Intellektuelle – BEIGEWUM

Stichwort: Intellektuelle


Political Meddling

Juni. 5th 2009 — 22:03

Ein aktu­el­ler Nach­trag zu den „poli­ti­schen Intel­lek­tu­el­len:“ Bis­her konn­ten sich gera­de Öko­nom­In­nen in Öster­reich noch zu jenen zäh­len, die sich von poli­ti­scher Ein­fluss­nah­me ver­gleichs­wei­se frei machen konn­ten. Ein Grund neben ande­ren dafür ist das über­par­tei­li­che Wifo, eine der (weni­gen) sozi­al­wis­sen­schaft­li­chen Errun­gen­schaf­ten der Zwei­ten Repu­blik. Jetzt wird der die­ser Ein­rich­tung zugrun­de lie­gen­de, poli­ti­sche Still­hal­te­ver­trag gra­de auf­ge­kün­digt. Und warum?

Wifo-Chef Aigin­ger habe sei­ne Mit­ar­bei­ter schlicht­weg nicht mehr im Griff, wird kri­ti­siert. Vor allem die pro­non­ciert „roten“ Wifo-Exper­ten Mar­git Schrat­zen­stal­ler, Ste­phan Schul­meis­ter und Mar­kus Mar­ter­bau­er wür­den sich in der Öffent­lich­keit stän­dig zu Wort mel­den – mit poli­tisch ein­deu­ti­gen Botschaften.

Man kann sich die Sor­gen­fal­ten am Schwarz­spa­nier­platz leb­haft vor­stel­len. Jeden­falls ist der Vor­fall ein deut­li­ches Indiz, dass in der aktu­el­len Kri­se nicht nur der medi­al aus­ge­tra­ge­ne Kon­flikt um den „rich­ti­gen Kurs“ in der Wirt­schafts­po­li­tik schär­fer wird. Jetzt soll – als Reak­ti­on dar­auf – Macht exer­ziert wer­den. „Poli­ti­cal Meddling“, wie es in den USA so schön heisst.

Was ler­nen wir dar­aus? Offen­bar ist man an ver­schie­de­nen Stel­len ganz schön ner­vös. Dass die Initia­ti­ve offen­bar von Raiff­ei­sen (mit einem an sich eher unbe­deu­ten­den Jah­res­bei­trag) aus­ging, ver­stärkt den Ein­druck. Die PR die­ses schwar­zen Kon­glo­me­rats war in letz­ter Zeit ja nicht die bes­te. Von „nur über mei­ne Lei­che“ (Chris­ti­an Kon­rad) ist man dort schnell dazu über­ge­gan­gen, Geld von der Regie­rung zu neh­men. Das stellt vor­erst zwar noch nie­mand in Fra­ge. Aber bes­ser gar nix anbren­nen lassen.

Die Geschich­te stellt auch einen ziem­lich offe­nen Angriff auf das von Wis­sen­schaft­le­rIn­nen (zu recht) hoch­ge­hal­te­ne Prin­zip der „aka­de­mi­schen Frei­heit“ dar. In die­sem Zusam­men­hang ist das Wifo zwar in einer ungüns­ti­gen Posi­ti­on: Mehr Think Tank als Grund­la­gen­for­schungs­in­sti­tut. Aber trotz­dem ist fest­zu­stel­len, dass die­se Insti­tu­ti­on für die hei­mi­schen Sozi­al­wis­sen­schaf­ten sicher min­des­tens so wich­tig ist wie CERN für die Phy­si­ker. Lei­der lehrt mich die Erfah­rung, hin­sicht­lich der Reak­tio­nen aus der Com­mu­ni­ty pes­si­mis­tisch zu sein: So wirk­lich tan­giert das in Öster­reich wohl niemanden.

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Politische Intellektuelle und die Wirtschaftskrise

Juni. 3rd 2009 — 14:24

 

Die Fra­ge der poli­ti­schen Inter­ven­ti­ons­fä­hig­keit der Sozi­al­wis­sen­schaf­ten war ein The­ma der Kon­fe­renz „Poli­ti­cal Eco­no­my, Finan­cia­li­sa­ti­on and Dis­cour­se Theo­ry“ Ende Mai in Cardiff.

Karel Wil­liams (Man­ches­ter Busi­ness School) the­ma­ti­sier­te in sei­nem Vor­trag, wie stark sich die öffent­li­che Reak­ti­on auf die aktu­el­le Finanz- und Wirt­schafts­kri­se von der Reak­ti­on auf die Kri­sen 1931 (Welt­wirt­schafts­kri­se) und 1981 (That­cher-Schock in UK) unter­schei­de. Damals gerie­ten die Eli­ten unter Druck, 1931 führ­te das zu Ver­än­de­run­gen in der Wirt­schafts­po­li­tik, 1981 zumin­dest zu einem öffent­li­chen Auf­tre­ten lin­ker Wis­sen­schaft (auch wenn sie letzt­lich erfolg­los blieb).

Heu­te sei die öffent­li­che Reak­ti­on ver­gleichs­wei­se ver­hal­ten. Wil­liams kon­sta­tier­te eine Art gesell­schaft­li­ches „Stock­holm-Syn­drom“, auf Basis einer Gei­sel­nah­me der Gesell­schaft durch den Finanz­sek­tor – die fort­ge­schrit­te­ne Durch­drin­gung der Gesell­schaft mit einer finan­zia­li­sier­ten Logik füh­re zur Iden­ti­fi­ka­ti­on mit den Inter­es­sen und Moti­ven des Finanzsektors.

Auch die öffent­li­chen Intel­lek­tu­el­len fehl­ten. Wil­liams nann­te fol­gen­de Grün­de: Zer­split­te­rung in feind­li­che Theo­rie-Lager; Ver­drän­gung poli­ti­scher Öko­no­mie aus der Main­stream­öko­no­mie und Aus­wei­chen in Sub-Dis­zi­pli­nen mit engem Fokus wie Inter­na­tio­na­le Poli­ti­sche Öko­no­mie, Geo­gra­fie, Kul­tur­stu­di­en etc.; Professionalisierung/​ Aka­de­mi­sie­rung – das Feld der Medi­en­ar­beit wird von Aka­de­mi­ke­rIn­nen auf­ge­ge­ben und wird völ­lig den Leu­ten aus dem Finanz­sek­tor überlassen.

Ein Teil der Erklä­rung für die­se Ent­wick­lun­gen sei Unklar­heit über die Situa­ti­on und der poli­ti­sche Kon­text (Rechts­wen­dung der Labour Par­ty, Mar­gi­na­li­sie­rung der Gewerk­schaf­ten). Einen Teil der Erklä­rung lie­fe­re aber auch die Selbst­be­schrän­kung der Intel­lek­tu­el­len. Wil­liams Abschluss­fra­ge: Soll­te die Intel­li­genz von der Kri­tik zur Selbst­kri­tik über ihre innen­ori­en­tier­te Pro­fes­sio­na­li­sie­rung übergehen?

Colin Wight (Uni­ver­si­ty of Exe­ter) kon­sta­tier­te eine „Gang-Men­ta­li­tät“ in den Sozi­al­wis­sen­schaf­ten. Theo­re­ti­sche Abgren­zun­gen hät­ten häu­fig mehr mit Iden­ti­täts­po­li­tik statt Sub­stanz zu tun, sei­en in einem zer­split­ter­ten Feld wie etwa Poli­tik­wis­sen­schaft aber wich­tig für das aka­de­mi­sche Fort­kom­men (vgl. den Arti­kel von Kyle Siler in Kurs­wech­sel 4/​05 für den Fall der Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten). Das zei­ge sich in vie­len Dis­kus­sio­nen der Kon­fe­renz wie­der, wo Debat­ten zwi­schen Postruk­tu­ra­lis­tis­mus- und Kri­ti­scher-Rea­lis­mus-Ansät­zen oft über­trie­ben hef­tig geführt wür­den (So hat­te etwa jemand auf Marie­ke de Goe­des [Uni Ams­ter­dam] Ein­fü­hungs­vor­trag, in dem sie die inter­na­tio­na­le Ter­ror-Geld­wä­sche-Bekämp­fungs-Offen­si­ve als Pro­jekt zur Aus­deh­nung der Über­wa­chung im All­tag kri­ti­sier­te, gefragt, wozu sie für die­se Ana­ly­se einen post­struk­tu­ra­lis­ti­schen Ansatz bemühe).

Der kri­ti­sche Buch­hal­tungs-Theo­re­ti­ker Prem Sik­ka (Uni­ver­si­ty of Essex), der für die Auf­de­ckung von Par­tei­en­fi­nan­zie­rungs­strö­men der Tories bekannt ist, plä­dier­te für mehr jour­na­lis­ti­sches und poli­ti­sches Enga­ge­ment von WissenschafterInnen.

In der Dis­kus­si­on wur­de debat­tiert, ob die Ursa­che dafür in der Wis­sen­schaft selbst oder eher in Ver­än­de­run­gen von Poli­tik und Öffent­lich­keit zu suchen ist. Die Igno­ranz gegen­über Wis­sen­schaft habe mit Inter­es­sen und Macht zu tun, nicht mit dem Zustand der Wis­sen­schaft, so eine Anmer­kung. Der öffent­li­che Sek­tor fragt heu­te Bera­tungs­fir­men und Unter­neh­men um Exper­ti­se, nicht mehr in Uni­ver­si­tä­ten. Öffent­li­che Unter­su­chungs­kom­mis­sio­nen sind nicht an wis­sen­schaft­li­chen Ergeb­nis­sen, Pro­ble­ma­ti­sie­run­gen und Ursa­chen­for­schun­gen inter­es­siert, son­dern kom­pi­lie­ren nur noch Mei­nun­gen von (Industrie-)ExpertInnen.

Ande­re hin­ter­frag­ten, ob der Stel­len­wert der Wis­sen­schaft in der (Berufs-)Politikberatung der ent­schei­den­de Indi­ka­tor sei, oder ob es nicht viel­mehr dar­um gin­ge, sich in Bezie­hung zu sozia­len Bewe­gun­gen und wider­stän­di­gen Akteu­rIn­nen außer­halb der eta­blier­ten Poli­tik zu setzen.


Der BEIGEWUM hat zu die­sen The­men vor eini­gen Jah­ren selbst­re­fle­xi­ve Über­le­gun­gen ange­stellt (sie­he auch hier).  Zeit, ange­sichts der Kri­se dar­an weiterzuarbeiten!

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