Globalisierung – BEIGEWUM

Stichwort: Globalisierung


Progressive Strategien für die Gestaltung der Globalisierung – Podiumsdiskussion 06.06. 18:30 ÖFSE

Juni. 1st 2017 — 12:36

Was sind pro­gres­si­ve Stra­te­gien zur polit­öko­no­mi­schen Gestal­tung der Glo­ba­li­sie­rung vor dem Hin­ter­grund wir­kungs­mäch­ti­ger neo­li­be­ra­ler bzw. rechts­na­tio­na­lis­ti­scher Gegenprojekte?

In den letz­ten Deka­den wur­de mit zuneh­men­der Deut­lich­keit offen­sicht­lich, dass das Wohl­stands­ver­spre­chen des neo­li­be­ral glo­ba­li­sier­ten Kapi­ta­lis­mus nicht ein­ge­hal­ten wird. Der Umbau des Sozi­al­staa­tes zum Wett­be­werbs­staat sowie die Dere­gu­lie­rung von Güter‑, Finanz- und Dienst­leis­tungs­märk­ten haben zu mehr Ungleich­heit und Insta­bi­li­tät geführt. Wäh­rend die Ver­tei­lung der Ein­kom­men und Ver­mö­gen zuneh­mend aus­ein­an­der klafft, häu­fen sich Kri­sen­er­schei­nun­gen, deren Las­ten auf die unte­ren Ein­kom­mens­schich­ten abge­wälzt wer­den. Doch davon konnten eman­zi­pa­ti­ve Bewe­gun­gen, die sich von Anfang an kri­tisch gegen­über dem neo­li­be­ra­len Pro­jekt posi­tio­nier­ten und ver­su­chen, die­sem mit pro­gres­si­ven Stra­te­gien zur polit­öko­no­mi­schen Gestal­tung der Glo­ba­li­sie­rung zu begeg­nen, kaum profitieren.
Wäh­rend die poli­ti­schen Eli­ten des Main­streams zuneh­mend an Zustim­mung ver­lo­ren, erleb­ten vor allem rechts­na­tio­na­lis­ti­sche Kräf­te mit dem Ver­spre­chen eines Bru­ches mit den poli­ti­schen Eli­ten sowie mit rechts­na­tio­na­lis­ti­schen Ant­wor­ten auf die Glo­ba­li­sie­rung einen Auf­schwung. Dabei lässt sich in den Län­dern in denen die­se an die Macht gelang­ten bereits ein Abbau der Demo­kra­tie beob­ach­ten. Hin­ge­gen kom­men eman­zi­pa­ti­ve Bewe­gun­gen mit ihren Ideen gegen wir­kungs­mäch­ti­ge neo­li­be­ra­le und rechts­na­tio­na­lis­ti­sche Pro­jek­te nicht durch.

Vor die­sem Hin­ter­grund dis­ku­tie­ren wir die Fragen:

War­um kom­men pro­gres­si­ve Ideen gegen neo­li­be­ra­le und rechts­na­tio­na­lis­ti­sche Ant­wor­ten auf die Glo­ba­li­sie­rung nicht durch? Was sind die­se pro­gres­si­ven Ant­wor­ten über­haupt? Wel­che Akteurs­netz­wer­ke braucht die Lin­ke zur Durch­set­zung einer pro­gres­si­ven Agen­da? Was ist von dem – angeb­lich Mit­te Mai vor­lie­gen­den – neu­en Grund­satz­pa­pier der EU zur Glo­ba­li­sie­rung zu hal­ten? Was sind die Per­spek­ti­ven für die Zukunft?

Pro­gramm:

18:30 Podi­ums­dis­kus­si­on mit:

Karin Fischer (JKU)
Wer­ner Raza (ÖFSE)
Alex­an­dra Strick­ner (ATTAC)
Den­nis Tames­ber­ger (AK )

20:30 Ende der VA, im Anschluss Buffet

Mode­ra­ti­on: Oli­ver Praus­mül­ler (BEIGEWUM)

In Koope­ra­ti­on mit der ÖFSE (http://www.oefse.at/), dem Zen­trum für VW-Stu­die­ren­de (https://www.facebook.com/VWZ.WU) und der der Mas­ter­ver­tre­tung VW.SozÖk.SEEP (https://www.facebook.com/vwso­zo­ek­seep)

Anmel­dung erbe­ten unter: i.pumpler@oefse.at

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Das Weltsozialforum 2011 in Dakar

Februar. 27th 2011 — 16:15

Welt­ge­schich­te wird in die­sen Tagen in Kai­ro und ande­ren nord­afri­ka­ni­schen Städ­ten und Län­dern geschrie­ben. Doch das seit 2001 bestehen­de Welt­so­zi­al­fo­rum, das Mit­te Febru­ar in Dakar statt­fand, erweist sich als Raum, der unver­zicht­bar ist, um sich auf trans­na­tio­na­ler Ebe­ne aus­zu­tau­schen, Stra­te­gien zu ent­wi­ckeln und Kam­pa­gnen zu lan­cie­ren. Für vie­le Akti­vis­tIn­nen begann das WSF bereits eine Woche vor­her mit einer Kara­wa­ne zum The­ma Migra­ti­on vom mali­schen Bama­ko nach Dakar, um über die kom­ple­xen Zusam­men­hän­ge von Migra­ti­on zu infor­mie­ren, zu ler­nen und sich poli­tisch zu ver­net­zen. Es gab wei­te­re Kara­wa­nen in die sene­ga­le­si­sche Haupt­stadt, mit denen die Teil­neh­men­den „unter­wegs“ auf ihre Anlie­gen auf­merk­sam mach­ten und ande­re Ver­hält­nis­se kennenlernten.

Der Aus­tra­gungs­ort des WSF spielt immer eine Rol­le. Für vie­le Teil­neh­men­den aus Euro­pa war die Erfah­rung eines ange­nehm offe­nen und reli­gi­ös tole­ran­ten isla­mi­schen Lan­des wich­tig. Inhalt­lich waren vor zwei Jah­ren im bra­si­lia­ni­schen Belem die Abhol­zung des Ama­zo­nas­ge­biets und der Wider­stand dage­gen all­ge­gen­wär­tig. Die­ses Mal spiel­ten die Land­wirt­schaft in Afri­ka, der der­zeit groß­flä­chi­ge Land­kauf (land-grab­bing) durch inter­na­tio­na­le Inves­to­ren – oft genug ver­mit­telt mit loka­len Inter­es­sen­grup­pen –, die mili­tä­ri­sche Prä­senz Frank­reichs und die (neo-)kolonialistische Rol­le Euro­pas in der Regi­on eine gro­ße Rol­le. Häu­fig ging es um die Benach­tei­li­gung von Frau­en in der Gesellschaft.

WSF-Dynamiken am Beispiel der Themen Klima bzw Lebens- und Arbeitsbedingungen

Alter­na­ti­ven zur herr­schen­den und wenig effek­ti­ven Kli­ma­po­li­tik müs­sen zwar kon­kret in der Ener­gie­po­li­tik, Stadt­pla­nung oder ande­ren Pro­duk­ti­ons­for­men for­mu­liert wer­den, aber sie wer­den durch trans­na­tio­na­le Auf­merk­sam­keit und gegen­sei­ti­ges Ler­nen gestärkt. So kamen Grup­pen nach Dakar, die gegen die repres­si­ve und öko­lo­gisch zer­stö­re­ri­sche Aus­beu­tung von Erd­öl etwa im Niger­del­ta oder gegen den Uran­ab­bau in Niger pro­tes­tie­ren. Das Mot­to der „Kli­ma­ge­rech­tig­keit“ wird zum Ober­be­griff einer ganz ande­ren Ener­gie­po­li­tik, die mit einem grund­le­gen­den Umbau der Pro­duk­ti­ons- und Lebens­wei­se ein­her­ge­hen muss. Eine For­de­rung war: „Lasst die fos­si­len Res­sour­cen im Boden!“ Die­se neu­en For­men der Ener­gie­kämp­fe wer­den auch auf der nächs­ten Kli­ma­kon­fe­renz im Dezem­ber in Dur­ban und wohl auch in der „Rio plus 20“-Konferenz bzw. dem Par­al­lel­kon­gress in Bra­si­li­en im Mai 2012 eine Rol­le spielen.

Kämp­fe um bes­se­re Lebens- und Arbeits­be­din­gun­gen in unter­schied­li­chen Regio­nen und Berei­chen sind tra­di­tio­nell ein zen­tra­les The­ma auf dem WSF. Gewerk­schaf­ten spiel­ten bei die­sem Forum jedoch eine deut­lich gerin­ge­re Rol­le als zuvor. Zum einen hat die Teil­nah­me inter­na­tio­na­ler Gewerk­schaf­te­rIn­nen, ins­be­son­de­re aus Euro­pa deut­lich abge­nom­men, was die Reso­nan­zen des WSF inner­halb der orga­ni­sier­ten Arbei­te­rIn­nen­be­we­gung erschwe­ren wird. In Öster­reich war bei­spiels­wei­se die erfolg­rei­che „Stopp GATS!“-Kampagne eine Fol­ge der Teil­nah­me öster­rei­chi­scher Gewerk­schaf­te­rIn­nen auf einem der ers­ten WSF in Por­to Alegre. Die Schwa­che Prä­senz der Gewerk­schaf­ten hängt wie­der­um mit dem Aus­tra­gungs­ort zusam­men. Bei etwa zehn Mil­lio­nen Ein­woh­ne­rIn­nen im Sene­gal mit einer weit­ge­hend infor­ma­li­sier­ten Öko­no­mie gibt es schät­zungs­wei­se 250.000 for­ma­li­sier­te Arbeits­ver­hält­nis­se. In den Nach­bar­län­dern dürf­te es nicht viel anders aus­se­hen. Die WSF in Bra­si­li­en hin­ge­gen wur­den ganz zen­tral von den dor­ti­gen Gewerk­schaf­ten getragen.

Alternative Entwicklung oder Alternativen zu Entwicklung?

In den Dis­kus­sio­nen ent­stand der Ein­druck, dass in (West-)Afrika noch viel stär­ker um „Ent­wick­lung“ in einem klas­si­schen und pro­gres­si­ven Sin­ne gerun­gen wird – der Begriff von real deve­lo­p­ment tauch­te immer wie­der auf –, näm­lich als Kampf gegen Armut und Kor­rup­ti­on, gegen den impe­ria­len Zugriff von außen (vor allem Euro­pas, aber auch Chi­nas oder Bra­si­li­ens) und für die Demo­kra­ti­sie­rung und Ver­bes­se­rung sozio-öko­no­mi­scher, poli­ti­scher und kul­tu­rel­ler Lebens­ver­hält­nis­se. Das WSF vor zwei Jah­ren in Belem brach­te neben die­ser auch dort prä­sen­ten Per­spek­ti­ve einen ande­ren Ton in die Debat­te, was damit zu tun hat, dass „Ent­wick­lung“ in vie­len latein­ame­ri­ka­ni­schen Län­dern der­zeit im obi­gen Sin­ne ja statt­fin­det – das dyna­mi­sche Wachs­tum ver­bes­sert die Lebens­la­ge von Mil­lio­nen, inte­griert mehr Men­schen in die for­mel­le und infor­mel­le Lohn­ar­beit, erhöht staat­li­che Ver­tei­lungs­spiel­räu­me. Doch dies geschieht um den Preis einer enor­men öko­lo­gi­schen Zer­stö­rung und um eine Schwä­chung von Alter­na­ti­ven zum impe­ria­len und neo­li­be­ra­len Welt­markt und zur impe­ria­len Lebens­wei­se in den kapi­ta­lis­ti­schen Zen­tren und der Mit­tel- und Ober­schich­ten in den Län­dern des Glo­ba­len Südens. Daher war in Belem und ist heu­te in Latein­ame­ri­ka eine eman­zi­pa­to­ri­sche Per­spek­ti­ve sicht­bar, der es um eine not­wen­di­ge Umori­en­tie­rung eben von „Ent­wick­lung“ selbst geht. Der in Belem pro­mi­nen­te Begriff der Zivi­li­sa­ti­ons­kri­se war in Dakar absent.

Aller­dings wird die­se Debat­te auch in Latein­ame­ri­ka – mit Aus­nah­me Boli­vi­ens und Ecua­dors – eher am Ran­de geführt. Vor zwei Jah­ren hat­te ich nach dem WSF for­mu­liert, dass eine der wich­tigs­ten Aus­wir­kun­gen des WSF sein könn­te, der öko­lo­gi­schen Rase­rei im Ama­zo­nas Ein­halt zu gebie­ten. Doch das ist nicht gesche­hen. Das Was­ser­kraft­pro­jekt Belo Mon­te in einem Sei­ten­fluss des Ama­zo­nas, das drei Tal­sper­ren und zwei Stau­se­en von der Grö­ße des Boden­sees schaf­fen soll, über zehn Pro­zent des bra­si­lia­ni­schen Strom­be­darfs decken soll und enor­me sozio-öko­lo­gi­sche Impli­ka­tio­nen hat, ist im Janu­ar in die letz­te Pla­nungs­pha­se gegan­gen (ursprüng­lich war eine vier Mal so gro­ße Flä­che geplant, doch das Pro­jekt wur­de nach mas­si­ven Pro­tes­ten ver­klei­nert). Statt eine Poli­tik der Ener­gie­ef­fi­zi­enz und des Ener­gie­spa­rens zu för­dern, flie­ßen Mil­li­ar­den-Inves­ti­tio­nen in ein Pro­jekt, das zudem sehr stark der welt­markt­ori­en­tier­ten Mon­tan­in­dus­trie zugutekommt.

Perspektiven des WSF: Raum oder Akteur oder …

Aller­dings dür­fen die tages­ak­tu­el­len Gescheh­nis­se in Nord­afri­ka nicht dar­über hin­weg täu­schen, dass das WSF neben den erfreu­li­chen Ent­wick­lun­gen in eini­gen Berei­chen der­zeit nicht in der Lage ist, umfas­sen­de Dis­kus­sio­nen dahin­ge­hend zu orga­ni­sie­ren, dass wirk­lich glo­ba­le Bezugs­punk­te ent­ste­hen. In Belem 2009 deu­te­te sich das mit dem bereits erwähn­ten Begriff der Zivi­li­sa­ti­ons­kri­se an, doch es wur­de nicht wei­ter­ge­führt. Das WSF ist auch kein Anzie­hungs­punkt für Intel­lek­tu­el­le, die in span­nen­den und plu­ra­len Aus­ein­an­der­set­zun­gen auf sol­che Bezugs­punk­te hin­ar­bei­ten könnten.

Der Modus der the­ma­tisch ori­en­tier­ten und auf Stra­te­gie­ent­wick­lung und Aktio­nen ori­en­tier­ten Ver­samm­lun­gen in der zwei­ten Hälf­te des Forums – in die­sem Jahr waren es um die vier­zig – hat sich zwar als geeig­net erwie­sen, um in den je spe­zi­fi­schen Kon­flikt­fel­dern hand­lungs­fä­hig zu wer­den. Und den­noch stellt sich ange­sichts der mul­ti­plen Kri­se die Fra­ge gemein­sa­mer Bezugs­punk­te ganz drin­gend. Wie könn­te bei­spiels­wei­se eine umfas­sen­de Ori­en­tie­rung an Gerech­tig­keit und Soli­da­ri­tät die Spe­zi­fi­tät der ein­zel­nen eman­zi­pa­to­ri­schen Kämp­fe ver­deut­li­chen und den­noch auf etwas Gemein­sa­mes hin ori­en­tie­ren? Den Neo­li­be­ra­len ist es ja gelun­gen, mit den Begrif­fen Frei­heit und Effi­zi­enz ihre Inter­es­sen im Sin­ne einer kapi­ta­lis­ti­schen Ratio­na­li­tät in den meis­ten gesell­schaft­li­chen Berei­chen zu ver­an­kern. Die Bewe­gung für eine ande­re Glo­ba­li­sie­rung agiert, mei­nes Erach­tens sinn­vol­ler­wei­se, in ein­zel­nen Kon­flikt­fel­dern, doch in die­sen arti­ku­lie­ren sich ja über­grei­fen­de Ent­wick­lun­gen und es müs­sen gemein­sa­me Bezugs­punk­te her­ge­stellt wer­den. Der Ver­zicht dar­auf, wie bei den ers­ten WSF zen­tra­le „gro­ße“ Debat­ten zu orga­ni­sie­ren, ist zum einen berech­tigt, da eben dadurch die Man­nig­fal­tig­keit der Kämp­fe aner­kannt wird (und die­se Debat­ten waren auf den ers­ten WSF nicht all­zu pri­ckelnd). Sie ist aber in der­zeit dyna­mi­schen Zei­ten wie die­sen, in denen es durch­aus um Ori­en­tie­rung geht, auch ein Manko.

Es gibt wei­ter­hin eine inten­si­ve Dis­kus­si­on dar­über, ob das WSF eher ein poli­ti­scher Raum blei­ben soll, in dem sich unter­schied­lichs­te Bewe­gun­gen tref­fen kön­nen, um in den Fel­dern wie Land­wirt­schaft, Migra­ti­on, Kli­ma­po­li­tik, Geschlech­ter­ge­rech­tig­keit, Anti­ras­sis­mus oder Welt­han­del ihre Erfah­run­gen aus­zu­tau­schen und Stra­te­gien zu entwickeln.

Eine ande­re Posi­ti­on argu­men­tiert, dass das WSF zu einem poli­ti­schen Akteur wer­den sol­le, der ein­heit­li­cher auf der welt­po­li­ti­schen Büh­ne auf­tritt und damit an Ein­fluss gewinnt. Ber­nard Cas­sen, Mit­be­grün­der von Attac-Frank­reich und einer der Prot­ago­nis­ten der Aus­rich­tung des WSF als Akteur, will mit die­ser Posi­ti­on die angeb­lich durch die Viel­falt des WSF ver­ur­sach­te Schwä­che über­win­den. Er argu­men­tiert, dass ein „Bruch“ mit dem aktu­ell vor­herr­schen­den neo­li­be­ra­len Modell eben nur mit einem WSF mög­lich wäre, das stär­ker einen Akteurs­sta­tus annimmt. Auf den ers­ten Blick spricht für die­se Posi­ti­on, dass die „Ver­samm­lung der Bewe­gun­gen“, die sich jeweils gegen Ende des Forums als Zusam­men­kunft der radi­ka­le­ren Kräf­te trifft, ein eher hilf­lo­ses, sich in All­ge­mein­plät­zen ver­lie­ren­des, stra­te­gisch unbrauch­ba­res Doku­ment als Abschluss-State­ment ange­nom­men hat.

Cas­sen hat Recht: In der Tat feh­len kla­re Trans­for­ma­ti­ons­stra­te­gien und das WSF hat erheb­li­che Pro­ble­me, die Hand­lungs­fä­hig­keit von Bewe­gun­gen zu ver­bes­sern. Doch die Seman­tik des Cas­sen­schen Argu­ments ist, dass im Raum viel gere­det, aber nicht gehan­delt wird. Das stimmt, trotz allem nicht genutz­ten Poten­zi­als, so nicht.

Zwei Argu­men­te spre­chen dafür, das WSF als struk­tu­rier­ten und struk­tu­rie­ren­den Raum im Lich­te der Erfah­run­gen wei­ter­zu­ent­wi­ckeln. Zum einen wird zuvor­derst in den kon­kre­ten Kon­flikt­fel­dern agiert wie Finanz­markt­re­gu­lie­rung, die Stär­kung der Frau­en-Men­schen­rech­te, Migra­ti­on und Anti­ras­sis­mus oder für eine ande­re Ener­gie- und Kli­ma­po­li­tik. Zusam­men­hän­ge und Kon­ver­gen­zen müs­sen ana­ly­tisch wie poli­tisch her­ge­stellt wer­den. Das kann nicht „von oben“, durch den Inter­na­tio­nal Coun­cil oder eine ande­re Kraft lau­fen, denn dann besteht die Gefahr einer ver­ein­heit­li­chen­den Welt­sicht und der Suche nach ein­heit­li­chen Akteu­ren. Wenn man sieht, wie die ortho­do­xen, oft genug euro­zen­tri­schen und links-eta­tis­ti­schen Strö­mun­gen eben der Viel­fäl­tig­keit von Lebens­er­fah­run­gen und die Suche nach Alter­na­ti­ven aus­blen­den, wünscht man sich auch nicht unbe­dingt, dass die­se Stra­te­gien von den selbst­er­nann­ten Vor­den­kern for­mu­liert wer­den, die all­zu schnell bei der/​ihrer radi­ka­len poli­ti­schen Par­tei landen.

Zwei­tens fin­den Ansatz­punk­te oder gar prak­ti­sche Poli­ti­ken des Bruchs mit neo­li­be­ral-impe­ria­len oder gar kapi­ta­lis­ti­schen Logi­ken, das zei­gen die letz­ten Jah­re, eben eher auf loka­ler und natio­nal­staat­li­cher Ebe­ne (sie­he Latein­ame­ri­ka) oder in den spe­zi­fi­schen Kon­flikt­fel­dern statt. Ich habe kei­ne Lösung für die rela­ti­ve Schwä­che eman­zi­pa­to­ri­scher Poli­tik auf glo­ba­ler Ebe­ne. Mir scheint die poli­ti­sche Auf­wer­tung des WSF zu einem Akteur eher als Aus­druck von Hilf­lo­sig­keit. Hand­lungs­fä­hig­keit, und davon war Dakar ja wie­der­um ein Beleg und Ägyp­ten ließ grü­ßen, stellt sich kom­ple­xer und kon­tin­gen­ter her.

Ausblick

Auf der Ebe­ne trans­na­tio­na­ler Stra­te­gie­ent­wick­lun­gen könn­te in den kom­men­den Jah­ren eine zuneh­men­de Süd-Süd-Ver­net­zung von Intel­lek­tu­el­len und Akti­vis­tIn­nen mit teil­wei­se gutem Zugang zu pro­gres­si­ven Regie­run­gen wich­ti­ger wer­den. In Dakar gab es dazu ein von Samir Amin initi­ier­tes Tref­fen und in den kom­men­den Mona­ten soll ein Arbeits­pro­gramm for­mu­liert wer­den. Inter­es­sant wird hier in Zukunft sein, wie bei pro­gres­si­ven Kräf­ten damit umge­gan­gen wird, dass die aktu­el­len poli­ti­schen und öko­no­mi­schen Süd-Süd-Koope­ra­tio­nen oft genug sub­im­pe­ri­al imprä­gniert sind, denn die Regie­run­gen Bra­si­li­ens, Chi­nas, Indi­ens oder Süd­afri­kas bean­spru­chen eine Füh­rungs­rol­le für ihre Regi­on oder „den“ Süden. Die mas­siv zuge­nom­me­nen west­afri­ka­ni­schen Lebens­mit­tel­im­por­te aus Bra­si­li­en stel­len für die Land­wirt­schaft eben­so eine Gefahr dar wie jene aus Europa.

Das Forum steht für einen lang­at­mi­gen Pro­zess. Das geht mit Rück­schlä­gen ein­her wie etwa die kei­nes­wegs pro­gres­si­ve Bear­bei­tung der Wirt­schafts- und Finanz­kri­se, wodurch die glo­ba­len Pro­ble­me eher ver­grö­ßert wer­den und inner­halb sozia­ler Bewe­gun­gen ten­den­zi­ell für Frus­tra­ti­on sor­gen. Immer wie­der wur­de auch Kri­tik dar­an geäu­ßert, dass der Sozi­al­fo­rums­pro­zess in Euro­pa nicht funk­tio­niert. Doch es gibt kei­ne Alter­na­ti­ve dazu, in auf­wen­di­gen Such- und Lern­pro­zes­sen trans­na­tio­na­les Momen­tum zu gewin­nen. In eini­gen Berei­chen scheint das zu gelin­gen, in ande­ren weniger.

In Euro­pa bestehen dafür nach dem desas­trö­sen Euro­päi­schen Sozi­al­fo­rum im letz­ten Som­mer kaum Anknüp­fungs­punk­te. Ganz im Gegen­teil offen­bar zu dem kurz vor dem ESF statt­ge­fun­de­nen US-ame­ri­ka­ni­schen Sozi­al­fo­rum. Vie­le berich­te­ten von dem Tref­fen in Detroit im letz­ten Juni fast eupho­risch, da es gelun­gen sei, vie­le Men­schen zu invol­vie­ren, eine Kul­tur des Zuhö­rens und Aus­tausch zu schaf­fen und die eine oder ande­re Per­spek­ti­ve ver­bind­li­cher Koope­ra­ti­on zu entwickeln.

Das WSF in Dakar ist mit dem ESF 2010 auf kei­nen Fall ver­gleich­bar. Und den­noch hat­te man bei bei­den Tref­fen teil­wei­se (und wirk­lich nur teil­wei­se!) den Ein­druck, dass es nicht um das geht, wofür die Sozi­al­fo­rums­be­we­gung geschaf­fen wur­de: Eman­zi­pa­to­ri­sche Poli­ti­ken auf der Höhe der Zeit und unter gar nicht gemüt­li­chen Bedin­gun­gen zu formulieren.

Es gibt aber kei­ne Alter­na­ti­ve zum WSF. Es muss sich, um ein immer wie­der gebrauch­tes Wort zu nut­zen, mit der Unter­stüt­zung vie­ler neu erfin­den, damit es ein struk­tu­rier­ter wie struk­tu­rie­ren­der Raum ist und von ihm Impul­se aus­ge­hen. Ob es dafür bes­ser zum wie­der­hol­ten Male an den­sel­ben Orten statt­fin­det, also in gewis­ser Wei­se zwi­schen drei oder vier Orten wan­dert, um das so drin­gend benö­tig­te orga­ni­sa­to­ri­sche Erfah­rungs­wis­sen zu akku­mu­lie­ren, ist eine so offe­ne wie wich­ti­ge Fra­ge. Auf jeden Fall soll­te es dort statt­fin­den, wo es dyna­mi­sche Bewe­gun­gen gibt, es also in der Erfah­rung der Bewe­gun­gen vor Ort um etwas geht und das auch prak­tisch ange­gan­gen wird.

Die­ser Bei­trag erscheint hier in gekürz­ter Form. Der Autor dankt der Rosa-Luxem­burg-Stif­tung dafür, dass sie ihm die Teil­nah­me am WSF ermög­lich­te. Kurz­ver­sio­nen des Bei­tra­ges erschie­nen zB auch in „Freitag.online“ und „Wie­ner Zei­tung“.

http://fsm2011.org/en


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Risiko

April. 30th 2009 — 18:10

Seit Ulrich Beck 1986 mit der Ver­öf­fent­li­chung sei­ner Risi­ko­ge­sell­schaft einen aka­de­mi­schen Voll­tref­fer gelan­det hat (Tscher­no­byl!), pro­pa­giert er die­sen Gedan­ken wo immer man ihn lässt. Inzwi­schen ist ihm sein Trade­mark zur Welt­ri­si­ko­ge­sell­schaft ange­wach­sen. In einem Kom­men­tar im Stan­dard schreibt Beck von der Zukunft der EU und malt den Teu­fel an die Wand:

Wenn Euro­pa an der glo­ba­len Wirt­schafts­kri­se zer­bre­chen soll­te, dann wird es kei­ne Gren­zen geben für das Unglück, die Not und die Schan­de sei­ner Poli­ti­ker und fünf­hun­dert Mil­lio­nen Menschen!“

Becks Inten­ti­on ist sicher ehren­wert, er rich­tet sich gegen einen neu­en Natio­na­lis­mus und for­dert eine „durch die Kri­se erneu­er­te EU“. Aber abge­se­hen vom schlech­ten Deutsch („Die Lage spitzt sich zu: ent­we­der Mehr-Euro­pa oder Nicht-Euro­pa. Die­ser Impe­ra­tiv des mög­li­chen Schei­terns [sic!] begrün­det die Hoff­nung à la baisse“ und so wei­ter) hat Beck kein Argu­ment anzu­brin­gen. Son­dern nur, sei­en wir ehr­lich, Ideologie:

In der Welt­ri­si­ko­ge­sell­schaft sind iso­lier­te Natio­nal­staa­ten weder hand­lungs­fä­hig noch über­le­bens­fä­hig noch sou­ve­rän.“ Und: „Nur eine durch die Kri­se erneu­er­te EU kann im Zusam­men­spiel mit der neu­en US-Welt­of­fen­heit Oba­mas glaub­wür­dig und wir­kungs­voll die Regu­lie­rung der Finanz­märk­te einfordern.“

Wel­che Regu­lie­rung? Hier mache ich einen radi­ka­len Schnitt. Im gest­ri­gen Pod­cast von Pla­net Money (den ich allen, die an der Wirt­schafts­kri­se inter­es­siert sind, wirk­lich ans Herz legen will) spricht Nas­sim Tal­eb, Autor von Black Swan, über sei­ne Vor­stel­lun­gen einer ver­nünf­ti­gen Regu­lie­rung der Finanz­märk­te. Tal­eb spricht deut­li­che Wor­te (mei­ne Transkription):

Any pro­duct that reli­es on mathe­ma­ti­cal models will disap­pe­ar or needs to disap­pe­ar becau­se we know not­hing about the­se pro­ba­bi­li­ties and the past of cour­se is no indi­ca­ti­on and I pro­ved it […]. This idea of using his­to­ri­cal ana­ly­sis is com­ple­te­ly bogus and the idea of making an aprio­ri theo­ry of what a pro­ba­bi­li­ty of events should be is also bogus, so we should aban­don them. […] Ban the­se products!“

Tal­eb teilt nicht nur Becks opti­mis­ti­schen Blick auf die Oba­ma-Admi­nis­tra­ti­on nicht („The US government eco­no­mists, they are not equip­ped to under­stand that envi­ron­ment [of the cur­rent cri­sis]. They are trai­ned in con­ven­tio­nal ways, they can­not under­stand it.“), er bringt auch kon­kre­te Vor­schlä­ge zur Regulierung:

We even­tual­ly need to be orga­ni­zed in a way that resem­bles Mother Natu­re with not­hing too big to fail, with pro­ducts that are much less sen­si­ti­ve to lar­ge devia­ti­on, name­ly, you know, just very simp­le finan­cial pro­ducts, and, what peop­le don’t like, and I say sor­ry, but we can no lon­ger afford debt. Debt doesn’t give you room for error. […] Unless you shut down the inter­net, unless you stop glo­ba­liz­a­ti­on, the­re is no room for errors. […] Debt is some­thing that fra­ge­li­zes the sys­tem. You have to choo­se: debt or globalization.“

War­um brin­ge ich die­se bei­den in allen Belan­gen unglei­chen media­len Berich­te? Inter­es­sant ist jeweils der Zugang zum Risi­ko. Für Ulrich Beck ist „das Risi­ko“ etwas gesell­schaft­lich Gege­be­nes, etwas Unhin­ter­geh­ba­res. Man kann allen­falls dar­über spe­ku­lie­ren, ob er zu die­sem Schluss basie­rend auf sei­nen sozio­lo­gi­schen Unter­su­chun­gen gekom­men ist, oder ob es sich um die Pro­pa­gie­rung sei­nes wich­tigs­ten Mar­ke­ting­pro­dukt han­delt (self-ful­fil­ling pro­phe­cy). Nas­sim Tal­eb hin­ter­fragt die Evi­denz, die Nowen­dig­keit von Risi­ko, und lei­tet poli­ti­sche For­de­run­gen dar­aus ab. Das ist unge­wöhn­lich, und daher muten sei­ne Vor­schlä­ge radi­kal an. Intel­lek­tu­ell ist es jeden­falls ungleich bereichender.

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