Was hat die Finanzkrise mit der Einkommensverteilung zu tun?
Seit den frühen 80er Jahren ist es zu dramatischen Veränderungen in der Einkommensverteilung gekommen. In den meisten Ländern hat sich die Einkommensverteilung polarisiert – die Reichen sind reicher und die Armen (relativ) ärmer geworden. In praktisch allen Ländern ist die Lohnquote, d.h. der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen gesunken, in Österreich seit 1980 gar um mehr als 15 %. Schlimm, aber was hat das mit der Finanzkrise zu tun?
Auf den ersten Blick wenig, mag es scheinen. Die Finanzkrise wurde verursacht durch die Deregulierung der Finanzmärkte: Banken bündelten Hypothekarkredite, tranchierten sie und verkauften sie; unregulierte Hedge Fonds verschuldeten sich gewaltig und waren damit krisenanfällig; starke Kapitalzuflüsse in die USA, die diese zur Deckung ihres Leistungsbilanzdefizits benötigten, finanzierten die Spekulation … So, oder so ähnlich sind die gängigen Krisenerklärungen – alles Entwicklungen eines außer Rand und Band geratenen Finanzsektors.
Korrekt, aber der Fokus auf die Fehlentwicklungen im Finanzsektor droht dahinterliegende strukturelle Ursachen aus dem Bewusstsein zu verdrängen – und die haben viel mit der Veränderung der Einkommensverteilung zu tun.
Für den Großteil der Haushalte sind Lohneinkommen die Haupteinkommensquelle. Aus ihnen wird der Grossteil der Konsumausgaben finanziert. Bleiben die Löhne hinter dem Produktivitätswachstums zurück, so wird weniger konsumiert. Ökonometrische Schätzungen ergeben, dass Eine Umverteilung von 100 € von den Profiten zu den Löhnen zu rund 30 bis 40 € mehr Konsumausgaben führt.
Eine niedrigere Lohnquote bedeutet definitionsgemäß eine höhere Profitquote. Und höhere Profite führen zu mehr Investitionen. Kompensieren die höheren Investitionsausgaben nicht die gesunkenen Konsumausgaben? Nein; zwar führen höhere Gewinne tatsächlich zu mehr Investitionen, aber in einem bescheidenen Ausmaß. 100 € höhere Gewinne führen zu rund 10 € höheren Investitionen.
Kurz, die heimische Nachfrage stagniert, wenn die Löhne nicht steigen. Verschiedene Länder entwickelten unterschiedliche Strategien damit umzugehen. Etliche Länder, z.B. Deutschland und Japan, haben das schwache Wachstum der heimischen Nachfrage durch Exportüberschüsse kompensiert.
Das Problem: es können nicht alle Länder gleichzeitig Exportüberschüsse erzielen. Jedem Leistungsbilanzüberschuß muss ein Leistungsbilanzdefizit in einem anderen Land gegenüberstehen. Irgendwer muss importieren. Es waren die angelsächsischen Ländern, allen voran die USA, die sich als Wachstumsmotor der Weltwirtschaft etablierten. Waren in diesen Ländern die Löhne etwa stärker gewachsen? Nein, im grossen und ganzen nicht. Aufgrund ihres Immobilienmarktes und ihres Finanzsystem entwickelten diese Länder mit der Deregulierung des Finanzsektors ein scheinbar brillantes System der Nachfrageankurbelung: der Konsum wurde kreditfinanziert und die Kredite durch steigende Immobilienpreise besichert. Dieses kredit-finanzierte Wachstums ging gut, solange die Hauspreise weiter stiegen. Als diese zu fallen begannen, begannen auch die Banken zu krachen.
Wie finanzierten die Banken eigentlich dieses Kreditwachstum? Größtenteils nicht über Einlagen, sondern indem sie die Kredite weiterverkauften, teils in Form recht komplizierter Wertpapiere. Und wer kaufte eigentlich diese Papiere? Zu einem Teil internationale Anleger. Das muß so sein: ein Land das Exportüberschüsse (an Gütern) hat, muß auch Kapital exportieren. Indirekt finanzierten damit China, Japan und Deutschland die Kredite für die Immobilienblase. In einem vernünftigen Wechselkurssystem hätten der US-Dollar schon vor Jahren abwerten müssen. Aber im heutigen System sind die Wechselkurse den Märkten überlassen. Die Aussenhandelsungleichwichte konnten damit in ungewohnte Höhen steigen.
Fassen wir also zusammen: Einige Länder, in denen wegen Lohnzurückhaltung die heimische Nachfrage schwächelt, exportieren fleissig und finanzieren mit ihren Kapitalexporten die Kreditgenerierung in jene Länder, wo die Haushalte fleissig einkaufen, was sie sich wegen des geringen Lohnwachstums gar nicht leisten können und daher über Kredite finanzieren müssen. Insgesamt ein perverses System. Möglich wurde all dies durch die Deregulierung des Finanzsystems, aber auch durch eine Polarisierung der Einkommensverteilung.
Und die Moral von der Geschicht? Eine Reform des Finanzsystems kann daher nur ein Teil der Reparatur des Systems sein. Der andere Bereich der der Reparatur bedarf ist die Lohn- und Verteilungspolitik. Erst wenn die Löhne wieder mit der Produktivität wachsen ist ein wirtschaftliches Gleichgewicht möglich, das ohne spekulative Blasen und steigende Haushaltsverschuldung auskommt.
Staatseuphorie ohne Strategie
Zur Lage der Linken im Postneoliberalismus
Die aktuelle Wirtschaftskrise hat auch unter den politisch und ökonomisch Herrschenden – wie beispielsweise jüngst beim Weltwirtschaftsforum in Davos – eine intensive Auseinandersetzung darüber ausgelöst, was künftig verändert werden muss.
In der aktuellen Krise scheint es – zumindest auf den ersten Blick –, als würde das neoliberale Dogma eines Besseren belehrt. Aber auch wenn derzeit Banken verstaatlicht und Vorschläge für eine Reregulierung der Finanzmärkte diskutiert werden, so ist doch weiterhin offen, inwieweit damit ein Gestaltungsanspruch staatlicher Politik gegen die Interessen der starken Kapitalgruppen einhergeht. Denn es handelt sich zuvorderst – bei aller ruinösen Konkurrenz – um eine Krisenintervention im Interesse der dominanten Kräfte.
Im Grunde geht es hier um die Neuauflage eines keynesianischen Programms, bei dem der Staat korrigierend in ökonomische Zyklen und die Macht des Kapitals eingreift. Im Zuge der unter Linken derzeit grassierenden Staatseuphorie sind Reflexionen über die sich verändernden Formen der Staatsintervention seit den 70er Jahren – und besonders in der aktuellen Krise – ausgesprochen selten anzutreffen. Die Vorschläge der Krisenbearbeitung bleiben weitgehend makroökonomisch ausgerichtet. Letztlich verbirgt sich hinter den meisten Diagnosen eine diffuse Hoffnung auf die Einsichtsfähigkeit der politischen und ökonomischen Eliten. Bei realistischer Betrachtung erweist sich diese Hoffnung jedoch als Illusion.
Nicht zufällig kommt das Problem der Hegemonie in den meisten aktuellen Diagnosen nicht vor. Krisen bedeuten nicht unbedingt eine Abkehr von der herrschenden Politik, sondern führen oft zu deren gradueller Erneuerung und festigen auf diese Weise die zugrunde liegenden Herrschaftsverhältnisse. Antonio Gramsci nannte das eine „passive Revolution“, in der Zustimmung zur „großen Politik“ und makroökonomischen Entwicklung, aber auch hinsichtlich alltäglicher Orientierungen und Praktiken ausgearbeitet wird. Hier liegt denn auch der Kern des erfolgten neoliberalen Gesellschaftsumbaus. Er bestand ja nicht zuletzt darin, den Markt- und Konkurrenzimperativ tief in der Gesellschaft, ja bis in die Subjekte hinein zu verankern. Das ist mit der Krise nicht vorbei.
Der Staat ist aus herrschender Perspektive teilweise ein Opfer, vor allem jedoch ein Problemlöser, eine neutrale Instanz und den gesellschaftlichen Allgemeininteressen verpflichtet. Der Staat soll’s richten: Dieses Verständnis dominiert derzeit auch die Diskussion um die Finanzmarktkrise. Demgegenüber versteht eine kritische Analyse den Staat gerade nicht als „neutrale Instanz“, sondern als soziales Verhältnis oder genauer: als institutionell verdichtetes gesellschaftliches Kräfteverhältnis, in dem die herrschenden Kräfte dominieren und ihre Interessen leichter durchsetzen können als die schwächeren Akteure.
Der Staat, insbesondere in den OECD-Ländern, hat die Globalisierung kräftig vorangetrieben und wurde zum „nationalen Wettbewerbsstaat“ (Joachim Hirsch) transformiert.
Durch die Staatsintervention werden Unternehmensverluste sozialisiert (Bankenrettungsschirme), und die Krise selbst wird von mächtigen Konzernen dazu genutzt, geschwächte Konkurrenten zu erwerben (beispielsweise der Kauf der Dresdner Bank durch die Commerzbank).
Währenddessen gilt der Schutz der von Arbeitslosigkeit Bedrohten (von symbolisch und für die herrschende Politik wichtigen Kämpfen wie jenen um Opel abgesehen) oder der im Zuge der Hypothekenkrise ihre Häuser verlierenden Menschen als nachrangig.
Die kapitalistische Entwicklung produziert jedoch nicht nur Krisen, sondern auch ihre eigenen Gegenkräfte in Form von Widerstand und Alternativen. Diese können reaktionär oder gar faschistisch sein, aber auch emanzipatorisch und demokratisch.
Im Unterschied zu den staatszentrierten Krisendiagnosen plädiere ich daher dafür, die unterschiedlichen Vorschläge und Strategien zur Krisenbearbeitung mit dem Begriff des Postneoliberalismus zu fassen. Anders als im Diskurs vom „Ende des Neoliberalismus“ und der „Rückkehr des Staates“ geraten auf diese Weise die Brüche, aber eben auch die Kontinuitäten in den Blick. Kurz: Postneoliberale Strategien bedeuten nicht per se eine Abkehr von neoliberaler Politik; mit dem Begriff werden vielmehr unterschiedliche Optionen der Krisenbearbeitung in den Blick genommen. Dies erlaubt eine präzisere Einschätzung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse, die sich in einzelnen gesellschaftlichen Konfliktfeldern durchaus unterschiedlich ausformen.
Aus emanzipatorischer Perspektive geht es darum, Antworten auf die drängenden Probleme wie soziale Spaltung und Verarmung, Angst und die Privatisierung der Risikoabsicherung, ökologische Krise und Zunahme der Gewalt zu finden. Gleichzeitig gilt es, die herrschaftlichen Definitionen der „drängenden Probleme“ zurückzuweisen und zu verändern. Die Engführung der meisten Missstände auf die aktuelle Finanz- und sich anbahnende Wirtschaftskrise ist problematisch, denn eine solche Reduktion der Ursachen tendiert dazu, einen undemokratischen Etatismus zu begünstigen. Dieser setzt die soziale Spaltung fort bzw. vertieft sie weiter – nicht zuletzt auch dadurch, dass er die Krisen der Ökologie, der Integration, der Sicherheit und der Demokratie für zweitrangig erklärt.
Dieses Problem wird analytisch dadurch gewissermaßen „verdoppelt“, dass einer (guten) Realökonomie die aus dem Ruder gelaufenen (schlechten) Finanzmärkte gegenübergestellt werden, die es in Kombination mit progressiver Verteilungspolitik zu „entschleunigen“ gelte. Aber ist es denn überhaupt wünschenswert, rein makroökonomisch die Wirtschaft wieder „anzukurbeln“, anstatt die aktuellen Möglichkeiten dafür zu nutzen, eine qualitativ und von den komplexen Anreiz- und Bedürfnisstrukturen her ganz andere Lebensweise als die imperiale durchzusetzen?
Für alle Konfliktfelder und umfassende gegenhegemoniale Strategien gilt: Entscheidend wird sein, ob die Macht der Kapital- und Vermögensbesitzer – samt ihrer politisch-institutionellen, medialen und wissenschaftlichen Absicherung – wirklich in Frage gestellt werden kann und ob ein Umbau der Produktions- und Lebensweise akzeptiert wird. Denn eines sollte nicht übersehen werden: Der neoliberale Gesellschaftsumbau wurde und wird auch deshalb breit akzeptiert, weil er die imperiale Lebensweise der Bevölkerungsmehrheit in den Ländern des globalen Nordens und der Mittelklassen in den Ländern des globalen Südens absichert.
In der linken Diskussion sind alternative Ansätze kaum zu finden, werden die unterschiedlichen Krisendimensionen und Problemebenen bis heute nicht zusammengedacht. So wird der Widerspruch zwischen kurz- und mittelfristigen Kriseninterventionen und dem gleichzeitig notwendigen Umbau der Energie- und Ressourcenbasis des globalen Nordens nur selten benannt. Dies könnte in den kommenden Jahren das in vielerlei Hinsicht problematische Projekt eines „grünen New Deal“ zu der vermeintlich linken sozial-ökologischen „Alternative“ machen. Hier liegt eine große intellektuelle, strategische und politische Aufgabe.
Der weitreichenden Entpolitisierung muss mit einer gesellschaftlichen Mobilisierung entgegengearbeitet werden, deren Voraussetzung es ist, die „Parzellierung“ der gesellschaftlichen Probleme in Politikbereiche und entsprechende Lösungsansätze aufzuheben.
(Eine Langversion des Beitrags erschien in „Blätter für deutsche und internationale Politik“, April 2009).
Is America doomed? Or Austria?
Der Kommentar des (neo-)konservativen Kolumnisten Charles Krauthammer hat es (in Auszügen) bis in den Standard geschafft, weil er eine Wortmeldung der hiesigen Innenministerin als Ausweis für die außenpolitische Inkompetenz Barack Obamas hält. Krauthammers Anmerkung steht im Kontext der amerikanischen Kritik an Obamas Europareise, wie bei Cafe Critique unterstrichen wird. Über Krauthammers Position lässt sich natürlich streiten.* Meines Erachtens ist er eher einer jener leicht hysterischen Exzeptionalisten, die unter Bush jun. ihre große Zeit hatten und denen nun in der Krise die Legitimierung ihrer doch eher extremen Ansichten wegbricht. (Siehe dazu die exzellenten Bücher von Andrew Bacevich, The New American Militarism, sowie von Fred Kaplan, Daydream Believers.)
Das Interesse an Österreich jedenfalls ist in den USA tatsächlich größer als man denken möchte. Warum sonst schreibt Paul Krugman (der auch gern mal den Teufel an die Wand malt, aber von der anderen Seite) in seinem Blog über den bedenklich hohen Anteil an Verpflichtungen, den österreichische Banken in Osteuropa haben? Krugman zeigt einen simplen Chart, den ich gern einmal in einem österreichischen Medium gesehen hätte. Und er verweist darauf, dass ein Bail-out der Banken notwendig sein wird, um das Problem in den Griff zu kriegen. Jetzt sitze ich in den USA und frage mich: Wie wird das in Österreich diskutiert? Und: Warum haben amerikanische Intellektuelle in Bezug auf Österreich die Nase vorn?
(* Passage nachträglich korrigiert.)
Was spricht eigentlich gegen eine Vermögensteuer?
Es ist wird wieder einmal heftig über die Vermögensteuer diskutiert, doch der Optimismus, dass sie wirklich kommt, hält sich in Grenzen. Es stellt sich aber die Frage, was ökonomisch für oder gegen eine Besteuerung von Vermögen spricht.
Die Finanzierung öffentlicher Ausgaben ist gerade auch in Krisenzeiten unerlässlich, um soziale Leistungen auszubauen, Bildung und Kultur ausreichend zu finanzieren, öffentliche Infrastrukturprojekte realisieren zu können, eine aktive Arbeitsmarktpolitik zu betreiben kurz: Um den Lebensstandard der Menschen zu sichern. Diese Ausgaben sind grundsätzlich über Steuereinnahmen, zum Teil auch über eine staatliche Neuverschuldung zu realisieren. Und dabei muss gelten: Wer mehr hat, der hat auch eine größere Steuerlast zu tragen. Es ist daher schwer verständlich, warum Österreich auf Einnahmen aus Substanzsteuern – also aus Erbschafts- und Vermögensteuern – weitgehend verzichtet. Ein paar Argumente für die Debatte:
- Österreich ist bei der Besteuerung von Vermögen und Erbschaften (fast) Schlusslicht in der EU. 2006 wurden gerade einmal 0,6 des BIP durch diese Steuern eingehoben. Der Durchschnitt der EU lag 2006 bei knapp 2,0%, in Großbritannien waren es 4,6 Prozent des BIP (Standard vom 09.04.09). Bei einer Anhebung auf den EU-Durchschnitt würde Österreich 4 Mrd. Euro jährlich zusätzlich einnehmen.
- Vermögen sind extrem ungleich verteilt. Wer wirklich eine Umverteilung will, der muss in die Substanz dieser Vermögen eingreifen.
- Die Angst vor einer Vermögensteuer ist enorm. Menschen, die durch bessere öffentliche Leistungen profitieren würden, lehnen deren Finanzierung über eine Vermögensteuer dennoch ab. Dabei muss klar sein: Eine Vermögensteuer kann so ausgestaltet werden, dass kleinere und mittlere Vermögen steuerfrei bleiben. Dafür können entsprechende Freibeträge vorgesehen werden. Das Schüren der Angst vor Vermögensteuern ist interessengeleitet und nicht rational.
- Gegen die Vermögensteuer wird eingewandt, dass dieses Geld bereits versteuertes Einkommen sei und eine doppelte Besteuerung nicht zulässig ist. Nun wird aber jedes Einkommen bei Verausgabung mehrfach besteuert: Erst durch die Lohn- und Einkommensteuer, dann durch diverse Verbrauchsteuern (Mehrwertsteuer, Mineralölsteuer usw.). Es gibt keinerlei Begründung, warum das nicht so sein sollte. Daher können auch Vermögensteuern eingehoben werden, so denn der politische Wille da ist.
Neben der Frage der Einnahmen ist immer die Frage der Funktion zu beachten. Eine Besteuerung von Vermögen lässt sich einerseits aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip, andererseits aus dem Äquivalenzprinzip begründen. Aus Vermögen entstehen Leistungen wie bspw. Einkommen, Prestige, Macht, Sicherheit. Eine Person, die Leistungsfähiger ist, ist jedoch stärker zu besteuern. Dies ist kein Naturgesetz, aber eine politische Setzung. Diese gilt es zu verteidigen, weil das Leistungsfähigkeitsprinzip eine der zentralen Säulen eines Sozialstaates darstellt. Ein solcher kann nur bei Umverteilung funktionieren, denn wenn jede Gruppe für sich selbst sorgen muss, dann ist das kein Wohlfahrtsstaat mehr. Zudem leistet der Staat auch etwas für die Vermögenden: Er garantiert das Eigentum, er stellt die juristische und sächliche Infrastruktur zur Verfügung, die notwendig sind, dass Vermögen entstehen und existieren kann. Daher kann der Staat nach dem Äquivalenzprinzip auch Steuern auf Vermögen begründet einheben.
Es ist nicht einzusehen, dass Österreich auf die dringend benötigten Einnahmen aus der Vermögensteuern verzichtet. Die positiven Effekte – Einnahmesteigerung, gleichere Verteilung, weniger Kapitalakkumulation – sind groß und sollten die Politik dazu veranlassen, endlich zu handeln. Mit einem Verweis auf das Regierungsprogramm ist es nicht getan. Erstens ist es ein Fehler, dass dort keine Vermögensteuer benannt wird. Zweitens kann man Fehler korrigieren. Und Drittens ist die wirtschaftliche Situation eine deutlich andere als zum Zeitpunkt der Koalitionsverhandlungen.
G-20-Finanzgipfel: mehr Kontinuität als Wandel
Der G‑20-Gipfel zur Finanzkrise Anfang April in London brachte zwar etwas mehr als erwartet, blieb aber weit hinter den Notwendigkeiten zurück. Die Erwartungen waren durch die unterschiedlichen Interessenlagen und offen ausgetragenen Differenzen der zentralen internationalen Mächte gedämpft.
Die US-Regierung drängte im Vorfeld stark auf internationale Konjunkturpakete, zeigte aber wenig Enthusiasmus für weitgehende Regulierungsvorschläge. Das ist angesichts des hypertrophen US-Finanzsektors auch nicht überraschend. Neben fiskalischen Anreizen setzt die US-Regierung besonders stark auf die Wiederbelebung der Kreditmechanismen. Impulse sollen aus der Finanzsphäre kommen. In den letzten Jahrzehnten standen bei Wirtschaftsaufschwüngen in den USA nicht mehr die Industrie und die produktiven Investitionen im Vordergrund, sondern der Finanz- und Immobiliensektor. Die deutsche Bundesregierung zeigte sich gegenüber weiteren Konjunkturpaketen ablehnend und stellte stattdessen Regulierungsfragen in den Vordergrund. Die deutsche Ökonomie ist übermäßig stark auf den Export ausgerichtet und leidet jetzt stark unter den Exporteinbrüchen. Der deutsche Politik- und Wirtschaftsmainstream setzt weiter auf Exporte als Weg aus der Krise. Nur die Links-Partei, linke Gewerkschafter, globalisierungskritische Gruppen und einige kritische Ökonomen fordern eine Reorientierung auf den Binnenmarkt und starke fiskalische Impulse sowie eine expansive Lohnpolitik. Dies wird von der Bundesregierung abgelehnt. Sie negiert, dass die Krise auch etwas mit Verteilungsfragen – wie hohen anlagesuchenden Einkommen der oberen Mittelschichten und beim Konsum Kompensation niedriger Einkommen durch steigende Aufnahme von Konsumkrediten – sowie globalen Ungleichgewichten zu tun hat. Sie identifiziert als zentrale Ursache der Krise primär Fehlregulierungen der Finanzmärkte, die tatsächlich ein wichtiger, aber nicht der einzige wichtige Krisenfaktor waren. Bei der deutschen Position ist zu beachten, dass durch den internationalen Bedeutungsgewinn des angelsächsischen Finanzmarktmodells das deutsche Wirtschaftsmodell mit seinen traditionell engen Beziehungen zwischen Banken und Industrie erodiert war. Die chinesische Regierung zeigte sich angesichts der unkonventionellen und stark expansiven Geldpolitik der US-Zentralbank offen um die riesigen chinesischen Finanzanlagen in den USA besorgt. Aus China kamen erste Stimmen, welche die Rolle des US-Dollars als zentrale US-Reservewährung vorsichtig in Frage stellten.
Die Passagen zur wirtschaftlichen Stimulierung sind eher allgemein gehalten. Besonderes Gewicht legt die Abschlusserklärung auf die Wiederherstellung eines „normalen Kreditflusses“. Hierbei ist unklar, was „normal“ eigentlich bedeutet. Sollte hiermit die exzessive Kreditvergabe der letzten Jahre gemeint sein, würde dies die Fortsetzung eines grundsätzlich sehr krisenanfälligen Wirtschaftsmodells bedeuten. In den USA gibt es bereits jetzt Anstrengungen, den Handel mit innovativen Finanzaktiva, die in der Krise ihre destruktive Wirkung deutlich zeigten, mit staatlicher Hilfe wieder in Gang zu bringen. Einzelne Banken scheinen auf diese Politik, die auch den USA nicht unumstritten ist, anspringen zu wollen.
Etwas mehr Regulierung soll es allerdings auch geben. Das Financial Stability Forum soll zu einem Financial Stability Board (FSB) mit verstärktem Mandat ausgebaut werden. Das FSB soll sich unter anderem um den Aufbau eines Frühwarnsystems für die Finanzmärkte und die Veränderung der Aufsichtssysteme kümmern. Regulierung und Aufsicht sollen „auf alle systemisch wichtigen Finanzinstitutionen, ‑instrumente und –märkte“ ausgedehnt werden. Hierzu sollen auch „systemisch wichtige Hedgefonds“, die mit sehr hoher Kreditfinanzierung spekulativer Aktivitäten arbeiten, gehören. Was „systemisch wichtig“ ist, ist in der Erklärung nicht definiert und ziemlich interpretationsfähig. Von einer umfassenden Kontrolle kann so keinesfalls die Rede sein. Mehr Transparenz ist allein nicht ausreichend. Bereits vor der Krise waren Krisengefahren durchaus erkennbar, doch folgten keine präventiven Gegenmaßnahmen. Die Regulierungsbehörden zeigten sich allzu eng auf die Wünsche der Finanzwelt ausgerichtet. Notwendig wären ein Verbot verschiedener innovativer Finanzinstrumente sowie eine Genehmigungspflicht für neue Instrumente. Von entsprechenden Schritten ist in der Deklaration kein Wort zu finden. Auf Steuerparadiese soll verstärkter Druck ausgeübt werden. Hierbei wird eher auf die Unterbindung von Steuerflucht als auf den ebenfalls sehr wichtigen Aspekt der Regulierungsflucht abgestellt. Mangelnde Regulierung und Aufsicht machen neben steuerlich „paradiesischen“ Zuständen die Hauptattraktivität der Steuerparadiese auf. Vielfach handelt es sich bei diesen „Paradiesen“ übrigens um kleine Reste des kolonialen Imperiums Großbritanniens und der Niederlande.
Die vielleicht unmittelbar stärkste Wirkung des G‑20-Gipfels ist die Stärkung des IWF (und anderer internationaler Finanzinstitutionen). Über den IWF soll Liquidität für Länder der Semi-Peripherie (wie Teile Osteuropas oder Lateinamerikas) und der Peripherie bereitgestellt werden. Hierbei werden auch konkrete Summen genannt, die allerdings zum Teil nur Bekräftigungen bereits früherer Beschlüsse sind. Der IWF hat die Wirtschaftspolitiken, die zur gegenwärtigen Krise geführt haben, systematisch unterstützt. Wirtschaftspolitisch hat er seine Linie kaum korrigiert. Grundlegende Ursachen der Verschuldung von (semi-)peripheren Ökonomien gehen seine Programme nicht an, oftmals zementieren sie diese sogar. Die Stimmrechtsverteilung im IWF ist hochgradig undemokratisch zu Gunsten der Industrieländer (vor allem der USA) verzerrt und wird absehbar auch bei den angepeilten Stimmrechtsreformen höchst problematisch bleiben. Eine weit bessere Alternative wäre die Vergabe von Liquidität über UNO-Organisationen.
Das G‑20-Treffen zeigt geo-politische Verschiebungen an. Im Gegensatz zu den bisherigen G‑7-Treffen saßen große Länder des Südens mit am Tisch. China ist ein zwar noch recht diskreter, aber doch zentraler Akteur. Die US-Regierung ist zumindest zu Teilkompromissen gezwungen. Im Kern zeichnet sich ab, dass Kernelemente der Wirtschaftsmodelle der letzten drei Jahrzehnte bewahrt und um eine etwas verstärkte Kontrolle ergänzt werden sollen. Der kleinste gemeinsame Nenner ließe sich so beschreiben: So viel Kontinuität mit den Jahren des Neoliberalismus wie möglich und eine Begrenzung der Korrekturen auf das unvermeidlich Scheinende.
Regulierung ist nicht genug.
Für eine Demokratisierung der Debatte über Antworten auf die Krise
So manche kritische Gruppe sieht sich in der Diskussion um die aktuelle Finanzkrise in der Zwickmühle. Dass der Kapitalismus instabil ist und seine fortschreitende schwach regulierte Finanzialisierung (also der vergrößerte Stellenwert von Finanzmärkten für immer mehr Wirtschafts- und Lebensbereich) diese Instabilitätstendenz verstärkt, behaupten sie schon seit Jahr und Tag. Nun ist diese Diagnose (wieder einmal) durch eine Krise schlagartig ins allgemeine Bewusstsein getreten, und das Lob der Märkte, das gestern noch allgegenwärtig durch die Medien schallte, ist heute Hohn und Spott ausgesetzt.
Doch es ist verdächtig: Jene mächtigen Akteure, die den Karren an die Wand gefahren haben, machen sich vormals marginale kritische Diagnosen und Vorschläge zu eigen, als wäre nichts gewesen, und behalten ihre Posten…
BEIGEWUM-Forderungen zur Finanzkrise
27.10.2008
1. Umverteilung
Die aktuelle Krise ist nicht nur ein Versagen des Finanzsektors, sondern auch Ergebnis der zunehmenden Verteilungsschieflage der letzten Jahre… weiterlesen »