Krise: Zwischenstop in Irland
Derzeit hält die Krise in Irland. Mit Sicherheit wird es nicht die letzte Station sein. EU und IWF schnüren an einem Hilfspaket von bis zu 100 Milliarden Euro, um die Bewältigung der hohen Schulden der irischen Banken zu meistern.
Ähnlich wie Island war Irland lange Zeit ein neoliberaler Musterstaat: Unternehmenssteuer-Dumping, hohe wirtschaftliche Anpassungsbereitschaft, Budgetüberschüsse, tolles Wachstum. 2008 stellte sich heraus, dass der Wohlstand nicht Ergebnis einer erfolgreichen wirtschaftspolitischen Linie, sondern einer kreditfinanzierten Immobilienblase war, deren Platzen zu einem Schuldenberg führte. Dieser Schuldenberg überstieg anfangs die Kräfte der Banken, die daraufhin staatlich unterstützt bzw. ganz verstaatlicht wurden. Durch das Eintreffen laufender Korrekturen der Verlustschätzungen der Banken nach oben übersteigt er nun auch die Kräfte des Landes (das mit einer Garantieerklärung für sämtliche Einlagen über das zweieinhalbfache der jährlichen Wirtschaftsleistung schon 2008 eine gigantische Ansage getroffen hatte). Wenn nach Irland auch Portugal, dann Spanien und vielleicht Italien die Kräfte ausgehen, ist wohl auch die nächsthöhere Sicherheitsnetz-Ebene, EU und IWF, in der Bredouille. Das Schulden-Weiterreichen und damit Zeit kaufen ist dann zu Ende, und die Stunde der Forderungsverzichte schlägt. Die ersten Verzichte hat ein geringer Teil der unbesicherten Anleihehalter der Anglo Irish Bank (und zwar Spezialistenfonds, die diese Forderungen mit Abschlägen von ausländischen Banken erworben hatten, in der Hoffnung, dass sie bei den Verhandlungen mit Anglo Irish ein bisschen mehr rauskriegen als sie bezahlt haben) letzte Woche bereits hingenommen, weitere werden wohl folgen müssen.
In einem offenen Brief in der Financial Times hat der irische Finanzminister angekündigt, trotz immensen Budgetdrucks keinesfalls an den niedrigen Unternehmenssteuersätzen in Irland rütteln zu wollen. Irland müsse wachsen, um die Schuldenlast abzutragen. Er zitiert eine OECD Studie, wonach eine Erhöhung der Unternehmensteuern mit größter Wahrscheinlichkeit das Wachstum behindere. Irlands Regierung scheint den neoliberalen Ratschlägen also ungebrochen zu folgen. Multinationale Konzerne drohen Irland in der Tat mit Abwanderung im Fall einer Steuererhöhung. Dass bei einer auch nur geringfügigen Anhebung der Steuern sofortiger Massen-Exodus stattfindet ist jedoch nicht zu erwarten, schließlich hat Irland auch andere „Standortvorteile“ (Lage, Ausbildungsniveau, Sprache etc.). Mit dem klassisch keynesianischen Argument, eine einseitige Aufbürdung der Anpassungslasten auf die Schultern der Lohnabhängigen würde die Massenkaufkraft in Irland und somit auch den Unternehmen schaden, werden die Konzerne jedoch nicht zu beeindrucken sein: Irland hat Züge einer verlängerten Werkbank, wo Multis für den Export statt für den Binnenkonsum produzieren. Schätzungen, wonach das Bruttosozialprodukt (Einkünfte der Staatsangehörigen) um rund ein Fünftel unter dem Bruttoinlandsprodukt (Einkünfte der Ortsansässigen) liege, sind ein Indiz, dass massive Zuflüsse von Auslandskapital rein der Verlockung niedriger Steuern zu verdanken sind. Diese Gelder werden in Irland versteuert, in weiterer Folge aber über verzerrte Transferpreise innerhalb multinationaler Unternehmen wieder ins Ausland transferiert. In diesem Modell abhängigen Wachstums bleibt Irland durch die wirtschaftspolitische Weichenstellung der Regierung gefangen. Aus der darüber gelegten Finanzialisierung, die eine Zeitlang die Illusion von Wohlstand über das Land brachte, ist für absehbare Zeit die Luft raus – außer von irgendwoher kommen massive Zuströme von wohlhabenden Menschen, die irische Häuser kaufen, und den Immobilienboom wieder in Gang bringen. Die politischen Eliten, die in korrupter Weise mit dem Finanzboom verknüpft waren, sind delegitimiert. Ob es zu einem systeminternen Umsturz wie in Island kommen wird, wird sich bei den Wahlen spätestens im Frühjahr zeigen.
Irland und die Länder der Südperipherie (Portugal, Italien, Spanien), die im Fokus der aktuellen Finanzbesorgnis stehen haben eine auffällige Gemeinsamkeit: Sie bilden die Gruppe mit der höchsten Einkommensungleichheit innerhalb des Euroraums (und gemeinsam mit anderen Haupt-Krisenbetroffenen Lettland und UK auch innerhalb der EU) (Gini Koeffizient lt. UN Definition, Werte von 2008). Die viel beschworenen Ungleichgewichte zwischen Zentrum und Peripherie in Handel und Finanzierung werden ergänzt durch interne Ungleichheiten in den Peripherie-Ländern. Der neoliberale Glaube, Ungleichheit sei eine notwendige Begleiterscheinung von ökonomischer Prosperität wird dadurch einmal mehr in Frage gestellt. Eine wirtschaftspolitische Kurskorrektur steht nicht an. Ihre Eignung als kurzfristige Krisenhilfe in der jetzigen verfahrenen Situation wäre auch ungewiss. Überhaupt ist die Fantasie betreffend kurzfristige Lösungen derzeit allerorts ziemlich verpufft.
Es ist jedenfalls schwer vorstellbar, wie es ohne eine Schuldenrestrukturierung, also teilweisen Forderungsverzicht, für sämtliche in Diskussion stehende Staaten der Euro-Peripherie (Griechenland, Irland, Spanien, Portugal, Italien) weitergehen kann. Einzelfalllösungen halten nicht, denn die Restrukturierung in Einzelfällen erhöht sofort den Druck auf vergleichbare Fälle (Anstieg der Finanzierungskosten für Staaten bzw. Banken aus diesen Ländern). Die anderen Staaten zögern mit dieser Lösung, denn die Schuldenreduktionen treffen die Forderungen der eigenen Banken und Fonds: In Deutschland, Frankreich, Großbritannien etc würden massive Verluste aus Forderungen an Irland und Co. weitere staatliche Bankenhilfspakete auf die Tagesordnung setzen. Die Furcht vor Dominoeffekten und anschließendem Chaos ist groß.
Der neoliberale Weg aus der Stagnation ist gescheitert und hat die gesamte nördliche Hemisphäre in eine verfahrene Situation manövriert, in der guter Rat teuer ist.