Stress Test
Heute werden in den USA die lange erwarteten Stress Tests der Banken veröffentlicht. Oder werden sie? Als Treasury Secretary Timothy Geithner die Tests vor 12 Wochen ankündigte, reagierten die Märkte – und an denen misst sich die Regierung Obama offensichtlich – positiv. Inzwischen gibt es Zweifel am Effekt der Übung. Für Geithner besteht die Gefahr, dass er entweder die Wahrheit sagt – und damit einen Bankrun auslöst –, oder so tut, als wäre alles in Ordnung – und damit seine Glaubwürdigkeit untergräbt.
Jon Stewart fasste das in der gestrigen Ausgabe von The Daily Show so schön zusammen: „Do you want to know how the financial system works – or do you want the financial system to work?“ Mir gefällt besonders die Analogie zur Heisenbergschen Unschärferelation.
Update, 7.Mai: Das Ergebnis beeindruckt in den Staaten niemanden. Der Unterschied zu Österreich: In den USA ist man scheinbar der Meinung, eine solche Medienveranstaltung zu benötigen. Hierzulande zieht man es vor, die Ergebnisse solcher Tests gleich gar nicht zu veröffentlichen.
Buchrezension: Reinhard Bispinck/Thorsten Schulten/Peeter Raane (Hrsg.): Wirtschaftsdemokratie und expansive Lohnpolitik – Zur Aktualität von Viktor Agartz
Wer war Viktor Agartz, welche wirtschaftspolitischen Konzepte vertrat er, und sind seine Überlegungen heute noch relevant? Ein kürzlich erschienener Tagungsband widmet sich diesen Fragen, und weist auf die Aktualität „klassischer“ sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik hin.
Viktor Agartz
Viktor Agartz (1897–1964) gilt als einer der einflussreichsten und bedeutendsten Wirtschaftspolitiker/innen der westdeutschen Gewerkschaften und Sozialdemokratie in der Nachkriegszeit. Im Zentrum seiner Überlegungen stand die soziale und demokratische Neugestaltung der BRD nach dem Zweiten Weltkrieg. Zu Agartz’ wichtigsten Konzepten gehören die expansive Lohnpolitik und die Wirtschaftsdemokratie.
In einem kürzlich erschienenen Sammelband zu einer Tagung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung und der Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW anlässlich des 110. Geburtstags von Viktor Agartz wird argumentiert, dass dessen zentrale Überlegungen heute noch von Relevanz sind.
Expansive Lohnpolitik
Für Agartz ist „jede expandierende Wirtschaft von der Gefahr bedroht, dass die Nachfrage hinter dem Warenangebot zurückbleibt“ (S. 154). Die Lohnpolitik ist in Agartz’ Vorstellung nicht einfach produktivitätsorientiert, sondern versucht, „die wirtschaftliche Expansion von sich aus zu forcieren, um durch bewusste Kaufkraftsteigerung eine Ausweitung der Produktion herauszufordern“ (S. 154). Zugleich wirke diese expansive Lohnpolitik als Strukturpeitsche, welche die Unternehmen zu höherer Produktivität zwinge. Agartz war stets auf die gewerkschaftliche Autonomie bedacht, und plädierte gegen die Unterordnung gewerkschaftlicher Tarifpolitik unter andere Ziele, denn der Lohn sei „immer ein politischer Lohn“.
Gleichzeitig sah er in der expansiven Lohnpolitik aber keine egoistische Interessenspolitik, sondern eine wachstumsfördernde strukturpolitische Erweiterung der damals keynesianisch geprägten Vorstellungen des ökonomischen Mainstream. Gegen die Kritik, dass Lohnerhöhungen über den Produktivitätsspielraum hinaus eine Lohn-Preis-Spirale in Gang setzen, wandte Agartz ein, dass die Preissetzung der Unternehmen nicht durch vollkommene Konkurrenz determiniert sei, sondern der jeweiligen Machtkonstellation folge. Es sei „Sache einer Regierung, Preissteigerungen durch eine aktive Preispolitik zu mildern oder zu verhüten.“ (S. 154) Expansive Lohnpolitik sei deshalb ein Instrument zur Begrenzung der Monopolrenten.
Wirtschaftsdemokratie
Nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs stand die Gründung einer neuen demokratischen Gesellschaftsordnung an. Für Agartz sollte die Demokratie aus drei Gründen nicht an den Fabrikstoren enden: Erstens stabilisiere Wirtschaftsdemokratie die stets gefährdete politische Demokratie. Zweitens ermögliche sie die Entwicklung der formalen zur lebendigen Demokratie. Und drittens befördere sie die Emanzipation der Lohn- und Gehaltsempfänger/innen von Untertan/innen zu selbstbewussten Bürger/innen.
Agartz’ Konzept der Wirtschafsdemokratie beinhaltete die Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien und von unten nach oben organisierte, demokratische Planungsinstitutionen, welche einen volkswirtschaftlichen Rahmenplan ausarbeiten sollen. Er sah weiters eine paritätische Besetzung und Demokratisierung der Aufsichts- und Kontrollbehörden sowie der Wirtschaftskammern vor. Zentral ist zudem die Ausweitung der paritätischen Mitbestimmung auf alle privaten und öffentlichen Betriebe. Schließlich befürwortete Agartz eine stärkere Regulierung der Märkte. Ziel Agartz’ war die Sozialisierung der Unternehmer/innen/funktion, nicht aber die Abschaffung der Marktwirtschaft.
Wirtschaftspolitik in der globalen Krise
Die Beiträge des Sammelbandes diskutieren engagiert Agartz’ Konzepte und die Frage ihrer heutigen Relevanz, da sie aber vor der aktuellen Krise geschrieben wurden, gehen sie nicht auf die mittlerweile stark veränderte Situation der Weltwirtschaft ein. Diese unterstreicht aber nur die notwendige Abkehr von neoliberalen Denkmustern, „klassische“ sozialdemokratische Wirtschaftspolitik erscheint vor diesem Hintergrund wieder modern. Aber auch wenn neuerdings alle Keynesianer/innen seien, ist vielerorts doch nur ein rudimentärer Keynes angekommen.
Die globale Wirtschaftsleistung befindet sich im freien Fall, die USA werden ihre bisherige Rolle als Hauptabnehmerin von Produkten exportorientierter Länder mittelfristig nicht länger spielen können. Steigende Arbeitslosigkeit erhöht den Druck auf die Löhne, was zu einem weitern Wegbrechen der Nachfrage führt. Im schlimmsten Fall mündet diese Entwicklung in eine Deflationsspirale und Depression. Soll dies vermieden werden, muss der länger anhaltende Nachfrageausfall von Seiten der USA durch expansive Finanz- und Lohnpolitik insb. in Ländern mit Handelsbilanzüberschüssen – v.a. China, Japan, Deutschland sowie einige kleinere EU-Staaten – kompensiert werden. Aus makroökonomischer Sicht sind höhere staatliche Investitions- und Konsumausgaben, sowie eine stabilisierende Lohnpolitik unabdingbar zur Eingrenzung dieser „Jahrhundertkrise“.
In dieser Hinsicht sind die im Buch diskutierten lohnpolitischen Vorstellungen aktueller denn je. Und auch wirtschaftsdemokratische Überlegungen gewinnen in diesem Umfeld an Charme. Ein wichtiger Kontrapunkt gegen die Kurzfristorientierung der Finanzmarktakteur/innen im Betrieb kann die Stärkung der Mitbestimmung sein. Und was spricht gegen die Ausweitung von Mitbestimmungs- und Demokratieelementen in öffentlichen Betrieben und Regulierungsbehörden? Warum sollten Betriebe, die öffentliche Hilfsgelder in Anspruch nehmen, nicht auf eine demokratisch bestimmte Sozialcharta verpflichtet werden?
„Wirtschaftsdemokratie und expansive Lohnpolitik – Zur Aktualität von Viktor Agartz“ von Reinhard Bispinck/Thorsten Schulten/Peeter Raane (Hrsg.) ist 2008 im VSA-Verlag Hamburg erschienen. Es umfasst 244 Seiten und kostet 17,80 EUR.
Prölls Kampfansage
Finanzminister Pröll hielt seine erste Budgetrede. Sie war eine Kampfansage. Eine Kampfansage an die Krise, wie er es bezeichnete?
Wohl kaum.
Die Konjunkturpakete, die die Regierung bis jetzt beschlossen hat, inkl. Steuerreform, dem letztjährigen „Osterfrieden“ und dem Maßnahmenpaket vom Herbst werden lt. OeNB eine Wachstumswirkung von 0,8% des BIP heuer, und 1,4% des BIP nächstes Jahr entfalten. Mit einem kumulierten Beschäftigungseffekt von 25.000 Personen 2010. Dabei waren schon im April über 300.000 Menschen in Österreich arbeitslos, wenn die SchulungsteilnehmerInnen mitgezählt werden. Es ist also nicht alles eine Konjunkturmaßnahme, auch wenn sie so bezeichnet wird. Aber das wäre einen eigenen blog wert.
Was gibt es Positives zu berichten? Die Budgets werden expansiv wirken, weil die automatischen Stabilisatoren wirken. Mehr Geld gibt es also in den Bereichen Arbeit und Sozialversicherung, aber auch Gesundheit, Bildung, Wissenschaft und Forschung.
Kaum jemand ist damit aber zufrieden, weil von den Maßnahmen des Regierungsprogramms, die unter Finanzierungsvorbehalt gestanden sind (und dies war der überwiegende Teil) kaum eine umgesetzt wird. Die Ermessensausgaben wurden zudem gekürzt und der Personalplan sieht bis 2013 Kürzungen von 1.800 Stellen vor, ausgenommen sind nur Bildung und Inneres. Ach ja, an Banken werden heuer 10.300 Mio. Euro ausbezahlt werden. Die sind allerdings zufrieden damit.
Warum war die Rede Prölls trotzdem eine Kampfansage? Die Kampfansage galt denen, die sich für Verteilungsgerechtigkeit in diesem Land einsetzen. „Man kann sicherlich vieles über Österreich behaupten, aber doch sicher nicht, dass es unserem Land an Verteilungsgerechtigkeit mangelt …“, ist da nachzulesen. Und „Die wirklich wichtige Frage ist daher nicht: Wer zahlt die Krise?“ Sondern? „Die entscheidende Frage kann doch nur sein: Wie können wir diese Krise möglichst schnell überwinden? Und auch hier kann die Antwort nur sein: Wir alle gemeinsam.“
Wieso sollen wir nicht darüber reden, wer die Krise bezahlen soll? Fast gleichzeitig mit dem Budget ist das Stabilitätsprogramm an die EU verschickt worden, wo die Regierung schreibt, dass sie das Defizit bis 2012 wieder unter 3 Prozent bringen will. Was heißt das? Das nächste Budget wird schon ein Konsolidierungsbudget. Die ÖVP wehrt sich, Steuern zu erhöhen. Zur Erinnerung: Als 1997 erstmals das Maastricht-Defizit unter 3% gedrückt wurde, lag die Abgabenquote bei 44,4 Prozent. Als 2001 der unvergleichliche Karl Heinz Grasser ein Nulldefizit schrieb, lag die Abgabenquote gar bei 45,3 Prozent. Beide Male war die ÖVP in der Regierung.
Für 2010 und die Folgejahre ist allerdings eine Abgabenquote von 41,2 Prozent prognostiziert – kein Wunder, gehen doch die Steueraufkommen aus Körperschaftssteuer, veranlagter Einkommenssteuer – nicht zuletzt aufgrund von Steuerprivilegien – und Kapitalertragssteuer dramatisch zurück. Bei einem Defizit von 4,7% des BIP, dies soll auch in den Folgejahren noch so hoch sein. Wenn also einnahmenseitige Maßnahmen getroffen werden würden, um die 3%-Grenze zu erreichen, würde die Abgabenquote wieder auf ca. 43% steigen. Dort lag sie 2008 auch. Sie liegt damit weit unter 1997 und 2001. Trotzdem legt sich die ÖVP quer.
Die ÖVP macht eine Kampfansage, nicht an die Krise, sondern an den Sozialstaat. Dieser verteilt in Österreich vor allem ausgabenseitig um. Und dort soll gekürzt werden. Weil es für die ÖVP, wie wir gelernt haben, an vielem mangelt, aber an Verteilungsgerechtigkeit in Österreich noch viel zu viel gibt.
Mehr Brutto!
Auf seinen Postkarten zum Thema „Raus aus der Krise!“ fordert der ÖGB Oberösterreich unter anderem eine Senkung der Lohnsteuer. Ähnliches konnte man am 1. Mai in Wien hören. Nun ist natürlich nichts dagegen einzuwenden, das Steuersystem zu reformieren. Es muss aber klar sein, dass eine Lohnsteuersenkung immer auch den Spitzensteuerverdienern zu Gute kommt. Denn auch sie zahlen für die ersten 11.000 Euro keine Einkommensteuern, für die folgenden Euro dann den Eingangssteuersatz usw. und erst der 60.001. Euro wird mit dem Spitzensteuersatz belastet. Wird der Eingangssteuersatz gesenkt, dann zahlt auch der Einkommensmillionär weniger Einkommensteuern. Zudem muss der Staat die aus der Steuersenkung resultierenden Mindereinnahmen langfristig über Ausgabenkürzungen oder andere Steuern kompensieren.
Um die gewaltigen Ausgaben zu finanzieren, die einerseits notwendig sind, um die Krise zu überstehen, die andererseits aber auch notwendig sind, um bspw. das Sozialsystem auszubauen und die öffentliche Daseinsvorsorge wieder in die öffentliche Hand zu überführen, braucht der Staat jedoch Mehreinnahmen. Daher sollte über eine Anhebung des Spitzensteuersatzes nachgedacht werden – also über höhere Einkommensteuern. So können die SpitzenverdienerInnen stärker an der Finanzierung öffentlicher Ausgaben beteiligt werden.
Das Ziel des ÖGB ist eine neue Verteilung der Steuerlast. ArbeitnehmerInnen sollen entlastet werden, im Gegenzug sollen andere Steuern erhöht werden. Höhere Steuern auf Vermögen sind hierbei ein richtiger Schritt. Die Lohnsteuern zu senken kann aber keine sinnvolle Forderung sein, da ein Ziel auch staatliche Mehreinnahmen sind.
Steuerpolitik kann und muss auch für Umverteilung genutzt werden – die Debatte über die Vermögensbesteuerung macht dies deutlich. Allerdings kann Umverteilung nur stattfinden, wenn ein Verteilungskampf auch geführt wird. Originäre Aufgabe der Gewerkschaften ist dabei die Tarif- und nicht die Steuerpolitik. Die Forderung muss lauten: Mehr brutto (und nicht: Mehr Netto vom Brutto). Aufgabe der Gewerkschaften ist es, über gute Lohnabschlüsse auch dafür zu sorgen, dass die Verteilung zwischen Kapital- und Arbeitseinkommen zu Gunsten der Arbeit verschoben wird. Diese Auseinandersetzung mit der Arbeitgeberseite gilt es zu führen – und nicht den Verteilungskampf ArbeitnehmerInnen gegen Staat.
Risiko
Seit Ulrich Beck 1986 mit der Veröffentlichung seiner Risikogesellschaft einen akademischen Volltreffer gelandet hat (Tschernobyl!), propagiert er diesen Gedanken wo immer man ihn lässt. Inzwischen ist ihm sein Trademark zur Weltrisikogesellschaft angewachsen. In einem Kommentar im Standard schreibt Beck von der Zukunft der EU und malt den Teufel an die Wand:
„Wenn Europa an der globalen Wirtschaftskrise zerbrechen sollte, dann wird es keine Grenzen geben für das Unglück, die Not und die Schande seiner Politiker und fünfhundert Millionen Menschen!“
Becks Intention ist sicher ehrenwert, er richtet sich gegen einen neuen Nationalismus und fordert eine „durch die Krise erneuerte EU“. Aber abgesehen vom schlechten Deutsch („Die Lage spitzt sich zu: entweder Mehr-Europa oder Nicht-Europa. Dieser Imperativ des möglichen Scheiterns [sic!] begründet die Hoffnung à la baisse“ und so weiter) hat Beck kein Argument anzubringen. Sondern nur, seien wir ehrlich, Ideologie:
„In der Weltrisikogesellschaft sind isolierte Nationalstaaten weder handlungsfähig noch überlebensfähig noch souverän.“ Und: „Nur eine durch die Krise erneuerte EU kann im Zusammenspiel mit der neuen US-Weltoffenheit Obamas glaubwürdig und wirkungsvoll die Regulierung der Finanzmärkte einfordern.“
Welche Regulierung? Hier mache ich einen radikalen Schnitt. Im gestrigen Podcast von Planet Money (den ich allen, die an der Wirtschaftskrise interessiert sind, wirklich ans Herz legen will) spricht Nassim Taleb, Autor von Black Swan, über seine Vorstellungen einer vernünftigen Regulierung der Finanzmärkte. Taleb spricht deutliche Worte (meine Transkription):
„Any product that relies on mathematical models will disappear or needs to disappear because we know nothing about these probabilities and the past of course is no indication and I proved it […]. This idea of using historical analysis is completely bogus and the idea of making an apriori theory of what a probability of events should be is also bogus, so we should abandon them. […] Ban these products!“
Taleb teilt nicht nur Becks optimistischen Blick auf die Obama-Administration nicht („The US government economists, they are not equipped to understand that environment [of the current crisis]. They are trained in conventional ways, they cannot understand it.“), er bringt auch konkrete Vorschläge zur Regulierung:
„We eventually need to be organized in a way that resembles Mother Nature with nothing too big to fail, with products that are much less sensitive to large deviation, namely, you know, just very simple financial products, and, what people don’t like, and I say sorry, but we can no longer afford debt. Debt doesn’t give you room for error. […] Unless you shut down the internet, unless you stop globalization, there is no room for errors. […] Debt is something that fragelizes the system. You have to choose: debt or globalization.“
Warum bringe ich diese beiden in allen Belangen ungleichen medialen Berichte? Interessant ist jeweils der Zugang zum Risiko. Für Ulrich Beck ist „das Risiko“ etwas gesellschaftlich Gegebenes, etwas Unhintergehbares. Man kann allenfalls darüber spekulieren, ob er zu diesem Schluss basierend auf seinen soziologischen Untersuchungen gekommen ist, oder ob es sich um die Propagierung seines wichtigsten Marketingprodukt handelt (self-fulfilling prophecy). Nassim Taleb hinterfragt die Evidenz, die Nowendigkeit von Risiko, und leitet politische Forderungen daraus ab. Das ist ungewöhnlich, und daher muten seine Vorschläge radikal an. Intellektuell ist es jedenfalls ungleich bereichender.
„Wir haben alle über unsere Verhältnisse gelebt“
Der deutsche Bundespräsident Horst Köhler hat einige Kritik geerntet, als er mit Blick auf die aktuelle Krise von sich gab: „Wir haben alle über unsere Verhältnisse gelebt.“ Dass der steigende Wohlstand eben nicht „allen“ zu Gute kam, sollte dabei auch Herr Köhler wissen: Die Reallöhne in Deutschland sind gesunken (!), die Steuern für Gewinne und hohe Einkommen auch. Aber der Arbeiter mit sinkendem Lohn trotz Produktivitätswachstum hat über seine Verhältnisse gelebt. Köhler strickt bereits an der Legende, dass eben nicht bspw. Deregulierung und eine ungleiche Einkommensverteilung, mithin ein spezifisches (neoliberales) Akkumulationsregime Schuld an der Krise sind, sondern der Normalbürger, der seinen Anteil am Wohlstand einfordert.
Diesen Subtext gibt es auch in Österreich. Hans Rauscher etwa kommt im Standard von der Finanzkrise über die Hacklerregelung zu folgender Aussage: „Und die gut Organisierten, die es sich in den Nischen und Winkeln des Sozialstaates gemütlich gemacht haben, betreiben eine Umverteilung mindestens so problematisch wie die Meinls.“ Zwar unterstellt Rauscher nicht, dass diese Menschen an der Krise Schuld seien. Dennoch ist die Funktion dieser Äußerungen klar: Die ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung ist gerechtfertigt, und schwarze Schafe gibt es nun mal überall. Daher müssen auch alle den Gürtel enger schnallen – wir werden die Forderungen nach Lohnverzicht schon bald zu hören bekommen, wenn es um die Finanzierung der Krise geht. Daher muss die Debatte genutzt werden, einige Forderungen auch durchzusetzen. Am lautesten diskutiert wird in Österreich derzeit die Vermögensteuer. Diese Debatte gilt es auszuweiten – auf Verteilung, Lohnpolitik und die Frage nach der Gesellschaft, in der wir leben möchten.
Hopebreak
Ich finalisiere grade einen Artikel für den kommenden Kurswechsel über die verschiedenen Massnahmenpakete der Regierung Obama. Im Grunde geht es dabei um drei Bereiche:
Erstens um eine etwas genauere Beschreibung der Vielzahl an Initiativen, die in den letzten sechs Monaten gestartet wurden. Neben dem Troubled Asset Relief Program (TARP), ein Vermächtnis von Hank Paulson (Treasury Secretary in der Bush Administration) sind inzwischen der Stimulus (American Recovery and Reinvestment Act, ARRA) abgesegnet sowie das Budget für Fiscal Year 2010 (beginnend mit 1.10.2009) im Kongress eingebracht worden. Daneben hat Ben Bernanke die Aufgabenbereiche der Federal Reserve Bank in beispielloser Weise erweitert (die Fed vergibt nun Kredite an Nichtbanken) und lässt wie verrückt Dollar drucken.
Zweitens die Vision der Obama-Administration und die Strategie, wie sie diese Vision umsetzen will. Obamas Ziel ist ein modernisierter, energiepolitisch unabhängiger Wohlfahrtsstaat. Vieles, was insbesondere im Prozess der Budgeterstellung vorgegeben wurde, wie die Gesundheitsreform, ist in der Tat ermutigend. Obama selbst hat von den fünf Säulen der Budgetreform gesprochen, und darin sind die maßgeblichen Veränderungen etwa im Budget des Pentagon noch gar nicht enthalten. Damit zur Strategie: Obama will die Krise für einen Umbau des politischen Systems und der Reichtumsverteilung nutzen, allerdings sich zugleich nicht mit der herrschenden Finanzoligarchie anlegen. Die Strategie ist daher, den Finanzsektor kurzfristig wiederherzustellen („restore the confidence“). Basierend auf diesem politischen wie ökonomimschen Erfolg sollen die weiterreichenden Ziele realisiert werden.
Drittens: Das Ziel ist gut gemeint, doch die Strategie hat mehrere Tücken:
- Zunächst: was, wenn sich das Finanzsystem gar nicht mehr in der bekannten Weise reparieren lässt? Bisher zeigen alle Äußerungen und Initiativen um Larry Summers und Tim Geithner, dass die Administration fest an einen bloßen Liquiditätsengpass bei den Banken glaubt (zuletzt etwa P‑PIP). Was aber, wenn sie insolvent sind?
- Außerdem widmet sich die Administration, insbesondere der Finanzminister, fast ausschließlich der Finanzkrise. Auch die Mengen an Geld, die bereits effektiv in diesen Sektor geschüttet wurden, übersteigen die projektierten Ausgaben für die Realwirtschaft und den gesellschaftlichen Umbau bei weitem.
- Nicht zuletzt zeigt der Skandal um die AIG-Bonuszahlungen, dass die Allianz mit der Finanzoligarchie für die politische Glaubwürdigkeit der Administration schwerwiegende Folgen haben kann.
- Und ganz generell stellt sich die Frage, ob reiner Pragmatismus wirklich ausreicht, um hochstehende Ziele zu erreichen. Obama scheint, abgesehen von markigen Worten, nicht bereit zu sein, irgend jemandem auf die Füsse zu steigen; nach dem kleinen ABC der politischen Ökonomie bedeutet das aber, dass die Hauptlast der Krise den Schwächsten zugespielt wird.
Die Situation sieht daher im Augenblick so aus, als würde die Regierung, bei allen enormen Anstrengungen, die sie unternimmt, einem überkommenen Schema folgen: „defering to big banks and prefering fiscal expansion“. Ein ebenso absehbarer wie unmittelbarer Effekt aus der Personalauswahl, die Obama bei Erstellung seines Wirtschaftsteams getroffen hat.
Noch ein Wort zur Informationslage: Diese ist in der Regel ausreichend, man könnte fast sagen: überwältigend. Die online-Quellen, aus denen ich meine Informationen beziehe, sofern sie im Artikel dann nicht genannt werden, sind – abgesehen von Newspapers wie Washington Post, NY Times, Politico – im wesentlichen NPRs Planet Money sowie die Prophets of Doom: baseline scenario (mit Simon Johnson), RGE Monitor (mit Nouriel Roubini), Paul Krugman.
PS: der Titel für diesen Blogentry stammt aus Naomi Kleins hübscher Sammlung an Obama-Neologismen.
Was hat die Finanzkrise mit der Einkommensverteilung zu tun?
Seit den frühen 80er Jahren ist es zu dramatischen Veränderungen in der Einkommensverteilung gekommen. In den meisten Ländern hat sich die Einkommensverteilung polarisiert – die Reichen sind reicher und die Armen (relativ) ärmer geworden. In praktisch allen Ländern ist die Lohnquote, d.h. der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen gesunken, in Österreich seit 1980 gar um mehr als 15 %. Schlimm, aber was hat das mit der Finanzkrise zu tun?
Auf den ersten Blick wenig, mag es scheinen. Die Finanzkrise wurde verursacht durch die Deregulierung der Finanzmärkte: Banken bündelten Hypothekarkredite, tranchierten sie und verkauften sie; unregulierte Hedge Fonds verschuldeten sich gewaltig und waren damit krisenanfällig; starke Kapitalzuflüsse in die USA, die diese zur Deckung ihres Leistungsbilanzdefizits benötigten, finanzierten die Spekulation … So, oder so ähnlich sind die gängigen Krisenerklärungen – alles Entwicklungen eines außer Rand und Band geratenen Finanzsektors.
Korrekt, aber der Fokus auf die Fehlentwicklungen im Finanzsektor droht dahinterliegende strukturelle Ursachen aus dem Bewusstsein zu verdrängen – und die haben viel mit der Veränderung der Einkommensverteilung zu tun.
Für den Großteil der Haushalte sind Lohneinkommen die Haupteinkommensquelle. Aus ihnen wird der Grossteil der Konsumausgaben finanziert. Bleiben die Löhne hinter dem Produktivitätswachstums zurück, so wird weniger konsumiert. Ökonometrische Schätzungen ergeben, dass Eine Umverteilung von 100 € von den Profiten zu den Löhnen zu rund 30 bis 40 € mehr Konsumausgaben führt.
Eine niedrigere Lohnquote bedeutet definitionsgemäß eine höhere Profitquote. Und höhere Profite führen zu mehr Investitionen. Kompensieren die höheren Investitionsausgaben nicht die gesunkenen Konsumausgaben? Nein; zwar führen höhere Gewinne tatsächlich zu mehr Investitionen, aber in einem bescheidenen Ausmaß. 100 € höhere Gewinne führen zu rund 10 € höheren Investitionen.
Kurz, die heimische Nachfrage stagniert, wenn die Löhne nicht steigen. Verschiedene Länder entwickelten unterschiedliche Strategien damit umzugehen. Etliche Länder, z.B. Deutschland und Japan, haben das schwache Wachstum der heimischen Nachfrage durch Exportüberschüsse kompensiert.
Das Problem: es können nicht alle Länder gleichzeitig Exportüberschüsse erzielen. Jedem Leistungsbilanzüberschuß muss ein Leistungsbilanzdefizit in einem anderen Land gegenüberstehen. Irgendwer muss importieren. Es waren die angelsächsischen Ländern, allen voran die USA, die sich als Wachstumsmotor der Weltwirtschaft etablierten. Waren in diesen Ländern die Löhne etwa stärker gewachsen? Nein, im grossen und ganzen nicht. Aufgrund ihres Immobilienmarktes und ihres Finanzsystem entwickelten diese Länder mit der Deregulierung des Finanzsektors ein scheinbar brillantes System der Nachfrageankurbelung: der Konsum wurde kreditfinanziert und die Kredite durch steigende Immobilienpreise besichert. Dieses kredit-finanzierte Wachstums ging gut, solange die Hauspreise weiter stiegen. Als diese zu fallen begannen, begannen auch die Banken zu krachen.
Wie finanzierten die Banken eigentlich dieses Kreditwachstum? Größtenteils nicht über Einlagen, sondern indem sie die Kredite weiterverkauften, teils in Form recht komplizierter Wertpapiere. Und wer kaufte eigentlich diese Papiere? Zu einem Teil internationale Anleger. Das muß so sein: ein Land das Exportüberschüsse (an Gütern) hat, muß auch Kapital exportieren. Indirekt finanzierten damit China, Japan und Deutschland die Kredite für die Immobilienblase. In einem vernünftigen Wechselkurssystem hätten der US-Dollar schon vor Jahren abwerten müssen. Aber im heutigen System sind die Wechselkurse den Märkten überlassen. Die Aussenhandelsungleichwichte konnten damit in ungewohnte Höhen steigen.
Fassen wir also zusammen: Einige Länder, in denen wegen Lohnzurückhaltung die heimische Nachfrage schwächelt, exportieren fleissig und finanzieren mit ihren Kapitalexporten die Kreditgenerierung in jene Länder, wo die Haushalte fleissig einkaufen, was sie sich wegen des geringen Lohnwachstums gar nicht leisten können und daher über Kredite finanzieren müssen. Insgesamt ein perverses System. Möglich wurde all dies durch die Deregulierung des Finanzsystems, aber auch durch eine Polarisierung der Einkommensverteilung.
Und die Moral von der Geschicht? Eine Reform des Finanzsystems kann daher nur ein Teil der Reparatur des Systems sein. Der andere Bereich der der Reparatur bedarf ist die Lohn- und Verteilungspolitik. Erst wenn die Löhne wieder mit der Produktivität wachsen ist ein wirtschaftliches Gleichgewicht möglich, das ohne spekulative Blasen und steigende Haushaltsverschuldung auskommt.
Staatseuphorie ohne Strategie
Zur Lage der Linken im Postneoliberalismus
Die aktuelle Wirtschaftskrise hat auch unter den politisch und ökonomisch Herrschenden – wie beispielsweise jüngst beim Weltwirtschaftsforum in Davos – eine intensive Auseinandersetzung darüber ausgelöst, was künftig verändert werden muss.
In der aktuellen Krise scheint es – zumindest auf den ersten Blick –, als würde das neoliberale Dogma eines Besseren belehrt. Aber auch wenn derzeit Banken verstaatlicht und Vorschläge für eine Reregulierung der Finanzmärkte diskutiert werden, so ist doch weiterhin offen, inwieweit damit ein Gestaltungsanspruch staatlicher Politik gegen die Interessen der starken Kapitalgruppen einhergeht. Denn es handelt sich zuvorderst – bei aller ruinösen Konkurrenz – um eine Krisenintervention im Interesse der dominanten Kräfte.
Im Grunde geht es hier um die Neuauflage eines keynesianischen Programms, bei dem der Staat korrigierend in ökonomische Zyklen und die Macht des Kapitals eingreift. Im Zuge der unter Linken derzeit grassierenden Staatseuphorie sind Reflexionen über die sich verändernden Formen der Staatsintervention seit den 70er Jahren – und besonders in der aktuellen Krise – ausgesprochen selten anzutreffen. Die Vorschläge der Krisenbearbeitung bleiben weitgehend makroökonomisch ausgerichtet. Letztlich verbirgt sich hinter den meisten Diagnosen eine diffuse Hoffnung auf die Einsichtsfähigkeit der politischen und ökonomischen Eliten. Bei realistischer Betrachtung erweist sich diese Hoffnung jedoch als Illusion.
Nicht zufällig kommt das Problem der Hegemonie in den meisten aktuellen Diagnosen nicht vor. Krisen bedeuten nicht unbedingt eine Abkehr von der herrschenden Politik, sondern führen oft zu deren gradueller Erneuerung und festigen auf diese Weise die zugrunde liegenden Herrschaftsverhältnisse. Antonio Gramsci nannte das eine „passive Revolution“, in der Zustimmung zur „großen Politik“ und makroökonomischen Entwicklung, aber auch hinsichtlich alltäglicher Orientierungen und Praktiken ausgearbeitet wird. Hier liegt denn auch der Kern des erfolgten neoliberalen Gesellschaftsumbaus. Er bestand ja nicht zuletzt darin, den Markt- und Konkurrenzimperativ tief in der Gesellschaft, ja bis in die Subjekte hinein zu verankern. Das ist mit der Krise nicht vorbei.
Der Staat ist aus herrschender Perspektive teilweise ein Opfer, vor allem jedoch ein Problemlöser, eine neutrale Instanz und den gesellschaftlichen Allgemeininteressen verpflichtet. Der Staat soll’s richten: Dieses Verständnis dominiert derzeit auch die Diskussion um die Finanzmarktkrise. Demgegenüber versteht eine kritische Analyse den Staat gerade nicht als „neutrale Instanz“, sondern als soziales Verhältnis oder genauer: als institutionell verdichtetes gesellschaftliches Kräfteverhältnis, in dem die herrschenden Kräfte dominieren und ihre Interessen leichter durchsetzen können als die schwächeren Akteure.
Der Staat, insbesondere in den OECD-Ländern, hat die Globalisierung kräftig vorangetrieben und wurde zum „nationalen Wettbewerbsstaat“ (Joachim Hirsch) transformiert.
Durch die Staatsintervention werden Unternehmensverluste sozialisiert (Bankenrettungsschirme), und die Krise selbst wird von mächtigen Konzernen dazu genutzt, geschwächte Konkurrenten zu erwerben (beispielsweise der Kauf der Dresdner Bank durch die Commerzbank).
Währenddessen gilt der Schutz der von Arbeitslosigkeit Bedrohten (von symbolisch und für die herrschende Politik wichtigen Kämpfen wie jenen um Opel abgesehen) oder der im Zuge der Hypothekenkrise ihre Häuser verlierenden Menschen als nachrangig.
Die kapitalistische Entwicklung produziert jedoch nicht nur Krisen, sondern auch ihre eigenen Gegenkräfte in Form von Widerstand und Alternativen. Diese können reaktionär oder gar faschistisch sein, aber auch emanzipatorisch und demokratisch.
Im Unterschied zu den staatszentrierten Krisendiagnosen plädiere ich daher dafür, die unterschiedlichen Vorschläge und Strategien zur Krisenbearbeitung mit dem Begriff des Postneoliberalismus zu fassen. Anders als im Diskurs vom „Ende des Neoliberalismus“ und der „Rückkehr des Staates“ geraten auf diese Weise die Brüche, aber eben auch die Kontinuitäten in den Blick. Kurz: Postneoliberale Strategien bedeuten nicht per se eine Abkehr von neoliberaler Politik; mit dem Begriff werden vielmehr unterschiedliche Optionen der Krisenbearbeitung in den Blick genommen. Dies erlaubt eine präzisere Einschätzung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse, die sich in einzelnen gesellschaftlichen Konfliktfeldern durchaus unterschiedlich ausformen.
Aus emanzipatorischer Perspektive geht es darum, Antworten auf die drängenden Probleme wie soziale Spaltung und Verarmung, Angst und die Privatisierung der Risikoabsicherung, ökologische Krise und Zunahme der Gewalt zu finden. Gleichzeitig gilt es, die herrschaftlichen Definitionen der „drängenden Probleme“ zurückzuweisen und zu verändern. Die Engführung der meisten Missstände auf die aktuelle Finanz- und sich anbahnende Wirtschaftskrise ist problematisch, denn eine solche Reduktion der Ursachen tendiert dazu, einen undemokratischen Etatismus zu begünstigen. Dieser setzt die soziale Spaltung fort bzw. vertieft sie weiter – nicht zuletzt auch dadurch, dass er die Krisen der Ökologie, der Integration, der Sicherheit und der Demokratie für zweitrangig erklärt.
Dieses Problem wird analytisch dadurch gewissermaßen „verdoppelt“, dass einer (guten) Realökonomie die aus dem Ruder gelaufenen (schlechten) Finanzmärkte gegenübergestellt werden, die es in Kombination mit progressiver Verteilungspolitik zu „entschleunigen“ gelte. Aber ist es denn überhaupt wünschenswert, rein makroökonomisch die Wirtschaft wieder „anzukurbeln“, anstatt die aktuellen Möglichkeiten dafür zu nutzen, eine qualitativ und von den komplexen Anreiz- und Bedürfnisstrukturen her ganz andere Lebensweise als die imperiale durchzusetzen?
Für alle Konfliktfelder und umfassende gegenhegemoniale Strategien gilt: Entscheidend wird sein, ob die Macht der Kapital- und Vermögensbesitzer – samt ihrer politisch-institutionellen, medialen und wissenschaftlichen Absicherung – wirklich in Frage gestellt werden kann und ob ein Umbau der Produktions- und Lebensweise akzeptiert wird. Denn eines sollte nicht übersehen werden: Der neoliberale Gesellschaftsumbau wurde und wird auch deshalb breit akzeptiert, weil er die imperiale Lebensweise der Bevölkerungsmehrheit in den Ländern des globalen Nordens und der Mittelklassen in den Ländern des globalen Südens absichert.
In der linken Diskussion sind alternative Ansätze kaum zu finden, werden die unterschiedlichen Krisendimensionen und Problemebenen bis heute nicht zusammengedacht. So wird der Widerspruch zwischen kurz- und mittelfristigen Kriseninterventionen und dem gleichzeitig notwendigen Umbau der Energie- und Ressourcenbasis des globalen Nordens nur selten benannt. Dies könnte in den kommenden Jahren das in vielerlei Hinsicht problematische Projekt eines „grünen New Deal“ zu der vermeintlich linken sozial-ökologischen „Alternative“ machen. Hier liegt eine große intellektuelle, strategische und politische Aufgabe.
Der weitreichenden Entpolitisierung muss mit einer gesellschaftlichen Mobilisierung entgegengearbeitet werden, deren Voraussetzung es ist, die „Parzellierung“ der gesellschaftlichen Probleme in Politikbereiche und entsprechende Lösungsansätze aufzuheben.
(Eine Langversion des Beitrags erschien in „Blätter für deutsche und internationale Politik“, April 2009).
Is America doomed? Or Austria?
Der Kommentar des (neo-)konservativen Kolumnisten Charles Krauthammer hat es (in Auszügen) bis in den Standard geschafft, weil er eine Wortmeldung der hiesigen Innenministerin als Ausweis für die außenpolitische Inkompetenz Barack Obamas hält. Krauthammers Anmerkung steht im Kontext der amerikanischen Kritik an Obamas Europareise, wie bei Cafe Critique unterstrichen wird. Über Krauthammers Position lässt sich natürlich streiten.* Meines Erachtens ist er eher einer jener leicht hysterischen Exzeptionalisten, die unter Bush jun. ihre große Zeit hatten und denen nun in der Krise die Legitimierung ihrer doch eher extremen Ansichten wegbricht. (Siehe dazu die exzellenten Bücher von Andrew Bacevich, The New American Militarism, sowie von Fred Kaplan, Daydream Believers.)
Das Interesse an Österreich jedenfalls ist in den USA tatsächlich größer als man denken möchte. Warum sonst schreibt Paul Krugman (der auch gern mal den Teufel an die Wand malt, aber von der anderen Seite) in seinem Blog über den bedenklich hohen Anteil an Verpflichtungen, den österreichische Banken in Osteuropa haben? Krugman zeigt einen simplen Chart, den ich gern einmal in einem österreichischen Medium gesehen hätte. Und er verweist darauf, dass ein Bail-out der Banken notwendig sein wird, um das Problem in den Griff zu kriegen. Jetzt sitze ich in den USA und frage mich: Wie wird das in Österreich diskutiert? Und: Warum haben amerikanische Intellektuelle in Bezug auf Österreich die Nase vorn?
(* Passage nachträglich korrigiert.)