraz­zi (Pro­fes­sor an der Hoch­schu­le der ita­lie­ni­schen Schweiz und Autor von Büchern wie „Fetisch Geld. Wirt­schaft, Staat, Gesell­schaft im mone­ta­ris­ti­schen Zeit­al­ter“ und „Capi­tal and Lan­guage. From the New Eco­no­my to the War Eco­no­my“) über das Ver­hält­nis von Finanz- und Real­wirt­schaft. Frü­her sei­en Finanz­bla­sen am Ende von Kon­junk­tur­zy­klen auf­ge­tre­ten, und sei­en somit aus mar­xis­ti­scher Sicht als Aus­druck von Ver­wer­tungs­pro­ble­men im Real­sek­tor auf­ge­fasst wor­den: Dem­nach flüch­te über­schüs­si­ges Kapi­tal in den Finanz­sek­tor, und füh­re dort zu Ver­mö­gens­preis­in­fla­ti­on, bis die Bla­se schließ­lich platzt. In die­sem Kon­text sei zu Recht von Ent­kop­pe­lung von Finanz- und Real­sphä­re die Rede.
Die­se Ana­ly­se sei für die Peri­ode des For­dis­mus tref­fend gewe­sen, so Maraz­zi, mitt­ler­wei­le habe sich aber ein Wan­del zu einem post­for­dis­ti­schen Akku­mu­la­ti­ons­re­gime durch­ge­setzt, wo Finanz­we­sen und Real­wirt­schaft enger mit­ein­an­der ver­wo­ben sind. Post­for­dis­ti­sche Pro­duk­ti­on sei durch die fort­schrei­ten­de Aus­la­ge­rung des Wert­schöp­fungs­pro­zes­ses aus den Unter­neh­men gekenn­zeich­net. Unter­neh­men im fort­schrei­ten­den Bereich imma­te­ri­el­ler Pro­duk­te über­las­sen das Pro­du­zie­ren ande­ren und kon­zen­trie­ren sich aufs Koor­di­nie­ren und die Abschöp­fung von Wert, der außer­halb ihrer selbst pro­du­ziert wird – von schlecht bezahl­ten Free­lan­cern, oder gar gra­tis von Kon­su­men­ten, die durch ihr Feed­back Ideen zur Pro­dukt­ent­wick­lung bei­steu­ern und ent­schei­den­de Hand­grif­fe selbst bei­steu­ern (das Modell you­tube) bzw. deren selbst­ge­schaf­fe­ne Kul­tur ver­ein­nahmt und kom­mer­zi­ell ver­mark­tet wird (Life­style-Pro­duk­te). Das Finanz­we­sen spielt zum Funk­tio­nie­ren die­ses Modells eine ent­schei­den­de Rol­le. Ers­tens spielt die finan­zi­el­le Steue­rung der Unter­neh­men eine zen­tra­le Rol­le für das Out­sour­cing (Share­hol­der Value-Ori­en­tie­rung führt zu Druck auf Unter­neh­mens­ver­schlan­kung). Zwei­tens schließt der Kon­su­men­ten­kre­dit die Lücke zwi­schen gerin­gen Lohn­ein­kom­men und der not­wen­di­gen Kauf­kraft für den Konsum.
In der Aus­wei­tung der Pri­vat­ver­schul­dung kom­me auch ein eigen­sin­ni­ger Anspruch auf einen Lebens­stan­dard der Pri­vat­haus­hal­te zum Aus­druck, eine Ver­wei­ge­rung von Beschei­den­heit und Zufrie­den­heit mit einem kar­gen Lohn, was als eine Art Aus­druck des Klas­sen­kamp­fes unter Bedin­gun­gen des Post­for­dis­mus inter­pre­tiert wer­den kön­ne, der sich ansons­ten vor allem in der Ver­tei­di­gung von Gemein­gü­tern gegen Pri­va­ti­sie­rung manifestiere.
Die aktu­el­le Kri­se führt zu einem Weg­bre­chen der kre­dit­ge­stütz­ten Nach­fra­ge, ohne die das Sys­tem nicht läuft. 
Die Redi­men­sio­nie­rung und Ein­schrän­kung des Finanz­sek­tors und damit des Kre­dits allein sei die fal­sche Ant­wort auf die Kri­se, weil damit der Kre­dit als (pri­va­ti­sier­te Form der) Arti­ku­la­ti­on und Finan­zie­rung von sozia­len Ansprü­chen zer­schla­gen wer­de, ohne dass ein Ersatz ange­bo­ten wür­de. Auf­grund der Zer­schla­gung des öffent­li­chen Sek­tors und Wohl­fahrts­staa­tes etwa sei ohne Stu­di­en­kre­dit von den pri­va­ten Haus­hal­ten kei­ne Bil­dung zu finanzieren. 
Um aus der Kri­se zu kom­men, müss­te man die Pri­vat­ver­schul­dung erset­zen durch ein Recht auf ein Sozi­al­ein­kom­men, also umver­tei­len. Für die unmit­tel­ba­re Lösung des Pro­blems der „toxic assets“ der Ban­ken sei die Refi­nan­zie­rung der Immo­bi­li­en­kre­dit­schuld­ner der bes­te Weg.

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Immer wieder: Die Rente

11. Mai 2009 – 23:15 Uhr

Die Indi­vi­dua­li­sie­rung sozia­ler Risi­ken ist ein Merk­mal der Poli­tik der ver­gan­ge­nen Jah­re. Dazu gehört auch die (Teil-)Privatisierung der Alters­vor­sor­ge. Begrün­det wur­de und wird die­ser Schritt vor allem mit der demo­gra­fi­schen Ent­wick­lung. Zwar hat sich gera­de das pri­va­te Pen­si­ons­sys­tem in der der­zei­ti­gen Kri­se kräf­tig bla­miert und damit alle Kri­ti­ker bestä­tigt, zu glau­ben, damit sei das The­ma erle­digt, ist jedoch naiv. Dazu sind die Sum­men, um die es für die Finanz­wirt­schaft geht, schlicht zu hoch. Im Kurier wird der übli­chen und üblen Pro­pa­gan­da ein­mal mehr Platz gege­ben. Das Fazit des Kom­men­tars: „Nicht zuletzt ist die Eigen­in­itia­ti­ve gefragt: Wer sich allein auf das öffent­li­che Ren­ten­sys­tem des Jah­res 2030 oder 2040 ver­lässt, könn­te bit­ter ent­täuscht wer­den. Nun hat auch die pri­va­te Vor­sor­ge ihre Kos­ten und Fal­len. Doch nie­mand soll­te sich täu­schen las­sen: Die ›Ren­ten­ga­ran­tien‹ der heu­ti­gen Poli­ti­ker­ge­nera­ti­on gel­ten in 30 Jah­ren garan­tiert wenig.“ Aha. Pri­va­te Vor­sor­ge gegen die Demo­gra­fie, wenn­gleich mit „Kos­ten und Fal­len“.  Auch wenn es müh­sam ist sei­en an die­ser Stel­le noch ein­mal ein paar Fak­ten dargestellt:


  1. Die Ver­schie­bung der Bevöl­ke­rungs­struk­tur ist kei­nes­falls eine neue Ent­wick­lung. Die deut­sche Gewerk­schaft ver.di hat dies in einer Bro­schü­re schön dar­ge­stellt: „Vor über hun­dert Jah­ren kamen auf eine Per­son über 65 Jah­ren rund zwölf Erwerbs­fä­hi­ge. 2000 sind es gera­de noch vier“ (S. 8). Nach der Demo­gra­fie-Logik müss­te es einem Rent­ner bzw. einer Rent­ne­rin vor hun­dert Jah­ren dem­nach blen­dend gegan­gen sein. Tat­säch­lich ist der Wohl­stand heu­te aber erheb­lich höher. Die Fra­ge der Höhe der Alters­pen­sio­nen ist jeden­falls nicht line­ar von der Bevöl­ke­rungs­zu­sam­men­set­zung abzuleiten.

  2. Die Finan­zier­bar­keit der Alters­pen­sio­nen lei­tet sich viel­mehr von der volks­wirt­schaft­li­chen Wert­schöp­fung und deren Ver­tei­lung ab. Die Wert­schöp­fung wie­der­um hängt auch an der Anzahl der Beschäf­tig­ten, aber eben auch an der Fra­ge der Pro­duk­ti­vi­tät. Je höher die­se ist, des­to weni­ger Arbeits­kraft wird für den Erhalt des Wohl­stands­ni­veaus benötigt.

  3. Wie wer­den eigent­lich die Ren­di­ten der kapi­tal­ge­deck­ten Ren­ten erwirt­schaf­tet? Ver­mut­lich wird das Geld in eine Kis­te gesteckt, in die­ser Kis­te arbei­tet es dann ein paar Jah­re und man kann es zum Zeit­punkt der Pen­sio­nie­rung samt Zin­sen aus die­ser Kis­te her­aus­neh­men. Oder wie soll man das ver­ste­hen, dass das Geld für einen arbei­tet? Das ist natür­lich ziem­li­cher Quatsch, die Ren­di­te für kapi­tal­ge­deck­te Sys­te­me wird von der arbei­ten­den Bevöl­ke­rung erwirt­schaf­tet. Die­se unter­liegt jedoch der demo­gra­fi­schen Ver­än­de­rung genau­so wie die Ein­zah­le­rin­nen und Ein­zah­ler in das staat­li­che Sys­tem – schlicht, weil es um die­sel­be Popu­la­ti­on geht. Der ein­zi­ge Aus­weg aus die­sem Dilem­ma ist ein Ren­ten­im­pe­ria­lis­mus: Man kann das Geld im Aus­land „für sich arbei­ten las­sen“ – bzw. die dor­ti­gen Arbeits­kräf­te. Das ist jedoch eine ande­re Debatte.

Wenn nun die kapi­tal­ge­deck­te wie auch die umla­ge­fi­nan­zier­te Ren­te von der demo­gra­fi­schen Ent­wick­lung tan­giert wird, was bedeu­tet das für die Sicher­heit der Ren­ten? Hat der Kurier doch recht mit sei­ner Skep­sis? Um die Ant­wort vor­weg­zu­neh­men: Hat er nicht. Die Fra­ge der Höhe der staat­li­chen Alters­pen­sio­nen ist eine Fra­ge der Ver­tei­lung. Neh­men wir an, die Wirt­schaft wächst in Zukunft pro Jahr im Schnitt um ledig­lich 1%. Bei gleich­blei­ben­der Ver­tei­lung haben dann alle 1% mehr: Die Arbeit­neh­me­rin­nen und Arbeit­neh­mer, die Sozi­al­leis­tungs­be­zie­he­rin­nen und –bezie­her, die Unter­neh­me­rin­nen und Unter­neh­mer und der Staat. Damit das BIP bei sin­ken­der Zahl der Arbei­ten­den tat­säch­lich steigt muss die Pro­duk­ti­vi­tät erhöht wer­den. Die ent­spricht der his­to­ri­schen Ent­wick­lung der Ver­gan­gen­heit: Trotz sin­ken­der Arbeits­zeit stieg der volks­wirt­schaft­li­che Reich­tum. Poli­tisch wäre dem­nach „nur“ zu ent­schei­den, dass die Pro­duk­ti­vi­täts­zu­wäch­se nicht voll­stän­dig den Unter­neh­mern und den Arbeit­neh­mern zur Ver­fü­gung ste­hen, son­dern eben auch dem Ren­ten- und Sozi­al­sys­tem.  Da Pro­blem ist also nicht das umla­ge­fi­nan­zier­te Sys­tem, son­dern die Rentenpolitik.


In der Aus­ein­an­der­set­zung geht es um viel Geld für die Finanz­wirt­schaft. Des­halb ist die Pro­pa­gan­da gegen das staat­li­che Umla­ge­sys­tem auch so aus­dau­ernd. Dabei wird auch ger­ne die Tat­sa­che ver­schwie­gen, dass die Mil­li­ar­den Euro in den Pen­si­ons­fonds, die Ren­di­te erwirt­schaf­ten sol­len, mit­ver­ant­wort­lich sind für die Bla­sen­öko­no­mie der Vergangenheit.

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Pflegt, Männer!

8. Mai 2009 – 16:09 Uhr

In der lau­fen­den Debat­te um neue Kon­junk­tur­pa­ke­te wird immer wie­der dar­auf ver­wie­sen, dass die stei­gen­de Arbeits­lo­sig­keit mehr­heit­lich Män­ner betrifft. Dies ist nicht ver­wun­der­lich, sind doch Män­ner eher in den nun stark von der Kri­se betrof­fe­nen Indus­trie­zwei­gen beschäf­tigt. Die For­de­rung nach einem Kon­junk­tur­pa­ket für sozia­le Dienst­leis­tun­gen lässt sich dem­nach ver­meint­lich leicht vom Tisch wischen – mit einem Aus­bau des Pfle­ge­an­ge­bots wür­de man den der­zeit Arbeits­lo­sen nicht hel­fen können.

Die­se Argu­men­ta­ti­on verwundert.

Es ist bekannt, dass die demo­gra­fi­sche Ent­wick­lung eine dau­er­haf­te und nach­hal­ti­ge Lösung erfor­dert. Es ist bekannt, dass der Pfle­ge­sek­tor ein schnell wach­sen­der und zukunfts­träch­ti­ger sowie beschäf­ti­gungs­in­ten­si­ver Sek­tor ist. Es ist bekannt, dass Frau­en die Haupt­last der Pfle­ge tra­gen, for­mell wie infor­mell. Es ist bekannt, dass der­zeit eine Berufs­grup­pe in den Pfle­ge­be­ru­fen beson­ders gesucht wird, die der Heim­hil­fen. Dies ist eine Berufs­grup­pe, die rasch aus­ge­bil­det und ein­ge­setzt wer­den kann. Und es ist bekannt, dass Pfle­ge­dienst­leis­ter expli­zit Män­ner in Pfle­ge­be­ru­fen suchen, da für pfle­ge­be­dürf­ti­ge Men­schen männ­li­che Ansprech­part­ner der­zeit nur in Form von Heim­lei­tern und Zivil­die­nern ver­füg­bar sind.

Was spricht also gegen Män­ner in der Pfle­ge? Der nied­ri­ge Lohn? Die häu­fi­ge Teil­zeit­be­schäf­ti­gung? Die kör­per­lich anstren­gen­den Tätig­kei­ten? Oder ist es ein­fach nur so, dass man sich Män­ner im Frau­en­be­ruf „Pfle­ge“ nicht vor­stel­len kann?

Es ist erstaun­lich, mit wel­cher Leich­tig­keit die For­de­rung nach einem sinn­vol­len Aus­bau von sozia­len Dienst­leis­tun­gen ent­ge­gen getre­ten wird. Ein Kon­junk­tur­pa­ket sozia­le Dienst­leis­tun­gen wür­de vie­le posi­ti­ve Effek­te brin­gen. Eine den Bedürf­nis­sen der Men­schen ange­pass­te Pfle­ge und Betreu­ung, Beschäf­ti­gung und Wachs­tum auch für struk­tur­schwa­che Regio­nen und Ent­las­tung für Per­so­nen, die sich der­zeit infor­mell um Pfle­ge­be­dürf­ti­ge bemühen.

Und all jenen Män­nern, die sich Sor­gen um das „explo­die­ren­de Bud­get­de­fi­zit“ machen, sei gesagt, dass auch ihre Wahr­schein­lich­keit, pfle­ge­be­dürf­tig zu wer­den, rela­tiv hoch ist. Sie wer­den es zu schät­zen wis­sen, wür­den wir heu­te die rich­ti­gen Inves­ti­tio­nen tätigen.

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Budgetk(r)ampf , Teil 2

8. Mai 2009 – 13:24 Uhr

Mit die­sem Bud­get stel­len wir sicher: Nie­mand wird im Regen ste­hen gelassen.“
Zu die­ser Aus­sa­ge hat sich Finanz­mi­nis­ter Pröll hin­rei­ßen lassen.

Kann er dies auch einhalten?

Als Beleg für die­se Behaup­tung wer­den immer die beschlos­se­nen Kon­junk­tur­pa­ke­te her­an­ge­zo­gen. Wie effek­tiv sind die­se aber?

Zu den Kon­junk­tur­pa­ke­ten wer­den ja fast alle dis­kre­tio­nä­ren Maß­nah­men gezählt, die seit letz­tem Früh­ling beschlos­sen wur­den. Dies ist aller­dings nicht über­mä­ßig kor­rekt. Als der so genann­te „Oster­frie­den“ unter Kanz­ler Gusen­bau­er geschlos­sen wur­de, der auch die Sen­kung der Arbeits­lo­sen­ver­si­che­rungs­bei­trä­ge für Nied­rig­ver­die­ne­rIn­nen beinhal­tet, war von einer Wirt­schafts­kri­se noch nicht viel die Rede. Jeden­falls wur­den die Maß­nah­men nicht im Zusam­men­hang mit einer sich abzeich­nen­den Kri­se beschlos­sen. Bis Herbst waren alle über die hohe Infla­ti­on in Öster­reich besorgt, es wur­den Infla­ti­ons­be­kämp­fungs­maß­nah­men beschlossen.

Die „neue“ Regie­rung – das Kabi­nett Fay­mann-Pröll – hat lt. OeNB Maß­nah­men gesetzt, die einen Kon­junk­tur­ef­fekt von 0,6% heu­er und 1,1% nächs­tes Jahr aus­lö­sen wer­den. Gut, sei­en wir ein­mal nicht so klein­lich und schla­gen wir auch die „Anti-Teue­rungs-Pake­te“ den Kon­junk­tur­pa­ke­ten dazu. Wenn auch die unter dem Titel „Anti-Teue­rung“ beschlos­se­nen Maß­nah­men von 2008 mit­ge­zählt wer­den, ergibt sich ein Kon­junk­tur­ef­fekt von 0,8% im Jahr 2009 und 1,4% des BIP 2010. Ist die­ser Effekt wirk­lich berau­schend? Immer­hin wer­den ange­kün­dig­te 6,6 Mrd. Euro (2,2% des BIP) heu­er und 6,9 Mrd. (2,4% des BIP) nächs­tes Jahr aus­ge­ge­ben. Damit wer­den kumu­lie­rend 25.000 Arbeits­plät­ze geschaf­fen. Ist es wirk­lich effek­tiv, dass wir heu­er 2,2% des BIP inves­tie­ren, um einen Wachs­tums­ef­fekt von 0,8% des BIP zu errei­chen? Und die­ser dann nicht mehr als 12.000 Arbeits­plät­ze bringt? Ganz ehr­lich: das soll ein Kon­junk­tur­pa­ket sein?

Ein Kon­junk­tur­pa­ket, das auch als Recht­fer­ti­gung für – im Regie­rungs­pro­gramm unab­hän­gig von der Wirt­schafts­kri­se ohne­hin vor­ge­se­he­nen – Ein­spa­rungs­vor­ha­ben her­an­ge­zo­gen wird – weil es ja über­all an Geld fehlt, das für „Kon­junk­tur­be­le­bung“ frei gemacht wer­den muss.

Als Recht­fer­ti­gung für eine restrik­ti­ve Per­so­nal­po­li­tik des Bun­des: bis 2013 sol­len rund 1.800 Plan­stel­len ein­ge­spart wer­den, obwohl es wohl aus­ge­spro­chen wider­sin­nig ist, gera­de in der Kri­se Stel­len abzu­bau­en. Als Recht­fer­ti­gung für die „äußers­te Zurück­hal­tung bei den gestalt­ba­ren Ermes­sens­aus­ga­ben“, was vie­le von öffent­li­chen För­de­run­gen und Auf­trä­gen abhän­gi­ge Ver­ei­ne, Insti­tu­tio­nen und Insti­tu­te – und damit tau­sen­de Beschäf­tig­te – trifft. Ach ja, „wir spa­ren bei uns selbst“? Wer ist denn die­ses omi­nö­se „wir“? Wir alle sind „der Staat“. Und ja, wir mer­ken auch, dass jetzt schon gespart wird. Die bedarfs­ori­en­tier­te Min­dest­si­che­rung fin­det in kei­nem der wirk­lich sehr dicken Bud­ge­tun­ter­la­gen auch nur eine Erwähnung.

Ande­rer­seits hät­te sich die Regie­rung auch eini­ges an wirk­lich teu­ren Maß­nah­men spa­ren kön­nen. Eine Steu­er­re­form, die kei­ne Reform ist, son­dern wie­der mal ein „Geschen­ke ver­tei­len“ an Grup­pen, die es wirk­lich nicht nötig hät­ten: Der Gewinn­frei­be­trag, der je nach Dar­stel­lung zwi­schen 150–300 Mio. Euro kos­ten wird, und damit den Selb­stän­di­gen neben der Tarif­ent­las­tung eine 2. Ent­las­tung bie­tet. Der Fami­li­en­frei­be­trag, der 220 Mio. Euro kos­tet und nur den Bes­ser­ver­die­nen­den was brin­gen wird, das Schie­ben der Bemes­sungs­grund­la­ge für den Spit­zen­steu­er­satz von 51.000 auf 60.000 Euro, was 120 Mio. Euro kos­ten wird, sogar die Ver­dop­pe­lung der Absetz­bar­keit der Kir­chen­bei­trä­ge wird unter den Begriff „Steu­er­re­form“ sub­su­miert und damit unter die kon­junk­tur­po­li­ti­sche Maßnahmen.

Viel Geld wird also aus­ge­ge­ben. Aller­dings – wie bereits beschrie­ben –wenig ziel­ge­rich­tet und mit nied­ri­ger Beschäftigungswirkung.

Immer wie­der wird ins Tref­fen geführt, dass so früh gehan­delt wur­de. Die öko­no­mi­schen Bedin­gun­gen haben sich aller­dings wei­ter dra­ma­tisch ver­schlech­tert: Als das letz­te so genann­te Kon­junk­tur­pa­ket ange­dacht wur­de, gin­gen die Wirt­schafts­for­schungs­in­sti­tu­te noch von rund 30.000 Arbeits­lo­sen zusätz­lich aus. Jetzt wird schon mit annä­hernd 100.000 Per­so­nen gerech­net. Und die Pro­gno­sen wer­den schlech­ter, nicht bes­ser. Trotz­dem wur­den seit­her kei­ne zusätz­li­chen Kon­junk­tur­pa­ke­te beschlos­sen. Einen umfas­sen­den Schutz­schirm gibt es bis jetzt nur für die Ban­ken und die Banker.

Vie­le wer­den dage­gen im Regen ste­hen bleiben.

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