Trotz – bzw. gerade wegen – mehrerer Sparpakete und Schuldenbremse in der Verfassung findet Spanien keinen Halt. Zusätzlich zur prognostizierten Schrumpfung der Wirtschaft um 1,7 % und weiterhin steigender Arbeitslosigkeit (Stand Februar: 23,6 %; Jugendarbeitslosigkeit 50,5 %) kommt nun ein neuerliches Sparpaket, das die Rezession merklich verschärfen wird. Damit entwickelt sich das budgetpolitisch vor der Krise als vorbildlich geltende Spanien neuerlich zu einem Vorzeige-Mitgliedstaat – diesmal allerdings für eine scheiternde europäische Austeritätspolitik.
Mehrere Faktoren tragen zu diesem Scheitern bei. Der wichtigste ist die Wirtschaftskrise, die aufgrund der nationalen Immobilienkrise deutlich stärker ausfiel und auch nicht so rasch überwunden werden konnte wie zB in Deutschland und Österreich. Die Arbeitslosigkeit hat sich in den letzten drei Jahren beinahe verdreifacht, wodurch ein immenser Steuerausfall sowie ein hoher Anstieg der Sozialkosten folgten. Gleichzeitig kamen die Banken aufgrund der geplatzten Immobilienblase in besondere Bedrängnis. Der Staat hatte damit besondere Belastungen zu tragen und ein Konjunkturpaket zu finanzieren, um den Absturz zu bremsen. So drehte der Maastricht-Saldo von einem Überschuss von knapp 2 % des BIP 2007 auf ein Rekorddefizit von 11,2 % des BIP 2009.
Ein weiterer Faktor ist die politische Dynamik. Der Plan der sozialdemokratischen Minderheitsregierung Zapatero bestand 2009 aus Optimismus und einem ambitionierten mittelfristigen Konsolidierungsplan, der die EU-Vorgaben – mind. ‑6 %p. in den kommenden vier Jahren – übererfüllen würde. Dieser Plan scheiterte im Frühjahr 2010, als in Folge der Griechenland-Panik die Zinsen auf spanische Staatsanleihen in ungeahnte Höhen schossen, die negative Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung weiter ging und gleichzeitig auf Europäischer Ebene klargestellt wurde, dass es keine wesentliche Hilfe zu erwarten gab. Ein hartes Not-Sparprogramm sollte sicherstellen, dass die europäische Konsolidierungsvorgabe von durchschnittlich 1,5 %p. des BIP pro Jahr bereits 2010 und 2011 erfüllt werden – trotz prognostizierter Rezession 2010.
Gefangen in der Spirale nach unten
2010 wurden die Ziele auch weitgehend erfüllt, allerdings nicht 2011: Statt den angestrebten 6 % erreichte das Defizit 8,5 % des BIP. Schuld war allerdings nicht die alte, Ende November abgewählte Zentralregierung. Die hatte ihr Sparprogramm trotz deutlich schlechterer Beschäftigungs- und damit Budgetentwicklung durchgezogen. Mit einem Defizit von 5,1 statt 4,8 % des BIP verfehlte sie ihr Ziel nur knapp (bzw. 5,2 statt 4,4 %p. inklusive Sozialversicherung). Der überwiegende Teil der Defizit-Verfehlung ging auf die Konten der fast ausschließlich konservativ regierten Bundesländer (die aber ebenfalls erhebliche Sparanstrengungen unternahmen). Bezeichnend für den eisernen Sparwillen war eine Meldung in ElPaís Anfang Oktober, wonach der öffentliche Sektor in einigen Monaten bereits einen größeren Beitrag zum Zuwachs zur Arbeitslosigkeit lieferte als der private.
Wie auch immer, mit diesem hohen Defizit-Startwert und der sich verschärfenden Rezession (statt dem Ende 2010 prognostizierten Wachstum von 1,7 % wird nun mit minus 1 bis 2 % gerechnet) wurde klar, dass 2012 weder das ursprüngliche Defizitziel von 5,3 % des BIP vom Juni 2010 noch das bis Jahresende 2011 aufrecht erhaltene ambitionierte Ziel von 4,4 % des BIP erreicht werden können. Daran wird auch der eben erst beschlossene radikale Abbau der Arbeitsmarktstandards (bei Umsatzrückgang dürfen ArbeitgeberInnen Arbeitsverträge verschlechtern, leichtere Kündigung auch langjährig Beschäftigter, etc.), der gemäß OECD, EU-Kommission und spanischer Regierung Beschäftigung schaffen soll, nichts ändern.
Europäische Wirtschaftspolitik versagt
An dieser Stelle kommt der Faktor „Versagen der europäischen Wirtschaftspolitik“ zu tragen. Am spanischen Beispiel offenbarte sich die Absurdität der Economic-Governance/Six-Pack/Fiskalpakt-Debatte: Obwohl es eine Konjunkturklausel gibt, die eine Streckung des Konsolidierungspfades problemlos erlauben würde, und obwohl selbst die verschärften Sparvorgaben hinsichtlich des mittelfristigen strukturellen Defizits wie auch schon vor der Krise eingehalten werden, wird beides ignoriert und weiterhin an der dümmsten aller Vorgaben – nämlich dem von der Konjunkturentwicklung maßgeblich bestimmten Maastricht-Defizit – festgehalten. Der Rat der FinanzministerInnen kam der spanischen Regierung nur insofern entgegen, als dass nun wieder die alte Prognose für den Defizitpfad mit 5,3 % des BIP 2012 (neben den unveränderten 3 % im Jahr 2013) als verpflichtender Zielwert gilt. Detail am Rande: gemäß ElPaís übte sich eine kleine Gruppe von HardlinerInnen – darunter natürlich auch die österreichische Vertreterin – in völliger Realitätsverweigerung mit der Forderung Spanien müsse am Defizit-Ziel von 4,4 % des BIP festhalten.
Mit diesem Beschluss haben die europäischen FinanzministerInnen eines klar zum Ausdruck gebracht: Es ist ihnen ernst mit der in der Reform der Economic Governance angelegten und mit dem Fiskalpakt vollendeten Verunmöglichung einer ausgewogenen Wirtschaftspolitik. Immerwährende Austeritätspolitik plus Wettbewerbsfähigkeit stehen über Wohlstand, dessen Verteilung, niedrige Arbeitslosigkeit oder ökologische Nachhaltigkeit. Die spanische Regierung bemüht sich trotzdem diesbezüglich Musterschülerin zu bleiben: Statt Programme gegen die grassierende Arbeitslosigkeit, Armut oder für leistbare Wohnungen (seit 2008 wurden bereits etwa 1 % der Haushalte delogiert; selbst Erwachsene müssen vielfach bei ihren Eltern wohnen) wurde vergangenen Freitag das bereits zweite Sparpaket in nur 100 Tagen präsentiert. Die Konsolidierung der Zentralregierung soll 27,3 Mrd Euro (über 2,5 % des BIP) betragen. Hinzu kommt eine Vereinbarung mit Länder und Gemeinden, wonach diese ihr Defizit 2012 um 1,7 % des BIP senken müssen (wobei ein unbestimmter Teil davon bereits in den 2,5 % aus dem Zentralregierungspaket enthalten sein dürfte).
Scheitern vorprogrammiert
Dieser Plan wird allerdings nicht genügen um das Defizit tatsächlich ausreichend zu senken, da die negativen Rückkoppelungseffekte auf Wachstum und Beschäftigung nicht eingerechnet zu sein scheinen. Die Kürzungen in den Ministerien von durchschnittlich 17 % werden jedoch sehr deutliche Auswirkungen haben – vor allem da bei Investitionen oder aktiver Arbeitsmarktpolitik überproportional gespart wird. Damit wird die Jugendarbeitslosigkeit wohl noch länger über 50 % bleiben und die soziale Krise verschärfen.
Interessant ist die Reaktion auf europäischer Ebene: das deutsche EZB-Direktoriumsmitglied forderte gemäß ElPaís, dass das Konsolidierungspaket per Notstandsgesetzgebung beschlossen werden sollte um eine schnellstmögliche Umsetzung sicherzustellen. Was das alles mit glaubwürdiger Budgetpolitik oder einer Überwindung der Krise in der Eurozone zu tun hat, so wie auf europäischer Ebene mehrfach fantasiert wurde, bleibt ein offenes Rätsel. Es würde im Gegenteil nicht überraschen, wenn damit die wirtschaftliche Situation in der Eurozone neuerlich belastet würde – mit all den negativen Konsequenzen für alle Mitgliedstaaten. Trotzdem ist nicht auszuschließen, dass der Kurs in der Eurozone wie in Spanien selbst unverändert bleibt und auch in den nächsten 100 Tagen Amtszeit der neuen spanischen Regierung ein weiteres Sparpaket verabschiedet wird um die europäischen Vorgaben einzuhalten. Schließlich geht es ja um die Glaubwürdigkeit der europäischen Austeritätspolitik …