Warum die Bildungskarenz reformiert werden sollte!
Seit dem Krisenjahr 2009 erfreut sich die Bildungskarenz in Österreich steigender Beliebtheit – und der Trend hält auch 2011 weiter an. Wer kennt nicht jemanden in seinem Bekanntenkreis, der freudig bekundet: Ich bin für ein Jahr in Bildungskarenz! Ja, und was wäre auch auszusetzen daran, dass ArbeitnehmerInnen den Herausforderungen einer sich ständig wandelnden Arbeitswelt durch Weiterbildung begegnen? A priori natürlich wenig, erst ein genauerer Blick auf die Realitäten lässt Zweifel aufkommen und an Reformen denken.
1998 wurde die Bildungskarenz im Zuge einer Pensionsdiskussion eingeführt. Ur-sprüngliches Ziel war die intelligente Entlastung des Arbeitsangebotes. Wenn sich eine ArbeitnehmerIn mit einem Arbeitgeber einigt, dann besteht im Prinzip ein Rechtsanspruch auf Weiterbildungsgeld in Höhe des Arbeitslosengeldes, wenn eine Ausbildung, ein Kurs, ein Seminar im Ausmaß von mindestens 20 Wochenstunden (16 Stunden bei Betreuungspflichten) besucht wird. Bis 2008 blieb der „take-up“ releativ gering, in den meisten Jahren gingen weniger als 2000 Personen in Bildungskarenz. Mit der Krise änderten sich Muster und Ausmaß der Inanspruchnahme: 2009 und 2010 gingen jeweils ca. 11.000 in Bildungskarenz, v. a. Männer aus dem von der Krise besonders betroffenen Bereich „Herstellung von Waren“ in OÖ und Stmk. Sprunghaft stiegen allerdings auch die Ausgaben (inkl. Sozialversicherungsbeiträgen) des AMS von ca. €10 Mio. (2007) auf €108 (2010) an.
Einer aktuellen Studie des IHS (Lassnigg et. al. 2011, Evaluierung der Bildungskarenz 2000–2009, siehe: http://www.bmask.gv.at/site/Soziales/Statistische_Daten_und_ Studien/Studien/Arbeitsmarkt_Studien_) zufolge sind erstmals weitere Details zur Teilnahme und den Wirkungen der Bildungskarenz bekannt: Die BezieherInnen von Weiterbildungsgeld sind jünger und höher ausgebildet; sie kommen häufig aus den Wirtschaftsbereichen „Gesundheit/Soziales“ oder aus technischen Berufen; wenn den Ergebnissen der Befragung vertraut werden darf(?!), dann besuchen sie hochwertige und lange dauernde Kursen (durchschnittlich 9,5 Monate) – sie holen etwa die Matura nach, machen den Werkmeister, schließen ihr Studium ab, belegen eine berufsorientierten Kurs, etc.; insgesamt sind ca. 90% der TeilnehmerInnen „mit den Auswirkungen der Bildungskarenz sehr zufrieden“.
Wenn aber ohnehin alle zufrieden sind, warum sollte dann die Bildungskarenz reformiert werden?
• Weil die Bildungskarenz keinen Beitrag zur Korrektur der Schieflage in der beruflichen Weiterbildung leistet, ja sie zementiert vielmehr den „Matthäus-Effekt“ noch weiter ein, weil sie von Personen mit maximal Pflichtschulabschluss weit unterdurchschnittlich in Anspruch genommen wird, die Umverteilung also nach oben läuft. Oder anders gewendet: Die durchschnittliche Leistungshöhe liegt beim Weiterbildungsgeld mit ca. €863 monatlich um etwa 15% über dem Arbeitslosengeld, ca. 10% der BezieherInnen von Weiterbildungsgeld erhalten zwischen €1400–1500 im Monat. Überspitzt formuliert könnte man auch sagen, dass die Hauptschüler den Maturanten ihren Uni-Abschluss bezahlen.
• Weil auf Grund eines vermeintlich hohen Aufwandes und versicherungsrechtlicher Einwände weder der Kursbesuch, noch der Kurserfolg vom AMS überprüft werden – ein Umstand, der dem Missbrauch natürlich Tür und Tor öffnet. Zu Beginn der Karenz muss lediglich eine Bescheinigung über das Ausmaß der Weiterbildungsteilnahme von 20 Wochenstunden (wovon allerdings 12 Stunden als „Lern- und Studienzeiten“ angerechnet werden) vorgelegt werden, beim Studium genügt überhaupt nur die Inskriptionsbestätigung!
• Weil die IHS-Untersuchung hinsichtlich der kausalen Wirkungen der Bildungskarenz in Bezug auf Beschäftigung, Arbeitslosigkeit und Einkommen auch nach 7 Jahren Nachbeobachtung keine signifikant positiven Effekte finden konnte (einzige Ausnahme: Personen mit Lehrabschuss, die die Meisterprüfung ablegen). Das hängt einerseits zusammen mit den TeilnehmerInnen an Bildungskarenz, die im überwiegenden Ausmaß sehr stark in den Arbeitsmarkt integriert sind (stabile Beschäftigungskarrieren) aber andererseits möglicherweise auch mit fehlendem Ergebnisdruck und Missbrauch.
• Weil die Arbeitslosenversicherung kein Ersatz für ein mangelndes Hochschul-Stipendiumsystem sein kann: 2008 haben 43,9 aller Zugänge in Bildungskarenz ein Universitätsstudium begonnen, fortgeführt oder abgeschlossen.
• Und schließlich: weil ein € 100 Mio. Programm kein Pappenstiel mehr ist, die Frage nach Effektivität und Effizienz der Verwendung öffentlicher Mittel jedenfalls gestellt werden muss. Wird ja wohl noch erlaubt sein?